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Die vorliegende Arbeit geht von der Annahme aus, dass das Studium der Entwicklung von Rhythmus und Lautinstrumentierung dem Literaturhistoriker Kriterien für eine historische Typologie der lyrischen Dichtung bereitstellen kann. Vor allem soll hier der Typus des romantischen lyrischen Gedichts untersucht und von dem der vorangegangenen wie auch der folgenden Entwicklung abgegrenzt werden. Die sich daraus ergebenden Erkenntnisse gelten voll und ganz für die lyrische Dichtung des slowenischen Nationaldichters Prešeren.
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Seitenzahl: 357
Veröffentlichungsjahr: 2013
Gewidmet meiner Frau Christa-Maria Neuhäuser
Rudolf Neuhäuser: „Dein Dichter hat den Slowenen Kränze neu gewunden“
12 Essays über F. Prešeren und die slowenische Dichtung von der Romantik zur Moderne
Mit einem Rückblick auf Panslawismus und nationale Wiedergeburt
Umschlaggestaltung: ilab.at
Fotonachweis: France Prešeren in Kranj/Krainburg
Foto: Adrian Kert (Hermagoras Verlag)
Lektorat: Mag. Christina Halfmann
© Verlag Hermagoras/Mohorjeva, Klagenfurt/Celovec – Ljubljana/Laibach –
Wien/Dunaj, 2012
Gesamtherstellung: Hermagoras/Mohorjeva Klagenfurt/Celovec
Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur.
ISBN 978-3-7086-0770-2
„Wem stimmen wir, ihr Brüder,
als erstem unser Trinklied an?
Ein Vivat unsrer Heimat,
ein Vivat der Slowenen Land,…
Es leben alle Völker,
die sehnend warten auf den Tag,
dass unter dieser Sonne
die Welt dem alten Streit entsag,
Frei sei dann
jedermann,
nicht Feind, nur Nachbar mehr fortan!
Auf uns zuletzt, ihr Freunde,
erhebt das Glas gefüllt aufs neu,
die wir als Brüder fühlen,
weil wir im Herzen gut und treu.
Gott bewahr
Unsre Schar
Und alle Guten immerdar!“
Aus: France Prešeren, „Trinklied“
Übersetzung: Klaus Detlef Olof
1. France Prešeren
1.1 Lautinstrumentierung und Lautmetapher im lyrischen Gedicht der Romantik anhand von Beispielen aus dem Gedichtband Poezije von France Prešeren
1.2 Gedanken zum Genre von France Prešerens Krst pri Savici: A. S. Puškin und F. Prešeren
1.3 Über Prešerens Strophenwahl in Krst pri Savici
2. Die Moderne
2.1 Oton Župančič und die Wiener Moderne
2.2 Lucien Tesnière als Literaturwissenschaftler
2.3 Josip Murn’s Verhältnis zur Moderne: Vom Nocturne zu den Gedichten des Fin de Siècle
2.4 Anton Tschechow und Josip Murn: Zur existenziellen Befindlichkeit der Moderne
3. Der Expressionismus
3.1 Der Beginn des Expressionismus in der deutschen und slowenischen Literatur. Eine vergleichende Studie
3.2 Reim und Lautstruktur in Vida Taufers Versband Veje v vetru
4. Zwischen Kaisertreue und panslawischer Begeisterung
4.1 Bartholomäus Kopitar und Russland
4.2 Aus der Geschichte der russisch-slowenischen Kulturbeziehungen im 19. Jahrhundert
Drucknachweise
Es war im Sommer 1975, als der Autor der hier versammelten Essays aus Kanada kommend, wo er Vorstand eines Universitätsinstituts für Slawistik war, in Klagenfurt eintraf. Die Universität war fünf Jahre alt, Kärnten war in Aufruhr. Im Unterland südlich der Drau explodierten Bomben, die von radikalen Kräften gelegt worden waren. Deutschnationale Kärntner hatten einen nächtlichen „Ortstafelsturm“ inszeniert, dem die eben aufgestellten zweisprachigen Ortstafeln zum Opfer fielen. Der dafür verantwortliche Landeshauptmann musste zurücktreten. Die Klagenfurter Slawistik, die mit meiner Ankunft ihren Beginn nahm, hatte in dieser schwierigen Situation die Aufgabe, die Studienfächer Russistik, Serbokroatistik und Slowenistik zu entwickeln und vor allem auch Studierende und Lehrende aus der slowenischsprachigen Minderheit zu fördern. Dies blieb stets ein Schwerpunkt. Kollegiale wissenschaftliche Kontakte zur Nachbaruniversität in Ljubljana, aus denen freundschaftliche Beziehungen entstanden, wurden hergestellt, regelmäßige Tagungen und wechselseitige Gastprofessuren und gemeinsame Publikationen vertieften die Zusammenarbeit. In den folgenden zwei Jahrzehnten entstand so unter tatkräftiger Mitarbeit des gesamten Instituts ein Slowenistikstudium, wie es sonst nirgendwo im deutschsprachigen Raum geboten wurde, in dem Studierende mit muttersprachlichen Kenntnissen des Slowenischen wie auch deutschsprachige Studierende zusammenfanden. Zwei Anthologien slowenischer Prosa und Poesie erschienen in Klagenfurt. Im Jahre 1995 wurde meine Tätigkeit durch die Slowenische Akademie der Wissenschaften und Künste SAZU mit der Ernennung zum Korrespondierenden Mitglied der Akademie gewürdigt.
Als Experte für russische Sprache und Literatur war mir die Einbettung der Universität in eine Region, in der sich deutsch- und slowenischsprachige Traditionen vermischt und über die Jahrhunderte hinweg gegenseitig befruchtet haben, theoretisch zwar bekannt, praktisch aber neu, – dafür aber eine Quelle vieler fruchtbringender Erkenntnisse. Als Russist war mir das Slowenische vom Studium her geläufig, ansonsten aber anfänglich fremd. So versuchte ich die „Seele“ dieser Sprache zu finden und fand sie in ihrer Dichtung. Die unerreichte Verskunst des Nationaldichters Prešeren, die melodiöse Qualität seiner Lyrik, die so stark mit seinen Gedichten in deutscher Sprache kontrastiert, führte zur Untersuchung der Lautinstrumentierung (s. 1.1) in seinen Versen. Diese Studie erschien in der wissenschaftlichen Zeitschrift Slavistična revija und auf Wunsch der slowenischen Kollegen nochmals in gekürzter Fassung in der Zeitschrift der Slawistischen Gesellschaft in Ljubljana Jezik in slovstvo.
Es entstanden weitere Studien zur slowenischen Literatur mit dem Schwerpunkt Romantik und Moderne. Die frühe Moderne in der slowenischen Literatur stand in engem Kontakt mit dem literarischen Wien, wo sich junge Dichter aus Ljubljana zum Studium aufhielten. Ein faszinierendes Wechselspiel der Einflüsse fand statt, an dem nicht nur österreichische und deutsche Autoren der Jahrhundertwende Teil hatten, sondern auch zeitgenössische tschechische und russische Dichter. Die Dichtung des Expressionismus, der – wie schon diese Bezeichnung erkennen lässt – eine von der Malerei der Zeit beeinflusste ausdrucksstarke Sprache pflegte, führte zurück zum Studium der lautlichen Gestaltung des Verses (3.1 u. 3.2). Die abschließenden beiden Essays untersuchen den intellektuellen und wissenschaftlichen Hintergrund, der in der Geschichte der beiden Staaten Österreich und Russland im 19. Jahrhundert eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte. Der Slowene Kopitar, einer der frühen Slawisten in Österreich, war von einer überaus russlandkritischen Einstellung motiviert, was in der Korrespondenz mit seinen russischen Fachkollegen deutlich zu erkennen ist (4.1). Der russische Geistliche Rajevskij, als orthodoxer Priester an der Russischen Kirche in Wien tätig, war dagegen ein slawophil orientierter Theologe, der die österreichischen Slawen im Sinne der Slawophilie für Russland zu gewinnen suchte und sich besonders intensiv um die Slowenen bemühte (4.2). Die beiden Essays zeichnen so das Bild einer Auseinandersetzung, die im 20. Jahrhundert in eine Katastrophe münden sollte.
Ein Wort zur Schreibweise russischer Namen: Im Text wird die wissenschaftliche Umschrift verwendet, in Zitaten auch die im Deutschen oder Slowenischen übliche Umschrift. Als Zugeständnis an deutschsprachige Leser wird das russische „e“ nach Vokalen als „je“ wiedergegeben und im Deutschen eingebürgerte Namen wie Dostojewskij, Tschechow und Turgenjew folgen der üblichen Schreibweise. Für Bezeichnungen wie „Slawen/slawisch“ und „Slowenen/slowenisch“ wird die im 19. Jahrhundert vielfach übliche und auch heute noch in Österreich verwendete Schreibweise mit „w“ der in Deutschland vorherrschenden Schreibung mit „v“ vorgezogen.
Mein Dank gilt Prof. Žarko Bebić, der die Digitalisierung besorgt hat und meinem lieben Freund Joachim Hamacher, der die Formatierung übernommen hat. Ohne sie wäre dieses Buch nicht entstanden. Ferner möchte ich den Kollegen diesseits und jenseits der Karawanken danken, die Inspiration und Unterstützung waren, diesseits der Berge waren dies Hofrat Pavel Zablatnik, Direktor Reginald Vospernik, Prof. Klaus-Detlev Olof, jenseits der Berge die Kollegen und Freunde aus Kranj und Ljubljana, Prof. France Bernik, Ehrenpräsident der Slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Prof. Boris Paternu, unser langjähriger Lektor France Drolc wie auch ihre zahlreichen Kollegen von der Universität Ljubljana. Besonderen Dank schulde ich dem Hermagoras Verlag, der es übernahm, diese Studien zu veröffentlichen, vor allem aber meinem Redakteur Herrn Mag. Roman Till. Nicht zuletzt gebührt meiner lieben Frau Christa-Maria Dank für ihre Unterstützung, ihre Geduld und Begleitung bei der Entstehung dieses Bandes!
Die vorliegende Arbeit geht von der Annahme aus, dass das Studium der Entwicklung von Rhythmus und Lautinstrumentierung dem Literarhistoriker Kriterien für eine historische Typologie der lyrischen Dichtung bereitstellen kann. Vor allem soll hier der Typus des romantischen lyrischen Gedichts untersucht und von dem der vorangegangenen wie auch der folgenden Entwicklung abgegrenzt werden. Die sich daraus ergebenden Erkenntnisse gelten voll und ganz für die lyrische Dichtung des slowenischen Nationaldichters Prešeren.
Mit Jurij Lotman kann für die neuzeitliche Kunstdichtung festgestellt werden, dass die Versdichtung gegenüber der Kunstprosa das ursprünglichere und ältere Genre ist:
„Estetičeskoe vosprijatie prozy okazalos' vozmožnym liš' na fone poetičeskoj kul’tury. Proza – javlenie bolee pozdnee, čem poezija.“1
Für die Versdichtung zur Zeit ihrer Entstehung gilt, dass formale Konventionen und Regelsysteme (Silbenzählung, Metrik, Reim, Strophik) die Abgrenzung zur Prosa besorgten und neben dieser nur noch eine ästhetische Funktion ausübten, nämlich für Wohlklang und Harmonie zu sorgen:
„Predstavlenie ob 'ukrašennosti' kak neobchodimom znake togo, čtoby iskusstvo vosprinimalos' imenno kak iskusstvo (kak nečto 'sdelannoe' - model'), prisušče mnogim istoričeski rannim chudožestvennym metodam.“2
Die Bedeutungsstruktur des Gedichtes beruhte jedoch allein auf den lexikalischen Elementen des Gedichtes.
In den slawischen Literaturen lässt sich diese frühe Periode etwa mit dem 18. Jahrhundert gleichsetzen, wenn auch diese Grenze in den einzelnen Literaturen etwas nach oben bzw. nach unten zu verschieben ist. In der weiteren Entwicklung der lyrischen Dichtung bis hin zur Moderne wandelten sich das lyrische Gedicht wie auch der Verständnishorizont des Lesers grundsätzlich. Efim Etkind hat in seiner Pariser Dissertation Materija sticha (Paris 1978, S. 52-59) eine Konfrontation eines für das 18. Jahrhundert typischen Gedichts von Cheraskov mit einem Gedicht A. Fets aus dem Jahre 1883 unternommen, aus der dies deutlich wird.3 Obwohl Fets Gedicht erst an der Schwelle der Moderne steht, kann es bereits als Modell eines modernen Gedichts gelten. Wie Etkind zeigt, liegt der Unterschied zwischen diesen beiden Gedichten nicht nur in dem unterschiedlichen Grad der Organisation von Lautinstrumentierung und rhythmischer Struktur, sondern vor allem in der Funktion dieser Aspekte. Dies kann anhand einer Prosafassung beider Gedichte gezeigt werden, wobei hier sowohl rhythmische als auch lautliche Organisation wegfallen. Es stellt sich heraus, dass sich Cheraskovs Gedicht ohne Weiteres in Prosa wiedergeben lässt, dies aber bei Fet kaum möglich ist. Trotz Fehlens von rhythmischer und lautlicher Organisation bleibt bei Cheraskov der Inhalt ohne Einbuße erhalten, bei Fet erhält man andererseits einen Text, der manieriert, wenn nicht gar unsinnig wirkt. Dies findet seine Erklärung darin, dass sich bei Fet die Bedeutungsstruktur auf die formalen Bereiche von Rhythmus und Lautinstrumentierung verlagert und die Lexik im Vergleich eher eine untergeordnete Rolle spielt. Fällt die formale Organisation des Textes weg, wie es in der Prosafassung oder oft auch bei einer Übersetzung in eine fremde Sprache der Fall ist, dann wird die Bedeutungsstruktur empfindlich gestört und der Sinn des Gedichtes kann sich in verkehren. Der Grund dafür liegt in der Semantisierung formaler Strukturelemente, die zu Ende des 19. Jahrhunderts zusehends die Bedeutungsstruktur lyrischer Gedichte bestimmt. Solche Elemente erhalten nun zusätzlich zur ästhetischen Funktion eine semantische Funktion bzw. übernehmen die Funktion der lexikalischen Elemente des Gedichtes.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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