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Die Demut einer Organisation ist ein echter Wettbewerbsvorteil; das Fehlen von Demut ein gefährlicher Nachteil.
„Eines der besten Bücher der letzten Jahre zum Thema Führung. Detailliertes Fachwissen ergänzt um viele lehrreiche Praxiseinblicke. Prädikat: Absolut lesenswert!“
Dr. Lorenz Zwingmann, Multi-Aufsichtsrat und langjähriger Geschäftsführer, u.a. bei Philips, Knorr Bremse und der Linde-Gruppe
„Nach jahrzehntelanger Prüfung potenzieller Führungskräfte auf Charme und Charisma stellen einige Arbeitgeber fest, dass sie eine der wichtigsten Eigenschaften übersehen haben: Demut!"
The Wall Street Journal 2018
Die Kombination von Risikofreudigkeit und fehlenden Schuldgefühlen – den beiden zentralen Säulen der Psychopathie – kann je nach Umstand zu einer erfolgreichen Karriere im kriminellen Milieu oder im Geschäft führen. In Organisationen hat das zur Folge, dass aus Arbeitskraft ganz schnell Fliehkraft wird.
Nicht selten vertrauen wir den Falschen. Man benötigt nicht unbedingt knackige Geschichten von Bilanzfälschung, Datenmissbrauch, Gehaltsexzessen oder Mobbing, um die Frage nach einer erneuerten Führungskultur oder gar einem komplett veränderten Führungsethos zu rechtfertigen. Denn offensichtlich hat sich etwas verändert in den westlichen Wohlstandsnationen.
Diesem „Etwas“, nämlich wie es gelingen kann, im renditeorientierten Business mehr Mensch zu bleiben, geht dieses Buch nach – und natürlich wird auch gefragt, wie man es besser machen kann.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Die Demut einer Organisation ist ein echter Wettbewerbsvorteil; das Fehlen von Demut ein gefährlicher Nachteil.
„Eines der besten Bücher der letzten Jahre zum Thema Führung. Detailliertes Fachwissen ergänzt um viele lehrreiche Praxiseinblicke. Prädikat: Absolut lesenswert!“
Dr. Lorenz Zwingmann, Multi-Aufsichtsrat und langjähriger Geschäftsführer, u.a. bei Philips, Knorr-Bremse und der Linde-Gruppe
„Nach jahrzehntelanger Prüfung potenzieller Führungskräfte auf Charme und Charisma stellen einige Arbeitgeber fest, dass sie eine der wichtigsten Eigenschaften übersehen haben: Demut!“
The Wall Street Journal 2018
Nicht selten vertrauen wir den Falschen. Man benötigt nicht unbedingt knackige Geschichten von Bilanzfälschung, Datenmissbrauch, Gehaltsexzessen oder Mobbing, um die Frage nach einer erneuerten Führungskultur oder gar einem komplett veränderten Führungsethos zu rechtfertigen. Denn offensichtlich hat sich etwas verändert in den westlichen Wohlstandsnationen.
Diesem „Etwas“, nämlich wie es gelingen kann, im renditeorientierten Business mehr Mensch zu bleiben, geht dieses Buch nach – und natürlich wird auch gefragt, wie man es besser machen kann.
Dietrich von der Oelsnitz ist ord. Universitätsprofessor an der TU Braunschweig und leitet dort das Institut für Unternehmensführung und Organisation. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die verhaltenswissenschaftlich grundierte Kooperations- und Leadership-Forschung. Er ist Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher, u. a. Der Talente-Krieg und TEAM – Toll. Ein anderer macht’s.
Wie wir in Zukunft führen müssen
von
Dietrich von der Oelsnitz
Verlag Franz Vahlen München
5Dieses Buch widme ich meiner lieben Frau Birgit, die mich nicht nur mit guten Ideen und frischem Tee am Arbeitsplatz versorgt, sondern seit nun drei Jahrzehnten mein Leben schöner macht.
Erwähnen möchte ich auch meinen „Edelhelfer“ Dr. Michael Busch, der mich so oft schon inspiriert und mit geistreicher Lektüre beliefert hat. Beide ahnen gar nicht, wie viel sie zu diesem Buch beigetragen haben.
Großer Dank gebührt schließlich meinem Lektor, Herrn Dennis Brunotte. Er hat den Autor sehr einfühlsam und professionell durch dieses Projekt begleitet.
Toxische Führung zerstört nicht nur Vertrauen
Kapitel 1: Der Wind hat sich gedreht …
Gesellschaftliche Verschiebungen – neue Werte und ein handfestes Legitimitätsproblem
Machtverschiebung und Plattform-Arbeit – eine neue Arbeitswelt entsteht
Kapitel 2: Negative Traits als Gegenteil demütig-leiser Führung
Was ist das eigentlich: Führung?
Warum die klassischen Führungstheorien heute nicht mehr helfen
Schlechte Führung kann krank machen!
Die Dunkle Triade in der Teppichetage: von Narzissten und Machiavellisten
Führung und Macht – ein uraltes Menschheitsthema
Vermessung eines Charakterzuges: Demut als Alternative
Kapitel 3: Demut als Mindset von Managern im 21. Jahrhundert
Nur wer sich selbst kennt, kann andere führen
Wer braucht eigentlich wen?
Humble Leadership: Praktische Bausteine demütiger Führung
8Wozu das alles? Greifbare Ergebnisse demütiger Führung
Demut und Charisma – ein Gegensatz?
Impact und Meaning: Führung muss Sinn liefern!
Wie Mitarbeiter unter demütigen Chefs aufblühen
Kapitel 4: Lässt sich Demut lernen?
Born or made: Was kann das Unternehmen tun?
Selbsttest: Wie demütig sind Sie?
Good Leadership: Es kommt auch auf die Geführten an!
Demut als Quelle einer neuen Unternehmenskultur
Kapitel 5: Wege zum anständigen Unternehmen
Endnoten
Literaturverzeichnis
Aufrichtigkeit ist höchstwahrscheinlich die verwegenste Form der Tapferkeit.
– William Somerset Maugham
Diverse Fehlentwicklungen haben das Vertrauen in die Handlungsethik unseres politischen wie betriebswirtschaftlichen Führungspersonals inzwischen auf ein Minimum schrumpfen lassen – allen Responsibility-Projekten zum Trotz. In Summe rangieren Manager in den Listen der angesehensten Berufe mittlerweile hinter Gebrauchtwagenhändlern und Boulevardjournalisten; vor allem Topmanager haben Legitimitätsprobleme. Eine nahezu parallele Entwicklung finden wir im Bereich der politischen Entscheidungsträger. Plagiierte Doktorarbeiten, aufgepeppte Biografien, üppige Sonderzahlungen inklusive Gehaltskosmetik, ungenannte Ghostwriter sowie langes Kleben am Amt bei offensichtlichem Missmanagement – die Liste prominenter Beispiele wäre lang. Seien wir ehrlich: Die heute in Wirtschaft, Verwaltung und Politik aktiven Amtsträger wirken nicht immer glaubwürdig. Dies belegen nicht zuletzt die Studien derHamburger 10Stiftung für Wirtschaftsethik, die sich gerade auch mit dem Thema „Ethical Leadership“ intensiv beschäftigen.
In nicht wenigen Vorstandsetagen scheinen Gier und Machthunger die Moral zu übertrumpfen. Da ist u. a. der spektakuläre Skandal um die Insolvenz des Münchner Zahlungsdienstleisters Wirecard, dessen Wert in kürzester Zeit unter den Augen der Aufsichtsbehörde verpufft ist. Schlanke 20 Milliarden Euro Anlegergeld haben sich in Luft aufgelöst und so ganz nebenbei die größte Firmenpleite der Nachkriegsgeschichte verursacht. Der Leiter des Asien-Geschäfts, Jan Marsalek, soll auf den Philippinen untergetaucht sein. Oder in Moskau. Oder in Istanbul. Ob der derzeit inhaftierte Gründer Markus Braun von den diversen Luftbuchungen gewusst hat, muss noch vor Gericht geklärt werden. Die staatliche Finanzaufsicht hat dabei nicht nur jahrelang weggeschaut, sondern ausländische Investigativ-Journalisten sogar mit einer Klage überzogen. Was bleibt, ist ein für den Finanzplatz Deutschland menetekelhaftes Desaster mit zugleich hohem Symbolwert.
Weitere Geschichten als Beispiele überhöhter Selbstwahrnehmung und Größenwahns mit handfesten Täuschungsabsichten ließen sich auch in Gestalt des einstigen Karstadt-Chefs Thomas Middelhoff oder des ehemaligen Volkswagen-CEO Martin Winterkorn erzählen.1 Destruktive Eigenschaften von Managern oder Spitzenpolitikern sind offensichtlich kein seltenes Phänomen.2 Und doch – oder gerade deshalb? – sind diese Personen in ihre führenden Positionen gelangt und waren zumindest zeitweise äußerst effektiv. Offenbar vertrauen wir nicht selten den Falschen. Aber man benötigt gar nicht unbedingt knackige Geschichten von Bilanzfälschung, Datenmissbrauch, klammheimlicher Abgasmanipulation, Gehaltsexzessen oder Mobbing, um die Frage nach einer erneuerten Führungskultur oder gar einem komplett veränderten Führungsethos zu rechtfertigen. Denn offensichtlich hat sich etwas verändert in den westlichen Wohlstandsnationen.
Diesem „Etwas“ möchte ich in diesem Buch nachgehen – und natürlich fragen, wie man es besser machen kann. Möglicherweise ist eine alte und fast vergessene Tugend heute wieder ganz modern: Ich spreche von Demut und Bescheidenheit. Klar, dieses Leitbild taucht in den üblichen Merkmalskatalogen für Manager und andere Entscheider so gut wie nie auf. Die Geschäftswelt scheint anders zu ticken. Aber könnte sie nicht gerade deswegen etwas mehr Moral und Ethik brauchen? Gerade Menschen, deren Berufsleben durch Macht und 11Prestige geprägt ist, deren Arbeitstag aus vielfältigen Interaktionen und Kontrolle anderer Menschen besteht, haben natürlich eine besondere Verantwortung. Besonders sie sind herzlich eingeladen, über die altmodische Tugend der Demut einmal intensiver nachzudenken. Denn effektives Führen braucht wechselseitige Akzeptanz. Und am Ende, so meine ich, einen ganz neuen Ansatz.
Im 21. Jahrhundert hängt der Erfolg von Unternehmen vor allem davon ab, wie sie mit ihrem Know-how umgehen. Leitungskräfte müssen daher vor allem soziale Funktionen beherrschen – Spezialisten miteinander vernetzen, unterschiedliche Perspektiven moderieren, Konflikte ausgleichen – und zudem jede Menge Gefühlsarbeit leisten. Kurz: sie müssen Kooperation sicherstellen. Damit wird die Persönlichkeit einesManagers zum entscheidenden Parameter. Und da hätten wir auch schon den zentralen Gedanken dieses Buches: Wenn es Bad Leadership gibt – was ist heute dann Good Leadership? Wodurch zeichnet sich diese aus? Welche Eigenschaften, aber auch welche Resultate kennzeichnen leise und bescheiden auftretende Führer? Und was ist mit den Geführten: Welche Wünsche und Ziele bewegen die? Man hört viel über den Unterschied zwischen den Generationen X, Y und Z – den heutigen Schülern und Studenten mit Umweltbewusstsein, digitaler Kompetenz und internationaler Vernetzung. Wollen die sich nicht lieber selbst führen, am besten in ständig wechselnden Projekten und interagierenden Teams? Wir sehr pocht die „Generation Greta“ überhaupt noch auf die persönliche Integrität ihrer Anführer? Und würden Sie, ganz persönlich, in Wirtschaft oder Politik einen Leader akzeptieren, der die Richtung nicht mehr entschlossen vorgibt, sondern stattdessen lieber das Kollektiv entscheiden lässt und dabei womöglich noch selbst seine eigene Unsicherheit eingesteht? Und schließlich: Wie gelangt man nicht nur als individuelle Persönlichkeit zu Demut, sondern am besten gleich als ganze Organisation?
Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Fragen genauso faszinieren wie mich.
Lassen Sie uns darüber nachdenken, wie es gelingt, im Alltag gleichzeitig erfolgreich und integer zu sein.
Wo immer eine Organisation schlechte Leistungen erbringt, ist mit ihrem Management etwas nicht in Ordnung.
– Fredmund Malik
In diesem Kapitel sondieren wir zunächst die veränderten Rahmenbedingungen unserer modernen Arbeitswelt. Exzellente Fachkräfte gewinnen an Einfluss und erwarten von ihren Vorgesetzten einen partnerschaftlich-unterstützenden Stil. Gleichzeitig wird immer mehr Arbeit digitalisiert oder auf Online-Plattformen ausgelagert. Die Karten werden neu gemischt.
Der Begriff „Führung“ ist heute manchem suspekt und erscheint dennoch in vielen Bereichen dringender denn je: Unternehmen, aber auch Behörden, Armeen, Theater, Universitäten, politische Parteien – ja ganze Nationen kommen ohne Leadership nicht aus. Moralische Orientierung und die Fähigkeit zur Vertrauensbildung gehören daher zu den Schlüsselfunktionen des 21. Jahrhunderts. Zu diesen sozialen Kompetenzen müssen intellektuelle treten. In dieser Reihenfolge: erst die Integrität, dann die Qualifikation. Wir leben schließlich in zunehmend lauten und komplizierten Zeiten und verlangen als Menschen dennoch nach einer gewissen Stabilität.
Gleichzeitig dominieren gesellschaftliche wie technologische Innovationen in nie gekannter Geschwindigkeit unser modernes Leben. Die Zukunft rast heran wie ein Güterzug. Ist Ihr neuer PC nicht eigentlich schon wieder veraltet? (Falls Sie überhaupt noch einen PC besitzen …) Wir beschleunigen uns immer schneller: Vom Pionierflug der Gebrüder Wright bis zur Mondlandung und dem ersten Fußabdruck von Neil Armstrong dort oben vergingen gerade einmal 66 Jahre. Jede und jeder muss sich beständig an eine Welt anpassen, die eben gerade ihre Beständigkeit verliert. Haben Sie nicht auch manchmal die Sorge, dass wir die Kontrolle über all diese Entwicklungen verlieren?
Millionen Arbeitsplätze sind gefährdet, gleichzeitig entstehen diverse neue Berufsfelder. Autos steuern sich schon jetzt selbst, Häuser und Wohnungen werden „smart“, Herzoperationen können virtuell über Kontinente hinweg durchgeführt werden. Das „ehrliche“ Papiergeld wird durch digitale Kryptowährungen abgelöst; und China hat am 3. Januar 2019 nicht nur die Rückseite des Mondes besucht, sondern will bis 2030 am Südpol unseres Trabanten die erste Dauerstation der Menschheit errichten. Viele fragen sich, wohin das alles noch führen soll.
Gleichzeitig zweifelt mittlerweile eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger an unserem Wirtschaftssystem bzw. glaubt, dass wir in Wirtschaft und Gesellschaft einen gerechteren Neuanfang brauchen. Hierzu nur eine Facette: Die Humboldt-Uni in Berlin ermittelte 2017, dass das durchschnittliche Vorstandsgehalt in einem DAX 30-Unternehmen etwa 4,5 Mio. EUR im Jahr beträgt. Diese Summe entspricht 58 durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen. Damit 15sind in Deutschland die Vorstandsbezüge von 1987 bis 2017 um satte 1000 % gestiegen.3 In US-Unternehmen registriert man zum Teil eine noch radikalere Einkommensschere. Das liegt zum einen an den deutlich größeren flexiblen Vergütungsanteilen amerikanischer Manager (die z. B. nach der Entwicklung des eigenen Börsenwertes bemessen werden), zum anderen an der typischen Leitungsstruktur der meisten US-Konzerne, die in der Regel durch das Fehlen einer einflussreichen Gegenmacht gekennzeichnet ist. In zahlreichen Ländern sieht es nicht wesentlich anders aus. Und über die Höhe der Abfindungen für ausscheidende Manager wollen wir hier lieber schweigen – Stichwort: Goldener Handschlag. Einer demütig-bescheidenen Haltung leisten solche Gehaltsdimensionen sicherlich keinen Vorschub. Unsere Leader müssen sich dringend neu orientieren; die Tugend der Demut könnte ihnen einen Weg dahin weisen.
In diesem Buch beleuchten wir Demut (engl. Humility) im Management als bewusstes Gegenstück zu menschlicher Selbstüberhebung, Narzissmus und Gier. Denn wenn Großunternehmen durch Aktionen ihrer Inhaber oder Topmanager beschädigt oder sogar zerstört werden, verlieren Angestellte ihren Arbeitsplatz (oder sogar ihre Gesundheit), Aktionäre ihr Kapital und der Kapitalismus seine Glaubwürdigkeit. Aus diesem Grund forderten auch deutsche Manager wie z. B. Alexander Dibelius, ehemaliger Deutschland-Chef der Investmentbank Goldman Sachs, bereits im Nachgang der Finanzkrise die Branche zu „kollektiver Demut“ und einer großen Portion Bescheidenheit auf.4 In dieselbe Kerbe schlägt der schon erwähnte Ex-Starmanager Thomas Middelhoff – genannt „Big T“ – in seinem Buch Schuldig. Vom Scheitern und Wiederaufstehen (2019). Hierin berichtet er von seiner dreijährigen Haftstrafe und der bitteren Erfahrung des Scheiterns. Heute deutet Middelhoff seine persönliche Krise als seine größte Chance, nämlich Stolz, Gier und Machthunger loszulassen und inneren Frieden zu finden. Er rät seinen Lesern: Aus Stolz solle Demut werden, aus Selbstverliebtheit Bescheidenheit und aus Dominanz Solidarität mit anderen. „Big T“ hat recht, denn am Ende gilt:
Integre Organisationen werden von integren Personen gemacht.
Gönnen wir uns einen kurzen Blick zurück. Große Führungsgestalten wie Julius Cäsar, Mahatma Ghandi, Winston Churchill oder Nelson 16Mandela haben die Menschen schon immer fasziniert. Bei allen Unterschieden im Detail interessiert man sich teilweise noch nach Jahrhunderten für deren Schicksal. Dabei verläuft die Bewertung dieser Personen über die Jahre offenkundig in Wellenform: Auf Zeiten der Wertschätzung und Bewunderung folgen Zeiten der Skepsis oder gar Verdammung.
Diesem Schicksal sind auch bedeutende Unternehmenslenker ausgesetzt. Zwischen kollektiver Bewunderung und kollektiver Verdammung liegt oft eine nur kurze Zeitspanne. Sprach man in den 60er-Jahren noch ehrfurchtsvoll über Politiker wie Konrad Adenauer oder Willy Brandt, klangen Titel wie Generaldirektor oder Prokurist damals schwer respekteinflößend, so hat sich dies inzwischen radikal gewandelt. Nicht erst seit Oliver Stones Börsendrama Wall Street und seinem Hauptschurken Gordon Gecko (alias Michael Douglas) stehen Manager in einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit immer häufiger unter Rechtfertigungsdruck. Oder gar einem kollektiven Generalverdacht. Vor unserem geistigen Auge entstand nach und nach das Bild von Menschen, die sich immer mehr von der Wirklichkeit entfernen und nur noch in einer Blase von Gleichgesinnten leben und entscheiden.5
Den Spitzenmanagern unserer Tage ergeht es medial etwas besser: Die gesellschaftliche Wahrnehmung innovativer Gründer und Lenker war zuletzt wieder etwas freundlicher. Steve Jobs, Jeff Bezos oder Elon Musk werden mehrheitlich als geniale Tüftler betrachtet, als kreative Schöpfer neuer Branchen und Geschäftsmodelle. Diese Manager-Ikonen werden weltweit über die Grenzen ihrer Arbeitswelt hinaus idolisiert wie sonst nur Popstars oder Sporthelden. Sie schaffen es oft sogar bis in die Klatschspalten von Lifestylemagazinen. Andernorts beginnen dann wieder die Zweifel: Sind unsere Manager zu gierig, in ihrer persönlichen Inszenierung nicht zurückhaltend genug? Flugs ist es mit der Herrlichkeit dieser Berufsgruppe auch schon wieder vorbei; es fallen Begriffe wie Abzocker, Amigo, Gauner. Denkmäler werden wieder gestürzt. Nur: Dem Denkmalsturz geht eben der Personenkult voraus. Wer aber hat diesen inszeniert? Die Manager? Die Medien? Die unwissende Öffentlichkeit? Gar die Mitarbeiter selbst? Eines bleiben all diese Leader für die Öffentlichkeit jedoch immer: interessant!
Und eben schillernd. Denn die persönlichen Exzesse und gelegentlich sogar psychopathischen Züge einiger Topmanager wurden zu recht als mitursächlich für die letzte große Wirtschaftskrise gesehen.6 In einer Art Gegenbewegung wird daher seit etwa zehn Jahren in den 17USA der eher leise und nachdenkliche Entscheider propagiert; also eine Person, die frei ist von den oft egomanischen Zügen vieler Topentscheider. Jean-Marie Messier, der frühere Vorstandsvorsitzende von Vivendi, der gelegentlich E-Mails mit „J6M“, eine Abkürzung für Jean-Marie Messier Moi-Même, Maître du Monde („Meister der Welt“), unterzeichnete, oder auch Dennis Kozlowski, ehemaliger Vorstandsvorsitzende des Mischkonzerns Tyco, der sich 6000 US-Dollar für einen Duschvorhang und 17.000 US-Dollar für eine Reisetoilette durch den Verwaltungsrat bezahlen ließ, gehören da wohl eher nicht zu dieser Gruppe. Und Jack Welch, der sich einst bei General Electric konsequent jedes Jahr von den 10 % leistungsschwächsten Mitarbeitern trennte (er nannte sie lemons) auch nicht.
Typische Kennzeichen derart geprägter Personen sind übertriebene Risikofreude, die Neigung zur Außendarstellung und Selbstüberschätzung sowie – leider – ein partiell ausbeuterischer Egoismus (siehe ausführlich Kapitel 2). Aber seien wir ehrlich: Das sind Manager-Eigenschaften, die in einer Zeit, in der unser globales Wirtschaftssystem geprägt ist durch Fusionen, aggressive Markterweiterungen, Massenentlassungen und radikalen technologischen Wandel, durchaus nützlich sein können. Oder mit den Worten von Joseph Newman, einem renommierten Experten für Wirtschaftskriminalität von der University of Wisconsin: „Die Kombination von geringer Risikoaversion und fehlenden Schuldgefühlen – den beiden zentralen Säulen der Psychopathie – kann je nach Umstand zu einer erfolgreichen Karriere im kriminellen Milieu oder im Business führen. Manchmal zu beidem“.7
Der Anteil von Psychopathen unter den Führungskräften beträgt etwa 6 % – und liegt damit um das Sechsfache über der Allgemeinbevölkerung.8 Dies hat Bob Hare, ein weiterer Spezialist auf diesem Gebiet, zusammen mit einem Kollegen herausgefunden. Mit ihm hat er auch den „B-Scan“ entwickelt, mit dem man die psychopathischen Anteile einer Persönlichkeit in der Wirtschaftswelt ermitteln kann. Zuvor hatten beide die Beförderungsplanung für mehrere hundert nordamerikanische Führungskräfte analysiert und dabei herausgefunden, dass ein klarer Zusammenhang zwischen deren auffälligen Merkmalen und dem ihnen attestierten Entwicklungspotenzial bestand.9 Die Manager beurteilten offenkundig nach anderen Maßstäben als die Mitarbeiter. Diese stimmen aber mit den Füßen ab, wenn sie täglich unter solchen Chefs arbeiten müssen: indem sie nämlich auf Energiesparmodus umschalten – oder erkranken.10 Der Anteil 18dieser Beschäftigten, die nur noch im Schongang arbeiten und innerlich längst gekündigt haben, liegt in den westlichen Industrieländern seit Jahren stabil bei 60–70 %. Was für eine gigantische Verschwendung von Arbeits- und Lebenszeit.
Ganz in diesem Sinne ermittelte 2018 eine großangelegte Studie des US-Personalvermittlers Randstad, dass 60 % der kündigenden Mitarbeiter ihren Arbeitgeber vor allem deshalb gewechselt hatten, weil sie ihren direkten Chef nicht mochten.11 Ein ähnliches Resultat erbrachte bereits eine GALLUP-Studie mit über 7.000 Befragten in den USA: Danach wechselte jeder Zweite den Job, weil er oder sie im Laufe der eigenen Karriere weg von dem eigenen Vorgesetzten und damit das eigene Leben verbessern wollte.12 Da weiß man, was geschieht, wenn der soeben skizzierte Leadertyp auf die heutige Arbeitnehmergeneration trifft. Von dieser heißt es, sie wäre verwöhnt, etwas selbstverliebt, mit großen Ansprüchen bezüglicher individuell auf sie zugeschnittener Arbeitsbedingungen unterwegs, suche vor allem Arbeitssinn, achte auf die Work-Life-Balance – und würde überhaupt jegliche Art von autoritärer Führung ablehnen. Alles muss unmittelbar begründet werden und subjektiv nachvollziehbar sein. Formale Ämter und Titel zählen nicht, Führungseingriffe müssen immer wieder sachlich wie ethisch legitimiert werden.
Führungsexperten und Trendforscher warnen schon seit vielen Jahren vor dieser Erosion simpler Amtsautorität. Insbesondere die gut qualifizierten Wissensarbeiter des 21. Jahrhunderts verlangen nach höherwertigen Stimulanzien; sie wollen vom Leader überzeugt, wenn nicht beeindruckt werden. Sie wollen anerkannt werden, aber auch selbst anerkennen. Die Herrschaftsform der Hierarchie – der Begriff leitet sich eigentlich von religiöser Macht ab: hieros ist der „Heilige“, Hierarchie also die Herrschaft der Heiligen – wird zumindest in den hochentwickelten Volkswirtschaften mehr und mehr abgelöst von der sogenannten Expertokratie, der Herrschaft der Fachleute. Kurz gesagt:
Fachautorität schlägt Amtsautorität.
Der traditionelle Industriebetrieb hatte die Form einer Pyramide, d. h. das für den Geschäftsbetrieb wesentliche Wissen war in einigen wenigen Köpfen an der Unternehmensspitze konzentriert. Darunter kam dann das große Heer der lediglich Ausführenden (fast wie in einer Armee). Entsprechend uninformiert waren die Mitarbeiter. Kreativität entstand dadurch, dass man „von oben“ Ausnahmen von der Regel zuließ. Heute sitzt die eigentliche Expertise bei den Personen an der sogenannten operativen Basis; diese wollen (und können) sich in der Regel selbst führen. Die klassisch kontrolldominierte Führung „von oben“ ist dementsprechend unbeliebt – genauso wie Hahnenkämpfe und Kompetenzgerangel unter den Verantwortlichen. Die talentierten Mitarbeiter sind vor allem an interessanten Problemen interessiert und schätzen bedeutsame, sinnerfüllende Aufgaben (vgl. Kapitel 3). Mehr Gehalt zu bekommen ist schön, aber kein intrinsischer Motor. Vor allem die Spitzenleute möchten heute zuvorderst über Jobinhalte reden – nicht über Titel oder die Größe ihres Büros. Wie anders viele Topmanager!13
Konsequenterweise kann es in diesem Setting keine situationsunabhängigen Über- und Unterordnungsbeziehungen mehr geben. Stattdessen grüßt die Holokratie mit ihrem konsequenten Dezentralisierungsstreben: Aus Abteilungen werden „Zirkel“, aus Funktionen werden „Rollen“. Das Ganze bitte möglichst agil. Früher unterschied man zwischen Sachaufgaben und Führungsaufgaben; diese Trennung ist inzwischen mehr und mehr obsolet. Die bisherige Statushierarchie wird mehr und mehr von einer funktionalen Kompetenzhierarchie abgelöst. „Die modernen Wissensarbeiter sehen sich heute als Gleichberechtigte gegenüber ihren Auftrag- oder Arbeitgebern. Sie fühlen sich nicht als Angestellte, sondern als „Professionals“ – so die Managementlegende Peter Drucker bereits 1982.14
Die klare Rollenverteilung zwischen allwissenden Bossen und passiven Befehlsempfängern ist damit Geschichte.
20Möglicherweise ist es also doch mehr als eine absatzfördernde Übertreibung, wenn diverse Managementautoren das „Ende des Managements“ beschreiben.15 Indizien für zumindest eine grundlegende Umwälzung sind:
immer mehr flexible Workspaces (in bestimmten Branchen nutzen bis zu 70 % der Beschäftigten unterschiedliche Arbeitsorte),immer häufiger flexible Arbeitszeiten,immer häufiger räumlich isolierte Arbeit und Kooperation auf Distanz,immer häufiger Arbeit in sogenannten Matrix-Teams, also projektbasierten, multiplen Hierarchien. In diese hinein werden in den Firmen mehr und mehr Entscheidungen verlagert; ohne direkte Einbeziehung einer Führungsperson „von oben“. Peer Groups ersetzen hier den herkömmlich Amtsträger.Ein ethischer Kompass und persönliche Lauterkeit beim Arbeitgeber sind trotzdem gefragter denn je. Der Gewerkschaftsfunktionär Ulrich Klotz erkannte das bereits vor vielen Jahren: „Bürokratische Hierarchien, die auf Angst und Einschüchterung basieren und in denen sich formale Autorität vor allem in Statussymbolen und Titeln manifestiert, rufen heute bei den ‚Net-Kids‘ nur noch Kopfschütteln hervor. Ob sich jemand ‚XY-Leiter‘ nennt oder ein größeres Büro hat, interessiert im Internet niemanden. Dort zählt nur die Brillanz von Ideen und die tatsächliche Leistung“.16 So ist es.
Aus Unternehmenssicht stellt sich die Sache so dar: Eigentlich sucht man Mitarbeiter-Unternehmer in eigener Sache, die sich bei Bedarf selbstständig mit den verschiedenen Fachexperten (im oder außerhalb des Unternehmens) abstimmen und im Regelfall keine direkte Dienstaufsicht mehr benötigen. Ihre Projekte selbst organisieren, ihren Workload genauso sorgsam kontrollieren wie ihre Beziehungen und ihre Laufbahn: Think like a manager, act like a manager!
Es gibt diverse Belege dafür, dass mit zunehmender Autonomie das Engagement in der Belegschaft wächst, die Fehlersensibilität steigt und damit letztlich auch die Performance.17 Die Frage ist dann, welche Rolle für die einstigen Krawattenträger im Leitungskreis übrigbleibt. Der Chef oder die Chefin ist inzwischen nur noch erforderlich, wenn man sich festgerannt hat und nicht mehr weiterweiß. Anders gesagt:
Führungskräfte erhalten ihren funktionalen Wert nur noch durch die Qualität ihrer Beziehungen zur Workforce.
21Sie müssen zum helfend-unterstützenden Coach werden, d. h. in der Lage sein, zu ihren Anvertrauten eine persönlich hochwertige Beziehung aufzubauen. Dies umfasst Vertrauen, Offenheit, individuelle Förderung und Loyalität. Führungskräfte, die nicht radikal umdenken oder diesen persönlichen Ansatz nicht hinbekommen, werden scheitern.
Das richtet den Scheinwerfer auf unser Thema: bescheidene und selbstreflektierte Leader, denen man vertrauen kann. Denn die Machtbalance zwischen den Beschäftigten und ihren Vorgesetzten wird sich dramatisch verschieben – nicht die Führungskräfte werden knapp, sondern die exzellenten Mitarbeiter!
In den USA macht allerdings gerade der Begriff „Great Resignation“ die Runde. Obwohl sich die Konjunktur nach diversen Corona-Wellen langsam wieder erholt, kündigen vor allem hochqualifizierte Mitarbeiter, pro Monat bisweilen über vier Millionen im Land. Auch in Deutschland wurde zuletzt eine zunehmende Wechselbereitschaft registriert; Ende 2021 liebäugelte fast jeder zweite Arbeitnehmer mit einer Kündigung. Und die Besten gehen immer zuerst – gerade, wenn die Identifikation mit dem Arbeitgeber abnimmt. Aus Arbeitskraft wird dann schnell Fliehkraft. Im Gegenzug erhalten individuelle Freiheitsgrade gerade in der beruflichen Sphäre eine immer größere Bedeutung. Flachere Hierarchien, freie Ortswahl und Zeitautonomie fordern speziell die Könner immer nachdrücklicher ein. „Wenn es immer mehr Unternehmen gibt, die ihren Mitarbeitern die Chance geben, von einem Ort ihrer Wahl zu arbeiten, dann hält die Menschen nichts mehr in monotonen Jobs, die sie irgendwann mal wegen der Nähe zum Wohnort ausgesucht haben“, schreibt ein maßgebendes Wirtschaftsmagazin im September 2021.18 Dies könnte zugleich das Ende einer klassischen Arbeitnehmertugend sein: nämlich Loyalität. Der zukunftstaugliche Leader muss folglich eine neue Haltung mitbringen: er ist deutlich zurückhaltender und betont teamorientiert. Seine Autorität fußt vor allem auf gegenseitigem Vertrauen – dem Schmiermittel jeglicher Kooperation. Alles andere wird auf Dauer nicht mehr funktionieren.