DAVID gegen GOLIATH - Günter Faltin - E-Book

DAVID gegen GOLIATH E-Book

Günter Faltin

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Beschreibung

Komplett überarbeitete und erweiterte Neuausgabe von "Wir sind das Kapital" (Murmann Verlag). Die Ökonomie hat uns von materieller Not befreit. Jedenfalls in den reichen Ländern. Wir leben in einer Zeit des Überflusses. Aber ein weiter auf materielles Wachstum getrimmtes Wirtschaftssystem verführt zu immer höherem Konsum, mit unabsehbaren Folgen. Die Goliaths der Märkte betreiben eine Ökonomie, die das Überleben der Menschheit gefährdet, nur um ihre eigene Existenz und ihr Wachstum zu sichern. Wir müssen - und können - ihnen als Davids entgegentreten. Mit einer "Ökonomie der Vielfalt" statt einer "Ökonomie von oben". Mit mehr Akteuren, anderen Werten, neuen Sichtweisen und intelligenteren Lösungen. Ziehen wir die rote Karte für eine Ökonomie, die uns in die falsche Richtung führt. Wir können Ökonomie besser. Nie war der Bedarf an einer überzeugenden, zukunftsfähigen Ökonomie größer als heute. Denn die wachsenden Probleme unserer Zeit sind mit den herkömmlichen Mitteln nicht mehr zu lösen. Günter Faltin, Bestsellerautor und Pionier des Entrepreneurship-Gedankens, zeigt in diesem Buch, wie ökologische und soziale Werte in die Wirtschaft integriert werden können, statt in den alten Bahnen des "mehr Wachstum um jeden Preis" weiterzumachen. Der Autor entwirft in der überarbeiteten und erweiterten Ausgabe die Ökonomie einer neuen Epoche und zeigt einen gangbaren Weg für die Umsetzung dieser großen Vision. Inhalte: - Übersicht: Was in der Wirtschaft gerade falsch läuft - Wie uns Marketing in Zeiten des Überflusses manipuliert - Bedeutung von Ökologie und Gesellschaft für die Wirtschaft und umgekehrt - Vorteile von Entrepreneurship und Startups (David) gegenüber Großkonzernen (Goliath) - Übersicht: Chancen der Digitalisierung für kleinere Unternehmen - Tipps für (angehende) Gründer und Unternehmer - Argumente für Werte und gegen GewinnmaximierungDieser Titel ist ein Produkt der Reihe "Professional Publishing for Future and Innovation by Murmann & Haufe".

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Seitenzahl: 350

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WIR KÖNNEN ÖKONOMIE BESSER

GÜNTER FALTIN

DAVID

GEGEN

GOLIATH

Inhalt

Über dieses BuchEinleitung: Eine Epoche geht zu Ende

In die falsche Richtung

Das Ende des Mangels

Die dunkle Seite des Marketings

Die große Fehlallokation

Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte

Gewinnmaximierung und ihre Logik

Die Früchte des Fortschritts werden uns vorenthalten

Vom engagierten Bürger zum Citizen Entrepreneur

Die Herausforderungen der Zukunft angehen

Was wir aus dem historischen Kampf um mehr Demokratie erkennen können

Der Citoyen als Entrepreneur

Diversity creates innovation

Die Chancen der Davids

Das kapitalistische System abschaffen?

Wissen heißt: macht!

Vom Wollen zum Tun

Die Freundschaftsökonomie

Der Marketing-Rucksack

New Entrepreneurs, New Companies

Für eine neue Marketingkultur

Entrepreneurship als Volkssport

Ausblick: Renaissance der Werte

Jenseits der Gier

Unsere Vorstellungskraft – der unbegrenzte Rohstoff

Konsum de-materialisieren

Ökonomie als Nebensache

Die Vision

LiteraturverzeichnisDankÜber den AutorImpressum

Über dieses Buch

Jedes Kind versteht die Situation: Die Maschinen übernehmen die Arbeit. Erst die körperliche Arbeit, dann die repetitive geistige Arbeit. Ein Menschheitstraum geht in Erfüllung.

Doch, das Paradoxe ist: Wir spüren nichts davon. Wir erleben es anders. Mehr Verunsicherung, Sorge um den Arbeitsplatz, Zerstörung der Umwelt, Auflösung des Kitts der Gesellschaft.

Es reicht. Die Früchte des technischen Fortschritts werden uns vorenthalten. Wir ziehen die Rote Karte für eine Ökonomie, die uns in die falsche Richtung führt. Wir dürfen ihr nicht die Gestaltung der Zukunft überlassen. Wir können Ökonomie besser. Wir ersetzen eine »Ökonomie von oben« durch eine »Ökonomie der vielen«. Mit neuen Akteuren, anderen Werten, neuen Sichtweisen und intelligenteren Problemlösungen.

Mischen wir uns ein!

Gegenüber den internationalen Konzernen, den Goliaths, sind wir wie David: klein – aber nicht machtlos. Wir können unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Durch unser Handeln kann ein besseres Wirtschaften, ein besseres Leben möglich werden. Dieses Buch soll dabei helfen.

»Was wie eine Utopie klinge, sei in Wirklichkeit zum Greifen nahe. Die Entwicklung der Produktivkräfte führe ins Reich der Freiheit.« Das schrieb ich 2015 in Wir sind das Kapital; in indirekter Rede und verpackt in ein Zukunftsszenario, in dem eine Bewegung von Entrepreneuren die intel­ligentere, die bessere Ökonomie in Angriff nahm.

Diese Bewegung ist heute bereits erkennbar. Was damals noch im Konjunktiv stand, der Möglichkeitsform, ist inzwischen wirklich geworden: Die Einsicht hat an Boden gewonnen, dass die Politik und die großen Institutionen immer weniger in der Lage sind, die anstehenden Probleme zu lö­sen oder vorhandene Chancen zu erkennen. Es geht heute um Großes: die Umwelt, die Art, wie wir selbst leben und arbeiten wollen, unser Zusammenleben in der Gemeinschaft, unsere Gesellschaft.

Entscheidend in dieser Situation ist es, selbst einzugreifen und aktiv zu werden, um Veränderungen zu bewirken. Und das nicht nur in der Politik, sondern auch in der Ökonomie.

»Wie bei Gandhis historischem Marsch gegen die Salzsteuer sei der Zustrom zuletzt aus allen Lagern der Gesellschaft immer größer geworden«, schrieb ich 2015. Und genau das zeichnet sich jetzt ab. Nur ohne Gandhi. Wir können auch ein uns vertrauteres Beispiel nehmen: das Hambacher Fest 1832, den Höhepunkt der bürgerlichen Opposition zu Beginn des Vormärz. Damals boten Studenten den Fürsten Paroli und forderten Mitwirkung in der Politik. Heute geht es um die Ökonomie. Um den Widerstand gegen eine Wirtschaft, die sich nur noch über die Suggestion von Mangel erhält und dabei viel Schaden anrichtet: für die Menschen, die Umwelt, die Gesellschaft.

In Wir sind das Kapital habe ich versucht, mit dem Format »Bilder einer Ausstellung« zu arbeiten. Die Idee dieses Formats war, dem Leser zu über­lassen, welche Bilder er ansprechend findet und welche Linien oder Folgerungen er aus den angebotenen Sichtweisen ziehen will. Ich wollte es vermeiden, selbst einen roten Faden zu legen – weil wir am Beginn einer neuen Epoche stehen und es naturgemäß schwer ist, in einer derart offenen, noch nebulösen Situation einigermaßen klare Aussagen zu machen.

Das Resultat war, dass die Ausstellung viele Leser verwirrte. Zu viele Bilder. Zu wenig Orientierung. Der jetzt vorgelegte Relaunch von Wir sind das Kapital macht den Versuch, Linien aufzuzeigen, Position zu beziehen und Alternativen darzulegen. Dafür habe ich das Manuskript komplett revidiert, umfassend ergänzt und neu geschrieben.

Die alte Ökonomie produzierte – und brauchte – immerwährendes Wachs­tum. Das ging lange gut, sehr gut sogar: Wir sind im Schlaraffenland ange­kommen, ohne es recht zu merken. Die historische Aufgabe der Ökonomie, den Mangel zu beheben, ist in den entwickelten Ländern weitgehend erfüllt. Eine gigantische Leistung.

Wäre unsere Ökonomie ein Computerspiel, hieße es nun: neues Level erreicht! Und mit dem höheren Niveau ergibt sich eine völlig neue Situation. Oft helfen einem die Instrumente, mit denen man die Aufgaben des einen Levels gelöst hat, auf dem nächsten nicht mehr weiter – manchmal verschwinden sie sogar ganz aus dem Inventar. Auf dem neuen Level kann es passieren, dass man die Instrumente, die man für die Lösung der neuen Aufgaben braucht, erst noch finden muss, ja dass deren Entdeckung schon einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Bewältigung dieses nächs­ten Levels darstellt.

Wir haben die Chance, den Weg zu einer intelligenteren, feinfühligen Öko­nomie einzuschlagen, die das Potenzial zu einem Reich der Freiheit in sich trägt.

Die Mittel dazu sind bereits vorhanden.

Einleitung:Eine Epoche geht zu Ende

Ich kann mich noch erinnern, dass das Märchen vom Schlaraffenland in meiner Kindheit wirklich als Märchen angesehen wurde. Wenn wir Hunger hatten, dachten wir daran. So viel essen können, wie man will, sogar so viel Kuchen oder Torte essen können, wie man will. Ein Mär­chen eben. Wir konnten uns nicht im Traum vorstellen, dass es noch in unserer Generation Wirklichkeit werden würde. Und doch ist es geschehen. Ja, mehr als das: Wir sind durch das Stadium eines erfüllten Menschheitstraums hindurchgegangen, ohne es richtig zu merken. Die Glocken haben nicht geläutet. Keine Feier wurde veranstaltet. Heute sind wir jenseits des Märchens. Aus dem Traum, so viel Kuchen essen zu können, wie man will, wird ein Albtraum – Übergewicht ist zur Volkskrankheit geworden.

Die Ökonomie hat ihre Aufgabe erfüllt. Sie hat uns von materieller Not befreit. Jedenfalls in den reichen Ländern.1 Unser Wirtschaftssystem ist zu großer Form aufgelaufen.

Der amerikanische Soziologe und Zukunftsforscher Jeremy Rifkin sagt, wir stünden vor einer ganz neuen Realität, die zu erfassen uns noch schwerfalle. Wir hätten uns die Ökonomie der Knappheit derart einreden lassen, dass wir an die Möglichkeit einer Überflussökonomie nicht glauben wollen. Die großen richtungweisenden Ökonomen der Geschichte haben im­mer vor dem Hintergrund von Mangel argumentiert. Die Knappheit der zur Verfügung stehenden Mittel prägte ihre Denkweise.

Die Zeit der Knappheit aber weiche, so Rifkin, der Zeit des Überflusses. Nach allen historischen Maßstäben der Versorgung mit lebensnotwen­digen Gütern leben wir heute in einer luxuriösen Situation.2 Der Wohlstand eines durchschnittlichen Angehörigen der oberen Mittelschicht übertreffe heute, so Rifkin, den von Kaisern und Königen nur 400 Jahre zuvor.3

Jetzt, wo wir diese Stufe der Überwindung des Mangels erreicht haben, sollten wir einen Moment innehalten. Zeit für eine Zäsur. Versuchen wir den Wendepunkt, an dem wir uns befinden, besser zu verstehen.

In einer Welt des Mangels an Lebensmitteln entwickelt das Märchen vom Schlaraffenland typischerweise eine Vorstellung, die von diesem Mangel her gedacht ist. Und es endet mit gebratenen Tauben, die den Menschen in den Mund fliegen. Wenn Wasser das zentrale Element des Mangels ist, etwa im Leben der Beduinen, träumt man vom Ende des Mangels als einer Welt ständig sprudelnder Brunnen. In einer Welt aber, in der Wasser tatsächlich nicht mehr knapp ist, spielt – anders als in der Vorstellung der Beduinen – Wasser gar keine zentrale Rolle mehr. Andere Bedürfnisse treten in den Vordergrund. In einer Region, in der Sonnenstunden knapp sind, träumen die Menschen von einem Leben in der Sonne. In Regionen hingegen, in denen es keinen Mangel an Sonnenschein gibt, träumen die Menschen von anderen Dingen.

Denken wir diesen Gedanken fort. In einer Welt, in der kein materieller Mangel mehr herrscht, spielen die materiellen Güter keine zentrale Rolle mehr. Anders ausgedrückt: Ökonomie wird zur Nebensache. Wir werden das Glück nicht länger in materiellen Gütern sehen. Nicht weil wir edlere Menschen werden oder ein höheres Bewusstsein erlangen, sondern schlicht weil die materiellen Güter nicht mehr knapp sind.

Diese Schlussfolgerung steht, wie wir alle wissen, in völligem Gegensatz zum Alltag, in dem wir leben. Ökonomie nimmt in ihrer Bedeutung keineswegs ab. Eher wird man feststellen müssen, dass die Ökonomie immer stärker auch in andere Lebensbereiche hineinwirkt.

In den folgenden Kapiteln stellen wir uns die Frage, warum dies so ist. Wie erklärt sich die Diskrepanz? Und was müssen wir tun, um die Ökonomie zur Nebensache zu machen? Wir nehmen dazu einen Punkt ins Visier, der kaum Beachtung findet, weil er zur Begleitmusik moderner Öko­nomie zu gehören scheint. Dies eröffnet uns eine Perspektive, selbst die Entwicklung beeinflussen zu können.

Anmerkungen

1 Aber sie hat auch in den armen Ländern Fortschritte bewirkt. In einer Untersuchung errechneten Maxim Pinkovskiy vom MIT und Xavier Sala-i-Martín von der Columbia University, dass der Anteil der Menschen, die am Tag nicht mehr als einen Dollar zur Verfügung haben – inklusive der Nachkorrektur für Inflation –, zwischen 1970 und 2006 um 80 Prozent gesunken ist. Es sei der größte armutsbekämpfende Erfolg der Weltgeschichte, so die Autoren. Vgl. Pinkovskiy, Maxim/Sala-i-Martín, Xavier: »Parametric Estimations of the World Distribution of Income«, in: NBER Working Paper No. 15433, Oktober 2009.

2 Für globale und nationale Daten und Zeitreihen siehe Max Roser: Our world in data. https://ourworldindata.org

3 Rifkin a.a.O., S. 341.

In die falsche Richtung

Das Ende des Mangels

Über die Frage, was mit einem Wirtschaftssystem passiert, das durch permanenten technischen Fortschritt den materiellen Mangel beseitigt, haben bereits vor Jahrzehnten Wirtschaftswissenschaftler wie etwa Robert Heilbroner und Wassily Leontief nachgedacht. Die bekannteste und brillanteste Analyse stammt von John Maynard Keynes.4

Keynes’ Prognose

Keynes hat das Ende des Mangels vorhergesehen. »In wenigen Jahren«, so der britische Ökonom, »werden wir in der Lage sein, alle Tätigkeiten in der Landwirtschaft, im Bergbau und im produzierenden Gewerbe mit einem Viertel der menschlichen Anstrengungen durchzuführen, an die wir gewöhnt waren.« 5 Er komme zu dem Ergebnis, »dass das wirtschaftliche Problem innerhalb von hundert Jahren gelöst sein dürfte, oder mindestens kurz vor der Lösung stehen wird. Dies bedeutet, dass das wirtschaftliche Problem − wenn wir in die Zukunft sehen − nicht das beständige Problem der Menschheit ist.« 6

Kurzfristig entstünden zwar neue Schwierigkeiten: »Wir sind von einer neuen Krankheit befallen, nämlich technologische Arbeitslosigkeit«, so Keynes bereits 1930. »Hiermit ist die Arbeitslosigkeit gemeint, die entsteht, weil unsere Entdeckung von Mitteln zur Einsparung von Arbeit schneller voranschreitet als unsere Fähigkeit, neue Verwendungen für Arbeit zu fin­den.« Mit Drei-Stunden-Schichten oder einer Fünfzehn-Stunden-Woche könnten die Schwierigkeiten eine ganze Weile hinausgeschoben werden. Dies sei aber nur eine vorübergehende Phase der Anpassung.

Die Menschheit werde ihr wirtschaftliches Problem lösen − Keynes schien fast erschrocken von der Dimension seiner Prognose: »Warum, werden Sie fragen, ist das so verblüffend? Es ist verblüffend, weil − wenn wir statt in die Zukunft in die Vergangenheit blicken − wir finden, dass das wirtschaft­liche Problem, der Kampf ums Dasein, bisher immer die wichtigste, allerdringlichste Aufgabe der Menschheit war − nicht nur der Menschheit, son­dern des gesamten biologischen Königreichs von den Anfängen des Lebens in seinen primitivsten Formen.« 7

Welche Auswirkungen können wir erwarten, wenn Keynes’ Prognose eintrifft? Wenn die Maschinen die Arbeit übernehmen? Für uns Menschen wäre das großartig: mehr freie Zeit, mehr Lebensfülle, weniger körperliche Belastung und im Prinzip auch weniger soziale Konflikte.

In der öffentlichen Debatte stehen jedoch die vermeintlich negativen Folgen für den Arbeitsmarkt im Vordergrund. Die technologische Arbeitslosig­keit – die Keynes vorausgesagt hat – ist deutlich vor aller Augen. Folgerichtig wird das Problem in der Politik, in der Wissenschaft und in den Medien aufgegriffen und diskutiert. Zur »Zukunft der Arbeit« gibt es umfangreichen Stoff, Zoff und viele Fronten.

Fragen wir einmal in die ganz andere Richtung.

Was passiert, wenn man die Keynes’sche Prognose auf die Unternehmen anwendet? Wie sieht die Zukunft der Unternehmen aus?

Wenn die materiellen Bedürfnisse erfüllt sind, haben Unternehmen weniger zu tun. Wenn jeder Haushalt mit den einschlägigen Geräten ausgestattet ist, werden nur noch bei Ersatzbedarf Güter nachgefragt. Kein gutes Vorzeichen für Unternehmen. Die Umsätze werden geringer. Kein Wachs­tum mehr. Die freien Produktionskapazitäten drängen in den Ersatzmarkt. Kein gutes Vorzeichen für Gewinne. Mehr Wettbewerb, mehr Angebot, Druck auf die Preise. Die Überlebensbedingungen der Unternehmen verschlechtern sich. Und das kontinuierlich. Diese Entwicklung ist logisch, sobald die materiellen Bedürfnisse erfüllt sind.

Die Unternehmen sitzen in der Falle.

Das Dilemma der Unternehmen

Sehen wir uns die Argumentation auch aus dem Blickwinkel, der Betriebswirtschaftslehre an, und verwenden wir einen Begriff aus ihrer Fach­sprache.

In seinem Buch Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft argumentiert Jeremy Rif­kin, das kapitalistische System sei überaus erfolgreich. Es habe für technische Durchbrüche gesorgt und mit ihnen für einen in der Geschichte einmaligen Anstieg der Produktivität. Denken wir uns, so Rifkin, ein End­spiel, bei dem der Wettbewerb zur Einführung immer schlankerer Technologien führt und damit die Produktivität auf einen Punkt bringt, an dem jede zusätzlich hergestellte Ware immer geringere Kosten verursacht. An­ders gesagt, die Produktionskosten jeder weiteren Einheit tendieren gegen null, was das Produkt nahezu kostenlos macht.8 Rifkin erklärt uns diesen Vorgang mit dem betriebswirtschaftlichen Begriff der Grenzkosten der Produktion,9 den Kosten also, die anfallen, wenn wir bei bereits vorhandener Ausstattung mit Produktionsmitteln eine weitere, zusätz­liche Einheit einer Ware herstellen.

Schauen wir uns das am Beispiel der Telefonie an.

Beim Telefonieren haben die Grenzkosten von null bereits zu einem Preis von nahe null geführt. Auch in der IT-Branche insgesamt hat der technische Fortschritt zu Geräten mit höherer Leistung bei gleichzeitig fallenden Preisen geführt. Der Markt für Telefonie erlaubt uns noch einen anderen Einblick. Bei Preisen von null bricht die Welt nicht zusammen. Es werden auch nicht massenhaft Arbeitsplätze freigesetzt. Das einzig Besondere an dieser Entwicklung ist ge­radezu, wie wenig Staub aufgewirbelt wird, wie wenig soziale Verwerfungen daraus entstanden. Die betroffenen Unternehmen verdienen ihr Geld mit anderen Angeboten.

Der Traum der Menschheit, kostenlos mit dem Rest der Welt kommunizieren zu können, ging in Erfüllung. Ohne Aufhebens, ohne Zusammenbrüche. Schneller, als wir es jemals erwartet hätten. Dies könnte ein erster Blick in die Welt des »Danach« sein. Es gibt keinen wirklichen Grund dafür, warum das, was im Markt der Telefonie geschah, nicht auch in anderen Märkten erreichbar sein sollte.

Aber warum geschieht das nicht bereits?

Machen wir uns daran, zu entschlüsseln, woran das liegt. Wer und was ver­hindert, dass uns die Maschinen (der technische Fortschritt) die Arbeit abnehmen und wir in das Reich der Freiheit (von bedrückender Arbeit) gehen können? Was ist die Ursache dafür, dass trotz sinkender Grenzkosten die Preise für Produkte unverändert hoch sind oder sogar weiter steigen?

Die zögerliche Art und Weise, mit der wir Konsequenzen aus den nahezu Null-Grenzkosten ziehen, sei verständlich, so Rifkin. Viele, wenn auch nicht alle aus der alten Wirtschaftsgarde könnten sich schlicht nicht vorstellen, wie wirtschaftliches Leben sich in einer Welt gestalten sollte, in der fast alle Güter nahezu kostenlos werden.10

Dabei hatten sie ausreichend Zeit, sich darauf vorzubereiten. Denn dieses Problem unseres Wirtschaftssystems, so Rifkin, sei bereits früh erkannt wor­den: Wettbewerbsorientierten Märkten sei eine unternehmerische Dy­namik inhärent, die die Produktivität nach oben und die Grenzkosten nach unten treibe. In ökonomischen Lehrbüchern steht seit Langem, dass in einer effizienten und transparenten Wirtschaft die Verbraucher nur noch die Grenzkosten der Waren bezahlen müssen. Wenn aber Verbraucher nur für die Grenzkosten zahlen und diese in raschem Tempo gegen null gehen, geht es den Unternehmen schlecht. Sie können weder Renditen für ihre Investitionen garantieren noch ausreichende Gewinne erwirtschaften.

Produktivität steigt, Grenzkosten gegen null, Preise gegen null, Gewinne gegen null. Die betriebswirtschaftliche Betrachtung bestätigt: Die Unternehmen sitzen in der Falle.

Sie müssen sich etwas einfallen lassen.

Ökonomen, die über die langfristigen Auswirkungen der steigenden Produktivität nachdachten, sahen keine Lösung für die Unternehmen. Sie sag­ten, Unternehmen könnten versuchen, den Markt zu dominieren, um sich ein Monopol zu sichern, das es ihnen ermögliche, dem Markt höhere Preise abzutrotzen als lediglich die Grenzkosten der Produkte. Da aber Konsens darüber besteht, dass Wirtschaftsmonopole in privater Hand schädlich sind, werde die Politik versuchen, dem entgegenzuwirken. Und würden solche Monopole verhindert, führe das wieder dazu, dass der Markt dem Zustand der effizientesten Wirtschaft zustrebe – nämlich einer Wirt­schaft mit nahezu null Grenzkosten und der Aussicht auf nahezu kos­tenlose Güter und Dienstleistungen.11 Einer Ökonomie ohne Profite für Unter­nehmen.

Für die Unternehmen zeigt sich also kein Ausweg aus dem Dilemma. Keynes wie auch andere Ökonomen erwarteten, dass so gut wie keines von ihnen übrig bleibe.

Wenn der Mangel zu Ende geht

Das Phänomen, Menschen dazu zu bringen, mehr zu kaufen, als sie ursprünglich beabsichtigten, ist nicht neu. In den Wirtschaftswissenschaften findet es mit Thorstein Veblens The Theory of the Leisure Class (1899) erstmals Beachtung. Vance Packard hat das Thema in seinem Buch Die geheimen Verführer im Jahr 1957 popularisiert.12

Schubkraft erhält diese Entwicklung Mitte des 20. Jahrhunderts. Klaus Wiegandt, lange Zeit Chef der Metro-Handelskette und heute überzeugter Vertreter einer ökologischen Denkweise, erläutert den Beginn der Entwicklung am Beispiel der Nachkriegszeit der USA: 13

USA 1945. Der Krieg ist vorbei. Die Rüstungsproduktion geht schlagartig zurück, und die Arbeitslosigkeit droht sprunghaft anzusteigen. Die politische Antwort darauf? Der private Konsum muss angekurbelt werden. Die Menschen sollen mehr Waren kaufen. Man muss die Werbetrommel rühren. Ja, man muss Marketing in einer Weise ausbauen – über das Zu-Markte-Tragen hinaus –, dass sogar solche Konsumenten, die ein Produkt gar nicht wollen, zum Kauf überredet werden. Eine Marketingoffensive muss her. Mehr Bedürfnisse wecken.Das Gefühl des Mangels im Menschen installieren.Man kann es die Geburtsstunde einer neuen Epoche nennen: Der Mangel muss erzeugt werden.

Sie haben richtig gelesen. Nicht der Mangel muss behoben werden. Nein. Der Mangel muss erzeugt werden. Was für die Nachkriegszeit der USA vielleicht noch plausibel war, um ein aktuelles Problem politisch zu lösen, ist inzwischen zur Normalität geworden.

Pervers, aber wahr. Wenn der Mangel zu Ende geht, muss man ihn künstlich erzeugen. Die Sinnfrage, was nach der Abschaffung des Mangels als Aufgabe eigentlich übrig bleibt, wird nicht gestellt. Auch der Politik ist die Idee einer Postwachstumswelt zu riskant: Werden die Wähler mitgehen? Wer zahlt dann die Renten? Die Politik wird sich deshalb im Zweifelsfall eher für mehr Wachstum entscheiden als dagegen. Es ist eine Al­lianz, die sich für Unternehmen wie Politik auszahlt. Eine Mesalliance, die das alte Spiel weiterspielt, so als sei in Sachen Mangel nichts geschehen.

Das Selbstverständnis der Wirtschaftswissenschaften war es, sich dafür einzusetzen, den Mangel zu beheben. Zumindest für die Industrieländer ist diese Aufgabe gelöst. Heute müssen wir den Mangel künstlich stimulieren, um Nachfrage zu erzeugen. Das ist der Grund, warum das Marketing rundum an Bedeutung und Einfluss gewinnt. In den Unternehmensbudgets, in den Medien, ja sogar an den Universitäten. Wir müssen auf Marketing setzen, um mehr Konsum zu generieren. Wir brauchen Marketing, um neue Bedürfnisse zu wecken.

Die dunkle Seite des Marketings

Der Begriff »Marketing« klingt zunächst harmlos und vernünftig. Man muss die Waren doch zu Markte tragen! Herstellen allein reicht nicht. Man muss die Waren transportieren und verteilen. Die meisten Menschen denken bei Marketing nur an diesen Aspekt. Aber die Kosten dafür betragen nur einen Bruchteil des Marketingbudgets. Die Warenverteilung, die reine Logistik also, wurde immer effizienter. Die Transportkosten sind viel geringer und die Kosten für Telekommunikation noch tiefer als früher; die Supermärkte sind größer und arbeiten rationeller als die alten Tante-Emma-­Läden. Die Kosten für diesen Teil des Marketings sind im Laufe der Zeit immer mehr gesunken und eher unbedeutend geworden.

Aber es gibt noch einen zweiten Teil des Marketings, der ganz anders ­aussieht. Die Herstellung von Waren ist heute nicht mehr das Problem. Der Absatz ist es. Ökonomen würden vom Übergang von der Angebots- zur Nachfrageökonomie sprechen. Auf die Generierung von Nachfrage kommt es an. Daher wird das Marketing aufgerüstet, gewinnt eine zen­trale Funktion in der Wachstums­gesellschaft, wächst zu ungeahnter Größe. Längst tritt es selbstbewusst auf, ist sich seiner Macht und Bedeutung sicher.

Ich halte es für hilfreich, zum Verständnis des Phänomens für einen Moment an die Quelle zurückzugehen, dorthin, wo modernes Marketing noch im Entstehen war. Meines Erachtens hat niemand so klar die Problematik dieser zweiten Dimension des Marketings dargelegt und schon so früh ful­minant gegen dessen wachsende Macht Stellung bezogen wie Henry Ford. Ausgerechnet Ford. Ein Mann, der der Fließbandarbeit und dem Tayloris­mus zum Durchbruch verhalf. Ein Mensch, der als Personifizierung des kapitalistischen Systems angesehen wird. Aber hören wir ihm zu, was er über Marketing zu sagen hat.

Wenn das Erwirtschaften von Profit oberstes Ziel des Unternehmens sei, so argumentiert Ford,14 dann werde nur noch auf die Verkäuflichkeit des Produkts geachtet, nicht auf seine Nützlichkeit. (Ein Satz, den auch Marx gesagt haben könnte.) Die Schwächen des Produkts würden dann von der Reklame kompensiert. Für die dadurch entstehenden Zusatzkosten komme letztlich der Kunde auf. Dies führe zu einer Preispolitik, die sich nicht mehr an den Produktionskosten orientiere, sondern nehme, was am Markt herauszuholen sei. Der Schaden für die Allgemeinheit sei damit ein doppelter. Weniger Nützlichkeit, aber höhere Preise.15

Eine überzeugende Argumentation. Sie ist der Albtraum jedes Marketing­experten. Und heute aktueller denn je.

Damals regte sich noch Widerstand gegen die dunkle Seite des Marketings. In der Schweiz klagte Gottlieb Duttweiler darüber, dass die Ladenpreise auf ein Mehrfaches der Herstellungskosten gestiegen waren. Die Pro­dukte wurden damals zu etwa dem Dreifachen der Herstellungskosten verkauft. 1925 nahm Duttweiler diese Diskrepanz zum Ausgangspunkt für die Gründung seines Unternehmens, der Migros. Mit einem klei­nen, überschaubaren Angebot in kostengünstigen Großpackungen konnte er seine Waren deutlich preiswerter anbieten. Und siehe da: Er war mit diesem Ansatz hocherfolgreich. Innerhalb weniger Jahre schaffte er den Durchbruch und schuf die größte Einzelhandelskette der Schweiz.

Heute ist die Diskrepanz zwischen Herstellungskosten und Verkaufspreis viel extremer. Von einigen Kampfpreisen der Discounter abgesehen sind die Relationen inzwischen eher beim Zehnfachen angelangt, bei modischen Artikeln oft noch höher. Tendenz steigend.

Diese große Lücke zwischen dem Preis des Erzeugers und dem des Händlers ist historisch eine neue Erscheinung. In der Wirtschaftsgeschichte war es Konsens, dass der Wert einer Ware von den Kosten der Herstellung aus­geht und dass die Verteilung der Ware nur eine Randerscheinung darstellt. Es gab die Vorstellung vom »gerechten Preis«, also dem, was der Händler als Aufschlag verlangen dürfe. Grob vereinfachend könnte man sagen, die Vorstellung spielte sich im Bereich »des Zehnten« ab. Ein Aufschlag von 10 Prozent wurde als akzeptabel, als angemessen angesehen. Plus/minus und wie gesagt sehr grob, abhängig von der Art der Waren. Dies nur als Hinweis, dass man das, was heute passiert, in der Wirtschafts­geschichte als schweren Wucher betrachtet hätte.

Der Philosoph Aristoteles argumentierte sogar, Handel sei mit Betrug gleich­zusetzen. Weil er sich zwischen den Bauern und die Käufer schiebe. Die Hersteller drücke er im Preis, den Käufern nehme er so viel Geld ab als möglich. Dem Handel fehle das Maß, wann es genug sei. Er sei tendenziell maßlos.16 Wir sehen, das Thema ist also nicht ganz neu.

»Wie lange wollen wir uns noch gefallen lassen, für Produkte, von denen wir wissen, dass sie nur wenige Cent kosten, ein Vielfaches davon zu bezahlen?«, fragt Seth Godin, ein Vorkämpfer gegen Bullshit-Marketing.17 Nein, wir müssen es uns nicht gefallen lassen. Und das Beispiel Migros zeigt: Es reicht ein einziger Entrepreneur, um eine ganze Branche um­zukrem­peln. Bessere Qualität, besseres Preis-Leistungs-Verhältnis, mehr Trans­­parenz und Information, weniger Werbelyrik. Entrepreneure vom Typ Duttweiler können neue Maßstäbe setzen. Die Konkurrenz muss folgen, wenn sie nicht einen Großteil ihrer Kunden verlieren will.

Aber Fords und Duttweilers Denkweise sind heute kaum noch anzutreffen. Henry Fords Kritik wird eher milde und nachsichtig belächelt. So wie ein Pharmahersteller sich über Kunden amüsiert, die lieber Obst und Gemüse essen, als seine industriell hergestellten Pharmaprodukte zu kaufen. Gottlieb Duttweiler ist fast völlig vergessen.

Eigentlich sehr erstaunlich, dass nicht mehr Entrepreneure dem Beispiel von Ford und Duttweiler folgen. Schließlich waren beide höchst erfolgreich. Ein Erfolgsmodell also, das auf der Hand liegt, das aber nicht aufgegriffen wird? Wie wir gleich sehen werden, gibt es dafür eine Erklärung.

Sind wir manipulierbar?

Am liebsten würden wir kategorisch darauf antworten: »Nein, auf keinen Fall. Wir sind nicht manipulierbar.«

Es darf nicht sein. Unsere Kritikfähigkeit, unser Selbstwertgefühl stehen auf dem Spiel. Wir sind vernunftbegabte Wesen, leben den Geist der Auf­klärung. Klar, dass wir ab und zu Manipulationsversuchen ausgesetzt sind. Dass wir vielleicht auch einmal unterliegen. Auch den frömmsten Pilgern unterlaufen kleine Sünden. Aber alles in allem sind wir rationale, vernunftgeleitete Subjekte. Oder doch nicht?

Der Test: Wie wir Qualität schmecken

Drei Sorten Wein stehen zur Auswahl: einfache, mittlere und hohe Quali­tät. Die Testteilnehmer sind angehalten, ihr Urteil zu den drei Sorten ab­zugeben.18 Was den Test besonders macht: Es wird nicht nur das verbale Urteil der Probanden abgefragt, sondern es werden auch die Geschmackszentren im Gehirn gescannt. Man will verhindern, dass die Teil­nehmer etwas sagen, was nicht mit ihrem Geschmacksempfinden im Einklang steht. Man will ihre tatsächlichen Empfindungen messen, nicht nur ihre verbalen Äußerungen.

Das Ergebnis fällt erwartungsgemäß aus. Die Testpersonen erkennen die Qualitätsunterschiede der Weinsorten. Mit steigendem Preis steigt auch die Qualität. Nicht nur in den geäußerten Meinungen der Probanden; auch die einschlägigen Gehirnzentren melden zurück, dass die teureren Weine tatsächlich besser schmecken.

Dies wäre nichts Besonderes, gäbe es da nicht eine Kleinigkeit: Im Test han­delt es sich dreimal um den gleichen Wein!

Es ist also die Preisinformation, die dazu führt, dass die Testteilnehmer Unterschiede schmecken. Und noch mehr: Auch die entsprechenden Zen­tren im Gehirn melden die Qualitätsunterschiede. Die Betreffenden erleben also tatsächlich, dass ihnen der Wein mit dem höheren Preis besser schmeckt.

Was für ein Forschungsergebnis! Mit einer für die Praxis durchschlagenden Konsequenz. Ich muss als Unternehmer die Preise erhöhen. Weil dies im Auge des Kunden den Wert meines Produkts erhöht. Ziemlich anders als das, was Studenten der Ökonomie im Lehrbuch lesen: dass bei gleicher Qualität der niedrigere Preis eines Produkts kaufentscheidend wirkt.

Was hier im wissenschaftlichen Test vorgeführt wird, wissen erfahrene Mar­ketingmenschen schon lange. Ein hoher Preis signalisiert für den Käufer hohe Qualität, ein niedriger Preis hingegen nährt den Verdacht, dass Billigware verkauft werden soll. Im Hinterstübchen unseres Gehirns steht zwar: Vorsicht! Billig kann auch besonders preiswert bedeuten. Das vorherrschende Deutungsmuster ist aber: Teuer bedeutet gut, billig dagegen weist auf niedrige Qualität hin.

Was lerne ich als Unternehmen daraus? Die Psychologie ist wichtiger als die Produktqualität. Je mehr ich den Kunden glauben machen kann, dass mein Produkt hochwertig sei, desto besser für mich. Ich muss als Unternehmer mein Geld für Image und Marke ausgeben und kräftig damit trommeln. Einen schweren Fehler begeht also, wer viel in Produktqualität und nur wenig in Marketing investiert.

Der Test zeigt: Wir sind manipulierbar, leicht zu betrügen. Völlig legal.

Jetzt verstehen wir, warum so viel in Marketing investiert wird, warum die Kreativen, warum die Wissenschaftler nachgefragt werden. Es geht um sehr viel Geld. Die Preise hochsetzen und in Markenpflege investieren – das ist das ideale Geschäftsmodell. Ein perfektes System. Jetzt verste­hen wir, warum Marketing so wichtig geworden ist und immer noch an Bedeutung gewinnt.

Wasser in den Wein

Ein Tester, so dachte ich, sei jemand, der die bestmögliche Qualität auswählt, der seine Sachkenntnis und Erfahrung einsetzt, ein wirklich gutes Produkt zu gewährleisten. So sagen es auch die Texte, die wir auf den Warenverpackungen zu lesen bekommen: »Dieses Produkt wurde aus den besten Rohstoffen von unseren erfahrenen Testern nach sorgfältiger Prüfung für Sie ausgewählt.«

Der Tester als Garant für Sachkenntnis, Qualität, Authentizität und Unverfälschtheit. So dachte ich. So denken Sie wahrscheinlich auch. Wie naiv wir doch sind. Haben Sie schon einmal von der »Abbruchkante der Qua­li­tät« gehört?

Am Beispiel Wein: Wenn ich Wein mit ein klein wenig Wasser verdünne, fällt das niemandem auf. Wenn ich mehr Wasser hinzugebe, kommt der Punkt, an dem man merkt, dass mit dem Wein etwas nicht stimmt. Man nennt das die Abbruchkante der Qualität. Ein guter Tester ist jemand, der diese Abbruchkante genau herausschmeckt.19

Anders ausgedrückt: Die Qualität nimmt nicht linear ab, sondern von einem bestimmten Punkt an schlagartig. So jedenfalls reagiert unser Geschmacksempfinden. Objektiv gesehen nimmt die Qualität natürlich schon vom ersten Wassertropfen ab, subjektiv reagieren wir darauf aber anders.20

Während also an der Produktqualität gespart wird, erzeugt das Marketing den genau gegenteiligen Eindruck. Es schlägt die Stunde der Produkt­poesie.

Dem Käufer wird das Bild eines qualitativ hochwertigen Produkts vorge­gaukelt, mit schönen Worten, schönen Bildern und Raffinesse ausgemalt. Eine hohe Kunst. Werbelyrik wie aus der Feder von Rilke persönlich. Und leider sind solche irreleitenden Werbeaussagen und Etiketten ganz legal und daher im Supermarkt eher die Regel als die Ausnahme.21

In seinem Buch Werbung – nein danke kommt Christian Kreiß, Professor für Ökonomie an der Hochschule Aalen, in einer überzeugenden Analyse zu dem Schluss: »Mit der modernen Werbung ist die Lüge alltäglich geworden. Es kann nicht gut sein, wenn schon Kinder in einer Welt aufwachsen, in der Lüge die Normalität ist.« 22

In die untere Etage steigen

Wenn die Kunden sich keines Mangels bewusst sind, muss das Marketing eben tiefer schürfen – im Unterbewussten. Hierfür arbeitet es mit den neuesten psychologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen.

Ein Beispiel: Düfte. Sie sind Emotion pur. Vor allem, wenn sie aus einer Situation stammen, die sehr intensiv und positiv erlebt wurde. Riecht man später den gleichen Duft wieder, erzeugt dies eine positive Grundstimmung.23 »Duftstoffe wirken im Unterbewusstsein, denn die chemischen Signale werden von den Sinneszellen transformiert und direkt ins Gehirn weitergeleitet«, sagt Klemens Störtkuhl, Duftforscher an der Ruhr-Uni­ver­sität Bochum.

Ungeniert nutzen Duftmarketingagenturen diesen Trick. »Knapp unterhalb der Wahrnehmungsgrenze funktioniert das richtig gut«, verrät Jens Reißmann, Geschäftsführer der Duftagentur Reima AirConcept in Zwickau.

Mit parfümierten Spielautomaten lassen sich sogar 45 Prozent mehr Geld einnehmen, berichtet Alan Hirsch, ärztlicher Leiter der Smell & Taste Treat­ment and Research Foundation in Chicago.24

Fachleute sprechen von »Corporate Scent« oder »Air Design«. Ein Beruf mit Zukunft – werden Sie »Air Designer«. Manipulieren Sie mit Düften.

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Machen wir uns keine Illusionen. Manipulationen mit der Absicht, mehr zu verkaufen, sind an der Tagesordnung. Nicht weil Verkaufsmanager schlechte Menschen wären, sondern weil Manipulation funktioniert und mehr Absatz bringt. Wir sind manipulierbarer, als wir glauben, und wir werden häufiger manipuliert, als wir ahnen.

Wenn wir uns diese Zusammenhänge vor Augen führen, wird verständlich, warum Ford und Duttweiler nicht zu Vorbildern für Unternehmergenerationen wurden. Marketing und Manipulation sind der einfachere Weg zum Gewinn.

Das Marketing-Monster

Hi! Ich bin das Marketing-Monster. Mir geht es gut. Alle füttern mich, weil sie mich brauchen. Die Unternehmen sind auf mich angewiesen, wenn sie höhere Umsätze und Gewinne machen wollen. Universitäten füttern mich mit Forschungsergebnissen. Ich mache genau das, was die Menschen wollen. Mir ist ganz kannibalisch wohl. Tut mir leid, dass ich so dick geworden bin. Ich will beileibe kein Monster sein.

Das Gute ist, dass man mich kaum erkennt. Mar-ke-ting. Man muss die Waren doch zu Markte tragen! Und man muss sie beschreiben. Steht in jedem Lehrbuch. Na ja – und ein bisschen schön machen darf man sie schließlich auch. Wir wollen doch nicht puritanisch sein.

Was für ein wunderbares Versteck für ein Monster! Es stimmt natürlich, dass man die Waren sichtbar machen, sie zum Markt bringen muss. Aber die Kosten dafür sind nur ein Bruchteil des Marketingbudgets. Wenn es um diesen Teil des Marketings ginge, würde ich immer dünner, nicht dicker.

Es gibt aber noch einen zweiten Teil des Marketings, der ganz anders aussieht. Verkaufen, verkaufen, mehr und noch mehr. Den Waren eine Seele geben. Selbst dem Toilettenpapier. Die Marken werden entscheidend. Waren müssen Sehnsüchte bedienen, Emotionen wecken, verführen. Wer das beherrscht, wird hoch bezahlt. Kapital kauft Kopf.

Ich entfache ein gewaltiges Feuerwerk. Ich mache die Welt bunt und hell. Und optimistisch. Die kreativsten Köpfe arbeiten für mich und ziehen alle Register: Kunst, Ästhetik, Psychologie.

Ich liebe soziale Netzwerke. Ich spüre die Energie, die in ihnen liegt. Wenn ich gewitzt genug bin, kann ich dort als Freund unter Freunden auftreten. Die technologische Entwicklung kommt mir entgegen. Ich bin im Internet an Ihrer Seite. Ich kenne Ihre geheimen Wünsche und Interessen. Ich weiß besser über Sie Bescheid als Sie selbst. Ich bin Ihr großer, hilfreicher Bruder.

Ich bin der Witz. Ich bin der Humor. Ich bin das Spielerische. Kinder sehen mir zu, weil ich so lustig bin. Ich bin die Pause. Der Urlaub. Das Wohlbefinden. Ich umgebe mich mit schönen, sympathischen Menschen. Kein Register, das ich nicht ziehen kann. Ich bin Orgelspiel im Fortissimo.

Ich kann aber auch die leisen Töne. Ich liebe es, mich einzuschmeicheln. Ich verstehe die Menschen. Glauben Sie mir, ich tue alles dafür. Das liegt in meinem ureigenen Interesse. Wenn ich die Menschen nicht verstehe, kann ich ihnen auch nichts geben. Deshalb bin ich mir auch nicht zu schade, hinabzusteigen in die Tiefen und mich umzusehen, was im Keller liegt. Menschen haben Schwächen und leiden darunter. Ich helfe ihnen.

Sie wurden von der Natur benachteiligt? Sie müssen sich nicht länger schämen. Sie sind in Ihrer Kindheit verletzt worden und tragen den Schmerz in sich? Ich heile Ihren Schmerz. Sie sind zu dick? Kein Problem. Die Haare fallen aus? Kein Problem. Fältchen um die Augen? Kein Problem. Sie werden älter? Mit mir werden Sie jünger. Sie haben gerade kein Geld? Ich gebe Ihnen Kredit.

Sie dürsten nach Anerkennung? Nirgendwo habe ich mehr zu bieten: Das besondere Outfit. Die Accessoires. Der elegante Anzug. Die feinen Schuhe. Die teure Uhr. Sie fühlen sich unsicher? Ich gebe Ihnen Sicherheit.

Die Moderne überfordert die Menschen. Ich gebe ihnen fest umrissene Marken, mit denen sie sich profilieren können. So wie Insekten kein Rückgrat haben, sondern von außen durch die Teile des Chitinpanzers zusammengehalten werden, so wird der moderne Mensch durch Marken zusammengehalten.

Denken Sie an den Großinquisitor bei Dostojewski. Die Menschen sind schwach und brauchen Führung. Ich gebe ihnen Halt. Ich helfe ihnen, durch Statussymbole Selbstvertrauen zu gewinnen. Und mehr als das: Durch Marken gebe ich den Menschen Identität. Ich sage ihnen, was sie haben müssen, um sie selbst zu sein.

Hör mir gut zu: Ich biete dir einen Pakt an. Verkaufe mir deine Seele, und ich lege dir die Welt zu Füßen. Höre auf Mephisto. Mit deinem Eigensinn, mit deinem Ei­genwillen wirst du scheitern. Mit mir dagegen wirst du erfolgreich sein.

Die Philosophen haben viel über Freiheit geredet. Ich gebe den Menschen Freiheit. Ich öffne den Baukasten, aus dem sich jeder seine Freiheit zusammenstellen kann.

Ich bin die Hoffnung. Ich bin der Weg. Ich bin die Wahrheit und das Leben!

Das Marketing-Monster als Zukunftsperspektive?

Es geht mir nicht darum, Marketing gänzlich abzulehnen. Wenn es die Welt bunter und fröhlicher macht, was wäre dagegen zu sagen? Auch die eine oder andere Übertreibung darf man getrost akzeptieren. Es geht mir auch nicht darum, spartanische Lebensformen zu propagieren. An dieser Stelle geht es allein darum, die Funktion des Marketings und seiner Ausprägungen besser zu verstehen. Und die Folgen zu begreifen.

Heute müssen wir feststellen, dass es beim Konsum keine natürliche Sättigungsgrenze mehr gibt. Unsere Bedürfnisse sind unerschöpflich, wenn sie ständig angefacht werden. Zwar legen Studien nahe, dass in den reichen Ländern ein Zuwachs an Konsum das Maß an Zufriedenheit nicht weiter erhöht. Dennoch konsumieren wir mehr. Wir verschieben unsere Wunschvorstellungen ständig nach oben. Ein zentraler Faktor hierfür ist der Druck der Marketingindustrie.

Unternehmen A stellt ein nützliches Produkt her und verkauft es preiswert. Die Menschen stehen Schlange. Er braucht kaum Werbung, kein großes Marketing. Es sind Nutzen und Preis, die für es werben.

Unternehmen B stellt ein Produkt her, das nicht wirklich Sinn stiftet. Da eigentlich kein Mensch dieses Produkt braucht, muss es heftig in Marketing investieren. Es muss sein Produkt bekannt machen, muss Aufmerksamkeit erzeugen, an vielen Stellen präsent sein und werben. Das alles kostet viel Geld. Nichts arbeitet von allein für das Unternehmen, alles muss es teuer bezahlen. Was natürlich den Verkaufspreis des Produkts in die Höhe treibt.

Sinn oder Nichtsinn – das ist hier die Frage.

»Ökonomie mit Sinn« ist überzeugender, überlebenstüchtiger und braucht deutlich weniger Ressourcen. Pech nur, dass eine Ökonomie, die, um weiter wachsen zu können, immer mehr Absatz sucht, immer stärker auf Pro­dukte ausweichen muss, die keinen oder kaum noch Sinn stiften. Und dafür mit den Mitteln des Marketings unsere Bedürfnisse immer weiter an­fachen muss.

»Fackeln der Freiheit«

Heute ist nicht mehr die Herstellung von Produkten der Engpass für Unter­nehmen, sondern ihr Absatz. Daher wird eine riesige Verkaufsmaschinerie in Gang gesetzt. Die Investitionen in Werbung, Marken und Image ver­schlin­gen mehr Geld als die Kosten der Herstellung der Waren. Die Psyche des Menschen wird durchleuchtet, um bessere Verkaufsstrategien zu ermitteln. Längst sind unsere Emotionen, bis in die intimen Bereiche, mit sozialwissenschaftlicher Akribie untersucht.

Die Grundlagen dafür wurden vor fast hundert Jahren gelegt.

Ab Mitte der 1920er-Jahre erschien eine Reihe von Büchern zur Massen­be­einflussung, von denen Propaganda von Edward Bernays (1928) bis heute das bekannteste geblieben ist. Bernays, ein Neffe von Sigmund Freud, wollte den Begriff »Propaganda« von den negativen Assoziationen aus dem Ersten Weltkrieg befreien. Bernays 25 gilt neben Walter Lippmann, Ivy Lee und anderen als Vater der Public Relations. Er war Pionier in der Anwendung von Forschungsergebnissen der noch jungen Sozialwissenschaften.

Bernays geht es um die Technik der Meinungsformung. Er bezeichnet dies als engineering of consent. Sein Buch beginnt mit den Worten: »Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft. Wer die ungesehenen Gesellschaftsmechanismen ma­nipuliert, bildet eine unsichtbare Regierung.« 26

Klarer kann man es nicht sagen: intelligente, bewusste Manipulation.

»Wenn wir den Mechanismus und die Motive des Gruppendenkens verstehen«, schreibt Bernays, »wird es möglich sein, die Massen, ohne deren Wissen, nach unserem Willen zu kontrollieren und zu steuern.« 27 Eine relativ geringe Zahl an Personen, die die mentalen Prozesse und Verhaltensmuster der Massen verstehen, reiche aus, um uns »in beinahe jeder Handlung unseres Lebens, ob in der Sphäre der Politik oder bei Geschäften« zu dominieren.28 Über Joseph Goebbels wird berichtet, er habe die Erkenntnisse von Bernays für seine Kampagnen genutzt.

Bernays war auch einige Jahre für die amerikanische Tabakindustrie tätig. Frauen, so fand er heraus, betrachteten Zigaretten als phallische Symbole männlicher Macht und lehnten die Glimmstängel daher ab. Er ver­suchte im Auftrag der American Tobacco Company, das Rauchen für Frauen attraktiv zu machen. Die Werbestrategie zielte darauf, den Widerstand der Frauen gegen das Rauchen zu brechen. Bernays heuerte eine Gruppe von Frauen an und bat sie, sich als Suffragetten zu verkleiden. So marschierten die vermeintlichen Frauenrechtlerinnen durch New Yorks Fifth Ave­nue, und als Zeitungsreporter sie fotografierten, zündeten sie sich Zigaretten an und proklamierten diese als »torches of freedom« (Fackeln der Freiheit).

Waren emotional aufladen

Nirgends wird die Differenz zwischen Herstellung und Verkauf deutlicher als am Beispiel Red Bull. Und an keinem anderen Beispiel lässt sich die emotionale Aufladung eines Produkts durch Marketing so gut beobachten wie bei diesem Energydrink.

Das Getränk stammt aus Thailand und heißt dort Krating Daeng, die englische Übersetzung lautet: Red Bull. Der österreichische Marketingmanager Dietrich Mateschitz erwarb 1984 eine Lizenz für dieses Getränk. Die chemischen Bezeichnungen seiner wichtigsten Inhaltsstoffe heißen Trimethylxanthin und Aminoethansulfonsäure, bekannt sind sie unter den Namen Koffein und Taurin. Letzteres hat zwar seinen Namen vom Stier, weil es 1833 erstmals aus Ochsengalle hergestellt wurde, wird aber längst industriell erzeugt.

Entscheidend ist bei Red Bull nicht das Rezept. Nichts an den Zutaten ist geheim oder exklusiv. Entscheidend ist das Marketing. Die Leistung des Lizenznehmers Dietrich Mateschitz bestand im Markenaufbau. Sein Unternehmen macht die Marke. Es hat keine eigenen Produktionsstätten. Seit der Markteinführung werden die Dosen vom britischen Unternehmen Rexam hergestellt, das Getränk selbst vom österreichischen Getränkeunternehmen Rauch.

Der erste Slogan bei der Markteinführung des Getränks im Jahr 1987 war relativ nahe am Produkt: »Red Bull. Belebt Geist und Körper.« Für ein ­koffeinhaltiges Produkt kann das geradezu als sachliche Beschreibung durch­gehen. Der Markterfolg war mittelmäßig. Das änderte sich zwei Jahre später. Der Durchbruch kam mit einem neuen Slogan der Werbeagentur Kastner & Partner. Er löste sich von den sachlichen Eigenschaften des Produkts und machte ein rein emotionales Versprechen: »Red Bull verleiht Flügel.« 29

Mateschitz hat den Slogan »Red Bull verleiht Flügel« in die reale Welt übertragen. Es fing 1992 an mit sympathischen, amateurhaft anmutenden Wettbewerben, originelle Fluggeräte mit kurzem Anlauf zum Schweben zu bringen. Es folgten »Red Bull Flugtage«, eine Art Risikoflug-Meister­schaf­ten mit speziellen Flugzeugen und Piloten, die waghalsige Slaloms absolvieren.

Um in weitere Kundenschichten vorstoßen zu können, erweiterte man die Engagements im Sportbereich. Als Erstes 1995 der Einstieg in die Formel 1, mit Rennwagen, deren Spoiler noch an das Flügel-Bild erinnern. Nach Jahren als Sponsor eines kleinen, wenig erfolgreichen Teams startete Red Bull mit hohem Aufwand 2005 seinen eigenen Rennstall und wurde fünf Jahre danach Formel-1-Weltmeister. Man muss Geld in die Hand nehmen, um eine Marke emotional aufzuladen! Am Marketing darf man nicht sparen. Umsatzwachstum verlangt Expansion. Es folgten weitere, jetzt flügellose Sportarten mit einem breiter angelegten Publikum, wie etwa Fußball.

Viele haben versucht, das Produkt nachzuahmen. Die meisten Energydrinks werden sogar preiswerter angeboten als Red Bull. Aber keiner konnte sich gegen Red Bull durchsetzen. Die Marke und die Markeninves­titionen machen den Unterschied.

Mateschitz sagt selbst: »Alles ist Marketing.« 30 Wie recht er hat.

Original und Täuschung

Man könnte das Beispiel Red Bull als Einzelfall sehen, in dem das Instrument Marketing genial gespielt wird. Sehen wir uns an, wie das Unternehmen Bertolli, eine Tochter des Unilever-Konzerns, an das Thema herangeht. Eines vorweg: Bertolli ist nicht besser oder schlechter als andere Marken. Es handelt sich, wenn man so will, um eine völlig normale Marke, die nach den Gesetzen der Markenökonomie funktioniert. Ich habe das Beispiel Bertolli ausgewählt, weil es besonders gut dokumentiert ist.

Die Marke Bertolli steht für Olivenöl, Pasta-Saucen, Pestos, Brotaufstriche und Essig. Sie ist in fast jedem deutschen Supermarkt zu finden. »Lei­den­schaft für gutes Essen« ist laut Bertolli-Homepage einer der »grundlegenden Werte« der Marke, und das mit »viel Herz«. Selbst die Tomaten kommen »aus dem Herzen Italiens«, schwärmt die Homepage. Damit das auch jeder glaubt, spart Bertolli nicht an den üblichen Italienklischees von resoluten Pasta-Großmüttern und schnurrbärtigen Olivenbauern.

Alle Bertolli-Produkte würden »nach original italienischen Rezepturen und nur aus besten Zutaten hergestellt«, steht auf der Bertolli-Homepage. Schauen wir uns das am Beispiel des »Pesto Verde« an. Es hat das berühmte Pesto alla Genovese zum Vorbild, das traditionell aus Basilikum, Oli­ven­öl, Parmesan, Pinienkernen, Knoblauch und Salz hergestellt wird. Wer allerdings hinter Bertollis »Pesto Verde« ein Qualitätsprodukt nach Origi­nalrezept erwartet, muss sich getäuscht fühlen. Das Original wird suggeriert, aber ein billigerer Ersatz verkauft: Der Käseanteil ist gering, Olivenöl und Pinienkerne sind nur in Alibi-Mengen enthalten. Dafür sind Kartoffelflocken, Aroma und Säuerungsmittel zugesetzt.31