Von Stromschlägen und Marshmallows - Dietrich Oelsnitz - E-Book

Von Stromschlägen und Marshmallows E-Book

Dietrich Oelsnitz

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Beschreibung

Dieses Buch stellt ausgewählte Experimente der empirischen Sozialforschung kurz und verständlich vor. Dabei liegt der Fokus auf Erkenntnissen für Leadership, Teams, Change-Management und persönlichen wie betrieblichen Krisen (Resilienz). Die Autoren zeigen auf, welche Lehren Führungskräfte aus diesen Experimenten für sich ziehen und im Unternehmensalltag anwenden können. Dabei verbindet das Buch die wichtigsten Einsichten sozialpsychologischer Experimente mit aktuellen Managementthemen und stellt die Frage, ob die Befunde der psychologischen Klassiker heute noch immer gültig sind bzw. welche Bedeutung ihnen für die Unternehmenspraxis weiterhin zukommt.
Den Leser erwarten aktuelle Themen wie Konformitätsdruck, effektives und ethisches Führen sowie nachhaltige Teamentwicklung und Krisenhilfe, womit eine Brücke zwischen Theorie und Praxis der modernen Arbeitswelt geschlagen wird.
Die Autoren arbeiten und lehren am Institut für Unternehmensführung der TU Braunschweig und sind ausgewiesene Experten an der Schnittstelle zwischen Sozialforschung, Management und Psychologie.

Dieses Buch ist nicht nur für erfahrene Führungskräfte von großem Wert, sondern auch für Studentinnen und Studenten der Psychologie sowie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Darüber hinaus kann es Personalern, Unternehmensberatern und Coaches sowie allen Personen dienen, die an sozialpsychologischen Themen interessiert sind.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Zum Inhalt:

Dieses Buch stellt ausgewählte Experimente der empirischen Sozialforschung kurz und verständlich vor. Dabei liegt der Fokus auf Erkenntnissen für Leadership, Teams, Change- Management und persönlichen wie betrieblichen Krisen (Resilienz). Die Autoren zeigen auf, welche Lehren Führungskräfte aus diesen Experimenten für sich ziehen und im Unternehmensalltag anwenden können. Dabei verbindet das Buch die wichtigsten Einsichten sozialpsychologischer Experimente mit aktuellen Managementthemen und stellt die Frage, ob die Befunde der psychologischen Klassiker heute noch immer gültig sind bzw. welche Bedeutung ihnen für die Unternehmenspraxis weiterhin zukommt.

Den Leser erwarten aktuelle Themen wie Konformitäts- druck, effektives und ethisches Führen sowie nachhaltige Teamentwicklung und Krisenhilfe, womit eine Brücke zwischen Theorie und Praxis der modernen Arbeitswelt geschlagen wird.

Die Autoren arbeiten und lehren am Institut für Unternehmensführung der TU Braunschweig und sind ausgewiesene Experten an der Schnittstelle zwischen Sozialforschung, Management und Psychologie.

Dieses Buch ist nicht nur für erfahrene Führungskräfte von großem Wert, sondern auch für Studentinnen und Studenten der Psychologie sowie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Darüber hinaus kann es Personalern, Unternehmensberatern und Coaches sowie allen Personen dienen, die an sozialpsychologischen Themen interessiert sind.

von der Oelsnitz et al.

VONSTROMSCHLÄGEN UND MARSHMALLOWS

Wie Führungskräfte von psychologischen Experimenten profitieren

5Inhalt

Geleitwort

Kapitel 1 Sind Menschen am Arbeitsplatz produktiver, wenn man sich ihnen auch persönlich zuwendet?

Kapitel 2 Welcher Zusammenhang besteht zwischen Autorität und Gehorsam?

Kapitel 3 Können allein die Erwartungen eines Vorgesetzten die Leistung der Mitarbeiter verbessern?

Kapitel 4 Sind Menschen im Kollektiv risikoreicher?

Kapitel 5 Strengen sich Menschen in Gruppen mehr an?

Kapitel 6 Wie lernen und entwickeln sich Teams?

Kapitel 7 Besitzstandswahrung: Tasse oder Schokolade?

Kapitel 8 Wie kommt der Wandel ins Rollen?

Kapitel 9 Kann sich aktueller Verzicht später auszahlen?

Kapitel 10 Warum lassen wir andere in Notfällen allein?

Kapitel 11 Kann man sich auch zu sehr mit seinem Job identifizieren?

Kapitel 12 Lässt sich fehlende Antriebskraft zurückgewinnen?

Epilog Was ist und was leistet ein Experiment?

Endnoten

7Geleitwort

Experimente gelten als Königsweg zur Erforschung von Kausalzusammenhängen. Sie finden in verschiedenen Disziplinen Anwendung – zum Beispiel in der Psychologie zur näheren Erkennung und Beschreibung menschlichen Verhaltens, in der Soziologie zur Analyse sozialer Beziehungen oder in den Wirtschaftswissenschaften zur Untersuchung des Verhaltens einzelner Marktakteure (Anbieter, Kunden, Lieferanten etc.). Experimente können somit dabei helfen, bestehende Meinungen oder bereits vorhandenes Wissen zu überprüfen. Sie liefern zudem eine nützliche Grundlage, um forschungsseitige Vermutungen zu testen, neue Theorien zu entwickeln oder bestehende Denkmodelle weiter zu verfeinern. Und nicht zuletzt vermögen sie – ihre intime Kenntnis vorausgesetzt – die Qualität der betrieblichen Entscheidungen und des innerbetrieblichen Handelns signifikant zu verbessern.

Die in diesem Buch versammelten Texte dienen diesem Ziel und beleuchten klassische, experimentgestützte Forschungsprojekte der älteren und jüngeren Vergangenheit, die unser Wissen über das menschliche Verhalten (gerade auch in ganz speziellen Situationen) mit der Zeit immer weiter verfeinert und vertieft haben. Die soziale Wirklichkeit um uns herum wird somit greifbarer. Die einzelnen, in diesem Buch erzählten »Forschungsgeschichten« liefern gute Einblicke, wenngleich längst noch kein vollständiges Bild. Allein für sich sind sie schon wertvoll – aber erst in der integrativen Zusammenfügung der Einzelexperimente werden wesentliche Grundzüge und Zusammenhänge des menschlichen Denkens, Fühlens und Handelns tatsächlich sichtbar. Wir haben diese Geschichten vier zentralen Rubriken zugeordnet: Leadership, Teams, Organisationaler Wandel und Krise & Resilienz.

8Da es sich zum Teil um zeitlich bereits länger zurückliegende Pioniertaten handelt, sind manche Versuchsanordnungen oder auch Schlussfolgerungen für uns Heutige gewöhnungsbedürftig; sie würden in unserem Jahrhundert in bestimmten Details so wohl nicht mehr durchgeführt werden. Die Grenzen des Sag- und Forschbaren sind enger geworden – das kann sowohl Vorteile als auch Nachteile bedeuten. Dies alles ändert jedoch nichts an ihrem überzeitlichen Wert und ihrem anhaltenden Nutzen. Vielleicht lässt es sich so ausdrücken: Analog zur biologischen DNA konnte durch die hier vorgestellten Experimente (und die Wissenschaftler, die sie erdacht und durchgeführt haben) bereits ein Großteil der menschlichen »Verhaltens-DNA« entschlüsselt werden.

Die Verfasser danken Frau Joanne Lehmann und Frau Helen Herbote für ihre jederzeit umsichtige Unterstützung bei der Umsetzung unserer Vorgaben. Wir danken zudem unserem Lektor, Herrn Ralf During, für seine nimmermüde Diskussionsbereitschaft und Toleranz.

Für das Autorenkollektiv

Dietrich von der Oelsnitz, 15. Mai 2024

9

11

Kapitel 1Sind Menschen am Arbeitsplatz produktiver, wenn man sich ihnen auch persönlich zuwendet?

Das Unternehmen als soziale Gemeinschaft(Elton Mayo)

Episode 1

Frau Weinert kümmert sich sehr um einen Faktor in ihrer Abteilung, den sie für besonders wichtig hält: die soziale Hinwendung zu ihren Beschäftigten. So denken aber längst nicht alle Vorgesetzten ihres Unternehmens – die meisten schauen nur auf die erzielten Arbeitsresultate. Oder versuchen, ihren Mitarbeitern mal eine kleine Gehaltserhöhung zu verschaffen. Andere meinen, ein wenig Druck wäre ergebnisfördernd, Qualität käme eben von Qual. Wieder andere glauben, die Produktivität ihrer Beschäftigten würde durch die Rahmenbedingungen der Arbeit erhöht, zum Beispiel eine gezielte Verschönerung der Kantine.

In einem scheinen sich aber offenbar alle Führungskräfte einig: Es besteht ein Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit und Arbeitsproduktivität. Könnte ’was dran sein. Bloß was erzeugt am Ende wirkliche Zufriedenheit am Arbeitsplatz?

12I. Aufbau und Ablauf der Hawthorne-Experimente

Dass der sog. zwischenmenschliche Faktor Einzug in die Managementlehre hält, ist eigentlich einem Zufall zu verdanken: Die Wege der Erkenntnis verlaufen auch in der Arbeitspsychologie nicht immer geradlinig. Dies zeigt sich besonders in der Arbeit George Elton Mayos. Mayo, geboren 1880 in Australien, studierte anfänglich Medizin (abgebrochen 1903), dann Logik und Philosophie. Über verschlungene Wege kam er schließlich zur Betriebspsychologie. Er lehrte diese zunächst in Queensland, emigrierte dann in die USA und wurde dort 1927 – unterstützt von einer großzügigen Spende John D. Rockefellers, der ihm persönlich eine eigene Professur an der Harvard Business School finanzierte – Professor für industrienahe Forschung (Industrial Research).

Sein Ruhm und seine Bedeutung für die Managementlehre entstanden nur langsam, denn Mayos zentraler Ansatz, die sog. Human Relations, besaßen zunächst eine überraschend andere Stoßrichtung: Es ging vor allem um die Überwindung (oder besser: Vermeidung) ökonomischer Klassenkämpfe – Arbeiterunruhen sind eben nicht gut für das Geschäft. Die »Kapitalisten« sahen deutlich das enorme Sprengpotential der durch das bestehende Wirtschaftssystem nach und nach erzeugten Ungleichgewichte. Die Kräfte von Kapital und Arbeit wirkten insgesamt eher gegen- als miteinander.

Etwa zu dieser Zeit gab es in den USA noch einen anderen Vordenker: einen systematisch-empirisch vorgehenden Praktiker namens Frederick Taylor. Taylor war als Ingenieur von Henry Ford zunächst vor allem ergonomisch interessiert. Als gläubiger Christ widerstrebte es ihm, die Betriebsleistung, wie damals allgemein üblich, allein durch längere Arbeitszeiten oder noch härtere Arbeit zu steigern und die Beschäftigten auf diese Weise schleichend auszuzehren (vgl. von der Oelsnitz, 2009). Seiner Meinung nach sollte daher nicht härter, sondern intelligenter gearbeitet werden. Kurz: Taylor sah vor allem das Management in der Pflicht. Demgemäß wollte er die betrieblichen Arbeitsabläufe u.a. durch eine rationale Organisationsgestaltung, die körpergerechte Gestaltung von Werkzeugen sowie eine intelligentere Personalauswahl verbessern.

Als typischem Kind seiner Zeit waren Taylor die sozialen Bedingungen am Arbeitsplatz weniger wichtig. Ihm ging es vorrangig um die Schaffung effizienter Regelungssysteme in Unternehmen. Erst viel später knüpfte Taylor stärker an die sog. Psychotechnik an. Dieser Begriff stammte ursprünglich von William Stern, einem emigrierten 13deutschen Psychologen, der als Begründer der sog. Differentiellen Psychologie gilt und u.a. den Intelligenzquotienten »IQ« entwickelte. Stern sah sich in besonderer Weise der angewandten Psychologie verpflichtet und interessierte sich sehr für die Lehre von der richtigen »Menschenbehandlung«. Seine »Psychotechnik« ging davon aus, dass die Produktivität von Arbeitnehmern v.a. durch eine systematische Berücksichtigung psychologischer Arbeitsfaktoren gesteigert werden könne. Hatte sich Taylor primär auf körperliche Merkmale seiner Arbeiter konzentriert (Größe, Gewicht, Muskelstärke etc.), zielten diese ersten Vertreter der Psychotechnik nun eher auf deren psychische Merkmale (Lernfähigkeit, mentale Belastbarkeit, Flexibilität etc.).

Beide Herangehensweisen eint indes die Ansicht, dass eben der »richtige Mann an den richtigen Arbeitsplatz« gehört – dass also eine bestimmte Arbeit nur durch einen dazu passenden Arbeitertyp wirklich effektiv ausgeführt werden könne. Ergänzend sollte dann von der Unternehmensleitung versucht werden, die für diesen Typ jeweils geeigneten Arbeitsbedingungen herzustellen. Im Blickpunkt stehen in den 1920er Jahren die Art der Beleuchtung des jeweiligen Arbeitsraumes, die Lage und Dauer der Arbeitszeit, die Höhe der Raumtemperatur oder die Pausenregelungen. Und hier kommt nun endlich Elton Mayo ins Spiel. Dieser hatte inzwischen auch sein beachtliches psychotherapeutisches Talent entdeckt. Vor allem die Krankheiten (!) und sozialen Probleme des aufkommenden Industriezeitalters interessierten Mayo – er soll sich in den von ihm analysierten Unternehmen und Krankenhäusern gelegentlich sogar wie ein Arzt gekleidet haben.

An seiner neuen Wirkungsstätte in Harvard wollte nun auch Mayo forschen. Hierzu bildete er zunächst in seinem Sinne geschulte Interviewer aus. In Chicago wurden dann von 1924 bis 1932 systematisch Studien durchgeführt, die herausfinden sollten, wie die Leistung der dort ansässigen Arbeiter weiter gesteigert werden könnte. Vergleichbare Untersuchungen wurden bereits in England vom Industrial Fatigue Research Board betrieben. Als aktiven Mit-Initiator dieser Studie in Chicago wählten Mayo und seine Mitarbeiter für ihren Teil der Studie ein Tochterunternehmen der amerikanischen Telefongesellschaft AT&T: die Western Electric Company. Dieses Unternehmen hatte etwa 29.000 Beschäftigte und baute Telefone und zugehöriges Equipment. Es hatte einen guten Ruf und bezog einen Großteil seiner Reputation aus seiner modernen Personalpolitik.

In der in Hawthorne ansässigen Fabrik der Western Electric Company wurde Mayo nun als ausgebildeter Soziologe zunächst zur Interpretation 14der komplexen Daten der früheren Hawthorne-Untersuchungen herangezogen. Ab 1929 leitete er dann eigenverantwortlich einen weiteren Teil der dortigen Studien, was sich u.a. in sechs Monografien und über 30 Aufsätzen mit genauer Ergebnisdarstellung niederschlug. Viele Untersuchungen wurden dabei in Abteilungen durchgeführt, in denen weibliche Arbeitskräfte feinmechanische Tätigkeiten ausübten.

Zu den Hawthorne-Experimenten zählen vor allem:

die sog. Beleuchtungsstudien (1924–1927)

die Experimente im Relay Assembly-Testraum (1927–1932)

das »Interviewing Program« (1928–1932)

die sog. Beobachtungsstudien im Bank Wiring Observation Room (1931–1932) sowie

das »Personnel Counseling-Program« (1936–1956).

Im besonders lehrreichen »Interviewing Program« wurden insgesamt mehr als 21.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über deren unmittelbare Arbeitserfahrungen befragt. Die später ausgebauten Gesprächsprotokolle wurden von einer Auswertungsabteilung inhaltsanalytisch durchgearbeitet und danach – nach bestimmten Themen sortiert – als Diskussionsgrundlage für die seit 1926 verstärkt betriebene Führungskräfteschulung genutzt. Im Verlauf von Anschluss-Studien befragten Spezialisten weitere Arbeiter und führten zum Teil auch sehr persönliche Gespräche mit ihnen. Ziel war es hier, die generelle Kooperationsbereitschaft der Arbeiter zu fördern und zugleich ihr Zugehörigkeitsgefühl zum Unternehmen zu stärken (vgl. von Rosenstiel et al., 2005).

II. Ergebnisse

Auch Mayos Forscherteam versucht zunächst, durch eine kontrollierte Variation verschiedener Arbeitsbedingungen die menschliche Produktivität im Werk zu verbessern. Dabei entdeckte man aber mehr oder weniger zufällig einen interessanten Zusammenhang: Im Verlauf der Studien zeigte sich, dass allein die Anwesenheit der Wissenschaftler deren Leistung steigerte.

Aber von vorne: Gegenstand der Untersuchungen war zunächst der Einfluss der Arbeitsräume und der Arbeitsbeleuchtung auf die Leistung von Arbeiterinnen, die u.a. feinmechanisch Schaltdrähte auf kleine Metallplatten löten. Von den oben genannten Untersuchungsreihen 15bringt das Bank Wiring Room-Experiment die entscheidende Beobachtung. Variiert wird von Mayo hier die Beleuchtungsstärke in den Montagehallen. Dies gilt allerdings nur für eine Gruppe von Arbeiterinnen; die andere Gruppe, eine in der experimentellen Forschung übliche Kontrollgruppe, wird ebenso in das Experiment einbezogen, jedoch bleiben dort alle Design-Parameter unverändert.

Das überraschende Ergebnis: Während der verschiedenen Lichteinstellungen stiegen die Leistungen kontinuierlich an, und zwar auch bei der Kontrollgruppe! Dies gilt selbst für eine anschließend vorgenommene, faktische Verschlechterung der Lichtverhältnisse – auch hier kein Leistungsverlust im Arbeitsraum. Es wird letztlich das erzeugt, was in der Medizin als Placebo-Effekt bekannt ist – der Patient vertraut einem Medikament, das nur ein Muster ohne Wert ist. Die heilende Wirkung tritt mit der Zeit dennoch ein!

Ebenfalls interessant: Eine spätere Auswertung der geführten Interviews von Mayos Mitarbeitern Dickson und Roethlisberger (1966) ergab ferner, dass unter den 331 männlichen und 405 weiblichen Angestellten die häufigsten Leidensquellen bei den Männern waren: Karriereprobleme (18,7 %), an zweiter Stelle Unzufriedenheit mit der Arbeit oder dem Lohn (18,4 %) sowie an dritter Stelle private Beziehungsschwierigkeiten (16,3 %). Bei den 405 Frauen standen beinahe geschlechtsrollentypisch an erster Stelle private Beziehungsprobleme (31,6 %), an zweiter Stelle Unzufriedenheit mit der Arbeit und/oder der Entlohnung (18,3 %) sowie schließlich – erst an dritter Stelle! – Probleme zwischenmenschlicher Beziehungen am Arbeitsplatz (14,8 % der Fälle).

III. Was können wir aus diesen Experimenten lernen?

Natürlich sucht Mayo nach einer plausiblen Erklärung – am Ende glaubt er, dass die Produktivität der Arbeiterinnen allein schon dadurch gestiegen ist, dass sie aus Dankbarkeit und gewachsenem Selbstwertgefühl besonders motiviert sind – schließlich kümmerte sich ein Gelehrter um ihre Bedürfnisse! Es ist also vermutlich der Stolz, als Teil eines für die Firma wichtigen Experiments unter aufmerksamer Beobachtung durch Harvard-Wissenschaftler zu stehen. Mayo schließt aus dieser Erfahrung auf die Kraft sozialer Phänomene und generalisiert seine Beobachtungen: Mitarbeiter werden nicht nur durch materielle Anreize (zum Beispiel mehr Lohn) oder formale Arbeitsbedingungen 16(zum Beispiel die Lage der Arbeitszeiten) motiviert, sondern vor allem durch menschliche Zuwendung und kollegiale Unterstützung.

Dies ist nicht weniger als eine Sternstunde der verhaltenswissenschaftlich orientierten Managementlehre. Was uns heute selbstverständlich ist, damals aber kaum jemand beachtete: Es geht beim alltäglichen Arbeiten eben immer auch um »Human Relations«, d.h. um die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen – um Zuwendung, Akzeptanz und Respekt!

Das Resultat der Mayo-Studie geht als Hawthorne-Effekt in die Forschungsgeschichte ein und lässt sich zu großen Teilen auch auf die Führung von Gruppen bzw. Teams übertragen. Dies ist wichtig, weil eine (Arbeits-)Gruppe natürlich ebenfalls Führungsimpulse setzt, die denjenigen des Vorgesetzten entsprechen oder widersprechen kann. Die Impulse können sich gegenseitig verstärken, aber eben auch neutralisieren und so dann das betriebliche Entscheidungssystem lähmen. Darüber hinaus eine weitere Lehre: Die Person, die offiziell von der Organisation bestellt wurde, muss nicht notwendigerweise auch die Person sein, die die Arbeitsgruppe wirklich führt, also motiviert und anleitet. Mayo widmet sich diesem Problem allerdings nicht weiter und neigt hier eher zu generalisierenden Befunden.

Die Hawthorne-Experimente gelten heute als Wende und Wegscheide der Managementforschung. Die Studie macht überdies deutlich, dass Arbeitnehmern oft mehr an der Veränderung von sozialen und emotionalen Faktoren ihrer Arbeitsumwelt gelegen ist als an materiellen Verbesserungen (zum Beispiel Lohnsteigerungen oder einem größeren Büro). Anreize und Belohnungen wirken zudem nur dann leistungssteigernd, wenn sie von langfristiger Natur sind; gelegentliche Boni oder kurze Streicheleinheiten verpuffen.

Nach einer neueren Studie gibt es hierbei eine Ausnahme und einen Schönheitsfehler: Wenn eine Belohnung weniger von der täglichen Leistung abhängt, wie zum Beispiel das fixe Grundgehalt, dann schadet sie dem Verhältnis zwischen intrinsischer Motivation und Produktivität nicht, da die intrinsische Motivation wahrscheinlich der wichtigere Einflussfaktor ist. Der Schönheitsfehler: Belohnungen, die streng an die Produktivität geknüpft sind, wie zum Beispiel Boni oder Provisionen, können mitunter die intrinsische Motivation (und damit letztlich die Leistung) negativ beeinflussen. In diesem Sinne sind direkte Anreize und intrinsische Motivation nicht unbedingt die »besten Freunde«, wenn es um die erwünschte Verbesserung von Arbeitsergebnissen geht (vgl. Cerasoli et al., 2014).

17Diese Schlussfolgerungen zog auch Mayo: Er betont besonders den jeweils angewandten »Management Style« als wesentlichen Beitrag zur industriellen Produktivität, aber hebt auch die interpersonellen Fähigkeiten als mindestens genauso wichtig hervor wie die monetären Anreize oder das geschickte »Target-setting«.

Ferner erkannte Mayo:

Die Job-Zufriedenheit steigt, wenn Arbeitnehmer die Bedingungen, unter denen sie arbeiten, mitbestimmen können. Dazu zählen insbes. die unmittelbare Arbeitsumgebung und das Setzen eigener Arbeitsziele und Arbeitsstandards.

Der Gruppenzusammenhalt (Teamkohäsion) wächst mit intensivierter Interaktion und Kooperation.

Job-Zufriedenheit und Output hängen weniger von der Entlohnungshöhe oder den physischen Arbeitsbedingungen zusammen als vielmehr von Qualität der Kooperation mit anderen und dem Gefühl des Respekts und der Wertschätzung durch die Unternehmensführung.

Im Übrigen ist vielleicht wissenschaftshistorisch immer noch interessant, dass die von Mayo und Mitarbeitern verfassten Erfahrungsberichte nach ihren diversen Gesprächen und Interventionen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Geschäftsführung der Hawthorne-Werke keineswegs auf uneingeschränkte Zustimmung stießen. Die ersten Untersuchungsberichte von Mayo betonen, wie eigensinnig und erfolgreich die Gruppe der Mitarbeiterinnen ihre Normen gegenüber den weitgehend ergebnislosen Einflussversuchen des Managements zu verteidigen verstand. Diese Berichte waren für die Geschäftsführung offenbar so schwer verdaulich, dass sie die Publikation von Mayo auch noch in seiner deutlich abgeschwächten Form verzögerten. Das dann von seinen Schülern Roethlisberger & Dickson fertiggestellte Buch wurde erst 1939 publiziert.

Der Wissenschaftshistoriker Walter-Busch schreibt dazu in seinem Buch: »Mit zunehmender Verbreitung von Grundorientierungen der jungen Relations-Bewegung gewöhnte man sich indessen allmählich auch in höheren Managementkreisen an den Gedanken, dass zwischenmenschliche Beziehungsnetze im Betrieb als eigensinnige, einer eigenen Logik folgende soziale Systeme zu betrachten seien, und dass demzufolge selbst formell anordnungsbefugte Vorgesetzte solche informellen Sozialsysteme nicht einfach mit Befehlen in die gewünschte Richtung zu bewegen vermögen« (Walter-Busch, 1996, S. 177).

18IV. Bedeutung und Kritik

Die Ergebnisse der Hawthorne-Studien wurden wegen der Weltwirtschaftskrise erst mit einiger Verzögerung in Mayos Buch The Human Problems of an Industrial Civilization (1933) beschrieben und dann erst deutlich später von einem seiner verdienstvollsten Mitarbeiter, Fritz Jules Roethlisberger, nahezu weltweit bekannt gemacht. Auf dieser Grundlage wird Mayo heute als Mit-Begründer und zentrale Figur der Human-Relations-Schule im Management anerkannt.

Elton Mayo selbst empfand sich vor allem als »Mentalhygieniker«, ihn faszinierten arbeitsbedingte Einstellungen, Krankheiten und Psychosen. Als universeller Geist war er aber eben auch an betriebssoziologischen, also gemeinschaftsbezogenen Phänomenen interessiert. An seiner Wirkungsgeschichte kann man über die reinen Resultate hinaus zwei Einsichten festmachen: Zum einen dürfen die methodischen Einwände, ja die bisweilen boshafte Kritik von Fachkollegen an der Hawthorne-Studie, nicht unerwähnt bleiben. Mayos Experimente galten nicht wenigen als »fake«.

Darüber hinaus könnte man auch zu anderen Schlussfolgerungen kommen – Menschen legen sich eventuell einfach mehr ins Zeug, wenn Forscher sie beobachten und kontrollieren. Überdies mehrten sich in den letzten Jahren die Zweifel, ob Mayo wirklich die Kontroll- und die Experimentalgruppe gleich behandelt hat. Zu lesen ist neuerdings, dass er die Frauen der Experimentalgruppe besser bezahlt hätte und allein so schon eine höhere Arbeitszufriedenheit erzeugt hätte. Ein weiterer Kritikpunkt macht sich an der Tatsache fest, dass Mayo & Schüler ihre Erkenntnisse und Vorschläge schnell unterschiedslos auf alle Organisationsformen übertragen, also generalisiert haben (vgl. Weinert, 1998).

Des Weiteren zeigt das Beispiel Mayos, wie schwierig es vor allem in den Sozialwissenschaften ist, generalisierbare Erkenntnisse an einzelnen Personen oder Testreihen festzumachen. Und schließlich verweisen Wissenschaftshistoriker darauf, dass bereits vor Mayo der nämliche Effekt bemerkt wurde, u.a. angeblich vom britischen Industriepsychologen C. Myers, der in den 1920er Jahren ebenfalls Ermüdungsstudien betrieben hatte. Dieser Zeitverzug könnte damit zusammenhängen, dass beide Studien erst Jahre später durch »Schüler« systematisch und breitenwirksam publiziert wurden. Ähnliches geschah ja auch Mayo, dessen Studien und Analysen, wie erwähnt, teilweise in die Jahre der globalen Weltwirtschaftskrise (1932ff.) fielen, eine Zeit, die später auch 19als »Große Depression« tituliert wurde und die Auswertungen der Studien mehrere Jahre auf Eis legte.

Obwohl es in der Gelehrtenwelt also bis heute unterschiedliche Meinungen über die zu ziehenden Schlussfolgerungen aus Mayos Befunden gibt, ist letztlich allen Wissenschaftlern bewusst, dass die Studien die Basis dafür gelegt haben, was wir heute als »Industrial Behavior« oder eben »Human Relations« am Arbeitsplatz verstehen. Was immer bleibt, ist die (uns heute selbstverständliche) Einsicht, dass der arbeitende Mensch eben nicht nur materiell entlohnt werden will (der Lohn quasi als »Schmerzensgeld« fungiert), sondern sein Unternehmen eben häufig auch als soziale Heimat betrachtet – in der er ja immerhin auch ein Großteil seines Lebens verbringt.

V. Transfer: Was bedeuten die Hawthorne-Experimente für die Führungspraxis?

Aus heutiger Sicht war die Human-Relations-Bewegung, die ab Ende der 1930er Jahre in den USA und ab 1945 auch in Europa zu großer Aufmerksamkeit gelangte, eine ganz wichtige Ergänzung zum bisherigen, vom Taylorismus und der Psychotechnik geprägten Leitungsverständnis. Dementsprechend stehen heute auf der Führungsebene nicht mehr so sehr die optimale Arbeitsvorbereitung oder bestimmte Kontrolltechniken im Vordergrund, sondern vor allem die Entwicklung eines tieferen Verständnisses im Bereich der Steuerung und Gesunderhaltung sozialer Beziehungssysteme. Mentalhygiene ist hier das Stichwort.

Nach Mayos Ansicht redeten Eigentümer, Führungskräfte, Gewerkschaften und Arbeitnehmer beständig aneinander vorbei. Letztere konnten in den Strukturen und Rezepten der industriellen Frühmoderne keine innere Befriedigung ihrer (Arbeits-) Bedürfnisse erlangen. Das strahlte auf ihre gesamte Lebenszufriedenheit ab und machte zornig. Die Inhaber und ihre Manager hingegen dachten, die Lösungen für die betrieblichen Probleme lägen in der stetigen Verbesserung der technischen Effizienz und einer intelligenteren Organisations- und Prozessgestaltung. Elton Mayo war als der vielleicht erste Industriepsychologe und -soziologe der richtige Mann zum Vermitteln. Er sah die menschlichen wie die betrieblichen Friktionen und bemühte sich um Hilfe. Seine universalistische Ausbildung kam ihm dabei sehr zugute. Mit ihm wird endlich der ganze Mensch gesehen – und nicht nur die »Ware Arbeitskraft«!

20Die der humanistischen Psychologie sehr nahestehende Methode seiner Gesprächsführung mit Mitarbeitern entwickelte folgende Regeln:

Schenken Sie der interviewten Person ihre ganze Aufmerksamkeit und zeigen Sie ihr dies ausdrücklich.

Hören Sie aufmerksam zu, anstatt selber zu sprechen.

Argumentieren Sie nie, und geben Sie keine Ratschläge.

Achten Sie darauf, was die interviewte Person sagen möchte, was sie nicht sagen möchte und was sie nicht ohne Hilfe sagen kann.

Während Sie zuhören, skizzieren Sie für sich das Verhaltensmuster, das sich Ihnen darbietet. Um es zu überprüfen, fassen Sie das von der interviewten Person Gesagte zusammen und lassen sie es noch einmal kommentieren.

Mit Mayos Arbeit kommt zugleich eine uns heute gut vertraute Entwicklung in Gang: die kommerzielle Versilberung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Wenn für einen guten Manager technische Fähigkeiten allein nicht mehr genügen, sondern er nun zusätzlich über soziale und psychologische Kompetenzen verfügen muss, dann muss er in aller Regel nachgeschult werden. Entsprechende Verfahrensweisen, die sog. Human-Relations-Techniken, konnte man schon bald gegen Geld in mehrtägigen Schulungen und Trainings erlernen. Wie geht man höflich und herzlich mit seinen Untergebenen um? Wie äußert man Kritik? Wie sind Mitarbeitergespräche zu führen? Wann sollte ein Mitarbeiter gelobt werden? Wie baut man Vertrauen auf?

Die Führungskraft ist insbesondere für die nichttechnischen Fragen des Betriebsablaufs zu sensibilisieren; sie muss den Untergebenen als soziales Wesen (an)erkennen und zugleich die herausgehobene Bedeutung ihres persönlichen Führungsstils realisieren. Anders ist der fortschreitenden Entpersönlichung in den modern übertechnisierten Unternehmen nicht beizukommen. Und anders ist auch die Leistungsfreude der Mitarbeiter in den anonymisierten Massenorganisationen der Moderne nicht mehr vollständig zu aktivieren. Wir nennen das heute »beziehungsorientierte Führung« und »emotionale Intelligenz«.

Taiichi Ohno, der geniale Tüftler und spätere Organisator des »Modells Toyota«, hat sich ersichtlich schon früh an den Erkenntnissen der »Hawthorne-Studien« orientiert. Für Ohno war es speziell wichtig, dass im Gegensatz zu früheren Managementsystemen ein ständiger Informationsfluss vom »Arbeiter« hin zum Management stattfindet. Nur so war es seiner Meinung nach möglich, Fertigungsfehler frühzeitig 21zu erkennen und diese durch sorgfältige Erforschung der Ursachen schließlich auszuräumen.

Im Überblick erbringen die Hawthorne-Studien vor allem drei Lektionen für die Leadership-Praxis:

Berufliche Arbeit ist nicht allein eine materiell wichtige Angelegenheit!

Managementforscher schätzen, dass in den heutigen Großunternehmen etwa 90 % der Mitarbeiter keinen Bezug mehr zum Endprodukt besitzen und über 98 % noch nie wissentlich einem Kunden begegnet sind. Studien zeigen weiter, dass Arbeitnehmer ihre Identität oder ihr Selbstbewusstsein daher vor allem über ihr unmittelbares Arbeitsumfeld oder ihre jeweilige Aufgabe definieren – und dementsprechend stark von einer anhaltenden Arbeitslosigkeit emotional betroffen wären. Der psychologische Effekt, von der Gesellschaft nicht mehr »gebraucht zu werden«, ist daher oft höher als der objektive materielle Schaden durch den anhaltenden Verdienstausfall. Ein ähnlicher Sinn-Verlust entsteht auch bei einer übervereinfacht-fragmentierten Berufsarbeit.

Kümmern Sie sich als Führungskraft also um die Mentalhygiene! Teilen Sie zum Beispiel jedem Beschäftigten mit, wo er oder sie leistungsmäßig steht. Sprechen Sie bei guter Arbeitsleistung Anerkennung auch wirklich aus. Informieren Sie im Bedarfsfall die Mitarbeiter gründlich und möglichst weit im Voraus über Veränderungen der Arbeitspraxis, die sie selbst unmittelbar betreffen oder um den gegenwärtigen »Stand« ihres Unternehmens.

Der Mensch ist ein Gruppenwesen

Sowohl Taylor als auch die Vertreter der Psychotechnik gingen von der Analyseeinheit des einzelnen Arbeitnehmers aus und vernachlässigten daher sträflich dessen Einbindung in die soziale Gemeinschaft. Gute soziale Beziehungen am Arbeitsplatz sind aber kein Luxus, sondern dringend nötig; denn sie vermögen u.a. den Sinn-Verlust zu kompensieren, der in und durch anonyme Großorganisationen eintritt. Als »kleines Rädchen im Getriebe«, das den Gesamtzusammenhang der betrieblichen Aktivitäten kaum mehr zu erkennen vermag, braucht der Mitarbeiter eine einfühlende Zuwendung von Vorgesetzten wie Kollegen. Daher: Bemühen Sie sich, jeden empathisch und individuell zu behandeln. Angesichts emotional »entzauberter« Arbeitswelten rückt die Qualität des Arbeitslebens zukünftig noch wesentlich stärker in den Vordergrund.

22Man darf zudem annehmen, dass neben dem sachlichen Effekt der Studien insbesondere auch die Dankbarkeit der Arbeitnehmerschaft eine Rolle spielt, die sich endlich von der Leitungsebene gesehen und respektiert fühlen kann. Allein dieser damit verbundene »Achtungserfolg« dürfte schon einen großen Teil des sogenannten Hawthorne-Effekts erklären.

Systematisches Training – und die richtige Haltung

Um als Führungskraft die Sorgen und persönlichen Probleme von Arbeitnehmern verstehen zu können, muss man nicht nur sorgfältig zuhören können, sondern auch etwas von Interview-Techniken verstehen. Auch Grundkenntnisse in Psychologie und Menschenführung schaden nicht. Insofern ist schon beim Auswahlprozess von Vorgesetzten bereits dezidiert nicht nur auf deren Fachkompetenzen in Sachen Analyse- und Entscheidungsfähigkeit zu achten, sondern auch auf ihre psychische wie soziale Grundorientierung. Eine demütige, also zurückgenommene und bescheidene Führungshaltung hat viele Vorteile (vgl. von der Oelsnitz, 2022). Kann man Schwäche zeigen, sich reflektieren, Erfolge mit den Teammitgliedern teilen, eigene Fehler eingestehen?

Diverse Fehlentwicklungen haben nach und nach das Vertrauen in die Handlungsethik unseres Führungspersonals schrumpfen lassen – allen Corporate Responsibility-Projekten zum Trotz. Vor allem Top-Manager haben Legitimitätsprobleme; destruktive Eigenschaften sind in dieser Gruppe offensichtlich kein seltenes Phänomen. Und doch – oder gerade deshalb? – sind diese Personen in ihre führenden Positionen gelangt und waren zumindest zeitweise äußerst effektiv. Offenbar vertrauen wir also nicht selten den Falschen. Allerdings hat sich mittlerweile einiges verändert in den westlichen Wohlstandsnationen. Die Frage nach einer erneuerten Führungskultur oder gar einem komplett veränderten Führungsethos steht im Raum. Zeit, auch bei der Managerausbildung neu zu denken.

Die Hawthorne-Experimente zählen bis heute zu den bekanntesten Studien der angewandten Sozialforschung. Sie waren das Flaggschiff der jungen Human-Relations-Bewegung, die in der Managementwelt auf die Ära der sog. wissenschaftlichen Betriebsführung von Taylor folgte. So gut wie jedes Lehrbuch der Organisationspsychologie erwähnt diese erfolgreiche Folge von Untersuchungen. Waren bei Taylor die Arbeiter gedanklich fast »humane Produktionsmaschinen« und bei Max Weber vor allem ein ständiger Unsicherheitsfaktor im Räderwerk 23der perfekt funktionierenden Bürokratie, erscheinen sie bei Elton Mayo nun als »ganzheitliche« Wesen. Mit ihm zieht die Sozialwissenschaft in die Betriebe und Unternehmen ein.

Ein Wermutstropfen aber bleibt: Auf die Hawthorne-Studie ist möglicherweise das Schisma der heutigen Betriebswirtschaftslehre zurückzuführen, die sich mittlerweile deutlich zum einen in eine statistisch-quantitativ ausgerichtete und zum anderen in eine eher verstehend-qualitativ ausgerichtete Wissenschaftsrichtung ausdifferenziert hat. Die mit dieser Separierung einhergehende Ideenkonkurrenz kann einerseits als gesunde akademische Arbeitsteilung gesehen werden. Andererseits ist unbestreitbar, dass die v.a. verhaltenstheoretische Sicht betrieblicher Phänomene letztlich zu einem inhaltlichen und methodischen Auseinanderleben mit der althergebrachten Ökonomie geführt hat. Bis heute stehen sich beide Lager in der Betriebswirtschaftslehre als eigenständige Schulen zwar nicht unversöhnlich, aber doch häufig unverbunden gegenüber.

In Kürze:

Der Beruf ist nicht alles – Menschen haben viele Motive und Sehnsüchte. Eine davon ist der Wunsch, beachtet und anerkannt zu werden. Reduzieren Sie die Ihnen Anvertrauten daher niemals auf ihren bloßen »Arbeitswert«!

In der modernen Wirtschaftswelt geht es längst nicht mehr nur um schlichte Produktions- oder Serviceaktivitäten. Insbesondere die »sozialen« Funktionen sehen sich – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels – stark aufgewertet.

Gute soziale Beziehungen am Arbeitsplatz sind kein »Bonus«, sondern dringend nötig, ja elementar. Anders sind die Mitglieder der Generation Z kaum noch zu gewinnen – und langfristig zu binden erst recht nicht.

Auch Führungskräfte brauchen ein systematisches Coaching. Insbesondere ein effektives Resilienz-Training ist in einem zunehmend turbulenten Geschäftsbetrieb dringend anzuraten.