Deiner Liebe würdig - Zoe Mittag - E-Book

Deiner Liebe würdig E-Book

Zoe Mittag

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Beschreibung

Olivia und Timmy waren in ihrer Kindheit unzertrennlich. Doch durch einen tragischen Unfall und Zwist ihrer Familien, wurden sie getrennt. Nun ein Jahrzehnt später treffen sie wieder aufeinander. Hier stellt sich die Frage, ob sie die gleiche Verbundenheit wie früher zurückerlangen können. Denn der Weg ist mit Hindernissen gespickt, und gemeinsam müssen sie den Mut finden, den Herausforderungen des Lebens zu begegnen. Es ist eine Geschichte über den Wert wahrer Freundschaft und die unerschütterliche Kraft der Liebe. Sie erinnert uns daran, dass wir nur dann wirklich leben, wenn wir für das kämpfen, was uns am Herzen liegt und echte Verbundenheit nie vergeht.

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Seitenzahl: 267

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für meine Mama…

Heute möchte ich dir von ganzem Herzen danken, für deine grenzenlose Güte, deine unendliche Liebe und deine unermüdliche Fürsorge für diejenigen, die keine Stimme haben. Deine Hingabe und Großzügigkeit haben mich immer wieder zutiefst berührt und inspiriert, und ich bin unendlich dankbar, dass ich dich meine Mutter nennen darf.

Du bist ein wahrer Engel auf Erden, der jeden Streuner aufnimmt und ihm ein warmes Zuhause, Liebe und Geborgenheit schenkt. Deine Selbstlosigkeit kennt keine Grenzen, und dein Mitgefühl für diejenigen, die Hilfe brauchen, ist unvergleichlich.

Du hast mir gezeigt, dass wahre Größe darin besteht, anderen zu helfen, ohne etwas im Gegenzug zu erwarten. Deine selbstlose Natur hat mein Herz unzählige Male berührt und meine Sichtweise auf das Leben nachhaltig verändert.

Durch deine liebevolle Fürsorge hast du nicht nur uns allen ein Zuhause gegeben, sondern bist für mich eine unerschütterliche Quelle der Liebe und Unterstützung. Deine unendliche Güte hat mich gelehrt, dass die größten Geschenke im Leben nicht materiell sind, sondern in den kleinen Gesten der Liebe und Barmherzigkeit liegen, die wir anderen erweisen.

Inhaltsverzeichnis

03.01.2022

04.01.2022

07.01.2022

27.01.2022

31.01.2022

16.02.2022

20.02.2022

01.03.2022

24.03.2022

09.04.2022

19.04.2022

21.04.2022

30.04.2022

11.05.2022

15.05.2022

25.05.2022

02.06.2022

28.06.2022

23.07.2022

26.07.2022

05.09.2022

24.12.2022

30.12.2022

17.01.2023

22.02.2023

23.02.2023

24.02.2023

25.02.2023

15.03.2023

03.01.2022

O„Nein, Mama, das kannst du nicht machen!“ Meine Stimme überschlug sich vor Empörung, meine Worte zitterten, getragen von Wut und Verzweiflung. „Du kannst ihn nicht einfach hierher schicken, ohne mich zu fragen!“

Stille. Nur ein leises Rascheln am anderen Ende der Leitung. Als sie endlich sprach, war ihre Stimme ruhig, aber eiskalt. „Es ist entschieden, Olivia. Timothée braucht ein Zuhause.“

„Er hat ein Zuhause!“ Ich lachte bitter, mein Atem ging schnell. „Was ist mit seinem reichen Vater? Oder irgendeinem anderen Ort, der nicht meine Wohnung ist?“

„Er ist Familie“, sagte sie schlicht. „Und Familie hilft einander.“ „Familie?“ Ein bitteres Lachen entwich mir, bevor ich es zurückhalten konnte. „Du meinst die Familie, die uns kaputtgemacht hat?“

„Olivia.“ Ihre Stimme klang nun schwer, müde. „Das ist nicht verhandelbar. Timothée wird bei dir wohnen. Und damit basta.“

Ich wollte etwas sagen, wollte sie anschreien, doch das Klicken der auflegenden Leitung schnitt mir die Worte ab.

Die Kälte ihrer Worte durchdrang mich, und ohne sich zu verabschieden, legte sie einfach auf, als wäre unser Gespräch nie geschehen.

Die Worte meiner Mutter hallten noch in meinen Ohren wider, als ich meinen Rucksack auf den Boden warf und nach meinem Schlüssel suchte. Der Winter lag schwer auf der Stadt. Der Wind zerrte an den Ästen der kahlen Bäume, ließ meine Finger taub werden, als ich endlich nach dem Schlüssel griff. Jeder Atemzug hinterließ weiße Wolken in der Luft, die sich schnell auflösten wie meine Geduld. Die Straßenlaternen warfen fahles Licht auf die glitzernden Eiskristalle, die den Asphalt bedeckten, und ich hörte das Knirschen des gefrorenen Schnees unter den Rädern meines Fahrrads. Ich fühlte mich wieder wie ein Kind, das die Anweisungen der Mutter nicht akzeptiert. Timothée von Bergen sollte bei mir einziehen. Hätte ich meiner Mutter bloß nie von meiner Suche nach einer neuen Mitbewohnerin erzählt.

Timmy, der Liebling meiner Mutter. Viele Jahre hatte sie für die Familie von Bergen als Haushälterin gearbeitet. Timmy war der jüngste Sohn der Familie, und meine Mutter zog ihn groß wie ihren eigenen Sohn. Doch vor 10 Jahren verstarb Timmys Mutter, und er wurde auf ein Internat geschickt. Nun kam er zurück, und warum auch immer konnte er nicht bei seinem reichen Vater wohnen.

Ich zog meine Mütze tief in die Stirn, wickelte meinen Schal enger und bedeckte mein Gesicht bis auf die Augen mit dem dicken Wollschal. Die Kälte drang durch meine Kleidung und fror meine Gedanken ein. Der Wind war eisig. Handschuhe an und ab aufs Fahrrad. Selbst im Winter fuhr ich lieber mit dem Fahrrad durch die Stadt als in der stickigen Bahn mit fremden Menschen zu stehen.

Ich fuhr so schnell ich konnte, jeder Tritt auf dem Pedal entlud ein wenig Wut aus mir. In der Ferne sah ich eine Menschenmenge, ein Meer aus neugierigen Blicken und hastigen Schritten. Ich wurde langsamer, da sie den Radweg blockierten, und ein Gefühl der Beklemmung ergriff mich.

Es kamen immer mehr Passanten und Schaulustige angerannt, wie Motten, die vom Licht der Tragödie angezogen wurden. Wohl mal wieder ein Unfall. Es war natürlich, neugierig zu sein, doch diese schrecklichen Gaffer nervten mich, ihre Blicke wie heiße Nadeln auf den Opfern. Ich stieg ab und schob mein Fahrrad durch die Menschenmenge.

„Ist hier jemand Arzt?“ schrie eine Frau verzweifelt. Im selben Moment packte mich jemand an den Schultern und drückte mich vorsichtig beiseite. Ein Mann drängte sich elegant an mir vorbei, seine Bewegungen fließend und entschlossen, als ob er die Antwort auf jede Frage bereits kannte, bevor sie gestellt wurde. „Beiseite“, rief er, seine Stimme ein Befehl, der keinen Widerspruch duldete, und schob den Mann vor mir zur Seite.

Er kniete sich ohne zu zögern neben das am Boden liegende Mädchen, sein Gesicht ein Ausdruck von Konzentration und Entschlossenheit. Ich erschrak, als ich sie sah, ihr Anblick ein Schrei in der Stille meiner Gedanken. Ihr Gesicht war angeschwollen, sie rang nach Luft, ihr Körper zuckend vor Verzweiflung. Ein schrecklicher Anblick, der meinen Magen zum Drehen brachte und meine Hände zu Fäusten ballen ließ.

Der Mann griff nach ihrer Tasche und kramte darin, seine Bewegungen flink und gezielt, als ob er ein Puzzle löste, dessen Teile bereits verloren schienen. Ich wollte mich gerade abwenden, als ich im Blickwinkel sah, wie er ihr eine Spritze in den Hals stach. Er musste ein Arzt sein, ein Retter in einer Welt des Leidens und der Verzweiflung.

Den Kopf des Mädchens bettete er auf seiner Jacke, die er trotz der Kälte auszog. Zum Vorschein kam ein durchtrainierter Körper in einem schwarzen Pullover. Sein Haar war dunkelbraun, in einem gepflegten, leicht unordentlichen Stil getragen, der ihm einen lässigen und doch stilvollen Look verlieh. Seine Augen waren intensiv und ausdrucksstark, von einem tiefen Braun, das im Licht warm und einladend wirkte.

Lange hatte ich nicht mehr einen so attraktiven Mann gesehen, dachte ich, ein Gedanke, der wie ein Echo in meinem Kopf widerhallte, den ich versuchte zu unterdrücken. In der Ferne hörte ich bereits die Sirene des Krankenwagens. Nicht weiter an das Mädchen und ihren schmerzerfüllten Anblick denken zu müssen, nahm ich die Fahrt auf dem Fahrrad wieder auf.

TIhre blonden gewellten Haare und die feinen Sommersprossen verzauberten mich sofort. Sie war noch schöner als in meiner Erinnerung. Olivia war eine auffallend schöne Frau geworden, die durch ihr markantes Aussehen und ihre lebendige Ausstrahlung wahrscheinlich überall herausstach. Sie hatte mittelblondes Haar, das in sanften Wellen fiel und ihrem Look eine gewisse Lässigkeit und Natürlichkeit verlieh. Ihre Augen waren groß und strahlend blau.

Ihre Gesichtszüge waren fein und ausdrucksstark, mit hohen Wangenknochen und einem zarten, doch definierten Kiefer. Olivia hatte eine schlanke und dennoch kurvige Figur.

Das Mädchen, das ich schon als kleiner Junge angehimmelt und vor 10 Jahren versprochen hatte, zu ihr zurückzukehren, um sie zu heiraten. Sie stand direkt vor mir, und ihr Anblick brachte mich zum Staunen. Doch bevor ich in die Vergangenheit eintauchen konnte, unterbrach sie die Stille mit ihrer Frage und brachte mich zurück in die Gegenwart.

„Wow“, entfuhr es mir, ohne dass ich meine Stimme unter Kontrolle hatte. Doch ihre gereizte Reaktion ließ mich sofort verstummen. Sie stemmte ihre Hand in die Hüfte und wies mich zurecht: „Statt mich anzustarren, könntest du mir sagen, wer du bist und warum du vor meiner Haustür stehst?“

Unfähig, ihr zu antworten, hielt ich nur die Schlüssel hoch, die ihre Mutter mir per Post zukommen ließ.

„Der kleine Timmy also!“, stellte sie fest und musterte mich von oben bis unten.

Unsicher unter ihrem Blick fielen meine Schultern kaum merklich nach unten. Was hielt sie von mir?

„Nur damit du Bescheid weißt: Meine Mutter hat mich dazu gezwungen.

Ich hätte dich niemals aufgenommen, wenn es nach mir ginge.“ Olivias Stimme war schneidend, ihre Augen kalt wie der eisige Wind draußen.

Ihre Worte schnitten tiefer, als ich erwartet hatte.

„Mach es dir nicht zu bequem“, fügte sie mit einem bitteren Lächeln hinzu und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen, bevor ich überhaupt antworten konnte.

Ich stand da, den Schlüssel noch in der Hand, und starrte auf den leeren Flur. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Die Olivia, die ich kannte – das Mädchen, das mir jeden Sommer Blumenkränze flocht – war verschwunden. Oder hatte ich sie einfach nie wirklich gekannt?

Olivia wandte sich von mir ab und ging zurück in die Wohnung. „Ich... Ähm...“, stotterte ich unsicher.

„Stehst du jetzt die ganze Nacht da rum?“ Olivia lehnte sich gegen den Türrahmen, ihr Blick bohrte sich in meinen.

„Ich dachte, ich warte auf eine Einladung.“

Sie lachte, trocken und ohne Wärme. „Vergiss es. Komm rein, oder bleib draußen, aber mach die Tür zu.“

Ich hob meinen Koffer über die Türschwelle und trat neben sie in den Windfang. Sie roch so gut, wie eine Blumenwiese.

„Olivia?“ Ich starrte sie an, als könnte ich es immer noch nicht glauben.

„Wer denn sonst?“ Ihre Stimme war so scharf, dass ich fast zusammenzuckte.

„Du hast dich ganz schön verändert. Wieso bist du so gemein?“, wagte ich zu fragen, doch als die Worte meinen Mund verließen, wusste ich, dass ich die Antwort nicht hören wollte.

„Warum ich so gemein bin?“ Olivias Stimme zitterte, ihre Fassade aus Zorn und Abwehr bröckelte, doch sie hielt ihren Blick auf mir, ihre Augen hart wie gefrorener Regen „Weil du einer von ihnen bist, Timothée. Von Bergen.“

Das Zimmer schien zu schrumpfen, die Wände kamen näher. Ihr Atem war ein schneller, scharfer Rhythmus, der den Raum füllte. „Ihr nehmt euch, was ihr wollt, und wenn nichts mehr übrig ist, lasst ihr den Rest zurück – so wie du damals.“

Sie schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab, als ob sie sich selbst schützen wollte. „Eines Tages war alles weg. Die Arbeit, das Zuhause, die Sicherheit. Und wofür? Für die Launen deiner Familie.“ Sie schluckte schwer und sah mir direkt in die Augen. „Wie soll ich dich da nicht verachten?“

„Ich bin nicht mein Vater“, erwiderte ich leise, meine Stimme brüchig.

Doch Olivia lachte bitter. „Ach, Timmy… Ist das wirklich alles, was du zu sagen hast? Dass du nicht dein Vater bist? Weißt du, wie oft ich mir das gesagt habe? Vielleicht ist Timmy anders. Vielleicht hat er Herz.“ Sie schüttelte den Kopf, Tränen glitzerten in ihren Augen. „Aber dann warst du weg. Du hast dich nicht mehr gemeldet. Ich habe lange auf dich gewartet. Doch vergebens.“

Olivia brauchte mir nicht zu sagen, wie meine Familie war. Es gab einen guten Grund, warum ich ihre Mutter kontaktiert hatte und nicht meinen Vater. Doch für diese Unterhaltung war ich gerade nicht bereit.

„Wo ist mein Zimmer?“, fragte ich und drängte mich an ihr vorbei in die Wohnung.

Olivia packte mich am Arm, ihre Stimme bebte. „Weißt du, was es heißt, alles zu verlieren? Zu sehen, wie meine Mutter sich kaputtgearbeitet hat, damit ihr in eurem Anwesen leben könnt?”

Ich wandte mich ab, doch sie ließ nicht locker. „Und jetzt kommst du her, als wäre nichts gewesen. Denkst du, eine Entschuldigung macht das wieder gut?”

„Ich war ein Kind, Olivia”, flüsterte ich, meine Stimme heiser vor unterdrückten Tränen. „Ich habe mir das alles nicht ausgesucht. Aber ich versuche es wiedergutzumachen. Für dich. Für deine Mutter.”

„Rechts neben der Küche,“ erklärte sie und damit war die Situation vorerst beendet.

Als ich das Wohnzimmer betrat, hielt ich inne und ließ meinen Blick über das Schlachtfeld schweifen, das früher mal ein Wohnraum gewesen sein musste. Überall lagen Kleidungsstücke: ein Pullover auf der Lampe, eine Socke halb unter dem Couchtisch, und auf dem Sofa thronte majestätisch ein Lockenstab wie ein Zepter. Ich drehte mich um, um nach Olivia Ausschau zu halten, doch sie verschwand gerade in ein Zimmer gegenüber von meinem.

„Olivia?“ rief ich in die Richtung ihres Zimmers.

Ein leises „Was?“ kam zurück, gefolgt vom Geräusch einer Tür, die aufging. Olivia tauchte im Türrahmen auf, einen halb aufgegessenen Keks in der Hand.

„Was ist das?“ fragte ich und deutete mit weit ausgestrecktem Arm auf die unüberschaubare Unordnung.

„Das ist mein Wohnzimmer“, erklärte sie achselzuckend.

„Das ist kein Wohnzimmer, das ist… das Endstadium einer Kleiderschrank-Explosion!“ Ich hob eine Socke auf und wedelte damit in der Luft. „Wie schafft man es, eine einzelne Socke hier zu parken?

Fehlen dir ernsthaft die zwei Sekunden, sie aufzuräumen?“

Sie musterte mich mit gespieltem Desinteresse. Doch ich sah genau das kleine Zucken ihres Mundwinkels.

„Willst du die Socke vielleicht in die Waschmaschine legen, Herr Perfekt?“ fragte sie mich herausfordernd.

„Vielleicht, wenn ich auch nur eine winzige Chance hätte, die andere zu finden!“ Ich ließ die Socke sinken und seufzte. Die lockere Atmosphäre beflgelte mich und gab mir Hoffnung. „Weißt du, ich habe mich auf eine chaotische Mitbewohnerin eingestellt, aber das hier? Das ist… Kunst.“

Sie hob eine Augenbraue. „Kunst? Interessant. Ich nenne es ‚kreative Freiheit‘.“

„Und ich nenne es ‚Gefährdung der öffentlichen Ordnung‘!“ Ich schob einen Haufen Schminksachen zur Seite, nur um ein halbleeres Glas Saft darunter zu finden. „Oh wow, eine kleine Überraschung. Wer weiß, wie alt das ist?“

Olivia lachte schließlich und lehnte sich gegen die Tür. „Willkommen in meinem Reich, Timmy. Wenn’s dir nicht gefällt, kannst du ja gehen.“

Ich schnappte nach Luft, hielt aber meinen nächsten Kommentar zurück.

„Weißt du was? Ich nehme den Kampf an.“

„Welchen Kampf?“ fragte sie mit einem leicht amüsierten Tonfall.

Ich deutete auf sie. „Den Kampf gegen das Chaos!“

„Viel Glück“, sagte sie mit einem Grinsen und verschwand wieder in ihrem Zimmer.

In der nächsten Stunde sah ich sie nicht mehr. Ich machte mich mit meinem Zimmer und der Wohnung vertraut, packte meinen Koffer aus.

Mit knurrendem Magen ging ich zum Kühlschrank, doch fand nur gähnende Leere vor. Vielleicht könnten wir etwas bestellen.

Ich zögerte vor ihrer Zimmertür, meine Hand schwebte über der Klinke.

Vielleicht sollte ich einfach gehen. Vielleicht war es besser, die Dinge so zu lassen, wie sie waren – in diesem schmerzhaften Schwebezustand zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Noch vor wenigen Minuten hatte ich so viel Mut und Zuversicht, sodass ich selbst Witze machen konnte, doch nun vor ihrer Tür war ich noch unsicher.

Aber dann klopfte ich. Leise, fast wie ein Flüstern, das sofort in der Stille verhallte. Keine Antwort.

Langsam drückte ich die Tür auf. Das Zimmer lag im Halbdunkel, nur eine kleine Lampe auf dem Nachttisch warf einen warmen, schwachen Schein. Olivia lag auf dem Bett, ihre Kleidung noch an, den Rucksack achtlos neben sich auf dem Bett. Ihre Beine hatte sie eng an die Brust gezogen, als wolle sie die Welt draußen halten.

Mein Blick wanderte zu ihrem Gesicht. Sie wirkte friedlich im Schlaf, aber ich konnte die dunklen Schatten unter ihren Augen sehen, die müde Linien um ihren Mund. Ein schwerer Kloß bildete sich in meiner Kehle.

Das war nicht die Olivia, die ich kannte. Nicht das lebhafte Mädchen, mit dem ich Blumenkränze geflochten hatte und mir Geschichten vorgelesen hatte, wenn ich nachts Angst vor Monstern hatte. Das hier war eine Frau, die von einer Last gebeugt war.

„Es tut mir leid", flüsterte ich in die Dunkelheit, obwohl ich wusste, dass sie mich nicht hören konnte. „Es tut mir leid, dass ich gegangen bin. Es tut mir leid, dass ich nicht da war, als du mich gebraucht hast."

Aber wie könnte sie mir jemals vergeben? Wie könnte ich erwarten, dass sie mich zurücknimmt, nachdem ich sie so im Stich gelassen hatte? All die Jahre, in denen ich weg war, hatte ich mir eingeredet, es wäre das Richtige gewesen. Dass Distanz uns beide heilen würde. Doch jetzt sehe ich nur die Scherben dessen, was ich zurückgelassen habe.

Ich erinnere mich noch an ihr Lachen, wie es durch die Sommernächte geklungen hatte. An die Art, wie sie mich angesehen hatte, als wäre ich ihr ganzes Universum. Und ich? Ich bin einfach verschwunden, als hätte nichts davon Bedeutung gehabt. Als hätte sie keine Bedeutung gehabt.

Jetzt stehe ich hier vor ihrer Tür wie ein Fremder. Ein Schatten der Person, die sie einmal geliebt hatte. Kann man die Zeit zurückdrehen?

Kann man Vertrauen wieder aufbauen, das man selbst zerstört hat? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich bereit wäre, alles zu geben, um den Weg zurück zu ihr zu finden.

Aber vielleicht ist es zu spät. Vielleicht gibt es keinen Weg zurück zu dem, was wir einmal waren. Vielleicht muss ich lernen, mit diesem Schmerz zu leben – dem Wissen, dass ich die beste Sache in meinem Leben weggeworfen habe.

Ich wollte näher treten, wollte sie irgendwie in Sicherheit wissen. Aber was hätte ich sagen sollen? Meine Entschuldigung fühlte sich leer an.

Und die Wahrheit war: Ich wusste nicht, ob ich ihre Wut jemals ungeschehen machen konnte.

Wenn ich nur eine Chance hätte, ihr zu zeigen, wer ich jetzt bin. Ihr zu beweisen, dass ich mich verändert habe. Dass der Mann, der vor ihrer Tür steht, nicht derselbe ist, der damals geflohen ist. Aber Worte sind billig, und ich habe schon zu viele davon verschwendet.

Stattdessen drehte ich mich um und schloss die Tür leise hinter mir.

Vielleicht ist das meine Strafe – für immer in der Nähe dessen zu bleiben, was ich verloren habe, aber niemals wieder berühren zu können. Ein Geist meiner eigenen Vergangenheit, gefangen zwischen dem, was war, und dem, was hätte sein können.

Nach einem hektischen Nachmittag mit Wohnungsputz und einem kurzen Einkauf begann ich damit, das Abendessen vorzubereiten. Das Knarren der Holzdielen ließ mich darauf schließen, dass Olivia wohl wieder wach war.

„Was ist denn hier passiert?“ fragte sie entsetzt, als sie ins Wohnzimmer trat.

„Ich habe ein bisschen aufgeräumt“, antwortete ich gelassen und schaltete die Herdplatte der bereits fertigen Nudeln aus.

Ihr unangenehmer Tonfall ließ mich unbeeindruckt. Mit einem freundlichen Lächeln fragte ich: „Möchtest du mit mir zu Abend essen?

Ich habe Nudeln gekocht und eine fertige Sauce zubereitet. Für ein aufwendiges Abendessen hatte ich keine Energie.“

„Nein“

Ihre abrupte Ablehnung ließ mich nicht abschrecken. Ich setzte mich neben sie auf das Sofa und stellte ihr stumm einen Teller mit Essen vor.

Zaghaft griff sie nach dem Teller und begann zu essen. „Guten Appetit“, wünschte ich ihr und lenkte meinen Blick auf den Fernseher. Trotz der Nähe zwischen uns fühlte ich eine innere Unruhe. Meine Augen wanderten ständig zu ihr, und ich konnte mich nicht auf die Serie konzentrieren. Olivia lachte laut über etwas Witziges in der Serie, aber meine Gedanken waren woanders.

Ich sehnte mich danach, Zeit mit ihr zu verbringen, aber die Müdigkeit überwältigte mich. „Ich gehe wohl besser ins Bett, die Fahrt war doch anstrengender als gedacht. Gute Nacht, Olivia“, verabschiedete ich mich und ging in mein Zimmer.

Kurz darauf, saß ich in meinem Zimmer und dachte über die Ereignisse des Tages nach. Das leise Summen der Straßenlaternen drang durch das Fenster herein und beleuchtete den Raum mit einem sanften Schein. Die Worte von Olivia hallten in meinem Kopf wider, und ich konnte nicht aufhören, über ihre harschen Bemerkungen nachzudenken.

Plötzlich klopfte es an meiner Tür, und bevor ich antworten konnte, trat Olivia ein, ihr Blick ernst und nachdenklich. „Kann ich reinkommen?“, fragte sie leise, ihre Stimme ein Flüstern in der Stille der Nacht. Ich nickte stumm und lud sie ein, Platz auf meinem Bett zu nehmen.

Sie setzte sich gegenüber von mir und schwieg einen Moment lang, als ob sie nach den richtigen Worten suchte. „Entschuldige meine Reaktion heute Abend“, begann sie schließlich, ihre Stimme leiser als zuvor. „Es ist nur... es ist kompliziert. Mama hat mir bis heute Nachmittag nichts davon erzählt, dass du hier einziehen sollst. Ich möchte mit deiner Familie nichts mehr zu tun haben, nachdem was passiert ist“ Ihr Blick war traurig, und ich konnte die Unsicherheit in ihren Augen sehen. „Ich habe versucht, es besser zu machen”, begann Timmy schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Aber manchmal denke ich, dass es egal ist, was ich tue. Es wird nie genug sein.”

Olivia drehte sich zu mir, ihre Augen suchten meine. „Warum bist du überhaupt hier, Timothée?“ Olivias Stimme klang scharf, aber dahinter lag etwas Verletzliches.

„Weil du…“ Ich hielt inne und wählte meine Worte vorsichtig. „Weil du die Einzige warst, die mich je als mich gesehen hat. Nicht als den von Bergen. Nur als Timmy.”

Olivia schluckte und antwortete zaghaft: „Vielleicht habe ich mich geirrt.”

Doch bevor sie die Worte bereuen konnte, schüttelte ich den Kopf.

„Nein, Liv. Du hast mich gerettet, auch wenn du es nicht weißt.”

„Es ist okay“, sagte ich ruhig, meine Stimme ein sanftes Versprechen in einer Welt des Zweifels.

„Liv, ich weiß, dass du sauer bist.“ Timmy hielt inne, suchte nach den richtigen Worten. „Aber ich bin immer noch der Timmy von damals.

Der, der dir Blumenkränze geflochten hat.“

Olivia schüttelte den Kopf, ihre Augen glänzten. „Das ist ewig her. Wir haben uns beide verändert. Ich bin nicht mehr die selbe und ich weiß nicht, wer du jetzt bist. Wir sind Fremde.“

Ein Moment der Stille lag zwischen uns, gefüllt mit ungesagten Worten und unausgesprochenen Gefühlen.

„Ich weiß nicht, was du damals mitbekommen hast“, fuhr Olivia fort, ihre Stimme zögerlich. „Aber als du auf dem Internat warst, ist sehr viel böses Blut zwischen unseren Familien geflossen.“ Ihr Blick wanderte zu meinem Gesicht, und ich konnte die Verletztheit in ihren Augen sehen.

„Ich verstehe“, antwortete ich leise, meine Gedanken ein Wirbelwind aus Emotionen und Zweifeln.

„Aber das ändert nichts daran, dass ich hier bin und versuchen muss, das Beste daraus zu machen.“ Ein schwaches Lächeln spielte um meine Lippen mit einem Hauch von Hoffnung.

Es fühlte sich seltsam an, sie nach all den Jahren wiederzusehen. Die Erinnerungen an unsere gemeinsame Kindheit waren noch so lebendig, aber die Zeit hatte ihre Spuren hinterlassen. Ich sah in ihre Augen und konnte dort eine Mischung aus Bedauern und Veränderung erkennen.

Es war schwer zu glauben, dass die Verbundenheit, die wir einst teilten, durch die Jahre der Trennung und des Wandels gelitten hatte.

Ich senkte den Blick und rang mit meinen Gefühlen. Es war schwer zu akzeptieren, dass die Beziehung, die ich einst so sehr geschätzt hatte, sich verändert hatte. Doch gleichzeitig wusste ich, dass Veränderung ein natürlicher Teil des Lebens war.

„Es ist ist spät“, sagte Olivia leise, als ob sie die Stille nicht ertragen könnte: „Ich gehe mal besser ins Bett.“

Ich nickte langsam, unfähig, die richtigen Worte zu finden. Ich hatte noch so viele ungesagte Worte und ungelöste Gefühle.

Vielleicht war es an der Zeit, einen neuen Anfang zu machen. Vielleicht konnten wir die Brücken, die zwischen uns gebrochen waren, wieder aufbauen. Doch für den Moment blieb ich still, beobachtete, wie Olivia den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss. Meine Gedanken eine wirbelnde Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart.

04.01.2022

ODer schrille Weckerton durchdrang die Stille und riss mich aus meinem viel zu kurzen Schlaf. Mit einem Seufzen erhob ich mich, die Augen noch halb geschlossen.

„Nur noch zwei Tage, dann ist endlich mein freier Tag“, murmelte ich leise, um mich selbst zu motivieren, während ich mich aus dem Bett quälte.

Träge und mit schweren Lidern schlurfte ich ins Badezimmer. Das dumpfe Geräusch der alten Rohre hallte durch das Badezimmer, als ich den Wasserhahn aufdrehte. Kaltes Wasser traf mein Gesicht, der erfrischende Schock half mir, den Schlaf aus meinen Gedanken zu vertreiben. Ich griff mechanisch nach der Zahnbürste, als mein Blick den beschlagenen Spiegel streifte.

Doch dann – ein Geräusch. Ein leises Rascheln.

„Was zum…?“ Ich drehte mich ruckartig um, gerade rechtzeitig, um Timmy zu sehen, wie er hinter dem Duschvorhang hervorkam.

Wassertropfen glitzerten auf seiner Brust, und sein Gesicht war eine Mischung aus Überraschung und Belustigung.

„Oh mein Gott!“ Mein Schrei durchbrach die Stille des Morgens, und ich wirbelte um, um ihm den Rücken zuzukehren. Meine Zahnbürste fiel klappernd ins Waschbecken.

„Geht's noch? Warum stehst du nackt hinter mir?“, entfuhr es mir entsetzt, meine Stimme klang höher als gewöhnlich. „Willst du mich umbringen?“ Ich versuchte, meine Stimme wiederzufinden, die irgendwo zwischen Panik und Wut stecken geblieben war.

„Ich wollte nur kurz duschen“, erwiderte er völlig unbeeindruckt, während ich spürte, wie mein Gesicht vor Scham rot anlief. Timmy lachte leise auf, ein Hauch von Belustigung lag in seiner Antwort.

„Warum schreist du eigentlich? Ich bin doch hier das Opfer?“, erwiderte er mit einem frechen Grinsen.

„Reichst du mir bitte das Handtuch? Oder willst du noch einen Blick riskieren?“ Seine Worte trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht.

Empört drückte ich ihm das Handtuch vor den Bauch, spuckte die Zahnpasta aus und stampfte aus dem Badezimmer. „Schließ gefälligst ab, wenn du nicht willst, dass jemand hereinkommt“, murrte ich beim Verlassen des Raumes, während meine Gedanken wild durcheinanderwirbelten und mein Herz noch immer wild in meiner Brust pochte. Sein Lachen hallte durch den Flur.

Der gutaussehende Mann. Das war der kleine Timmy.

Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag ins Gesicht, ließ mich innerlich taumeln und raubte mir für einen Moment den Atem. Das war der Timmy, dem ich mit zitternder Stimme und müden Augen gute Nacht Geschichten vorgelesen hatte, bis er friedlich eingeschlafen war. Der Timmy, der mit verweinten Augen und zerschrammten Knien zu mir gerannt kam, wenn seine Mitschüler ihn wieder einmal geärgert hatten, und der sich schluchzend an mich geklammert hatte, als wäre ich sein einziger Halt in einer grausamen Welt. Der Timmy, der mir jeden Sommer mit strahlenden Augen und schmutzigen Fingern einen Blumenkranz flocht, mich mit seiner kindlichen Unschuld

"wunderschön" nannte und dabei errötete, als hätte er mir gerade sein größtes Geheimnis anvertraut.

Aber es war auch der Timmy, der, als er uns verließ, meinen gesamten Alltag und meine mehr oder weniger glückliche Kindheit mit sich genommen hatte wie einen Dieb in der Nacht. Mit seinem Verschwinden war nicht nur mein bester Freund gegangen – mit ihm war auch das letzte Stück Unschuld aus meinem Leben gerissen worden. Die Leere, die er hinterlassen hatte, war wie eine klaffende Wunde, die nie richtig geheilt war, sondern nur notdürftig übernarbt.

Seine Familie war der Ursprung allen Übels. Diese Wahrheit hämmerte in meinem Kopf wie ein ewiges Mantra des Schmerzes. Timmy war ein von Bergen. Das musste ich mir immer wieder bewusst machen, es mir wie Gift auf die Zunge legen, damit ich nicht vergaß, woher er kam. Sei er noch so charmant, sei sein Lächeln noch so warm und vertraut – er blieb ein Teil der Familie, die ich so sehr hasste, dass dieser Hass wie Säure durch meine Adern floss. Die Familie, die meine Mutter ins Elend gestürzt hatte, die unser Leben zerstört und uns in die Armut getrieben hatte.

Es sollte mich wohl nicht überraschen, dass Timmy jetzt ein Arzt war.

Mein Mund verzog sich zu einem bitteren Lächeln bei dem Gedanken.

Schließlich hatte seine Familie das Geld, um ein privates Medizinstudium vollumfassend zu bezahlen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

Die besten Schulen und die renommiertesten Universitäten waren gerade gut genug für die von Bergens – während ich um jede Unterrichtsstunde hatte kämpfen müssen, um mir überhaupt eine Ausbildung leisten zu können.

Doch es überraschte mich dennoch, und diese Überraschung nagte an mir wie ein Splitter unter der Haut. Martin von Bergen wollte doch immer, dass Timmy Betriebswirtschaftslehre studierte, um seine Firma zu übernehmen und das Familienerbe weiterzuführen. Ich erinnerte mich noch an die heftigen Diskussionen, die durch die Wände der Villa gedrungen waren, an Martins donnernde Stimme und Timmys trotzige Widerworte. Wie kam es also, dass Timmy nun in der Medizin arbeitete?

Hatte er sich gegen seinen Vater aufgelehnt? Oder war das nur ein weiteres Spiel, eine weitere Fassade der von Bergens?

Meine Gedanken drehten sich im Kreis wie Geier über einem Kadaver, fraßen sich tiefer in mein Bewusstsein hinein und ließen mir keine Ruhe.

Ich musste mich zwingen, nicht weiter darüber nachzudenken, zwingen, die Erinnerungen zurück in die dunklen Ecken meines Herzens zu verbannen, wo sie hingehörten.

Ich füllte gerade meine Wasserflasche am Spülbecken auf, die banale Tätigkeit ein willkommener Anker in der Realität, als Timmy aus seinem Zimmer trat. Das Geräusch seiner Schritte ließ mich innerlich zusammenzucken. Er trug eine hellblaue Jeans und wieder einen schwarzen Pullover, und einen Mitarbeiterausweis um den Hals – so normal, so alltäglich, und doch schien jede Faser meines Seins zu vibrieren in seiner Nähe.

Timmy trat zu mir, und ich spürte seine Wärme, roch sein Aftershave – dasselbe, das er schon als Teenager benutzt hatte. „Olivia, könntest du mir eventuell den schnellsten Weg mit der U-Bahn zum Asklepios Krankenhaus von hier aus erklären?" fragte er, und seine Stimme war tiefer geworden, männlicher, aber sie trug noch immer diesen vertrauten Klang, der Erinnerungen in mir wachrief, die ich längst begraben geglaubt hatte.

„Ich fahre niemals mit der Bahn. Da kann ich dir nicht wirklich weiterhelfen", antwortete ich schärfer als beabsichtigt und drehte den Wasserhahn mit mehr Kraft zu als nötig. Die Kälte in meiner Stimme war gewollt – ein Schutzwall gegen die Gefühle, die in mir hochkochten.

Er sah gut aus. Zu gut. Das musste ich mir widerwillig eingestehen, während ich verstohlen auf seinen Mitarbeiterausweis spähte. „Timmy Becker" stand dort in klaren, schwarzen Buchstaben. Becker und nicht von Bergen. Becker war der Mädchenname seiner Mutter. Ein Stich der Verwirrung durchfuhr mich – warum trug er nicht den Namen seiner Familie? Den Namen, der Macht und Einfluss bedeutete?

„Hast du denn keinen Chauffeur, der dich bringt?" fragte ich patzig, der Sarkasmus tropfte förmlich von meinen Worten. Es war ein billiger Hieb, aber ich konnte nicht anders. Der Schmerz über all die Jahre, in denen wir uns keinen Chauffeur, ja nicht einmal ein eigenes Auto hatten leisten können, brannte noch immer in mir.

Timmy zuckte mit den Schultern und lächelte unschuldig – dieses verdammte Lächeln, das mich schon als Kind hatte schmelzen lassen.

„Nicht heute", antwortete er einfach, aber ich sah etwas in seinen Augen aufblitzen – war es Scham? Oder verbarg er etwas vor mir?

Sein Lächeln war warm und freundlich, aber ich spürte eine unterschwellige Spannung zwischen uns wie elektrische Ladung in der Luft, eine Erinnerung an vergangene Konflikte und verletzte Gefühle, die wie alte Narben schmerzten, wenn das Wetter umschlug. Die Luft zwischen uns schien zu vibrieren vor unausgesprochenen Worten, vor all dem, was wir uns hätten sagen sollen und nie gesagt hatten.

Ich zwang mich, den Moment nicht weiter zu vertiefen, baute eine Mauer aus Gleichgültigkeit um mein Herz und lenkte das Gespräch auf praktische Dinge. „Das Krankenhaus ist nicht weit von hier entfernt. Du kannst entweder den Bus Nummer 3 nehmen und an der Station Goetheplatz aussteigen, oder du nimmst den Bus Nummer 15 und steigst an der Haltestelle Rathaus aus. Beide Optionen sind recht schnell."

Meine Stimme klang mechanisch, distanziert – genau so, wie ich es wollte.

Timmy nickte dankbar, und für einen Moment sah er wieder aus wie der kleine Junge, der ich gekannt hatte. „Danke, Olivia. Ich werde das im Kopf behalten."

Ich nickte kurz und wandte mich wieder meinem Wasser zu, eine bewusste Abwendung, ein stummes Signal, dass unser Gespräch beendet war. Timmy verließ die Küche, und ich hörte, wie er die Wohnungstür hinter sich schloss – ein Geräusch, das wie ein Abschied klang und doch wie ein Versprechen der Rückkehr.

Ein seltsames Gefühl der Leere blieb zurück, als ich allein in der Küche stand, umgeben von der Stille, die er hinterlassen hatte. Es war, als hätte er nicht nur den Raum verlassen, sondern auch einen Teil meiner sorgfältig aufgebauten Mauern mit sich genommen. Die Erinnerungen an unsere gemeinsame Kindheit und die plötzliche Wiederkehr von Timmy hatten alte Wunden aufgerissen, die ich so lange unter Schichten aus Wut und Verbitterung begraben hatte.

Doch ich zwang mich, stark zu sein, zwang mich, die Tränen zurückzuhalten, die hinter meinen Augen brannten wie ungelöschte Feuer. Ich durfte mich nicht von meinen Gefühlen überwältigen lassen – nicht von ihm, nicht von den Erinnerungen, nicht von der Sehnsucht nach dem, was einmal war und nie wieder sein konnte. Er war ein von Bergen, und das würde er immer bleiben, egal welchen Namen er auf seinem Ausweis trug.