Deep Blue Love - Nadine Stenglein - E-Book
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Deep Blue Love E-Book

Stenglein Nadine

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Beschreibung

Liebe undercover auf Sylt
Der fesselnde Nordsee-Liebesroman für schöne Lesestunden

Als sich die angehende Journalistin Maya während eines heftigen Sturms auf dem Weg nach Hause von einer Strandparty befindet, entdeckt sie ein auf dem Meer treibendes Boot, das von drei jungen Männern scheinbar absichtlich zum Kentern gebracht wird. Ihre Beobachtung lässt ihr keine Ruhe, und als dann noch publik wird, dass der junge Hollywood-Schauspieler Paul Duval bei einem Bootsausflug in der Nordsee ertrunken sein soll, ist ihr Spürsinn geweckt. Maya beginnt auf eigene Faust zu ermitteln und macht dabei eine Entdeckung, die nicht nur ihr Leben auf den Kopf stellt, sondern bei der sie auch ihr Herz verliert …

Erste Leserstimmen:
„Mitreißender und bewegender Liebesroman, der einiges bereit hält.“
„Eine spannende Story mit interessanten Wendungen vor romantischer Nordseekulisse.“
„Mich hat die Geschichte sehr gerührt und ich habe viel für mich selbst aus der Lektüre mitgenommen.“
„Drama, Liebe und Abenteuer – alles dabei und immer unterhaltsam!“

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Seitenzahl: 464

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Über dieses E-Book

Als sich die angehende Journalistin Maya während eines heftigen Sturms auf dem Weg nach Hause von einer Strandparty befindet, entdeckt sie ein auf dem Meer treibendes Boot, das von drei jungen Männern scheinbar absichtlich zum Kentern gebracht wird. Ihre Beobachtung lässt ihr keine Ruhe, und als dann noch publik wird, dass der junge Hollywood-Schauspieler Paul Duval bei einem Bootsausflug in der Nordsee ertrunken sein soll, ist ihr Spürsinn geweckt. Maya beginnt auf eigene Faust zu ermitteln und macht dabei eine Entdeckung, die nicht nur ihr Leben auf den Kopf stellt, sondern bei der sie auch ihr Herz verliert …

Impressum

Erstausgabe März 2021

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96817-586-7 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-642-0

Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Jenny Sturm, © Bokeh Blur Background istockphoto.com: © vladans Lektorat: Astrid Rahlfs

E-Book-Version 27.06.2023, 12:59:39.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Deep Blue Love

Sturmböen

Langsam wurde es ungemütlich am nördlichen Strand von Westerland. Über dem Meer braute sich ein Sturm zusammen. Der Wetterdienst behielt Recht mit seiner Voraussage für den Abend. Ich rollte die dünne Bambusmatte, auf der ich bis eben gesessen hatte, zusammen, als ein erster Blitz über dem sich langsam aufbauschenden Meer den wolkenverhangenen Himmel durchschnitt, gefolgt von einem dumpfen Donnergrollen. Hastig wischte ich mir den Dünensand von den Füßen und schlupfte in die roten Turnschuhe, während ich einen Blick in die Runde meiner Bekannten warf, unter denen auch mein werter Kollege Eric weilte, der mit den anderen bei einem weiteren Bier über alte Witze lachte. Sie alle waren schon mehr als angeheitert. Insbesondere Angelique Dihab, Erics neue Praktikantin, schien ordentlich einen sitzen zu haben.

„He Leute, schaut euch mal das Wetter an“, bemerkte ich, wofür ich allerdings nur ein Kichern und abwinkende Hände erntete.

„Die Natur ist einfach aufregend. Ich liebe es, bei Sturm draußen zu sein. Findet ihr nicht?“, jubelte Angelique mit ihrer rauchigen Stimme, die so gar nicht zu ihrer zierlichen Statur, dem Engelsgesicht mit den blauen Augen und einem Rahmen aus blonden Locken, passte.

„Ehrlich? Du auch?“, warf Eric ein und klatschte mit ihr ab. Wie schön, dass wenigstens er sich prächtig mit ihr verstand. Ich konnte mir nicht helfen, irgendwie mochte ich Angelique nicht. Sie hatte etwas Künstliches an sich, womit ich nun nicht nur ihren silikongefütterten Busen und die sichtlich aufgespritzten Lippen meinte. Nein, ich war nicht eifersüchtig oder gar dabei, mich in Eric Kessler zu verlieben. Ich mochte bei Menschen nur kein aufgesetztes Gehabe. Die wievielte an diesem Abend festgestellte angebliche Gemeinsamkeit war das eigentlich zwischen Eric und Angelique, fragte ich mich und biss die Zähne zusammen, um einen Aufschrei zu unterdrücken. In der Redaktion hatte ich gehört, wie Angelique einer Bekannten, die sie abholte, zugeflüstert hatte, dass sie nichts mehr hassen würde als das Wandern, etwa durch die Dünen Sylts ‒ besonders keine ruhigen Strandabschnitte wie diesen hier. Das Gesäusel zwischen ihr und Eric verursachte mir langsam Kopfschmerzen. Angeliques Blick verriet zunehmend, dass sie Eric nicht nur mit kollegialen Augen musterte, wovon er nicht abgeneigt schien. Ob die Frau heiß auf ihn war oder sich nur einen Job in der Redaktion sichern wollte? Nun ja, Eric war nicht von schlechten Eltern, das keineswegs. Eins zumindest war Fakt: Seit Barbie aufgetaucht war, schien Eric wie verhext. Er vertauschte sogar Termine, was sonst nie vorkam, und sprach oft wie ein Wasserfall. Selbst der letzte Artikel über den amerikanisch-deutschen Schauspieler Paul Duval, den sein ärgster Journalistenkonkurrent Jayden Davis geschrieben hatte, war ihm nahezu schnuppe gewesen. Ich war überzeugt, dass ich das als einen weiteren Fakt hinzuzählen konnte, der mir als Ergebnis recht sicher schien. Eric jedenfalls war bis über beide Ohren verknallt. Sofort hatte er jedem die neue Praktikantin vorgestellt und wich ihr kaum von der Seite. Mein Kollege war ein aufstrebender Journalist und sonnte sich gerne im Licht attraktiver Frauen. In den zwei Jahren, in denen ich ihn nun mehr oder weniger kannte, hatte er immer davon gesprochen, sich nie fest binden zu wollen. Im Gegensatz zu mir hatte er einen festen Job bei dem großen Klatschblatt ergattert, für das wir beide arbeiteten, während ich nach dem Volontariat nur einen befristeten Vertrag bekommen hatte. Alle anderen Zeitungen hatten mir eine Absage erteilt, weswegen mir nichts Weiteres übriggeblieben war, als zuzustimmen. Außerdem gefiel es mir auf Sylt. Ich fragte mich, ob Angelique am Ende meinen Platz bekommen sollte.

Die Gedanken ratterten immer lauter in meinem Kopf und übertönten letztendlich sogar das Tosen des Meeres. Fieberhaft überlegte ich weiter, doch schaffte ich es nicht, innere Ruhe zu finden.

Angelique sollte zudem länger bleiben als für ein Praktikum üblich war. Hendrik hatte ein paar Wochen erwähnt. Die genaue Anzahl hatte er nicht genannt. Vielleicht, weil er es selbst noch nicht wusste. Und genau das machte mich vor allem skeptisch. Das Ganze war Erics Vorschlag gewesen. Als ich ihn dazu durch die Blume angesprochen hatte, hatte er dies nur mit einem belustigten Abwinken zur Kenntnis genommen. Ich wusste, dass Eric von meiner Arbeit nicht überzeugt war. Im Grunde von niemands Arbeit. Nun, Häuptling starker Bär wähnte aber auch alle gerne in seinem Schatten. Für mich war es nicht wichtig, in der Oberliga zu spielen. Ein gehobenes Mittelmaß würde mir reichen. Und ich baute auf Gerechtigkeit. Und ehrlich, auch über die kleinen Dinge des Lebens zu berichten, machte mir Spaß. Dennoch juckte es mir des Öfteren in den Fingern und ich hätte Eric gerne einmal gezeigt, dass mehr in mir steckte, als er vermutete. Bis dato hatte ich dazu leider keine Gelegenheit gefunden, jedenfalls keine, die seine Aufmerksamkeit positiv erregt hätte. Vielleicht, dachte ich, sollte ich doch wieder mit dem Schreiben von Geschichten beginnen. Die Hälfte eines Thrillers befand sich auf einer Datei meines Laptops. Das letzte Mal, als ich an der Story geschrieben hatte, war kurz vor dem Aus mit Philipp gewesen. Seitdem hatte ich mich mehr auf den Job konzentriert und mich darin regelrecht eingebuddelt.

Angelique lehnte sich gegen Erics breite Schulter, was ihm zu gefallen schien. Jedenfalls rückte er keinen Millimeter zur Seite und fuhr sich ein paarmal mit den Fingern durch sein blondes Haar. Er wirkte verlegen. Wenn ich mir die beiden genau betrachtete, hätten sie als Zwillinge durchgehen können. Erics Augen besaßen zum Beispiel die gleiche Farbe wie die von Angelique und wie sie hatte er eine sportliche Figur, nur mit deutlich mehr Muskeln. Als er wieder anfing, von seiner letzten Auszeichnung für eine der besten Klatschkolumnen zu reden, beschloss ich, partymäßig das Handtuch zu werfen und endlich von dannen zu ziehen. Außerdem sahen die Wolkenbänke, die unaufhaltsam auf uns zuzogen, zunehmend bedrohlich aus. Der Wind blies uns um die Ohren. Es kam mir vor, als wolle er uns damit warnen. Hannah, die verrückt liebevolle Kaffeetante der Abteilung, in der ich und Eric arbeiteten, sprang auf und hechtete ein paar flüchtenden Handtüchern hinterher. Derweilen schloss Angelique die Augen und seufzte. Eric hob die Brauen. Ich war sicher, dass sich in diesem Augenblick etwas in seiner Hose regte. Langsam nickte ich für mich und klemmte mir die Bambusmatte, die ich mitgebracht hatte, unter einen Arm.

„Also dann … bis morgen, Leute“, rief ich gegen den Wind an.

Hannah kam mir entgegen. Eines der Handtücher war ihr entwischt und verschwand in den Wellen des Meeres.

„Bleib doch noch, Maya. Der Sturm zieht bestimmt nordwärts.“

„Was macht dich da so sicher?“, wollte ich wissen.

Hannah spitzte ihre dünnen Lippen, während der Wind ihr die schwarzen langen Haarsträhnen ins Gesicht blies. „Ich mach schon so lang das Wetter, dass ich dafür ein Gefühl entwickelt hab.“

Ich zuckte mit den Achseln. „Sorry, aber mein Gefühl sagt mir etwas anderes. Außerdem bin ich müde. Hundemüde!“

Hannah nickte und schielte kurz zu Eric. „Verstehe …“

„Nein, nein. Nicht seinetwegen.“

„Verstehe“, wiederholte sie.

„Glaub ich nicht.“ Ich winkte ab. „Egal. Lassen wir es gut sein. Bis morgen. Ciao.“

„Ciao, Bella!“, rief Hannah mir hinterher. Man konnte sie auch als die gute Seele der Abteilung bezeichnen, stets ein Lächeln auf den Lippen. Ich mochte sie für ihre natürliche und nette Art und langsam entwickelte sich zwischen uns eine richtige Freundschaft.

Wütend, dass Eric mich nicht einmal aufgehalten hatte, stapfte ich durch die Dünen. Hier und da bogen sich gelbgrüne Gräser im Wind. Seit rund zwei Jahren wohnte ich nun hier in einem kleinen Häuschen am östlichen Rande von Westerland zur Miete und genoss die Ruhe der Insel. München vermisste ich jedenfalls nicht und war froh, dass ich die Enttäuschung und Scheidung mit Philipp nun hinter mir hatte ‒ verbucht unter schlechten Erfahrungen. Er war meine erste große Liebe gewesen. Wir hatten uns während des Studiums kennengelernt, schnell geheiratet. Niemals hätte jemand gedacht, mich eingeschlossen, dass er mich betrügen würde. Dabei hatte ich mir damals sogar ein Kind gewünscht, wollte glücklich mit ihm werden, bis zum Rest meines Lebens. Bei mir traf das Klischee des verflixten siebten Jahres voll ins Schwarze. Ich schüttelte den Kopf, wenn ich daran dachte. Wie lange hätte er mich noch geblendet, wenn ich die beiden nicht durch Zufall in flagranti erwischt hätte? Sand stob in meine Schuhe. Nein, Gedankenstopp, rief ich mir innerlich zu und verbannte Philipp aus meinem Kopf. Zu oft hatte ich mir schon das Gehirn über diesen Mann zermartert. Seine Ausflüchte interessierten mich nicht mehr, auch nicht die Entschuldigungsbriefe, die viel zu spät kamen. Der letzte war drei Wochen alt.

Abermals durchzuckte ein Blitz den aufgewühlten Himmel. Der darauffolgende Donner ließ mich kurz zusammenzucken. Schon als Kind hatte ich große Ehrfurcht vor Gewittern gehabt. Ich erinnerte mich, wie mein Vater beinahe von einem herabfallenden Ast eines Baumes im Garten erschlagen worden wäre, in den ein Blitz gefahren war. Noch heute steckte mir das Erlebnis tief in den Knochen und brachte mein Herz zum Rasen, wenn ich daran dachte.

Der Wind nahm mehr Fahrt auf. Es fröstelte mich. Ich zog die Strickjacke vorne zusammen und verschränkte die Arme fest vor der Brust, während ich weitereilte. Die Fahne auf der Rettungsstation war nicht mehr gehisst, was bedeutete, dass sie nicht mehr besetzt war und mir niemand schnell zur Hilfe eilen konnte, wenn mich doch einer der Blitze treffen sollte, die intensiver wurden. Kurzerhand beschloss ich, Schutz in einer Dünenbucht zu suchen, in der Hoffnung, das Gewitter würde bald von dannen ziehen. Ich hatte keine Lust, als gegrilltes Hähnchen zu enden. Der Wind heulte über das Meer und plötzlich war mir, als trüge er Stimmen zu mir. Aufgebrachte, gehetzte männliche Stimmen. Ich war verwundert. Kamen die anderen etwa doch zur Vernunft und mir nach? Ich lugte um den Felsen herum, konnte aber durch den aufwühlenden Sand nichts entdecken. Ausatmend lehnte ich mich gegen die Felswand und starrte hinaus auf das sich zunehmend aufbauschende Meer. Die Gischt war wie ein Schleier aus weißer Seide. Durch ihn hindurch sah ich ein kleines Segelboot. Ganz in der Nähe schwammen drei junge Männer. Sie schienen immer weiter nach draußen zu treiben. Einer von ihnen machte ein Schlauchboot bereit, während die anderen an dem Boot herumrissen, sodass es bald in Schieflage geriet. Was sollte das denn werden? Es sah so aus, als hätten diese Idioten vor, das Boot absichtlich zum Kentern zu bringen.

Für einen Moment glaubte ich, sie hätten mich entdeckt, da sie kurz in meine Richtung zeigten. Erschrocken wich ich ein paar Schritte zurück. Ich erkannte, dass einer der Männer eine Vollglatze und ein rundes Mondgesicht hatte. Er schien der Anführer der Bande zu sein, denn er fuchtelte wild mit den Händen und redete ständig auf die anderen beiden ein. Ich ließ den Blick in den Himmel schweifen. Nach wie vor blitzte und donnerte es. Als ich zurück zu den Männern schaute, sah ich, dass einer von ihnen sein rotes Hemd in die immer stärker werdenden Wellen warf und Richtung Schlauchboot schwamm. Die anderen beiden kletterten ins Boot und halfen ihm dann beim Einstieg in selbiges.

Die müssen betrunken sein, durchfuhr es mich. Jedenfalls sahen sie nicht so aus, als wollten sie Hilfe. Vielmehr schien alles einen seltsamen Plan zu beinhalten, hinter den ich gerne gestiegen wäre. Mein Journalisteninstinkt wurde wach. In mir wühlte der Gedanke, mich bemerkbar zu machen, um ihre Reaktion zu sehen. Kurzerhand fasste ich den Entschluss, es zu tun. Das Gewitter flaute bereits ab. Ich wagte mich aus meinem Versteck hervor und riss die Arme nach oben. Gerade als ich den drei Männern etwas zurufen wollte, wurde ich zurückgerissen. Der Schrei blieb mir in der Kehle stecken und mein Herz geriet aus dem Takt. Hektisch sah ich mich um, direkt in das von Regen benetzte Gesicht von Eric.

„Gott, hast du mich erschreckt!“, stieß ich aus.

„Was tust du hier?“, fragte er und zog die Stirn in Falten.

Perplex schüttelte ich den Kopf und zeigte dann Richtung Meer.

„Das Schlauchboot mit den drei Männern … sie haben das Segelboot zum Kentern gebracht“, stammelte ich.

Eric folgte meinem Blick. „Was? Welches Schlauchboot, welche Männer denn, Maya?“

„Hm?“ Ich verstand nicht und sah erneut aufs Meer hinaus, das nun auch Eric, einem Scheinwerfer gleich, scannte. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich schluckte trocken. Das konnte doch nicht sein! Wo waren die Männer so schnell hin? Alles, was von ihnen übrig geblieben war, war das Segelboot, das in Schieflage auf dem Wasser trieb.

„Aber … sie waren da! Drei Männer! Neben dem Boot!“, erklärte ich Eric hektisch.

„Ganz langsam und von vorn. Was genau hast du denn gesehen?“, wollte der wissen und warf mir seine Jacke um, was mich erstaunte. Das letzte Mal, als er mir gegenüber so aufmerksam gewesen war, war schon eine Ewigkeit her. Ich schenkte ihm ein Lächeln, was er jedoch nicht erwiderte. Vielmehr ließ er mich los und ging ein paar Schritte nach vorn, während ich ihm meine Beobachtungen von Anfang bis Ende schilderte.

„Vielleicht ist da noch jemand und braucht Hilfe“, stellte Eric daraufhin in weiser Einsicht fest.

Plötzlich gesellten sich Angelique und die anderen zu uns.

„Was ist denn?“, fragte die Praktikantin und versuchte sich eine Zigarette anzuzünden, was bei dem Wind unmöglich schien. Ihre Hartnäckigkeit wurde aber belohnt und zeigte mir, dass sie nicht so schnell aufgab, wenn sie etwas wollte. Eric erklärte vor allem ihr, was ich zu sehen geglaubt hatte. Danach zog er sich seinen Pulli aus und drückte ihn der schmunzelnden Angelique in die Hände.

„Was hast du vor?“, fragte ich ihn.

„Nachsehen natürlich. Wer kommt mit?“, wollte Eric wissen und warf einen Blick in die Runde.

Angelique war sofort Feuer und Flamme und schnippte ihre Zigarette zur Seite. Neben ihr erklärten sich zwei Männer bereit, den Sprung in die aufgewühlten Wellen zu wagen.

Ich hielt Eric an einem Arm fest. „Das ist viel zu gefährlich jetzt. Außerdem sind die schon weg. Da ist sicher niemand mehr. Wir informieren besser die Küstenwache. Hast du dein Handy dabei? Ich nicht.“

Er riss sich los und rannte weiter. Wieder einmal kam ich mir mit meiner Meinung überflüssig vor. Hannah kam zu mir und stupste mich leicht mit dem Ellbogen an.

„Ich glaube, diese Angie, wie Eric sie gerne nennt, ist eine von den ganz windigen Schlangen. Ich hab gehört, wie sie sich bei irgendeinem Typen beschwert hat, ihre Aufgaben in der Redaktion seien öde, sie wolle mehr oder würde schnell wieder verschwinden“, flüsterte sie und zwinkerte mir zu.

Ich seufzte, ohne den Blick von Eric und den anderen Helden abzuwenden. Tief durchzuatmen war das Einzige, was ich nun tun konnte, um den Vulkan, der in mir brodelte, in Schach zu halten, damit er nicht ausbrach. Denn manches Mal hatte ich das dringende Gefühl, dass Eric genau das erreichen wollte. Zudem untermauerte das, was Hannah gesagt hatte die Vermutung in mir, dass Angelique ihre übertriebene Freundlichkeit nur spielte und Eindruck bei Eric schinden wollte, um sich einen Job bei unserer Zeitung zu sichern.

Nach wenigen Minuten hatte die private Rettungscrew das Boot erreicht. Das Unwetter war fast vorbei und die Meereswogen legten sich, anders als mein Puls.

„Und?“, fragten Hannah und ich gleichzeitig, als Eric dicht gefolgt von den anderen wieder an Land kroch.

„Nichts.“

„Aber das Boot wird ja nicht von selbst da rausgesegelt sein“, bemerkte Ellen, eine weitere Kollegin Erics und von mir.

„Das gab es schon. Kann also gut sein. Daran hab ich nämlich gleich gedacht, wenn ich ehrlich bin“, entgegnete Eric.

„Ich sagte doch, drei Männer sind mit einem Schlauchboot abgehauen, nachdem sie das Boot zum Kentern gebracht haben. Jedenfalls sah es sehr danach aus, als wäre es Absicht gewesen.“ Hannah gab mir auf meine Bitte ihr Handy. Ich wählte die Nummer der Küstenwache, um dort Bescheid zu geben.

„Es sah so aus. Zwischen Glauben und Wissen liegt ein großer Unterschied, Maya Andersen“, hielt Eric mir vor und zog die rechte Braue nach oben. Das tat er immer, wenn er etwas spöttisch meinte und kam mir dabei wieder einmal vor wie ein Oberlehrer. „Wen rufst du jetzt an?“, wollte er wissen.

„Na die Küstenwache. Vielleicht wissen die mehr“, antwortete ich.

„Ist doch völlig überflüssig“, bemerkte Eric, was mich staunen ließ.

„Ich weiß, was ich gesehen habe“, entgegnete ich energisch und gab Eric die Jacke zurück, die er doch prompt Angelique umhängte. Die schenkte ihm dafür einen zuckersüßen Augenaufschlag, den er mit einem breiten Lächeln belohnte.

Als sich die Küstenwache meldete, nahm Eric mir das Handy aus den Händen und schilderte eilig, wo das Boot zu finden sei.

Dieses Mal atmete ich gleich mehrere Male tief durch und pustete die Luft stoßweise aus.

„Warum hast du das mit dem Schlauchboot nicht erwähnt?“, fragte ich Eric, der mit den Augen rollte.

„Meine Güte, weil ich keins gesehen habe. Ganz einfach.“

„Ist dir nicht gut?“, fragte Angelique und rieb mir kurz über den rechten Oberarm.

„Doch, natürlich, alles bestens“, quetschte ich heraus und versuchte zu lächeln.

„Ich glaube, wir könnten nun alle einen Kaffee mit einem Schuss Rum vertragen. Maya wird euch einen kochen“, verkündete Eric und gab Hannah ihr Handy zurück.

Ich glaubte nicht richtig zu hören. „Wie bitte?“

„Wir müssen uns aufwärmen. Dein Haus ist nicht allzu weit weg. Du willst doch nicht, dass wir krank werden, oder?“, verkündete Eric und winkte bereits alle mit sich. Hannah schüttelte den Kopf über ihn.

Nein, natürlich wollte ich nicht alle im Regen stehen lassen. Dennoch fand ich es dreist, dass Eric mich so damit überrollte.

Den Rest des Weges bis zu meinem kleinen weißen Haus mit Reetdach und roten Fensterläden konzentrierte ich mich darauf, den Vulkan in mir weiter unter Kontrolle zu behalten. Ich kam mir vor wie eine billige Angestellte Erics. Und auch wenn das nicht zum ersten Mal der Fall war, ich würde mich nie daran gewöhnen und wollte es auch nicht. Es musste sich endlich etwas ändern. Doch die Zeichen dafür standen nicht gerade auf Grün.

Während ich für alle den Kaffee kochte und die Tassen aus dem weißen Hängeschrank meiner Küche nahm, kamen mir wieder das Boot und die drei Männer in den Sinn. Ich war gerade dabei, den Kaffee in die alte Porzellankanne zu füllen, die ich von meiner Mutter geschenkt bekommen hatte, als Angelique zu mir in die Küche stakste und wissen wollte, ob sie mir behilflich sein könne. Wie nett, wenigstens eine, die fragte. Aber gerade sie, damit hätte ich nicht gerechnet und ehrlich gesagt gerne darauf verzichtet.

Weniger überkandidelt säuselnd gab ich zurück: „Sie können die Tassen schon mal rausbringen. Stehen dort auf dem Tablett. Danke.“

„Ich finde, wir sollten uns duzen“, schlug Angelique vor, warf ihr Haar zurück und reichte mir eine Hand.

Zögernd nahm ich den Vorschlag an, was Angelique nahezu bis zu den Ohren lächeln ließ. Dieses bestimmte, hochnäsige Lächeln, das sie mir schon den ganzen Abend über zugeworfen hatte, wenn sich unsere Blicke trafen. Ignorieren und drüberstehen, sagte ich mir. War zwar nicht immer einfach, aber manchmal klappte es. Außerdem interessierte mich im Moment etwas anderes.

„Haben Sie … ich meine, hast du da draußen vielleicht noch was gesehen?“, fragte ich die Blondine.

„Nur das Boot“, gab die zurück. Das Thema schien sie zu langweilen.

Ich biss mir auf die Unterlippe. „Hm. Ich habe gesehen, dass einer der jungen Männer sein Hemd ins Wasser geworfen hat. Es war knallig rot.“

Angelique schüttelte den Kopf. „Ich hab jedenfalls keines gesehen, als wir draußen waren. Das wäre mir sicher aufgefallen. Vielleicht hast du dich getäuscht, Maya“, erwiderte sie.

„Nein. Ich bin mir sicher.“

Die Praktikantin zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ist doch auch egal jetzt.“

„Egal? Na klar …“ Ich ging an ihr vorbei.

Gemeinsam servierten wir den Kaffee. Dabei fragte ich wie nebenbei, ob vielleicht jemandem ein rotes Hemd aufgefallen sei. Fehlanzeige.

„Wenn es dich beruhigt, Maya, dann frage ich morgen bei der Küstenwache nach, wem das Boot gehört und ob ein rotes Hemd aus dem Wasser gefischt wurde“, versprach Eric mit genervtem Unterton.

„Warum nicht gleich nachfragen?“, wollte ich wissen.

Eric streckte sich. „Weil ich jetzt zu müde bin. Lass mich das morgen machen. Ich bekomme Auskunft. Man kennt mich hier schließlich als seriösen Journalisten. Ich bin sicher, die sagen, dass das Boot allein rausgesegelt ist“, gab er nüchtern und nicht ohne mit stolzgeschwellter Brust zurück, was Angelique mit gespitzten Lippen und einem Aufblitzen in den Augen kommentierte. Eric schien sich regelrecht darin zu aalen.

„Ich finde, er hat absolut recht, Maya“, mischte sich Angelique prompt ein.

Natürlich, dachte ich. Eric nickte mir zu, als wolle er sagen: Ja siehst du! Ich bin der Boss. Unübertrefflich! Ich würde für ihn wohl immer nur ein winziger Stern am Journalistenhimmel sein, den sein Schein stets überstrahlte. Aber man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben.

„Ärger dich nicht, steh drüber“, riet mir Hannah leise im Vorbeigehen und wieder einmal versuchte ich es.

Vermisst

Eric legte sich einen nassen, kühlen Lappen auf die Stirn, setzte sich hinter seinen gläsernen Schreibtisch und lehnte sich in den braunen Ledersessel zurück. Den Anruf bei der Küstenwache schien er völlig vergessen zu haben. Das würde ich dann eben doch selbst erledigen.

„Verdammter Alk“, stöhnte er und grabschte nach der Kaffeetasse. Vorsichtshalber nahm ich diese und reichte sie ihm.

„Danke, aber ich bin kein kleines Kind mehr“, sagte er und zwinkerte mir zu.

„So witzig schon am frühen Morgen. Dann kann es nicht so schlimm sein. Ihr habt wohl wirklich noch ausgiebig in einer Bar in Westerland gefeiert, nachdem ihr gegangen seid. Und ich dachte, du bist zu müde. Was ist mit dem Anruf?“, wollte ich wissen, was ihn nur aufstöhnen ließ.

„Hast du vielleicht eine Kopfschmerztablette?“, fragte er, während er den Lappen herunternahm und von seinem Kaffee nippte.

Ohne Erwiderung fischte ich eine aus meiner Handtasche, füllte ein Glas mit Wasser und stellte es demonstrativ auf die Mitte seines Schreibtisches. Wenigstens musste ich heute Angeliques Gesäusel nicht ertragen. Sie hatte sich krankgemeldet. Das Baden in der rauen See schien ihr nicht so gut bekommen zu sein.

Eric zückte sein Handy und starrte mit einem Grinsen auf das Display. „Kleines Biest“, nuschelte er.

Wen immer er damit auch meinte, ich achtete nicht mehr auf ihn, als der Radiomoderator die Nachrichten verkündete, in denen sogar das Segelboot bei Sturmgang erwähnt wurde. Eric schien es zu überhören, denn er schlürfte so laut, dass ich kaum etwas verstand. Schnell stand ich auf und stellte das Gerät lauter.

„Maya, mein Kopf. Bitte!“, stöhnte Eric und verzog das Gesicht.

„Pssst!“, machte ich und ging näher an das Radio heran.

„Gestern Abend fand die Küstenwache in der Nähe einer kleinen Bucht auf Sylt ein kleines gekentertes Segelboot, das herrenlos auf dem Meer trieb. Zuvor war ein Sturm über die Insel getobt. Es stellte sich nun heraus, dass das Boot dem beliebten und erfolgreichen Jungschauspieler Paul Duval gehörte, den Freunde gestern Nachmittag zum letzten Mal in Rantum gesehen haben. Wie seine Verlobte Madlen Garbo mitteilte, hatte er vor, trotz Sturmwarnung noch kurz zum Segeln rauszufahren. Einem kürzlichen Statement nach wollte sie ihn noch davon abhalten, doch Paul sei dennoch gegangen. Seitdem gilt er als vermisst.“

„Was? Paul Duval?“, bemerkte Eric. Unsere Blicke trafen sich.

Ich legte einen Finger an die Lippen, um ihm damit zu bedeuten, still zu sein. Dieses Mal hörte er sogar auf mich.

„Laut Polizei wurde im Meer ein an Ärmeln und Saum zerrissenes rotes Hemd gefunden, das Paul Duval vor seiner Abfahrt getragen haben soll. Seine Verlobte Madlen Garbo sagte dies aus.“

Ich öffnete den Mund.

„Die Suche nach dem Schauspieler durch Küstenwache und Polizei hält an. Wir halten Sie in der Sache natürlich auf dem Laufenden. Nun zum Sport.“

Wie in Trance schaltete ich das Radio ab und setzte mich auf den Sessel vor Erics Schreibtisch. Damit hatte sich auch der Anruf bei der Küstenwache erledigt. Ich kannte Paul Duval aus verschiedenen Fernseh- und Kinofilmen. Seine Karriere startete ziemlich früh. Meist spielte er den Helden in Thrillern oder Actionstreifen. Eric hatte schon mehrere Berichte über ihn geschrieben und auch kurze Interviews mit ihm geführt, wenn der Schauspieler auf Sylt war. Mein Kollege hielt Paul Duval für selbstverliebt, karrierebesessen und introvertiert. Wahrscheinlich weil er Eric nie näher und lange an sich heranließ. Vielleicht, dachte ich, hätte Eric besser mal selbst in den Spiegel gesehen. Urplötzlich erhob dieser sich, schnappte sich seine Jacke und eilte zur Tür.

„Es war nicht nur Duval auf dem Boot“, sagte ich, doch Eric schien es gar nicht zu interessieren. „Wo willst du hin?“

„Bin bald zurück“, war alles, was er sagte, bevor er durch die Tür verschwand.

Ich ging eine Weile im Büro auf und ab. Die Gedanken fuhren Achterbahn. Aber ich brachte sie und meine Beobachtung auf keinen gemeinsamen Nenner. Während Eric weg war und um den inneren Aufruhr ein wenig zu bändigen, weil es meine Pflicht war, schrieb ich an dem mir aufgetragenen Artikel über die erfolgreichsten Diäten der vergangenen Jahre, kam aber nicht wirklich in die Gänge. Immer wieder kam mir Paul Duval in den Sinn, sodass ich die Arbeit letztendlich niederlegte und mich daranmachte, im Internet über ihn zu recherchieren. Hendrik Meyer, mein Boss, war an diesem Tag sowieso außer Haus, sodass ich in Ruhe suchen konnte. Um den Artikel würde ich mich später weiter kümmern. Auch wenn ich keine Lust dazu hatte, er musste mehr als gut werden. Denn seit einem misslichen Bericht über eine Tierquälerbande schien Hendrik mich auf dem Kieker zu haben. In meinen Augen konnte ich nach wie vor nichts dafür, dass sich die Informationen, die ich damals von zwei angeblichen Insidern erhalten hatte, als unwahr herausstellten. Sie hatten auf mich einen verlässlichen und ehrlichen Eindruck gemacht. Leider kam erst alles ans Licht, nachdem der Bericht draußen war. Das Blatt musste eine Berichtigung drucken, was mich beinahe den Job gekostet hatte, hätten nicht ein paar meiner Kollegen für mildernde Umstände plädiert. Besonders Ellen und Hannah hatten sich richtig ins Zeug gelegt, wofür ich ihnen mehr als dankbar war. Eric hingegen schaltete sich erst gegen Ende ein, dies aber eher verhalten und nicht ohne vorwurfsvollen Unterton mir gegenüber. „Das wirft ein schlechtes Bild auf uns. Da hat die Chefetage leider recht, Maya. Du musst alles richtig absichern. Man muss sich wirklich verlassen können, dass Quellen Hand und Fuß haben und nicht nur die“, war nur eine vieler Predigten gewesen, mit denen er mich nach der Sache überschüttet hatte. Die Insider verschwanden derweilen von der Bildfläche und ließen mich im Regen stehen. Seit diesem Vorfall betraute Meyer mich mit Artikeln über die neueste Mode der Sternchen und Stars oder Ähnlichem. Noch heute rumorte mein Magen, wenn ich an damals dachte. Ich war sicher, dass die Drahtzieher der nicht artgerechten Haltung von Kaninchen früh genug gewarnt worden waren, um ihre Scheußlichkeiten zu verbergen. Irgendwann wollte ich das Thema wieder aufnehmen. Nun aber erst einmal zu Paul Duval. Mit klopfendem Herzen überflog ich die Artikel, die über sein Verschwinden im Netz kursierten. Es waren nicht wenige und stetig schossen weitere aus dem Boden der Klatschpresse wie Pilze. Einige Medien sprachen vorsichtig davon, Paul Duval wäre höchstwahrscheinlich ertrunken, nachdem man sein zerrissenes Hemd aus dem Wasser gefischt hatte. Ein Blatt titelte sogar dreist, er sei tot. Von einem Schlauchboot war nirgends die Rede. Erst im Kleingedruckten las ich dann, dass dies viele befürchteten, aber es in Wahrheit noch keine weiteren Neuigkeiten über den Verbleib des Schauspielers gab.

Ich musste zugeben, dass die drei blutroten Buchstaben des Wortes tot auch bei mir sofort Aufmerksamkeit erlangten und ich den Artikel vor allem deswegen angeklickt hatte.

Fans schrieben sich in den Kommentaren ihre Verzweiflung von der Seele. Es wurde sogar berichtet, dass man eine junge Frau aus dem Meer ziehen musste, weil sie sicher glaubte, Paul sei in den Wellen ertrunken. Sie hatte ihn finden wollen und sich mit Händen und Füßen gewehrt, als man sie aus dem Wasser gezogen hatte. Die Suche nach ihm setzte sich unermüdlich fort. Doch niemand schrieb etwas davon, dass weitere Männer mit ihm auf dem Boot unterwegs gewesen waren. Sie hätten sich doch melden müssen …

Das seltsame Gefühl, dass hier etwas faul war, wuchs in mir von Minute zu Minute. In Windeseile durchforstete ich die Bilddatenbanken. Paul Duvals Actionstreifen, für die er vor allem in amerikanischen Produktionen mitwirkte, waren auch mir nicht unbekannt, aber ehrlich gesagt hatte ich keinen der Filme je ganz gesehen. Paul galt als ehrgeiziger Schauspieler, der sich seiner durchaus positiven Ausstrahlung bewusst war. In dem Punkt hatte Eric also recht. Immer wieder wurden ihm Affären mit Kolleginnen angedichtet, die jedoch allesamt auf Spekulationen beruhten. Sicher war, dass er seit mehreren Monaten in festen Händen und sogar verlobt war. Woraus er kein Geheimnis machte. Ich schloss daraus, dass es ihn stolz machte. Aber da konnte ich mich natürlich auch täuschen.

Zum ersten Mal betrachtete ich die Fotos von Duval genauer. Er besaß dunkelblondes, leicht krauses Haar, stahlblaue Augen, war groß, sportlich und wenn er lächelte, bildete sich ein sympathisches Grübchen in der Mitte seiner rechten Wange. Laut der Fotos kleidete er sich gerne lässig und dennoch elegant. Es gab auch Bilder mit seiner Verlobten Madlen Garbo, einer noch eher weniger bekannten Jungschauspielerin, die bisher nur kleinere Rollen in Soaps und Filmen hatte. Madlen trug ihr aschblondes Haar, das ihr fast bis zum Po reichte, auf allen Bildern offen. Auf den ersten Blick glich sie Paris Hilton, die beiden hätten glatt als Zwillinge durchgehen können. Stand er etwa auf blond, fragte ich mich und fuhr mir mit den Fingern durch das braune naturlockige Haar, das mir weich auf die Schultern fiel. Auf weiteren Fotos entdeckte ich, dass Paul früher eher mit dunkelhaarigen Frauen liiert gewesen war. Eine war sogar rothaarig. Wahrscheinlich hatte er keinen festen Typ, so mein Fazit.

Plötzlich wurde eine neue Meldung angezeigt. Meine Augen weiteten sich, als ich die Headline las.

Bruder, Verlobte und bester Freund meldeten Schauspieler als vermisst.

Ich las weiter.

Nachdem Paul Duval trotz Sturmwarnung mit seinem neuen Segelboot aufs Meer hinausgefahren und nach Stunden immer noch nicht zurückgekehrt war, gaben seine Verlobte Madlen Garbo, sein Bruder Liam Duval und sein bester Freund Ruven Finlay eine Vermisstenanzeige auf. Die Küstenwache fand daraufhin das herrenlose Segelboot, dessen alleiniger Besitzer Paul Duval war, in der Nähe einer einsamen Bucht seitlich im Wasser treibend. Liam und Finlay hatten laut ihren Aussagen nicht gewusst, dass Paul noch einmal hinausfahren wollte. Dies sei nur Madlen bekannt gewesen. Laut Bruder und Freund besaß Paul Duval den Segelschein noch nicht lange. Es ist bekannt, dass der siebenundzwanzigjährige Schauspieler Abenteuer liebte. Unter anderem war er begeisterter Surfer und Taucher. Er hätte somit die Gefahren kennen müssen. Momentan gehen die Behörden von einem Unfall aus. Von Paul Duval fehlt weiterhin jede Spur. Alles deutet darauf hin, dass der Schauspieler alleine mit dem Boot unterwegs war.

Ich scrollte nach unten und stockte. Auf dem Foto, welches dem Artikel angefügt war, sah man Liam und Ruven Finlay. Beide lächelten mit strahlend weißen Zähnen in die Kamera, geradeso, als wäre alles in Ordnung. Ich musste schwer schlucken, denn Ruven hatte eine Glatze, zudem ein volles Gesicht. Er erinnerte mich damit stark an einen der Männer, die ich in der Nähe des Bootes gesehen hatte. Vielleicht war es nur Zufall, aber ich konnte nicht verhehlen, dass mich dies skeptisch stimmte. Einen Fakt gab es jedenfalls: Entgegen der Medien wusste ich, dass Paul Duval nicht alleine da draußen gewesen war. Nur ‒ wie sollte ich das beweisen? Und wo war das Schlauchboot abgeblieben?

Ich beschloss, die Sache mit meinem Boss zu besprechen, sobald dieser wieder da war und versuchte mich auf die Diäten, über die ich berichten sollte, zu konzentrieren. Das Ticken der Uhr über der gläsernen Tür machte mich schier wahnsinnig. Manchmal nahm ich es sogar mit in meine Träume. Es schien immer lauter zu werden und die Luft im Büro, das ich mit Eric und nun auch Angelique teilte, stickiger. In den letzten Tagen hatten Eric und ich gar überlegt, eine Trennwand zwischen unseren Schreibtischen aufzustellen. Ich erhob mich, öffnete die ersten beiden Knöpfe meiner marineblauen Seidenbluse und riss eines der Fenster auf, um frische Luft hereinzulassen. Tief durchatmend schloss ich für einen Moment die Augen. Doch die schwüle Luft, die sich hereindrückte, war keine Erleichterung ‒ im Gegenteil. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Haut. Das Gebäude unserer Zeitung Sylt Views hatte seinen Sitz im Herzen Westerlands.

Ich ließ die Blicke über unseren grau betonierten Parkplatz schweifen, der von ein paar Bäumen und einem Streifen Gras umrahmt wurde. Ein Mann lief zwischen den geparkten Autos hindurch. Mein Blick blieb an ihm hängen. Von hinten sah er Duval verblüffend ähnlich. Er zückte einen Schlüssel und öffnete damit per Knopfdruck ein schwarzes BMW Cabrio. Die Lichter des Wagens, der direkt neben meinem kleinen roten Beetle parkte, blinkten zweimal auf. Perplex lehnte ich mich ein Stückchen aus dem Fenster. Als der Typ sich zur Seite drehte, war ich mir sogar fast sicher. War er es? Nein! Oder? Das wäre ja ein Ding! Ein heiß-kalter Schauer lief mir über den Rücken.

„Paul?“, hörte ich mich rufen und erschrak über mich selbst. Ich schlug eine Hand vor den Mund. Zu spät. Der Mann drehte sich augenblicklich um und suchte den Platz mit seinen Augen ab, offensichtlich um herauszufinden, wer da gerufen hatte. Seltsam, dachte ich, er hatte sofort auf den Namen reagiert. Ich wich ein wenig zurück. Dennoch erkannte ich nun, dass sein Gesicht von vorn doch ganz anders aussah als das von Duval. Nicht so markant kantig, eher rundlich. Zudem trug er einen Ziegenbart. Fast schade.

Ich wirbelte herum und lief dabei fast Eric in die Arme, der nur ein paar Zentimeter von mir entfernt stand. Hatte er sich etwa angeschlichen? Automatisch ging ich einen Schritt zurück, bis ich an die Fensterbank stieß. Eric packte mich und zog mich dicht zu sich. Dabei merkte ich, dass sein Blick sofort auf meinen Ausschnitt fiel. Unverschämtheit! Er begann zu schmunzeln. Unverzüglich riss ich mich los.

„Kannst du nicht was sagen? Du hast mich erschreckt, Eric!“

„Ich dachte …“ Seine Augen blitzten auf.

Ich legte den Kopf leicht schief. Der Wind blies mir von hinten eine meiner Locken in die Stirn. „Was? Was dachtest du?“

„Hattest du eine schöne Aussicht?“, fragte er, anstatt mir zu antworten.

Wie nett! Aber wieso wunderte mich das überhaupt? Nein, tat es ja gar nicht. Es ärgerte mich nur.

„Nicht so schön wie du“, gab ich zurück und knöpfte die Bluse wieder zu.

„Kann stimmen.“ Erneut schmunzelte er. „Welchen Paul meintest du eigentlich?“, wollte er wissen und senkte wieder den Blick.

Ich schob mich schnell an ihm vorbei und ging zu meinem Schreibtisch, der im Gegensatz zu Erics aus dunklem Holz war. Verdammt, er hatte es gehört. Die Lippen fest aufeinandergepresst schluckte ich meinen Kommentar hinunter. Ruhe bewahren, sagte ich mir. Das war und blieb wohl die beste Waffe gegen Eric. Langsam ließ ich die Luft, die ich in der Lunge gefangen hielt, über meine Lippen fließen und strich mit den Fingern über die glatte Oberfläche meines Schreibtischs. Eric setzte sich inzwischen an seinen und begann auf die Tastatur des Laptops einzuhämmern. Ich räusperte mich ein paarmal und hoffte, er würde von allein berichten. Klar tat er dies nicht. Ich verengte die Augen, lächelte aber, sobald sich unsere Blicke trafen. „Ja, ich will es wissen“, sagte ich dann.

„Wie heißt das Zauberwort?“ Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, der sogar um einiges eleganter war als Hendriks, und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Bitte!“ Ich war versucht, die Augen zu verdrehen, hielt mich aber zurück.

„Schon besser. Aber auf meine Frage hab ich immer noch keine Antwort. Welcher Paul?“

Ich zupfte an meinem knielangen beigen Rock und zuckte mit den Schultern. Unmöglich konnte und wollte ich ihm die Wahrheit sagen. „Ach, ich dachte, es wäre ein Bekannter“, erklärte ich schnell.

„Welcher?“, bohrte Eric ernst nach.

„Ein Bekannter eben.“

Eric schürzte die Lippen. „Interessant. Ein näherer Bekannter?“

Ich seufzte. „Eric. Ich bin nicht einer deiner Interviewpartner. Ein flüchtiger, unwichtiger Bekannter halt.“

„Okay. Ich meine nur, du hast ziemlich erstaunt geklungen.“

„Quatsch.“ Ich winkte ab. „Also nun du, erzähl schon. Bitte!“

Er zögerte noch ein paar Momente, bevor er mit der Sprache herausrückte, merklich genervt, dass meine Antwort so kurz angebunden ausgefallen war. Nach außen hin blieb er gemächlich, nahm zwei silberne Klangkugeln aus seinem Schreibtischfach, legte sie in eine Hand und ließ sie mithilfe der Finger kreisen.

„Ich hab im Grunde nicht mehr erfahren, als schon durch die Medien bekannt ist. Definitiv steht jedoch fest, dass Paul Duval alleine mit dem Boot draußen war. Ich habe mit jemandem von der Küstenwache gesprochen, der beim Bergen des Segelboots dabei war. Er ist sicher, dass Duval alleine auf dem Boot war. Von einem Schlauchboot wusste niemand etwas. Und nichts weist auf mehrere Leute oder einen Kampf hin. Durch die Gischt kann man manchmal glauben, dass …“

„Verstehe“, wiegelte ich ab. Er glaubte mir nach wie vor kein Wort. Ich stand auf.

„Ja, ich denke, es war eine Sinnestäuschung“, legte Eric nach.

„Die ich dennoch Hendrik Meyer und der Polizei mitteilen sollte.“

Eric drehte die Kugeln weiter mit den Fingern und schob die Unterlippe ein wenig nach vorne. „Mach, was du nicht lassen kannst.“

Ich nickte und schob meinen Stuhl beiseite. „Aber wundere dich nicht, wenn er dich nicht ernst nehmen sollte. Genauso wenig wie die Polizei. Du hast doch keine Beweise. Die werden denken, du willst dich nur wichtigmachen. Und Hendrik will Fakten, keine Ich glaub, ich hab-Versionen, Maya.“

Sollte mich das nun wieder einschüchtern?

Vielleicht hatte er recht, was die Polizei betraf und leider auch Hendrik. Ich wusste, dass Eric und Hendrik sich sogar duzten, was Eric immer wieder gern betonte, um seine Wichtigkeit zu unterstreichen. Er legte die Kugeln weg und hämmerte erneut auf seine Tastatur ein.

„Meine Güte“, murmelte er nach ein paar Sekunden, verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln und schüttelte leicht den Kopf.

„Was ist?“, wollte ich wissen und reckte den Hals ein wenig.

„Der Typ ist noch beliebter, als ich bisher gedacht hab. Dabei ist er doch nur ein lausiger Schauspieler“, murmelte Eric.

„Das hörte ich aber schon anders“, entgegnete ich und kassierte dafür einen verachtenden Blick.

Ich ignorierte diesen, ging kurzerhand zu Eric hinüber und schaute auf seinen Bildschirm. Laut eines aktuellen Berichts stürmten unzählige Fans den Strand, der in langen Abschnitten von Blumen, Fotos und Briefen gesäumt war. Einige davon hatte sich das Meer geholt, wie es hieß. Für viele Leute schien bereits festzustehen, dass Paul Duval in den Fluten umgekommen war. Sie glaubten, was die Medien schrieben. Menschen lagen sich weinend in den Armen und die Medien beschimpften sich gegenseitig. Welche Berichte enthielten die Wahrheit, welche waren weit überzogen und aus purer Sensationsgeilheit geschrieben? Manche Zeitungen, beziehungsweise Journalisten, machten vor nichts Halt. Selbst eine Klage schien ihnen egal.

Unser Klatschblatt hatte wenigstens ein Gutes: Es wollte zwar tratschen, aber mit Stil und einem sehr hohen Wahrheitsgehalt. Deswegen hatte ich mich auch hier beworben.

„Schrecklich, wie dreist manche Medien agieren“, murmelte ich.

„Aber die Leute beißen an“, flüsterte Eric.

Ich wollte gerade etwas erwidern, da stürmte Hendrik Meyer das Büro. Die Krawatte saß genauso schief um seinen dicklichen Hals, wie die Brille auf seiner Stupsnase. Wir brauchten nicht erst zu fragen. Er war im Stress. Vollstress traf es eher. Irgendwann, da war ich mir sicher, würde den knapp Fünfundvierzigjährigen ein Burnout in die Knie zwingen. Er ließ die Tür ins Schloss knallen und stützte sich an der Kante von Erics Schreibtisch ab.

„Bin doch schon eher zurück. Wo warst du vorhin, Eric?“

„Recherchen machen, Hendrik. Ich gebe zu, der Fall Duval hat mich neugierig gemacht. Da bin ich an den Strand und …“

Meyer zeigte auf ihn und unterbrach ihn sofort. Mich beachtete er gar nicht.

„Sehr gut! Wir sind die Einzigen, die anscheinend noch nichts zu Duval gebracht haben. Das muss sich schleunigst ändern. Onlinebericht in einer Stunde, vorher Konferenz. Ellen hab ich auch losgeschickt, müsste bald wieder auftauchen. Schreib alles auf und schmück es ein bisschen aus. Nur ein bisschen aber. Hörst du? Die Leute sind heiß auf jeden Bericht. Wie ich dich kenne, hast du doch sicher was in der Sache erfahren.“

Ich versuchte den Kloß, der in meinem Hals anschwoll, hinunterzuschlucken.

Eric nickte. „Klar. Kennst mich doch.“ Er zwinkerte Meyer zu.

„Spitze, Eric.“ Hendrik zeigte ihm einen Daumen nach oben, woraufhin mein lieber Kollege die Arme vor der Brust verschränkte. Ich fasste allen Mut zusammen. Das war meine Chance, die ich nutzen musste.

„Wir könnten auch das einbringen, was ich gesehen habe“, hörte ich mich auch schon sagen und war froh, als es draußen war. Nun gab es kein Zurück mehr.

Eric lachte kurz auf. Hendriks Mimik aber verriet mir, dass ihn die Sache neugierig machte. In seinen graublauen Augen lag ein Blitzen.

„Das ist lächerlich. Außerdem hattest du was getrunken. Alkohol bekommt dir nicht, Maya“, warf Eric ein und versuchte mich damit unglaubwürdig zu machen. Vielen Dank auch! Was fuhr er da gerade für Geschütze auf?

„Ich hab gestern nichts außer Kaffee getrunken, mein Lieber“, nahm ich ihm den Wind aus den Segeln.

„Oh, oh. Was soll das werden, Kinder?“ Hendrik hob beide Hände und lachte amüsiert.

„Ach, vergiss es. Ist albern“, sagte Eric, winkte ab und widmete sich wieder seinem Laptop.

Hendrik setzte sich auf die rechte Kante des Schreibtisches und tippte sich an die Lippen. „Scheint Maya aber anders zu sehen. Also, schießen Sie los, meine Liebe.“

Eric klappte das Kinn ein wenig herunter. Am liebsten hätte ich diesen Augenblick mit meiner Handykamera festgehalten. Trau dich, sagte ich mir und gab mir selbst einen inneren Schubs.

„Eric Duval war auf dem Boot. Aber er war dort nicht allein. Es waren zwei Männer bei ihm“, erzählte ich schnell.

Meyer schob nachdenklich seine Unterlippe nach vorne und starrte geradeaus.

„Die Gischt war stark …“, warf Eric ein und schüttelte gleichzeitig mit dem Kopf. Doch Hendrik achtete nicht auf ihn.

„Weiter!“, forderte er mich auf. Ein Wort, das mir runterging wie Öl. Erics Miene ignorierte ich und fuhr fort: „Die Männer brachten das Boot zum Kentern. Danach sind sie in ein Schlauchboot geklettert. Aber das ist noch nicht alles. Einer von ihnen hat sich sein Hemd ausgezogen. Es war rot. Ich bin sicher, es war Duval. Er …“

Eric fiel mir ins Wort. „Wie schon einmal gesagt, ist nirgends von einem Schlauchboot die Rede, Herrgott. Außerdem – wären noch Leute mit Duval unterwegs gewesen, dann hätten die sich doch gemeldet. Oder glaubst du, sie sind alle drei ertrunken oder stecken unter einer Decke, haben ihn vielleicht umgebracht? Dann hätte man zumindest das Boot gefunden oder mindestens eine Leiche. Für mich ist das alles kompletter Irrsinn, Maya. Wie gesagt, der Sturm war so heftig, die Gischt so stark, dass du wohl etwas zu sehen geglaubt hast, das in Wirklichkeit gar nicht da war. Wir kamen dazu. Willst du, dass sich unser Blatt lächerlich macht?“

„Wer wir?“, fragte Hendrik und schielte mit in Falten gelegter Stirn zu ihm.

„Ich, Angelique und noch ein paar andere aus der Redaktion. Wir hatten Lust auf eine kleine Strandparty. Du hattest ja noch Meetings, sonst hätten wir dich auch gefragt, Hendrik. Ist ja klar“, erklärte Eric ein wenig ruhiger.

„Klar … also und ihr habt nichts dergleichen gesehen?“

„Nichts! Wir sind sogar rausgeschwommen. Da war keine Menschenseele. Die müssten den Turbo eingeschaltet haben. Gut, bis zum Strand war es sozusagen ein Katzensprung. Trotzdem, es ist lächerlich. Denn wie hätten sie das Schlauchboot dort so schnell verschwinden lassen sollen, einschließlich Paul Duvals Leiche?“

„Es ist nicht unmöglich“, konterte ich. Das Herz schlug mir bis zum Hals. „Denn ich weiß, was ich gesehen habe.“

Eric hob mahnend einen Finger. „Zu sehen glaubtest. Dass du selbst daran glaubst, daran zweifle ich ja nicht. Aber das andere könnten wir unmöglich so der Öffentlichkeit mitteilen. Nicht mal ansatzweise.“

Jetzt fehlte nur noch, dass er meinen letzten misslichen Bericht anschnitt. Zu meiner Verwunderung ließ er es und auch Hendrik schien nicht noch einmal darauf herumreiten zu wollen. Dennoch wusste ich, dass er auch in seinem Kopf nach wie vor präsent war und Erics Worte ihn überzeugen würden, der Sache nicht weiter nachzugehen.

„Ohne Fakten kein Bericht“, gab Hendrik schließlich sein Schlussplädoyer und wechselte daraufhin prompt das Thema. Damit war die Sache gegessen und Eric sichtlich zufrieden, Recht behalten zu haben.

„Ich wollte dich im Grunde doch nur beschützen, Maya. Siehst du das nicht?“, sagte er, als Meyer weg war.

Na klar! Ich erwiderte nichts, beschloss aber, früher Schluss zu machen und täuschte Migräne vor. So einfach wollte ich nicht aufgeben und entschied mich dafür, privat in der Sache zu recherchieren. Das Verschwinden von Duval ließ mir keine Ruhe, zumal ich nach wie vor sicher war, dass an dem Ganzen etwas faul war. Zudem hatte Eric eine Revanche verdient.

Ein amerikanischer Traum

Ich schnappte mir eine Packung Popcorn und machte es mir zusammen mit dem Laptop auf der Couch gemütlich. Auf die paar Kohlenhydrate mehr kam es nun auch nicht mehr an. Was sollte es – ich hatte in letzter Zeit ein paar Kilo zugelegt. Warum auch immer Miss Slim Fit mimen, fragte ich mich. Das Handy hatte ich abgeschaltet, um bei meinen abendlichen Recherchen nicht gestört zu werden. Zu gern rief meine Mutter um diese Zeit an, um mir von ihren Ausflügen zu erzählen, die sie zusammen mit Paps unternommen hatte. Das konnte über Stunden gehen, wenn ich sie nicht manchmal unterbrach. Nichtsdestotrotz liebte ich meine Eltern über alles. Bevor ich das Handy abgeschaltet hatte, sah ich zudem, dass Philipp mir eine neue Nachricht über WhatsApp gesendet hatte.

Na, wie geht’s dir? Liebe Grüße

Auf seine Standardfrage antwortete ich, wie fast immer äußerst knapp.

Gut. Danke.

Das reichte. Im Grunde war es, nach allem, was passiert war, schon zu viel. Aber so war ich nun mal. Seit ich bei Sylt Views arbeitete, hatte ich kaum Zeit mehr für Freunde. Meine damalige Münchner Clique hatte sowieso größtenteils nur aus Philipps Freunden bestanden und die schlugen sich seit der Trennung auf seine Seite. Als Geschichtenerzähler punktete er eindeutig mehr. Ich hatte ihm deswegen schon einmal vorgeschlagen, mit dem Romanschreiben zu beginnen. Was ich damit hatte sagen wollen, wusste er bis heute nicht. Da war ich mir sicher. Hin und wieder ging ich mit Kolleginnen einen Kaffee trinken, vor allem mit Hannah. Aber nach den turbulenten Ehejahren, in denen hauptsächlich Philipp und seine besten Freunde die Hauptrolle gespielt hatten und den oftmals schwierigen Stunden mit Eric und nun auch Angelique, war ich froh über ein wenig Ruhe nach Feierabend.

Die Internetverbindung lahmte mal wieder, weswegen ich die Couchseite wechselte. Manchmal half das. Zufrieden stellte ich fest, dass zu den bisherigen zwei Netzbalken am unteren Rand des Displays noch zwei hinzukamen und Google seine Ergebnisse zu meiner Suche nach Paul Duvals Biografie ausspuckte. Von Eric hatte ich schon manches darüber aufgeschnappt, es aber ehrlich gesagt wieder vergessen. Gespannt las ich:

Paul Duval wurde in Pasadena, Kalifornien, geboren. Seine Mutter Asta Grünwald ist eine Deutsche, die auf Sylt aufwuchs. Pauls Vater ist Amerikaner. Sie lernten sich bei einem Auslandsaustausch kennen und heirateten zwei Jahre später im Alter von fünfundzwanzig Jahren in Los Angeles.

Paul Duval wuchs mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Liam in einer Wohnwagensiedlung in Kalifornien auf. Die Eltern besaßen nicht viel. Edward Duval hielt die Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Jahrelang versuchte er als Schauspieler Fuß zu fassen. Zu mehr als kleinen Statistenrollen reichte es allerdings nicht. Schon bald wollten die Eltern in dem dunkelblonden und blauäugigen Paul schauspielerische Ambitionen entdeckt haben. Laut Edward Duval lächelte Paul schon als Dreijähriger in jede Fotokamera und flirtete mit ihr. Daher brachten er und seine Frau den Jungen zu verschiedenen Vorstellungsterminen für Film- und Werberollen. Während sein Bruder Liam nur einmal eine Nebenrolle in einem Werbespot ergattert hatte, war Paul Duval ein Naturtalent. Die Filmleute waren von Anfang an von seinem offenen Wesen begeistert. Er wirkte zunächst in ein paar kleineren Werbespots mit. Die Anzahl der Werbe- und Modelauftritte nahm mit zunehmendem Alter zu. Duval befand sich auf einem vielversprechenden Weg, bis eine heimtückische Lungenkrankheit ihn für mehrere Monate ans Bett fesselte und er somit eine tragende Filmrolle in einem Jugendfilm nicht annehmen konnte. Nach seiner Genesung verkündete er, nach Abschluss der Highschool unbedingt ein richtiger Schauspieler werden zu wollen, auch um seiner Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Bereits ein Jahr danach debütierte er in dem Fernsehfilm Endless Love an der Seite des berühmten Hollywoodstars Emma Morland. Obwohl sie einige Jahre älter war als Duval, wurde ihnen bald eine Affäre angedichtet. Duval dementierte diese charmant, Morland hingegen schwieg gänzlich dazu. Für Duval folgten weitere kleinere Rollen in Spielfilmen, bis er zwei Jahre später in der Rolle des Ashton Pulver in Greenbergs Big Brothers Cup seinen Durchbruch hatte. Die Rolle brachte ihm einen Golden Globe ein.

Dennoch zogen mit dem schnellen Ruhm auch dunkle Wolken über die Glamourwelt. Duval lernte rasch, was der Preis des Ruhmes war und versucht seitdem, sein Privatleben so gut es geht geheim zu halten. Trotzdem kommen immer mal wieder Gerüchte, wie etwa um exzessive Partys und auch Drogen, auf. Weiterhin scheint es ein offenes Geheimnis zu sein, dass Paul das Abenteuer liebt, sowohl in der Natur als auch im Bett. Weiterhin ist bekannt, dass er neben Klettertouren in den Bergen auch gerne surft und im Meer schwimmt. Besonders beim Surfen oder Tauchen, im und nahe am Meer, so sagte er einmal, fühle er das Leben.

Sein Vater teilt seine Begeisterung für Abenteuer. Sein Bruder Liam hingegen hat laut eigener Aussage mit der Schauspielerei nichts am Hut und, wie es heißt, auch weniger Talent als sein berühmter Bruder. Nach Abschluss der Highschool in seiner kalifornischen Heimat absolvierte Liam eine Ausbildung zum Koch auf Sylt, der Heimatinsel seiner Mutter, wo die Familie ein Anwesen besitzt, in dem sie halbjährlich zwischen Kalifornien und Sylt pendelt.

Wie Paul schon oft erwähnte, liebt er die Insel und deren Ruhe. Vor zwei Jahren erwarb er in der Nähe seiner Eltern ein eigenes Anwesen. Das Haus, in dem sein Bruder wohnt, soll ein Geschenk von Paul an ihn gewesen sein.

Ich blickte auf. Dass auch Paul hier auf der Insel ein eigenes Haus hatte, war mir bis dato gar nicht bekannt. Auch Eric hatte dies nie erwähnt. Anscheinend wollte Paul in seinen eigenen vier Wänden weilen, wenn er hier war. Verstand er sich am Ende gar nicht so gut mit seiner Familie, wie es sonst nach außen hin den Anschein hatte? Besonders seine Eltern pochten in der Öffentlichkeit auf ein harmonisches Familienleben. Ich tippte mit einem Finger gegen meine Lippen und las weiter. Der Bericht war bereits vier Jahre alt und endete nach weiteren Filmrollenaufzählungen. Die berühmtesten darunter waren definitiv die des Actionhelden Hunter Grey in einer Fantasy-Trilogie über Skycops, die in den USA spielte und Duval sogar einen Oscar für die beste Hauptrolle eingebracht hatte.

Über seine Verlobte Madlen fand ich etwas in einem aktuelleren Bericht. Wie darin erwähnt wurde, war das zehn Jahre jüngere US-Schauspielsternchen mit ebenfalls halb deutsch – halb amerikanischen Wurzeln am Boden zerstört über Duvals Verschwinden. Zurzeit weilte sie neben Pauls Eltern ebenfalls auf Sylt, da Paul dort kürzlich für einen neuen Actionstreifen vor der Kamera gestanden hatte. Die Filmcrew machte sich nun, da ihr Hauptdarsteller verschwunden war, erhebliche Sorgen. Wie es mir beim weiteren Lesen erschien, hauptsächlich um die letzten Szenen, die für den Film noch fehlten. Man überlegte bereits, ob Liam nicht für Paul einspringen sollte. Dazu hagelte es unzählige Kommentare, die ich nur überflog.

Liam Duval sah zwar beinahe genauso aus wie sein Bruder, aber ihm fehlten die Ausstrahlung und das Talent.

Er könnte Paul nie ersetzen. Es konnte nur einen geben.

Paul, komm zurück! Wir wollen nur dich!

Mir war es egal. Am Ende war das Ganze ein ausgeklügelter PR-Gag, um Liams Karriere voranzutreiben. War der nicht nur Koch? Wenn er damals gut genug gewesen wäre, wäre er sicher auch Schauspieler geworden. Da konnte mir keiner was anderes erzählen.

Waaaaaaas? Dieser Liam anstatt Paul? Kann ich mir nicht vorstellen. Wer ist denn dieser Liam überhaupt?

Das ist sein Bruder! Man sollte hier keine Kommentare schreiben, wenn man keine Ahnung hat, über wen man da eigentlich herzieht. Hallo!

Paul kann niemand ersetzen!

Paul, ich liebe Dich! Komm zurück.

Ich hoffe, der ist kein Fischfutter geworden. Finde ihn cool!

Solche Äußerungen bitte lassen. Vielleicht liest das auch seine Familie.

Liam kenn ich nur von Fotos. Der kann Paul nie ersetzen, auch wenn er ihm ähnlich sieht.

Wer ist Liam? Dachte, der hat eine Schwester.

Unter den Kommentierenden gab es auch welche, die Paul schon für tot hielten.

Paul we love you! R.I.P

DU warst der Beste! Forever Paul Duval!

Nur die BESTEN sterben jung. R.I.P.