Defcon One - Andy Lettau - E-Book
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Andy Lettau

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Beschreibung

Ein Anschlag in New York und ein merkwürdiges Erpresserschreiben, welches die letzten lebenden Ex-Präsidenten bedroht Präsident Barack Obama ist tot, durch eine Bombe in Berlin in Stücke gerissen. Kaum ist George T. Gilles als Nachfolger ins Amt eingeführt, überschlagen sich die Ereignisse. Zunächst landet der abgetrennte Kopf eines im Irak entführten Zivilisten im Weißen Haus. Dann bricht nach einem Anschlag in New York Panik aus, und die vier noch lebenden Ex-Präsidenten geraten ins Visier eines unbekannten Gegners. Einem seltsamen Erpresserschreiben, welches die Räumung sämtlicher US-Militärbasen in Übersee zur Forderung hat, möchte die neue Administration in Washington zunächst wenig Beachtung schenken. Erst als Mark Spacy, Operationsleiter der regierungsnahen und ultrageheimen National Underwater & Space Agency, auf einen Zusammenhang zwischen den Anschlägen und den rätselhaften Toden einiger NASA-Top-Astronauten hinweist, gibt der Präsident sein Einverständnis für ein waghalsiges Geheimkommando.

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Seitenzahl: 1110

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Andy Lettau / Robert Lady

Defcon One

Angriff auf Amerika

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Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

MottoPROLOGRÜCKBLENDEERSTES BUCH1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. KapitelZWEITES BUCH11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. KapitelDRITTES BUCH30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. Kapitel42. Kapitel43. Kapitel44. Kapitel45. Kapitel46. Kapitel47. Kapitel48. Kapitel49. Kapitel50. Kapitel51. Kapitel52. Kapitel53. KapitelVIERTES BUCH54. Kapitel55. Kapitel56. Kapitel57. Kapitel58. Kapitel59. Kapitel60. Kapitel61. Kapitel62. Kapitel63. Kapitel64. Kapitel65. Kapitel66. Kapitel67. Kapitel68. Kapitel69. Kapitel70. KapitelFÜNFTES BUCH71. Kapitel72. Kapitel73. Kapitel74. Kapitel75. Kapitel76. Kapitel77. Kapitel78. Kapitel79. Kapitel80. Kapitel81. Kapitel82. Kapitel83. Kapitel84. Kapitel85. Kapitel86. Kapitel87. Kapitel88. Kapitel89. Kapitel90. Kapitel91. KapitelSECHSTES BUCH92. Kapitel93. Kapitel94. Kapitel95. Kapitel96. Kapitel97. Kapitel98. Kapitel99. Kapitel100. Kapitel101. Kapitel102. Kapitel103. Kapitel104. Kapitel105. Kapitel106. Kapitel107. Kapitel108. Kapitel109. Kapitel110. Kapitel111. KapitelEPILOG112. KapitelNachwort
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Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen,

oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende.

John F. Kennedy, 35. Präsident der USA

 

 

Jede Nation in jeder Region muss jetzt eine

Entscheidung treffen. Entweder seid Ihr für uns,

oder Ihr seid für die Terroristen.

George W. Bush, 43. Präsident der USA

 

 

Yes, we can!

Barack Obama, 44. Präsident der USA

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PROLOG

Die Challenger-Katastrophe

RÜCKBLENDE

28. Januar 1986, 11.05 Uhr

Florida, Daytona Beach

Der dunkelhaarige Fahrer des unauffälligen Buick Riviera saß hinter dem Steuer und blickte auf seine Armbanduhr. Die Digitalanzeige seiner Casio signalisierte pulsierend die Zeit: 11:05:23. Es war ein eiskalter und klarer Wintermorgen, und aus dem Radio war die Stimme des lokalen Nachrichtensprechers zu hören, der den Start des Space Shuttles Challenger ankündigte. In dreißig Minuten würde der Countdown ablaufen. Bis dahin blieb noch genügend Zeit, das Motel zu erreichen und die große Sache im Fernsehen live zu verfolgen.

Er hatte einen frühen Flug von Houston nach Jacksonville genommen und war dann mit dem Mietwagen die Gold Coast heruntergefahren. Er ärgerte sich darüber, dass er den Start nicht live vor Ort verfolgen konnte, aber die Entscheidung der NASA war sehr spät getroffen worden. Und obwohl es nur etwas mehr als siebzig Meilen bis Cape Canaveral waren, hätte er es nicht rechtzeitig bis vor Ort geschafft. Er war sich aber sicher, dass bei dem bevorstehenden Ereignis auch von Daytona Beach aus etwas am Himmel zu sehen sein würde.

Er erreichte das vorgebuchte Motel und legte eine Kreditkarte vor, die auf den Namen Steve Miller ausgestellt war. Es war ein preiswertes Motel mit einem muffigen Geruch, aber das störte den Zwanzigjährigen nicht. Sein Zimmer lag im ersten Stock, und eine Treppe führte den Außengang herauf, von wo aus man einen schönen Blick auf den Ozean hatte. Er atmete die kalte und salzhaltige Luft des Atlantischen Ozeans ein und betrat sein Zimmer. Es war schmucklos eingerichtet und roch nach Nikotin. Miller warf seinen kleinen Koffer auf das Bett und schaltete den Fernseher ein. Das altersschwache Gerät gab einen langen Summton von sich und zunächst war nur Schnee auf der Mattscheibe zu sehen. Die Fernbedienung litt unter den fast leeren Batterien, aber schließlich gelangte er zu dem gewünschten Sender.

Die Kaltfront hat den gesamten Südosten der Staaten erreicht, hörte der junge Mann den Meteorologen sagen, als in der Vorberichterstattung zum Shuttle-Start die amerikanische Wetterkarte eingeblendet wurde. Auf Cape Canaveral war die Temperatur auf drei Grad Celsius gesunken, was völlig ungewöhnlich für den Sonnenstaat Florida war. Normalerweise würde die Raumfähre bei einer solchen Außentemperatur nicht starten. Immer wieder waren kleinere und größere technische Defekte aufgetaucht, die kein guten Vorzeichen für die Mission STS-51 L waren. Doch der Zeit- und Kostendruck, der auf den NASA-Managern lastete, war gewaltig. Da auch die nachfolgenden Missionen an enge Startfenster gebunden waren, konnte der Transport und das Aussetzen des riesigen Bahnverfolgungs- und Datenübertragungssatelliten nun nicht weiter aufgeschoben werden. Scheiterte dieser Start, war das gesamte folgende Jahr für die NASA ein organisatorischer Fehlschlag. Nach mehreren Countdown-Unterbrechungen gaben die Verantwortlichen schließlich grünes Licht, die Challenger an diesem kalten aber klaren Januarmorgen in den Himmel zu schießen.

Commander Francis Scobee an Bord der Fähre erhielt vom Bodenkontrollzentrum in Houston das Zeichen Go for Launch, und um 11.38 Uhr erfolgte endlich der Start. Die mächtigen Feststoffraketen zündeten und hoben die Fähre mit dem Lärm von fünfhundert gleichzeitig startenden Jumbo-Jets in die Luft.

Steve Miller starrte gebannt auf den Bildschirm und kniff die Augen zusammen. Deutlich meinte er erkennen zu können, wie eine weißbräunliche Rauchfahne am unteren Ende der Feststoffraketen austrat.

Das müssen die Dichtungsringe im O-Ring sein. Sie sind spröde geworden. Sie verbrennen. Die Kälte hat sie spröde gemacht. Wenn sie verbrennen, erwischt es gleich die Booster. Die Leute bei Morton Thiokol haben Recht gehabt. Das Dichtungsmaterial hält nur bis maximal zwölf Grad Celsius. Mein Gott, welche Narren die NASA doch beschäftigt. Ich gebe ihr noch höchstens anderthalb Minuten!

Während die Challenger ein Rollmanöver durchführte, welches sie in die richtige Lage für den weiteren Aufstieg brachte, zeigte die Fernsehkamera eine Gruppe Angehöriger und Freunde des siebenköpfigen Besatzungsteams.

Schwenk zurück auf das Shuttle. Schwenk zurück auf das Space Shuttle, du Idiot, betete der Mann den Fernseher an. Der Regisseur wird sein Leben lang fluchen, wenn er jetzt nicht mit der Kamera drauf bleibt.

Um die aerodynamische Belastung des Space Shuttles in den dichteren Schichten der Erdatmosphäre in Grenzen zu halten, wurde der Schub der drei Haupttriebwerke vollautomatisch reduziert. Knapp eine Minute später – Houston meldete Go at throttle up – regelten die Bordcomputer den Schub der Haupttriebwerke wieder auf den Normalwert hoch. Nun begannen die letzten zehn Sekunden der Challenger.

Mit zunehmender Geschwindigkeit stieg die Raumfähre empor. Sie hatte nun eine Höhe von fast sechs Meilen erreicht. Die Telemetrie-Daten wurden am unteren Bildschirmrand eingeblendet. Der Kommentator spulte sein selbstgefälliges Repertoire vom beeindruckenden und überlegenen Können amerikanischer Raumfahrttechnologie ab. Die Vereinigten Staaten waren die dominierende Nation auf der Welt. Nur sie waren in der Lage, der gesamten Menschheit den Weg zu den Sternen zu zeigen. Blabla …

Noch fünf Sekunden.

Noch vier Sekunden.

Die Lippen des jungen Mannes hatten sich zu einem dünnen Strich verzogen. Sein Gesicht war zu einer hässlichen Maske erstarrt. In seinen Augen lag ein tödliches Wissen. Der arrogante Reporter würde gleich Lügen gestraft werden. Das Spiel war aus.

Noch zwei Sekunden.

Noch eine Sekunde.

Urplötzlich spaltete eine gigantische Explosion den Himmel über Florida. Die Challenger wurde buchstäblich in Fetzen gerissen. Ein apokalyptischer Feuerball schoss in die Atmosphäre. Abertausende von Trümmerteilen zogen Rauchfahnen hinter sich her und regneten in den Atlantik nieder. Eine imposante Explosionswolke stand unheilvoll und bewegungslos vor dem kontrastierenden azurblauen Himmel. Die durch den Druck der Detonation abgerissene Kabine schlug erst eine Minute später und rund dreißig Meilen vom Startkomplex 39B entfernt auf die Wasseroberfläche auf.

Es sollte für die Öffentlichkeit immer ein Geheimnis bleiben, ob die Astronauten den Zeitpunkt des Aufpralls noch bewusst miterlebt hatten. Die Version der NASA – und somit die Version der Medien – war die des schmerzlosen Todes, bedingt durch den plötzlichen Druckabfall in der Kabine und die damit verbundene Bewusstlosigkeit der Crew. Die NASA jedenfalls dementierte heftig alle anders lautenden Gerüchte zu diesem Thema.

Steve Miller setzte ein zufriedenes Lächeln auf, als er von seinem Fenster an den Horizont schaute und das bizarre Wolkenbild über dem Cape sah. Auf der Straße standen viele Passanten und schauten fassungslos in die Richtung des Unglücks. Unbeeindruckt ging er in sein Zimmer zurück.

Seit dem Start waren genau dreiundsiebzig Sekunden vergangen. Die Challenger hatte aufgehört zu existieren. Und mit ihr die Astronauten Francis Scobee, Ellison Onizuka, Judith Resnik, Ronald McNair, Gregory Jarvis und Michael Smith, sowie die Nicht-Astronautin Christa McAuliffe, eine siebenunddreißigjährige Lehrerin aus Concord, New Hampshire, die sich als Zivilistin für das Ronald Reagan Programm Lehrer im Weltraum beworben hatte.

Während ein fassungsloser Reporter versuchte, die Katastrophe zu erklären, liefen die Bilder vom Moment der Explosion wieder und wieder über den Schirm. Spätestens jetzt würden sich die Fernsehsender, die dem Start des amerikanischen Shuttles aus Kostengründen keine Aufmerksamkeit mehr gewidmet hatten, selber verfluchen.

Miller zündete sich eine Zigarette an und setzte sich auf das Bett. Völlig entspannt verfolgte er die weiteren Sondersendungen.

Amerika war geschockt.

Eine ganze Nation hatte plötzlich den Glauben verloren. Den Glauben an Fortschritt, an technische und geistige Überlegenheit gegenüber anderen Ländern. Für die USA war das Space Shuttle mehr als nur eine Raumfähre. Es war ein Symbol der Macht und der Stärke, eine beeindruckende Demonstration von ungebremster Expansionsenergie. Und mit einem Mal war alles vorbei. Ein zerplatzter Traum. Vor den Augen der Welt. Live. Unge­schminkt. Die Zeit der Tränen war gekommen.

Das Desaster war das Top-Thema in den Medien, und zwar weltweit. Seit der spektakulären Mission von Apollo 13 und seit Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond gesetzt hatte, war keine Weltraummission so intensiv diskutiert worden. Alle möglichen Experten meldeten sich zu Wort und jeder hatte etwas zum Thema zu sagen. Plötzlich war allen wieder bewusst, welche Risiken die moderne Raumfahrt mit sich brachte. Das größte Unglück in der Geschichte der bemannten Raumfahrt hatte den Traum vom routinemäßigen Zugang der Menschen in den erdnahen Weltraum zerstört. Nichts war Routine, gar nichts. Die Kritiker des Programms fühlten sich bestätigt, und noch in der Stunde des Unglücks wurden die ersten Theorien über die Explosion geäußert.

Steve Miller hatte sich mittlerweile auf dem Bett ausgestreckt. Auf seinem zarten, olivfarbenen Gesicht lag ein zufriedener und zugleich entschlossener Ausdruck. Er wusste, dass die NASA in den nächsten Tagen, Wochen oder Monaten die Ursache für die Katastrophe zu Tage fördern würde. Er wusste, dass die Nation keinen Dollar scheuen würde, um den Tiefen des Atlantiks die weit verstreuten Wrackteile der Challenger zu entreißen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie das Problem der Dichtungsringe erkennen würden. Doch in ihrem unersättlichen Größenwahn, in ihrer grenzenlosen Überheblichkeit und Arroganz, würde diese Nation niemals auch nur einen Augenblick den Gedanken in Erwägung ziehen, dass die wahre Ursache für dieses Armageddon nur zum Teil seinen Ursprung in der Fehlfunktion eines einzelnen Teils hatte. Die amerikanische Öffentlichkeit sollte erst mehr als zwanzig Jahre später erfahren, wer diese Kette unglücklicher Umstände begünstigt hatte.

Der junge Mann sah zum wiederholten Mal das Bild der auseinanderdriftenden Feststoffraketen, die V-förmig mit ihrem Treibstoffvorrat weiterflogen, bis die Bodenstation per Funkbefehl die Sprengung auslöste. Mit den Fingern seiner rechten Hand formte er vor diesem Hintergrund ein V, das Zeichen für Victory, den Sieg. Wir haben zurückgeschlagen!

Als er die Augen schloss, wanderten seine Gedanken in die Heimat. In das Land seiner Ahnen. In das Land stolzer Wüstensöhne und einsamer Beduinen.

In das Land seines Vaters.

Es war eine tröstende, weit zurückliegende Erinnerung.

Er erinnerte sich, wie er als kleiner Junge nach England und dann in die Vereinigten Staaten übergesiedelt wurde und wie ihn Menschen, die er bis dahin noch niemals zuvor gesehen hatte, zu dem gemacht hatten, was er jetzt war. Er war unter falscher Identität und an wechselnden Orten in diesem Land umher gereicht, großgezogen und ausgebildet worden. Er hatte die Kultur dieses Landes kennen gelernt und seine eigene dabei nie vergessen. Er hatte eine Eliteuniversität besucht und bewegte sich wie ein Einsamer unter Fremden. Aber das war sein Schicksal. Und seine Mission. Eine göttliche Mission, die einflussreiche und mächtige Männer außerhalb der USA für ihn vorgesehen hatten. Er hatte zu dem, was noch immer Gegenstand der Bilder im Fernsehen war, seinen bescheidenen Teil beigetragen. Aber seine wahrhaft große Zeit würde noch kommen. Er würde die gefährlichste Geheimorganisation der Welt aufbauen und dieses Land der Gottlosen von innen in die Knie zwingen. Auch wenn bis dahin noch Jahre vergehen sollten, würde er in dieser Zeit nicht verzweifeln. Denn seine Mission würde ihm zum Märtyrer machen und sein Name würde dann für alle Zeit in die Geschichtsbücher eingehen.

Für Männer wie ihn war der Begriff Zeit nicht mehr als eine Worthülse. Für ihn hatte die Zeit aufgehört zu existieren, da er die Zeit unter dem Joch des Imperialismus und der so ­genannten freien Welt als verschenkte Zeit empfand. Erst wenn die gerechte Revolution stattgefunden hatte, würde die Zeit wieder einen Sinn ergeben. Und darauf zu warten, war wie eine süße Verheißung.

Unser Tag wird kommen, so wie es in den heiligen Schriften prophezeit steht. Sie können uns unsere Fregatten nehmen, unsere Panzer, unsere Raketen, unsere Leiber. Aber eines können sie uns nicht nehmen, niemals! Unseren Stolz und unsere Idee!

Vater, ich danke dir, dass du mich auf diese heilige Mission geschickt hast. Ich werde dein Vertrauen in mich nicht enttäuschen. Dieser Tag heute war erst der Anfang. Die Zeit wird kommen, wo unser Triumph die Massen zu Tränen rühren wird. Und diese Tränen werden unser Land überschwemmen. Sie werden Fruchtbarkeit und Leben bringen. Sie werden uns stark machen und unsere Feinde schwach. Ein neues Zeitalter wird anbrechen und ein neues Denken hervorrufen. Das Zeitalter der Jamahiriya, das Zeitalter der Massen. Ganz so, wie du es prophezeit hast. Und die Köpfe der Ausbeuter werden rollen, da unsere Revolution in allen Ländern und auf allen Kontinenten ausgefochten wird. Ich danke dir Vater, dass du mich auserwählt hast.

Ich liebe dich.

Ich liebe dich, Muammar Al Gaddafi.

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ERSTES BUCH

Die Hinweise

1

26. Januar, 20.06 Uhr

Washington, D. C.

Die schlanke und groß gewachsene Frau im dezenten grauen Kostüm verließ mit raschen Schritten den Ankunftsbereich der unteren Ebene am Dulles International Airport in Washington, D.C., um auf eines der zahlreichen wartenden Taxis zuzusteuern. Mit der rechten Hand überprüfte sie ihre modische blonde Kurzhaarfrisur, den Sitz ihres Schals, sowie den SMS-Eingang ihres Handys, während sie mit der linken Hand einen überdimensionierten Aluminiumkoffer hinter sich her zog. Der Koffer war ein wahres Monstrum und passte nicht so recht zu dem wirklich eleganten Erscheinungsbild der Frau. Nur ein aufmerksamer Beobachter hätte bei genauer Betrachtung des kleinen Kofferlogos registriert, dass es sich um ein Modell für privilegierte Mitarbeiter der NASA handelte.

Mit achtunddreißig Jahren hatte Tracy Gilles nichts an Attraktivität eingebüßt, obwohl ihr von der Sonne Floridas leicht gebräunter Teint und das dezent aufgetragene Make-up nicht ganz die Zeichen von Anspannung und Übermüdung verdecken konnten. Selbst auf dem knapp zweieinhalbstündigen Flug von Orlan­do in die Regierungshauptstadt hatte sie nach mehr als vierundzwanzig Stunden ohne Schlaf noch auf ihrem Laptop gearbeitet und den Getränkeservice der Stewardessen freundlich dankend abgelehnt. Tracy Gilles war ein Workaholic und Fitnessfreak und verabscheute koffeinhaltige oder hochprozentige Getränke ebenso wie fetthaltiges Essen oder mangelnde Bewegung. Flugreisen in überfüllten Linienmaschinen waren für sie ein Graus; der Grund dafür lag weniger in der Enge oder dem begrenzten Sitzkomfort, sondern vielmehr an dem ihrer Meinung nach überholungsbedürftigen weil zeitintensiven Transportkonzept auf Mittel- und Langstreckenreisen in den bekannten Fluggeräten von Boeing, Lockheed, Airbus & Co. Tracy Gilles arbeitete für die NASA und war in einem ihrer Nebenressorts mitverantwortlich für entsprechende Zukunftskonzepte in der zivilen Luftfahrt, die eine beschleunigte Beförderung und verkürzte Reisezeit in der unteren Stratosphäre zum Forschungsinhalt hatten.

Während Tracy dem nächsten vorfahrenden Taxi per Handzeichen signalisierte zu stoppen, überprüfte sie beiläufig den Sitz ihrer Sonnenbrille und verstaute das Mobiltelefon in der Handtasche. Wie immer auf Reisen hatte sie das ungute Gefühl, etwas vergessen zu haben. Allerdings stellte sich am Ankunftsort stets heraus, dass die Sorge unbegründet war und sich alles Notwendige im Gepäck befand.

Ein dickerer Mantel wäre nicht schlecht gewesen, überlegte sie. Die Ankündigung des Piloten, dass die Wetterverhältnisse in Washington leider nicht so mild waren wie im südlichen Florida, hatte sich bestätigt. Es herrschten leichte Minusgrade, und einige Schneeflocken verirrten sich bis unter den überdachten Ankunftsbereich des Flughafens.

Der Taxifahrer, ein Afroamerikaner Mitte zwanzig, musterte anerkennend und mit verstohlenen Blicken seinen weiblichen Fahrgast, während er den schweren Koffer im Rückraum verstaute.

Im Wageninneren antwortete Tracy auf die Frage des Fahrers nach der Adresse kurz angebunden mit Pennsylvania Avenue 1600, das Weiße Haus. Der Taxifahrer staunte nicht schlecht und quittierte das Ankunftsziel mit einem gehauchten: »Wow!«

Während der knapp halbstündigen Fahrt in das achtundzwanzig Meilen vom Flughafen gelegene Stadtzentrum von Washington glitten Tracys Blicke über die Gemeindegrenzen von Fairfax County und Loudoun County, ohne dass sie Details der Umgebung wirklich wahrnahm. Zu sehr war sie in Gedanken und beschäftigte sich mit beruflichen Dingen, welche die nähere Zukunft betrafen. Die NASA hatte vor einer Woche die Reserveliste für die kommende Space-Shuttle-Mission bekanntge­geben und der Name Tracy Gilles stand dort im Einsatzprofil unter Pilotin. Dies hatte sie mit einem nie da gewesenen Gefühl von Stolz erfüllt, und sie befand sich seitdem in einem inneren Disput mit sich selbst. Sie kannte natürlich alle anderen Besatzungsmitglieder der offiziellen Crew persönlich, jedoch ertappte sie sich immer wieder bei dem Gedanken, Commander Scott Glenmore könnte plötzlich die Masern und sie damit die Chance bekommen, schon auf Mission STS 150 als erste Chefpilotin zur Internationalen Raumstation ISS zu fliegen.

Erst als der Potomac River, das Washington Monument und das Kapitol in Sichtweite kamen, wachte Tracy aus ihren Tagträumen auf und gab eine genaue Anweisung an den Fahrer, welcher Eingang am Weißen Haus angefahren werden sollte. Als sich das Taxi dem Kontrollpunkt näherte, winkte ein distanziert wirkender Secret Service Mitarbeiter mit dem obligatorischen Headset am Ohr den Wagen zur Seite. Der Taxifahrer ließ das getönte Seitenfenster per Knopfdruck herunter gleiten und der im dunklen Anzug mit perfekt sitzender Krawatte auftretende Secret Service Mann beugte sich vor, um einen Blick auf die Rückbank zu werfen. Unwillkürlich umspielte ein kaum wahrnehmbares Lächeln sein Gesicht, und mit einer eleganten Handbewegung öffnete er die Hintertür des Washington Flyer Taxicabs. »Guten Abend, Miss Gilles, willkommen in Washington! Sie bringen uns hoffentlich zukünftig nicht wieder in Verlegenheit, wenn Sie den Begleitschutz des Secret Service ablehnen. Aber steigen Sie doch bitte erst einmal aus. Ihr Vater erwartet Sie!«

»Danke!«, erwiderte Tracy mit gespielter Verärgerung, während sie ausstieg und ihre klassischen halbhohen Absätze den As­phalt berührten. »Aber Sie wissen ja, ich bin alt genug, um allein auf mich aufzupassen. Dieser junge Mann hat mich sicher zum Ziel gebracht, und das alles ohne Inanspruchnahme öffentlicher Steuergelder.«

Nachdem sich Tracy mit einem angemessenen Trinkgeld vom Taxifahrer verabschiedet hatte, schaute dieser mit offenem Mund seiner Kundin hinterher. In einer Gruppe von Secret Service Mitarbeitern bewegte sich eine Prominente auf die Front des Weißen Hauses zu, die Taxifahrer Toni King hinter deren stark getönter Sonnenbrille nicht erkannt hatte: Tracy Gilles, TV-Moderatorin, Jetpilotin, NASA-Mitarbeiterin … und seit vergangener Woche Tochter des neuen Präsidenten George T. Gilles.

 

Präsident George T. Gilles war im Kampf um das höchste Amt im Staat mit hauchdünner Mehrheit zum Sieger gekürt worden und hatte nach Barack Obamas tragischem Tod in Berlin die Gunst der Stunde genutzt. Die Partei hatte ihm letztendlich bedin­gungslos das Vertrauen ausgesprochen, sein neues Team akzeptiert, und ihm den Rücken in schwierigen Zeiten freigehalten. Sein Team war zunächst skeptisch gewesen, ob die Wirkung seiner Wortwahl die richtige gewesen war, als er auf einem Parteitag in New York argumentiert hatte, er werde den Kampf gegen den Terror weiterführen, aber ohne einen gigantischen Aufwand an Mensch und Material in den entlegensten Winkeln des Planeten, sondern vielmehr mit Diplomatie und Geheimdiensten. Diese Wortwahl war eine direkte Anspielung auf die US-Präsenz im Irak und das damit verbundene Sterben und Scheitern der eigenen Truppen. Die sich erneut zu spalten drohende Öffentlichkeit in Amerika hatte diese Aussage jedoch als Schritt in die richtige Richtung akzeptiert, um endlich einen Schlussstrich unter das Kapitel Irak zu ziehen, dessen Befreiung noch nachvollziehbar, dessen dauerhafte Besetzung aber nicht mehr gewünscht war. Während die Republikaner nach Obamas Tod durch unbekannte Terroristen Morgenluft gewittert hatten und sich erneut der Koalition der Willigen erinnerten, setzten die Demokraten ganz auf Vernunft und den Dialog mit den Feinden Amerikas. Das Eis aber war dünn, auf dem sich die neue Administration bewegte.

Die Vereidigung lag erst eine Woche zurück, und Präsident Gilles hatte noch immer nicht alle Räume des Weißen Hauses gesehen. Das Anwesen an der Pennsylvania Avenue verfügte über 132 Wohn- und Arbeitsräume, fünfunddreißig Badezimmer, acht Treppenhäuser, drei Aufzüge, einen Swimmingpool, einen Tennisplatz, eine Bowlingbahn, einen großen Fitnessraum, eine Großküche und einen Kinosaal.

Und in genau diesem Kinosaal erwartete George T. Gilles seine Tochter, als diese von einem großen, wortkargen Sicherheits­beamten des Secret Service in das abgedunkelte Foyer geführt wurde.

»So also sieht es im Zentrum der Macht aus. Und ich hatte immer gedacht, dass Oral Office wäre die wahre Schaltzentrale des weißen Mannes«, eröffnete Tracy angriffsfreudig das Gespräch, in dem sie auf die ehemalige Affäre des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton mit seiner Mitarbeiterin Monica Lewinsky anspielte.

»Noch immer die alte Tracy: Dickköpfig, stur und mit den schlechtesten Manieren ausgestattet, die man sich vorstellen kann. Wäre deine Mutter nicht viel zu früh an dieser tückischen Krankheit gestorben, sie hätte an deiner Erziehung noch viel Freude gehabt. Leider habe ich in diesem Punkt zugegebenermaßen völlig versagt.«

Vater und Tochter schauten sich einen scheinbar endlos langen Moment in die Augen, um sich dann lachend in die Arme zu fallen. Es war das erste Mal seit mehr als drei Monaten, dass sich die beiden sahen. George T. Gilles hatte es seiner Tochter zunächst übel genommen, dass diese nicht zu den Feierlichkeiten der Amtseinführung nach Washington gekommen war, zumal die für viele Wählerstimmen verantwortliche Klatschpresse dieses Thema ebenfalls aufmerksam verfolgte. Als Tracy aber am Telefon konterte, sie müsse gegebenenfalls einen Umweg über den Mond nehmen, hatte George T. Gilles sofort verstanden. Seine Tochter war in die nächste Shuttle-Mission nachnominiert worden, und das bedeutete die Abarbeitung exakt aufeinander abgestimmter Pflichtprogramme und Termine bei der NASA.

»Und?«, setzte der Präsident die Begrüßung fort. »Wie fühlt man sich als frischgebackene Astronautin?«

»Verdammt gut. Die Verpflichtung in das Space Shuttle Team ist die Krönung meiner bisherigen Laufbahn. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie aufregend das alles ist …«, setzte Tracy zu einem Wortschwall an, den George T. Gilles aber kurzerhand unterbrach.

»Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika geworden zu sein, ist auch nicht gerade unspektakulär. Wenn deine Mutter doch diesen Augenblick hätte miterleben dürfen! Wir beide auf dem Höhepunkt unserer Laufbahn. Am Ziel unserer Träume. Wer hätte das jemals gedacht?«

Tracy schaute mit wachem Blick in die feucht glänzenden Augen des momentan mächtigsten Mannes der Welt. Nur ein Flüstern kam über ihre Lippen. »Das alles liegt jetzt fast zehn Jahre zurück, und wir sollten akzeptieren, dass Gott es so gewollt hat. Ich denke auch noch jeden Tag an Mom, und die Erinnerung an sie gibt mir Kraft und Mut in schweren Stunden, weil sie es war, die uns in harten und stürmischen Zeiten zusammengehalten hat.«

Der Präsident wusste, worauf seine Tochter anspielte. In seinen ersten Jahren als Senator in Kalifornien hatte er ein Verhältnis mit seiner Sekretärin angefangen; weiß der Teufel, warum das damals geschehen musste. Gilles bereute es im Nachhinein zutiefst, da er damit seine Karriere und seine Ehe aufs Spiel gesetzt hatte, also alles was ihm lieb und wichtig war. Aber Eleonore, seine damalige Frau, hatte ihm den Fauxpas verziehen und ihn angespornt, auf seinem Weg an die Spitze mit Geradlinigkeit, Aufrichtigkeit und Entschlossenheit zu schreiten. Dass durch Gilles` Fehltritt das Verhältnis zu seiner Tochter mehr als überstrapaziert worden war, war verständlich. Doch mit dem plötzlichen Krebstod von Eleonore Gilles hatten Vater und Tochter nach und nach näher zueinander gefunden und das Verhältnis mit der Zeit normalisiert. Seit jenen Tagen war George T. Gilles keine erneute langfristige Beziehung zu einer Frau eingegangen. Er war den Ratschlägen seiner verstorbenen Eleonore gefolgt und hatte sich mit aller Kraft auf seine Ämter konzentriert. Jetzt, mit 58 Jahren, stand er an der Spitze der größten Industrienation der Welt. Er wirkte mit seinen 1,90m äußerst sportlich und dynamisch, war im vollen schwarzen Haar leicht ergraut und damit ungemein attraktiv. Darüber hinaus war er charmant und eloquent. Und mit seiner humanistischen Bildung und seinem ausgeprägtem Verständnis für Literatur, Kunst und Musik bewegte er sich sicher in allen Gesellschaftskreisen. Er war ein guter Zuhörer und immer offen für Vorschläge, seien sie im ersten Moment auch noch so absurd. Sein Verhandlungsgeschick, seine Diplomatie und sein Pragmatismus brachten dem promovierten Mediziner in allen politischen Lagern Anerkennung ein. George T. Gilles wollte ein Präsident zum Anfassen sein und fühlte sich in der Tradition John F. Kennedys und Barack Obamas beheimatet.

»Tracy an Erde. Ist da jemand?«, scherzte seine Tochter.

Präsident Gilles erwachte aus seiner Reise in die Vergangenheit und schenkte seiner Tochter ein warmherziges Lächeln. »Du hast bestimmt Hunger. Max, unser neuer Koch, hat uns etwas vorbereitet. Wir essen hier, im Kino. Und dann schauen wir uns gemeinsam etwas an, was ich dir nicht vorenthalten möchte.«

Tracy Gilles stutze. Sollte Sie den Weg hierher angetreten sein, um sich mit ihrem Vater einen Spielfilm anzusehen? Sie fixierte ihn, als dieser ihr den Rücken zuwandte. Irgendetwas schien ihm Sorgen zu bereiten; etwas, das nicht mit dem ungeahnten Druck des Präsidentenamtes zu tun hatte, sondern mit ihrer Person. Es war diese unerklärliche Schwingung zwischen zwei Menschen, die sich sehr nahe standen und die erkannten, wann den anderen etwas emotional bewegte. Auch wenn in der letzten Zeit viel Distanz zwischen ihnen entstanden war.

Und in der Tat sollte Tracy Gilles am heutigen Abend mit einer unbequemen Wahrheit konfrontiert werden, die von jetzt an nichts mehr so sein lassen würde, wie es einmal war. Aber noch ahnte sie nichts davon, weil in ihrem Kopf tausend Dinge gleichzeitig herumwirbelten. Könnte sie doch nur die Gedanken an Mark Spacy, ihren langjährigen Freund und Lebenspartner, der gerade in Chile eine geologische Expedition leitete, aus dem Kopf verdrängen.

Mark war Operationsleiter bei der geheimnisumwitterten NUSA, jener Organisation, die sich ihrer Meinung nach paramilitärischen Aufgaben widmete und dabei den Deckmantel wissenschaftlicher Tätigkeiten in den Weltmeeren und im Weltraum vortäuschte. National Underwater & Space Agency, alleine der Name jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Wusste sie doch nur zu gut, dass sich dahinter eine verschworene Gemeinschaft eingefleischter Patrioten verbarg, die das gefährliche Abenteuer suchte und die Jagd nach Terroristen, im großen Stil operierenden Umweltsündern und größenwahnsinnigen Gangstern betrieb. Große Jungs mit teuren Spielzeugen, die in James Bond-Manier äußerst gefährliche Spielchen spielten.

Das hatte nichts mit akribisch arbeitenden Wissenschaftlern, Forschern und Entwicklern zu tun, wie Tracy Gilles sie sich vorstellte. Sie musste sich natürlich eingestehen, dass ihr beruflicher Werdegang auch nicht gerade von Langeweile bestimmt war und eine stark militärisch geprägte Note hatte, auch wenn sie ihre Laufbahn beim Militär eigentlich immer als Mittel zum Zweck definiert hatte.

Während sie ihren Vater betrachtete, der einige nette Worte mit Max, dem anrückenden Koch, wechselte, ließ sie Revue passieren, wie sich ihr bisheriges Leben entwickelt hatte. Allerdings wurde ihr Ausflug in die Vergangenheit schnell unterbrochen.

»Tracy, möchtest du als Vorspeise lieber Lachs in Sesamkruste und marinierte Riesengarnelen oder lieber luftgetrocknetes Rindfleisch mit Spargelspitzen und Paprikajulienne?«, wollte der Präsident wissen.

»Fisch, Fisch ist prima«, antwortete Tracy.

»Und als Hauptgericht? Wir haben gegrilltes Thunfischsteak mit Zitronenbutter, Mangorelish, Brokkoli, Karotten und gebratenen Reis. Alternativ kann ich uns eine Gemüselasagne in Tomatencoulis, dazu Zucchini, Aubergine und …?« Tracy schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.

»Dad, ist schon okay, Fisch ist prima. Sag mal, ist das hier das Weiße Haus oder ein Haute Cuisine Restaurant mit angeschlossenem Theater? Wahrscheinlich kommen gleich noch ein paar Stehgeiger, die unser Dinner begleiten. Hast du ein neues politisches Ziel ausgegeben? Vivre comme Dieu en France?«

Präsident Gilles setzte sein unverwechselbares und charmantes Politikerlächeln auf und breitete die Hände einladend aus. »Leben wie Gott in Frankreich? Schatz, nicht dass du einen falschen Eindruck bekommst von dem, was wir hier so tun. Ich möchte einfach nur ein wenig mehr Stil in den Laden bringen. Wie ich gehört habe, ist der Vor-Vorgänger von Max an Langeweile gestorben, da er seinem Boss jeden Tag ausschließlich Ribeye-Steaks braten musste.«

Tracy Gilles schüttelte schmunzelnd den Kopf und kam der Aufforderung ihres Vaters nach, sich schon einmal an einen hergerichteten Tisch mit dem Tafelsilber des Präsidenten zu setzen. Den Tisch zierten ein Blumenbouquet, ein stilvoller Kerzenständer und ein bereits dekantierter Wein, ein 2005er Riesling Kabinett trocken, wie Tracy dem deutschen Etikett entnahm. Wahrscheinlich ein Geschenk der deutschen Botschaft.

Als ein Secret Service Mitarbeiter den Präsidenten einen kurzen Augenblick um Gehör bat, entschuldigte sich dieser bei seiner Tochter mit dem Hinweis, sofort wieder zurück zu sein. Tracy nickte und blickte sich in dem kleinen Kinosaal um, der etwa vierzig Personen Platz bot, und erinnerte sich dann wieder, wie aufregend ihr Leben doch bisher verlaufen war.

Tracy Gilles war in Bakersfield, im Bundesstaat Kalifornien, aufgewachsen und hatte dort eine glückliche Kindheit verbracht. Sie war ein aufgewecktes Einzelkind gewesen und hatte sich bereits sehr früh für alle Dinge interessiert, die mit technischen Apparaten zusammenhingen. Es verging kaum eine freie Minute, in der sie nicht mit den Nachbarskindern an irgendwelchen ferngesteuerten Autos, an Motorrädern oder Motoren herumschraubte. Es war zwar etwas ungewöhnlich für ein junges Mädchen, aber ihre allergrößte Leidenschaft waren Flugzeuge. Der ganz in der Nähe des Elternhauses gelegene Meadows Field Airport zog sie magisch an, und staunend verbrachte sie mit ihren Freunden viel Zeit an den Sicherheitszäunen des Flughafengeländes und sah den kleinen und großen Maschinen dabei zu, wie sie sich mit dröhnenden Triebwerken in die Luft erhoben. Mit sechzehn Jahren hatte sie durch kleine Jobs und die Unterstützung der Eltern so viel Geld zusammen, dass sie erste Flugstunden auf einer Cessna nehmen konnte. Es war für sie ein überschäumender Glücksmoment, als sie schließlich das erste Mal alleine in der vibrierenden Maschine saß, ihre Platzrunden drehte und schließlich ihre Privatpilotenlizenz erwarb. Von diesem Augenblick an stand für Tracy fest, dass sie die wirklich großen Maschinen auch steuern wollte. Nach dem College studierte sie Physik und Astronomie an der California State University. Dort schloss sie diese Ausbildung mit einem Bachelor-Titel ab, um dann an das bekannte Massachusetts Institute of Technology zu gehen. In Geo- und Planetenwissenschaften erreichte sie dort einen Master. Obwohl ihre Eltern sie drängten, in die Privatwirtschaft zu gehen oder ein Lehramt auszuüben, stand ihr nächster Entschluss fest: der Eintritt in die US-Luftwaffe, die United State Air Force. Sie zog nach Texas um und wurde auf der Reese Air Force Base zur Militärpilotin ausgebildet. Die nächsten Jahre verbrachte sie auf der Luftwaffenbasis Barksdale in Louisiana und flog dort mit Maschinen des Typs KC-10 Extender Truppentransporte. Obwohl sie nie für Operationen im Golfkrieg eingesetzt wurde, standen doch immerhin 200 Einsatzstunden auf der KC-10 in ihrem Flugbuch, und zwar als Kopilotin, Kommandantin und schließlich als Ausbilderin. Sie war nie in einen Unfall, Absturz oder eine ähnlich bedrohliche Situation geraten, und ihr guter Ruf als Sicherheitsfanatikerin eilte ihr stets voraus.

Es waren verdammt aufregende Zeiten in dieser von Männern dominierten Branche gewesen, wunderte sich Tracy über sich selber und blickte sich kurz um, wo denn ihr Vater steckte. Vorsichtig nippte sie an dem Weißwein, von dem sie sich ein halbes Glas eingeschenkt hatte. Sie ließ ihre Zunge über ihre vollen Lippen gleiten und entschied, dass dieser Tropfen ausgezeichnet war. Sie spielte ein wenig mit dem Glas, stellte es wieder ab, legte den Kopf in den Nacken und blickte an die rot getünchte Decke, als ob es dort etwas Interessantes zu entdecken gebe. Der Blick an den imaginären Himmel versetzte sie in ihre jüngere Vergangenheit zurück. Mark kam ihr in den Sinn.

Die unter wirklich außergewöhnlichen Umständen zustande gekommene Begegnung mit Mark Spacy war es, die sie zur Ausbildung an der Test Pilot School der USAF in Kalifornien getrieben hatte. Somit war sie wieder in der Nähe ihres Elternhauses, wo ihrer Mutter ein schweres Krebsleiden diagnostiziert wurde. Die schwere Familienkrise überstand Tracy nur, weil Mark ihr Halt gab und Liebe schenkte und sie sich mit voller Konzentration in ihren Job als Testpilotin auf der C-17 Combined Test Force stürzte. Die Edwards Air Force Base wurde ihre neues Zuhause, und sie war maßgeblich an der Weiterentwicklung des Truppentransporters C-17 Globemaster beteiligt. Aber die Edwards Air Force Base war mehr als nur eine Arbeitsstätte. Hier sah sie zum allerersten Mal das Space Shuttle Columbia landen, und der Anblick dieses wieder verwertbaren Raumgleiters bekräftigte sie in ihrem Entschluss, sich bei der NASA als Astronautin zu bewerben. Dieses Ding wollte sie fliegen, kostete es, was es wolle, und war es auch noch so gefährlich. Kurzerhand reichte sie gegen den Willen ihres Vaters, der ohnehin zu sehr mit seiner eigenen politischen Karriere beschäftigt war, ihre Bewerbung bei der NASA ein. Mark, dem gerade ein lukratives Angebot der NUSA unterbreitet worden war, fiel aus allen Wolken, als er von Tracys Plänen erfuhr. Er war gegen diesen Entschluss, weil er der Meinung war, es sei vollkommen ausreichend, wenn einer von beiden – nämlich er – Kopf und Kragen in irgendwelchen Einsätzen riskieren würde. Er beschwor die Gefährlichkeit der Missionen herauf und zitierte detailreich die Unglücke der Space Shuttles Challenger und Columbia, die beide am Himmel auseinander gebrochen waren. Tracy aber wollte von alldem nichts wissen, und ihre bisherigen beruflichen Erfahrungen und ein wenig Glück im Kandidatenverfahren bescherten ihr schließlich einen Ausbildungsplatz bei der NASA in Houston. Das knapp einjährige Training hatte sie bereits erfolgreich absolviert, und seitdem wartete sie auf eine Nominierung in eine offizielle Mission. Und seit letzter Woche war es amtlich: Sie würde ihre Chance bekommen, auch wenn sie jetzt erst einmal nur auf der Reserveliste für die von den der NASA werbewirksam angepriesenen Jubiläumsmission im Sommer stand und bis dato dem Support Team, also der wichtigen Unterstützungsmannschaft am Boden, zugewiesen war. So pendelte sie derzeit ständig zwischen Texas und Florida hin und her, um für Mission Control und die jetzige Einsatzcrew ihr Bestes zu geben und gleichzeitig die auf Cape Canaveral aufgezeichnete naturwissenschaftliche TV-Quizshow zu moderieren, über die Mark Spacy seine ganz eigene und in der Tat nicht positive Meinung zu äußern pflegte.

»Entschuldige, Liebes, die Pflicht, die Pflicht«, versuchte Präsident George T. Gilles den Protest seiner Tochter bereits im Keim zu ersticken. »Ich hatte irgendwo meinen Pager, das ist so ein Ding, mit dem du hier rund um die Uhr auf Empfang zu deinem Stab bist, im Büro liegen gelassen. Und das mögen die Jungs vom Secret Service überhaupt nicht.«

Tracy fiel auf, dass ihr Vater vom Büro sprach, anstatt das Wort Oval Office zu benutzen. Anscheinend war er wirklich noch nicht ganz hier angekommen und durchlebte gerade eine Art Tagtraum. Es würde wahrscheinlich noch etwas dauern, bis er realisiert hatte, wer er nun war.

Für Tracy jedenfalls war er noch immer der Mann ihrer Kindheit; der Vater, der mit ihr auf den Schultern durch die Straßen von Bakersfield stürmte und bunte Drachen hinter sich herzog. Jedenfalls mochte sie dieses Bild lieber als das eines politischen Führers, der mit einem Telefonat Atomkriege auslösen konnte.

Tracy fragte sich, ob dieser Job einen Menschen veränderte und wie es seine Vorgänger geschafft hatten, mit dieser ungeheuren Verantwortung umzugehen. Jedenfalls freute sie sich für den Moment darüber, ihn hier zu sehen. Er würde seinen Job gut machen, da war sie sich sicher. Er würde seine politischen Gegner und die republikanischen Hinterwäldler mit seiner charmanten und offenen Art alle um die Finger wickeln. Außerdem: Was ehemalige Cowboys geschafft hatten, würde ein kultivierter Akademiker und Intellektueller, der sich seine Volksnähe und Natürlichkeit immer bewahrt hatte, erst recht schaffen.

Wurde nur Zeit, dass es in absehbarer Zukunft eine First Lady an seiner Seite geben würde. Aber was redete sie sich in diesem Augenblick eigentlich ein? Schließlich war ihr eigenes Liebesleben seit fast einem Jahr die reinste Katastrophe, und sie kämpfte mit sich, Mark für immer Lebewohl zu sagen, auch wenn ihr dieser Gedanke arge Kopfschmerzen bereitete.

»Was macht eigentlich dein großer Held? Mark Spacy! Ich habe ihn bestimmt schon ein Jahr nicht mehr gesehen. Ist er immer noch bei der NUSA?«, nahm George T. Gilles wie auf Stichwort den letzten Gedanken von Tracy auf.

»Lass uns über etwas anderes reden, Dad. Momentan …«, sie zögerte und stocherte verlegen in ihrem Thunfischsteak herum, als suche sie die richtigen Worte, »läuft es einfach nicht so gut!«

Dann setzte sie ein künstliches Lächeln auf und hob ihr Glas; ein Zeichen dafür, dass dieses Thema an dieser Stelle sofort beendet war. George T. Gilles kannte seine Tochter gut genug und wechselte rasch das Thema.

»Nun gut, ich sehe, du möchtest nicht darüber sprechen. Wird sich bestimmt wieder einrenken. Du weißt ja, ich spreche aus Erfahrung. Dann erzähl doch mal von der NASA. Man hat dich also in das Ersatzteam nominiert. Finde ich großartig. Aber du bist noch keiner festen Mission zugeteilt, oder? Soviel ich gehört habe, geht es Commander Scott Glenmore prächtig und Edwin Hinkley, der Ersatzpilot, läuft den Marathon noch immer in passablen zwei Stunden und zwanzig Minuten.«

»Wo hast du denn diese Informationen her? Hast du etwa die CIA auf mein direktes Umfeld angesetzt?«, wollte Tracy wissen und war erstaunt darüber, wie gut ihr Vater über seine eigene Tochter informiert war.

»Die sind dafür nicht zuständig. Aber glaube mir, dieser Job hier hat so seine Vorteile.« Er drehte mit der Messerspitze ein paar Kreise in der Luft und blickte an die Decke. »In diesem Haus erfährt man Sachen, ob man sie nun hören will oder nicht. Und dazu gehört auch ein täglicher Wetterbericht von der eigenen Familienfront.«

»Das glaube ich jetzt nicht. Ich werde bespitzelt? Irgendjemand beobachtet mich dabei, wie ich meinen Job mache, wie ich mir meine Beine rasiere, wie ich abends mit jemandem ausgehe?« In Tracy stieg eine angestaute Wut auf, die sie schon immer gegen Nachrichtendienste gehabt hatte. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum sie sich mit Marks Arbeit, die oftmals auch mit Informationsbeschaffung hinter feindlichen Linien zu tun hatte, so schwer tat. Auch wenn Mark es ihr gegenüber im Detail nie zugeben würde, ab und an war er in Geschäfte mit der CIA verwickelt. »Wenn ich eins hasse, dann sind es Schnüffler! Und wenn ich selber Gegenstand einer schmutzigen Beobachtungsnummer bin, verlange ich augenblicklich Auskunft darüber. Ich finde, ich habe ein Recht dazu. Hallo? Ich bin deine Tochter!«

Präsident Gilles tupfte sich mit seiner Serviette den Mund ab, faltete sie sorgsam zusammen und legte sie auf den Tisch. Dann hob er langsam die Handinnenflächen in Tracys Richtung und hoffte damit, den aufbrausenden Ausbruch seiner Tochter zu stoppen.

»Tracy, lass mich Folgendes zu deiner Beruhigung sagen. Erstens: Niemand bespitzelt dich. Alle Informationen Scott Glenmore betreffend habe ich aus einem NASA-Bericht. Der Bericht ist reine Routine und Teil eines Informationsprogramms, das mir von den unterschiedlichsten zivilen wie militärischen Einrichtungen dieses Landes täglich unaufgefordert zugestellt wird. Sozusagen ein kompakter Überblick über die Lage im Lande. Zweitens: Die Informationen Edwin Hinkley betreffend habe ich von Edwin Hinkley senior, einem alten Weggefährten aus früheren Parteizeiten. Er ist jetzt Richter am Supreme Court, dem obersten Gerichtshof, und ich habe ihn noch vor meiner Vereidigung beim Lunch hier in Washington getroffen, um einige Dinge zu besprechen, die von verfassungsrechtlichem Belang sind. Du weißt, ich will da ein paar Gesetzesvorlagen zum Thema Klimaschutz auf den Weg bringen. War ein reines Arbeitsessen, in dem beiläufig das Thema auf seinen Sohn zu sprechen kam. Von daher die Information über den Ersatzpiloten. Papa war mächtig stolz auf seinen Jungen, das kannst du mir glauben. Und seine Marathonzeiten hat er mir dabei auch unter die Nase gerieben. Und drittens: Das Amt des Präsidenten bedingt es, sich an gewisse Mechanismen und Automatismen zu halten, welche das persönliche und familiäre Umfeld des höchsten Repräsentanten des Staates betreffen. Der Secret Service hat mich darauf hingewiesen, dass du zum Beispiel den Personenschutz wie auch den Escort Service vom Flughafen abgelehnt hast. Ich halte das, ehrlich gesagt, für keine besonders gute Idee, für irgendwelche potentiellen Attentäter oder Entführer ein leichtes Ziel abzugeben. Und was diesen Punkt anbelangt, steht mein Entschluss auch fest. Du bekommst Personenschutz, und zwar rund um die Uhr. Ab sofort ist immer ein Team in deiner Nähe, ohne dass du davon überhaupt Kenntnis nimmst. Und da deine Anrufe und Besuche in letzter Zeit ohnehin ein wenig selten geworden sind, bin ich wenigstens auf diesem Weg über dein Leben etwas im Bilde. Und nun lass uns bitte weiter essen.«

Tracy Gilles fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Ihr war der Appetit vergangen. So hatte sich das erste Treffen seit langem nicht vorgestellt.

»Über mein Leben im Bilde sein? Dass ich nicht lache. Ich habe in den letzten Jahren mehr über dich aus den Medien erfahren müssen, als von dir persönlich. Und ich habe dir das nie zum Vorwurf gemacht, weil ich wusste, wie sehr du dir gewünscht hast, in dieses Amt zu kommen, um dieses Land auf einen neuen Weg zu bringen. Aber persönliche Bevormundung kann ich einfach nicht akzeptieren. Personenschutz rund um die Uhr, ich und das Ziel irgendwelcher Terroristen! Ich glaube, diese ganze Sicherheitsparanoia im Lande hat auch vor dir nicht Halt gemacht. Ich wünschte mir, wir hätten über dieses Thema gesprochen, bevor ich hier hin gekommen bin.«

Desinteressiert schob Tracy Gilles einige Stücke Thunfisch auf ihrem Teller hin und her. Der Appetit war ihr vergangen, und sie schenkte sich entgegen ihren sonstigen Angewohnheiten ein zweites Glas Wein ein. George T. Gilles hingegen beendete schweigsam seine Mahlzeit, um sich dann zu erheben und Tracy die Hände auf die Schulter zu legen. Er wusste, dass sie im Kern ihrer Aussagen Recht hatte. Auch drückte ihn das schlechte Gewissen, seine Tochter lange vernachlässigt zu haben. Aber dennoch; was ihn trieb, war ehrliche Sorge, und er hoffte inständig, dass seine Tochter gleich einlenken würde. Er hatte beruflich alles erreicht und es war Zeit für ihn, sich einer Angelegenheit anzunehmen, welche auch die Familie betraf.

»Tracy«, flüsterte er ihr kaum hörbar ins Ohr. »Ich möchte, dass du dir das hier unbedingt anschaust. Danach wirst du verstehen, warum mich bestimmte Dinge in deinem beruflichen und privaten Umfeld … beunruhigen.«

Tracy schenkte ihrem Vater einen merkwürdigen Blick und war sich nicht sicher, was nun folgen würde. Sie versuchte ihre Emotionen zu unterdrücken und ließ sich von ihm in eine der komfortabel ausgestatteten Sitzreihen führen.

Präsident Gilles gab ein Handzeichen zu einem unsichtbaren Mitarbeiter, und der Raum verdunkelte sich bis auf einige diffus schimmernde Lampen an den Wänden. Mit einem leisen Geräusch fiel die Tür des kleinen Kinos in das Schloss und sie waren nun allein. Dann betätigte der Präsident einige Tasten an einem Laptop. Über einen Beamer mit hoher Auflösung wurde ein gestochen scharfes Bild auf die Leinwand projiziert, und ein einziges Logo erstrahlte längere Zeit auf weißem Untergrund.

Tracy wirkte irritiert und drückte die Pause-Taste des Laptops. »Was gibt das hier, Dad? Eine Nachhilfestunde in Völkerkunde? Ich kenne dieses Zeichen. Zwei gekreuzt Schwerter, der Felsendom in Jerusalem und die Karte vom heutigen Israel mit dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen. Das ist das Emblem einer ziemlich radikalen Organisation im Nahen Osten. Diese Organisation lehnt laut ihrer Charta die Zweistaatenlösung ab und fordert die totale Vernichtung von Israel, um anschließend dort einen gesamtpalästinensischen islamischen Gottesstaat aufzubauen. Was du mir hier zeigst, ist das Emblem der HAMAS. Die stehen, glaube ich, in der Liga der Selbstmordattentäter derzeit an der Tabellenspitze.«

George T. Gilles zeigte sich verblüfft. Anscheinend hatte die NASA oder die US AIR FORCE seiner Tochter neben der harten Ausbildung noch genügend Zeit gelassen, sich mit politischen Dingen zu beschäftigen.

»Respekt! Die Antwort ist richtig. Die Kandidatin ist eine Runde weiter«, spielte George T. Gilles auf die nebenberuflichen Aktivitäten seiner Tochter in der TV-Quizshow an.

Tracy lächelte gequält ihren Vater an. Dieser nahm ihre Hand von der Tastatur und drückte die Play-Taste. Nach weiteren endlos langen Sekunden verschwand das HAMAS-Logo und ein verschwommenes Muster aus den Farben Rot, Blau und Weiß wurde langsam eingeblendet. Dies schien ein professionell erstelltes Video zu sein, denn der Regisseur war darauf bedacht gewesen, seine Botschaft mit einer gewissen Dramatik zu transportieren. Unter den Klängen von The Star-Spangled Banner, der amerikanischen Nationalhymne, zeichneten sich die Umrisse der Stars and Stripes, des amerikanischen Sternenbanners, ab.

Plötzlich erklang eine Stimme, die wie eine Mischung aus Darth Vader, dem Computer HAL aus 2001 Odyssey im Weltraum und Micky Mouse klang. Es war entweder eine stark verfremdete menschliche Stimme oder eine synthetisch am Computer erzeugte. Tracy tippte auf letzteres. Wer immer hier sprach, wollte alleine durch den Klang bewirken, dass sich beim Zuhörer ein Gefühl der Beklemmung einschlich.

 

MR. PRESIDENT!

WEISS FÜR REINHEIT UND UNSCHULD. ROT FÜR TAPFERKEIT UND WIDERSTANDSFÄHIGKEIT. BLAU FÜR WACHSAMKEIT, BEHARRLICHKEIT UND GERECHTIGKEIT. EURE GRÜNDUNGSVÄTER HABEN VIEL WERT AUF DIE SYMBOLIK IN DER NATIONALFLAGGE GELEGT, ALS DAS JUNGE LAND SICH AM 4. JULI 1776 FÜR UNABHÄNGIG ERKLÄRTE UND GEORGE WASHINGTON SPÄTER DEN VORSCHLAG DES KONGRESSABGEORDNETEN FRANCIS HOPKINSON AKZEPTIERTE, DER DREIZEHN ABWECHSELND ROTE UND WEISSE STREIFEN FÜR DIE GRÜNDUNGSSTAATEN, SOWIE DREIZEHN WEISSE UND MANCHMAL AUCH GOLDENE STERNE ZUSÄTZLICH AUF DEM BLAUEN FELD DER STARS AND STRIPES VORSAH. WEITERE 37 STERNE SIND SEITDEM HINZUGEKOMMEN, SO DASS IHR INNERHALB EURER NORDAMERIKANISCHEN GRENZEN 50 BUNDESTAATEN UND 50 STERNE ZÄHLT. ABER WIE SIE SICHER WISSEN, MR. GILLES – VERZEIHUNG! WIE SIE SICHER WISSEN … MR. PRESIDENT, GIBT ES DERZEIT STARKE POLITISCHE BEMÜHUNGEN SOWOHL IN WASHINGTON ALS AUCH IN NEW YORK, DER FLAGGE EINIGE WEITERE STERNE HINZUZUFÜGEN: DIE AMERIKANISCHEN JUNGFERNINSELN, AMERIKANISCH-SAMOA, GUAM, DIE NÖRDLICHEN MARIANEN UND PUERTO RICO. UND WARUM NICHT GLEICH AUCH ISRAEL? DIE SIND DOCH OHNEHIN NUR TREUE VASALLEN IN EUREN IMPERIALISTISCHEN UND VON ÖL DURCHFLOSSENEN GEDANKEN.

 

Tracy und ihr Vater schauten sich an: Tracy, die dieses Video zum ersten Mal sah, schüttelte nur den Kopf und machte mit der Hand den berühmten Wischer vor dem Gesicht. Präsident Gilles, der das Video bereits kannte, bat Tracy darum, ruhig zu bleiben und bis zum Ende auszuharren. Tracy verdrehte die Augen und lauschte weiter Darth Vader.

 

WIE DEM AUCH SEI, MR. PRESIDENT. SIE SIND NEU IM AMT UND SIE MÖCHTEN ETWAS BEWEGEN. DARUM KOMMT HIER UNSERE BITTE AN SIE – UND WIR UNTERSTREICHEN DAS WORT BITTE AUSDRÜCKLICH, DA WIR SEHEN MÖCHTEN, OB SIE ALS NEUER MANN AN DER SPITZE DER ZIONISTEN KOOPERIEREN. DAS WORT FORDERUNG EXISTIERT IN UNSEREM WORTSCHATZ NICHT. ZUMINDEST NICHT ZU DIESEM ZEITPUNKT. BEWEGEN SIE SICH AUF UNS ZU UND BELASSEN SIE ES BEI DEN FÜNFZIG STERNEN. PFEIFEN SIE IHR UNITED STATES ARMY INSTITUTE OF HERALDRY ZURÜCK, WELCHES GERADE DABEI IST, EINE FLAGGE MIT BIS ZU SIEBENUNDFÜNFZIG STERNEN ZU ENTWICKELN. BEHALTEN SIE ALLE BUNDESTAATEN, DIE INNERHALB IHRER EIGENEN TERRITORIALEN GRENZEN IN NORDAMERIKA LIEGEN. FEIERN SIE IHREN FLAG DAY, DEN 14. JUNI, MIT DEN 50 STERNEN, ES SEI IHNEN GEGÖNNT. ABER ENTFERNEN SIE SÄMTLICHES MILITÄR AUS ÜBERSEE BEZIEHUNGSWEISE DEN GEBIETEN, DIE NICHT INNERHALB DER GRENZEN DES NORDAMERIKANISCHEN KONTINENTS LIEGEN. BEGINNEN SIE MIT IHREM STÜTZPUNKT AUF GUAM. ZIEHEN SIE DORT IHRE TRUPPEN AB. AM 20. FEBRUAR MUSS GUAM KOMPLETT GERÄUMT SEIN. SOLLTE DIES NICHT DER FALL SEIN, INTERPRETIEREN WIR DAS ALS EINEN AKT DER MISSACHTUNG UNSERER BITTE, DER SCHLIMME KONSEQUENZEN NACH SICH ZIEHEN WIRD. WIR WERDEN DANN EINEN MITARBEITER ODER EINE MITARBEITERIN DER NASA TÖTEN UND WIR WERDEN DABEI EINEN EINDEUTIGEN BEWEIS HINTERLASSEN, DER UNS – HAMAS – MIT DIESEM VERGELTUNGSAKT IN VERBINDUNG BRINGT. UM UNSERE ABSICHT, ERNSTHAFTIGKEIT UND GLAUBWÜRDIGKEIT ZU UNTERSTREICHEN, HINTERLASSEN WIR IHNEN MIT DIESER BOTSCHAFT EIN FILMISCHES ZEUGNIS DER … LIQUIDIERUNG VON NICOLAS BRIGG. SIE UND DIE MITARBEITER IN DEN BEKANNTEN UND IHNEN UNTERSTELLTEN NACHRICHTENDIENSTEN WISSEN, DASS SÄMTLICHE IM INTERNET KURSIERENDEN VIDEOS VON DER ENTHAUPTUNG BRIGGS EINE FÄLSCHUNG SIND. WIR – HAMAS – LIEFERN IHNEN DEN EINDEUTIGEN BEWEIS, DASS NICOLAS BRIGG AUF DIE ART GESTORBEN IST, DIE EINEM VERRÄTER AN DER ISLAMISCHEN SACHE GERECHT WIRD: DURCH DAS SCHWERT! IN KÜRZE WERDEN SIE POST VON UNS ERHALTEN. IN FORM EINES PAKETS. ÜBER DESSEN INHALT DÜRFEN SIE JETZT SPEKULIEREN. ES IST HEUTE DER 20. JANUAR UND DAS ERSTE ULTIMATUM STEHT. LASSEN SIE ES NICHT VERSTREICHEN.

RÄUMEN SIE GUAM.

DIE ZEIT LÄUFT.

HARAKAT AL-MUQÀWAMA AL-ISLAMIJJA

HAMAS

 

Der Präsident hatte seine Stirn in Falten gelegt und vergrub nun das Gesicht unter seinen Händen. Er wirkte mit einem Mal sehr müde und konsterniert und sprach entgegen seiner sonstigen Art sehr leise und fast verzweifelt.

»Schau dir den Rest bitte nicht an. Nimm ihre Worte einfach für bare Münze. Was jetzt folgt ist so grausam, widerlich und gegen jegliche Menschenwürde …, bitte, Tracy, erspar dir das!«

Tracy Gilles hatte sich stumm in ihrem Sessel aufgerichtet. Auch wenn Sie das Video, welches noch immer die Nationalhymne abspielte, mit äußerster Skepsis betrachtet hatte, kam sie nicht umhin, eine gewisse Glaubwürdigkeit darin zu entdecken. Es war so anders, wie alles was man bisher aus den Medien kannte. Die HAMAS trat kühl, berechnend und professionell auf; man konnte dem Video eine gewisse Qualität nicht absprechen. Und was sie am meisten schockierte, war die Tatsache, dass die Nichterfüllung einer Forderung eine bis dato nicht für möglich gehaltene Folge haben würde. Die NASA, eine rein wissenschaftliche Behörde, sollte einen Mitarbeiter verlieren, wenn diese völlig abstrusen Forderungen nicht erfüllt werden würden.

Tracy hatte plötzlich das Gefühl, alles um sie herum laufe im Zeitlupentempo ab. Es kam Tracy wie eine Ewigkeit vor, seit ihr Vater sie darum gebeten hatte, sich die Nicolas Brigg Sequenz nicht anzuschauen. Sie hatte Berichte über die Entführung von Brigg und dessen grausamer Enthauptung in den Medien und im Internet verfolgt. Sie kannte die Existenz des angeblichen Enthauptungsvideos, hatte aber alleine schon aus ethischen Gründen nie einen Download aus dem Web in Erwägung gezogen. Jetzt stand sie hier und erwachte aus ihrem Zustand, der einer Trance gleichkam. Als die Stimmen der Islamisten auf dem Video erklangen und der vor circa drei Monaten im Irak entführte US-Amerikaner Nicolas Brigg mit gefesselten Händen und Füßen in einem unmöblierten Raum auf Knien vor seinen Henkern zu sehen war, traten Tracy Tränen der Wut und der Trauer in die Augen. Das Video konnte keine Fälschung sein. Es war nicht verwackelt, absolut hoch auflösend und mit einem durchlaufenden Timecode versehen. Man konnte die Angst und die Panik in den Augen von Nicolas Brigg deutlich erkennen – und diese Angst übertrug sich unmittelbar auf den Betrachter. Der junge Nachrichtentechniker aus Iowa, gerade einmal 26 Jahre jung, wollte im Irak helfen und zerstörte Telefonanlagen reparieren. Jetzt saß er da und wusste, dass er in Kürze sterben würde. Aber er konnte nicht mit stolzgeschwellter Brust oder in heroischer Pose sterben. Weil er sich keiner Schuld und keines Verbrechens bewusst war und nur an seine Frau dachte, die ihm vor einem Jahr einen gesunden Jungen geschenkt hatte. Seine Angst war übermächtig, er zitterte am ganzen Leib; seine kurzen Shorts und die nackten Beine und Füße nahmen ihm jegliche Würde und offenbarten jedes Detail. Urin rann seine Beine hinunter und er flehte leise und verzweifelt um sein Leben. Ein letztes Mal richtete Nicolas Brigg seinen Kopf nach oben und wimmerte mit Tränen in den Augen ein leises »Bitte, ich will nicht sterben.« Dann hob der Henker sein Schwert zum Schlag.

2

26. Januar, 21.48 Uhr

Washington, D.C., Pentagon

Admiral Adam Adamski hatte es eilig, verdammt eilig sogar. Der einundsiebzigjährige Vier-Sterne-General wurde von seinen Beinen, deren Oberschenkel den Umfang von Baumstämmen hatten, die Stufen in eine der oberen Etagen des Pentagon hoch getragen. Adamski hasste Fahrstühle; nicht deren Enge wegen, sondern aufgrund der Wartezeit, die man oftmals vor ihnen verbrachte. Im Sturmschritt, geradeso als gelte es einen neuen Rekord für das Guinness Buch der Rekorde aufzustellen, wuchtete er seinen nur einen Meter fünfundsechzig großen muskelbepackten Körper höher und höher. Seine stahlblonden und kurz geschorenen Haare kontrastierten dabei zu seiner leicht gebräunten und ledrigen Haut, die sich seit fast fünfzig Jahren auf allen Meeren ihr eigenes persönliches Oberflächenprofil gegeben hatte.

Während andere Männer seines Alters die Zeit mit kleinen weißen Bällen auf Golfplätzen oder im heimischen Garten beim Züchten von Rosen verbrachten, forderte Adamski in einem täglichen 14-Stunden-Programm seinen Körper und seinen Geist. Der Admiral war Gründer und Direktor der NUSA, der National Underwater & Space Agency; jener Organisation, die sich halb der Wirtschaft und halb der Politik beziehungsweise dem Militär verschrieben hatte und deren Aufgabengebiet hoch komplexe und oftmals gefährliche Einsätze zwischen Himmel und Hölle waren, wie ein Mitarbeiter einmal treffend formuliert hatte. Die NUSA verwendete neueste Technologien und operierte mit allerlei modifizierten, neu konstruierten und manchmal auch konfiszierten Flug- und Tauchapparaten, deren Herkunft teilweise niemand so genau verifizieren konnte. Die Kunden waren Ölfirmen, wissenschaftliche Institute, private wie regierungsnahe Organisationen, reiche und unabhängige amerikanische Industrielle. Bisweilen war es auch die NSA, die CIA oder der Präsident selber, welcher die NUSA um Hilfe bei einem delikaten Problem im In- oder Ausland bat. Die NUSA operierte weltweit, diskret, meist ohne Kenntnis der breiten Öffentlichkeit. Die NUSA gönnte sich noch nicht einmal eine eigene Webseite im Internet. Wer ein Problem, eine patriotische Gesinnung und eine dicke Geldbörse hatte, würde früher oder später über die entsprechenden politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Beziehungen zu Admiral Adam Adamski vorstoßen. Der alte Haudegen konnte auf fünf Jahrzehnte aktiver maritimer Tätigkeit zurückblicken, wobei seine Stationen einen biografischen Bestseller gerechtfertigt hätten: kommandierender Offizier auf einem Zerstörer im Zweiten Weltkrieg, in gleicher Funktion auf einem Atom-U-Boot während des Kalten Krieges; Herrscher über ein achtunddreißig Millionen Quadratmeilen großes Einsatzgebiet bei der Zweiten Flotte im Nordatlantik und schließlich die rechte Hand eines ameri­kanischen Präsidenten, der in Fragen der nationalen Sicherheit einen kampferprobten und zugleich weitsichtigen Sicherheitsberater an seiner Seite gewünscht hatte. Admiral Adamski symbolisierte den Patrioten und Militär, der über Parteigrenzen hinweg loyal seinem Vaterland diente.

Sein politisches Gespür und seine intuitive Auffassungsgabe bei sich ändernden Machtverhältnissen bei den Technokraten in Washington sagten ihm schon lange vor dem Regierungswechsel im Weißen Haus, dass seine persönliche Zeit in der unmittelbaren Nähe der Entscheidungskette der Vergangenheit angehören würde und dass seine Fähigkeiten und sein Wissen, welches immer mit der Beschaffung von notwendigen Geldern korrespondierte, von unschätzbaren Wert beim Aufbau einer schlagkräftigen privaten Institution sein könnten. Sein Entschluss, die NUSA zu gründen, fiel unmittelbar nach dem Angriff auf das World Trade Center, wobei er sich nicht von Emotionen, sondern von Sachargumenten hatte leiten lassen. Sein Menschenbild ließ nichts anderes zu, als auf alles vorbereitet zu sein. Das Böse hatte immer seinen Platz in der Geschichte der Menschheit behauptet, und es war für ihn ein Axiom und ein Glaubensgrundsatz seiner puritanischen Erziehung und maritimen Ausbildung an der United States Naval Academy in Annapolis, das Männer wie er zur rechten Zeit am rechten Platz zu sein hatten. Obwohl er dem philosophischen Disput sowie jeder anderweitig gearteten Auseinandersetzung über den Sinn und Unsinn militärischer Expansion der Nation der freien Welt offen gegenüberstand und dabei gerne Machiavelli argumentativ bemühte, war er doch eher ein Mann der Taten als ein Mann des Wortes. Admiral Adamski ruhte in sich und war mit seiner Auffassung eines Weltbildes, welches den Führungsanspruch einer demokratischen Nation wie es die Vereinigten Staaten von Amerika symbolisierten, im Reinen. Und obwohl er in sich und seinen Meinungen ruhte, war er doch ein Mensch im ständigen Unruhestand. Wenn etwas nicht funktionierte oder aus dem Ruder zu laufen drohte, explodierte er förmlich. Seine Anspannung war unübersehbar, als er das Außenbüro des Nationalen Sicherheitsberaters, der üblicherweise seinen Hauptsitz im Weißen Haus hatte, im Pentagon betrat.

»Bei allem gebotenen Respekt, General Grant, was um aller Herrgottsnamen erzählen Sie mir da für einen verdammten Bullshit? Sie wollen mir allen Ernstes weiß machen, die US-Raumfähre Challenger sei 1986 von Terroristen in die Luft gejagt worden? Beim Allmächtigen, beten Sie, dass Sie sich irren!«

General Lex Grant war ein Offizier der alten Schule und hatte Adamski vor Jahren auf dem Posten des nationalen Sicherheitsberaters des Präsidenten der USA beerbt. Spindeldürr und hoch aufgeschossen, ging von ihm in seiner blitzblanken Navy-Uniform etwas Stocksteifes und Aristokratisches aus, was noch durch sein schütteres silbernes Haar, die lange dünne Nase und der darauf ruhenden Halbglasbrille verstärkt wurde. Im Gegensatz zum gedrungen wirkenden Adamski, der mit seinem polternden Auftritt in Grants` Büro die Wände zum Zittern brachte, ließ der persönliche Sicherheitsberater des Präsidenten keine Zweifel daran aufkommen, jederzeit die Contenance zu wahren. Dieses Verhalten war ihm schon von Kindesbeinen an als Spross eines schwerreichen Textilfabrikanten aus den Südstaaten eingeimpft worden. General Grant nutzte es nur allzu oft, um sich in den gehobenen gesellschaftlichen Kreisen zu bewegen, in die er dank seiner familiären Herkunft hineingeboren worden war. Seine Contenance nutzte er als Abgrenzung gegenüber Emporkömmlingen – das Wort Schmeißfliegen hätte er niemals in den Mund genommen.

Admiral Adamski trieb diese öffentlich zur Schau gestellte Zurückhaltung in den meisten Fällen einfach nur zur Weißglut.

»Mein lieber Admiral«, begann Grant in seiner typischen gedehnten Aussprache. »Es erfreut mich jedes Mal auf ein Neues, wenn ich Ihren unverblümten und gehaltvollen Aussagen Gehör schenken darf. Nur zu, treten Sie ein und machen Sie es sich bequem. Darf ich Ihnen etwas anbieten, vielleicht einen Tee?«

»Ersparen wir uns das Süßholzgeraspel«, erwiderte der Admiral, »und lassen Sie uns gleich zur Sache kommen. Was ist dran an dem Bericht, der besagen soll, dass Terroristen damals die Challenger vom Himmel gepustet haben? Und warum bin ich verdammt noch mal nicht schon vorher in die Untersuchungen eingeweiht worden?« Der Admiral blickte sich in dem mit Mahagonimöbeln, Bilderrahmen mit Auszeichnungen und sonstigen nautischen Kunstwerken voll gestopften Raum um, während er versuchte, seine Betriebstemperatur etwas herunterzufahren.

»Wie lange kennen wir uns nun schon, Admiral?«, fragte Grant und wusste die Antwort ziemlich genau.

 »Drei Jahrzehnte, mehr als drei Jahrzehnte. Das ist eine verdammt lange Zeit. Annapolis, Norfolk, der Nordatlantik … wir haben wahrlich viele gemeinsame Schlachten geschlagen, und ich gehe wohl recht in der Annahme, dass auch Sie unser Verhältnis als freundschaftlich, konstruktiv und in der ständigen Achtung voreinander betrachtet haben.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«, knurrte Admiral Adamski, wohl wissend, dass General Grant für ihn stets ein Mann von Ehre und Integrität gewesen war. Es ließ sich nicht verleugnen; Adamski verbeugte sich innerlich wirklich vor Grant, die geschäftliche Beziehung war von tiefem Respekt gekennzeichnet. Wenn dieser verdammte Südstaaten-Bastard nur nicht so geschwollen daher kommen würde.

»Mein lieber Admiral«, setzte Grant die Unterredung fort, »wir beide wissen doch nur zu genau, dass ich Sie niemals mit etwas behelligen würde, was Ihre kostbare Zeit über die Maßen in Anspruch nehmen würde. Aber ich habe erst gestern persönlich von Bob Dreyfus, dem Direktor der National Security Agency, einen geheimen Bericht vorgelegt bekommen, der ziemlich eindeutig belegt, dass die Explosion der Challenger nicht auf ein Versagen der Dichtungsringe an den Feststoffraketen zurückzuführen ist, sondern eindeutig auf einen Sabotageakt, hervorgerufen durch einen ehemaligen Mitarbeiter bei der Firma Morton Tiokol.«

»Aber die Firma hatte doch damals explizit und mehrfach die NASA gewarnt, dass bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, wie sie 1986 beim Start herrschten, keine Garantie auf Dichte des verwendeten Materials gegeben werden könnte. So steht es doch auch im Abschlussbericht der NASA. Die haben den Fehler doch selber eingestanden.«

Der General lächelte wohlwollend, so als ob er seinem Enkelkind eine Unwissenheit verzeihen müsse.