Demokratie braucht Erziehung - Herbert Renz-Polster - E-Book

Demokratie braucht Erziehung E-Book

Herbert Renz-Polster

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Beschreibung

»Wer den autoritären Populismus verstehen will, muss dorthin schauen, wo aus kleinen Menschen große Menschen werden – auf die Kindheit.«
Herbert Renz-Polster


Warum zieht es manche Menschen politisch an den rechten Rand (und andere nicht)? Und warum sind unter ihnen so viele Verschwörungsgläubige, Impfgegner und Klimaleugner? Woher kommt ihr Wunsch nach extremen Autoritäten? Ihre Liebe zu »alternativen Fakten«?

In diesem aufschlussreichen Essay beleuchtet Deutschlands führender Kindheits- und Familienexperte Herbert Renz-Polster mit seinem Bruder Ulrich Renz die Rolle der Kindheit bei der Entstehung der rechtspopulistischen Weltsicht: Wer heute nach Abgrenzung, Härte, neuen Autoritäten und neuen »Wahrheiten« schreit, ist als Kind in seiner Verletzlichkeit allein gelassen worden. Das dadurch beschädigte Vertrauen, so zeigt das Buch, bildet den fruchtbaren Boden für populistische Versprechungen.

Die Analyse zeigt eindringlich: Kindererziehung hat enorme politische Auswirkungen. Das Familienklima von heute formt das politische Klima von morgen!

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Seitenzahl: 156

Veröffentlichungsjahr: 2025

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»Für alle, die sich eine politische Dimension der Kindheit nicht so recht vorstellen können, wollen wir einmal umgekehrt fragen: Wie könnte es denn sein, dass die Kindheit keine politische Dimension hat? Ist es nicht die Kindheit, in der jeder Mensch auch die ersten Erfahrungen macht, was Regiertwerden bedeutet?«

Dr. Herbert Renz-Polster ist Kinderarzt und Wissenschaftler. Der Bestseller-Autor gilt als eine der profiliertesten Stimmen in Fragen der kindlichen Entwicklung. Seine Werke »Kinder verstehen«, »Mit Herz und Klarheit« und »Wie Kinder heute wachsen« haben die Erziehungsdebatte in Deutschland nachhaltig beeinflusst.

Ulrich Renz studierte französische Literatur in Paris und Medizin in Lübeck, danach arbeitete er als Leiter eines wissenschaftlichen Verlags. Heute ist er freier Autor, neben Sachbüchern schreibt er Kinder- und Jugendbücher.

HERBERTRENZ-POLSTERULRICHRENZ

DEMOKRATIEBRAUCHTERZIEHUNG

WARUMDERWIDERSTANDGEGENAUTORITÄRESTRÖMUNGENSCHONINDERKINDHEITBEGINNT

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

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Dieser Text verwendet stellenweise Textpassagen aus dem 2019 erschienenen Werk »Erziehung prägt Gesinnung« von Herbert Renz-Polster.

Copyright © 2025 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Redaktion: Dr.Daniela Gasteiger, München

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN978-3-641-33484-0V001

www.koesel.de

INHALT

EINLEITUNGDERSCHLÜSSELZURDEMOKRATIELIEGTINDERKINDHEIT

KAPITEL 1DASALL-INCLUSIVE-PAKETDESRECHTSPOPULISMUS

KAPITEL 2ALLESVERLIERER?

KAPITEL 3DIEFRAGENDERKINDERUNDDIEANTWORTENDERERWACHSENEN

KAPITEL 4 DIEVERTRAUENSFRAGE

KAPITEL 5 MISSTRAUENSVOTUM: DIEINNENWELTDESRECHTSPOPULISMUS

KAPITEL 6 RECHTERÄTSELUNDIHREAUFLÖSUNG

KAPITEL 7 POLITISCHELANDKARTEN I: DIEKINDERSTUBEDERHERAUFZIEHENDENDIKTATURINDENUSA

KAPITEL 8 POLITISCHELANDKARTENII: DERLANGEBLAUESCHATTENDERDDR-DIKTATUR

KAPITEL 9 POLITISCHELANDKARTENIII: RECHT(S) LÄNDLICH

KAPITEL 10 POLITISCHELANDKARTENIV: DIEGESCHLECHTERFRAGE

KAPITEL 11 POLITISCHELANDKARTEN V: DIEBILDUNGSPLAGE

KAPITEL 12 ALLESKINDHEITODERWAS?

KAPITEL 13HOFFENUNDBANGEN

DANKSAGUNG

LITERATURHINWEISEUNDZITATBELEGE

EINLEITUNG

DER SCHLÜSSEL ZUR DEMOKRATIE LIEGT IN DER KINDHEIT

Was hat die Kindheit mit Politik zu tun? Damit, ob ein Mensch für die Demokratie eintritt oder eine Diktatur herbeisehnt? Damit, ob jemand Verschwörungsmythen aufsitzt oder dazu nur milde lächelt? Damit, ob jemand die Zwangsausweisung von Menschen mit Migrationsgeschichte fordert oder allein schon über den Gedanken entsetzt ist?

Seit einer von uns, Herbert Renz-Polster, vor sieben Jahren die Frage zum ersten Mal aufgegriffen hat, ist die Antwort noch dringlicher geworden.1 In vielen Ländern, die wir einst als stabile Demokratien angesehen hatten, sind rechtspopulistische Parteien zu bestimmenden politischen Kräften geworden. Das Schicksal der Welt entscheidet sich jetzt in einem Ferienclub für Oligarchen namens Mar-a-Lago. Ob es in den Vereinigten Staaten auf absehbare Zeit noch Wahlen geben wird, die diesen Namen verdienen, steht in den Sternen.

Eine besonders beunruhigende Entwicklung der letzten Jahre: die immer enger werdende Verbindung der Rechtspopulisten mit Radikalgläubigen und Verschwörungstheoretikern aller Art. Die Ablehnung der bestehenden Ordnung kommt jetzt immer öfter im Doppelpack mit der Ablehnung rationalen Denkens.

Eine ganz besondere Karriere hat in diesem Klima die Lüge gemacht. Wurden Lügen vor Jahren noch etwas angestrengt zu »alternativen Fakten« erklärt, so liegen sie jetzt von jeder Scham befreit im politischen Werkzeugkasten der Rechtspopulisten. Der Präsident der USA nennt seine Kurznachrichten der Einfachheit halber einfach »Truths« – Wahrheiten. Und in Deutschland bekommen die »Truths« dann noch ein Sahnehäubchen: »Der Anstieg von CO2 ist zu begrüßen, weil er das Pflanzenwachstum begünstigt und so zur Lösung der Welternährungskrise beiträgt«, heißt es im AfD-Wahlprogramm.

Hierzulande ist der Erfolg der Rechtspopulisten für diejenigen ganz besonders bitter, die ein »in Freiheit vereintes« Deutschland ersehnt hatten. Dort, wo früher die DDR-Flagge wehte, wählen heute, gut eine Menschengeneration nach der Wiedervereinigung, 34,6 Prozent eine rechtspopulistische, in Teilen antidemokratische, rechtsradikale Partei. Beliebtester Landespolitiker bleibt man auch dann, wenn man wie Björn Höcke den »Aderlass« ankündigt, den man als neue politische Führung durchführen müsse – ein Aderlass, bei dem »wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind.«2

Der vielleicht krasseste Graben in Sachen Rechtspopulismus hat sich aber zwischen den Geschlechtern aufgetan – und er wird von Wahl zu Wahl größer. Ginge es allein nach den Frauen, dann wäre Donald Trump heute ein Golf spielender Rentner. Dieser enorme »Voting Gap« scheint ein neueres Phänomen etwa der letzten zehn Jahre zu sein,3 und er wird vor allem von der jüngeren Generation getragen: Bei der Bundestagswahl haben 26 Prozent der Männer unter 25 Jahren die AfD gewählt, unter den gleichaltrigen Frauen war der Anteil nur etwa halb so groß – 14 Prozent.4 Ganz ähnlich in den USA: Nur 35 Prozent der Frauen unter 30 Jahren entschieden sich für Trump, gegenüber 57 Prozent der gleichaltrigen Männer. Eindeutig, der Rechtspopulismus hat ein – immer ausgeprägteres – männliches Gesicht.

Üblicherweise wird als Erklärung für den Rechtsruck angeführt, dass Menschen vom raschen gesellschaftlichen Wandel benachteiligt sind oder sich fremd in der modernen Welt fühlen.

Diese Erklärung ist richtig. Allerdings kann sie allein das Phänomen des Rechtspopulismus nicht erklären, denn sie lässt uns beim entscheidenden Punkt allein: Warum sollte die Antwort auf die Zumutungen und Belastungen – die tatsächlich sehr viele Menschen erleben und die natürlich Teil dieser Entwicklung sind – ausgerechnet darin liegen, das »Vaterland« von zugewanderten Menschen zu befreien, den Klimawandel zu leugnen oder eine Diktatur herbeizusehnen? Wir wundern uns, wie selten diese inhaltliche Frage bisher gestellt wurde.

Und – um gleich eine weitere bisher unbeantwortete Frage anzuschließen: Warum findet dieses Programm bei Anton Anklang, nicht aber bei Armin – auch wenn beide Programmierer sind, das gleiche Einkommen haben, die gleiche Bildung und mit denselben alltäglichen Belastungen zu kämpfen haben?

Natürlich dreht sich die Geschichte, die wir hier zu erzählen haben, auch um die Krisen der Gegenwart. Aber sie fängt dort an, wo wir Menschen klein und abhängig sind. Wo wir zum ersten Mal »regiert« werden. Und dabei Erfahrungen mit Vertrauen und Misstrauen, Macht und Ohnmacht sammeln. Die Geschichte des Rechtspopulismus beginnt in der Kindheit.

KAPITEL 1

DAS ALL-INCLUSIVE-PAKET DES RECHTSPOPULISMUS

»Ich finde, die gehören einfach nicht hierher«, sagt Mario auf die Frage, wie er zu Migranten steht. »Und Muslime schon gar nicht.«

»Dahinter ist doch ein Plan. Die europäische Bevölkerung soll ausgetauscht werden«, ergänzt Maja.

»Wir reden nicht mit der Lügenpresse«, ruft Friedrich aufgebracht am Rand eines Fackelzugs mit dem Motto »Unser Dorf bleibt deutsch«.

»Die Geschlechtsumwandlung zahlt die Krankenkasse, so weit sind wir mit dem Genderwahn schon gekommen«, sagt Babette.

Und ihr Mann fügt hinzu: »Die Grünen sollen mal bei uns vorbeischauen! Unsere Ölheizung funktioniert tipptopp, und jetzt wollen sie alles rausreißen, als hätten wir nicht schon genug Probleme!«

Die rechtspopulistische Weltsicht im Schnelldurchgang

Welcher politischen Programmatik folgen Maja, Friedrich und Co? Wie ticken sie? Ihre politische Weltsicht lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen:

Migration ist die Mutter aller Probleme. Deshalb besteht die Lösung aller Probleme darin, Migranten und Migrantinnen loszuwerden und die Grenzen dichtzumachen.

Die eigene Gruppe (also »Wir Deutschen«, »Wir Weißen«, »Wir Christen« oder auch »Wir im Abendland«) ist den anderen überlegen. Diese »Anderen« werden deshalb herabgesetzt, erniedrigt und entwürdigt. Entsprechend häufig sind Rassismus, Nationalismus und eine oft sehr gefühlige Überzeichnung des »Vaterlands«.

Man bevorzugt klare Hierarchien von oben nach unten. Ein starker Führer gilt als Garant für Ordnung und Sicherheit. Der politische Held des Tages ist der Autokrat. Einer, der keine Kompromisse eingehen muss oder gar die Interessen von Minderheiten berücksichtigt. Und je weiter rechts, umso weniger Probleme hat man mit einer Diktatur. Demokratie dagegen wird als eine Art Zivilisationskrankheit empfunden, eine Idee von Schwächlingen.

Kulturelle Vielfalt wird kritisch gesehen, stattdessen träumt man von einer homogenen »Volksgemeinschaft«. Auch beim Geschlecht denkt man in klaren Kategorien: Ein Mann ist ein Mann, eine Frau eine Frau. Entsprechend kräuseln sich die Nackenhaare bei Gendersternchen. Und Alice Weidel ist selbstverständlich »nicht queer« – sondern »mit einer Frau verheiratet«.

Es herrscht die Überzeugung, dass die eigene Welt auf vielen Ebenen bedroht und im Untergang begriffen ist – die Wirtschaft, die Moral, das Abendland sowieso. Zurück zu alter Größe, heißt die Devise – »Make America Great Again«! Take back control! Unter dem Motto wird auch das Comeback einer überlegenen Männlichkeit propagiert, auch hier stemmt man sich gegen den Untergang.

Überhaupt: zurück. Zurück zur D-Mark, zurück in die gute alte Zeit – und sei es die alte Zeit der DDR, der amerikanischen Südstaaten oder des Kaiserreichs, deren Fahnen dann manche als Devotionalien mit sich herumschleppen.

Schuld am aktuellen Untergang sind die »Eliten«, die ihre Interessen auf Kosten des »Volkes« durchsetzen. Etwa mithilfe der »Lügenpresse«, mit der diese »Eliten« das »Volk« im Dunkel halten. Gern ist die Rede von »Volksverrätern«, und entsprechend überhitzt ist auch der Tonfall, der jetzt aus dem Bundestag kommt: immer laut, immer empört und gern auch aggressiv.

Dass hinter den dunklen Machenschaften der »Eliten« Verschwörungen stecken, ist für viele der Rechtspopulisten und -populistinnen eine ausgemachte Sache, etwa der angeblich geplante »Austausch der Bevölkerung« oder ein großangelegter Angriff durch Impfungen, »Strahlen«, »Chemtrails« und andere Übel.

Was an der beschriebenen Weltsicht am meisten verblüfft, ist die Tatsache, dass diese sehr unterschiedlichen Überzeugungen in aller Regel in ein und demselben Paket liegen. Wir nennen es das rechtspopulistische »All-inclusive-Paket«: Hat jemand Puls wegen der »Lügenpresse«, wettert er in aller Regel auch gegen Impfungen. Findet jemand Putin toll, so hält er den Klimawandel für Fake News. Will er Geflüchtete so schnell wie möglich loswerden, fürchtet er sich auch vor Gendersternchen. Das mag zusammenpassen wie Senf auf Marmeladenbrot, aber je weiter man nach rechts blickt, desto fester kleben diese Zutaten zusammen.

Rechtspopulismus – eine Begriffsklärung

»Rechtspopulismus« ist der gebräuchlichste Begriff für diese Melange, aber er trifft den Nagel nicht voll auf den Kopf. Versuchen wir uns an einer Klärung.

Schon vom Wortbild her hat der Begriff Rechtspopulismus einen doppelten Kern. Da ist zum einen der Populismus. Der Begriff steht für eine Art Verführungspolitik, mit der die Gunst der Massen erlangt werden soll. Dazu wird vor allem eine Spaltung zwischen dem »guten Volk« (populus, lat. Volk) und einer angeblich moralisch schlechten, korrupten oder gar feindlich gesonnenen »Elite« suggeriert. Die zu gewinnenden Massen sind die eigentlich berechtigten Bürger und Bürgerinnen – »das Volk« oder »the real people«. Diese sind im Gegensatz zu den Eliten »rechtschaffen«, »vernünftig« oder »normal«, werden aber von »denen da oben« – dem »Establishment« oder »dem System« – kleingehalten. Dass die bösen Regierenden in einer Demokratie genau von diesen »real people« per Wahlzettel installiert wurden, wird natürlich ausgeblendet. Ausgeblendet wird meist auch, dass man selbst zu »denen da oben« gehört. Ein Donald Trump etwa kann wie ein absolutistischer Herrscher auf einem Schloss leben und sich gleichzeitig Burger mampfend als der gute Nachbar von nebenan präsentieren. Und natürlich ist auch er ein Opfer – etwa ein Opfer »Washingtons«, also der Regierung, die seine eigene ist.

Der Populist fährt natürlich die größte Beute ein, wenn er sich selbst als »volksnah« präsentiert, eben als Teil »derer da unten«. Kein Wunder, dass es vor jeder Wahl Politikerstaus an den Frittenbuden, Glühweinständen und wohltätigen Essensausgaben der Republik gibt – auch wenn man dorthin per Helikopter gebracht wurde.

Weil Populismus unschlagbar effektiv und kostengünstig ist, ist er, leider zunehmend, in praktisch allen politischen Richtungen anzutreffen, ein Markus Söder, Friedrich Merz oder eine Sahra Wagenknecht lassen grüßen.

Und dann ist da der andere Kern des Wortes Rechtspopulismus – »rechts« eben. Und hier wird es schwierig. Denn auf der »rechten« Seite tummeln sich ja auch Konservative, die mit dem skizzierten Programm gar nicht oder nur teilweise konform gehen. Hilft vielleicht das Wort »neurechts« weiter? Nicht wirklich. Am rechtsextremen Rand ist der Begriff »Neue Rechte« zwar zur Abgrenzung gegenüber der NS-Parolen grölenden »Alten Rechten« durchaus hilfreich, auf den Rechtspopulismus insgesamt ist er aber mit Vorsicht anzuwenden. Die völkisch-nationalistische Programmatik der »neuen« Rechtsextremen ist für einen Großteil des rechtspopulistischen Lagers (bisher) nur bedingt anschlussfähig – wenngleich ihr Einfluss als intellektuelle Vorbereiter und Stichwortgeberinnen für den völkisch orientierten Flügel der Rechtspopulisten nicht zu unterschätzen ist.

Zwei Stämme – eine Sehnsucht

Dass sich der Rechtspopulismus begrifflich so schwer fassen lässt, liegt auch an seiner programmatischen Widersprüchlichkeit. Insbesondere stehen sich zwei Lager gegenüber, deren Positionen in vielen Punkten diametral entgegengesetzt sind. Am deutlichsten ist die Polarisierung wohl bei der US-amerikanischen Rechten zu besichtigen, die sich in ein »libertäres« und ein »nationalkonservatives« Lager teilt. Genauer: Auf der einen Seite steht dort die libertäre »Tech Right«, die sich hinter Unternehmern wie Elon Musk oder dem Wagniskapital-Investor Marc Andreessen sammelt. Für sie liegt die Lösung der Menschheitsprobleme im technologischen Fortschritt, deshalb soll unternehmerische Innovationskraft von allen Fesseln staatlicher Regulierung befreit werden.

Auf der anderen Seite des Grabens steht die »MAGA Right«, hinter Protagonisten wie Steve Bannon, dem ehemaligen Strategieberater von Donald Trump. Ihre Programmatik lässt sich vielleicht am besten als »radikaler Nationalkonservativismus« bezeichnen, oder einfach als »Sehnsucht nach der guten alten Zeit«.

In Deutschland ist der rechts-rechte Graben – mangels Tech-Elite – vielleicht etwas weniger ausgeprägt, aber doch gut erkennbar. Alice Weidel beschreibt bei ihrem verstolperten Coming-out als Musk-Gefolgsfrau ihre AfD als »konservativ-libertäre« Partei, die dem Kampf für »Meinungs- und Vermögensfreiheit« verpflichtet sei.5 Auf der anderen, nationalkonservativen Seite des Grabens versteht sich Björn Höcke als Hüter des klassisch-rechtskonservativen Markenkerns der Bewegung: Familie, Heimat, Tradition und die althergebrachte Rollenverteilung der Geschlechter. Die Nation sieht man in diesem Lager als eine durch gemeinsame Gene und Geschichte verbundene Schicksalsgemeinschaft, ein »Abstammungs-Wir«6 (Götz Kubitschek), das vor »Überfremdung« zu schützen ist. Innerhalb dieser Gemeinschaft wird Zusammenhalt und Solidarität hochgehalten – nach außen schottet man sich aber ab, notfalls mit Mauern.

Libertäre dagegen können mit dem Begriff »Gemeinschaft« wenig anfangen, ihre Welt fängt beim Ich an und hört beim Ich auf. In ihrer Vision kämpft jeder gegen jeden, der Stärkste setzt sich durch und hat deshalb das Recht zu führen. Der »kleine Mann«, der in der nationalpopulistischen Version durchaus Wertschätzung erfährt – er ist schließlich Teil der »Volksgemeinschaft« –, ist für den Libertären schlicht ein Verlierer. Diese Winner-takes-all-Haltung wird in der soziologischen Forschung als Social Dominance Orientation (soziale Dominanzorientierung, SDO) bezeichnet, und auch hier gibt Elon Musk den Prototyp: »What matters to me is winning, and not in a small way«.7

Nicht wenige seiner Kollegen und Kolleginnen aus der Tech-Oligarchie dürften den Satz unterschreiben. Grenzen und Mauern lehnen Libertäre ab, für sie ist selbst die Welt zu klein, sie wollen den Mars kolonisieren.

Dem Fortschrittsoptimismus der Libertären stehen die nationalkonservativen Rechten zutiefst skeptisch gegenüber. Bitcoin, künstliche Intelligenz und Quantencomputer sind für sie Teil des kulturellen Verfalls. Steve Bannon bezeichnet Hightech als »die Fantasie von elfjährigen Jungs […] denen wir leider unser Land ausgehändigt haben«8. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Patrick Deneen, der als einflussreicher Vordenker der MAGA-Rechten gilt, erklärt in seinem Buch Regime Change gleich die gesamte »Laptop Class« zum eigentlichen Feind des Volkes.9

Am stärksten zutage treten die Differenzen zwischen den beiden Lagern in ihrem Verhältnis zum Staat: Libertäre wollen ihn am liebsten abschaffen (gern per Kettensägenmassaker) und das Individuum dem sozialdarwinistischen Überlebenskampf überlassen. Weidel drückt es vornehm so aus: »die Menschen vom Staat befreien.«10 Nationalpopulisten dagegen wüten zwar habituell gegen das »System«, der Furor sollte aber nicht mit genereller Staatsfeindlichkeit verwechselt werden – eine starke Nation wird kaum ohne starken Staat auskommen. 

Und natürlich sind auch die wirtschaftspolitischen Vorstellungen diametral entgegengesetzt: Libertäre träumen von Deregulierung und freien, globalisierten Märkten. Nationalpopulisten dagegen sind antiglobalistisch. Genauso wie den Genpool ihrer Nation wollen sie die Wirtschaft abschirmen und autark gegen die feindlich gesinnte Welt machen. In seinem Buch Solidarischer Patriotismus, von Björn Höcke 2021 als »eines der wichtigsten Bücher des Jahres« gepriesen, wirbt der neurechte Vordenker Benedikt Kaiser für die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien.

Vermutlich reibt sich manche Leserin, mancher Leser hier die Augen, wie sehr damit auch teilweise klassisch linke Positionen und Rhetorik nach rechts gewandert sind – uns geht es genauso. MAGA-Vordenker Patrick Deneen etwa plädiert für starke Gewerkschaften, die Zerschlagung der großen Konzerne und gegen wachsende Ungleichheit in einer Winner-take-all-Economy. Der »Ideologie-Fasching«11 macht selbst vor politischen Glaubensbekenntnissen nicht Halt, die einst zum inneren Kern der grün-alternativen Weltsicht gehörten: Wachstumskritik, Antimaterialismus, Konsumkritik. Deneen beschreibt die westliche Welt als »eine Zivilisation, die für den Moment lebt, konsumiert und sich vergnügt, als ob es kein Morgen gäbe«.12

Kurz, die Welt am rechten Rand ist kein einheitliches Terrain – die sich daraus ergebenden möglichen Bruchlinien treten in dem epischen Zwist zwischen Donald Trump und Elon Musk deutlich zu Tage. Dabei hat Donald Trump es bisher geschickt vermieden, sich innerhalb des innerrechten Ideologiestreits klar zu positionieren, genauso wie J. D. Vance, der sich als »a proud member of both tribes«13 bezeichnet.

Dass den beiden rechtspopulistischen Lagern – diesseits und jenseits des Atlantiks – trotz ihrer offensichtlichen Differenzen zumindest bisher eine einigermaßen friedliche Koexistenz gelingt, hat mit ihrem gemeinsamen Kern zu tun, der beide Strömungen zusammenhält: mit der autoritären Sehnsucht nämlich. Sie definiert die ultimative Mission dieses Lagers, und sie vereint diese Stämme auch durch ihre gemeinsame Feindschaft – mit dem »System«, mit den Linken, den »Woken« oder den Grünen.

Der innere Kern des rechten Randes: Autoritarismus

Hier, im Autoritarismus, liegt die entscheidende Klammer um das rechtspopulistische Gedankengut. Und damit ausgerechnet in einer Haltung, die keineswegs auf den rechten Rand beschränkt ist, sondern auch am linken Rand zu finden ist, oder auch in Sekten oder anderen religiösen Gruppen, ja sogar in der Wirtschaft. Mit dem Begriff Autoritarismus wird die Neigung von Menschen beschrieben, die Gesellschaft als ein System von Befehl und Gehorsam zu sehen, und sich selbst einer Führungsperson oder einer Zentralgewalt zu unterwerfen. Politische Pluralität, Demokratie, Gewaltenteilung, bürgerliche Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit werden entsprechend kritisch gesehen oder ganz abgelehnt. Zu der Eingliederung in ein klar vorgegebenes Oben und Unten kommt eine genauso klare Vorstellung von »Wir« und »den Anderen«. Gut, moralisch überlegen – und deshalb auch bitte schön mit mehr Privilegien auszustatten – ist die eigene Gruppe, sagen wir, die Deutschen, in rechten Kreisen gern als »Biodeutsche« bezeichnet, quasi zu einer höheren Gattung erklärt.

Viele in diesem Lager halten die eigene Gruppe auch für generell mit besseren Eigenschaften und Fähigkeiten ausgestattet (diese Überlegenheitsideologie wird auch Chauvinismus oder Suprematismus genannt). Diejenigen, die nicht zur eigenen Gruppe gehören, werden entsprechend abgewertet, schlechtgemacht oder ausgegrenzt – Minderheiten, Migranten oder Bürger anderer Länder, andere Ethnien oder Religionen etwa.

Geheime Machenschaften allerorten

Sind wir damit mit dem Begriff des Rechtspopulismus durch? Nein, denn in dem Wort fehlt etwas, was uns in dieser Bewegung bereits begegnet ist: das getrübte Verhältnis zur Realität, und vor allem – die Neigung zu Verschwörungstheorien. Wir müssen diesen Teil unbedingt mit auf unseren Radar nehmen, wenn wir diese Bewegung in ihrer Breite und Tiefe verstehen wollen.