Deine Worte im Herzen - B. H. Bartsch - E-Book

Deine Worte im Herzen E-Book

B. H. Bartsch

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Beschreibung

Das ist der dritte Teil rund um das Jasper-Rudel.   Takuyas Leben kommt mit einem Ruck zum Stillstand, denn er verliert seinen Mann bei einem Rennunfall. Er sucht Trost im Alkohol und verfällt in eine Depression. In einem klaren Moment beschließt er in seine Heimat nach Jasper zurückzukehren. Dort läuft er dem Pumawandler Robert über den Weg, der im Schoß seiner Familie über das drohende Ende seiner Beziehung mit Magnus hinwegkommen möchte. Doch er hat die Rechnung ohne Magnus gemacht, der ihm beweist, wie wichtig ihm Rob und ihre Beziehung sind. Doch da ist auch Takuya, der für Robert vom Schicksal, wie Mag auch, als wahrer Gefährte ausgewählt wurde und einen Platz an Roberts Seite zugewiesen bekommen hat. Das Rudel erweist sich als helfender Segen, doch kann Ty seine Dämonen besiegen und viel wichtiger, werden die drei den Spagat schaffen und glücklich werden?   Diese Geschichte ist ein homoerotischer Liebesroman für Erwachsene mit explizitem Inhalt und hat ca. 61.000 Wörter. Das Printbuch enthält ca. 294 Seiten. Diese Geschichte ist in sich abgeschlossen, jedoch empfiehlt es sich zum besseren Verständnis, die ersten beiden Teile gelesen zu haben.   Teil 1 – Mein-Für immer Teil 2 – Ein Vogel für den Puma Teil 3 – Deine Worte im Herzen Teil 4 – Des Alphas Gefährte

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Seitenzahl: 320

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B. H. Bartsch

Deine Worte im Herzen

Das Jasper-Rudel

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Kapitel 1 - Takuya

Tagsüber ist es der Kaffee, der mich am Laufen hält, nachts der Whiskey.

Der Blick ins Haus ist erschreckend. So hat es hier nie ausgesehen. Zumindest nicht, als Daniel… Bei dem Gedanken an ihn geht mein Blick automatisch zu der großen Fotografie, die gegenüber von meinem Schreibtisch an der Wand hängt. Doch der Anblick raubt mir den Atem. Ich fülle das Glas neu auf und stelle fest, dass die Flasche fast leer ist.

Ich trinke zu viel, esse und schlafe zu wenig, aber das ist mir egal. Denn ich habe keinen Grund weiterzumachen. Es ist fast zwei Uhr früh. Nur das leise Ticken einer Uhr ist zu vernehmen und das Rauschen des Wassers, das der Ozean mit jeder Welle an den Strand spült, durchbricht die Stille in dieser gottlosen Nacht. Der Mond steht tief im Nordwesten, in seiner ganzen Fülle. Rund und hell. Es gab Zeiten, da hätte ich aus meinen Gedanken einen Songtext geschrieben, mich ans Klavier gesetzt und drauflos gespielt, um die Worte in eine Melodie zu kleiden. Das Ganze abgemischt und zum Verkauf angeboten. Aber heute? Heute sitze ich hier, mit leerem Kopf und ohne Worte. Ohne Ideen und ohne meine Inspiration. Er ist fort. Von jetzt auf gleich. Vor einem halben Jahr.

Sie sagten, es war ein Unfall. Sie sagten, es kann jederzeit jeden treffen und er war sich der Gefahr bewusst. Sie können mir aber nicht sagen, wie ich ohne ihn leben soll.

Das Fenster ist offen und der Wind weht durch den zarten Stoff der Gardine, lässt sie fliegen und langsam wieder herunterfallen. Das Licht auf meinem Schreibtisch verleiht dem Whiskey eine tiefgoldene Farbe. Seit Stunden sitze ich hier in meinem Chefsessel und hänge meinen Gedanken nach. Wie letzte Nacht und die davor und die davor, auch die davor und so weiter.

In mir ist es still. Das war es noch nie. Immer schon waren da Textpassagen oder Melodieabfolgen, die ich irgendwie sofort zu Papier bringen musste.

Als ich meine Muse kennengelernt habe, begann mein beruflicher Erfolg noch mehr Fahrt aufzunehmen. Produzenten, Sänger und Manager haben mir die Bude eingerannt und mich um ein oder zwei Songs für ihre Alben gebeten. Alles, was ich angefasst hatte, wurde ein Erfolg. Auszeichnungen und Preisverleihungen reihten sich in meinen Terminplan eine um die andere ein. Und warum? Weil ich Daniel an meiner Seite hatte. Weil seine Worte mich inspiriert hatten. Seine Liebe mich beflügelte und getragen hatte. Er war mein Leben.

Und jetzt? Jetzt liegt er unter einem Stein auf dem Hollywood Forever Cemetery und ich sitze hier in unserem Haus, das wir offiziell als WG bewohnt haben. Alles hier erinnert mich an unser gemeinsames Leben.

Ich weiß, dass ich was ändern muss. Danni hätte es nie gutgeheißen, wenn er mich jetzt hier so sehen könnte. Aber mir fehlt die Kraft, mich an meinem eigenen Schopf zu packen und aus dem Sumpf aus Alkohol und Depressionen herauszuziehen.

Der Drang nach frischer Luft lässt mich die Füße vom Schreibtisch nehmen und aufstehen. Der Whiskey zeigt seine beachtliche Wirkung. Alles dreht sich und der Boden wankt. Beherzt fasse ich an die Tischkante und halte mich fest. Mutig fokussiere ich das Fenster und mache mich auf den Weg. Ich stoße das bodenlange Fenster auf und trete auf die Terrasse, auf der es seit einem halben Jahr keine Gesellschaft mehr gab.

Der neue Grill, den Daniel unbedingt haben wollte, steht da, wo er ihn aufgebaut hat. »Nächstes Wochenende machen wir mal wieder ein richtiges Barbecue«, hat er gesagt.

 

 

Meine Brust wird eng, die Trauer hat mich in ihren Klauen und drückt erbarmungslos zu. Ich taumele über den Strand, laufe immer weiter und weiter, bis ich bis zu den Schienbeinen im Wasser stehe. Tränen trüben meine Sicht. Ich bin am Ende meiner Kraft, kann nicht mehr und lasse mich auf die Knie fallen. Das Wasser ist eisig und beißt in meine Haut.

Ich blicke nach oben und schreie meinen Schmerz heraus.

»Daniel, du bist auf der falschen Seite des Himmels, komm zurück! Komm zu mir zurück, bitte.«

Das Wasser umspült mittlerweile meinen Hintern. Doch die Temperaturen laden nicht unbedingt zum Baden ein. Der Schmerz, den die Kälte auf meiner Haut verursacht, lässt mich spüren, dass ich noch lebe. Ich lasse mich nach hinten fallen, die Wellen spülen über mich hinweg und lassen meine Haut kribbeln. Es wird Zeit, dass ich mein Leben wieder in den Griff bekomme. Benommen und mit letzter Kraft stemme ich mich gegen die Strömung und stehe auf. Langsam gehe ich zurück zum Haus und frage mich, ob es hier jemanden gibt, der mich vermissen würde, außer der Hand voll Menschen, die von unserem Geheimnis wussten. Wahrscheinlich eher nicht.

 

Berufliches und Privates habe ich immer strikt getrennt. Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Sie haben sich ja auch nicht um mich geschert, dann sollen sie auch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Den Stecker vom Festnetztelefon habe ich aus der Buchse gezogen. Ich mag keinen hören und sehen. Mails lösche ich ungelesen und mein Handy ist seit Monaten aus. Die Wenigen, die von uns wussten, wissen Bescheid und lassen mich in Ruhe. Aber der erbärmliche Rest kann mir gestohlen bleiben. Die Funktionäre des Verbandes, seine Kollegen aus dem Team und vor allem die, die mich immer schon gemieden haben. Die der Meinung waren, dass die Schwuchtel an Daniels Seite einen Fleck auf sein blütenreines Image tupfen könnte. Ich war offiziell nur der beste Freund und wurde immer belächelt. Wie oft habe ich ihnen in meinen Gedanken den Stinkefinger gezeigt. Von wegen nur der beste Freund. Euer »Bester« war nämlich mit der Schwuchtel verheiratet. Vier Jahre waren wir vor dem Gesetz bereits Ehepartner. »Schatz, nur noch diese Saison, dann ist Schluss und dann machen wir es offiziell.« Das waren seine Worte, als er mich an dem Morgen zum letzten Mal küsste, aus dem Haus ging und nie wiederkam. Zwei Tage später ist er auf der Rennstrecke in eine Mauer gerast und hat mich zurückgelassen. Allein.

 

In meinem Kopf entsteht eine Idee. Immer mehr festigt sich mein Entschluss, neu anzufangen. Ich muss Daniel hinter mir lassen, so weh es mir auch tut. Er kommt nicht wieder und ich bin noch hier.

Wird Zeit, nach Hause zu gehen.

Kapitel 2 - Robert

 

Sportliche Highlights halten sich im Februar in Grenzen, deswegen muss ich auf andere Schlagzeilen hoffen, die sich aber leider nicht in meiner grenzenlosen Großartigkeit vor meine Füße werfen. Scheiße, verdammt! Es ist überhaupt nicht mein Ding, an diversen roten Teppichen zu stehen und die Stars und Sternchen, Möchtegern-Z-Promis und Anhängsel von den Stars von gestern aufzufordern, in meine Kamera zu lächeln.

Der Konkurrenzkampf ist extrem, es gibt einfach zu viele Journalisten für zu wenig Storys. Man gut, dass ich ein zweites Standbein als Autor habe. Das finanziert mir mein Leben, sogar ziemlich luxuriös, wenn ich mir mein Auto so anschaue, aber das ist eben nicht alles.

Ich bin nicht der Typ Mensch, der sich als Fotojournalist verdingen will, nur um in Los Angeles oder New York leben zu können. Seit etwas über zehn Jahren bin ich jetzt in Vancouver und fühle mich hier wohl, auch wenn nicht alles ›Friede Freude Eierkuchen‹ ist. Zum Beispiel mit Magnus. Seit dreieinhalb Jahren teilen wir das Bett, aber er lebt so tief im Schrank, dass man eine Taschenlampe benötigt, um ihn darin zu finden. Am Anfang tat ich mich schwer mit der Tatsache, das kleine, schmutzige Geheimnis des Star-Centers der ›Vancouver Canucks‹ zu sein, obwohl ich es verstehen kann. Sich im Profisport zu outen ist ein Karriereselbstmord. Gerade in Sportarten wie Hockey, Football oder Baseball gibt es so gut wie keine offen schwulen Spieler. Aber es gibt sie. Ich könnte in jedem Team mindestens einen benennen.

Magnus ist drei Jahre jünger als ich und hat noch gut und gerne vier bis fünf Jahre, die er aktiv spielen kann. Ich werde dieses Jahr zweiunddreißig und dachte nicht, dass es mich dermaßen stören könnte, zuzusehen, wie er eine Alibifreundin nach der anderen zu den offiziellen Terminen mitnimmt. Auch wenn er sie hinterher zu Hause absetzt und dann im Schutz der Dunkelheit in mein Bett kommt und sich von mir das holt, was er von einer Frau eben nicht bekommen kann. Der Vertrag mit den Canucks läuft nach dieser Saison aus und er wechselt nach Toronto. Eines muss man Magnus lassen, er ist beharrlich, wenn er sich ein Ziel in den Kopf gesetzt hat und etwas wirklich will, aber was ich definitiv nicht möchte, ist ein Umzug in den Osten des Landes. Wir haben deswegen in den vergangenen Wochen immer wieder gestritten. Er ist bockig und schläft seit einer Woche in seinem Penthouse. Ich greife nach dem Fotorahmen, der auf meinem Schreibtisch steht, und streiche über das Glas, hinter dem sich unsere lachenden Gesichter befinden. Irgendwas hat sich verändert.

Das Klingeln an der Haustür reißt mich aus meinen Gedanken.

Ich drücke auf den Türsummer, öffne die Wohnungstür und warte auf meinem Gast. Kann ja eigentlich nur Mag sein. Obwohl? Er hat doch einen Schlüssel.

»Hey.« Magnus’ tiefe Stimme dringt in mein Ohr und löst eine körperliche Sehnsucht nach ihm aus.

»Hey. Ist alles in Ordnung?« Unbehagen greift nach meinen Eingeweiden. Meine Frage lässt ihn seine Augenbrauen zusammenziehen. Er schaut mich an und sein Blick ist unsicher.

»Keine Ahnung, sag du es mir.« Er steht vor mir, in seiner beachtlichen Größe, die ich so liebe.

»Hast du dich beruhigt?« Ich lehne mich an die Sofakante und warte seine Antwort ab. Er atmet laut aus und reibt sich seinen Nacken.

»Wir fliegen nachher nach Toronto. Willst du nicht mitkommen?« Er schaut mich erwartungsvoll an.

»Mag … ich weiß, dass du es gerne möchtest, aber es hat keinen Sinn. Ich schaffe das keine weiteren drei Jahre. Ich verstehe dich und liebe dich, aber denkst du manchmal auch darüber nach, was du mir damit antust?« Eine Traurigkeit ergreift Besitz von mir, die ich in den letzten Wochen immer wieder versucht habe zu ignorieren.

»Babe, ich weiß, aber für mich ist der Wechsel wie ein Sechser im Lotto. Wir stehen mit sieben Niederlagen auf dem letzten Platz. Wenn ich meine Karriere noch nicht beenden will, muss ich hier weg. Und das Angebot der ›Maple Leafs‹ ist besser als alles, was bisher reinkam. Ich will dich doch nicht verlieren.« Auch Magnus klingt traurig. Er tritt auf mich zu und legt seine Hände an meinen Kiefer. Mit den Daumen zeichnet er meine Wangenknochen nach. Sein sehnsuchtsvoller Blick löst in mir den Wunsch aus, ihn in mein Schlafzimmer zu ziehen.

»Ich weiß, aber ich bin dein kleines, schmutziges Geheimnis und muss es bleiben. Weißt du, wie es mir geht, wenn ich dich mit Jenna oder Lissy oder wie sie alle heißen bei den offiziellen Anlässen stehen sehe und ich nicht an deiner Seite sein kann? Ich hasse es, es tut mir weh und …« Er zieht mich an seine Brust und drückt mich fest an seinen Körper.

»Sie bedeuten mir nichts, sie sind nur Mittel zum Zweck, um mir blöde Nachfragen vom Hals zu halten. Du weißt, dass ich nur dich liebe. Schatz, es tut mir leid, ich kann mich noch nicht outen.«

»Ich weiß, aber ich gehe daran kaputt.«

»Robert, tu mir das nicht an.« Er vergräbt seine Nase in meinem Haar.

»Es tut mir leid, Magnus, aber ich kann nicht. Schon dass wir dieses Gespräch hier führen, kostet mich alle Kraft. Ich liebe dich aus tiefstem Herzen, aber ich gehe kaputt. Ich werde dich zu nichts drängen, da ich weiß, wie wichtig dir deine Karriere ist. Wer wäre ich, wenn ich dich zu etwas zwingen würde, was unsere Beziehung im Nachhinein zerstören würde.« Ich kann meine Tränen nicht länger zurückhalten.

»Ich will nicht, dass du unglücklich bist, dafür liebe ich dich zu sehr.«

»Ich weiß, Schatz, ich weiß.« Mein Herz wird immer schwerer.

»Es tut mir leid, dass ich mich in den letzten Tagen nicht gemeldet habe. Ich bin einfach nur so enttäuscht. Gott, Babe, ich …« Ich kralle meine Finger in seinen Hoodie und atme seinen ureigenen Duft und sein Aftershave ein. Ein letztes Mal. So stehen wir hier in meinem Wohnzimmer und betrauern den Verlust des anderen und die Unfähigkeit, unsere Beziehung auf einem fairen Level zu führen.

Magnus löst sich von mir und küsst mich ein letztes Mal auf meine Lippen. Sein unendlich trauriger Blick bricht mir das Herz.

»Liebe dich«, haucht er, dreht sich um und verlässt meine Wohnung. Als die Tür ins Schloss fällt, eile ich ihm hinterher, aber der Anblick seines Wohnungsschlüssels auf dem Schränkchen neben der Tür lässt mich innehalten und das Gefühl von Endgültigkeit überkommt mich. Langsam schleiche ich zum Sofa, setze mich und lasse mich einfach zur Seite fallen. Der Schmerz in meinem Herzen ist gerade nicht zu ertragen.

 

Es ist bereits dunkel, als ich wach werde. Das Brummen meines Handys, das sich rappelnd über die Tischplatte bewegt, hat mich geweckt. Magnus kommt mir in den Sinn und schnell greife ich nach dem Telefon. Enttäuschung macht sich in mir breit. Es ist nicht Magnus, sondern William, mein Zwillingsbruder.

Ich wische über den Bildschirm und nehme das Gespräch an.

»Hi.«

»Hey, Brüderchen. Ich hatte gerade das Bedürfnis, deine Stimme zu hören. Alles okay bei dir?« Ein Seufzen entweicht mir und ich kann die Tränen nicht aufhalten.

»Nein.« Meine Stimme erstickt an dem dicken Kloß in meinem Hals.

»Robert, was ist los«, fragt er alarmiert.

»Es ist aus zwischen mir und Magnus. Er geht nach Toronto.« Ein tiefes Seufzen ertönt durch den Lautsprecher. Ich weiß, dass mein Bruder die Situation zwischen mir und Mag mit einem gewissen Abstand betrachtet.

»Robbie, manchmal ist es besser, ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende zu ertragen. Ich kann euch beide verstehen und bei Gott, ich würde dir deinen Herzschmerz echt gern nehmen, aber dagegen gibt’s kein Mittel.« Seine Stimme ist sanft, das ist für meinen engen Hals nicht gerade förderlich.

»Was hast du jetzt vor?«

»Keine Ahnung. Vielleicht fahre ich nach Hause, nehme mir ’ne Auszeit und versuche über Mag hinwegzukommen. Hier hält mich jedenfalls im Moment nichts.«

Kapitel 3 - Magnus

 

Fuck, fuck, fuck!

Der Schlüssel! Verdammt, ich habe den Wohnungsschlüssel in Robbies Wohnung liegen lassen. Was denkt er denn jetzt nur? Bestimmt, dass ich ihn mit Absicht liegen lassen habe. Au Mann, ich könnte im Strahl kotzen, und dieses Gespräch sollte so auch nicht laufen.

Dieser Scheißflug nach Toronto passt mir jetzt überhaupt nicht. Ich muss in drei Stunden auf dem Flughafen stehen und mit der Mannschaft gemeinsam einchecken. Dieses Spiel ist für mich so wichtig wie die Luft zum Atmen, aber genauso wichtig ist mir auch Robert.

Ich kann ihn nicht gehen lassen. Vielleicht muss er erst mal zur Ruhe kommen?

Ich lasse ihn am besten ein paar Tage runterkommen und dann melde ich mich, wenn ich am Montag wieder in Vancouver bin. Genau … so mache ich das. Und dann bitte ich ihn, mit mir essen zu gehen. Das ist mehr, als wir bisher zusammen in der Öffentlichkeit gemacht haben.

Am besten, ich spreche mal mit meinem Management. Clara weiß, dass ich schwul bin, aber immer wieder organisiert sie mir irgendwelche Frauen, die ich dann ausführen soll, um mein Image als heterosexueller Profisportler zu pflegen. Ich bin es leid.

Sie soll mein Outing vorbereiten, da kann kommen was will. So geht es nicht weiter. Ich hasse es!

Diese Selbstverleugnung raubt mir Energie, die ich für Robert bräuchte, oder auch für meinen Job. Obwohl es nicht leicht ist, sich im Team zu behaupten, liebe ich meinen Job als Mittelfeldspieler. Ich bin mit Leib und Seele Hockeyspieler und ich denke, ich mache meinen Job als Center auch ganz gut, aber mein Privatleben kann mit meinem Job einfach keine Symbiose eingehen. Ich muss beide Leben strikt trennen, was nicht immer einfach ist. Es scheitert schon am gemeinsamen Wohnen. Meine Kollegen würden schief gucken, wenn ich mit einem Mann zusammenleben würde. Selbst wenn ich behaupten würde, dass wir eine WG gegründet haben. Ist ja nicht so, dass ich mir keine eigene Wohnung leisten könnte mit einem sechsstelligen Jahresgehalt. Der Blick zur Uhr sagt mir, dass es Zeit wird, meine Tasche zu packen.

Der Anzug — den wir tragen müssen, wenn wir offiziell auf Reisen gehen — hängt am Schrank. Schnell noch den Waschbeutel und meine Kamera, ohne die ich nicht die Stadt verlasse, eingepackt und dann geht es auch schon los. Bei dem Verkehr brauche ich mindestens eine Stunde bis zum Flughafen.

 

»Hey, Steenburg, ich will ja wohl hoffen, dass du morgen Vereinspatriotismus zeigst«, ruft mir Miller über vier Sitzreihen hinweg zu. Ich drehe mich zu ihm um, hebe meine Hand mit erhobenem Mittelfinger und zeige ihm das internationale Zeichen für »Du kannst mich mal«. Penner …

Gelächter schallt durch die Kabine, denn die Kollegen freuen sich auf das Spiel gegen den Tabellenführer. Dennoch merke ich, dass dem Spruch eine gewisse Ernsthaftigkeit anhaftet. Wir haben eine Menge zu verlieren. Unser Tabellenrang belegt schwarz auf weiß, dass wir in dieser Saison so schlecht sind wie noch nie. Dass Toronto Interesse an mir zeigt, ist eigentlich ein Wunder. Vancouver muss mich verkaufen, denn die Kassen sind leer. Clara hat durchdringen lassen, dass ich mich in Toronto wieder von ganz unten hocharbeiten muss, denn die haben eine erstklassige Stammaufstellung. Aber kann ich das schaffen? Ich werde dreißig. Die Stars der ›Leafs‹ sind durch die Bank weg jünger als ich und manchmal frage ich mich, ob das Angebot nicht eine Frechheit ist. Ich würde zwar noch mal zweihunderttausend mehr im Jahr verdienen, aber mir geht es nicht ums Geld. Ich kenne den Trainer der ›Leafs‹. Der hat drei Stars der letzten beiden Saisons auf seiner Bank sitzen. Sprichwörtlich. Will ich das auch? Auf der Bank sitzen? Dafür habe ich mir nicht seit dem vierzehnten Lebensjahr den Arsch aufgerissen, um zum Schluss meiner Karriere als überbezahlter Reservespieler zu fungieren. Dann lieber auf dem Höhepunkt des Zenits abtreten und die Erfolge, die ich in fast sechszehn Jahren erzielt habe, ohne Wehmut genießen können. Ich kenne genug Kollegen, die sich gesagt haben, »das schaffe ich noch mal«. Ich werde zwar dreißig, aber kann ich den jungen Hüpfern noch mal zeigen, wo der »Frosch die Locken« hat? Viele sind mit ihrer absoluten Selbstüberschätzung mit Pauken und Trompeten untergegangen und waren danach die Lachnummer der Nation. Von den großartigen Erfolgen, die sie einst erzielt haben, war dann nie mehr die Rede. Nur dass sie besser ein oder zwei Saisons früher in Rente gegangen wären.

»Hey, Magnus, träumst du? Ich habe dich gefragt, ob wir uns wieder ein Zimmer teilen wollen?« Collin beugt sich zu mir über den Gang hinweg und stupst mich an der Schulter an.

»Klar, können wir wieder machen«, entgegne ich fahrig. Ich bin über die Unterbrechung meiner Gedanken nicht unglücklich.

Collin ist der Einzige im Team, der nicht ständig über die Stränge schlägt. Er ist verheiratet und seine Frau erwartet bald ein Baby. Ich war sein Trauzeuge. Man kann sagen, dass wir verdammt gut Freunde sind. Aber eben auch nur verdammt gute. Beste Freunde wären wir, wenn ich den Mut hätte, ihm und Betty, seiner Frau, von Robert zu erzählen. Aber das Thema Homosexualität ist im Profisport so heikel wie der Versuch, eine Kobra auf den Mund zu küssen.

Jetzt gilt es einfach nur, das Spiel morgen so gut wie es eben geht über die Bühne zu bringen. Am besten mit einem Sieg. Und dann werde ich Gespräche führen. Erst mit Robert und dann mit Clara.

 

Das Publikum tobt und Fanfaren dröhnen in meinen Ohren. Ich habe letzte Nacht nicht besonders gut geschlafen. Es ist eine Minute vor der Sirene, die das Spiel startet. Donaldson, der Star-Center der »Leafs«, steht mir gegenüber und schaut mich finster an.

»Wenn du glaubst, dass du in unser Team kommst und denkst, dass du meinen Platz bekommst, dann stelle dich auf ’ne Menge Gegenwehr ein. Keiner will dich hier, du Loser«, raunzt er mich an.

»Es ist noch nichts unterschrieben, also reg dich ab und mach deinen Job, du Komiker. Glaubst du, ich habe Angst vor dir? Dich rauche ich zum Frühstück in der Pfeife. Werd erst mal trocken hinter den Ohren, du Greenhorn.« Das Horn ertönt und das Spiel geht los. Der Puck fällt und ich bekomme ihn in meine Gewalt, passe zur linken Seite und sehe, wie mein Kollege ihn annimmt. Ich presche an Donald Duck, wie ich ihn gerade in meinen Gedanken getauft habe, vorbei und halte auf das Tor der »Leafs« zu. Collin passt nach rechts und von dort in die Mitte, doch der Torwart aus dem gegnerischen Team schläft auch nicht auf Bäumen. Er kommt raus und sichert den Puck. Das wird wieder ein hartes Stück Arbeit.

 

Am Ende gewinnen die »Leafs« das Spiel mit drei zu vier. Scheiße! Am liebsten hätte ich Donald Duck sein dreckiges Grinsen mit meinem Hockeyschläger aus dem Gesicht entfernt, aber das kommt wohl nicht so gut. Blöder Schnösel. Normalerweise sind Kollegen untereinander nicht feindlich gestimmt, aber Donaldson scheint da ein Problem mit mir zu haben.

Die Stimmung in der Kabine ist unterirdisch. Der Trainer hat im Moment nichts zu sagen, was alles sagt. Ist ja nicht so, dass wir schlecht gespielt haben, aber diese Pechsträhne hält jetzt schon seit sieben Spielen an. Noch ein Spiel und dann gehen die Play-offs für den Stanley Cup los, doch wir können uns davon mal geschmeidig verabschieden. Die ersten acht Platzierten der Eastern und Western Conference kommen weiter. Sechzehn Teams, die um den begehrten Cup kämpfen.

Erschöpft und müde werfe ich meine Tasche neben das Bett und lasse mich darauf fallen. Collin kommt kurz nach mir ins Hotelzimmer und macht es mir nach.

»Mann, das kann doch nicht wahr sein. Irgendwer da oben hat es auf uns abgesehen.« Er deutet mit dem Finger Richtung Himmel und schüttelt dabei ungläubig den Kopf.

»Das war Niederlage Nummer sieben. Wenn das so weitergeht, hagelt es bald Konsequenzen. Die Sauferei von den anderen ist der Vereinsspitze ein mächtiger Dorn im Auge. Die sind schon wieder los. Sie haben gefragt, ob wir mitkommen.«

»Also ich nicht.« Ich lege meinen Arm über meine Augen.

»Habe vorhin übrigens mitbekommen, dass die ›Leafs‹ noch zwei weitere Anfragen am Laufen haben. Bei den ›Boston Bruins‹ und Anaheim. Die Center von denen sind sehr interessiert.«

»Ist vielleicht auch gut so«, erwidere ich müde.

»Hey, Mag, rede mit mir, was ist los?« Collins Besorgnis ist aus seiner Stimme genau herauszuhören.

»Ach, alles scheiße.«

»Donaldson war ruppig, was hat er vorhin zu dir gesagt? Er schien echt pissig zu sein.«

»War er auch, aber ich lasse mich von so ’nem Milchgesicht doch nicht anpöbeln.«

»Ach, daher weht der Wind. Was wirst du jetzt tun?«

»Wahrscheinlich nichts. Mein Vertrag läuft aus und ich überlege, ob ich es dabei belassen soll. Finanziell habe ich ausgesorgt. Ich werde es schwer haben, mich noch mal von unten nach oben zu arbeiten. Und als Reservespieler zu versauern, habe ich keinen Bock. Wenn wir erfolgreicher wären und einige von unseren Kollegen mehr hinter dem Team stehen würden, dann wäre eine Vertragsverlängerung für mich eine Option, aber so? Nein danke. Wir quälen uns von einem Spiel zum nächsten, kassieren eine Klatsche nach der anderen. Und warum? Weil die Herrschaften besoffen oder mit zu viel Restalkohol im Blut zum Training und den Pflichtspielen erscheinen, dass sie kaum gerade stehen können.«

»Der Frust ist auch bei den Fans zu spüren. Es kommen immer weniger ins Stadion. Ich weiß vom Trainer, dass sie dir den Vertrag nicht verlängern können, weil sie sich dich nicht mehr leisten können. Traurig, aber wahr.«

»Ich bin nicht traurig, dass ich keine Verlängerung bekomme. Sondern weil die Situation so, wie sie jetzt ist, erst so werden konnte. Das hat der Verein nicht verdient. Ich würde auch für weniger spielen, aber nicht mehr mit diesen Chaoten. Nachher kommen sie vom Feiern wieder und dann ist das Gelaber wieder groß. Wann haben hier Neid und Missgunst Einzug gehalten?« Ein Klopfen an der Tür reißt uns aus unserem Gespräch. Collin steht auf und öffnet. Unser Trainer steht vor der Tür und schaut zerknirscht drein.

»Hey, Jungs, wollte mal schauen, wie es euch geht.«

»Komm rein und setz dich.« Collin tritt zur Seite und lässt ihn eintreten.

Anton Mursaski ist sichtlich bewegt, greift sich in den Nacken und seufzt.

»Das war heute ’ne knappe Kiste, aber leider jetzt nicht mehr zu ändern. Ich will euch gegenüber fair sein, Jungs. Es wird keine Vertragsverlängerungen mehr geben. Deiner, Mag, läuft nach der Saison aus und deiner, Collin, wird nächstes Jahr auch nicht mehr verlängert. Die anderen werden die Neuigkeit dann beim Katerfrühstück erfahren. Das ist auch ein Grund, warum die Vereinsführung keine Verträge mehr mit den bestehenden Spielern machen wird. Die mangelnde Disziplin. Sie sind es leid. Für euch beide und noch für drei vier andere tut es mir besonders leid, aber ich habe das nicht mehr in der Hand. Sie investieren in das B-Team. Nach dieser Saison wird alles anders. Für dich, Mag, ist das vielleicht eine große Chance, noch mal woanders durchzustarten. Das Potenzial hast du.« Ich setze mich auf und schaue ihn ernsthaft an.

»Also keine Spielerverkäufe mehr?«, fragt Collin.

»Nein, Mag kann ja beinahe ablösefrei gehen und du bist mit sechsunddreißig schon ein alter Hase. Entschuldige, dass ich es so sage.«

»Mach dir keinen Kopf, Trainer. Ich weiß, wie du es meinst.«

»Ich weiß dein Engagement zu schätzen, Trainer, aber ich werde meine Karriere wohl beenden. Es gibt da etwas in meinem Leben, das sich grundlegend ändern muss. Und das werde ich nach dem letzten Spiel nächste Woche in die Hand nehmen.« Die beiden schauen mich an wie eine Kuh, wenn es donnert.

»Was meinst du?« Collin schaut mich verwirrt an. Auch Anton scheint nicht ganz zu kapieren, was ich meine.

»Ich werde es euch erzählen, wenn es an der Zeit ist. Gebt mir ein paar Tage und lasst uns diese Saison so würdig wie möglich hinter uns bringen.« Der Gedanke, mich Anton und Collin gegenüber zu outen, kam spontan, aber der Mut dazu, der fehlt mir im Moment.

Kapitel 4 - Takuya

Es ist Sonntag und die meisten Leute liegen noch in ihren Betten, so früh ist es erst. Es dämmert gerade. Ich stelle den Wagen ab und nehme die weiße Rose aus dem Papier. Dieser Besuch wird für die nächste Zeit mein letzter sein. Der Tag gestern war ein Tag der Entscheidungen und Abschiede. Doch der härteste Abschied steht mir jetzt bevor. Daniels Grab liegt unter einer großen Eiche, die im Sommer Schatten spendet. Kurz nach seiner Beerdigung habe ich dort stundenlang gesessen und auf sein Grab geschaut. Habe mir eingeredet, dass ich ihm auf diese Weise nahe war. Habe mit ihm geredet, ihm meine Ängste und Wünsche erzählt. Habe hier geweint und gelitten. So lange, bis ich begriffen habe, dass er mir nie mehr antworten wird, nie mehr zu mir zurückkommt.

»Hey, mein Schatz, es ist mal wieder Sonntag. Ich muss dir was sagen.« Meine Stimme stockt und meine Nase beginnt wieder zu kribbeln, das tut sie immer, wenn ich gleich weinen muss.

»Ich werde zurück nach Kanada gehen. Erinnerst du dich, wie wir darüber gesprochen haben, dass wir nach dem Ende deiner Karriere zurück in meine Heimat gehen wollen?« Eine Träne löst sich und kullert über meine Wange.

»Nun, um ganz ehrlich zu sein, ich kann nicht mehr. Mein Leben geht den Bach herunter. Ich weiß, dass du das jetzt nicht gern hörst, aber ich muss neu anfangen, wenn ich nicht bald neben dir liegen will. Danni, ich liebe dich aus der Tiefe meines Herzens, aber alles hier in Los Angeles erinnert mich an dich. Es schmerzt so sehr, dass ich mich nur noch verkriechen möchte. Im Moment sehe ich in meinem Leben keinen Sinn. Viele von den sogenannten Freunden sind mir nicht geblieben. Und die, die mich eh noch nie leiden konnten, haben sich in Luft aufgelöst. Wenn du mich suchst, dann findest du mich in Jasper. Ist zwar schon ein paar Jahre her, dass ich dort gelebt habe, aber irgendwas verbindet mich mit dem Ort. Kanada ist meine Heimat. Arbeiten kann ich auch von da. Dir wird es hier an nichts fehlen, das verspreche ich dir. Wenn ich könnte, würde ich dich mitnehmen.« Ich sinke auf meine Knie und lege die Rose an den Stein. Die Inschrift leuchtet golden. Ich streiche mit meinem Zeigefinger über seinen Namen und spüre dabei nichts als kalten Stein. Das war er nie — kalt. Ich habe seine Wärme geliebt, seine Stärke, seinen Mut und sein großes, liebendes Herz. Mir krampft sich der Magen zusammen. Ich lege mich ein letztes Mal zu ihm an seine Seite, lasse meine Tränen laufen und nehme ein zweites Mal Abschied.

 

Völlig durchgefroren und mit steifen Gelenken steige ich zu Hause unter die Dusche. Mir dröhnt der Kopf und meine Glieder schmerzen. Erst das Bad im Pazifik und dann die lange Zeit auf dem Friedhof werden mir eine Erkältung als Quittung präsentieren. Scheiß drauf.

Maria, meine Reinigungskraft, hat in der Zwischenzeit das Chaos hier beseitigt und mir, als ich sie über meine Pläne informierte, versprochen, mir jede Woche die Post hinterherzuschicken. Ich weiß noch nicht, wie lange ich in Jasper bleiben werde, aber die nächsten Wochen und Monate brauche ich für mich und muss zur Ruhe kommen. Ein Tapetenwechsel wird mir guttun. Ich packe meine Gitarren, das Keyboard und diverse Computer aus meinem Mischraum ein, sodass ich, wenn ich Lust habe, auch ein wenig arbeiten kann. Es gibt ein paar interessante Immobilien zum Kauf dort oben. Am liebsten wäre mir eine mit Blick auf den kleinen See, den so gut wie keiner kennt. Dort, wo ich als Kind schwimmen gelernt habe. Meine Eltern haben sich in Kanada nicht so wohl gefühlt wie ich und sind ein halbes Jahr nachdem ich zum Studieren nach Seattle gegangen bin, zurück nach Japan gegangen. Anfangs wollten sie, dass ich zu ihnen komme, aber als ich ihnen erzählt habe, dass ich mich das erste Mal verliebt hatte, wollten sie das plötzlich nicht mehr und haben den Kontakt zu mir abgebrochen. Einen schwulen Sohn konnten und können sie nicht akzeptieren. So blieb ihnen nur noch meine Schwester.

 

Ich laufe durchs Haus und schaue mich um. Lasse alles auf mich wirken und verabschiede mich mental von den letzten sechs Jahren, die ich hier gelebt habe.

 

Es sind fast zweitausendsiebenhundert Kilometer bis Jasper. Ich werde die I5 Richtung Norden nehmen. Meinen kleinen Stadtflitzer lasse ich in der Garage stehen und nehme unseren großen Audi-SUV, den Daniel damals haben wollte, aber nicht lange gefahren hat. Der Wagen wird mir in den Bergen gute Dienste leisten.

Ich nehme nicht viel aus dem Haus mit. Das Bild von unserer Hochzeit, die wir hier am Strand gefeiert haben, Daniels Shirt, das ich immer anziehe, wenn ich ihm nahe sein will, das Auto und meine Erinnerungen.

Zuletzt stehe ich in unserem Schlafzimmer und schaue das Bett an, das wir geteilt haben. Meine Sehnsucht ergreift wieder Besitz von mir. Zeit, zu gehen. Ich werfe einen letzten Blick aus dem Fenster, der den Ozean in seiner ganzen Pracht und Stärke zeigt. Er hat den Ausblick geliebt. Ich sehe ihn dort stehen, wie er sich zu mir umdreht, mich anlächelt und mir sagt, wie sehr er mich liebt. Ich greife nach meinen Taschen und verlasse leise das Haus. Verschließe alle Türen und mache mich auf den Weg nach Norden. Immer der Nase nach — nach Hause.

Ich will Kalifornien hinter mir lassen. Fahre Meile um Meile und lasse mein Leben hier hinter mir. Vielleicht kann ich irgendwann zurückkommen, ohne diese erdrückende Trauer zu empfinden. Im Moment verbindet mich mit dem Sonnenstaat jedenfalls nichts Sonniges.

Völlig übermüdet komme ich dreizehn Stunden später in Medford an, einem kleinen Ort kurz hinter der Grenze zu Oregon. Ich checke in einer kleinen Pension ein und nehme eine lange heiße Dusche. Die Wirtin ist so freundlich und bereitet mir ein paar leckere Sandwiches und einen heißen Tee.

In den letzten Monaten habe ich ordentlich an Gewicht verloren. Kein Wunder, aber ich konnte mich einfach nicht aufraffen und überwinden zu essen. Der Alkohol hatte mich ziemlich fest im Griff und auch jetzt habe ich das Bedürfnis, mir ein oder zwei Whiskey zu gönnen, aber das würde meine Abreise verzögern. Mein morgiges Etappenziel ist Abbotsford, das kurz hinter der Grenze zu Kanada liegt. Knapp neunhundert Kilometer Highway liegen vor mir.

Auch dort werde ich eine Nacht im Hotel übernachten und mich dann auf die dritte Etappe meiner Reise begeben. Die restlichen siebenhundert Kilometer bis Jasper sitze ich dann auch auf einer Arschbacke ab. Mit dem Ziel vor Augen ist dann alles ein wenig einfacher.

Online habe ich eine kleine Hütte am Ziel, in Jasper bei Karl Bennister gebucht. Er hat dort ein paar Ferienhütten, die er vermietet. Hatte er damals schon. Mal sehen, ob er mich wiedererkennt. Von dort aus werde ich mich dann um eine dauerhafte Bleibe kümmern.

 

Kapitel 5 - Robert

 

Ich ziehe meinen großen Trolley aus dem Flughafengebäude und halte Ausschau nach Bens Wagen. Es ist Sonntag und nichts los. Es ist grau in grau und die Menschen verkriechen sich lieber vor der Kälte.

Ben steigt aus und kommt auf mich zu. Er verzieht gequält das Gesicht und nimmt mich einfach in den Arm. Er weiß, wie es um mein Herz steht und versteht mich, jetzt, wo ich Trost am meisten brauche. Seine empathische Ader ist so extrem ausgeprägt, dass er meine Gefühle empfängt und an meiner Seite sein wird, bis es mir wieder besser geht. Das weiß ich, dessen kann ich mir sicher sein. Das war schon von Anfang an so, als wir vor vielen Jahren nach Jasper kamen.

»Willkommen zu Hause. Ich hätte mir andere Umstände gewünscht, aber jetzt bist du hier. Komm, da wartet eine heiße Schokolade auf dich und auch deine Geschwister und Jim, die dich wahnsinnig vermisst haben.« Au Mann, Bens Worte sind ein Angriff auf meine angeschlagenen Nerven. Im Moment bin ich echt nah am Wasser gebaut.

»Es ist schön, wieder hier zu sein.« Meine Worte kommen mir echt schwer über die Lippen. Der Kloß in meinem Hals hat faustgroße Ausmaße.

»Lass uns fahren und dann erzählst du, was passiert ist.«

 

Das Feuer im Kamin in dem kleinen Gästehäuschen hinter dem Haupthaus von Jim und Ben brennt munter vor sich hin, als ich meine Tasche auf dem Bett abstelle. Es ist früher Abend und mir fällt auf, dass ich mein Handy seit Tagen schon ausgeschaltet habe. Ich schließe es zum Laden an und verlasse die kleine Hütte, die Jim damals, vor fast fünfzehn Jahren, extra für mich und Billie gebaut hat.