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Manche Wunden heilt selbst die Zeit nicht. Davyan weiß das besser als jeder andere. Obwohl er inzwischen seinen Platz an der Seite seiner großen Liebe gefunden hat, ist da dieser eine Gedanke, der ihn nicht loslässt. Der Mann, der ihm all das nehmen wollte, ist noch auf freiem Fuß, aber um ihn zu stellen, muss Davyan stärker werden. Seine Magie verstehen – und beweisen, dass aus Asche nicht nur ein Prinz, sondern ein König auferstehen kann. Zudem gibt es eine Frage, die in ihm brennt: Wie wird der Elfenkapitän Maryo Vadorís reagieren, wenn er erfährt, dass da jemand ist, der sein Blut in sich trägt? Vielleicht endet nicht jede Geschichte mit einem Kuss und manchmal … muss man sein Märchen selbst schreiben. Und dabei mit der Wahrheit beginnen. Denn nur so kann eine Liebe in einer Welt bestehen, die durch eine neue Herrscherin im Umbruch ist.
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Seitenzahl: 580
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Landkarte Altra
Vorwort
Kapitel 1 - Paralysiert
Kapitel 2 - Vater und Sohn
Kapitel 3 - Du weißt, wofür
Kapitel 4 - Badespaß
Kapitel 5 - Die erste Reitlektion
Kapitel 6 - Stirb, Schildkröte!
Kapitel 7 - Ich liebe dich
Kapitel 8 - Stimme der Vernunft
Kapitel 9 - Menschen sind anstrengend
Kapitel 10 - Kikerikiii
Kapitel 11 - Tausendundeins
Kapitel 12 - Schleichmission
Kapitel 13 - Sicherer Hafen
Kapitel 14 - Rettungsmission
Kapitel 15 - Wir müssen hier weg!
Kapitel 16 - Was hat das zu bedeuten?
Kapitel 17 - Bettle für mich
Kapitel 18 - Wir haben einen Auftrag
Kapitel 19 - Bei den Göttern …
Kapitel 20 - Du gehörst hierher
Kapitel 21 - Wir lernen schwimmen
Kapitel 22 - Bereit
Kapitel 23 - Ein ehrenhafter Tod
Kapitel 24 - Gruselig
Kapitel 25 - Hort
Kapitel 26 - Heiße Spuren
Kapitel 27 - Katzenpisse
Kapitel 28 - Die Kultisten von Raál
Kapitel 29 - Überambitionierte Ziege
Kapitel 30 - Freut mich, Euch kennenzulernen
Kapitel 31 - Neue Reisegefährten
Kapitel 32 - Klarbrunn
Kapitel 33 - Unterwegs
Kapitel 34 - Nachhausekommen
Kapitel 35 - Nicht unsere Geschichte
Kapitel 36 - Das Ende eines Wintermärchens
Kapitel 37 - Ruf des Abenteuers
Kapitel 38 - Hoffnungslose Zicke
Kapitel 39 - Keine Zufälle
Kapitel 40 - Tee und tiefgründige Gespräche
Kapitel 41 - Das Land der Sonne
Kapitel 42 - Tanzgott von Chakas
Kapitel 43 - Nicht bereit …
Kapitel 44 - Verdammte Kopfschmerzen
Kapitel 45 - Das richtige Puzzlestück
Kapitel 46 - Willkommen an Bord
Kapitel 47 - Vater-Sohn-Gespräche
Kapitel 48 - Ein richtiger Vater
Kapitel 49 - Die Welt ist ein Dorf
Kapitel 50 - Auf einen unterhaltsamen Nachmittag!
Kapitel 51 - Märchen gehen immer weiter
Epilog
Dank
Epilog-Gespräch
Zeitstrahl
Glossar
C. M. SPOERRI
Davyan
Band 4: Mein Märchen
Fantasy
Davyan (Band 4): Mein Märchen
Manche Wunden heilt selbst die Zeit nicht. Davyan weiß das besser als jeder andere. Obwohl er inzwischen seinen Platz an der Seite seiner großen Liebe gefunden hat, ist da dieser eine Gedanke, der ihn nicht loslässt. Der Mann, der ihm all das nehmen wollte, ist noch auf freiem Fuß, aber um ihn zu stellen, muss Davyan stärker werden. Seine Magie verstehen – und beweisen, dass aus Asche nicht nur ein Prinz, sondern ein König auferstehen kann.
Zudem gibt es eine Frage, die in ihm brennt: Wie wird der Elfenkapitän Maryo Vadorís reagieren, wenn er erfährt, dass da jemand ist, der sein Blut in sich trägt?
Vielleicht endet nicht jede Geschichte mit einem Kuss und manchmal … muss man sein Märchen selbst schreiben. Und dabei mit der Wahrheit beginnen. Denn nur so kann eine Liebe in einer Welt bestehen, die durch eine neue Herrscherin im Umbruch ist.
Die Autorin
C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft, zudem schreibt sie erfolgreich Liebesromane. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.
www.sternensand-verlag.ch
1. Auflage, Oktober 2025
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2025
Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski
Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH
Satz: Sternensand Verlag GmbH
Druck und Bindung: Smilkov Print Ltd.
ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-381-3
ISBN (epub): 978-3-03896-382-0
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Altra
Manchmal beginnt ein Märchen nicht mit ›Es war einmal‹.
Manchmal beginnt es mit einem jungen Mann, der nicht wusste, ob er aufrecht gehen darf.
Mit einer Stimme, die kaum gehört wurde.
Mit einer Hoffnung, die zu klein war für diese große Welt.
Doch dann kam jemand, der ihn gesehen hat.
Jemand, der ihn gewählt hat.
Jemand, der geblieben ist.
Das war der Moment, in dem das Märchensich selbst zu schreiben begann.
Dies ist keine Geschichte wie davor. Kein ›Aschenputtel‹, kein ›Die Schöne und das Biest‹, kein ›Schneewittchen‹, kein ›Die weiße Schlange‹ und auch kein ›Schneeweiß und Rosenrot‹.
Dies ist Davyans Geschichte. Sein eigenes Märchen.
Geschrieben mit Herz, Mut, Liebe – und einem Hauch Magie, der ganz und gar ihm gehört.
Wenn ihr also auf ein weiteres klassisches Märchen wartet … dieses Buch geht einen anderen Weg. Und manchmal führen genau solche Wege zu den schönsten Überraschungen.
In diesem letzten Band läuft alles zusammen. Alles, was ich vorbereitet habe. Alles, was angedeutet wurde.
Und ja, manche Fäden reichen über diese Reihe hinaus.
Ihr werdet in ›Davyan 4‹ Hinweise auf andere Geschichten finden. Auf ›Alia‹, ›Damaris‹, ›Das Juwel der Talmeren‹ und die ›Greifen Saga‹. Nicht auf ›Die Legenden von Karinth‹ oder ›Der rote Tarkar‹, denn das … dauert noch ein wenig.
Aber keine Sorge – ihr werdet nicht für die Wege gespoilert, die diese Geschichten hinter sich haben. Ihr erfahrt nur, was Davyan erfährt. Denn er lädt euch ein, seine Welt durch seine Augen zu betrachten.
Ihr müsst keine der anderen Reihen gelesen haben, doch wenn ihr es irgendwann möchtet ... Die Welt von Venera wartet auf euch.
Und jetzt: Begleitet meinen Aschenprinzen ein letztes Mal. Denn dies ist nicht das Ende eines bekannten Märchens, es ist der Anfang seines eigenen.
Viel Vergnügen,
Eure Corinne
Davyan
Tag 13, Monat 3, 1 EP 11 248
Finger fahren meinen Mund entlang. Hauchzart, als würden feine Federn darüber gleiten. Anschließend streichen sie zu meiner Wange, hinauf zur Schläfe, über meine Stirn und die Nase wieder runter.
Holz und Asche … vermischt mit seinem ganz eigenen Duft.
Lippen. Warme, zärtliche Lippen legen sich auf meine.
Bartstoppeln, die an meinem Kinn reiben.
»Sombren«, murmle ich und blinzle.
»Du hast sehr tief geschlafen«, raunt er mit seiner sonoren Stimme, die ich ebenso an ihm liebe wie alles andere. Fast alles. Da gibt es diese schwarze Magie in ihm, die mich erschaudern lässt.
Aber nicht jetzt. Jetzt … ist gerade alles perfekt.
Sein unvergleichlich attraktives Gesicht schwebt direkt über mir, seine dunklen Augen blicken forschend in die meinen. Das dunkelbraune Haar, das er in der Mitte lang und an den Seiten kurz trägt, fällt ihm offen über die nackten Schultern.
»War … müde«, erwidere ich und versuche mich an einem Lächeln. Aber etwas verhindert, dass es sich gänzlich auf meinen Lippen bilden will.
Zu viel ist geschehen … zu sehr kreisen meine Gedanken, sobald ich wach bin. Und feststelle, dass ich mich im magischen Zirkel von Fayl in Sombrens Bett befinde.
So ist es seit vier Wochen.
»Wie geht es dir?«, fragt der Feuermagier und seine Züge wirken nun besorgter. Ein Hauch Anspannung schwingt in seiner Stimme mit.
»Besser«, lüge ich, um ihm die Sorge zu nehmen.
Leider kann ich ihn damit nicht täuschen, seine schwarzen Augenbrauen schieben sich zusammen. »Ich kann zwar keine Gedanken lesen wie du, doch ich sehe dir an, dass es noch nicht besser ist«, entgegnet er leise.
»Warum fragst du dann?« Ich schaue ihn unverwandt an.
Er schüttelt leicht den Kopf und gibt mir nochmals einen Kuss, dieses Mal auf die Stirn. »Ich muss zu Vater«, sagt er und richtet sich auf. »Bin in etwa einer Stunde wieder hier.«
»In Ordnung.« Ich strecke mich gähnend in den Laken, die so herrlich weich sind.
Vielleicht ist das ein Grund, warum ich dieses Zimmer nicht verlassen will? Keine Ahnung.
»Soll ich dir was mitbringen?«, hakt Sombren nach, während er sich aus dem Bett erhebt und zur Waschschüssel geht.
Ich beobachte, wie er sich des Lendenschurzes entledigt – das einzige Kleidungsstück, das er zum Schlafen trägt – und seinen Körper zu waschen beginnt. Ich kenne jede Stelle davon, habe mich schon unzählige Male über die helle Haut geküsst, die sich so warm über den harten Muskeln anfühlt. Aber seit wir hier sind, haben Sombren und ich nur ein einziges Mal solche Zärtlichkeiten ausgetauscht.
Vor vier Wochen, nachdem ich aus dem gläsernen Sarg der Wüstenzwerge erwacht bin, der mich zwischen den Lebenden und den Toten gehalten hatte.
Ich schaudere bei der Erinnerung, dass ich dem Totengott persönlich begegnet bin, und schiebe diese Bilder weit weg von mir, zu schöneren Szenen, die sich in meinen Gedanken breitmachen.
Damals, als Sombren regelrecht über mich hergefallen ist in diesem Zimmer, als er mich zurück hatte. Wie er mich verwöhnt hat, bis ich mich der Ekstase ergab. Er war so erleichtert darüber gewesen, dass ich endlich aufgewacht war, dass ihn nichts und niemand daran hätte hindern können, mir seine Liebe zu zeigen.
Seither hält er sich allerdings zurück und es kommt mir vor, als würde eine unsichtbare Barriere zwischen uns bestehen. Ob von ihm, von mir oder von uns beiden errichtet, vermag ich nicht zu ergründen.
»Etwas zu essen wäre nicht schlecht«, beantworte ich nun seine Frage.
»Du kannst einfach nach den Dienern klingeln.« Er deutet zu der langen Schnur in der Zimmerecke, die mit den Dienstbotenquartieren verbunden ist, wie er mir erklärt hat. »Sie bringen dir alles, was du möchtest.«
»Mhm.« Ich mustere die Schnur und weiß jetzt schon, dass ich sie wieder nicht betätigen werde.
»Davyan, es ist ihre Aufgabe, zu dienen«, schickt Sombren hinterher, dem meine Regung nicht entgangen ist. Er unterbricht das Waschen, um sich mir zuzuwenden. »Sie machen das gern.«
Das bezweifle ich, presse aber die Lippen zusammen und nicke nur.
Ich stand selbst über zwei Jahrzehnte lang im Dienste meiner Stiefmutter. Dass man so etwas nicht ›gern‹ macht, weiß ich daher mit unbeirrbarer Gewissheit aus erster Hand.
Man hat oder sieht bloß keine Alternative, das ist der Grund, wieso man täglich diesen Arbeiten nachgeht.
Dennoch bringt es nichts, Sombren das zu erklären. Er ist privilegiert aufgewachsen, für ihn gehört die Dienerschaft zum Alltag im Zirkel einfach von Kindesbeinen an dazu. Sein Vater ist schließlich der Zirkelleiter und damit Oberhaupt von Fayl.
Der Feuermagier öffnet einen Kleiderschrank und holt eine schwarze Hose sowie ein dunkelrotes Wams hervor. Danach folgen leichte Stiefel. Sein langes dunkles Haar bindet er mit routinierten Handgriffen zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammen.
Ich beobachte jede seiner Bewegungen und spüre, wie mein Herz bei seinem Anblick schneller schlägt.
Genau so habe ich ihn damals kennengelernt. So edel und voller Anmut, mit dieser männlichen Ausstrahlung, die mir den Atem geraubt hat.
Er war damals als Pirat verkleidet auf dem Fest im Magierzirkel. Doch in meinem Herzen war er schon da mein Märchenprinz. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
»Ich bring dir was zu essen mit«, sagt er, als er fertig angezogen vor dem Bett steht und sich nochmals über mich beugt. »Bis später.«
Seine Lippen legen sich auf meine und er verharrt ein paar Herzschläge, ohne den Kuss zu vertiefen. Da ist nur der sanfte Druck seines Mundes auf meinem. Warm. Beständig. Liebevoll.
Ich schließe die Augen und lasse mich fallen.
Genau so hat er mich damals geküsst – damals in der Bibliothek hier im Zirkel, als er noch glaubte, ich sei eine als Prinzessin verkleidete Frau. Es ist nur die Berührung zweier Lippen und dennoch so viel mehr.
Ich spüre seinen Atem über meine Haut streifen, als er die Luft langsam ausstößt, rieche seinen Duft, fühle seine Wärme.
Himmel … ich liebe dich so sehr, Sombren … so unendlich …
Viel zu schnell löst er sich von mir und verlässt mit einem letzten, zärtlichen Blick das Zimmer.
Ich starre auf die Tür, die er nur halb zugezogen hat, sodass ich einen Teil des Wohnraumes seiner Gemächer erkenne, der sich dahinter erstreckt. Von draußen vernehme ich eine Sekunde lang Stimmen auf dem Gang, als Sombren die Räumlichkeiten verlässt. Der Zirkel ist bereits zum Leben erwacht, nur hier drinnen scheint die Zeit stillzustehen. Es mutet für mich an, als befände ich mich in einer Blase, die zart und zerbrechlich ist – und jederzeit platzen könnte.
Was danach auf mich wartet, will ich mir gar nicht ausmalen.
Ich habe Angst davor. Vor diesem Moment, da ich mir eingestehen muss, dass ab sofort nichts mehr so sein wird, wie es war. Dass das Leben weitergeht, obgleich ich keine Ahnung habe, wie.
Ich meine … Ich war ein Knecht, danach Arenakämpfer. Und nun? Nun befinde ich mich zwischen mächtigen Magiern an der Seite des Mannes, dem mein Herz gehört. Nur Letzterem ist zuzuschreiben, dass ich nicht schreiend davonrenne und diesen Zirkel mitsamt der vielen mir unbekannten Menschen hinter mir lasse.
Womöglich ist das der Grund, wieso ich mich seit Wochen wie paralysiert fühle, unfähig, den nächsten Schritt zu tun, der mich unweigerlich meiner Zukunft entgegenführen würde.
Zum Glück ist Sombren verständnisvoll und drängt mich zu nichts. Er lässt mir Zeit. Ist, so oft es geht, bei mir und gibt mir allein durch seine Anwesenheit Halt.
Dabei gäbe es so viel, über das wir reden sollten …
Wie geht es mit mir nun weiter?
Wie soll ich meine Kräfte beherrschen lernen?
Was tun wir in Bezug auf … meinen leiblichen Vater?
Soll ich ihn suchen? Einen der mächtigsten Männer Altras? Den Elfenkapitän Maryo Vadorís? Wird er sich überhaupt freuen, mich kennenzulernen? Weiß er gar, dass er einen Sohn hat?
Und was, wenn nicht? Was, wenn er mich dafür hasst, dass ich mich bei ihm melde? Weil ich sein Leben durcheinanderbringe? Weil … er mich nicht lieben wird?
Vielleicht hat er meine Mutter ja mit Absicht verlassen, als er merkte, dass sie schwanger war? Weil er kein Kind haben will?
Sombren könnte in Erfahrung bringen, ob der Elfenkapitän andere Kinder hat. Er müsste nur ein wenig in den Archiven stöbern, die es in der großen Bibliothek der Hauptstadt gibt. Oder die richtigen Leute fragen.
Dennoch habe ich Angst vor den Antworten, die er finden könnte.
Manchmal ist Unwissenheit besser, als den Tatsachen in die Augen zu sehen.
Ich ziehe die Decke etwas stärker über mich und sauge Sombrens Duft ein, der an den Laken haftet. Die Vorhänge sind noch zugezogen, aber die Sonnenstrahlen dringen dennoch leicht hinein, tauchen das Schlafzimmer in dämmeriges Licht.
Dort draußen ist die Realität. Die Wahrheit.
Hier, in diesen vier Wänden, bin ich allerdings vor ihr geschützt. Und das hat Sombren ebenfalls verstanden, daher drängt er mich zu nichts und … wartet. Darauf, dass ich selbst den ersten Schritt mache.
Wieder gleiten meine Gedanken zu den Ereignissen der vergangenen Monate. Es ist erst ein halbes Jahr her, seit ich mit dem Elfen Mauryce aus der Arena geflohen bin. Seit ich Sombren in diesem verwunschenen Schloss wiedergefunden habe. Dennoch erscheint es mir wie eine Ewigkeit, die hinter mir liegt.
Jahre der Knechtschaft und des Leides habe ich durchgestanden. Sowohl auf dem Weingut meines Ziehvaters unter der grausamen Hand meiner Stiefmutter als auch in der Arena in Karakals Reich. Ich war eine Spielfigur, eine Marionette. Ließ mich rumschubsen und foltern, schlagen und verhöhnen.
So lange war ich nicht Herr über mich selbst. Und jetzt? Zum ersten Mal im Leben habe ich den Eindruck, dass ich einfach sein kann. Mich ausruhen kann. Mich zu nichts gedrängt fühle.
Und dieser Eindruck … Er hält mich in Sombrens Gemächern, in seinem Bett regelrecht gefangen.
Werde ich je die Kraft finden, mich aus dieser bittersüßen Erstarrung zu befreien?
Vielleicht. Womöglich.
Aber nicht heute. Nicht jetzt.
Ich schließe die Augen und vor mir erscheint wieder das Bild der weißen Schlange namens Spiegel, die mir meine Herkunft verriet. Jedoch nicht, was ich nun mit diesem Wissen anstellen soll. Sie meinte, wenn ich meine Herkunft kenne, würde ich auch meine Kräfte verstehen.
Tja, nun weiß ich, dass mein Vater ein Elfenkapitän ist. Und meine Mutter eine Prunati war.
Und jetzt? Was bringt mir das in Bezug auf meine Kräfte?
Ich beherrsche Feuer- und Wassermagie, kann andere heilen wie ein Erdmagier. Und Gedanken lesen wie ein Luftmagier. Oder vielmehr Gedanken hören. Alles Fähigkeiten, die ein Elf ebenfalls besitzt. Und die ich trainieren, besser erlernen könnte.
Seit ich hier bin, habe ich hingegen keinerlei Magie mehr gewirkt. Nicht einmal mehr versucht, die Gedanken anderer zu hören – zumal ›andere‹ ohnehin nur Sombren gewesen wäre. Niemanden sonst wollte ich bisher sehen, nicht einmal Mauryce, obwohl der Elf einer meiner besten Freunde ist und ich sogar bereit war, mein Leben für ihn zu geben.
Aber … ich ertrage es nicht, mit ihm zu reden, denn ich weiß, dass sich unser Gespräch unweigerlich darum drehen wird, wie ich meine Kräfte beherrschen lerne. Sombren meinte, dass Mauryce angeboten habe, mich zu unterrichten, mir meine Elfenmagie zu erklären.
Ich bin noch nicht so weit … Ich bin verdammt noch mal einfach noch nicht so weit …
Zwar beteuert Sombren immer wieder, dass wir alle Zeit der Welt hätten, dennoch spüre ich tief in mir, dass dem nicht so ist. Etwas steht kurz davor, sich zu verändern – die Welt zu verändern.
Woher ich das weiß, kann ich nicht genau sagen, die Überzeugung ist einfach da. Und damit auch ein weiterer Ursprung der Angst, die mich erstarren lässt. Die in mir den Wunsch schürt, nie wieder aus diesem Bett aufzustehen, um der ungewissen Zukunft, die da draußen auf mich wartet, nicht entgegentreten zu müssen.
Zeit lässt sich nicht anhalten, das ist mir bewusst. Nicht einmal mit der stärksten Magie der Welt. Und Märchen … enden nicht immer mit einem Kuss oder einem ›Sie lebten glücklich bis …‹. Selbst wenn man den verständnisvollsten und schönsten Märchenprinzen der Welt in seinem Bett haben darf.
Sombren
»Geht es ihm noch nicht besser?«, hakt Vater nach, der mit dem Rücken zu mir am Fenster steht und über seine geliebten Weinberge blickt. Er liebt sie beinahe noch mehr als die kleinen Affen, die in einem Käfig neben ihm rumturnen.
Er scheint gemerkt zu haben, dass ich während unseres Gesprächs nicht wirklich bei der Sache war.
Ich seufze leise und erhebe mich aus dem Sessel, in dem ich saß, derweil Vater mich auf den neusten Stand der Dinge brachte.
Die Unruhen im Land nehmen monatlich zu und es geht das Gerücht, Bauern hätten an der Westküste Altras, im Fischerdorf Ren, gar den Sohn des Zirkelleiters von Chakas sowie dessen Gefährten hinrichten wollen. Einfache Leute konnten einen mächtigen Magier wie Cilian überwältigen. Allein die Vorstellung jagt einen Schauer über meinen Rücken.
Es wird zu viel … Der Tyrann Lesath, der im Süden des Landes in Merita lebt, alle Magierzirkel befehligt und damit nichtmagische Menschen unterdrückt, geht zu weit.
Und die Menschen beginnen, sich immer heftiger zu wehren.
Das ist nicht gut …
»Davyan ist … erschöpft«, antworte ich nun und trete zu meinem Vater ans Fenster, um mit ihm zusammen über die Weinreben zu blicken, die sich vor dem Zirkel erstrecken.
Es ist ein sonniger Frühlingstag, Bienen und andere Insekten fliegen emsig in der Luft herum, als könnten sie sich nicht entscheiden, welche Blüte sie als Nächstes besuchen sollen. Der Ausblick ist wundervoll. In der Ferne sehe ich die Mauern der Hauptstadt, die mich mit ihrem Weiß, das durch die Sonne verstärkt wird, regelrecht blendet.
Nichts hier verrät die Unruhen, die in Altra herrschen und unter der Oberfläche brodeln. Die jederzeit das Land verwüsten könnten, das wir gerade betrachten.
»Die vergangenen Monate waren nicht einfach für Davyan«, murmle ich, während ich meine Heimat anschaue, die mir so vertraut ist. »Er braucht noch Zeit.«
»Zeit …« Vater dehnt das Wort, als wollte er seinen Nachhall auf der Zunge schmecken. »Warum gehen manche mit diesem Luxus um, als wäre er im Überfluss vorhanden?«
Er schenkt mir einen Seitenblick und ich erkenne den Unmut auf seinem Gesicht.
Vater ist etwas kleiner als ich und weniger breitschultrig. Dennoch sind die Parallelen zu ihm unbestritten da. Wir besitzen das gleiche dunkelbraune Haar, die gleichen dunklen Augen, die gleiche blasse Haut, gar ähnlich kantige Gesichtszüge. Und tragen dasselbe Element zusammen mit Magie in uns: Feuer. Das eben in diesem Moment in mir aufbrodelt.
Vater kennt Davyan nicht, und dass er so über ihn spricht, ärgert mich wahrscheinlich mehr, als es sollte.
»Davyan hatte nie irgendwelchen Luxus in seinem Leben«, erwidere ich grimmig. »Und wenn es Zeit ist, die für ihn nun Luxus bedeutet, dann schenke ich sie ihm allzu gern in Unmengen, weil ich weiß, dass er sie braucht. Er braucht Zeit, um nachzudenken. Darüber, was aus seiner Zukunft werden soll.«
»Du meinst: aus eurer?«, hakt Vater nach und in seinen Augen lese ich erneut diese Spur Gereiztheit.
»Was ist dein Problem?« Ich schnaube unwirsch. »Dass ich ihn liebe? Dass ich mit ihm zusammen sein möchte bis ans Ende meines Lebens?«
»Er ist ein Elf!«, fährt Venero mich an und seine Stimme ist mit einem Mal unterkühlter als Eis. Hart und kompromisslos.
»Halbelf«, korrigiere ich und funkle ihn wütend an.
»Halbelfen gibt es nicht«, erwidert er herablassend.
Ich hasse es, wenn er diesen Tonfall anschlägt!
Demonstrativ verschränke ich die Arme vor der Brust. »Jetzt schon«, wiederhole ich Davyans Worte, die er mir kurz nach seiner letzten Wiedergeburt sagte. Nachdem er erfahren hatte, wer sein Vater ist.
»Es reicht, dass dieser Mauryce ständig im Zirkel rumlungert«, zischt Venero abweisend. »Dass du auch noch einen dieser Brut in dein Bett …«
»Wag es nicht, so über den Mann zu reden, den ich liebe!«, belle ich ungehalten. So sehr ich versucht habe, mich zusammenzureißen – wenn Vater so über Davyan spricht, schaffe ich es nicht länger, ruhig zu bleiben. »Davyan ist ebenso wie Mauryce etwas Besonderes!«
»Du klingst, als würdest du es nicht nur mit einem dieser Wilden, sondern mit allen beiden treiben!«, bemerkt er und der Zorn, den ich gerade empfinde, flackert nun auch in seinen Augen.
Jetzt ist er einen Schritt zu weit gegangen. Ich starre ihn wutentbrannt an und brauche all meine Beherrschung, nicht meinen eigenen Vater zu schlagen.
Venero hasst Elfen, daraus hat er noch nie einen Hehl gemacht. Er hasst alle alten Völker. Die Drachen, Zwerge, Gorkas … aber die Elfen am meisten.
Und dass ich ausgerechnet zwei davon in seinen Zirkel gebracht habe, scheint mehr an ihm zu nagen, als er mir bisher gezeigt hat.
Wenngleich sich Mauryce bemüht, zu helfen. Er ist täglich stundenlang im Heiltrakt und stellt seine magischen Kräfte zur Verfügung. Auch heute würde ich ihn wieder dort finden, das ist mir klar. Er wartet geduldig darauf, dass Davyan sich bei ihm meldet und das Training mit ihm angeht.
Schon einige Male habe ich ihm gesagt, er dürfe zurück in die Wälder von Zakatas zu seinem Volk, aber Mauryce hat stets abgelehnt. Er will Davyan helfen, das sei er ihm schuldig, meint er. Und Elfen können wirklich stur sein … aber nicht sturer als mein Vater.
»Wir sind hier fertig«, brumme ich in bemüht ruhigem Tonfall und wende mich von ihm ab.
Ohne ein weiteres Wort verlasse ich die Gemächer des Zirkelleiters und erst als ich die Tür hinter mir geschlossen habe und im Gang stehe, schlage ich mit der Faust gegen die nächstbeste Wand.
»Verdammt noch mal!«, stoße ich grollend aus und presse die Augen zusammen.
Mein Brustkorb hebt sich unter schweren Atemzügen, da ich alle Mühe habe, die Kontrolle nicht so zu verlieren, wie es mir mein Temperament vorschreibt. Die Bestie in mir hebt den Kopf, ich spüre sie unter meiner Haut kribbeln, wie sie danach verlangt, meinen Körper zu erobern und alles in Schutt und Asche zu verwandeln.
Nein. Nicht mehr. Nie wieder. Ich habe mich im Griff, der Nymphe Silia und Davyans goldenem Auge sei Dank.
Tief atme ich durch. Einmal. Zweimal … dreimal.
Dass Vater eine derartige Abneigung gegen Davyan hat, war mir bisher nicht bewusst. Als ich am gläsernen Sarg wachte, dachte ich sogar, der Zirkelleiter würde mit mir bangen. Würde meine Sorge um den Mann, der in seinem eigenen Feuer gefangen war, teilen.
Vielleicht hätte ich ihm nicht verraten sollen, dass er elfisches Blut trägt?
Natürlich habe ich ihm nichts Genaueres über Davyans Vater oder gar dessen Mutter erzählt. Aber als Venero darauf bestand, dass Davyan einen Magierring erhalten soll, da er augenscheinlich feuermagische Kräfte besitzt, musste ich ihm die Wahrheit sagen. Dass sein Vater ein Elf ist.
Und seither … scheint es Venero gehörig gegen den Strich zu gehen, dass ich eben diesen Mann liebe. Doch so wie heute hat er sich noch nie im Tonfall vergriffen. Das ist selbst für ihn untypisch.
Vermutlich liegt es daran, dass sich die Lage in Altra täglich weiter zuspitzt und auch er als Zirkelleiter immer öfter in die Dörfer außerhalb der Hauptstadt reisen muss, um für Recht und Ordnung zu sorgen. Um Aufstände niederzuringen, ehe sie zu überborden drohen.
Ja, Vater hat es gerade nicht einfach, dennoch ist das kein Grund, so über den Mann zu sprechen, dem mein Herz gehört. Elfenblut hin oder her … Davyan ist und bleibt die Liebe meines Lebens. Und das muss auch der Zirkelleiter von Fayl gefälligst akzeptieren!
Nachdem ich mich an der Wand mit zwei weiteren Faustschlägen abreagiert habe, verlasse ich das Stockwerk, in welchem die Gemächer des Zirkelleiters sind, und gehe die Treppen des Hauptgebäudes hinunter zur Küche, die sich neben dem großen Speisesaal befindet. Dieser ist längst verlassen, da alle Magierschüler und Lehrer sich mittlerweile im Unterricht befinden. Nur ein paar Diener huschen herum, um den Raum schon mal für das Mittagessen vorzubereiten. Sie beachten mich nicht, als ich mit großen Schritten die Tische und Bänke entlanggehe, die ich noch aus meinen Zeiten als Schüler kenne.
Obschon es über dreihundert Jahre her ist, weiß ich noch genau, wie es war, hier mit meinen Freunden zu essen und über die Lehrer zu lästern. Streiche auszudenken, Witze zu reißen … Ja, es war eine schöne Zeit.
Doch die meisten meiner Jugendfreunde sind seit vielen Jahrzehnten tot.
Es ist manchmal mehr Fluch als Segen, so lange zu leben.
In der Küche angekommen, empfangen mich der Geruch nach gebratenem Fleisch, Gemüse und Brühe sowie lautes Stimmengewirr und Hektik.
Die Köche sind emsig dabei, das Mittagessen zuzubereiten, und nehmen keine Notiz von mir, als ich einen kleinen Korb schnappe und ihn mit etwas Brot, Käse, Wurst und Trauben fülle. Zudem packe ich drei Äpfel dazu. Davyan mag Äpfel, das habe ich in den vergangenen Wochen festgestellt. Obwohl er damit schlechte Erinnerungen verbindet, da ein weißer Apfel ihn in das Dasein zwischen Leben und Tod in diesem gläsernen Sarg verfrachtet hat, isst er diese Früchte sehr gern. Er gestand mir einmal, dass er Äpfeln sogar abgeschworen hätte, sie aber einfach zu sehr mag, um diesen Schwur einzuhalten.
Obendrein greife ich nach einer Karaffe mit verdünntem Wein und verlasse mit der Beute den Raum. Wenn mich jemand bemerkt hat, so hat er es nicht gewagt, den Sohn des Zirkelleiters zu fragen, was er mit all diesen Sachen vorhat.
Nachdem ich den Speisesaal hinter mich gebracht habe und auf den Innenhof des Zirkels hinausgetreten bin, bleibe ich kurz stehen, um die Sonne auf mich herabscheinen zu lassen.
Ob ich Davyan vielleicht heute dazu bringe, meine Gemächer zu verlassen und wenigstens einen kleinen Spaziergang im Garten des Erdzirkels zu machen?
Als ich ihn heute früh neben mir sah, wirkte er so zerbrechlich wie nie. Längst zieren dichte Stoppeln seine Wangen, die blass und eingefallen sind. Er hat selten die Energie, sich zu rasieren, und da sein Bartwuchs aufgrund seiner Elfenherkunft langsam ist, ist das ohnehin nicht oft nötig. Der Glanz ist sowohl aus seinem schwarzen Haar als auch aus seinen ungleichen Augen gewichen. Der Schalk, der ihm im Nacken saß, und der mich so oft zum Knurren gebracht hat, ist wie weggeblasen. Das Lächeln fort, stattdessen zeichnet Besorgnis seine bildschönen Züge.
Davyan derart gebrochen zu sehen, schmerzt mir in der Seele.
Und dennoch kann ich nichts weiter tun, als ihn mit aller Kraft zu lieben. Für ihn da zu sein. Es ist wie bei einem gebrochenen Knochen, der wieder zusammenwachsen muss. Ich bin seine Schiene, halte ihn zusammen, während er heilt.
Auch wenn mir das Warten verdammt schwerfällt …
»Veranstaltest du ein Picknick?«, reißt mich eine Stimme zu meiner Rechten aus den Gedanken.
Ich drehe den Kopf und erkenne Nicolas, den Wassermagier, der gerade über den Zirkelinnenhof auf mich zukommt. Wie immer sieht er wie aus dem Ei gepellt aus. Eine dunkelblaue Robe, die am Saum mit Goldfäden bestickt ist, ziert seinen muskulösen Körper, das halblange dunkelblonde Haar fällt ihm gestuft bis zu den breiten Schultern und auf seinem attraktiven Gesicht liegt ein Lächeln, das seine perlweißen Zähne präsentiert.
»Solltest du nicht beim Unterricht sein?«, erwidere ich, ohne auf seine Frage einzugehen.
»Hab eine Vertretung für diese Stunde«, erklärt er und sein Lächeln wird zu einem Grinsen. Bei mir angekommen, wirft er einen Blick in den kleinen Korb. »Das nenn ich mal eine Ausbeute«, meint er anerkennend. »Lass mich raten: für Davyan?« Seine hellbraunen Augen blitzen verschwörerisch.
»Mhm«, bestätige ich reserviert.
Ich mag es nicht, mit Nicolas über Davyan zu reden. Der Kerl ist viel zu neugierig und definitiv nicht das, was Davyan oder ich im Moment brauchen.
»Verkriecht er sich immer noch in deinem Bett?«, hakt Nicolas nach, ohne sich von meiner abweisenden Art beirren zu lassen.
»Er ist erschöpft«, wiederhole ich die gleichen Worte, die ich Vater sagte.
Nicolas sieht mich stirnrunzelnd an und das Lächeln verschwindet. »Oder verängstigt?«
Ein kleiner Stich durchfährt mich. Dieser Gedanke kam mir auch schon, aber ich habe ihn weit von mir weggeschoben. Denn es würde bedeuten, dass Davyan sich hier nicht wohlfühlt – was wiederum nach sich ziehen würde, dass wir womöglich keine gemeinsame Zukunft im Zirkel haben werden. Und das ist eine Vorstellung, die für mich schwer zu akzeptieren ist.
Seit ich denken kann, habe ich im Zirkel gelebt. Nun gut, bis auf die hundert Jahre, die ich in diesem verdammten Schloss als Biest gefangen war. Dennoch ist dies meine Heimat. Mein Leben. Der Zirkel gehört zu mir und ich zu ihm.
Wenn Davyan sich hier nicht wohlfühlt … muss ich mich gegen ihn entscheiden. Also gegen den Zirkel. Denn gegen Davyan könnte ich mich nie im Leben entscheiden.
»Dein Schweigen dauert für ein ›Nein‹ eindeutig zu lange«, bemerkt Nicolas und verschränkt die Arme vor der Brust. »Soll ich mal mit Davyan reden?«
»Und versuchen, ihn erneut um den Finger zu wickeln?« Ich sehe ihn mit schmalen Augen an.
Die Eifersucht, die mich bei der Erinnerung durchflutet, dass Nicolas und Davyan sich näher gekommen sind, als Davyan noch ein Knecht war, ist unerwartet. Und dennoch kann ich den Gedanken kaum ertragen, dass Davyan diesen dunkelblonden Magier geküsst hat.
»Keine Sorge, Sombren.« Nicolas klopft mir freundschaftlich auf die Schulter. »Ich nehme dir den kleinen Knecht schon nicht weg.«
»Erstens ist er kein Knecht, zweitens nicht klein und …«
»Tja, das Zweite kannst nur du beurteilen, nicht wahr?«, fällt er mir ins Wort und grinst mich zweideutig an.
Ich schließe unwirsch die Augen. »Ich rede nicht von seiner Männlichkeit, sondern …«
»Schon klar«, unterbricht er mich abermals lachend, dann wird er wieder ernst. »Also, wenn du mich fragst, solltet ihr beiden dort anknüpfen, wo ihr aufgehört habt.«
»Habe ich dich gefragt?«, brumme ich und verlagere das Gewicht von einem Bein auf das andere.
Er sieht mich unverwandt an und an seinen Lippen zupft wieder dieses einnehmende Lächeln. Charmant, wissend und viel zu anzüglich. »Nein. Aber ich kenne mich nun mal in Sachen Liebe besser aus als du.«
»Ach, und woher willst du das wissen?« Ich hebe die Augenbrauen.
Er breitet die Arme aus und dreht sich langsam einmal im Kreis, als würde ihm die Welt zu Füßen liegen. »Lebenserfahrung, Sombren. Pure Lebenserfahrung.«
»Du bist jünger als ich«, erinnere ich ihn an eine Tatsache, die er wohl in seinem langen Leben großzügig vergessen hat.
»Mag sein.« Er zuckt mit den Schultern und legt mir ungeniert eine Hand auf den Oberarm. »Dennoch hatte ich schon viel mehr Männer – und Frauen – im Bett als du. Und weiß, was ein gebrochenes Herz braucht.«
»Davyan hat kein gebrochenes Herz«, erwidere ich grimmig.
So langsam ist mir wieder bewusst, warum ich normalerweise einen Bogen um Nicolas mache.
»Womöglich nicht von der Liebe gebrochen, aber er scheint doch ziemlich durch den Wind zu sein, der arme Kleine. Auch Wind kann Sachen brechen … schau dir nur die Bäume nach einem Sturm an.«
Ich schnaube leise und funkle ihn verärgert an. »Hör auf mit deinen pseudophilosophischen Sprüchen.«
»Nur Tatsachen.« Er zuckt abermals mit den Schultern.
»Ach, geh doch deinen Mantel bürsten«, brumme ich und wende mich brüsk von ihm ab.
»Vergiss meinen Rat nicht!«, ruft er mir hinterher, als ich den Zirkelplatz überquere, um zurück zum Feuerzirkel zu gehen, wo sich meine Gemächer befinden.
Ich grummle etwas in mich hinein, ohne mich noch einmal zu ihm umzudrehen.
Sombren
Als ich meine Gemächer betrete, sind die Vorhänge noch immer zugezogen.
Davyan hat das Bett nicht verlassen.
Verdammt … es geht ihm wirklich nicht gut. Und ich habe keine Ahnung, wie ich das ändern kann.
Ich bin für ihn da, nehme ihn in den Arm, schenke ihm meine Liebe. Aber es scheint nicht genug zu sein …
Womöglich liegt es an mir? Vielleicht bin ich nicht genug für ihn?
Nein, diesen Gedanken darf ich nicht zulassen, er würde mich um den Verstand bringen.
»Bin wieder da!«, rufe ich überflüssigerweise. Davyans Gehör ist so gut, dass er mich bestimmt schon in dem Moment wahrgenommen hat, als ich die Türklinke betätigt habe.
»Mh«, kommt aus dem Schlafzimmer, das sich links neben dem Wohnbereich befindet.
Ich seufze leise und trete ein.
Davyan liegt immer noch im Bett, hat sich seit meinem Aufbruch offenbar kaum bewegt.
Ihn so lethargisch die Decke anstarren zu sehen, lässt mein Herz sich zusammenziehen. Ich kenne ihn als fröhlichen Mann, dessen Selbstbewusstsein durch sein hartes Schicksal geschmiedet wurde und den nichts und niemand zu verängstigen vermag. Aber nun … Etwas scheint ihn so stark zu beschäftigen, dass sein Körper in eine Art Schockstarre gefallen ist.
»Ich habe Essen für dich«, sage ich bemüht aufmunternd und stelle den Korb aufs Bett. »Hier«, schicke ich hinterher, als er nicht auf mich reagiert, und hole die Karaffe mit dem verdünnten Wein heraus, damit sie nicht umkippt.
»Danke«, murmelt er, ohne den Korb zu beachten.
»Davyan …« Ich setze mich auf den Bettrand.
Ich würde ihm gerne sagen, dass es so nicht weitergehen kann. Dass wir reden sollten oder er zumindest endlich aus dem Bett steigen soll.
Aber ich schaffe es nicht, diese Worte über meine Lippen zu bringen. Denn das Letzte, was ich will, ist, ihn zu etwas zu drängen. Er braucht Zeit und die werde ich ihm verdammt noch mal geben.
Ich stelle die Karaffe auf eine Kommode neben dem Bett, dann wende ich mich ihm wieder zu.
Zaghaft hebe ich die Hand und streiche ihm eine seiner schwarzen Locken aus dem Gesicht. »Du solltest etwas essen, mein Herz.«
Davyan reagiert nur mit einem Blinzeln, was mich kurz die Lider schließen lässt.
»Ich habe Äpfel mitgebracht«, sage ich, so sanft ich kann. »Die magst du doch so.«
»Danke«, wiederholt er und endlich schaut er mich wenigstens an.
Obschon ich im dämmrigen Licht sein Gesicht nur als Schemen wahrnehmen kann, so entgeht mir die Stimmung nicht, die mir aus seinen ungleichen Augen entgegenschlägt.
Etwas beunruhigt ihn und es liegt mir auf der Zunge, nachzuhaken, was es ist.
Stattdessen lege ich mich zu ihm, schlinge den Arm um seine nackte Schulter und sauge seinen Geruch ein. Waldboden mit Moos, darüber eine Spur von Rauch – so vertraut.
Er rückt etwas näher, bettet seinen Kopf auf meine Brust und eine Hand auf meinen Bauch. Seine Finger spielen mit den Knöpfen meines Wamses, während er seinen Atem an meinen anpasst.
Es ist schön, ihn so nahe bei mir zu spüren. Und trotzdem ist da dieser Stich in meiner Brust, den ich bei jedem Herzschlag registriere.
Davyan … rede mit mir … Was auch immer dich belastet, du musst das nicht alleine schaffen …
Wie lange wir so daliegen, weiß ich nicht. Weder er noch ich sagen etwas und für Davyan ist das gerade genug.
Nicolas' Worte hallen in mir nach.
Womöglich hat er recht? Sollten Davyan und ich dort anknüpfen, wo wir aufhörten?
Nun, einen Versuch ist es allemal wert.
Ich hole leise Luft und Davyan hebt den Kopf, da er merkt, dass ich etwas sagen möchte. »Wenn du …«, beginne ich und kaue auf meiner Unterlippe herum, da ich nicht genau weiß, wie ich meinen Vorschlag formulieren soll. »Hättest du Lust, einen kleinen Ausflug zu unternehmen?«
»Ausflug?« Seine Stirn legt sich in Falten.
Ich nicke langsam. »Ich habe mir überlegt, dass du vielleicht das Grab deines Ziehvaters besuchen möchtest?«
Als er nichts sagt, halte ich den Atem an.
War ich zu voreilig? Zu direkt? Hätte ich damit warten sollen?
Davyan senkt den Kopf wieder auf meine Brust und seine schlanken Finger streichen langsam über meinen Bauch. »Elzgars Grab«, murmelt er gedankenversunken. »Das ist beim Weingut, oder?«
»Mhm.« Ich entspanne mich ein wenig.
Er scheint nicht ganz abgeneigt zu sein, aber auch noch nicht überzeugt, dass es das wert ist, seine sichere Höhle zu verlassen.
Dennoch ist ein erster Schritt getan.
Er überlegt es sich.
»Wir könnten am Schwertlied Teich übernachten«, fahre ich leise fort. »So wie … damals. Es ist mittlerweile warm genug und mit einem Feuer sowie einem sicheren Unterstand wäre es bestimmt eine schöne Nacht.«
Mein Bauch beginnt unvermittelt zu kribbeln bei der Erinnerung daran, wie ich ihm vor so langer Zeit gezeigt habe, was es bedeutet, sich mit Leib und Seele jemandem hinzugeben. Dass Hände viel mehr können, als zu schlagen, Lippen viel mehr, als Drohungen und Beleidigungen auszustoßen.
Ich habe Davyan damals eine neue Welt eröffnet, in die ich gerne mit ihm zusammen gegangen wäre. Doch das Schicksal spielte uns übel mit, indem es uns in eben diesem Moment trennte, als wir das größte Glück erfahren hatten. Das Glück, uns zu finden, unsere Liebe füreinander zu entdecken.
Vielleicht wäre das wirklich der richtige Weg, Davyans neues Leben zu starten. Unser neues Leben …
Dort, wo es begann, alles nochmals auf Anfang zu setzen.
Davyan scheint ähnliche Überlegungen gemacht zu haben, denn er hebt erneut den Kopf und drückt mir einen sanften Kuss auf den Kiefer.
»Das wäre schön«, flüstert er.
Diese drei Worte lassen eine Wärme in mir entstehen, wie ich sie nicht erwartet hätte.
Glück. Da ist pures Glück, dass ich etwas in ihm erreicht habe, das ihn endlich einen Schritt nach vorne tun lässt. Endlich aus der Starre zerrt, die ihn die letzten Wochen in meinen Gemächern hielt.
Ich neige mich zu ihm hinunter und lege die freie Hand an seine Wange, drücke mit dem Daumen sein Kinn wieder etwas nach oben und betrachte ihn mit all der Liebe, die ich für ihn empfinde.
Seine ungleichen Iriden mustern mich aufmerksam. Links gefärbt wie pures Gold, rechts wie schwarze Kohle. Ein Auge, das mich wie Sonnenlicht erwärmt, das andere, das mich in eine faszinierende Tiefe zieht, wie nur Davyan es schafft.
»Wir können aufbrechen, wann immer du möchtest«, murmle ich, während ich ihn liebevoll anschaue. »Gib mir einfach eine Stunde, dann organisiere ich alles, lasse zwei Pferde satteln und …«
»Ich kann nicht reiten«, unterbricht er mich und ein wehmütiges Lächeln gleitet über seine Lippen. »Habe ich nie gelernt.«
»Oh.« Ich sehe ihn verdattert an.
Stimmt, als Knecht und Arenakämpfer hatte er wohl kaum Gelegenheit, reiten zu lernen.
Wieder einmal werden mir die Diskrepanzen bewusst, die zwischen uns existieren. Aber diese hier kann man definitiv korrigieren.
»Dann …«, sage ich gedehnt, »werde ich es dir beibringen. Es ist gar nicht so schwer, das schaffst du mit links. Ich suche ein ruhiges Pferd für dich aus, in Ordnung?«
»In Ordnung.«
Ich beuge mich noch stärker zu ihm, schließe die Augen und lege meine Lippen auf die seinen. Merke, wie er sanft den Druck erwidert und sich unser Atem vermischt, während wir die Berührung des anderen genießen.
Behutsam öffne ich meinen Mund ein wenig, Stück für Stück und jederzeit bereit, den Kuss zu beenden, sollte ihm das hier zu schnell gehen. Aber Davyan tut es mir gleich und als ich vorsichtig mit der Zungenspitze gegen seine Oberlippe drücke, lässt er mich ein.
Wie lange ist es her, seit ich ihn so innig küssen durfte? Es erscheint mir wie eine Ewigkeit.
Meine Zunge hat sich nach seiner verzehrt, das spüre ich, als ich sie liebevoll berühre und mit meiner darüber gleite.
Der Kuss ist langsam und sachte. Fast so, als würden wir uns das erste Mal erkunden.
Ich fühle, wie sich ein leises Stöhnen in meiner Brust bildet, und entlasse es mit einem schweren Atemzug in seinen Mund. Er erschaudert darunter und als ich blinzle, sehe ich, dass er mich ebenfalls unter halb geschlossenen Lidern anschaut.
Sorgfältig löse ich mich von ihm und lehne meine Stirn gegen seine. »Ich liebe dich, Davyan«, hauche ich.
»Liebe scheint mir zu wenig, um das auszudrücken, was ich gerade empfinde«, murmelt er entrückt. »Ich … Du bedeutest die Welt für mich, Sombren. Danke.«
»Wof…?«
Er legt mir unvermittelt einen Finger auf die Lippen und bringt mich abrupt zum Verstummen. »Nicht«, flüstert er. »Du weißt, wofür.«
Ich bringe wieder etwas Distanz zwischen uns und lasse meine Augen zwischen seinen hin und her gleiten, merke, wie meine Brust sich weitet.
Ja, ich weiß wofür, denn es ist die gleiche Dankbarkeit, die auch ich empfinde.
Weil ich ihn haben darf.
Bei mir haben darf.
Seine Liebe haben darf.
Davyan
Sombren wieder so nahe zu sein – richtig nahe, nicht nur neben ihm – ist wie Balsam für meine Seele. Ich habe keine Ahnung, was dieser Mann mit mir anstellt, aber es ist etwas, das niemand sonst auf der Welt schafft. So weit bin ich mir sicher.
Nur Sombren gelingt es, meine Bedürfnisse zu erkennen, obwohl ich diese nicht formuliere.
Nur er dringt durch alle Mauern, die ich um mich errichte.
Nur er rüttelt an den Zweifeln und den Sorgen, die mich innerlich erstarren lassen.
Womit habe ich diesen Menschen bloß verdient? Er ist so zärtlich, geduldig und einfühlsam, dass mich unwillkürlich eine Gänsehaut überzieht.
»Bevor ich einen Fuß aus den Gemächern setze, muss ich mich aber erst herrichten«, sage ich leise und spüre, wie zum ersten Mal seit Wochen ein Lächeln um meinen Mund spielt. Ein echtes Lächeln, das tief in meiner Brust verankert ist.
»Das hätte ich dir ebenfalls vorgeschlagen«, bestätigt Sombren schmunzelnd. »Du … solltest ein Bad nehmen.«
»Willst du damit sagen, dass ich stinke?« Ich hebe eine Augenbraue in die Höhe.
Sombren lacht dunkel und drückt mir zur Antwort einen Kuss auf die Wange, dann auf den Hals und verweilt dort mit seinen Lippen. »Nie im Leben würde ich so etwas sagen, mein Aschenprinz«, raunt er gegen meine Haut und verpasst mir einen Schauer, als er sich zu meinem Ohr küsst. »Ich liebe alles an dir.«
Mich durchfährt ein leichter Stich.
Ich liebe alles an dir …
Ein Satz, den ich ihm gegenüber nicht mehr sagen kann, obwohl ich Sombren wie verrückt liebe. Aber da sind … diese schwarzmagischen Kräfte in ihm, die ich einfach nicht ignorieren kann. Wenngleich er mir versichert hat, dass er sie nicht nutzt, so schlummert in ihm das Potenzial, anderen die Körperwärme zu entziehen, sobald er das schwarze Amulett nicht trägt.
Er muss gemerkt haben, dass ich mich versteife, denn er hört auf, meinen Hals mit Küssen zu bedecken, und schaut mir stattdessen wieder ins Gesicht. »Alles in Ordnung?«, hakt er nach, während er die Stirn in Falten legt.
»Ja, ich …« Ich seufze leise, da es ohnehin nichts bringt, ihm etwas vormachen zu wollen. Dennoch möchte ich jetzt keine Diskussion über seine schwarze Magie lostreten. »Lass uns ins Badezimmer gehen.«
»Uns?« Er sieht mich verblüfft an. »Ich habe mich bereits gewaschen.«
»Das mag sein, aber ich möchte gerne das Bad in deinen Armen genießen.« Ich lächle ihn – wie ich hoffe – vielsagend an.
»Du willst …« Sombren verengt die Augen, ehe Erkenntnis sein Gesicht zeichnet. »In Ordnung«, meint er dann und das Schmunzeln kehrt auf seinen Mund zurück. »Das … wäre schön.«
Es dauert eine halbe Stunde, bis die Diener das Bad hergerichtet haben. In der Zwischenzeit rasiere ich mich und Sombren schneidet mein Haar, das mittlerweile viel zu lang geworden ist. Am Ende fallen mir die schwarzen Locken wieder bis knapp zwischen die Schulterblätter, sodass ich sie gut zu einem Pferdeschwanz zusammennehmen kann.
Während die Diener Wasser bringen, habe ich Gewissensbisse, aber Sombren versichert mir mehrfach, dass sie nur ihre Aufgabe erledigen.
Nichtsdestotrotz bin ich erleichtert, als sie endlich die Gemächer verlassen und wir wieder alleine sind. Mit einer dampfenden Wanne, dessen warmes Wasser nach Vanille duftet.
»Nach dir«, sagt Sombren und deutet darauf, derweil er beginnt, sich auszuziehen.
Ich trage nur einen Lendenschurz, dessen ich mich mit wenigen Handgriffen entledigt habe. Zaghaft tauche ich einen Fuß ins Wasser, um die Temperatur zu testen, dann steige ich hinein und setze mich hin.
Die Wanne besteht aus weißem Marmor, der mit Gold veredelt wurde. Noch nie habe ich in so etwas Wertvollem gesessen, vor allem habe ich noch nie ein Bad genommen, das so viel Schaum enthält. Ich versinke förmlich darin und als ich eine Hand hebe und darüber blase, fliegen kleine Schaumwölkchen davon.
»Das ist herrlich«, flüstere ich andächtig.
Sombren, der inzwischen ebenfalls nackt ist, grunzt leise zur Antwort. Ich hebe den Blick und sehe gerade noch, wie er in das Becken steigt, da setzt er sich bereits hinter mich und keine Sekunde später werde ich an seine Brust gezogen. Die Wanne wurde gerade so gefüllt, dass das Wasser nicht überschwappt, als wir zu zweit drin sitzen.
»Komm her, mein Aschenprinz«, murmelt er an meinem Ohr. »Jetzt waschen wir dich erst mal gründlich.«
Kaum hat er das gesagt, drückt er mich auch schon mit voller Kraft nach unten, sodass ich im warmen Nass versinke.
Reflexartig halte ich die Luft an und rudere mit den Armen, verspritze das Badewasser rund um uns herum.
Als ich wieder auftauche, lacht Sombren aus vollem Herzen. Dunkel. Echt und frei.
Sein Lachen ist so schön, dass es mir schwerfällt, ihn gebührend böse anzufunkeln.
»Mach das nicht nochmals!«, brumme ich entrüstet.
»Sonst was?«
»Sonst das!«
Ehe er sich's versieht, habe ich mich zu ihm umgedreht und drücke ihn nun selbst an den Schultern ins Wasser. Mit so viel Kraft, dass auch sein Kopf darin versinkt. Er packt mich an den Hüften, beginnt mich zu kitzeln, und ich lasse ihn umgehend los, da sich ein Lachen in meiner Kehle bildet.
Prustend taucht Sombren wieder auf und bespritzt mich mit einer Ladung Wasser, die mich direkt in den Mund trifft. Keuchend huste ich und verschlucke mich beinahe, als ich um Atem ringe.
Ich schaue dem Mann, den ich liebe, in die dunklen Augen.
Sombren hat mehrere Schaumkrönchen auf dem Kopf – ebenso wie ich wahrscheinlich. Das Wasser ist bereits auf dem Boden verteilt, aber das ist uns beiden gleichgültig.
»Das bedeutet Krieg«, sage ich, so finster ich kann.
Schon bin ich erneut über ihm, doch er hat mit diesem Angriff gerechnet und ergreift abermals meine Hüfte, um sich mit mir in der breiten Wanne herumzuwälzen.
Nun ist er wieder über mir und drückt mich unter Wasser, auch meinen Kopf, sodass ich keine Luft mehr bekomme. Doch bevor ich mir deswegen Sorgen machen muss, lässt er mich bereits los und ich tauche japsend auf.
»Und ich dachte, du willst mit mir schlafen«, meint er und sieht mich mit erhobenen Brauen an. »Stattdessen stehst du wohl auf Wasserschlachten.«
»Du hast angefangen«, entgegne ich keuchend, während ich meine nassen Haare aus dem Gesicht wische und gleichzeitig so viel Schaum beseitige, dass ich einigermaßen klar sehen kann.
»Ich wollte dir nur ein wenig behilflich sein beim Waschen«, erwidert er amüsiert.
Mein Bauch kribbelt, als ich ihn so losgelöst vor mir sehe. Sombren zum Lachen zu bringen, ist etwas, das mir selten genug gelingt. Und gerade scheint sich das Grinsen aus seinem Gesicht gar nicht mehr verabschieden zu wollen.
Seine Augen blitzen, als er sich zu mir beugt. »Waffenstillstand?«, raunt er.
»Waffenstillstand.« Ich nicke und hebe die Hand, um sie ihm in den Nacken zu legen.
Er nähert sich mir, doch ehe er mich küssen kann, habe ich ihn ein weiteres Mal unter Wasser gedrückt, dieses Mal direkt vor mir. Er wedelt mit den Armen und ich lache leise, gebe ihn nach zwei Sekunden jedoch wieder frei.
»Du kleiner … Scheißkerl!«, ruft er um Atem ringend und wirft sein langes nasses Haar mit einer Kopfbewegung nach hinten.
»Tja, vertraue nie einem Aschenprinzen«, erwidere ich schulterzuckend.
Sombren will etwas entgegnen, dann hält er allerdings inne und sein Gesicht wird ernster. Er beugt sich erneut zu mir, hält knapp vor mir an. »Es ist schön, dass du wieder da bist, Davyan«, murmelt er.
Ehe ich etwas erwidern kann, küsst er mich und drückt mich gleichzeitig ins Wasser. Wir versinken beide, doch dieses Mal wehre ich mich nicht. Stattdessen ergreife ich seinen Kopf mit den Händen und lasse mich unter Wasser weiter von ihm küssen. Luftblasen steigen um uns auf, als unser Kuss hungriger wird.
Schließlich muss ich doch nach Luft schnappen und Sombren gibt mich frei, sodass wir auftauchen können.
»Mein erster Unterwasserkuss«, stoße ich aus, nachdem ich zu Atem gekommen bin.
»Meiner auch.« Er hebt einen Mundwinkel. »Hat Wiederholungspotential.«
»Auf jeden Fall. Aber erst werde ich mich nun richtig waschen.«
»Dabei kann ich dir helfen.«
»Warum habe ich das Gefühl, du hegst Hintergedanken?« Ich sehe ihn amüsiert an.
»Weil du Gedanken lesen kannst.«
»Ich …« Stirnrunzelnd schaue ich ihn an. »Ich habe das noch nicht wieder probiert«, gestehe ich.
»Möchtest du mit mir üben?« Er hebt eine Augenbraue.
»Jetzt?«
»Jetzt. Später. Wann immer dir danach ist.«
»Dann später«, weiche ich aus.
»In Ordnung.« Er legt mir eine Hand an die frisch rasierte Wange und fährt sanft darüber. »Wir haben alle Zeit der Welt, Davyan.«
»Mhm.«
»He … schau mich an«, murmelt er.
Ich hebe den Blick und komme seiner Aufforderung nach. Seine Augen wirken besorgt, aber da ist immer noch ein kleiner Funke in ihnen.
»Ich glaube, ich weiß, was du jetzt brauchst«, sagt er und lässt mein Gesicht los.
»Ach?«
»Das hier.«
Kaum hat er es gesagt, taucht er direkt vor mir auch schon unter und kurz darauf spüre ich, wie er meine Männlichkeit in die Hand nimmt. Ich keuche überrascht auf, als ich seine Lippen daran registriere, seine Zunge, seinen Mund, der mich umschließt. Das Gefühl ist unbeschreiblich und ich lehne mich automatisch zurück, um seine Zärtlichkeit zu genießen.
Da Sombren irgendwann wieder Luft holen muss, dauert sein Liebkosen nicht lange, aber es hat genügt, mich so sehr zu erregen, dass ich definitiv mehr will.
»Setz dich auf mich«, flüstere ich, als er sich das Haar aus dem Gesicht wischt.
»Wir haben kein Öl«, gibt er zu bedenken.
»Erledigt meine Magie.« Ich lege ihm eine Hand auf die Brust und dringe mit meinen Kräften in ihn ein, wandere zu seinen Beckenmuskeln, um sie zu entspannen.
»Das ist sowohl gruselig als auch scharf«, raunt Sombren, der meiner Bitte nachkommt und sich auf meinen Schoß setzt.
Kurz darauf positioniert er meine Erregung an seinem Hintern und dank meiner Kräfte dringe ich problemlos in ihn ein. Als wir uns vereinigen, stöhnen wir beide gleichzeitig auf. Ich nehme ihm mit meiner Magie jegliche Schmerzen, lasse seine intensiven Empfindungen mit reiner Lust tränken.
Er keucht vor Lust und beginnt mich in einem Rhythmus zu reiten, der durch mein Stöhnen diktiert wird.
Mit einem erregten Laut lehne ich den Kopf nach hinten, verweile mit meinen Kräften in ihm, während er mich nimmt. Damit auch er auf seine Kosten kommt, stimuliere ich seine Erregung, die sich mir hart entgegenrichtet, mit der Hand.
»Das habe ich vermisst«, keucht Sombren und küsst mich stürmisch am Hals.
»Ich … auch«, gestehe ich abgehackt.
Mit gezielten Bewegungen bringe ich ihn zum Höhepunkt und als seine Leidenschaft über mich hinwegschwappt, schaffe auch ich es nicht länger, mich zusammenzureißen. Ich zerschmelze förmlich unter ihm, stöhne und gebe mich meinen Empfindungen vollkommen hin.
Es ist warm, intensiv und einfach nur schön. So unendlich schön.
»Das war der beste Badespaß seit Langem«, murmelt Sombren an meinen Lippen, als wir wieder zu Atem gekommen sind.
»Hat Wiederholungspotential.«
»Auf jeden Fall.«
Sombren
»Das ist Emili«, erkläre ich Davyan, der erst mich und dann das Pferd skeptisch ansieht, das ich zu ihm geführt habe.
»Emili«, wiederholt er und legt den Kopf schief. »Sicher, dass sie ruhig ist?«
»Sehr sicher.« Ich nicke bestätigend und tätschle den Hals der Fuchsstute, deren Zügel ich in der Hand halte. »Wurde mir von den Stalljungen gerade nochmals bestätigt.«
»Hm. Sie ist so … groß.«
Ich lache leise. »Du hast Bestien bezwungen, da wird dich ein Pferd nicht abschrecken können, oder?«
»Nun ja, die Bestien hatten aber keine Sättel.« Er mustert skeptisch den Rücken des Tieres. »Wie komme ich da hoch?«
»So.« Ich deute auf die Steigbügel. »Stell dich neben Emili und leg dann einen Fuß da rein. Mit den Händen hältst du dich am Sattel fest und ziehst dich hinauf.«
»Klingt einfach.«
»Falscher Fuß«, korrigiere ich ihn, als er den rechten hebt. »Mit links.«
»Oh.« Er versteht und wechselt den Fuß, dann ergreift er den Rand des Sattels.
Mit einer anmutigen Bewegung zieht er sich nach oben und schwingt das andere Bein über das Pferd.
»Das war leichter als gedacht«, stellt er mit einem zufriedenen Lächeln fest.
»Hier, nimm die Zügel in die Hand«, weise ich ihn an und zeige ihm, wie er sie halten muss. »Mach eine Faust und lasse die Zügel zwischen dem kleinen Finger und dem Zeigefinger hindurchgehen. Zwischen Zeigefinger und Daumen kommen sie wieder hinaus.«
Davyan befolgt meine Anweisung.
»Du musst nicht viel tun, um das Pferd zu lenken«, erkläre ich weiter. »Es reagiert sehr sensibel, also ziehe nicht zu fest, sonst tust du ihm weh.«
»In Ordnung.«
»Zusätzlich zu den Zügeln kannst du das Pferd mit den Füßen lenken«, fahre ich mit der Einführung fort. »Auch hier benötigt es nur einen leichten Druck.«
Eine Weile erkläre ich ihm, wie er dem Pferd Anweisungen geben kann und als ich merke, dass er verstanden hat, hole ich eine zweite Stute, die ich für mich selbst auserkoren habe. Früher hatte ich ein eigenes Pferd namens Sternenschweif, aber das ist leider längst gestorben.
Ich versichere mich, dass die Satteltaschen mit den Sachen gefüllt sind, die ich für den Ausflug mitnehmen möchte, ehe ich mich in den Sattel schwinge.
»Egal, wie sehr du glaubst, du könntest nach diesem Ausflug reiten«, sage ich an Davyan gewandt, »du wirst Jahre benötigen, um es richtig zu lernen. Denn Reiten bedeutet, dass man das Pferd versteht, seinen Körper mit ihm in Einklang bringt und kleinste Regungen richtig deuten kann. Aber für den Anfang wird es genügen, dass du dich irgendwie im Sattel hältst.«
»Sehr motivierend«, brummt Davyan.
»Tatsache.«
Ich schnalze mit der Zunge, was mein Pferd dazu bringt, sich in Bewegung zu setzen. Davyans Stute folgt mir unaufgefordert.
»Wir werden erst mal ein gemütliches Tempo anschlagen, bis du dich mit den Bewegungen deines Reittieres ein bisschen vertraut gemacht hast«, schicke ich über die Schulter zu Davyan. »Komm neben mich.«
»Wie?«
»Drücke deine Fersen sachte in Emilis Flanken, dann wird sie etwas schneller. Aber nicht zu fest, sonst prescht sie los.«
Kurz darauf geht Davyans Pferd neben meinem her und wir verlassen den Zirkelhügel, reiten zwischen den Weinbergen hindurch.
Das Wetter ist traumhaft schön, perfekt für einen kleinen Ausflug. Die Sonne scheint warm auf uns herunter, Vögel und Insekten schwärmen durch die Luft und erfüllen sie mit ihrem Gesang und Gesumme.
Je weiter wir reiten, desto leiser wird die Welt. Der Zirkelhügel bleibt hinter uns zurück und vor uns breitet sich eine Landschaft aus, die wie gemalt wirkt: sanfte Hügel, überzogen von grünen Feldern, zwischen denen sich schmale Pfade wie Adern durchs Land ziehen. Die Weinreben, die wir zunächst noch zwischen uns und dem Horizont sehen konnten, enden allmählich, machen Lavendelfeldern und knorrigen Olivenbäumen Platz, deren silbrig schimmernde Blätter im Sonnenlicht tanzen, als wollten sie uns grüßen.
Die Erde unter den Hufen ist staubig und von kleinen Steinen durchzogen. Mit jedem Schritt der Pferde wirbelt ein feiner Schleier auf, der in der Luft hängen bleibt. Irgendwo in der Nähe plätschert ein Bach – wir hören ihn, bevor wir ihn sehen. Ein leises, stetiges Murmeln, das wie Musik in dieser friedlichen Umgebung anmutet, die vom Duft nach Lavendel und Rosmarin erfüllt ist.
»Das ist wundervoll«, haucht Davyan andächtig und ich weiß nicht, ob er die Landschaft oder den Moment meint. Oder das Reiten.
»Ist es«, bestätige ich trotzdem und werfe ihm einen Blick zu. »Und wie fühlst du dich mit Emili?«
»Ist noch ungewohnt, aber langsam geht's«, erwidert er. Die Zügel hält er locker in der Hand, das Pferd läuft ruhig unter ihm, als hätte es beschlossen, dass er vertrauenswürdig ist. Oder zumindest interessant genug, um ihn nicht sofort im nächsten Busch loszuwerden. »Wenngleich ich mir noch nicht vorstellen kann, wie ich mich auf ihrem Rücken halten soll, sobald sie schneller wird.«
»Das werden wir auch nicht so rasch üben«, entgegne ich. »Zunächst werden wir mindestens eine Stunde in normalem Tempo reiten. Erst wenn du dich dabei sicher fühlst, versuchen wir einen langsamen Trab.«
»Danke.« Er lächelt mich an.
»Wofür?«
»Dass du mich da rausgeholt hast.«
»Ich bin mindestens so froh darüber wie du«, gestehe ich.
Allein die Vorstellung, wie er wochenlang im Bett lag, lässt mich frösteln. Ich hoffe fest, so etwas kommt nie wieder vor.
Wir reiten weiter, vorbei an Mohn, Löwenzahn und Kornblumen, die den Weg flankieren. Es ist schön, einfach nur an Davyans Seite zu sein. Es … genügt mir vollkommen. Mein Herz ist leicht und frei wie schon lange nicht mehr. Mein Atem geht ruhig und ich sauge die Frühlingsluft förmlich in meine Lungen.
»Wer wohnt denn jetzt eigentlich auf dem Schwertlied Weingut?«, fragt Davyan, als wir eine Weile schweigend nebeneinander durch die Landschaft geritten sind.
»Im Moment niemand mehr, das Weingut ist seit etwa zwei Jahrzehnten verlassen«, erzähle ich das, was ich darüber herausgefunden habe.
»Oh, da ist … schade.« Er senkt den Blick auf Emilis Mähne, die leise im Takt ihres Schritts mitwippt.
»Mhm. Der Wein war wirklich gut«, murmle ich. »Aber offenbar hat der letzte Winzer ihn mehr selbst konsumiert als verkauft. Das hat das Weingut zugrunde gerichtet.«
Davyan sieht mich betroffen an. »Und es ließ sich niemand finden, der es übernimmt?«
»Leider nein.« Ich schüttle den Kopf.
»Hm.«
Ich weiß, dass er sich lieber eine Hand abhacken würde, als selbst dorthin zu ziehen, wo er so viel Leid erfahren hat. Dennoch verstehe ich, dass ihn die Erkenntnis schmerzt, dass das Anwesen seines Ziehvaters nicht weitergeführt wird.
Ich nehme mir vor, demnächst wieder gezielter nach einem Winzer zu suchen, der das Gut übernehmen und zu neuem Glanz bringen könnte. Nur ist es sehr schwer, geeignete Personen zu finden, daher wird das wohl noch länger dauern.
Wir reiten schweigsam weiter, genießen die Landschaft und die Sonne, die warm auf uns herunterscheint.
»Wenn wir zurück sind, sollte ich mal mit Mauryce sprechen«, meint Davyan mit einem Mal gedankenversunken.
»Das solltest du«, bestätige ich und schaue ihn von der Seite an. »Er hat sich Sorgen um dich gemacht.«
Das ist noch untertrieben. Mauryce fragte mich fast täglich nach Davyans Befinden. Sein Freund liegt ihm sehr am Herzen.
»Das tut mir leid«, murmelt er, senkt den Blick und spielt gedankenversunken mit Emilis Mähne. »Ich war …«
»Du musst dich nicht schlecht fühlen deswegen«, unterbreche ich ihn behutsam. »Sowohl er als auch ich haben Verständnis dafür, dass du Zeit brauchtest.«
»Er ist mein bester Freund«, sagt Davyan leise. »Der einzige, den ich habe – neben dir natürlich.«
»Du bedeutest ihm ebenfalls viel«, erwidere ich.
»Er hat mir so viel beigebracht«, fährt er fort, ohne aufzusehen. »Nicht nur das Kämpfen, sondern auch andere Sachen.«
Ich sehe ihn neugierig an. »Was zum Beispiel?«
Endlich sucht er meinen Blick und hebt einen Mundwinkel an. »Er hat mich in Temer und Praedisch unterrichtet.«
»Er kann die Landessprachen der Menschen Altras?«, frage ich verblüfft.
»Sehr gut sogar.« Davyan nickt.
»Ich habe mich schon gefragt, woher du so gut Temer kannst, als wir im Talmerengebirge unterwegs waren.«