Dear Americans - Thomas Kausch - E-Book

Dear Americans E-Book

Thomas Kausch

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Beschreibung

Wieso sollte man in New York nur auf der Beifahrerseite aus dem Taxi steigen? Was machen jetzt eigentlich die vielen arbeitslosen Wallstreet-Banker? Und wie funktioniert der American Dream bei einem Deutschen? Unterhaltsam, ironisch und mit einem Augenzwinkern erzählt uns Thomas Kausch in Briefen an unsere Freunde, die Amerikaner, wie schön es ist, dass wir sie wieder gern haben können. Dear Americans von Thomas Kausch: als eBook erhältlich!

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Thomas Kausch

Dear Americans

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Für Weltbürger deutscher Sprache [...]»Um einen Liebesbrief zu [...]Dear Americans1. Man geht wieder aufrecht – in WashingtonEin Concierge weiß allesObama mixt die Barszene aufDie VorgeschichteSchickt nicht immer nur Ecki von KlädenFrische Croissants für ApachenErst entscheiden, dann handeln, dann fragenDanke, dass Du an Leonardo gedacht hast2. Barack’n’Roll – in ChicagoVon Pommern bis zum Little Big HornMit einem 600-Gramm-Fleischklops kommt der Körper nicht klarDie rechten Gehirnhälften werden wieder trainiertAmerikanische Verabschiedung in der Sauna3. George Bush lebt nicht in einem Outlet – in DallasWenn der Ölbohrer abbricht, kommt PaulWie damals bei Tony BlairMr. Hagman fühlt sich sehr geehrtRon kann aus der Hüfte schießenDear Mr. President4. Scharfe Stanford-Badehosen – in San FranciscoGrüße in den GrunewaldCasper im NirwanaEin Onkel in AmerikaFred Irwin war Baby des JahresSchool of Rock5. Puh, ganz schön weiß hier – in Santa Barbara23 und Single und politisch korrektHochzeitsreise nach Tahiti fast geplatztWie viele Millionen sind in einer Billion?Edward hasst grobe Düsseldorfer und FranzosenFrau Meyer braucht jetzt RuheEdward hasst grobe Düsseldorfer und FranzosenBruce Kennedys Speer ist niemals olympisch geflogen6. Ein Leben ohne Tüten ist sinnlos – in Los AngelesDer Japaner hätte gerne einen Militärhund zum MitnehmenAttentat auf Obama, Nordkorea befreit, schwerer RennunfallNazis sind einfach großartige BösewichteJohnny Depp ist in Wirklichkeit sehr klein und normalAlle wollen einen über den Tisch ziehen7. Die Nummer von Sotheby’s ist 659-3555 – in Palm BeachPonce. James PonceTwilight – ImBis(s) zum SchlussThank you so much

Für Weltbürger deutscher Sprache

»Um einen Liebesbrief zu schreiben, musst du anfangen, ohne zu wissen, was du sagen willst, und endigen, ohne zu wissen, was du gesagt hast.«

Jean-Jacques Rousseau

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Dear Americans

Darf ich euch duzen? Das schreibt sich einfach leichter weg. Als ihr Barack Obama zum Präsidenten gewählt habt, war es bei uns Nacht, aber trotzdem haben wir natürlich so lange wie möglich vor dem Fernseher ausgeharrt – es war ja auch eine Sternstunde. Am nächsten Morgen schrieb ich euch dann einen Brief, so wie ich das jeden Tag während des letzten Monats des Wahlkampfs für meinen Arte-Blog gemacht hatte, egal wo ich war. Natürlich nur fiktiv, so als Tagebuch, ich hatte ja eure Adresse nicht. Diesmal schrieb ich aus Straßburg in Frankreich und ich gebe zu, ich war ziemlich begeistert:

Straßburg, 5. November 2008

Yes, you did it! Wie konnte ich daran zweifeln. Wenn sich jemand neu erfinden kann, dann seid Ihr es. Amerika. Wenn jemand den Mut zur Hoffnung hat, dann seid Ihr es. Amerika. Und wenn jemand seine Träume leben kann, dann seid Ihr es. Amerika. Yes, you did it. Ich gratuliere Euch von ganzem Herzen zu Eurer Wahl. Ihr habt Geschichte geschrieben. Ihr habt in einer Nacht die Herzen der Welt zurückerobert. Den Glauben an Eure Kraft. Meine Briefe waren nicht umsonst. Na gut, vielleicht lag es nicht nur an meinen Briefen. Ich stehe immer noch unter dem Eindruck der Rede, die Obama heute Nacht gehalten hat. Ich hab sie mir erst heute Morgen angesehen und ich schäme mich nicht, zuzugeben, dass ich eine Gänsehaut hatte und Tränen in den Augen. Und selbst als die Menschen sein »Yes, we can« wiederholten wie das »Herr, erbarme dich« in der Kirche, wirkte das mehr ergreifend als befremdend.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, die ganze Nacht aufzubleiben und alles live im Fernsehen zu verfolgen. Aber irgendwann bin ich dann doch vor Aufregungserschöpfung eingeschlafen. Vorher sah ich mir die Wahlübertragung mit einer alten Dame zusammen im Hotel an. Das war eine lustige Konstellation. Wir saßen allein im Salon des Hotels, eines dieser kleinen windschiefen Häuser in Straßburgs altem Viertel Petite France. Das Hotel gehört Mojgan, einer temperamentvollen Französin, die ursprünglich aus dem Iran kommt, und die Dame war ihre Mutter, Pouri Joon. Mit ihr schaute ich also die halbe Nacht CNN auf dem einzigen Fernseher, der darauf programmiert war.

Sie war deshalb so an den Wahlen interessiert, weil sie seit Jahrzehnten in den USA lebt und gerade bei ihrer Tochter zu Besuch war. Sie hatte den Iran vor der Revolution verlassen, zusammen mit ihrem Mann, der im Schah-Regime ein hoher Militär war, wie sie mir nicht stolz, aber mit Selbstbewusstsein erzählte, während wir erwartungsvoll auf den Fernseher starrten. Dazu hätte man natürlich spontan einige Fragen stellen können, aber das war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Außerdem war der persische Diktator von Präsident Johnson, von Nixon und selbst von Carter immer unterstützt worden. Deshalb würde sie vermutlich gar nicht verstehen, was ich am Schah und seinen Schergen rumzunörgeln hätte. Und mit dem jetzigen Regime läuft es ja nun auch nicht viel besser für die Iraner und für die Welt.

Sie flohen jedenfalls erst nach Straßburg und dann weiter nach Los Angeles. Ihre Tochter, meine Hotelbesitzerin also, wollte aber lieber in Frankreich bleiben, und so kam es also, dass wir gestern Nacht zusammensaßen. Pouri Joon hat inzwischen die amerikanische Staatsbürgerschaft, und natürlich fragte ich sie, ob sie denn schon gewählt habe, per Briefwahl. »Obama«, rief sie sofort, »ich habe Obama gewählt.« McCain sei ein alter Mann, sagte sie, und das war etwas amüsant angesichts ihres eigenen Alters. Natürlich habe ich nicht gefragt, wie alt sie ist, und ich will es hier auch gar nicht schätzen. »Außerdem muss sich dringend etwas ändern, und für einen wirklichen Wechsel steht glaubwürdig nur Obama«, das fügte sie noch hinzu, und dann starrten wir wieder auf den Fernseher und warteten auf die ersten Ergebnisse. Als Pennsylvania dann an Obama ging, waren wir zum ersten Mal etwas beruhigt.

Das Ermüdende trotz aller Spannung war, dass man wegen der verschiedenen Zeitzonen immer wieder eine Stunde warten musste, bis die nächsten Wahllokale schlossen. Und da wir ja in Frankreich schauten, wo man währenddessen natürlich einen guten Wein trinkt, fiel es doppelt schwer, sich wach zu halten. Jedenfalls ging ich irgendwann nach drei Uhr ins Bett, während die alte Dame weiter CNN schaute. Und als ich mich heute Morgen nach dem Aufwachen vergewisserte, ob Obama denn nun auch wirklich gewonnen hatte – yes, he did –, wäre ich am liebsten sofort ins Zimmer meiner neuen Freundin gestürzt, um sie zu umarmen. Aber das ging natürlich nicht. Dear Americans, wir danken Euch, jetzt beginnt eine neue Zeit.

Beste Grüße

Thomas

Ja, ein wenig pathetisch, ich weiß. Inzwischen sind wir nicht mehr ganz so berauscht. Aber genau so habe ich mich damals gefühlt und ihr ja auch – und überhaupt alle Menschen außerhalb Nordkoreas. Natürlich können Tagebucheinträge im Nachhinein ganz schön peinlich sein, aber dafür sind sie im Idealfall ehrlich – jedenfalls wenn man emotional drauflosschreibt und seine Gefühle nicht schon im Hinblick auf posthume Veröffentlichung des Nachlasses inhaltlich und sprachlich verdrechselt. Außerdem kann man daran messen, wie sich die Dinge entwickelt haben. Es muss sich etwas ändern, hatte meine iranisch-amerikanische Freundin gesagt, und das ginge nur mit Obama. Jetzt beginne eine neue Zeit, hatte ich natürlich noch einen draufsetzen müssen.

 

Aber war dem so? Kann ein Mann bei euch tatsächlich eine spürbare Veränderung in Gang bringen? Diese Frage hat mich seit der Wahl nicht mehr losgelassen, also habe ich mich auf den Weg gemacht, um kreuz und quer durch euer Land zu reisen, auf der Suche nach dem »neuen« Amerika. Und damit auch nach dem »guten, alten«, nach meinem Amerika.

Kurz bevor ich aufbrach, schrieb ich noch schnell eine euphorische Mail an Glenn Lowry, den Direktor des Museum of Modern Art in New York. Von wegen, welche Auswirkungen der Wandel, den Obama bringt, auch auf die amerikanische Kultur hat. Damit ich die coolen Ausstellungen bei den Reiseplanungen berücksichtigen konnte. Seine Antwort war ziemlich ernüchternd:

Lieber Herr Kausch,

ich denke, es ist viel zu früh, um sagen zu können, ob Obama irgendeine Wirkung von Bedeutung auf die amerikanische Kultur haben wird, und ich bin nicht sicher, ob Sie wirklich »Ihr Amerika« zurückhaben. Ich möchte nicht wie ein Skeptiker klingen, aber ich fürchte, die Eile, Obamas Wahl und die vermeintlichen Veränderungen, die sie bringen wird, zu feiern, ist wahnsinnig verfrüht. Natürlich hoffe ich, dass seine Präsidentschaft viel des Schadens wiedergutmacht, den die vorherige Führung angerichtet hat, und dass er eine neue Zielstrebigkeit einleiten wird, aber diese Dinge brauchen Zeit, und ich fürchte, schon den Beginn seiner Präsidentschaft zu feiern, ist doch ein unvernünftiger Überschwang – wir wollen den Wandel so sehr, dass wir uns einbilden, er sei schon da, lange bevor das wirklich der Fall ist.

Mit freundlichen Grüßen G.

Hm. Ja, das klingt einleuchtend, sehr vernünftig. Aber es wird Obama trotzdem nicht gerecht, denke ich. Kein amerikanischer Präsident und auch kein deutscher Bundeskanzler oder sonst irgendein demokratisch gewählter Regierungschef hat sich je in solch atemberaubendem Tempo an die Veränderung seines Landes und dessen Stellung in der Welt gemacht wie Barack Obama. In seinem ersten Amtsjahr hat er jedes heiße Eisen angepackt und versucht, es umzuschmieden. Es waren viele Eisen, und sie lagen oft gleichzeitig im Feuer. Natürlich wusste er auch, dass er sie schmieden musste, solange sie heiß waren. Solange er heiß war. Man kann es also auch anders sehen als Glenn Lowry, so wie das norwegische Nobelpreis-Komitee zum Beispiel, das beschloss, den Friedensnobelpreis 2009 an Präsident Barack Obama zu vergeben für seine außergewöhnlichen Bemühungen zur Stärkung der internationalen Diplomatie und zur Zusammenarbeit zwischen den Völkern. Und zu den Bedenkenträgern sagte der Vorsitzende des Komitees, Thorbjörn Jagland, noch: »Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, ob irgendwer im Jahr 2009 mehr für den Frieden in der Welt getan hat als Barack Obama.«

Ich meine, was hat die deutsche Regierung in dem Jahr gemacht? Nur mal so zum Vergleich. Hier wurde auch mit der Wirtschaftskrise gekämpft. Stimmt. Und dann waren da noch die Wahlen im September, genau, »Wir haben die Kraft«, Yes, we can, selbst den Slogan noch von Obama geklaut, und dann gab es eine neue Regierung, EINENEUEREGIERUNG!, aber hat einen das berührt? Ungefähr so viel wie der Wechsel von Sommer- auf Winterreifen. Seltsam, oder? Was gab es denn noch? Die Abwrackprämie, stimmt auch, die habt ihr sogar von uns übernommen. Leider war sie ja ökonomisch und ökologisch nicht so sinnvoll. Dann gab es bei uns noch die Landtagswahlen, die waren auch faszinierend, aber sonst? Was wurde angestoßen? Was wurde auf den Weg gebracht? Was womöglich umgesetzt? Visionen? Pläne? Ideen? Menschen inspiriert? Menschen wenigstens interessiert? Nichts? Nada? Niente? Obwohl doch sogar Wahlkampf war? Das ganze Jahr über, irgendwo. Da wirbt man doch mit Ideen? Hm. Schon bemerkenswert, oder?

Ich habe mit Aberdutzenden von euch gesprochen, im Norden, Süden, Westen und Osten, mal intensiv, mal nur ein Pläuschchen, mal zufällig, mal geplant, mit Armen und Reichen, Schwarzen und Weißen, Jungen und Alten, Dicken und Dünnen, und wohin ich auch kam und mit wem ich auch sprach, mit jedem, mit wirklich jedem konnte ich über Obamas Visionen, Ideen und Pläne reden. Nicht jeder fand sie gut, natürlich, aber jeder war informiert und jeder hatte eine Meinung. Alle waren von diesem einen Mann inspiriert worden, überhaupt mal wieder politisch zu denken. Alle waren interessiert an dem, was jetzt passiert. Und wirklich alle – meinen Respekt – wussten Bescheid. Die Concierge in Washington, die Herrenrunde in der Sauna in Chicago, Paul, der Ölbohrer, auf dem Weg nach Dallas, Uwe Sponholz in San Francisco, der es vom Lagerjungen zum Millionär gebracht hat, Bruce, der mal Speerwerfer in Rhodesien war und jetzt in Santa Barbara lebt, Beau St. Clair in Los Angeles, die alle Pierce-Brosnan-Filme produziert, oder Ponce, James Ponce, in Palm Beach, Florida, der früher die reichen Frauen als »Walker« zu den Galas begleitete. Und viele, viele mehr, mit denen ich gesprochen habe. Ein paar Briefe und E-Mails habe ich auch geschrieben an Promis und Präsidenten, und was man da so als Antwort bekommt, ist auch sehr interessant. Also, gehen wir auf die Reise durch das »neue« Amerika.

 

Herzlich, Thomas

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1. Man geht wieder aufrecht – in Washington

Bei der Passkontrolle läuft alles ganz glatt. Ms. Crookstone von der Homeland Security (Fräulein Ganovenstein – witziger Name für eine Sicherheitsbeamtin, aber das hab ich natürlich nicht gesagt, man will ja nicht gleich wieder nach Hause geschickt werden) fragt einfach nur, ob ich vor der Einreise auf einer Farm war, und das kann ich verneinen, das war ich wirklich nicht. Außerdem gibt es in Amerika mehr Schweinegrippefälle als in Deutschland, wenn sich also einer Sorgen machen müsste, dann ja wohl eher ich, aber das hab ich natürlich auch nicht gesagt. Mein erster Eindruck ist jedenfalls, dass sie bei der Einreise jetzt freundlicher sind, und allein dafür hätte sich Obamas Wahl ja schon gelohnt.

Der Taxifahrer ist Afroamerikaner. Er hält auf meinen ausdrücklichen Wunsch einen angemessenen Abstand zum Wagen vor uns, und wir zuckeln langsam Richtung Hauptstadt in der exklusiven Flughafenspur auf der staufreien Autobahn. Alles ist super, und es ist so gemütlich, dass der Fahrer langsam mit dem Kopf auf das Lenkrad zu sinken scheint. So sieht es wirklich aus, weshalb ich ihn lieber frage, ob er denn noch wach sei. Doch dann ist es plötzlich nicht mehr gemütlich, denn er wird sehr, sehr sauer. Ob seine Fahrweise irgendeinen Anlass zur Beschwerde gebe, will er wissen, und das tut sie ja nicht, das muss ich verneinen, es war ja nur so ein Eindruck. Aber das Kind liegt jetzt ganz unten im Brunnen. Das würde ihn sehr verletzen, dass ich so eine Frage gestellt habe. Es gehe hier nicht nur um mich, er sei Familienvater. Ob ich wirklich glauben würde, dass er sein Leben aufs Spiel setzen wolle, für wen ich ihn halte, für dumm vielleicht? (Für einen dummen Schwarzen?) Und dann sagt er gar nichts mehr für den Rest der Fahrt. Ich habe natürlich ein schlechtes Gewissen, finde aber andererseits, dass er sich da jetzt auch ein bisschen reingesteigert hat. Na, was will man machen. Dafür, dass es das erste Gespräch in Washington war, ist es im Großen und Ganzen ja so schlecht wieder auch nicht gelaufen. Man hat schon mal einen Eindruck bekommen. Man hat gespürt, dass da ganz schnell so ein Schwarz-Weiß-Ding entstehen kann, wenn man nicht aufpasst. Trotz Obama. Man muss aufpassen, das hat man schon mal gelernt.

Ein Concierge weiß alles

Am nächsten Tag bin ich um neun Uhr früh mit Julie Saunders verabredet, sie ist Concierge im Four SeasonsHotel in Washington. Das hier ist ein Handyfoto von ihr. Hab ich von den meisten meiner Gesprächspartner gemacht. Seit ich Reporter bin und unterwegs in der Welt, gehe ich immer auch zu den Concierges in die Grandhotels, wenn ich mal hören will, was gerade los ist in einer Stadt: wer da ist, worüber geredet wird – auch in den Hinterzimmern, wie die Geschäfte gehen, was angesagt ist, eben wie die Stadt gerade so tickt. In Wien bin ich beispielsweise während meiner Zeit als dortiger Korrespondent immer mal wieder auf einen Plausch zum Concierge vom Hotel Sacher gegangen. Es gab nichts, was der nicht gewusst hätte. Ein guter Concierge in einem Grandhotel weiß nicht nur alles, er kann auch alles organisieren. Das ist sehr rätselhaft, und praktisch und kann nur zum Teil gelernt werden. Denn ein Concierge ist nicht nur freundlich, er hat Persönlichkeit und Autorität und meist auch schon die Welt gesehen. Und er kennt sich mit den Merkwürdigkeiten der Menschen aus. Denn obwohl der Gast beim Einchecken seine Adresse und Kreditkartennummer angibt, fühlt er sich im Hotel paradoxerweise irgendwie anonym und glaubt, dort Dinge tun zu können, die ein bisschen verboten sind. Pornos gucken, Drogen nehmen, Zwangsprostituierte aufs Zimmer bestellen, Bademäntel klauen. Ein guter Concierge ist also immer ein guter und weiser Gesprächspartner. Ich kann das jedenfalls nur empfehlen. Übrigens fahre ich auch durch jede neue Stadt einmal mit dem Doppeldecker-Touri-Bus – ebenfalls sehr zu empfehlen. Ich weiß, man will kein Touri sein, aber für den groben Überblick und ein erstes Gefühl ist das wirklich praktisch. Vorsicht nur in San Francisco: Dort gibt es mehrere Betreiber, die alle nebeneinander am Union Square sind. Auf keinen Fall den blauen Bus von den Super Sightseeing Tours nehmen! Die Fahrzeuge sind zwar tipptopp, aber die Tourguides sind furchtbar, und die Busse halten an den ganz falschen Stellen.

Julie ist um die 40. Sie hat sehr schöne grünblaue Augen, die hinter einer mit Strass besetzten Sekretärinnenbrille glänzen, die man wiederum gar nicht vermisst, wenn sie sie abnimmt. Sie hat aber eine ganz unamerikanisch angenehme Frauenstimme. Denn bei vielen ihrer Landsmänninnen gehen die Stimmen am Schluss des Satzes immer hoch, so als sei da ein Fragezeichen am Ende? Julie klingt vielmehr ein wenig verschwörerisch, so dass jede Information eine große Aura von Exklusivität umgibt. In Amerika gibt es übrigens inzwischen vermutlich mehr weibliche als männliche Concierge weil sie bessere Teamplayer sind. Die männlichen Concierges in europäischen Grandhotels sind dagegen oft kleine Ich-AGs hinter ihrem Schalter. Zum Beispiel auch im Hotel Atlantik, wo sich Udo Lindenberg sein ganzes chaotisches Leben organisieren lässt.

Julie ist seit 1983 in Washington. Die erste Inauguration, die sie miterlebt hat, war die zu Ronald Reagans zweiter Amtszeit 1984.

»Dieses Mal war es anders, als alles, was ich erlebt habe. Das ganze Ambiente war anders, die Menschen waren so aufgeregt, ich habe nie so eine freudige Erwartung gesehen, so eine positive Einstellung, so eine großzügige Stimmung, so eine Freundlichkeit. Es war großartig, großartig! Man spürte, da hat sich gewaltig etwas verändert. Und auch wenn die Dinge inzwischen wirtschaftlich schwierig geworden sind, nicht nur hier, weltweit, in Washington wird das doch ein bisschen abgefedert, weil Washington eben ist, was es ist, eine politische Stadt, an der kein Weg vorbeiführt. Die Leute müssen nach Washington kommen, die Regierung um Geld bitten und ihr Lobbying hier betreiben. Neulich sagte ein Gast: Washington ist die neue Wall Street, das Geld kommt nicht mehr aus New York, sondern aus Washington, all die Subventionen …«

»Kommen auch mehr Touristen?«

»Ja, es ist alles anders als in den vergangenen acht Jahren. Obama isst einen Hot Dog in Ben’s Chili Bowle, das sich seit 50 Jahren in der U-Street befindet und niemanden interessiert hat, bis eben Obama da einen Hot Dog gegessen hat und nun jeder dorthin will. Neulich kam ein Gast aus Singapur und fragte mich, wo Ben’s Chili Bowle sei, er wollte da hin, einen Hot Dog essen. Viele Eltern kommen mit ihren Kindern, weil sie wollen, dass die Washington sehen, vielleicht Obama. Und es kommen viele Afroamerikaner zu Besuch, weil sie stolz sind.«

Und Julie ist ganz offensichtlich auch selbst sehr stolz, denn sie redet sich in Begeisterung: »Man hat den Eindruck, als ginge jetzt jeder in Washington aufrechter, stolzer eben. Und das können wir ja auch. Ich meine, Obama, das ist ein sehr intelligenter Mann, der sich ausdrücken kann, der eine Familie hat, um die er sich sorgt – und das, während er sich um die Nation kümmern muss. Er hat so eine Präsenz, die sehr positiv ist und viele Menschen über die ganze politische Bandbreite hinweg inspiriert. Selbst wenn man nicht für ihn gestimmt haben sollte, spürt man die positiven Erwartungen. Okay, er hat etwas an Beliebtheit verloren wegen der Wirtschaft und der Gesundheitsreform, aber das war ja zu erwarten. Der Mann steht voll in der Schusslinie, und er kann schließlich nicht alles alleine machen. Aber wenn wir über den Wandel reden: Ja, da ist eine positive Stimmung. Die Leute übernehmen auch wieder selbst Verantwortung, sie engagieren sich, sie beteiligen sich. Die Intensität dieser Zeit pusht die Leute, pusht Kreativität. Man kann so viel mehr ausprobieren in dieser neuen Stimmung der Toleranz.«

»Wow, und ist das alles ein Obama-Effekt?«

»Nein, Obama ist eine Inspiration. Der Biogarten zum Beispiel, den Michelle im Weißen Haus angelegt hat, das ist eine Inspiration für viele, vielleicht gesünder zu essen, vielleicht mehr lokale Produkte zu nutzen, vielleicht mehr selberzumachen. Obama ist nur das Symbol für den Wandel. Menschen können ihre Vorstellungen projizieren. Jeder kennt zwar einen, der entlassen wurde, aber auch jemanden, der Erfolg hat. Es gibt ein Gefühl, dass Dinge möglich sind oder bald wieder möglich sein werden. Wie sehen Sie das denn als Journalist?«

»Na, wir sind ja die größten Obama-Fans in Deutschland. Nur Kenia liegt vor uns.«

Tatsächlich hat sich die Zustimmung zu Amerika in Obamas erstem Regierungsjahr in ganz Europa vervierfacht. Von 18 Prozent unter Bush auf 79 Prozent unter Obama. 92 Prozent der Deutschen finden es gut, wie Obama Politik macht, hat der German Marshall Fund ermitteln lassen.

»Aber nicht nur die Bürger«, antworte ich Julie, »auch die Regierungschefs, wenn man die auf den Gipfeln sieht, benehmen die sich wie Teenie-Fans: Alle wollen bei Obama stehen, vor allem die Kleinen, Berlusconi, Sarkozy.«

Das ist doch wirklich lächerlich, oder? Wenn ich an das Foto beim 60-jährigen Nato-Geburtstag in Straßburg denke, muss ich mich immer wieder totlachen. Sarkozy wollte die Obamas unbedingt auch mal allein für sich haben, nur deshalb fand der Gipfel nicht nur in Deutschland statt, wie ursprünglich mal geplant, sondern auch auf der französischen Seite, in Straßburg eben, da konnte Sarko Obama noch mal mit allem Pomp als Staatsgast empfangen, und es gab natürlich das entsprechende Foto. Wie die Orgelpfeifen stehen da von links nach rechts Barack Obama, Michelle, Carla Bruni, und die kleinste Pfeife ist Sarkozy und das, obwohl er sich nicht nur extrahohe Absätze an die Schuhe genagelt hat, sondern sogar noch auf Zehenspitzen steht. Was in den Zeitungen natürlich genüsslich in Großaufnahme gezeigt wird. Ich meine, die stehen vor Hunderten Fotografen auf dem roten Teppich, und Sarko glaubt, das merkt keiner, wenn er fröhlich grinsend winkt wie Louis de Funès und dabei auf Zehenspitzen steht? Oder er kann einfach nicht anders, ein Reflex. Der arme kleine Mann. Und seine arme große Frau, die zu ihren tollen Kleidern nur noch diese Ballerinaschläppchen tragen kann.

Oder Brown, auch so ein Fall, der britische Premierminister. Zu Hause steht ihm das Wasser bis zum Hals, weil ständig irgendwo ein politisches Rohr platzt, und deshalb pusht er gewaltig dafür, dass er als erster europäischer Regierungschef ins Weiße Haus kommen darf, also der Wichtigste ist, wow, und er schafft es tatsächlich und dann dankt er Obama untertänig für die »Inspiration«, die der der Welt »in diesen sehr schwierigen Zeiten« gebe. Was man da wohl denkt, wenn man sich als ausgewachsener Premierminister so anschleimt und zugleich weiß, dass niemand das Gleiche über einen selbst denkt. Obamas Willkommensgeschenk für Brown ist jedenfalls eine DVD-Kollektion amerikanischer Filme, inklusive »Psycho«!

»Also in Europa finden wir Obama jedenfalls toll«, sage ich.

»Ja, das habe ich auch bemerkt«, sagt Julie, »aber es gibt natürlich auch andere, auch hier bei uns. Mein Mann und ich sind neulich durch Virginia gefahren, über Land. Wir kamen an einem Waffengeschäft und einer Schießanlage vorbei, und der Parkplatz war überfüllt. Ein Bekannter arbeitet in einem Laden, der auch Waffen verkauft, und er hat erzählt, dass die Leute zurzeit extrem viele Waffen kaufen – darüber hört man nicht viel in den Nachrichten. Sie bereiten sich vor, auf was immer da kommen mag in diesen Zeiten. Dass sind also die, die nicht so wahnsinnig überzeugt sind, dass alles besser wird.«

»Aber diese Leute haben ja weniger Angst, dass sie von Arbeitslosen überfallen werden, wenn die Zeiten schlechter werden, sondern, dass Obama die Waffengesetze wieder verschärft. Deshalb decken sie sich ein. Gibt es eigentlich weniger Lobbying als früher?«

»So wie ich das beobachte, sind unter den Gästen, die in den Hotels absteigen, genau so viele Lobbyisten wie früher, denn die Interessen der verschiedenen Gruppen sind ja immer noch da. Manche Strukturen brechen ein, das ist gut, manche sterben aus, und das ist auch gut, dann können Neue nachrücken. Manche Abgeordnete und Senatoren sind schon zu lange in Washington. Viele lesen die ganzen Gesetzesanträge und Änderungen doch gar nicht mehr persönlich. Sie lassen das lesen, dann lassen sie sich Empfehlungen geben und entscheiden schließlich etwas, ohne daran zu denken, welche Bedeutung es für die einzelnen Menschen hat.«

Das Gespräch, das so euphorisch begonnen hat, endet nachdenklich. Julie empfiehlt mir zur Aufmunterung den neuen Hot Spot in der Stadt, die Dachterrasse des W Hotels, das im Sommer im alten Washington-Hotel gleich neben dem Weißen Haus aufgemacht hat.

Obama mixt die Barszene auf

Wie gesagt, ich nehme in jeder neuen, großen Stadt den roten Doppeldecker. Hop on, Hop off, kann man auch oft als Taxi benutzen, wie jetzt zum W Hotel. Die Fahrerin des Busses fährt allerdings wie der Henker. Wir kommen auch am berühmten Arlington-Friedhof vorbei – der mit den vielen weißen Grabsteinen. 300000 Menschen sind hier beerdigt. Jetzt auch Senator Ted Kennedy neben seinen Brüdern John und Robert. Vor uns fährt noch so ein Bus, und auf dessen Rückseite ist ein großes Obama-Plakat: Obama aus Wachs, Werbung für Madame Tussauds, das es ja mittlerweile überall zwischen Olpe und Ohio gibt, aber ich empfehle das Original in London. Dort steht Obama in der Oval-Office-Deko neben dem Präsidenten-Schreibtisch, auf dem wiederum ein Telefon steht. Als Besucher kann man sich dann dahin setzen und durchs Telefon Befehle geben wie ›Abzug aus dem Irak, und zwar dalli!‹, und Obama steht daneben und lächelt dazu. Schönes Foto. Hab ich natürlich auch von mir machen lassen, als ich dort war. Melia und Sasha, die Töchter der Obamas, waren auch bei Madame Tussauds, als sie ihre Eltern zum G20-Gipfel nach London begleitet haben. Muss ein merkwürdiges Gefühl sein, den Papa da in Wachs zu sehen, und alle wollen danebensitzen und sich fotografieren lassen.

Na, jedenfalls frage ich den schwarzen Schaffner im Bus mal, was er denkt, wenn Obama so vor ihm herfährt. Ja, blöde Frage, weiß ich, aber man muss ja auch erst mal warmwerden. Man muss da ein Gefühl entwickeln, wenn man die Leute einfach so anspricht. Man muss langsam eine Aura aufbauen, und dann strahlt man das auch aus, dass die Leute einem vertrauen können. Jetzt will der junge Mann aber erst mal meinen Presseausweis oder so was sehen, und wenn ich was wissen will, muss ich sowieso das Management fragen, er kann da gar keine Auskunft geben. Ich gebe ihm meine Karte und beruhige ihn, keine Sorge, kein Interview, was Offizielles schon gar nicht, nur mal so gefragt, was ihm denn da durch den Kopf geht, wenn Obama vor ihm herfährt. Er heißt Luther, ist Anfang 20, hat einen Ehering am Finger und die gleiche Frisur wie Obama.

»Ja, er macht einen guten Job, Mann, aber es wird mehr als vier Jahre dauern, alles zu erledigen. Es braucht Zeit, Mann.«

»Und, haben Sie so viel Geduld?«

»Ja, ich bin positiv, ich hab Geduld.«

Na also, das war’s doch schon, Luther. Nächster Stopp: Hauptbahnhof. Jede Menge Obdachlose liegen auf den Bänken. Ja, es wird mehr als vier Jahre dauern. Immerhin fahren die Stadtbusse klimafreundlicher mit Gas – steht groß an ihnen dran –, und da fällt mir auf, dass ich in ganz Washington erst einen einzigen Smart gesehen habe. Und dabei soll es übrigens auch bleiben. Ein einziger Smart in ganz Amerika. Gut, das Land ist groß, und ein Smart ist klein, vielleicht gibt’s noch einen, und ich hab ihn übersehen. Aber da ist auf jeden Fall noch Potenzial, jetzt wo Amerika doch grün wird. Man hört übrigens auch fast keine Polizeisirenen in Washington. Kein Vergleich zu New York, wo ständig irgendwo eine heult. Und die Parkscheinautomaten sind in Washington fast exakt genauso wie in Berlin. Ist doch ein Ding, oder? Was einem so auffällt.

Wir fahren am Ford-Theater vorbei, wo Lincoln erschossen wurde. Das würde heute nicht mehr passieren, denn gleich nebenan ist jetzt das FBI-Gebäude. Ein hässlicher Klotz und nicht der einzige in Washington. Lincolns Mörder war übrigens ein berühmter Schauspieler, der die Tat natürlich vor großem Publikum im Theater begehen musste. Nach dem Attentat stürzte er sogar noch versehentlich aus der Loge des sterbenden Präsidenten und floh mit gebrochenem Bein über die Bühne. Was für ein Stoff! Kein Wunder, dass mehr als 150 Filme und Dokus darüber gemacht wurden. Lincoln wurde quer über die Straße getragen, auf der wir jetzt mit dem Bus fahren, und starb Stunden später in einem kleinen Haus direkt auf der anderen Straßenseite an seinen Verletzungen, weshalb das Haus jetzt berühmt ist. Auf dem Schild davor steht: »Haus, in dem Lincoln starb«. Das sagt ja auch alles.

Am Haus, in dem Obama lebt, steige ich aus. 1600 Pennsylvania Avenue, den Anblick kennt man aus zahllosen Reporter-Schaltgesprächen: der Reporter links im Bild, brustgroß, schwarzer Zaun und dahinter in einiger Entfernung die Rückseite des Weißen Hauses mit schönen Balkonen, auf denen die Präsidentenfamilie nie sitzen darf, damit sie nicht erschossen werden kann. Vor dem Zaun drängen sich schwitzende Menschen aus aller Welt, die alle so fotografiert werden wollen wie sonst die Reporter. Man berührt sich gegenseitig, denkt kurz an die Schweinegrippe, stellt fest, eigentlich ist das Bild so spannend auch nicht, und beschließt, man zieht dann besser mal weiter.

 

Julie hat nicht übertrieben. Der Blick von der Terrasse des W Hotels ist so spektakulär wie exklusiv. Schon unten am Fahrstuhl wird die Reservierung gecheckt, ohne kommt man gar nicht erst rauf. Oben ist dann alles super loungig, unter einem das altehrwürdige Gebäude des Finanzministeriums und direkt dahinter das Weiße Haus. Seitenblick auf den Ostflügel. So habe ich es noch nie gesehen. Das ist wirklich eine ungewöhnliche Perspektive. Das Weiße Haus ist eingebettet in eine Kakophonie verschiedenster Architekturen: von klassizistisch über 60er Jahre bis modern. Ein normales Kamerateleobjektiv reicht, um fast in die Fenster schauen zu können. Die Obamas dürfen wirklich nie am Fenster stehen. Wie leben die da eigentlich? Sie können nicht auf die Balkone und nicht ans Fenster. Wie soll man da Kinder großziehen? Wie soll man überhaupt Kinder großziehen im Weißen Haus? Es gibt ein Kino, eine Bowling-Bahn, ein halbes Dutzend Köche und Dutzende Haushaltshilfen, die jederzeit bereit sind, alle Wünsche zu erfüllen. Es gibt Reisen in ferne Länder, Abendessen mit Königen und Prominenten, Blitzlichtgewitter, wo immer man auftaucht, und rasante Blaulichtfahrten in schweren Limousinen. Wie soll man seinen Kindern erklären, dass das alles nichts bedeutet, sie bitte ganz normal und auf dem Teppich bleiben sollen, und zwar nicht auf dem roten? Einer Zehn- und einer Siebenjährigen. »Nun«, erklärt Michelle Obama, »das Erste, was ich dem Personal gesagt habe, war: Machen Sie nicht ihre Betten. Machen Sie meine. Vergessen Sie die Kinder. Die müssen das selbst lernen.« Im Weißen Haus gelten angeblich die gleichen Regeln wie zuvor in Chicago. Um 20 Uhr ist Bettgehzeit, der Wecker muss selbst gestellt werden, und die Mädchen müssen selbständig aufstehen und sich für die Schule fertig machen. Sie müssen die Betten selbst machen und ihre Zimmer aufräumen. Also, da kenne ich Mädchen, die dann vielleicht doch lieber keine Präsidententöchter sein würden.

Oben auf dem Dach des Weißen Hauses – sozusagen auf Augenhöhe mit mir – stehen zwei Sicherheitsmänner, die sich in meine Richtung drehen, und plötzlich schauen sie mit ihren Ferngläsern direkt in mein Teleobjektiv! Unwillkürlich zucke ich zusammen, drehe mich um und rechne damit, dass jeden Moment die Terrasse gestürmt wird und ich verhaftet werde. Aber als ich micht traue, wieder rüberzuschauen, haben sich die Männer auf dem Dach schon weitergedreht und blicken woanders hin. Puh, das war haarscharf. Man muss auch mal Glück haben im Leben.

 

Ich hatte Julie noch gefragt, wo ich mir eine amerikanische Prepaidkarte für mein deutsches Handy besorgen könne – da spart man ja enorm, es ist gar kein Problem und völlig legal. Sie wollte mir noch Bescheid sagen, aber plötzlich kommt der Concierge des W Hotels auf die Terrasse und überbringt mir einen Umschlag, in dem sich die Wegbeschreibung zum nächstgelegenen T-Mobile-Shop befindet. Ich habe das nicht so dahingesagt: Concierges sind rätselhafte, wunderbare und schützenswerte Wesen, die man vorm Aussterben bewahren muss. Außerdem hat Julie auf diese Weise den W-Hotel-Concierge auf den Deutschen da oben aufmerksam gemacht, was wiederum dazu führt, dass kurz darauf Logan Skidmore, der Food&Beverage Manager, vor mir steht mit einem kleinen Potpourri aus Vorspeisen, zu dem er mich gerne einladen möchte. Er wurde nämlich in Nürnberg geboren und lebte dort bis zu seinem zwölften Lebensjahr. Das ist dann schätzungsweise das erste Drittel seines Lebens gewesen und so lange her, dass er sich nicht mehr traut, auch nur ein einziges Wort Deutsch zu sprechen. Seine Eltern sind allerdings auch beide Amerikaner, sie waren damals beim Militär und in Deutschland stationiert.

Logan sieht gut aus, cool, er könnte auch Schauspieler sein: durcheinandergegelte blonde Haare, lässiger schwarzer Anzug, weißes Hemd, weit aufgeknöpft. Wie man hier eben so aussieht. Logan meint, es sei kein Zufall, dass die hippen Hotels jetzt auch nach Washington kommen. Ganz klarer Obama-Effekt. Washington sei wieder cool. Auch neue coole Bars würden aufmachen, für die nächsten zwei Jahre hätten viele Berühmtheiten aus der Bartenderszene ihren Umzug nach Washington geplant. Sasha Petraske zum Beispiel.

Sasha wer?

Sasha Petraske, das ist der Cocktail-Star, und er hat sich jetzt für Washington entschieden. Sein erstes Lokal in New York war das berühmte Milk & Honey,134 Eldridge Street in der Lower East Side, in alter Speak-Easy-Tradition, aber die Cocktails sind Pre-Prohibition.

Pre?

Pre-Prohibition, das steht sogar in der New York Times, ist eine Philosophie:

»Diese Schule wurde vom späten 19. und frühen 20. Jahrhundert inspiriert, als Bartending eine öffentliche und extravagante Kunst war. Gemeinhin – wenn auch nicht ganz korrekt – als Pre-Prohibition bezeichnet (denn manche großartigen Drinks wurden erst während der trockenen Jahre erfunden), repräsentiert dieser Stil eine konsequente Ästhetik von Kleidung (Ärmelhalter und Westen) über Dekor (Mahagoni und Gaslichter) und Sprache (Speisekarten, die sich wie Flugblätter lesen) bis hin zur Körperpflege (der gewichste Schnurrbart). Sasha Petraske vom Whitestar und Milk & Honey in New York hat dem Speak-Easy-Ethos eine trendige Downtown-Coolness gegeben.«

Die Homepage vom Milk & Honey ist auch cool: »Mehr als 15-minütige Verspätung führt zum Verlust der Reservierung. Bei Nichterscheinen: 50 Dollar. Cash only«, steht da. Diese New Yorker.

Ach ja, New York. New York, New York. Das waren noch Zeiten …

Die Vorgeschichte

»Fuck – fuck, fuck, fuck.« Das war das Erste, das ich dachte, als mir die Taxitür abgefahren wurde. Anfang der 90er. Tür auf – Tür ab, das ging ganz schnell. Keine Komplikationen. Ich war gerade erst vier Wochen in New York, und mein Wortschatz war in Krisensituationen noch wenig differenziert, was übrigens ein Unding ist. Ich meine, ich hatte Englisch studiert, aber ich konnte es kaum sprechen, als ich nach Amerika kam. Das muss man sich mal vorstellen, fast das ganze Englischstudium lief auf Deutsch ab. Nur die Prüfung, die war dann auf Englisch. Thank you very much. Irgendwie hab ich’s geschafft, aber wie ich die drohende Auseinandersetzung mit dem Taxifahrer jetzt führen sollte, war mir schleierhaft.

Eingestiegen in dieses Taxi war ich in der Upper East Side, der feinsten Gegend von Manhattan, da wohnte ich. Leider ein bisschen zu weit oben, 88. Straße, zwischen Lexington und 3rd, ich wohnte im Kolpinghaus. Dort zu wohnen ist auf eine eher subtile Art cool. Kennt man auch gar nicht in Amerika, Kolpinghaus. Kennt man bei uns ja auch nur noch als kleinbürgerliche Großkneipe mit Veranstaltungssaal hintendran und im Idealfall noch mit Kegelbahn. Dabei war Adolf Kolping ein Großer. Er starb 1865, im gleichen Jahr wie der große Abraham Lincoln, und lebte auch seinen Traum: vom Schuhmacher zum katholischen Priester und Hoteltycoon. Nein, das ist übertrieben und albern, Hoteltycoon. Kolping hatte ein christliches Anliegen, und in den Herbergen des Kolpingwerks sollten sich die wandernden Handwerker wohl fühlen können wie bei Muttern. Das Haus in New York gibt es schon seit 1914, und es schien nur auf mich zu warten: Ich war katholisch, ich war auf Wanderschaft, ich kannte keinen Menschen, voilà, ich zog ins Kolpinghaus. Yorktown. Das war ja auch mal das Viertel der deutschen Einwanderer, die 86. Straße war der Sauerkraut-Boulevard.

Es gibt übrigens mehr Amerikaner mit deutschen Wurzeln als jeder anderen Herkunft. Rund 43 Millionen Amerikaner – jeder sechste Einwohner – gaben bei der letzten Volkszählung im Jahr 2000 an, deutsche Vorfahren zu haben. Steht jedenfalls auf der Homepage der amerikanischen Botschaft in Berlin. Vielleicht wollen die sich auch nur bei uns einschleimen, aber das glaube ich nicht. Damals gab es jedenfalls in der Gegend oben in Manhattan nur noch ein deutsches Café, das Edelweiß – muss man nicht reingehen –, und die Traditionsfleischerei Schaller & Weber, wo auch Marlene Dietrich gekauft haben soll. Man muss allerdings schon ein ganz feines Näschen haben, um den Hauch von Glamour da noch zu riechen zwischen all den deutschen Würsten.

 

Im Kolpinghaus kann man immer noch billig wohnen. Das Zimmer – man könnte auch Zelle sagen – kostet rund 200