Dem Schicksal ins Getriebe greifen? - Patricia Vandenberg - E-Book

Dem Schicksal ins Getriebe greifen? E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Sein Vater hat eine große Aufgabe übernommen: Dr. Daniel Norden leitet ab sofort die Behnisch-Klinik. Das führt natürlich zu entscheidenden Veränderungen in seiner Praxis. Jetzt wird es ernst für Danny, den Mädchenschwarm und allseits bewunderten jungen Mediziner. Er ist nun für die Praxis allein verantwortlich. Privat ist Dr. Danny Norden dabei, sein großes Glück zu finden. Seine Freundin, die sehbehinderte, zauberhafte Tatjana, ist mehr und mehr zu seiner großen Liebe geworden. Die neue Serie Praxis Dr. Norden ist prädestiniert, neben den Stammlesern der Erfolgsserie Dr. Norden auch viele jüngere Leserinnen und Leser hinzuzugewinnen. »Soll ich dir was vom Supermarkt mitbringen?« Annemarie Wendel, von allen nur Wendy genannt, stand an der Garderobe und sah hinüber zum Fenster. Die Morgensonne hatte den Kampf verloren. Der Himmel sah aus wie schmutziger Schnee. Und das ausgerechnet in der Mittagspause! Wendy griff nach dem Regenschirm im Ständer. Ihre Freundin und Kollegin Janine saß hinter dem Tresen. Ihr Blick klebte am Bildschirm. Nur ihr Blinzeln verriet, dass sie lebendig war. »Nein, danke, keinen Hunger.« Die Stimme schien aus dem Weltall zu kommen. »Was ist los mit dir? Du musst doch etwas essen. Was hältst du davon, wenn ich uns heute Abend zur Abwechslung mal wieder etwas Leckeres koche? Du kommst zu mir, und wir machen es uns gemütlich.« Die neue, geblümte Tasche über der Schulter, machte Wendy noch einmal am Tresen Halt. »Das haben wir früher so oft gemacht.« Endlich hob Janine den Kopf. Ihr Blick sprach Bände. Wendy verdrehte die Augen.

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Praxis Dr. Norden – 5 –

Dem Schicksal ins Getriebe greifen?

Das Leben stellt die Regeln auf

Patricia Vandenberg

»Soll ich dir was vom Supermarkt mitbringen?« Annemarie Wendel, von allen nur Wendy genannt, stand an der Garderobe und sah hinüber zum Fenster. Die Morgensonne hatte den Kampf verloren. Der Himmel sah aus wie schmutziger Schnee. Und das ausgerechnet in der Mittagspause! Wendy griff nach dem Regenschirm im Ständer.

Ihre Freundin und Kollegin Janine saß hinter dem Tresen. Ihr Blick klebte am Bildschirm. Nur ihr Blinzeln verriet, dass sie lebendig war.

»Nein, danke, keinen Hunger.« Die Stimme schien aus dem Weltall zu kommen.

»Was ist los mit dir? Du musst doch etwas essen. Was hältst du davon, wenn ich uns heute Abend zur Abwechslung mal wieder etwas Leckeres koche? Du kommst zu mir, und wir machen es uns gemütlich.« Die neue, geblümte Tasche über der Schulter, machte Wendy noch einmal am Tresen Halt. »Das haben wir früher so oft gemacht.«

Endlich hob Janine den Kopf. Ihr Blick sprach Bände.

Wendy verdrehte die Augen.

»Nein, wirklich nicht, vielen Dank«, sagte sie mit verstellter Stimme. »Ich habe mich heute beim Zähneputzen gewogen. Die Zahnbürste, das Leckermaul, hat doch glatt ein Kilo zugenommen.«

Lachend gab sich Janine geschlagen.

»Warum fragst du mich, wenn du die Antwort schon weißt?«

»Von drei Dingen mache ich mir immer zu viel. Erstens Hoffnung. Zweitens Gedanken. Drittens Nudeln.« Wie zufällig zog Wendy den Bauch ein.

Das Telefon bereitete dem Gespräch ein Ende. Janine wischte sich eine Träne von der Wange und meldete sich. Ihre Augen folgten Wendy zur Tür hinaus.

»Praxis Dr. Norden, Sie sprechen mit Janine. Was kann ich für Sie tun?«

»Ritter hier. Gut, dass ich Sie gleich dran habe.«

Schlagartig stand Janine unter Starkstrom.

»Ich habe die Aktienkurse eben im Internet gesehen. Da muss ein Irrtum vorliegen.«

»Leider nein. Die Kurse sind in den Keller gefallen … Das ist … hmmm … wie sage ich es am besten … sehr ungünstig.«

Janine verstand nur Chinesisch.

»Wie bitte?«

»Es tut mir leid.«

»Moment mal.« Etwas schien ganz und gar nicht richtig zu sein. »Aber Sie sagten doch, dass das eine todsichere Sache sei.«

»Tut mir leid. Sie wissen doch, dass so etwas im Aktiengeschäft durchaus passieren kann.« Janine fühlte sich wie ein dummes Kindergartenkind. »Hoher Gewinn, hohes Risiko. So ist nun mal das Leben.«

Sie schluckte.

»Ich weiß. Aber Sie haben mir versprochen, dass das ein todsicheres Geschäft ist.« Die Buchstaben und Zahlen auf dem Monitor vor ihr verschwammen.

»Frau Merck, jetzt versuchen Sie bitte nicht, mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht …«

Janine konnte nicht mehr. Der Hörer landete unsanft auf der Gabel.

Sie tastete nach einem Taschentuch. Dabei übersah sie die halbvolle Tasse, die neben der Computertastatur stand. Ein Klirren, und die hellbraune Flut ergoss sich über den Tisch.

»Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich heute im Bett geblieben«, schluchzte Janine auf und lief in die Küche. Als sie zurückkam, stand Danny Norden vor dem Tresen. Er blinzelte sie durch den Strauß Sommerblumen in der Vase an.

»Egal, was es ist, das Trostpflaster ist unterwegs.«

Eine Papiertüte raschelte. Am Duft erkannte Janine, dass sie aus der Bäckerei ›Schöne Aussichten‹ stammte. Vor ihren Augen verwandelte sich Danny in ihre kittelbeschürzte Großmutter. Sie stand in der Küche, ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht, während sie kräftig in der Schüssel rührte, die sie zwischen Bauch und Arm gespannt hatte. Über allem lag der Duft nach frisch gebackenem Kuchen und gerösteten Mandeln.

Trotz ihres Kummers lief Janine das Wasser im Mund zusammen.

»Wenn Sie erraten, was ich mitgebracht habe, bekommen Sie etwas ab«, versprach ihr Chef.

Einer Seifenblase gleich platzte der schöne Traum. Oma verwandelte sich zurück in Danny.

»Das ist ohne Zweifel Tatjanas Bienenstich mit echten Waldheidelbeeren. Aber danke, ich habe keinen Hunger.« Stattdessen nahm sie das Taschentuch, das er ihr hinhielt, und schnäuzte sich.

Danny beobachtete sie mit hochgezogener Augenbraue.

»Was ist passiert?«

»Ich … ich habe mein ganzes Geld verloren.« Wieder öffneten sich die Schleusen.

»Alles?« Um ein Haar hätte Danny mitgeweint.

Janine nickte.

»Dabei war ich mir so sicher.« Das Taschentuch flog in hohem Bogen durch die Luft. Es landete neben dem Abfall. Janine heulte auf wie ein Wolf. »Sehen Sie, noch nicht mal das klappt. Was soll ich denn jetzt tun?«

Danny Norden legte die Tüte neben die Blumenvase, schob einen Stapel Akten zur Seite und setzte sich auf die Schreibtischkante.

»Ich würde Ihnen ja was leihen. Aber jetzt, da Tatjana schwanger ist, müssen wir mit dem Geld haushalten. Wenn Sie wollen, frage ich meinen Vater.«

»Wie stehe sich dann da?« Janine schüttelte den Kopf. »Dann muss ich eben in den sauren Apfel beißen und meine Wohnung verkaufen. Mit dem Geld kann ich meine Schwester ausbezahlen.«

»Und wo wollen Sie dann wohnen?«

»Im Haus meiner Eltern.«

»Das steht in der Schweiz. Wie stellen Sie sich das vor?«

Janine hielt es nicht mehr in Dannys Nähe aus. Mit Tasse und kaffeegetränktem Geschirrtuch floh sie in die Küche.

»Ich kann ja schon mal eine Stellenanzeige aufsetzen«, rief sie ihm durch die halb geöffnete Tür zu.

*

»Sind die nächsten Brezen schon fertig?« Dumpf klang Tatjanas Stimme durch den dunkelroten Samtvorhang, der Verkaufsraum und Backstube voneinander trennte.

Die weiß lackierten Sprossenfenster standen weit offen. Trotzdem fühlte sich Titus selbst wie eine Breze im Ofen. Kein Lüftchen regte sich zwischen angeschlagenen Kuchenformen und Teigschüsseln. Selbst die Löffel, Teigschaber, Schöpfkellen und Schneebesen, die an Haken an der Wand hingen, schienen zu schwitzen.

»Fünf Minuten noch«, rief er zurück.

Mit einem Ruck öffnete sich der Vorhang. Die Messingringe klirrten empört.

»Die Walnussbrötchen sind auch aus. Was ist denn heute los mit dir? Man könnte meinen, du musst das Brot in Frau Holles Holzofen backen und nicht in hochmodernen Backöfen.«

»O Mann, du hast ja mal wieder glänzende Laune.« Titus schob die Mütze in den Nacken. Sein suchender Blick glitt über mit Back­utensilien vollgestopfte Regale und Auskühlgitter, zwischen denen die hochmoderne Knetmaschine wie ein Ufo aus einer anderen Galaxie wirkte. Er bewunderte Tatjana dafür, dass sie sich hier zurechtfand. Und das, während selbst er mit zwei funktionierenden Augen schon Probleme hatte. Sonst hätte er den Zuber mit dem Teig für die Walnussbrötchen doch nicht übersehen?

»Tu dir keinen Zwang an«, zeterte Tatjana ungeachtet seines Schweigens weiter. »Wenn du keine Lust mehr auf die Arbeit hier hast, kannst du gern gehen. Was ist jetzt mit den Walnussbrötchen? Frau Gehrke hat nicht ewig Zeit.«

Auf seiner Suche stolperte Titus über einen großen Eimer, auf den Tatjana das Foto eines Nussbaumes geklebt hatte. ›Wanussbrötchen. Teigansatz‹, stand in ihrer schwungvollen Handschrift darunter. Wenn möglich, schwitzte er noch mehr. Er nahm den Deckel ab und starrte auf das staubige, graue Mehl. Der herbe, dumpfe Geruch kribbelte in der Nase. Roggen, unverkennbar.

»Ich würde ihr gern eine ganze Tüte voll verkaufen. Leider, leider hat meine Chefin gestern Abend vergessen, den Teig anzusetzen.«

»So eine Schlamperei, ich werde …« Mitten im Satz hielt Tatjana inne. Sie fuhr sich über die Wangen, die sich anfühlten, als gehörten sie nicht zu ihr. »Du meinst mich?«

Titus konnte nur noch den Kopf schütteln. So kannte er seine Chefin gar nicht.

Trotz oder gerade wegen ihrer Sehbehinderung tanzte Tatjana leichtfüßig durchs Leben und war immer für einen Scherz zu haben. Doch in letzter Zeit hatte sich irgendetwas gewaltig geändert. Lag es an der Schwangerschaft? Der Hormonumstellung. Wenn das so war, wollte Titus niemals Vater werden.

»Alles in Ordnung mit dir?«, rang er sich zu einer Frage durch. Zu spät. Ein Piepen klingelte in seinen Ohren. »Das sind die Brezen.« Zu gern hätte er Tatjanas Antwort gehört. Doch wenn die Brezen keinen grausamen Feuertod sterben sollten, musste er sie retten. Titus schlüpfte in Handschuhe, die seine Hände in Bärentatzen verwandelten. Er schloss die Augen und öffnete die Ofentür. Wie ein feuerspeiender Drache schoss die Hitze auf ihn zu. Sie brannte zuerst auf seinen Wangen und dann in der Lunge, seine Augenbrauen kräuselten sich. Es fühlte sich an, als wollten sie sich in Sicherheit bringen.

Obwohl Tatjana ein gutes Stück weit entfernt stand, fiel ihr das Atmen schwer. Ehe Titus die Augen wieder öffnete, war sie in die Backstube zurückgekehrt. Noch mehr neugierige Fragen konnte sie nicht brauchen. Sie hatte auch so schon Probleme genug.

*

»Ich glaube, er hat zugenommen.« Danny Norden kitzelte das Baby, das vor ihm auf dem Wickeltisch strampelte, am Bauch.

Seit er wusste, dass er Vater wurde, sah er die Welt mit anderen Augen. Wann immer es ihre knappe gemeinsame Zeit erlaubte, wanderte er mit Tatjana durch den Englischen Garten, am bröckelnden Isarufer entlang. Mit der Blasmusik aus dem Biergarten am Chinesischen Turm im Nacken stellten sie gemeinsam Überlegungen an. Sie sprachen über die Gedanken, die sie bewegten, seit Tatjana festgestellt hatte, dass sie schwanger war. Sicher, seit er die Praxis allein führte, war Zeit zu zweit Mangelware. Und auch Tatjana war mit der Bäckerei und dem Klinikkiosk mehr als nur beschäftigt. Trotzdem glaubten das junge Paar an die Macht ihrer Liebe. Gemeinsam konnten sie alles schaffen. Danny spielte mit dem Gedanken, beruflich kürzer zu treten, während Tatjana davon träumte, eine Geschäftsführerin einzustellen und endlich ein eigenes Backbuch zu schreiben. Langsam nahm ihre gemeinsame Zukunft Formen an wie eine fruchtbare, grüne Oase nach einem langen Marsch durch karge Wüstenlandschaften. Danny sah sogar schon das Haus vor sich, das er für seine kleine Familie suchen wollte. Er trat über die Schwelle, fühlte Tatjanas Begrüßungskuss auf den Lippen. Im Hintergrund krakeelte das Kind.

»Herr Doktor?«

Maggy Wyss‘ Stimme riss ihn zurück in die Wirklichkeit.

»Verzeihung. Wo war ich stehen geblieben?« Er zog das Stethoskop von den Ohren.

»Elias hat tatsächlich zugenommen«, bestätigte Maggy und lächelte hinüber zu ihrem Mann. Jago saß in der Ecke auf einem Hocker und tippte pausenlos auf seinem Handy herum. Er legte den Kopf ein wenig zur Seite und eine rote Strähne fiel ihm vor die Augen. Rot wie das Haar seines Sohnes. »Und sogar die Nächte sind besser geworden. Findest du nicht?« Schweigen. »Jago?«

Er sah kurz hoch.

»Nein. Das halte ich für keine gute Idee.« Im nächsten Moment vertiefte er sich wieder in den kleinen Bildschirm.

Maggy sah zu Boden. Sie erinnerte Danny an ein waidwundes Reh.

»Ich habe Ihnen ja gesagt, dass wir Geduld haben müssen«, fuhr Danny schnell fort. »Zumal wir immer noch nicht wissen, was Elias eigentlich fehlt.« Er nickte der jungen Mutter zu. Als blühende Schönheit war Maggy vor ungefähr zwei Jahren zum ersten Mal in der Praxis aufgetaucht. Damals als frisch verheiratete Eherfrau mit Kinderwunsch. Heute ertappte er sich dabei, ihr ein Aufbaupräparat verschreiben zu wollen. Oder lieber gleich eine Mutter-Kind-Kur? Ein schlechtes Gewissen musste er dabei nicht haben. Jago würde eher seine technischen Spielereien vermissenals seine kleine Familie. Danny verstand den jungen Vater nicht. Schon jetzt drehten sich seine Gedanken in jeder freien Minute darum, wie sein Leben mit Kind aussehen würde. »Bevor Sie Elias wieder anziehen, nehme ich noch etwas Blut aus der Ferse.«

Maggy bis sich auf die Unterlippe.

»Muss das sein?«

»Tut mir leid. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, wenn wir doch noch herausfinden wollen, was Ihrem kleinen Schatz fehlt.«

Maggy warf einen letzten Blick hinüber zu ihrem Mann. Ihr stummer Hilferuf schnitt Danny tief ins Herz. Doch Jago hatte die Welt um sich herum vergessen. Seine Zungenspitze steckte im linken Mundwinkel. Er blinzelte in regelmäßigen Abständen. Ab und an hoben sich seine Augenbrauen ein wenig, um gleich darauf wieder in ihre Ausgangsposition zurückzukehren. Endlich sah Maggy ein, dass sie von ihrem Mann keine Unterstützung zu erwarten hatte. Sie wandte sich wieder an Danny und nickte ihm zu.

*

Große Ereignisse warfen ihre Schatten voraus. In diesem Fall handelte es sich um einen Duft, der Janine in die Nase stieg, lange bevor sie orten konnte, woher er stammte. Dafür wusste sie sofort, dass dieser Besucher Geld hatte. Ein Mann, der sich ›Millenio‹ leisten konnte, musste sich um sein Auskommen keine Gedanken machen.

Das Klackern langer Fingernägel auf dem weißen Lack des Tresens ermahnte sie.

»Gut. Dann sehen wir uns am Donnerstag um elf Uhr dreißig zur Kontrolle.« Janine notierte den Termin auf einen kleinen Zettel und reichte ihn der Patientin. Aus den Augenwinkeln sah sie den Mann, der zu dem Duft gehörte. Seine Kleidung, sein Auftreten entsprachen ihren Erwartungen.