Demenz verstehen und mutig begegnen - Marion Ponelies - E-Book

Demenz verstehen und mutig begegnen E-Book

Marion Ponelies

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Beschreibung

Pragmatisch und einfühlsam: Die examinierte Krankenschwester Marion Ponelies kennt die Nöte von Demenzkranken und ihren Angehörigen und weiß, welche Informationen und welche Ermutigung sie brauchen. Ihr Ziel: Nicht nur der Demenzkranke, sondern auch die Angehörigen sollen nach der Lektüre des Buches an Lebensqualität gewinnen. Erkrankte und Angehörige stellen sich Hunderte Fragen, wenn sie die Diagnose bekommen:   - Was passiert bei Demenz mit dem Gehirn? - Ab wann kann ein Demenzkranker nicht mehr allein leben? - Wie überzeuge ich meinen Angehörigen vom Pflegeheim? - Wie gehe ich mit Aggression um? - Was kann ich tun, wenn mein Angehöriger seine Medikamente verweigert?  - Was tue ich, wenn mich mein Angehöriger beschuldigt, ihn bestohlen zu haben? - Soll ich Demenzkranke auf ihre Fehler hinweisen?  - Wie reagiere ich, wenn mich mein Angehöriger nicht mehr erkennt? Marion Ponelies kennt die Antworten auf diese und viele weitere Fragen und gibt in diesem Buch echte Hilfestellung.

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Seitenzahl: 267

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Marion Ponelies

Demenz verstehen und mutig begegnen

Hilfe und Unterstützung für Angehörige – die wichtigsten Fragen und Antworten

 

 

 

Über dieses Buch

Pragmatisch und hilfreich: Die examinierte Krankenschwester Marion Ponelies kennt die Nöte von Demenzkranken und ihren Angehörigen und weiß, welche Informationen und welche Ermutigung sie brauchen. Ihr Ziel: Nicht nur der Demenzkranke, sondern auch die Angehörigen sollen nach der Lektüre des Buches an Lebensqualität gewinnen. Erkrankte und Angehörige stellen sich Hunderte Fragen, wenn sie die Diagnose bekommen:

• Was passiert bei Demenz mit dem Gehirn?

• Ab wann kann ein Demenzkranker nicht mehr allein leben?

• Wie überzeuge ich meinen Angehörigen vom Pflegeheim?

• Wie gehe ich mit Aggression um?

• Was kann ich tun, wenn mein Angehöriger seine Medikamente verweigert?

• Was tue ich, wenn mich mein Angehöriger beschuldigt, ihn bestohlen zu haben?

• Soll ich auf ihre Fehler hinweisen?

• Wie reagiere ich, wenn mich mein Angehöriger nicht mehr erkennt?

 

Marion kennt die Antworten auf diese und viele weitere Fragen und gibt in diesem Buch echte Hilfestellung.

Vita

Marion Ponelies, Jahrgang 1976, ist Krankenschwester mit langjähriger Erfahrung im Bereich Psychiatrie und Altenpflege. Sie lebt in der Nähe von Heilbronn. Nach ihrem Staatsexamen als Gesundheits- und Krankenpflegerin am Universitätsklinikum Frankfurt/Main absolvierte sie Demenz-Ausbildungen an der University of Newcastle, University of Birmingham und am University College of London. Ihre Kompetenz im Umgang mit Demenzkranken stärkte sie durch Fortbildungen in der Interpersonellen Therapie der Depression und Aggressions-Management. Zuletzt leitete sie die Tagespflege in einem Seniorenheim. Als @Demenz_Schwester beantwortet sie die Fragen Angehöriger auf Facebook, Instagram und TikTok.

Impressum

Haftungsausschluss

Die Inhalte in diesem Buch wurden nach bestem Wissen und Gewissen geprüft und dienen der Information und Aufklärung. Sie ersetzen keinesfalls die Diagnose, Beratung und Behandlung durch einen (Fach-)Arzt und/oder durch geschultes Pflegepersonal. Nehmen Sie niemals ohne Rücksprache mit einem Arzt Medikamente ein und konsultieren Sie bei gesundheitlichen Fragen oder Beschwerden immer einen Arzt. Weder Verlag noch Autorin übernehmen Haftung für Schäden und/oder Unannehmlichkeiten, die durch die Umsetzung der hier dargestellten Empfehlungen entstanden sind.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juni 2025

Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Covergestaltung zero-media.net, München

Coverabbildung Tobias Rukabert

ISBN 978-3-644-02262-1

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Vorwort

«Drecksau!» – Schockiert? Ja, das war ich auch, als ich als ungelernte Zwanzigjährige in einem Seniorenheim von einer Bewohnerin derart begrüßt wurde. «Was habe ich nur falsch gemacht?», fragte ich mich schuldbewusst.

Erst einige Jahre später, während meiner Ausbildung zur examinierten Gesundheits- und Krankenpflegerin am Uniklinikum Frankfurt am Main, erfuhr ich mehr über Demenzerkrankungen, und mir wurde klar, dass ich damals meine erste Demenzpatientin getroffen hatte. Menschen mit Demenz können häufig ihre Gefühle wie Frust oder Aggression nicht mehr kontrollieren. Dies kann zu impulsiven Wutausbrüchen oder Beschimpfungen führen – für Außenstehende meist völlig überraschend. Die Demenzbetroffenen leben außerdem in ihrer eigenen Welt und handeln dementsprechend. Für die Seniorin ergab es also Sinn, mich als Drecksau zu bezeichnen.

Auf verschiedenen Krankenstationen des Klinikums begegneten mir immer wieder Menschen mit Demenz, und ich fühlte von Anfang an eine besondere Verbindung zu ihnen. So auch zu Otto. Als Schwesternschülerin war ich neu auf einer Station, und die alteingesessenen Pflegekräfte schickten mich zum «Problemfall», da ich ja «Zeit hätte». Der «Problemfall» war Otto, ein älterer Herr mit Lewy-Körper-Demenz, der vehement seine Tabletten verweigerte. Voller Neugierde betrat ich Ottos Zimmer. Ich sagte nichts, ich beobachtete ihn lediglich. Er wirkte unruhig, summte vor sich hin, ging zwei Schritte vor, zwei seitwärts, zwei zurück. Währenddessen schien er mich nicht zu bemerken. Ich fragte mich: Was tut er da? In welcher Welt befindet er sich gerade? Mir war klar, nur wenn ich es schaffe, seine Welt zu betreten, wird er seine Tabletten nehmen. Plötzlich ging mir ein Licht auf! Ich stellte mich vor ihn, lächelte ihn an und breitete meine Arme aus. Wie aus einer Trance gerissen, blickte mich Otto direkt an, lächelte und ergriff meine Hand und Taille. Und so kam es, dass der «Problemfall» und die junge Schwesternschülerin – begleitet von perplexen Blicken Außenstehender – über den Klinikflur tanzten. Denn der liebenswürdige Demenzpatient hatte sich auf einem «Tanztee» befunden und wollte dringend tanzen – völlig verständlich! Vermutlich war dies eine Erinnerung aus seiner Jugend.

Nachdem wir einige Minuten flott getanzt hatten, sagte ich zu Otto, dass ich Durst hätte, und reichte ihm ebenfalls ein Glas Wasser – mit seinen Tabletten. Du ahnst es schon: Er nahm sie, wie selbstverständlich.

Diese Begegnung ist nun bereits über 20 Jahre her. Sie ist mir heute noch so präsent, als wäre sie gestern gewesen. Danke, lieber Otto, für unser wundervolles Zusammentreffen, das meine Leidenschaft für die Demenzpflege vollends weckte.

Sagt dir der Begriff «Hochsensibilität» etwas? Menschen, die hochsensibel sind, nehmen mehr Reize auf als der Durchschnitt. Dabei geht es vor allem um Reize, die wir mittels unserer Sinne hören, sehen, fühlen, schmecken und riechen. Ich bin, was akustische Reize angeht, hochsensibel, und zu viele Geräusche stressen mich.

Außerdem bin ich ausgesprochen sensibel, was Emotionen und Stimmungen angeht. Das erleichtert es mir, mich in andere einzufühlen, was mir bei der Arbeit mit Demenzkranken besonders zugutekommt. Ich spüre das Unausgesprochene.

Ich bin übrigens nicht nur in Gesundheits- und Krankenpflege, sondern auch in Schauspielerei ausgebildet. Ungewöhnliche Kombination, nicht wahr? Für mich gibt es jedoch keine bessere Kombination, um Menschen mit Demenz und deren Angehörigen gerecht zu werden, denn während meiner Schauspielausbildung wurden meine Kreativität, Sensibilität und Empathie noch weiter gefördert, was für meine heutige Arbeit besonders bereichernd ist.

Nach einigen Berufsjahren in der Altenpflege und Psychiatrie leitete ich eine Tagespflege. 95 % der Tagesgäste waren von Demenz betroffen. Regelmäßig hatte ich Kontakt zu deren Angehörigen, und dabei wurde mir bewusst, wie überfordert und alleingelassen sie sich meistens fühlen. «Das will ich ändern», war ab da mein Motto. 2024 machte ich mich offiziell als Demenz-Expertin selbstständig und stehe seitdem Angehörigen bei. Das Schöne: Unterstütze ich Angehörige, helfe ich damit gleichzeitig den Demenzkranken.

Mut wurde mir in die Wiege gelegt und ist einer meiner wichtigsten Werte. Das spiegelt sich auch in dem Buchtitel wider: «Demenz verstehen und mutig begegnen». Ich ermutige dich, deinen inneren Demenz-Helden zu erwecken. Mut ist meiner Ansicht nach der beste Weg, Demenz zu begegnen. Mut ermöglicht es dir, kreativ zu sein, flexibel auf die Bedürfnisse des Dementen zu reagieren, stets nach vorne zu schauen und lösungsorientiert zu denken. Ich bin nicht die, die dich bedauert. Ich bin die, die dich darin bestärkt, Probleme zu lösen und dich auf das Positive zu fokussieren.

Du glaubst, du bist nicht mutig? Ich widerspreche dir, denn es gibt einen Grund, weshalb du gerade dieses Buch gewählt hast. Lies weiter, setze meine Tipps um, und wir werden gemeinsam deinen persönlichen Demenz-Helden freilegen.

Ein Wort noch vorab zu meiner Methode: Ein-Wort-Kommunikation und das Unterlassen von Fragen sind die Grundpfeiler meiner Herangehensweise bei Demenz. Bei mir heißt es in der Kommunikation mit Demenzkranken also oft nur «schlafen», «trinken» oder «laufen», statt ausführliche Sätze und Anweisungen zu verwenden. Vielleicht wirst du dir dabei zuerst blöd oder unhöflich vorkommen. Das ist völlig normal. Doch Demenz ist außergewöhnlich und erfordert besondere Maßnahmen. Auch deine moralischen Grenzen und Idealvorstellungen wirst du, während du dieses Buch liest, hinterfragen dürfen: Was ist wirklich wichtig? Dass der Demente perfekt gekleidet ist oder dass er sich wohlfühlt? Wo muss ich eingreifen, wo sollte ich ihn machen lassen?

Einen Menschen mit Demenz liebevoll zu betreuen, bedeutet loszulassen. Denn je weniger du ihn in seinem Tun einschränkst, desto zufriedener und entspannter wird er sein. Umso leichter wird es für dich.

Vieles ist mir im Umgang mit Demenz wichtig, manches völlig egal. Fachbegriffe gehören zur letzten Kategorie. Kollegen werfen mir manchmal vor, dass ich den Begriff «Demenzkranker» benutze, da er den Menschen auf seine Krankheit reduzieren würde. Stattdessen müsse ich «Mensch mit demenzieller Veränderung» sagen bzw. schreiben. Mir ist das zu umständlich. Außerdem glaube ich, dass hinter diesem Kunstbegriff die Angst steckt, die Dinge beim Namen zu nennen. Wenn jemand chronische Rückenschmerzen hat, ist er rückenkrank, hat jemand Darmkrebs, ist er krebskrank, hat jemand Demenz, ist er demenzkrank – und all dies unabhängig von seiner wunderbaren Persönlichkeit! Daher – und weil ich es praktisch mag – werde ich «Demenzkranker» weiterhin benutzen.

Wenn der behandelnde Arzt mit dir redet, verstehst du nur Bahnhof? Genau deshalb spare ich mir medizinische Fachbegriffe, so gut es geht. Mir ist wichtig, dass du verstehst, wovon ich schreibe – unabhängig von deinem Vorwissen.

Siezen ist nicht mein Ding; ist mir zu konservativ und steif. Außerdem ist Demenz ein sehr persönliches und emotionales Thema. Lass uns «du» verwenden, um uns nah zu sein!

Ich habe mich zudem bewusst gegen Gendern entschieden, da ich meine Ausführungen möglichst simpel und kurz halten möchte. Seit Jahrzehnten sind wir gewohnt, die männliche Schreibweise zu lesen, was uns entsprechend leichter fällt. Bitte fühle dich – egal, welchem Geschlecht du dich zugehörig fühlst – stets von mir angesprochen und unterstützt. Wir sitzen alle im selben Boot!

Die fortschreitenden Demenzen, um die es in diesem Buch geht, haben alle etwas gemeinsam: Sie verschlechtern sich fortlaufend. Dieses Buch wird dich auf deiner gesamten Demenzreise als Angehöriger begleiten. Manche Fragen sind für dich aktuell vielleicht noch nicht relevant, aber möglicherweise in sechs Monaten. Du kannst das Buch der Reihenfolge nach durchlesen oder gezielt zu Fragen springen, die für dich wichtig sind. Weil das Buch nicht chronologisch gelesen werden muss, findest du relevante Informationen an mehreren Stellen, und ich verweise immer auch auf andere Fragen, die ein ähnliches Thema berühren. Egal, welchen Weg du wählst, ob du von vorne nach hinten liest oder zu den dir wichtigen Fragen springst: Starte bitte unbedingt mit dem ersten Teil «Deine Wegweiser durch das Demenzlabyrinth». Darin vermittle ich dir wichtiges Grundverständnis für alles Nachfolgende im Buch.

Die Fragen, die ich in diesem Buch beantworte, wurden mir allesamt von Angehörigen wie dir gestellt. Eine für dich wichtige Frage ist nicht dabei? Schreibe mir diese gerne per E-Mail an [email protected] – wer weiß, vielleicht wird es irgendwann einen zweiten Teil des Buches geben, und deine Frage wird dann aufgenommen! Auch über dein Feedback freue ich mich über diesen Kanal.

Lieber Angehöriger, setzte die Tipps in diesem Buch für mehr Lebensqualität und Nähe zu deinem Demenzkranken direkt um. Nicht erst morgen oder nächste Woche – beginne jetzt! Nimm diese Aufgabe mutig an. Ich begleite dich dabei!

 

Deine Demenz-Schwester Marion

Deine Wegweiser durch das Demenzlabyrinth

Ich stelle mir Demenz wie ein riesiges Labyrinth vor. Zu Beginn schafft es der Kranke noch, den Weg zum Ausgang finden. Es kostet ihn Kraft, doch es gelingt ihm. Aber je weiter er in den Irrgarten vordringt, desto komplizierter werden die Abzweigungen. Die Orientierung fällt ihm immer schwerer, bis er seinen Weg überhaupt nicht mehr findet. Er ist im Labyrinth gefangen. Irgendwann vergisst er sogar, dass es einen Ausgang gibt.

Das Labyrinth ist die Demenz und gleichzeitig die neue Lebenswelt deines demenzkranken Angehörigen. Du stehst ratlos davor und fragst dich, wie du ihn noch erreichen kannst, wenn er in einer anderen Welt lebt.

Ich habe eine gute Nachricht für dich: Es gibt eine Möglichkeit, wie du deinem Demenzbetroffenen weiterhin nah sein kannst. Mit meinen Wegweisern wirst du ihn in seinem Demenzlabyrinth finden. Genau, du wirst ihn finden. Denn der Mensch mit Demenz wird aufgrund seiner Krankheit irgendwann unfähig sein, zu dir Kontakt aufzunehmen. Eine Beziehung zwischen euch ist dann möglich, wenn du die richtigen Wege gehst.

Fühlt sich das wie eine große Belastung an? Empfindest du es als unfair, dass du die Verantwortung für euer Verhältnis trägst?

Das verstehe ich. Wir Menschen, mich eingeschlossen, neigen dazu, erst das Negative zu sehen. Doch was macht Pessimismus mit uns? Er drückt unsere Stimmung in allen Lebensbereichen, raubt uns Energie und lähmt uns. Wie willst du in diesem Zustand Probleme lösen?

«Wenn du positiv denkst, passieren gute Dinge», besagt ein Sprichwort. Ich lade dich ein, dich für eine optimistische Sichtweise zu entscheiden. Du hast die wunderbare Chance, zu deinem hilflosen Angehörigen, ob Mutter, Vater, Partner, Oma, Opa oder Freund, Nähe herzustellen. Ich begleite dich dabei und gebe dir die Werkzeuge dafür an die Hand. Auf dich und deinen Angehörigen warten unvergessliche gemeinsame Momente. Deine Wegweiser durchs Demenzlabyrinth sind:

1. Verabschiede dich und beginne neu

Verabschiede dich von dem Menschen, den du vor der Erkrankung kanntest. Demenz zwingt dich, dich von einer geliebten Person zu verabschieden, obwohl sie noch lebt. Dein Angehöriger wird viele Fertigkeiten verlernen, sehr wahrscheinlich seine Persönlichkeit verändern und dich womöglich irgendwann nicht mehr erkennen. Daher verabschiede dich jetzt. Mit diesem Abschied lässt du eure alte Beziehung los und bist dadurch bereit, eine neue zu dem Demenzbetroffenen aufzubauen.

2. Gefühl vor Wort

Mit Fortschreiten der Demenz wird dem Kranken das Sprechen immer schwerer fallen. Häufig wird er falsche Worte wählen oder sie verwechseln. Das kann zu Missverständnissen führen. Daher achte weniger auf das, was dein Angehöriger sagt, sondern stattdessen mehr auf die Gefühle, die er zeigt – insbesondere, wenn seine Worte beleidigend sind. Welche Emotionen zeigt er? Wirkt er ängstlich, traurig oder frustriert?

Handle nach den Gefühlen, die dein Angehöriger zeigt, und vernachlässige das von ihm Gesagte.

3. Bleibe ruhig und sei zuversichtlich

Viele sind überrascht zu hören, dass Demenzkranke sehr sensibel sind. Ein Mensch mit Demenz spürt, wie du dich fühlst, und reagiert instinktiv darauf. Besonders unwohl fühlt er sich bei negativen Gemütszuständen wie Ungeduld, Frust oder Unsicherheit. Bist du hektisch, wird der Demente nervös; bist du gestresst, wird er aggressiv. Oder er zieht sich zurück, und der Kontakt zu ihm wird immer schwieriger. Dies sind alles Szenarien, die du vermeiden möchtest.

Das Schöne ist, dass Menschen mit Demenz auch positive Gefühle ihres Gegenübers spüren. Gehst du auf deinen Angehörigen geduldig, zuversichtlich und liebevoll zu, wirkt sich das immer positiv auf eure Beziehung, die Lebensqualität des Demenzkranken und – oh ja – auch auf deine aus.

Meiner Meinung nach ist deine innere positive Haltung der wichtigste Schlüssel, um eine herzliche Verbindung zu deinem dementen Angehörigen zu führen. Ab sofort darfst du also ruhig bleiben und optimistisch sein.

«Das ist aber gar nicht so einfach», denkst du jetzt sicher. Ich gebe dir insofern recht, als dass du das üben darfst. Viel zu häufig geben im Alltag unsere negativen Gedanken den Ton an. «Das klappt ohnehin nicht», «Ich kann das nicht» oder eben «Das ist gar nicht so einfach». Kommen dir diese oder ähnliche Gedanken bekannt vor? Solche negativen Selbstgespräche haben nur einen Effekt: Sie rauben dir Energie. Die Demenzerkrankung deines Angehörigen ist deine Chance, diese Energieräuber aus deinem Leben zu verbannen. Sobald sich ein negativer Gedanke in deinen Kopf schleicht, halte dir vor Augen, was er dir bringt: nichts. Im Gegenteil, er schadet dir. Dann kehre den Satz um. Aus «Das klappt ohnehin nicht» wird «Ich nehme die Herausforderung an», aus «Ich kann das nicht» wird ein «Ich versuche es» und aus «Das ist gar nicht so einfach» ein «Es wird einfacher werden».

Gib dir Zeit, sei geduldig mit dir. Sicherlich haben die negativen Gedanken jahrelang dein Leben dominiert. Daher darf es auch seine Zeit dauern, sie wieder loszuwerden. Vertraue mir, und vertraue dir: Du wirst immer besser darin werden.

4. Es ist die Demenz

Dieser Satz darf ab sofort dein Mantra sein. Denn du wirst wahrscheinlich Verletzendes vom Demenzbetroffenen hören, wie «Du hast mich bestohlen», «Du willst mich nur loswerden» oder «Hau ab!». Dann atme durch und sage dir: «Es ist die Demenz». Weder du noch dein demenzkranker Angehöriger ist schuld – es ist die Demenz.

Deine Wegweiser durch das Demenzlabyrinth

1. Verabschiede dich und beginne neu.

2. Gefühl vor Wort.

3. Bleibe ruhig und sei zuversichtlich.

4. Es ist die Demenz.

Demenz verstehen

Wissen ist essenziell. Wissen macht aus dem großen unbekannten Monster Demenz das, was es ist: eine Erkrankung, mit der du lernen wirst umzugehen. In diesem Kapitel geht es darum, die Erkrankung und deren Folgen zu verstehen. Am Ende verrate ich dir meine zehn wichtigsten Tipps im Umgang mit Demenz.

«Was passiert bei Demenz mit dem Gehirn?»

Silvia K.

Wie kann es sein, dass ein Erwachsener gehen, sprechen, sogar schlucken verlernt? Für viele Angehörige von Betroffenen ist Demenz ein Mysterium. Silvia hat den Krankheitsverlauf ihres Vaters erlebt und ihn bis zu seinem Tod begleitet. Zuletzt war er bettlägerig, inkontinent und konnte nicht mehr sprechen. Noch heute ist es für sie ein Rätsel, wie sich die Demenz so auswirken konnte.

Um die Erkrankung verstehen zu können, musst du zuerst wissen, wie das menschliche Gehirn funktioniert: Unser Gehirn besteht u.a. aus Gehirnzellen, in denen alles gespeichert wird, was wir lernen (z.B. greifen, lesen, Fahrrad fahren) und erleben (z.B. das Picknick am Sonntag, das Missgeschick beim Ausparken). Indem das Gehirn diese Informationen speichert, müssen wir einmal Erlerntes nicht immer wieder neu erlernen. Haben wir Gehen oder Schwimmen gelernt, können wir das – sofern wir gesund bleiben – unser Leben lang. Genauso ist es mit Erlebtem: Die wichtigsten Eindrücke aus dem letzten Urlaub bleiben uns dank unseres Gehirns erhalten und helfen uns, spätere Erlebnisse schneller einzuordnen. Wir werden erfahrener.

Unsere Gehirnzellen sind untereinander mit Nervenbahnen verbunden. Die kannst du dir wie ein riesengroßes Straßennetz vorstellen. So können wir gespeicherte Informationen miteinander verknüpfen. Das heißt, wir können abwägen, schlussfolgern, analysieren.

Außerdem steuert unser Gehirn verschiedene Funktionen wie unser Wärme- und Kälteempfinden, unseren Sexualtrieb, unsere Verdauung, Emotionen, Muskeltätigkeit, unser Schlucken und Atmen. Auch unsere Persönlichkeit wird durch unser Gehirn geprägt, in welchem Ausmaß, ist noch nicht ausreichend erforscht.

Du siehst also, unser Gehirn ist für unheimlich viele Aufgaben zuständig.

Die Demenzerkrankung schädigt Gehirnzellen und die verbindenden Nervenbahnen. Zudem ist bei Menschen mit Demenz ein wichtiger Botenstoff zu gering oder gar nicht im Gehirn vorhanden. Dieser Botenstoff – Acetylcholin – hilft den Nervenzellen, miteinander zu kommunizieren, und unterstützt uns somit beim Denken und Erinnern. Die Folge der geringen Konzentration: Der Kranke vergisst Gelerntes und Erlebtes, kann nicht mehr planen und Entscheidungen abwägen, die Persönlichkeit verändert sich, Schlucken, Urin Halten und viele weitere Fertigkeiten und Körperfunktionen werden verlernt (siehe u. Tabelle). Zuerst ist der Betroffene unfähig, sich den Arzttermin zu merken, und ersetzt viele Worte mit «das Ding». Dann vergisst er die eigene Hochzeit oder erkennt den Sohn nicht mehr. Im Endstadium der Erkrankung sind viele Demente bettlägerig und können nicht mehr selbstständig essen und trinken. Die Schäden, die die Demenz verursacht, werden mit der Zeit immer fataler.

Wir wissen heute zwar größtenteils, was im Gehirn eines Demenzbetroffenen passiert – wir wissen aber nicht, warum.

Wichtige Funktionen des Gehirns

Folgen der Demenz

Beispiel

Sprechen

• vergisst oder verwechselt Worte

• benutzt Ersatzwörter

• verliert den Faden

• kreiert neue Worte

• spricht deutlich verlangsamt

• verstummt

• nutzt häufig «das Ding» oder «die Sache»

• sagt «Schuhe» statt «Hose»

• beschreibt Spaghetti als «die langen, dünnen Dinger»

körperliche Koordination

• schwankt beim Gehen, zittert, stürzt häufig, ist bettlägerig

• hat Probleme beim Greifen und Nutzen von Gegenständen

• hat Mühe, Besteck zu greifen oder es zum Mund zu führen

• kann sich nicht mehr selbstständig an- oder auskleiden

Schmecken

• Essen und Trinken schmeckt nach «nichts» oder «Pappe»

• schmeckt nur noch Süßes, und dieses reduziert

• schüttet haufenweise Zucker in den Kaffee oder gar auf den Sonntagsbraten

logisches und rationales Denken

• trifft ungünstige Entscheidungen, deutet Situationen oder Personen falsch

• kann komplexe Handlungen nicht mehr durchführen

• entwickelt bisher unbekannte Ängste

• lässt sich unnötige Verträge andrehen

• kauft Lebensmittel, die er nicht benötigt; teilweise sogar mehrfach

• macht Fehler beim Rechnungen Bezahlen oder ignoriert sie

• hält den dunklen Teppich für ein Loch

• kocht nicht mehr, sondern isst nur noch kalt oder gar nicht

• hat Angst vor laufendem Wasser in der Dusche

• glaubt, bestohlen worden zu sein, obwohl er die Sache selbst verlegt hat

• ist davon überzeugt, dass der Partner ihn betrügt

Moral und soziale Regeln, Steuerung von Gefühlen

• ist emotional aufbrausend oder emotionslos

• ist fixiert auf die eigenen Bedürfnisse

• wird schnell aggressiv, flucht

• ist sexuell enthemmt

• verhält sich asozial

• masturbiert vor anderen

• nimmt anderen Dinge weg

• brüllt andere plötzlich an oder beleidigt sie

• reagiert nicht oder nur reduziert auf Ansprache

Sättigungs- und Hungergefühl

• empfindet kein Sättigungs- oder Hungergefühl mehr oder vergisst es

• isst maßlos; auch nicht Essbares wie Waschmittel, Watte etc.

• vergisst zu essen und zu trinken bzw. weigert sich

Blasen- und Stuhlentleerung

• kann Urin und Stuhlgang nicht mehr kontrollieren

• nässt und/oder kotet sich ein

Erkennen und Zuordnen von Personen und Gegenständen

• verwechselt Personen und Gegenstände oder erkennt sie nicht mehr

• nutzt den Blumenkübel als Toilette

• erkennt sich selbst nicht mehr im Spiegel

• hält den Kühlschrank für den Schuhschrank

• hält den Sohn für den Ehemann

räumliche und zeitliche Orientierung

• ist orientierungslos

• hat Schlafstörungen und/oder einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus

• verläuft sich selbst an bekannten Orten

• weiß nicht, welches Jahr oder welcher Monat aktuell ist

• steht nachts häufig auf und läuft umher

• fragt mitten in der Nacht, ob er aufstehen muss

• schläft tagsüber und ist nachts aktiv

Hören, Sehen und Riechen

• empfindet Geräusche lauter als andere oder nimmt diese nicht wahr, ist schnell überreizt

• sieht und/oder hört Personen oder Dinge, die nicht da sind (Halluzinationen)

• interpretiert Gesehenes und Gehörtes falsch (Wahnvorstellungen)

• sehr selten: riecht Dinge, die nicht existieren

• hält sich, wenn der Fernseher läuft, die Ohren zu

• sieht einen Hasenkäfig im Fahrstuhl

• spricht mit Menschen, die nicht da sind

• glaubt, dass die läutenden Kirchenglocken detonierende Bomben sind

Erinnerung

• Vergesslichkeit

• vergisst Termine, obwohl er an diese erinnert wurde

• stellt dieselbe Frage innerhalb weniger Minuten, auch wenn diese bereits beantwortet wurde

• möchte die Kinder, obwohl diese bereits erwachsen sind, von der Schule abholen

• erkennt den langjährigen Ehepartner nicht mehr

Wärme- und Kälteempfinden

• Empfinden ist umgekehrt oder Empfinden ist unrealistisch verstärkt

• ist im Sommer bei 32 Grad eiskalt

• empfindet lauwarmes Wasser als heiß

Charakter

• Persönlichkeitsveränderungen

• ein ehemals ruhiger, gelassener Vater wird zum Choleriker

• eine früher dominante Mutter wird sanftmütig

Du siehst also, je nachdem, welches Gehirnareal durch die Demenz geschädigt wird, unterscheiden sich die Folgen. Die Auswirkungen können dabei sehr individuell ausfallen: Jede Demenz ist anders. Neben Persönlichkeit, Lebenserfahrungen und Nebenerkrankungen spielt dabei v.a. auch die Demenzform eine Rolle. Mehr dazu erfährst du in meiner Antwort auf die Frage «Welche Demenzformen gibt es?» auf S. 24.

«Welche Demenzformen gibt es?»

Martina S.

«An welcher Demenzform ist deine Mutter erkrankt?», frage ich Martina. Sie schaut mich mit großen, fragenden Augen an. Mehr als Dreiviertel aller Angehörigen geht es wie Martina: Sie wissen nicht, dass es insgesamt über 50 verschiedene Demenzformen gibt. Liest du das auch zum ersten Mal?

Dabei ist es hilfreich für dich zu wissen, an welcher Demenzform genau dein Angehöriger leidet, denn deren Verläufe und Symptome unterscheiden sich voneinander (siehe dazu meine Antwort auf die Frage «Wie verläuft die Demenzerkrankung?» auf S. 37).

Die Medizin unterscheidet zwischen primären und sekundären Demenzformen. Bei einer primären Demenz ist das Gehirn selbst erkrankt (z.B. vaskuläre Demenz). Im Gegensatz dazu wird die sekundäre Demenz durch eine Grunderkrankung außerhalb des Gehirns (z.B. Multiple Sklerose), Vergiftungen (z.B. durch Quecksilber) oder Mangelzustände (z.B. Vitamin-B12-Mangel) ausgelöst.

Die primären Demenzformen werden noch mal in fortschreitende Demenzformen (z.B. Alzheimer-Krankheit) und nicht fortschreitende Demenzformen (z.B. Demenz aufgrund eines Hirntumors) unterteilt. Die fortschreitenden Demenzformen machen über 80 % der Demenzen aus[1], verschlechtern sich kontinuierlich und sind (noch) nicht heilbar.

Fortschreitende Demenzen sind (noch) nicht heilbar und verschlechtern sich kontinuierlich. Dazu zählen u.a. Alzheimer-Krankheit, vaskuläre Demenz, Lewy-Körper-Demenz und frontotemporale Demenz (FTD).

Nachfolgend erläutere ich dir die häufigsten fortschreitenden Demenzformen:

Alzheimer-Krankheit

vaskuläre Demenz

Lewy-Körper-Demenz

Parkinson-Demenz (manche Quellen bezeichnen diese nicht als eigenständige Demenzformen, sondern als Folge von Parkinson)

frontotemporale Demenz (FTD)

Alzheimer-Krankheit

Ilses Nachbarn fällt auf, dass die pensionierte Beamtin regelmäßig vergisst, die Mülltonne rauszustellen, dem Bäcker, dass sie das Laugenbrötchen plötzlich «das Ding» nennt, und ihrer Freundin, dass sie bei ihrem täglichen Mensch-ärger-dich-nicht-Spiel völlig unkonzentriert ist. Mit der Zeit lassen Ilses Fertigkeiten weiter nach, doch erst viele Jahre später erhält sie die Diagnose Alzheimer-Krankheit.

So wie Ilse geht es vielen. Da die Einschränkungen durch die Krankheit schleichend auftreten und vor allem am Anfang kaum von altersgerechten Einschränkungen zu unterscheiden sind, wird Alzheimer häufig meist erst 15 bis 30 Jahre nach Beginn des Krankheitsprozesses diagnostiziert.

Alois Alzheimer gilt als der Entdecker der nach ihm benannten Demenzform. Bereits 1907 fielen dem Psychiater Eiweißablagerungen im Gehirn von Verstorbenen auf. Er folgerte, dass diese das Gehirn schädigen und der Betroffene dementsprechend eingeschränkt ist. Mittlerweile sind sich Experten nicht mehr sicher, ob diese Eiweißablagerungen, auch «Alzheimer Plaques» genannt, tatsächlich krank machen. Denn manche Verstorbene hatten die Ablagerungen zwar im Gehirn, waren aber beschwerdefrei. Des Weiteren fanden Forscher heraus, dass bei Alzheimer-Patienten ein bestimmter Teil der Nervenzellen so miteinander «verklebt», dass sie irgendwann nicht mehr funktionieren. Außerdem schrumpft ihr Gehirn und verfügt über zu wenig Acetylcholin – von diesem Botenstoff hast du schon weiter oben gelesen. Acetylcholin reguliert überlebenswichtige Funktionen wie den Herzschlag oder die Atmung und ist zudem wichtig für das Lernen und Erinnern.[2]

Ob es sich bei all diesen Veränderungen um Entwicklungen aufgrund von Alzheimer handelt oder eine davon der Auslöser der Krankheit ist, konnte die Forschung noch nicht klären.

Alzheimer ist weltweit die häufigste Demenzform. Die Ursache ist bis heute ungeklärt.

Weltweit ist Alzheimer mit 60–70 % die häufigste Demenzform. In Deutschland sind ca. 1,2 Mio. Menschen davon betroffen, jährlich kommen etwa 300000 dazu.[3] Über 95 % der Alzheimer-Erkrankungen beginnen nach dem 65. Lebensjahr.[4] Mit zunehmendem Alter erhöht sich das Risiko, daran zu erkranken.[5] Die durchschnittliche Lebensdauer ab Diagnose beträgt sieben Jahre.[6] Die ersten Anzeichen für Alzheimer sind Vergesslichkeit, zeitliche und örtliche Desorientierung sowie Probleme, sich zu konzentrieren und beim Sprechen die richtigen Worte zu finden.

Forscher gehen davon aus, dass weniger als 3 % der Alzheimer-Erkrankungen vererbt sind.[7] Hohes Alter, Diabetes, Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht, Depression, Bluthochdruck und ein niedriger Bildungsstand gelten als gesicherte Risikofaktoren, um an Alzheimer zu erkranken.

Vaskuläre Demenz

Paula war eine rüstige Oma gewesen, die sich täglich selbst ihr Mittagessen kochte und mit Leidenschaft Socken für ihre fünf Enkelkinder strickte – doch plötzlich war alles anders. Bei einem Besuch ihrer Tochter klagte die 81-Jährige über Kopfschmerzen. Kurz danach konnte sie nur noch mit Mühe aufstehen und sprach verwaschen. Später stellt sich heraus, dass Paula einen Schlaganfall gehabt hatte. Die Folge davon war eine vaskuläre Demenz.

Unsere Nervenzellen im Gehirn müssen, wie alle anderen Körperzellen, fortdauernd mit Nährstoffen und Sauerstoff mittels Blutes versorgt werden. Durch Verstopfung, kontinuierliche Verengung (Arteriosklerose) oder Platzen (Hirnblutung) eines oder mehrerer Blutgefäße werden Nervenzellen dauerhaft zu wenig oder gar nicht mehr versorgt. Nervenzellen sind besonders empfindlich und sterben bei Unterversorgung schnell ab. Das hat Folgen, denn jeder Bereich unseres Gehirns ist für verschiedene Aufgaben zuständig. Ein Bereich reguliert z.B. unsere Gefühle, ein anderer hilft uns zu sprechen, ein weiterer ist für das Gehen und Greifen zuständig (siehe dazu auch meine Antwort auf die Frage «Was passiert bei Demenz mit dem Gehirn?» auf S. 19). Ist also der Gehirnbereich, der für das Gehen zuständig ist, betroffen, schwankt oder geht der Betroffene womöglich plötzlich stockend. Werden die Nervenzellen im Sprachzentrum zu wenig durchblutet, findet der Patient eventuell nicht mehr die richtigen Worte oder nuschelt. Der Betroffene hatte einen Schlaganfall.

Je nachdem, wie umfassend die Mangeldurchblutung ist, zeigen sich die Folgen des Schlaganfalls plötzlich und massiv, wie bei Paula, oder schleichend. Ein Schlaganfall muss nicht unbedingt zu vaskulärer Demenz führen: Nur ca. 30 % der Schlaganfall-Patienten entwickeln sie.[8] Dies ist meist erst dann der Fall, wenn mehrere Blutgefäße betroffen sind und deren Durchblutungsstörungen nicht behoben werden können.

Der Krankheitsverlauf einer vaskulären Demenz ist sehr individuell und hängt vom Auslöser ab. Häufig verschlechtert sich der Zustand des Patienten in Schüben und stabilisiert oder verbessert sich eventuell sogar zwischenzeitlich etwas. Diese unvorhersehbaren Entwicklungen sind für viele Betroffenen und Angehörige besonders belastend. Durchschnittlich leben die Betroffenen nach Diagnosestellung noch fünf Jahre.[9] Vaskuläre Demenz kommt weltweit am zweithäufigsten vor.[10]

Vaskuläre Demenz kann sich zwischenzeitlich etwas bessern und dann plötzlich wieder verschlechtern.

Die größten Risikofaktoren sind hohes Lebensalter, Herzerkrankungen, Diabetes, Übergewicht, lange unbehandelter Bluthochdruck, hohe Blutfette (einschließlich Cholesterin), Bewegungsmangel, Rauchen und vorangegangene Schlaganfälle.

Lewy-Körper-Demenz

«Das Haus redet mit mir», erzählt mir Minna, die an Lewy-Körper-Demenz (auch «Lewy-Körperchen-Demenz» oder «Lewy-Body-Demenz» genannt) erkrankt ist. Lilli hat eine Sinnestäuschung, auch Halluzination genannt. Lewy-Körper-Betroffene sehen bereits zu Beginn des Krankheitsverlaufs Dinge, Personen oder Tiere, die nicht real sind, und hören sie sogar teilweise reden. Auch Wahnvorstellungen, Störungen des Denkens, treten sehr häufig auf. Viele Kranke sind zum Beispiel davon überzeugt, vergiftet, bestohlen oder betrogen worden zu sein, obwohl es nicht der Realität entspricht. Dabei lassen sie sich selbst mit logischen Argumenten nicht vom Gegenteil überzeugen. Der Schlaf der Betroffenen ist außerdem extrem unruhig, da sie ihre Träume körperlich regelrecht ausleben, was für anwesende Partner sehr belastend sein kann. Ebenso sind Muskelstarre, -zittern, große Sturzgefahr und die Unfähigkeit, Urin zu halten, frühe Anzeichen dieser Demenzform. Von Vergesslichkeit und Sprachstörungen sind die Kranken erst später betroffen.

Leitsymptome bei Lewy-Körper-Demenz sind Sinnestäuschungen, wahnhafte Vorstellungen und Probleme beim Gehen.

Auch bei der Lewy-Körper-Demenz stören Eiweißablagerungen die Funktionen des Gehirns. Dabei lagern sich die Eiweiße bevorzugt in einem bestimmten Teil des Gehirns, im sogenannten Großhirn, ab. Da unser Großhirn für Denken, Wahrnehmung und Sprache zuständig ist, treten verstärkt die beschriebenen Sinnestäuschungen und Denkstörungen auf.

Besonders auffällig bei Lewy-Körper-Demenz ist, dass die geistige Leistungsfähigkeit im Laufe des Tages stark schwankt. Morgens kann der Betroffene wach und klar sein und am Nachmittag abwesend und schläfrig.

Bei sieben bis acht Jahren liegt die Lebenserwartung nach der Diagnose.[11] Gesicherte Risikofaktoren konnten bisher nicht nachgewiesen werden. In wenigen Familien wurde eine Vererbbarkeit festgestellt.[12]

Parkinson-Demenz

Wie jeden Vormittag sitzt Hans still auf seiner Küchenbank und liest Zeitung. Seine Hände zittern. In kleinen abgehackten Schritten geht er langsam zur Anrichte und schenkt sich zitternd Kaffee nach. Hans ist das mittlerweile gewohnt. Vor bereits 12 Jahren erhielt er die Diagnose Parkinson. Dank der Medikamente, die er einnimmt, hat er die Erkrankung gut im Griff. Doch seit Kurzem fällt ihm auf, dass ihm das Sprechen immer schwerer fällt. Außerdem verlief er sich bereits mehrmals auf dem gewohnten Heimweg vom Stammtisch. Hans hat zusätzlich eine Parkinson-Demenz entwickelt.

Parkinson ist ein eigenständiges Krankheitsbild, bei dem, ähnlich wie bei einer Demenz, Nervenzellen absterben. Hierbei sind primär die Nervenzellen betroffen, die den Botenstoff Dopamin produzieren. Dopamin steuert die Bewegungen im menschlichen Körper, daher sind die Hauptanzeichen bei Parkinson: Verlangsamung, Muskelsteife, Ruhezittern und Gleichgewichtsstörungen.

Etwa ein Drittel der Parkinson-Patienten entwickelt zusätzlich eine Parkinson-Demenz.[13] Dies ist dann der Fall, wenn zu den Parkinson-Symptomen noch dauerhaft mindestens zwei deutliche geistige Einschränkungen dazukommen, wie z.B. bei Hans Sprachstörungen und Orientierungsprobleme.

Warum Nervenzellen bei Parkinson bzw. Parkinson-Demenz zugrunde gehen, ist unklar. Im Verdacht stehen auch hier Proteinablagerungen in den entsprechenden Gehirnregionen.

Als Risikofaktoren gelten Parkinson-Fälle in der Familie, Umweltgifte wie Kohlenmonoxid oder Pestizide.[14] Nach Diagnose der Parkinson-Demenz leben die Betroffenen noch durchschnittlich fünf Jahre.[15]

Betroffene erhalten erst durchschnittlich 10 bis 15 Jahre nach Beginn der Parkinson-Erkrankung die Diagnose Parkinson-Demenz.[16]

Frontotemporale Demenz (FTD)

Der Hollywood-Schauspieler Bruce Willis ist laut Medienberichten einer der prominentesten Betroffenen von frontotemporaler Demenz (FTD; früher auch «Morbus Pick» genannt). Eines seiner ersten Symptome sei gewesen, dass er bei Dreharbeiten immer wieder seinen Text vergaß.

Bei der FTD