Davyan (Band 3): Schneeweiß - C. M. Spoerri - E-Book
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Davyan (Band 3): Schneeweiß E-Book

C.M. Spoerri

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Beschreibung

Hundert Jahre der Trennung liegen hinter Davyan und seiner großen Liebe. Jahre, in denen nicht nur er sich verändert hat. Dennoch ist eines gleich geblieben: die Loyalität seinen Freunden gegenüber. Und somit ist für ihn auch klar, dass er alles daransetzen muss, seinen ehemaligen Kampfgefährten aus der Gefangenschaft zu befreien, in die dieser erneut geraten ist. Die Suche nach dem verschollenen Elfen führt ihn tief ins Talmerengebirge, wo allerdings Begegnungen warten, die mehr Fragen aufwerfen, als Antworten zu liefern. Und die ihm aufs Neue klarmachen, dass das Leben alles ist … bloß kein Märchen.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Landkarte Region Fayl

Landkarte Altra

Prolog

Kapitel 1 - Freiheit

Kapitel 2 - Ein Gespräch über (fast) alles

Kapitel 3 - Jetzt und hier

Kapitel 4 - Feuerprobe

Kapitel 5 - Was du über mich noch wissen solltest …

Kapitel 6 - Kein guter Rastplatz

Kapitel 7 - Zeit für eine Entschuldigung

Kapitel 8 - Sag es!

Kapitel 9 - Naturtalent am Pläne Schmieden

Kapitel 10 - So viel Sonnenschein am Morgen …

Kapitel 11 - Wolfsblut

Kapitel 12 - Das Leben ist ein Arschloch

Kapitel 13 - Schneeweiß und Rosenrot

Kapitel 14 - Das Ende eines schlimmen Tages

Kapitel 15 - Abschied

Kapitel 16 - Undankbarer Zwerg

Kapitel 17 - Fisch und Vogel

Kapitel 18 - Auf Wiedersehen, nicht Lebewohl

Kapitel 19 - Zufallsbegegnung

Kapitel 20 - Zwergenmagie

Kapitel 21 - Mutter und Sohn

Kapitel 22 - Hilfskoch

Kapitel 23 - Essen mit der Schwiegermutter

Kapitel 24 - Folge dem weißen Hasen

Kapitel 25 - Sehr, sehr seltsam …

Kapitel 26 - Geständnisse und Pläne

Kapitel 27 - Eine aufschlussreiche Erkundungstour

Kapitel 28 - Der neue Stollenarbeiter

Kapitel 29 - In der Arena

Kapitel 30 - Sehr erfreut … nicht!

Kapitel 31 - Erstes Zwischenfazit

Kapitel 32 - Hase wäre besser gewesen

Kapitel 33 - Morgääähn

Kapitel 34 - Die weiße Schlange

Kapitel 35 - Nicht unterbrechen

Kapitel 36 - Der goldene Kamm

Kapitel 37 - Alles auf eine Karte

Kapitel 38 - Angriff ist die beste Verteidigung

Kapitel 39 - Bravo!

Kapitel 40 - Die gläsernen Särge

Kapitel 41 - Auf ewig tot

Kapitel 42 - Wenn das Zuhause kein Zuhause mehr ist

Kapitel 43 - Asche

Kapitel 44 - Der Preis fürs Leben

Kapitel 45 - Zurück bei dir

Kapitel 46 - Davyans Vater

Epilog

Nachwort und Dank

Zeitstrahl

Glossar

 

C. M. SPOERRI

 

 

Davyan

 

Band 3: Schneeweiß

 

 

Fantasy

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Davyan 3: Schneeweiß

Hundert Jahre der Trennung liegen hinter Davyan und seiner großen Liebe. Jahre, in denen nicht nur er sich verändert hat. Dennoch ist eines gleich geblieben: die Loyalität seinen Freunden gegenüber. Und somit ist für ihn auch klar, dass er alles daransetzen muss, seinen ehemaligen Kampfgefährten aus der Gefangenschaft zu befreien, in die dieser erneut geraten ist. Die Suche nach dem verschollenen Elfen führt ihn tief ins Talmerengebirge, wo allerdings Begegnungen warten, die mehr Fragen aufwerfen, als Antworten zu liefern. Und die ihm aufs Neue klarmachen, dass das Leben alles ist … bloß kein Märchen.

 

 

 

Die Autorin

C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft, zudem schreibt sie erfolgreich Liebesromane. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Januar 2017

© Sternensand-Verlag GmbH, Zürich 2017

Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss

Lektorat / Korrektorat: Martina König | Sternensand Verlag GmbH

Landkarte: Corinne Spörri | Sternensand Verlag GmbH

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-313-4

ISBN (epub): 978-3-03896-314-1

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Denk daran,

du bist derjenige,

der die Welt mit Sonnenschein

füllen kann.

 

- Disney, 1937

Altra

Prolog

Mauryce

 

Tag 23, Monat 8, 1 EP 11 247

 

Sechs Tage zuvor …

 

Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, Davyan in diesem mysteriösen Schloss im ewigen Schnee zu lassen. Bei diesem … Biest, das mich töten wollte, bloß weil ich zwei Rosen gepflückt habe.

Wie schlimm kann das schon sein? Die wachsen doch wieder nach …

Obgleich ich den Drang verspüre, umzukehren und Davyan beizustehen, bringen mich meine Füße fast automatisch durch den hohen Schnee in die Richtung, in der das Portal im Schlossgarten flimmert. Ich gehe an schwarzen Rosenranken vorbei, bis ich beim Pavillon ankomme, der einsam und verlassen in der kalten Schneelandschaft steht.

Noch einmal drehe ich mich zum Schloss um.

Es ragt groß und düster hinter mir auf, als wollte es über mich herfallen, sollte ich zu ihm zurückkehren.

»Ich hoffe, das war die richtige Entscheidung«, murmle ich.

Dann wende ich mich dem Portal zu und schreite hindurch.

Wie erwartet, finde ich mich im Talmerengebirge wieder, wo warmer Sonnenschein einen Kontrast zu der eisigen Kälte bildet, die beim Schloss herrschte.

Wo es wohl liegen mag? Im höheren Talmerengebirge? Oder gar in einer anderen Welt?

Auf jeden Fall muss ich mir diese Stelle hier so genau wie möglich merken, denn ich werde mein Versprechen einhalten, Davyan in einem Jahr abzuholen.

Er ist im vergangenen Jahrhundert zu meinem Freund geworden, hat sich sogar an meiner statt dem Biest verpflichtet, damit ich nach Hause zu meinem Volk kehren kann. Zu den Elfen in den Wäldern von Zakatas.

Ein Schauer rinnt über meinen Rücken, als ich zum ersten Mal begreife, dass ich tatsächlich frei bin. Ich kann gehen, wo immer ich hinwill. Die Zeit als Kämpfer der Arena ist endgültig vorbei.

Welch absurder und gleichzeitig schöner Gedanke!

Mein Herz wird leicht wie eine Feder, als ich die kühle Luft tief einatme. Es riecht nach Herbst, womöglich fällt tatsächlich bald der erste Schnee im Talmerengebirge, obwohl es in den unteren Ebenen noch Sommer ist.

Zeit, dass ich aufbreche, um die Berge zu verlassen, ehe ich gegen Schneegestöber ankämpfen muss.

So schnell ich kann, kehre ich zum Lager zurück, das Davyan und ich errichtet haben. Viel ist es nicht, das ich mitnehmen kann. Etwas Holz und Proviant.

Sobald ich in einer Ortschaft bin, werde ich einen Weg finden müssen, mich besser auszurüsten. Vielleicht etwas Geld verdienen, indem ich Aufgaben für die Dorfbewohner erledige – und mir damit eine Überfahrt über den Fluss Rott leisten kann.

Es ist bereits Abend, daher beschließe ich, die Nacht nochmals hier zu verbringen und morgen weiterzuziehen.

Hätte ich mich bloß anders entschieden, denn keine Stunde später werde ich von Fackeln umringt und ein Mann schreitet aus der Menge heraus, den ich während meiner Zeit in der Arena mehr als jeden anderen Menschen zu hassen gelernt habe.

Karakal …

Kapitel 1 - Freiheit

Davyan

 

Tag 29, Monat 8, 1 EP 11 247

 

Gegenwart

 

Immer, wenn ich Vögel beobachtet habe, stellte ich mir vor, wie sie die Welt wohl sehen. Wie es ist, dort oben zu fliegen und auf alles hinunterzublicken, ohne davon tangiert zu sein. Menschen werden zu kleinen Punkten, Gebäude zu viereckigen Formationen, Bäume und Wiesen zu einem grünen Teppich.

Doch nie hätte ich es für möglich gehalten, dass eines hier am Himmel alles andere übertrumpft: Das Gefühl purer Freiheit, das einen erfüllt, wenn man durch die Luft pflügt.

Sombren hält mich mit beiden Pranken fest, während er mit kräftigen Flügelschlägen auf das Talmerengebirge zusteuert, wo sich derzeit Karakals Reich befindet. Dorthin wurde mein Elfengefährte Mauryce gebracht, der auf der Flucht leider Karakal und seinen Gefolgsleuten in die Hände fiel.

Aber er wird nicht lange in der Gefangenschaft ausharren müssen – Sombren und ich werden ihn befreien. Ich kann nicht zulassen, dass er abermals das Leben eines Arenakämpfers fristen muss. Nur schon, weil ich ihm für immer dankbar dafür bin, dass er durch das magische Portal schritt und ich dadurch zu Sombren fand, als ich ihm folgte. Sombren, dessen Fluch es war, in Gestalt eines Biestes in einem Schloss und ewigem Winter verbannt zu sein.

Ein Schauer durchrinnt mich allein bei dem Gedanken, was geschehen wäre, hätte ich ihn nicht rechtzeitig gefunden und von seinem Fluch befreit.

Er wäre auf ewig dort als Bestie gefangen gewesen …

Doch dank unserer Liebe gelang es der Nymphe Silia, seinen Fluch so zu verändern, dass er sich sogar aktiv in ein Biest verwandeln kann, wann immer ihm der Sinn danach steht.

Daher trägt er mich nun auch in seiner Bestiengestalt durch die Lüfte.

Zugegeben, es ist gewöhnungsbedürftig, ihn in dieser Form zu sehen. Die eindrucksvollen Hörner auf der Stirn, die gewaltigen Schwingen … Aber es ist nun mal der Mann, dem mein Herz gehört und dabei ist es mir gleichgültig, wie sein Äußeres ist. Zumal ich auch seinem Bestienkörper immer mehr abgewinnen kann.

Nachdem wir das Schloss hinter uns gelassen haben, hat das Gebäude sich kurzerhand in Luft aufgelöst, als wäre es nie da gewesen.

Der Laut, der Sombren entfuhr, während er zurückblickte, war eine Mischung aus Knurren und Seufzen. Für ihn bedeutete dieser Ort hundert Jahre Gefangenschaft. Ich kann nur allzu gut nachempfinden, wie befreit er sich fühlen muss, ihm endlich den Rücken zu kehren. Mir ging es ähnlich, als ich vor wenigen Tagen aus Karakals Arena entkam.

Da es kühler wird, je weiter er in die Höhe steigt und je mehr wir uns dem Gebirge nähern, hält Sombren sich unterhalb der Wolken.

Damit kommen wir zwar langsamer voran, aber laufen nicht Gefahr, unterwegs zu erfrieren. Eine Gefahr, die im Grunde allein für mich gilt, denn Sombrens Körper wird von dem dichten dunkelbraunen Fell bedeckt.

Wir werden alle Kräfte noch brauchen, sobald wir an unserem Ziel ankommen. Bis zu den Talmeren ist es ein ziemliches Stück, es wird wohl mehrere Tage dauern, bis wir dort sind.

»Weißt du überhaupt, wo sich diese Arena befindet?«, höre ich Sombren über mir fragen.

Ich runzle die Stirn. »Hm, so genau weiß ich es ehrlich gesagt nicht«, gestehe ich. »Aber ungefähr.«

»Ungefähr«, wiederholt er grummelnd.

»Wenn ich den Ort finde, wo Mauryce und ich mit der Harpyie gelandet sind, werde ich mich orientieren können.«

»Harpyie?«

»Längere Geschichte.«

»Mhm. Du weißt schon, dass das Talmerengebirge riesig ist?«

Ich kann ihm in der Position, in der ich bin, zwar nicht in das Bestiengesicht schauen, weiß aber auch so, dass er gerade die Augen verdreht.

»Jap, die gigantischen Ausmaße der Talmeren kann ich klar und deutlich vor uns sehen«, erwidere ich. »Wir hätten den Zauberspiegel mitnehmen sollen. Vielleicht hätte er uns die Richtung weisen können, in die wir zu fliegen haben.«

»Damit ich den auch noch mitschleppen muss?« Sombren stößt ein Schnauben aus. »Du bist schon schwer genug.«

»Du bist ein Biest.«

»Ich weiß.«

»Das war doppeldeutig gemeint.«

Zur Antwort packen mich seine Klauen fester, sodass sie mir beinahe schmerzhaft in die Rüstung drücken. »Au, sei etwas feinfühliger«, beschwere ich mich.

»Dito«, erwidert er.

Ich schüttle den Kopf, kann ein Schmunzeln aber nicht verhindern. Es tut gut, sich wieder Wortgefechte mit Sombren liefern zu können, denn das bedeutet, dass er hier ist. Bei mir.

Götter, ich liebe ihn und seine mürrisch-düstere Art, hinter der sich ein Herz aus Gold verbirgt. Nie habe ich einen vielschichtigeren, tiefgründigeren, geradlinigeren und aufrichtigeren Menschen kennengelernt. Er ist klug und handelt überlegt. Dennoch ist da dieses Temperament, diese Leidenschaft, die er scheinbar nach Belieben freilassen kann, sodass sie ungezügelt über mich hereinbricht.

Ich genieße den Flug mit ihm und schließe eine Weile die Augen, um mich voll und ganz dem Gefühl der Schwerelosigkeit hinzugeben.

Allerdings werde ich jäh von Sombrens Knurren unterbrochen.

»Verdammte Scheiße«, höre ich ihn fluchen.

»Was?« Ich blinzle und blicke zu ihm hoch.

»Fällt dir was auf?«, stellt er eine Gegenfrage.

Ich schaue mich um. Unter uns zieht die Landschaft vorbei, die größtenteils aus Wiesen und Wäldern besteht. Nichts Ungewöhnliches …

»Was?«, wiederhole ich daher.

»Der Sonnenstand.«

»Hm?«

Noch immer verstehe ich nicht, worauf er hinauswill.

»Wir fliegen nach Norden, nicht nach Süden«, erläutert er endlich.

Stirnrunzelnd betrachte ich die Sonne, die sich zu unserer Rechten befindet. Es ist früher Vormittag, das bedeutet …

»Oh!«, stoße ich verwundert aus.

»Ja, oh«, brummt Sombren.

»Dann …« Ich plustere die Wangen auf. »Dann befand sich das Schloss im Süden der Talmeren?«

Keine Ahnung warum, aber irgendwie habe ich angenommen, das Schloss, in dem Sombren gefangen war, läge in Fayl. Also nördlich des gewaltigen Gebirgszuges, der Altra in zwei Hälften trennt.

»Scheint so«, bestätigt Sombren.

»Scheiße.«

»Das kannst du laut sagen.«

»Dann ist das unter uns Oshema?«

»Oder Merita, keine Ahnung.« Er zuckt mit den Schultern, was zur Folge hat, dass ich kurz enger an seinen Körper gezogen werde.

So ein Mist. Das bedeutet, wir müssen das gesamte Talmerengebirge überfliegen, um zu dem Ort zu gelangen, an dem sich Karakals Arena befindet. Denn dieser war nördlich der Talmeren, in Fayl. Soweit bin ich mir sicher.

»Das wird eine längere Reise«, bemerke ich.

»Wird es.« Sombren stößt ein leises Knurren aus, ehe er schweigend weiterfliegt.

Ich atme tief ein und aus. Eigentlich hatte ich gehofft, dass wir in ein, zwei Tagen am Rande des Gebirges angelangen würden und es von da aus ein Leichtes wäre, die Arena aufzuspüren. Dass wir nun so lange unterwegs sein werden, hinterlässt ein ungutes Gefühl in mir. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, das Portal zu suchen, das uns in die Nähe der Arena gebracht hätte? Aber als wir auf dem Balkon des Schlosses standen, habe ich beim besten Willen kein Portal mehr gesehen. Wahrscheinlich hat es sich ebenso wie der Schnee in Luft aufgelöst.

Dennoch … es könnte sein, dass wir Mauryce erst in ein paar Wochen zu befreien vermögen. Hoffentlich ist es dann nicht zu spät.

 

»Wir sollten mal irgendwo landen«, meint Sombren, nachdem wir ungefähr drei Stunden geflogen sind, wie ich am Sonnenstand feststellen kann. »Meine Flügel sind nicht darauf trainiert, ewig zu fliegen. Ich brauche eine Pause.«

»Ja, klar«, antworte ich umgehend und schaue mich auf der Fläche, über die wir fliegen, suchend nach einer geeigneten Stelle um. »Dort gibt es eine Wiese«, rufe ich ihm zu. »Siehst du sie? Direkt zwischen den beiden größeren Waldstücken.«

Auch wenn ich nicht genau weiß, welche Jahreszeit herrscht, da so etwas in Karakals Arena keine Rolle spielte, so schätze ich diese auf Mitte, Ende Sommer. Die Sonne scheint noch warm genug, dass wir im Freien übernachten können – zumindest, solange wir uns nicht mitten im Hochgebirge befinden. Denn die Ausläufer davon sind bereits mit einer leichten Schneeschicht bedeckt. Aber der Sommer ist in den Talmeren ohnehin viel kürzer, als ich es noch von meiner Zeit auf dem Weingut kenne. Zum Glück waren wir vorausschauend genug und haben uns im Schloss warme Kleidung herbeigezaubert, die ich in einem der beiden Rucksäcke trage.

»Mhm. Seh die Wiese.« Sombren sinkt langsam nach unten.

So sehr ich die Freiheit am Himmel auch genoss – nun dem Boden entgegenzukommen, bringt meinen Bauch zum Kribbeln. Ich habe keine Ahnung, ob Sombren mit mir in den Pranken landen kann, da er so etwas ziemlich sicher noch nie gemacht hat.

Doch meine Sorge erweist sich glücklicherweise als unbegründet.

Er sinkt elegant, und erst, nachdem beide Hinterbeine fest auf dem Gras stehen, gibt er mich frei. Ich lasse die zwei Rucksäcke, die ich vorne an der Brust befestigt habe, zu Boden gleiten.

»Phu, bin auch froh um eine kleine Rast«, murmle ich, während ich mich strecke und die Glieder dehne.

Unsere Ausrüstung ist nicht gerade leicht, und sie hing die ganze Zeit an meinem Körper. In einem der beiden Rucksäcke befindet sich Sombrens Rüstung, die ein gehöriges Gewicht mit sich bringt. Ganz zu schweigen davon, dass durch die aufrechte Position das Blut in meine Beine schoss, die sich nun seltsam kribbelig anfühlen.

Mit einem erleichterten Seufzen drehe ich mich zu meinem Biest um.

Er hat die Flügel wieder eingefahren und das braune Fell glänzt im Sonnenschein, als wäre es gerade erst gestriegelt worden. Ein leichter Rotstich schimmert darin. Die schwarze Mähne umrahmt seine Fratze, die ebenso wie sein hin und her peitschender Schwanz an einen Löwen erinnert. Er ist in dieser Erscheinung so groß, dass ich ihm nur knapp bis zum Bauch reiche.

Ich lege den Kopf schief, derweil ich ihn mustere. »Willst du die Pause als Biest oder als Mensch verbringen?«

»Rate mal.« Er lässt seine dunklen Bestienaugen funkeln, die, bis auf die Fellfarbe, als Einziges Gemeinsamkeiten mit seiner Menschengestalt aufweisen.

Noch während er spricht, beginnt sein Gesicht sich zu verwandeln, der Pelz verschwindet, sein ganzer Körper wird kleiner, bis ein breitschultriger Mann vor mir steht, der mich noch immer ein Stück überragt. Nackt, so wie die Götter ihn erschaffen haben, was mir einen atemberaubenden Ausblick auf seine Muskeln beschert, die unter der bleichen Haut spielen. Das schwarze Amulett, das er auch in seiner Bestiengestalt trägt, glänzt geheimnisvoll auf seiner behaarten Brust.

»Hach, jedes Mal eine Augenweide«, seufze ich und trete auf ihn zu.

Zärtlich lege ich ihm beide Hände um den Nacken, der von den langen dunklen Haarsträhnen bedeckt ist, die er in der Mitte seines Hauptes wachsen lässt. An den Seiten sind die Haare kurz getrimmt.

»Küss mich, mein schönes Biest«, flüstere ich.

Er schiebt die beinahe schwarzen Brauen zusammen, neigt aber widerstandslos den Kopf zu mir herunter und legt seine Lippen auf meine, während ich mich fest an ihn drücke. Sein Dreitagebart schabt über mein Kinn, als ich den Mund öffne, um den Kuss zu vertiefen.

Sombren zu küssen ist … Keine Ahnung, wie ich das beschreiben soll. Es mutet an, als würde mein ganzer Leib von Feuer erfasst, und gleichzeitig kribbelt mein Bauch wie verrückt.

Der Druck seiner Lippen ist sanft, fast schon zurückhaltend – und das stachelt mich noch weiter an, ihm zu zeigen, wie sehr ich ihn begehre.

»Lass mich meine Kleidung anziehen«, raunt er, nachdem er den Kuss beendet hat. »Es ist scheißekalt.«

»Meinetwegen darfst du gern so bleiben.« Ich grinse ihn an, derweil ich das goldene Schwert abschnalle, das ich von der Nymphe des Schwertlied-Teiches geschenkt bekommen habe.

Es besitzt mystische Kräfte, und solange ich es trage, können Sombren und ich uns sogar nachts im Traum im ehemaligen Saal des Schlosses treffen – ganz gleich, wie weit wir voneinander entfernt sind.

Nun schenkt er mir einen langen dunklen Blick, ehe er kopfschüttelnd zu einem der Rucksäcke geht und Hemd sowie Hose seiner Ausrüstung überstreift. Auf Stiefel verzichtet er, das ist bei dem weichen Gras, in dem wir gelandet sind, aber auch nicht notwendig.

Zudem ist es nicht ›scheißekalt‹, die Sonne scheint warm auf uns herunter.

»Such bitte ein paar Äste zusammen, dann mache ich ein Lagerfeuer«, weist er mich an.

Gut, ihm ist offenbar doch kalt.

Womöglich ist das darauf zurückzuführen, dass er bis eben noch ein dichtes Fell trug und daher nun der Temperaturunterschied für ihn um einiges größer ist. Es ist zwar schönes Wetter, aber da wir uns so nahe an den Talmeren befinden, weht ein kühler Wind. Demnach ist ein Feuer nicht verkehrt, um uns ein wenig aufzuwärmen.

»Aye.« Ich salutiere noch immer lächelnd und schicke mich an, seiner Aufforderung nachzukommen, indes er die Rucksäcke nach Proviant durchsucht.

Kurz darauf sitzen wir nebeneinander vor den prasselnden Flammen und essen Äpfel, Dörrobst und Trockenfleisch, die wir uns im Schloss gewünscht haben.

»Wir hatten bisher noch keine richtige Gelegenheit, über alles zu sprechen«, bemerkt Sombren, während er mit einem Stock in der Glut stochert, die er mit seiner Feuermagie schürt.

»Was meinst du mit ›alles‹?«, hake ich nach und werfe das Kerngehäuse meines Apfels in hohem Bogen weg. Es landet etwa ein Dutzend Schritt weit entfernt im Gras und wird bestimmt irgendein Nagetier oder einen Vogel erfreuen.

Sombren, der mit seinem Apfel vor mir fertig war, und diesen komplett aufgegessen hat, hebt den Blick. Nachdenklich mustert er mich. »Ich sagte dir im Schloss bereits, ich habe so einige Fragen an dich. Deine Magie zum Beispiel, woher kommt sie? Was ist das für eine Fähigkeit, dich wiederzubeleben? Was hast du in den vergangenen hundert Jahren alles durchgemacht? Was verdammt noch mal sollte vorhin die Anspielung mit dieser Harpyie? Was geschieht, nachdem wir Mauryce befreit haben? Such es dir gern aus.«

Kapitel 2 - Ein Gespräch über (fast) alles

Davyan

 

»Phu, das ist echt eine Menge, da gebe ich dir recht.« Ich plustere die Wangen auf und greife nach meinem Wasserschlauch, um einen Schluck zu trinken. »Hm, wo soll ich beginnen?«

Seine Augen verengen sich. »Warum kannst du aus Feuer wiedergeboren werden wie ein Phoenix?«

»Weil ich ein Prunati bin«, erkläre ich frei heraus.

»Ein Prunati?« Er legt die Stirn in Falten. »Nie gehört.«

»Ja, ich denke, die wenigsten wissen, was das ist«, bestätige ich. »Nicht einmal in deiner riesigen Bibliothek im verzauberten Schloss bin ich fündig geworden, es existieren also keine Niederschriften darüber – zumindest keine, die von einem Menschen verfasst worden wären. Das, was ich selbst darüber weiß, habe ich nur durch meine Mutter erfahren.«

Verwunderung erobert seine Miene. »Deine Mutter? Ich dachte, du bist bei deinem Ziehvater aufgewachsen?«

Ich lege den Wasserschlauch zur Seite und schlinge stattdessen einen Arm um mein Bein, das ich anwinkle. »Das stimmt. Ich wuchs auf dem Weingut bei Elzgar auf, da meine Mutter starb, als ich noch sehr klein war. Aber wenn ich selbst sterbe, gelange ich sozusagen in eine Art Zwischenwelt. Und dort kann ich die Vorgängerin meiner Prunati-Linie treffen – also meine Mutter. Denn sie ist es, die mir dieses … Talent … Wesen … Fähigkeiten … Kräfte … wie auch immer man es nennen mag … vererbt hat.«

Sombren nickt langsam, während er mich gedankenversunken betrachtet. »Und dein leiblicher Vater?«

Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Mutter weiß nichts mehr über ihn, da sie ihn vergessen hat. Wir Prunati vergessen alles, was bedeutsam oder schön war, wenn wir sterben.«

Er senkt den Blick zurück zu den Flammen. »Scheiße.«

»Jap.« Ich seufze und beobachte, wie er das Feuer höher brennen lässt.

Bilde ich es mir gerade nur ein, oder umgibt ihn eine dunkle Aura, als er mehr Magie wirkt? Doch als ich blinzle, ist der Eindruck verschwunden.

Komisch.

Ich schüttle den Kopf, um die Sinnestäuschung zu vertreiben. »Hätte ich dich nicht, wäre ich wohl wieder an dem Punkt angelangt, wo ich keine Ahnung mehr habe, warum ich hier bin. Und wer du bist. Vielleicht wüsste ich nicht einmal mehr, wer ich bin. Bei jedem Mal, als ich starb, habe ich ein bisschen mehr vergessen.«

»Hättest du mich nicht, wärst du gar nicht erst nochmals gestorben«, erinnert er mich an die Tatsache, dass er mich im verwunschenen Schloss als Biest angefallen und getötet hat.

Die Flammen vor uns lodern heftiger, da Sombren sie wohl unbewusst mit den Gewissensbissen nährt, die er noch immer für seine Tat empfindet.

Doch. Da ist eine düstere Aura um ihn. Oder täusche ich mich?

»Hm, auch wieder wahr.« Ich lege den Kopf schief. »Aber der Tod war es auf jeden Fall wert, jetzt erinnere ich mich an alles, da ich dir bei meiner Wiederbelebung in die Augen blicken konnte.«

»Du nimmst deinen Tod für meinen Geschmack etwas zu sehr auf die leichte Schulter«, brummt Sombren.

»Nun ja, was soll ich denn machen?« Ich wedle mit einer Hand in der Luft. »Als ich zum ersten Mal starb, dachte ich: Das war’s. Aber mittlerweile freue ich mich schon fast darauf, meine Mutter wiederzusehen.«

Sombren sieht mich gedankenversunken an. »Das erste Mal … wann war das?«

»Als dieser riesige Bär den Kutscher sowie den Erdmagier tötete, den ich zum Weingut hätte mitbringen sollen«, antworte ich. »Das war so ein sinnloser Tod. Also der von Theras und dem Kutscher.«

»Hm.« Er nickt grübelnd. »Das erklärt, warum Niclas mir erzählte, du hättest unter Gedächtnisverlust gelitten.«

»Ja, er kam auf das Weingut und ich erkannte deinen Freund leider nicht wieder«, bestätige ich. »Das war … ziemlich blöd.«

»Er ist nicht mein Freund«, widerspricht Sombren fast schon mechanisch.

»Nicht?« Ich ziehe eine Braue in die Höhe.

»Nein.«

»Aber ihr wirktet so vertraut, als ihr zum zweiten Mal aufs Weingut gekommen seid«, halte ich dagegen.

Sombren schüttelt zur Antwort bloß den Kopf. »Das war … Du standest direkt vor mir, als du mit Niclas gesprochen hast«, erinnert er sich. »Warum hast du dich mir nicht zugewandt? Dich mir offenbart?«

Ich beiße mir verlegen auf der Unterlippe herum. »Weil ich … Ich hatte Angst«, gestehe ich.

»Angst?«

»Ja … Ich dachte, du stehst auf Frauen und ich wollte nicht …«

Er seufzt leise und unterbricht damit mein Stammeln. »Scheiße, Davyan«, murmelt er und wirft mir einen unergründlichen Blick zu. »Wir hätten so viele Dinge verhindern können.«

»Hm.« Ich schaue nachdenklich in die Flammen vor uns.

Ja, er hat recht. Hätten wir – ich – von Anfang an mit offenen Karten gespielt, wäre uns einiges erspart geblieben. Aber das Leben lässt sich nun mal nur in eine Richtung leben: vorwärts. Was hinter einem liegt, ist unveränderbar, daher sollte man Fehler auch nicht endlos zerdenken, sondern sie akzeptieren und im besten Fall daraus lernen.

»Und hast du deine Erinnerungen damals wiederbekommen?«, hakt er nach, als ich mehrere Minuten nichts mehr sage.

Ich blinzle kurz, da ich ein paar Sekunden brauche, um seinem Gedankengang zu folgen. Er spricht von meinem ersten Tod und dem damit zusammenhängenden Gedächtnisverlust.

»Das habe ich«, bestätige ich. »Sie waren plötzlich wieder …« Ich unterbreche mich und klatsche mir mit der Hand gegen die Stirn, als mich die Erkenntnis überkommt. »Du! Du warst der Grund. Du warst damals auf dem Weingut, oder? Also beim ersten Mal, als du den Wein für den Ball organisiert hast. Und da hast du mich in meiner Arrestzelle im Keller aufgesucht.«

Er verengt die Augen und nickt. »Ich hatte einen seltsamen … Traum … Vision … keine Ahnung, was das genau war. Ich habe eine schwarze Gestalt gesehen, die mich in den Keller führte. Als ich dieser Spur nachging, fand ich die Zelle allerdings verlassen vor.«

»Ja, weil Silia mich dummerweise in genau diesem Moment an ihren Teich teleportiert hat, als du die Tür der Zelle geöffnet hast. Aber du hast mir in die Augen geschaut vorher. Daher wusste ich mit einem Mal wieder alles.«

»Silia hat dich an ihren Teich teleportiert?« Er sieht mich verwirrt an. »Wie war das denn möglich? Hattest du da schon ihr Schwert, das diese Verbindung zwischen euch ermöglicht?«

»Nein. Aber durch unsere erste Begegnung an ihrem Teich wurde sie erweckt«, erkläre ich. »Das war, als du und Jala in der Nacht dort waren, nachdem sie von einem Besuch bei eurer Mutter zurückkehrte und du ihr entgegengeritten bist. Du hast mich geschlagen, weil sie mich geküsst hat.«

»Mhm.«

Meine ich es nur, oder liegt da Schmerz in Sombrens Blick?

Doch beim nächsten Blinzeln ist die Regung fort. »Dass ich dich geschlagen habe, ist … Es tut mir unendlich leid, Davyan. Ich hätte nicht …«

»Du wolltest Jala beschützen«, unterbreche ich ihn sanft. »Das verstehe ich inzwischen. Zudem hast du dich bereits dafür entschuldigt, als wir uns auf dem zweiten Ball getroffen haben.«

Seine Miene wirkt undurchsichtig, doch dann nickt er. »Diese Begegnung am Teich hat also Silia erweckt?«

»Genau«, bestätige ich. »Seither bestand eine Verbindung zwischen dir und mir. Ich denke, da unsere Seelen sich so nahe waren, als du mich eine Woche später auf dem Weingut in der Zelle fandest, hatte sie genügend Energie, mich zu sich zu holen und zu heilen.«

Sombrens Gesicht wird finster. »Heilen? Warst du verletzt?«

»Ja, ich …« Scharf hole ich Luft, als unvermittelt die Bilder von damals über mich hereinprasseln.

Wie ich auf dem Innenhof des Weingutes vor aller Augen ausgepeitscht wurde. Nackt … gedemütigt … hilflos … den Boshaftigkeiten meiner Stiefmutter Libella und ihren Söhnen ausgeliefert.

»Davyan.« Sombrens Stimme ist behutsam und voller Wärme.

Ich blinzle und schüttle den Kopf, um die Erinnerungen loszuwerden. Vergebens. Sie sind immer noch da, lassen meinen Körper erschaudern.

Mit einem Mal spüre ich Sombrens Hand, die sich auf meine Schulter legt. »Schau mich an«, sagt er sanft.

Wieder blinzle ich, muss alle Kraft aufbringen, meinen Blick auf ihn zu fokussieren. Die Erinnerungen sind jedoch zu schrecklich, sie wollen mich in ihren Fängen behalten.

Warum sie erst jetzt, nach hundert Jahren, über mich hereinbrechen, weiß ich nicht. So lange hatte ich nicht daran gedacht, doch nun suchen sie mich mit umso mehr Grauen heim. Womöglich liegt es an der Tatsache, dass ich emotional abgestumpft war während meiner Zeit in der Arena – oder aber einen Großteil davon vergessen habe. Wie auch immer. Ich kann mich kaum gegen das Entsetzen wehren, das sie in mir wachrütteln.

»Davyan«, wiederholt Sombren eindringlich. »Das, was damals geschehen ist, ist Vergangenheit. Du bist jetzt hier, bei mir. Und ich werde nicht zulassen, dass dich jemals wieder jemand quält oder foltert. Hast du das verstanden?«

Ich nicke mechanisch. Versuche, seine Worte zu begreifen, mich daran festzuhalten.

Er hat wohl eins und eins zusammengezählt, ohne dass ich ihm mehr über die abscheulichen Taten meiner Stiefmutter erzählen musste. Und dafür, dass er nicht nachhakt, liebe ich ihn noch mehr.

»Es war … eine schlimme Zeit«, flüstere ich und atme zittrig ein.

»Eine Zeit, die hinter dir liegt«, sagt er ebenso leise.

Dann legt er den Arm um mich und zieht mich nahe an sich.

Ich spüre seine Muskeln, seine Wärme – und die Geborgenheit, die er ausstrahlt. So ist es jedes Mal, wenn ich ihm nahe bin. Sombren gibt mir den Halt, den ich in meinem Leben so lange vermisst habe. Es braucht keine Worte. Seine Stärke, seine schiere Präsenz erden mich und helfen mir, alles Schlimme zu vertreiben.

Ja, er hat recht. Diese Zeit liegt hinter mir. Im Hier und Jetzt gibt es kein Weingut mehr. Keine Libella, die mich quält. Ich kann mich zudem wehren, habe gelernt, zu kämpfen. Nie wieder werde ich zulassen, dass mich jemand derart misshandelt und erniedrigt.

Eine Weile sitzen wir schweigend da, ehe Sombren mir einen leichten Kuss auf den Scheitel drückt, was mich den Blick heben lässt.

Seine Miene ist nachdenklich. »Wie oft bist du denn schon gestorben?«

»Mit dem letzten Mal im Schloss sind es vier Male. Vorher war es einmal durch den Bären, einmal als ich von den Sklavenhändlern entführt wurde … und einmal in der Arena, als Karakal wissen wollte, ob ich tatsächlich in Flammen wiedergeboren werden kann.«

»Viermal.« Er presst die Lippen zusammen. Ich spüre, wie sein Griff um mich eine Spur stärker wird. »Und … wie oft kannst du dich wiederbeleben?«

»Keine Ahnung.« Ich senke den Blick und betrachte die Flammen vor uns. »Mutter meinte, meine Kräfte seien stark, aber Prunati können nicht unendlich oft sterben. Irgendwann … ist es das letzte Mal.«

»Dann werden wir dafür sorgen, dass es nie mehr so weit kommt«, sagt Sombren entschlossen.

»Das wäre ganz in meinem Interesse.« Ich schenke ihm ein leichtes Lächeln.

»Deine Magie«, meint er gedehnt und die Falte auf seiner Nasenwurzel vertieft sich ein wenig. »Somit sind das sogenannte Prunati-Kräfte, die dir innewohnen?«

»Mag sein.« Ich zucke mit den Schultern und falte die Hände ineinander. »Mutter hat mir nichts darüber gesagt. Mauryce meinte allerdings, dass wahrscheinlich Elfenkräfte in mir schlummern.«

»Elfenkräfte …« Sombren sieht mich grübelnd an. »Du hast mir bereits im Schloss erzählt, dass deine Magie elfischen Ursprungs sein könnte. Aber wenn dem wirklich so ist, wird dir der magische Zirkel nicht dabei helfen können, sie beherrschen zu lernen. Elfenmagie unterscheidet sich von der menschlichen.«

»Hm.«

Er kaut eine Weile auf der Unterlippe herum, ehe er leise Luft holt. »Wirst du dennoch in Erwägung ziehen, mit mir in den Magierzirkel zu kommen, sobald wir Mauryce in seine Heimat begleitet haben?«

Ich plustere die Wangen auf und nicke. »Ich will bei dir bleiben, Sombren«, erkläre ich. »Und wenn dein Weg in den Magierzirkel führt, komme ich mit. Obgleich ich mich dort wahrscheinlich verloren fühle.«

Der Feuermagier zieht mich noch etwas fester an sich. Dann legt er seine freie Hand auf meine und drückt sie sanft. »Das wirst du nicht, ich bin bei dir«, verspricht er.

»Aber nicht immer.« Ich schenke ihm ein freudloses Lächeln.

»Nicht immer, das stimmt.« Er zieht die Stirn kraus, während er mich forschend anschaut. »Hast du Angst vor dem Magierzirkel?«

»Ein wenig«, gestehe ich und atme tief ein und aus, suche seinen Blick. »Sombren, ich … Die ersten dreißig Jahre meines Lebens war ich nur auf dem Schwertlied-Weingut. Und danach hundert Jahre als Kämpfer in der Arena. Ja, dort bin ich auf Menschen getroffen, doch ich habe vor allem gegen sie gekämpft. Es ist … Ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, an einem Ort zu sein, wo es so viele Leute gibt.«

»Ich mag Menschen auch nicht«, murmelt er, ehe er mich loslässt und sich wieder seinem Stock widmet, um damit im Feuer zu stochern.

»Nicht?« Ich hebe die Brauen.

»Nein. Ich bin eigentlich am liebsten für mich allein«, eröffnet er mir.

»Wie … hast du es dann so lange im Magierzirkel ausgehalten?«

Jetzt ist es an ihm, mit den Schultern zu zucken. »Meine Familie lebt … lebte dort.« Ein Schatten gleitet über seine Züge und ich werde hellhörig.

»Lebte?«

Sombren kann mich nicht weiter ansehen, sondern schwenkt den Blick über die Wiese. »Nur noch mein Vater. Meine Mutter wohnt in Orta, einem Dorf in den Talmeren. Und meine Schwester …« Seine Stimme bricht und er schließt die Lider.

»Sombren«, flüstere ich, während mich ein ungutes Gefühl beschleicht. »Was ist mit Jala?«

»Sie ist … tot.« Er stößt das letzte Wort mit einem Schwall Luft aus. »Ich … Ich habe sie vor hundert Jahren getötet.«

»Du hast … WAS?« Ich reiße entgeistert die Augen auf.

Sombren schüttelt den Kopf, scheint nicht genau zu wissen, wohin er schauen soll. Schließlich bleibt sein Blick auf den Flammen haften, die vor uns in die Höhe züngeln. Wieder wird die Aura um ihn herum düsterer. »Ich war nicht ich selbst … ich war … Die Bestie hat mich übermannt, so wie sie mich im Schloss übermannt hat.« Er seufzt und gleitet in Gedanken Jahrzehnte zurück, wie ich an seiner Miene erkennen kann. »Damals, als du an diesem Morgen nach unserer gemeinsamen Nacht mit einem Mal wie vom Erdboden verschwunden warst«, sagt er leise. »Da wollte ich aufbrechen, um dich zu suchen. Und Jala hat sich mir in den Weg gestellt, mich provoziert … ich … konnte es nicht verhindern, dass die Bestie dadurch …« Er bricht ab und schließt erneut die Lider, während sein Gesicht von Schmerz gezeichnet ist.

»Bei den Göttern … Sombren …«, murmle ich betroffen.

Ich weiß, wie viel Jala ihm bedeutet hat und dass er sie eigenhändig umgebracht hat …

Ein Wunder, dass er den Verstand nicht verlor.

»Ich werde dafür gradestehen«, sagt er mit festerer Stimme.

»Möchtest du daher zurück in den Zirkel?«, hake ich behutsam nach.

»Daher und … weil ich dort meinen Platz habe. In Fayl. In der Hauptstadt.«

»Niemand weiß, dass du noch lebst. Du könntest … Du könntest überall hin. Neu anfangen. Mit mir zusammen.«

»Nein.« Ein energischer Zug bildet sich um seinen Mund. »Ich muss Vater sagen, was ich getan habe. Und meine gerechte Strafe entgegennehmen. Das bin ich Jala schuldig.«

»Aber … sie könnten dich dafür hängen, Sombren«, werfe ich verzweifelt ein.

»Das werde ich akzeptieren.«

»Und ich?« Ich fuchtle mit den Händen in der Luft herum. »Was wird aus mir? Denkst du auch nur eine einzige Sekunde daran?«

»Ich denke die ganze Zeit daran, seit du wieder in meinem Leben bist«, brummt er.

»Dann mach es nicht«, flehe ich ihn an. »Erzähl Zirkelleiter Venero nichts davon.«

»Das geht nicht«, erwidert er. »Ich könnte ihm nie mehr in die Augen sehen, wenn ich ihm verschweige, dass ich es war, der seine Tochter getötet hat.«

»Aber das warst nicht du. Das war die Bestie in dir. Das Biest, das du nun kontrollieren kannst.«

»Bist du sicher, dass ich wirklich die Kontrolle darüber habe?« Er hebt eine Braue und wirft mir einen skeptischen Blick zu. »Was, wenn sie mich wieder übermannt? Was, wenn ich wieder blindlings töte?«

»Das wird nicht geschehen«, erwidere ich bestimmt.

»Und wenn doch?«

»Dann bin ich da. Ich kann die Bestie bezwingen, das hast du mir erzählt. Sobald ich dir in die Augen schaue, verschwindet sie.«

»Ja, aber wenn du nicht zur Stelle bist?«

»Sombren!« Ich lasse eine Hand auf mein Knie niedersausen. »Hör auf, alles zu hinterfragen! Du wirst nicht wieder blindlings morden, dafür hat Silia gesorgt, als sie dir die Kontrolle über das Biest gab. Und damit Ende der Geschichte!«

Er scheint nicht überzeugt zu sein, wendet aber immerhin nichts mehr ein.

Eine Weile sitzen wir still am Feuer und hängen unseren Gedanken nach. Ich weiß nicht, ob es tatsächlich das Richtige ist, Venero die Wahrheit zu sagen. Natürlich, Sombren würde sein Gewissen dadurch erleichtern. Doch Jala bringt es nicht zurück. Und womöglich treibt Sombrens Geständnis einen Keil zwischen Vater und Sohn.

Ist es das wert? Bringt ihn das weiter? Keine Ahnung …

Wie er sich auch entscheiden wird – ich werde an seiner Seite bleiben und das mit ihm zusammen durchstehen. Und sollten sie ihn wirklich zum Tode verurteilen, werde ich kämpfen. Für ihn und sein Leben. Niemand nimmt mir Sombren weg, auch keine Zirkelmagier, die glauben, über Gerechtigkeit urteilen zu müssen.

Kapitel 3 - Jetzt und hier

Sombren

 

Davyans Worte hallen in mir nach, aber wie ich es auch drehe und wende … es führt kein Weg daran vorbei, mit Vater zu reden. Ich muss ihm sagen, was geschehen ist, er soll wissen, woran er bei mir ist. Und dafür muss ich ihm alles erzählen. Alles.

Und dann … gibt es da noch die Option, die mein Herz gefrieren lässt.

Es könnte sein, dass Venero längst tot ist und jemand anderes den Zirkel leitet. Es wäre möglich. Vater war zwar ein mächtiger Magier, aber nicht unsterblich.

Wer garantiert mir, dass er überhaupt noch in Fayl wohnt, falls er denn noch lebt?

Ich verfluche mich dafür, dass ich den Zauberspiegel nicht nach Vater gefragt habe, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Dann wüsste ich, was mich in meiner Heimatstadt erwartet. So allerdings werde ich blindlings dorthin reisen, sobald wir diesen Elfen befreit haben. Ein hundert Jahre lang verschollener Magier, der seine Schwester auf dem Gewissen hat … Nicht gerade eine gute Grundlage dafür, mit offenen Armen empfangen zu werden.

»Der Totengott«, murmle ich leise, ohne vom Feuer hochzusehen. »Er hat mich im Schloss besucht.«

Ich höre, wie Davyan neben mir die Luft scharf einsaugt, doch er bleibt still, wartet darauf, dass ich weiterspreche.

»Ich bin mir nicht ganz sicher, wieso, aber er hat mir ein letztes Gespräch mit Jala ermöglicht. Damit sie ihren Frieden findet.«

Warum ich Davyan nichts von dem Pakt berichte, den ich mit ihm geschlossen habe, weiß ich nicht. Es fühlt sich einfach nicht richtig an, ihm das auch noch zu erzählen. Allein schon, dass ich überhaupt das Treffen mit dem Totengott erwähne, hinterlässt einen bitteren Geschmack in meinem Mund. Fast so, als hätte ich die Worte nicht aussprechen dürfen.

Bilde ich mir das nur ein oder rieche ich wieder den Duft von Rosen?

»Dann konntest du dich von ihr verabschieden?«, fragt Davyan sanft.

Ich nicke langsam. »Ja. Trotzdem schmälert das nicht, was ich getan habe.«

»Hm, wenn die Götter ihre Finger im Spiel haben, hat das bestimmt einen Grund«, murmelt er nachdenklich. »Ich habe zwar schon davon gehört, dass sich ab und an ein Gott den Menschen zeigt, aber es für ein Ammenmärchen gehalten.«

Ich hebe den Blick und sehe ihm in die ungleich gefärbten Augen. »Glaub mir, der Totengott ist alles andere als eine märchenhafte Gestalt.«

»Wie ist er denn so?« Er legt den Kopf schief, und ein paar seiner schwarzen Locken fallen ihm dabei über die Wange. Unwillkürlich hebe ich die Hand, um sie ihm zur Seite zu streichen, und bemerke, wie er unter meiner Berührung erschaudert.

»Er ist … mächtig«, murmle ich und fahre ihm mit dem Daumen sanft über den Wangenknochen. »Ich glaube, das ist das richtige Wort, ihn zu beschreiben.«

Ich lasse ihn los und widme mich wieder dem Feuer, mit dessen Flammen ich mithilfe meiner Magie ein wenig spiele. Behutsam nähre ich sie, sodass sie in die Höhe züngeln und nach meinem Willen tanzen.

»Alles an ihm strahlt diese Aura der Macht aus«, fahre ich leise fort. »Äußerlich wirkt er wie ein junger Mann, aber ein Blick in seine pechschwarzen Augen genügt, jeden Lügen zu strafen, der das von ihm denkt. Er ist uralt und … gerissen. Ich glaube, er hegt seine ganz eigenen Pläne, von denen nicht einmal die anderen Götter wissen.«

»Hm, klingt nicht so, als wollte ich ihm unbedingt über den Weg laufen«, meint Davyan stirnrunzelnd.

»Nein, das willst du ganz bestimmt nicht.« Ich mahle mit dem Kiefer.

Er schaut mich zaghaft an. »Darf ich dich etwas fragen?«

»Du darfst mich alles fragen«, erwidere ich und lehne mich ein wenig zurück.

Er zögert, dann weicht die Unsicherheit aus seiner Miene. »Was ist damals auf dem Schwertlied-Weingut geschehen? Also nachdem ich von Karakals Männern entführt wurde?«

»Wenn du deinen Ziehvater meinst. Er wurde von Silia … erlöst«, antworte ich vorsichtig.

Der Ausdruck in seinen ungleichen Iriden wirkt überrascht. »Erlöst?«

»Er hat sie darum gebeten, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Sie hat ihm diesen letzten Wunsch erfüllt, und wir haben ihn unter einem Lindenbaum begraben.«

»Hm.«

Ich versuche in seiner Miene zu ergründen, ob ihn die Worte treffen. Er wirkt gefasster, als ich gedacht hätte. Womöglich hat er sich ohnehin längst damit abgefunden, dass alle Menschen, die er auf dem Weingut gekannt hat, inzwischen tot sein müssen. Niemand von ihnen trug Magie, um sich zu verjüngen.

»Und …« Sein Blick wird wieder unsteter. »Wie starben die Knechte? Libella und ihre Söhne?«

Für ein paar Herzschläge schaue ich ihn einfach nur an, dann seufze ich. »Du kannst dir mittlerweile wohl denken, wie es geschah.« Die Galle steigt in mir hoch bei der Erinnerung an das Blutbad, das ich auf dem Weingut angerichtet habe.

Seine Augen verweilen ausdruckslos auf meinem Gesicht, ehe er nickt und den Kopf senkt. »Ich habe es mir schon zusammengereimt. Aber ich musste es von dir selbst hören.«

»Hasst du mich deswegen?« Meine Stimme ist rau geworden.

»Was?« Er hebt umgehend wieder den Blick. »Nein. Wie könnte ich?« Tief holt er Luft, dann neigt er den Kopf. »Es ist nur … Ich habe mir oft gewünscht, sie wären tot und ich sie damit los. Doch nun, da ich weiß, auf welch grausame Art sie starben … Niemand sollte so sterben.«

»Es tut mir …«

»Nein«, unterbricht er mich. »Entschuldige dich bitte nicht dafür. Wie ich bei Jala schon sagte: Das warst nicht du, sondern deine Bestie. Ich nehme an, sie wurde entfesselt, als du mich in dem Karren voller Blut gesehen hast? Du meintest ja, dass Blut die Bestie hervorlockt. Also sobald du entweder Blut riechst oder dein eigenes in Wallung gerät.«

Ich nicke langsam. »Dem ist so. Aber um ehrlich zu sein … Selbst wenn ich gekonnt hätte, hätte ich damals die Bestie nicht daran gehindert, Rache zu üben für das, was Libella und ihre Knechte dir angetan haben.«

»Hm.« Ein nachdenklicher Zug erscheint auf seinem anmutigen Gesicht. »Womöglich hätte ich an deiner Stelle gleich gehandelt, wärst du es gewesen, der diese Misshandlungen ertragen musste.«

»Nein.« Ich schüttle mit Bestimmtheit den Kopf. »Du hättest anders gehandelt. Mit Sicherheit. Du hast ein reines Herz. Du bist gut, Davyan.«

»Bin ich nicht«, erwidert er und weicht meiner Musterung aus. »Auch ich habe gemordet. Unzählige Male.«

»Als Arenakämpfer. Weil dieser Karakal dich dazu gezwungen hat und du dich verteidigen musstest.« Ich warte, bis er mich wieder ansieht. »Zudem hast du nicht gemordet. Du hast getötet. Das ist ein Unterschied.«

»Das Ergebnis ist dasselbe.« Er seufzt leise und schließt kurz die Lider.

»Aber das Motiv nicht«, halte ich dagegen.

»Das gilt bei dir genauso.« Er schenkt mir einen vielsagenden Blick.

»Ja, ich … ich weiß.« Nun ist es an mir, zu seufzen. »Einigen wir uns darauf, dass wir Dinge getan haben, die wir bereuen und die wir dennoch nicht ungeschehen machen können.«

»Klingt nach einer vernünftigen Vereinbarung.« Ein leichtes Lächeln erobert seine Lippen. »Wichtig ist, dass wir ab sofort nach vorne schauen. Versuchen, anders zu handeln. Besser zu werden und zu sein.«

»Wenn du noch besser wirst, wird dein Herz ein Goldklotz.« Ich grunze leise, was ihn unvermittelt zum Lachen bringt.

Götter, wie ich dieses Lachen liebe …

»Dann hättest du tatsächlich einen Grund, dich über mein Gewicht zu beschweren, wenn wir fliegen«, sagt er mit funkelnden Augen.

Nun muss ich ebenfalls schmunzeln. »Ein Aschenprinz ist mir bei weitem lieber als ein Goldjunge, glaub mir.«

»Das tue ich sogar, mein schönes Biest.« Er lächelt mich voller Wärme an.

Dass er sich so rasch fangen kann und von jetzt auf gleich dieses Strahlen sein Gesicht erobert, ist ein weiterer Grund, warum ich ihn so gernhabe.

Trotz all der Scheiße, die ihm im Leben passiert ist, hat er nie aufgehört, das Positive zu sehen. Keine Ahnung, ob mir das an seiner Stelle auch so gut gelungen wäre, und ich bin froh, dass ich es nicht herausfinden muss.

Davyans Stärke beeindruckt mich immer wieder aufs Neue.

»Wir sollten uns noch ein, zwei Stunden ausruhen, dann fliegen wir weiter«, sage ich und lege mich der Länge nach ins Gras, verschränke die Hände hinter dem Kopf.

Keine Sekunde später hat sich Davyan zu mir gesellt und schlingt einen Arm um meinen Bauch, während er den Kopf auf meine Brust bettet. Seine Hand wandert über meinen Körper und nach unten zu meinem Schritt, wo er mich sanft streichelt. »Bist du sicher, dass du dich gleich ausruhen möchtest und nicht erst noch ein wenig …«

»Davyan«, sage ich mahnend, halte ihn jedoch nicht auf, da sich seine Berührung viel zu gut anfühlt, als dass ich sie unterbrechen will. »Was habe ich da bloß für ein Monster erschaffen?« Ich höre selbst, wie heiser meine Stimme unter seiner Zärtlichkeit geworden ist.

»Ein Monster, das dich mehr als alles andere will«, flüstert er über mir und küsst mich auf die Wange. »Ebenso wie du mich willst, das kannst du nicht verleugnen. Dein Körper reagiert viel zu heftig.«

Ich bemerke tatsächlich, wie immer mehr Blut in meine Lenden schießt, da er nicht aufhört, mich mit den Fingern zu liebkosen.

»Wir sollten …«, beginne ich, werde aber von ihm unterbrochen.

»Wir sollten den Moment genießen. Diesen Moment, der nur uns beiden gehört. Wer weiß, wann wir wieder die Gelegenheit dazu haben werden. Was noch alles auf uns zukommt, sobald wir in Karakals Reich sind. Doch das hier … das nimmt uns niemand.«

Ich muss ihm recht geben. Wir haben hundert Jahre aufeinander gewartet, da scheint jeder Augenblick, den wir ungenutzt verstreichen lassen, einer zu viel zu sein.

Und ja, ich will ihn. Jetzt und hier. Daher widerspreche ich ihm nicht weiter, sondern lasse ihn gewähren.

»Ich möchte mit dir schlafen«, flüstert Davyan. »Mit deinem Menschenkörper. Bisher habe ich das nur im Traum getan, nicht in der realen Welt …«

»Hat sich aber ziemlich real angefühlt«, murmle ich und schließe die Augen, als er meine Männlichkeit aus der Hose befreit und sie sanft zu massieren beginnt.

»Hmmm«, summt er und drückt mir einen Kuss auf den Mund. »Ich habe soeben beschlossen, dass ich dich heute in mir haben möchte, nicht umgekehrt.«

»So? Hast du das beschlossen?« Ich grunze belustigt, ohne die Lider zu öffnen.

»Jap. Das andere holen wir das nächste Mal nach. Hast du noch von diesem magischen Öl?«

»Ist im Rucksack.«

»Bin gleich wieder da.«

Als er mich loslässt, vermisse ich seine Berührung umgehend, aber ich muss nicht lange darauf warten, bis ich seine Finger erneut dort spüre, wo sich meine Lust gesammelt hat. Er verreibt das Öl auf meinem Schaft und ich stöhne unter seiner Behandlung erregt auf.

Verdammt, wie sehr ich es liebe, dass ich mich bei ihm so fallenlassen kann …

Ich öffne die Augen und bemerke, dass er seine Hose ausgezogen hat. Ohne zu zögern, setzt er sich auf meine Mitte und positioniert meine Männlichkeit an seinem Hintern.

»Kein Vorspiel?«, frage ich mit erhobenen Brauen.

»Kein Vorspiel«, raunt er. »Meine Magie erledigt das.«

»Hm, ziemlich praktisch«, kann ich gerade noch sagen, da spüre ich auch schon, wie ich dank des Öls und seinen magischen Kräften mühelos in ihn gleite.

Wir stoßen gleichzeitig ein Stöhnen aus und Davyan wirft den Kopf in den Nacken, derweil er mich Stück für Stück in sich aufnimmt.

Verflucht, dieses Gefühl ist unvergleichlich …

In sein wunderschönes Antlitz zu blicken, während er sich mit mir vereint, gibt mir den Rest. Ich muss mich echt zusammenreißen, nicht meinerseits das Becken gegen ihn zu stoßen und direkt mit dem Liebesspiel zu starten.

Noch hat er nicht genügend Erfahrung, er soll sich Zeit lassen, sich an die neuen Empfindungen gewöhnen. Sich ausprobieren und herausfinden, was ihm gefällt. Wenn ich dabei als Versuchsobjekt herhalten muss, kann ich das zweifellos verkraften.

Ich will die Arme lösen und ihn zu mir herunterziehen, um ihn zu küssen. Aber er legt eine Hand auf meine Brust und hält mich damit auf.

»Bleib genau so, Arme zurück hinter den Kopf«, sagt er, während er sich selbst stimuliert. »Ich möchte bestimmen, wie rasch du kommst.«

»Erst beschließt du, wie du mich haben willst, und dann, wie rasch ich kommen darf?« Ich hebe amüsiert einen Mundwinkel, derweil ich seiner Aufforderung Folge leiste und die Arme wieder hinter meinem Kopf verschränke.

Ich habe keinerlei Probleme damit, auch mal das Ruder abzugeben. So sehr ich es mag, Davyan zu zeigen, was er noch alles von mir lernen kann, so sehr liebe ich es auch, wenn er seine eigenen Erfahrungen sammelt. Und immer selbstsicherer dabei wird.

»Du gibst also gern den Ton an?«, schicke ich belustigt hinterher.

»Anscheinend.« Er grinst auf mich herunter.

Dann beginnt er sich auf mir zu bewegen und ich schließe wieder die Lider, lasse mich von ihm in dem Rhythmus reiten, den er vorgibt.

Es ist der pure Wahnsinn, was Davyan in mir auslöst. Zu welcher Ekstase er mich treiben kann. Aber vor allem hilft er mir, die trüben Gedanken zu verscheuchen.

Ich denke nicht mehr daran, was sein wird, wenn wir den Elfen befreit haben. Alles rückt in den Hintergrund und selbst die Zeit wird bedeutungslos. Es gibt nur noch Davyan und mich. Und diese Lust, die über uns ebenso zusammenbricht wie er, nachdem er mein Hemd nach oben geschoben und sich auf meinem Bauch ergossen hat, bevor ich meinen Höhepunkt in ihm erlebe.

Nein, ich werde nicht genug von ihm bekommen. Niemals. Auch nicht, wenn wir noch Hunderte von Jahren zusammen verbringen – was wir hoffentlich tun werden.

Kapitel 4 - Feuerprobe

Davyan

 

Obwohl ich nur kurz die Augen schließen wollte, bin ich tief und fest eingeschlafen, wie ich feststelle, als Sombren mich mit einem zärtlichen Kuss weckt.

»Wir sollten weiter«, murmelt er über mir.

Ich rapple mich auf und reibe mir die Müdigkeit aus dem Gesicht. »Wie lange haben wir ausgeruht?« Ein Blick auf das Lagerfeuer zeigt mir, dass dieses heruntergebrannt ist.

»Dem Sonnenstand nach zu schließen etwa zwei Stunden«, antwortet er und erhebt sich. »Komm.« Er streckt mir die Hand entgegen.

»Erst solltest du dich entkleiden«, bemerke ich grinsend, während ich mich von ihm auf die Beine ziehen lasse.

»Dieser Part gefällt dir am besten daran, dass ich mich in eine Bestie verwandeln kann, oder?« Er funkelt mich mit seinen dunklen Iriden an.

»Lässt sich nicht verleugnen.« Ich zucke unschuldig mit den Schultern.

Er verdreht die Augen und schickt sich an, seine Kleidung loszuwerden, derweil ich meine Rüstung prüfe. Die Hose habe ich zum Schlafen wieder angezogen, das wäre schräg gewesen, untenrum nackt im Freien zu liegen – und vor allem kalt.

»Hier.« Er drückt mir seine Sachen in die Hände und ich verstaue sie mit einem breiten Lächeln in einem der Rucksäcke. »Dir macht das für meinen Geschmack etwas zu viel Spaß«, kommentiert er meine Mimik.

»Ach komm, hab dich nicht so«, entgegne ich vergnügt. »Wir mussten lange genug auf Spaß verzichten, da nehme ich alles, was ich kriegen kann.«

Sombren brummt etwas, bevor er sich in die Bestie verwandelt.

»Das ging viel schneller als beim letzten Mal«, bemerke ich erstaunt.

»Langsam hab ich den Dreh raus«, bestätigt er und schaut an seinem pelzigen Körper herunter.

»Stell dir mal vor, du könntest dich auf einen Feind stürzen und noch während des Sprungs von einem Menschen in ein Biest verwandeln.« Ich sehe ihn aufgeregt an. »Das wäre total episch.«

»Hol deinen Wasserschlauch hervor«, brummt er.

»Warum?« Ich sehe ihn verdattert an und bücke mich nach meinem Rucksack.

»Deine Fantasie brennt gerade – und zwar mit dir durch.« Er lässt seine Flügel aus dem Rücken wachsen.

»Dein Humor ist echt herrlich«, kommentiere ich grinsend, derweil ich den Rucksack wieder loslasse.

Er verengt die Augen und verzieht die Schnauze zu einem Zähnefletschen. »Nimm unser Gepäck, dann fliegen wir weiter.«

»Aye.«

»Warum sagst du das ständig?«

»Aye?«

»Genau das. Wir sind nicht auf See.«

»Was soll ich sonst sagen? ›Zu Befehl, mein Gebieter‹?« Ich lache leise.

Sombren schüttelt den Löwenkopf und streckt seine Pranke nach mir aus. »Wenn du das auch nur ein einziges Mal sagst, werde ich dich so lange vögeln, bis du jedes Wort vergessen hast.«

»Also bis ich tot bin?« Ich hebe belustigt die Brauen. »Du willst mich zu Tode vögeln?« Nun lache ich etwas lauter, während seine Miene sich immer mehr verfinstert, was meiner Belustigung noch zusätzlichen Zunder liefert. »Ehrlich, Sombren … wenn ich wüsste, wie oft ich sterben kann, würde ich das glatt riskieren. Dann bekäme ›vor Lust verglühen‹ gleich eine ganz andere Bedeutung.«

»Schluss jetzt, lass uns losfliegen«, grollt er und fletscht abermals die Zähne.

Noch immer lachend ergreife ich die Rucksäcke und trete zu ihm. »Zu Tode vögeln«, pruste ich. »Meine letzten Worte wären: Götter, ich komme!«

»Davyan«, knurrt er.

»Oder ich würde vielleicht Sterne sehen«, fahre ich unbeirrt fort und halte mir den Bauch vor Lachen. »Oh, oder ich schreie ›Um Himmels willen‹ und zack, bin ich …«

»Davyan!« Seine Bestienstimme dringt mir durch Mark und Bein, doch ich schaffe es nicht, mit dem Lachen aufzuhören.

Schlussendlich packt er mich kurzerhand und hebt mit mir ab, während ich mir noch die Lachtränen aus den Augen wische.

Hach, es tut so gut, endlich so befreit und vor allem bei der grummeligsten Bestie der Welt zu sein, der mein Herz gehört.

 

Wir fliegen etwa drei Stunden, ehe Sombren erneut eine Pause benötigt.

»Der Muskelkater an meinem Rücken morgen wird hässlich«, stöhnt er über mir, als er auf einer Lichtung inmitten eines Waldes landet.

Ja, es mag ungewohnt und schmerzhaft für ihn sein, aber es ist ein Glück, dass wir fliegen können. Dadurch kommen wir viel schneller voran, als wenn wir den gesamten Weg über die Talmeren zu Fuß zurücklegen müssten. Wir wären Wochen unterwegs – so sind es nur einige Tage. Hoffentlich.

»Ich kann deinen Muskelkater mit Magie vertreiben«, schlage ich vor und warte, bis er mich loslässt, nachdem er auf dem Boden aufgesetzt hat.

»Das werde ich womöglich in Anspruch nehmen.« Er verwandelt sich innerhalb eines Lidschlags zurück in einen Menschen und dehnt die Rückenmuskeln, indem er die Arme streckt.

»Mein armes Biest«, murmle ich, während ich ihm die Hände an die Brust lege. »Brauchst du jetzt schon etwas von meiner Magie?«

»Spar deine Kräfte«, winkt er ab. »Wir sollten uns erst um ein Lager für die Nacht kümmern. Verdammt, ist das kalt …« Er schlingt die Arme um seinen nackten Leib und blickt prüfend in den Himmel über uns, wo bereits die ersten Sterne zu sehen sind.

»Dann kleide dich an und ich suche derweil Holz für ein Feuer zusammen«, schlage ich vor.

»Guter Plan.« Er bückt sich nach seinem Rucksack und verzieht dabei das Gesicht, da ihm der Flug wohl stärker zugesetzt hat, als er vor mir zugeben will.

Kopfschüttelnd wende ich mich ab und nehme mir vor, ihm das Angebot mit meinen heilenden Kräften später nochmals zu unterbreiten.

Nachdem ich genügend Holz zusammengesucht habe, bringe ich es zu Sombren, der bereits einen Kreis aus Steinen am Boden gebildet hat, um zu verhindern, dass das Feuer auf die Bäume um uns herum übergreift.

Er zeigt mir, wie ich es aufschichten soll, dann sieht er mich abwägend an. »Du beherrschst ebenfalls Magie. Kannst du ein Feuer entzünden?«

»Ich … kann eine Flamme bilden«, bestätige ich.

»Heilen und Feuer machen.« Er betrachtet mich nachdenklich. »Du hast vielleicht wirklich elfische Anteile in dir, wenn du über mehrere Elemente gleichzeitig verfügst. Oder aber …«

»Was?«

»Oder aber du trägst zwei Elemente in dir, wovon eines bei der Aufnahmezeremonie in den Zirkel gelöscht worden wäre.«

»Gelöscht?« Ich starre ihn entgeistert an.

»Ja.« Sombren nickt nachdenklich. »Wenn ein Mensch zwei Elemente in sich trägt, muss er sich bei der Aufnahmezeremonie in die Elementgilden für eines entscheiden.«

»Wieso?« Das ergibt keinen Sinn für mich.

»Weil …« Sombren macht eine fahrige Geste. »So sind nun mal die Regeln.«

»Keine gute Begründung«, kommentiere ich.

»Das stimmt.« Er hebt die Schultern. »Aber wenn du tatsächlich elfische Anteile in dir trägst, solltest du auch andere Zauber wirken können, die mit der Natur und Lebewesen zusammenhängen. Zum Beispiel Wasser aus der Erde holen oder Gedankenlesen. Hast du etwas davon schon mal ausprobiert?«

Ich schüttle verneinend den Kopf. »Mir kam das nie in den Sinn«, gestehe ich.

»Zeig mir, wie du das machst«, meint er und verschränkt die Arme vor der Brust.

»Was?«

»Eine Flamme bilden«, präzisiert er.

»Jetzt?«

»Jetzt.« Er sieht mich abwartend an. »Vielleicht kann ich dir, trotz der Tatsache, dass sich deine Magie offenbar von meiner unterscheidet, ein paar Tipps geben.«

»Nun … es ist ein Jahrhundert her, seit ich das getan habe«, murmle ich und hebe meine Hand, betrachte sie, während ich sie hin und her drehe. »Was, wenn ich den Wald abfackle?«

»Ich bin ein Feuermagier, vergessen?« Er wartet, bis ich ihn wieder anschaue. »Ich kann das Feuer eindämmen, sollte es sich deiner Kontrolle entziehen.«

»Ja, aber in dem Fall wäre ein Wassermagier wohl vorteilhafter«, gebe ich zu bedenken.

»Tja, einen Wassermagier haben wir hier nicht, also …« Er macht eine auffordernde Handbewegung. »Los, zeig mir, wie du eine Flamme erschaffst.«

Zögernd taste ich nach der Magie in meinem Inneren und schließe die Augen, konzentriere mich auf das Feuer. Obwohl es so lange her ist, finde ich mühelos den Quell meiner Kräfte und verbinde sie mit dem Element des Feuers.

»Stell dir vor, was eine Flamme ausmacht«, höre ich Sombrens tiefe Stimme neben mir. »Was nährt sie, was lässt sie brennen?«

Ich schiebe die Brauen zusammen, während ich seiner Aufforderung nachkomme – und spüre, wie beinahe augenblicklich eine Flamme an einer meiner Fingerspitzen zu züngeln beginnt.

»Sehr gut«, lobt Sombren. »Du kannst die Lider jetzt öffnen. Schick die Flamme zum Holz.«

Ich lasse den Funken zu den aufgeschichteten Scheiten hüpfen und schaue zu, wie er sich darüber hermacht, größer wird und schließlich ein warmes Feuer vor uns prasselt.

»Du beherrschst deine Kräfte erstaunlich gut«, bemerkt Sombren und ich hebe den Kopf, um ihn anzusehen.

»Wirklich?«, frage ich verdutzt.

»Wirklich.« Er nickt und ein Lächeln zupft an seinen Lippen. »Ich habe selten einen Magierlehrling gesehen, der mit Feuer so gezielt umzugehen versteht. Du hast genau die richtige Dosierung deiner Wärme in den Zauber gegeben. Hast du dir das alles allein beigebracht?«

Ich nicke bestätigend. »Hab ich. Es hat aber eine Weile gedauert. Vor allem, da ich nur heimlich üben konnte. Hätten meine Stiefmutter oder die anderen Knechte etwas darüber erfahren …« Ich beiße mir auf die Unterlippe und richte den Blick wieder zum Feuer, das vor sich hin prasselt.

»Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und dich eher von diesem verdammten Weingut wegholen«, knurrt Sombren und als ich ihn ansehe, bemerke ich, dass seine Kiefermuskeln mahlen.

»Das geht aber leider nicht«, sage ich und trete auf ihn zu, lege ihm eine Hand auf den Oberarm. »Zudem wären wir dann vielleicht nicht da, wo wir jetzt sind. Es hat schon alles seine Richtigkeit. Auch wenn der Weg zugegebenermaßen an Steinen kaum zu überbieten war.«

Er presst die Lippen aufeinander, bevor er sich ein wenig entspannt. »Lass uns essen und anschließend schlafen«, meint er.

»Zusammen?« Ein Lächeln erobert mein Gesicht.