Den Boden unter den Füßen verlieren - Barbara, Dr. med. Günther-Haug - E-Book

Den Boden unter den Füßen verlieren E-Book

Barbara, Dr. med. Günther-Haug

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Beschreibung

Eine schlimme Nachricht, ein Unfall, eine Kündigung – nach einer traumatischen Erfahrung können Gefühle, Gedanken und die eigene Wahrnehmung durcheinandergeraten. Man befindet sich im Schockzustand: Es ist, als würde man Den Boden unter den Füßen verlieren. Die erfahrene Psychotherapeutin Barbara Günther-Haug erläutert die mentalen Veränderungen, die nach einem Schock-Erlebnis eintreten, und zeigt anhand praktischer Arbeitsblätter, wie Sie sich selbst helfen können. Dieses Buch unterstützt Sie dabei, den Schock zu bewältigen, die psychischen Wunden heilen zu lassen und gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Aufgrund der Corona-Krise erleben wir die verheerendste Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg. Wenn auch Sie plötzlich mit lähmenden Existenzängsten kämpfen, die es Ihnen schwer machen, die jetzige Lage zu bewältigen, kann Ihnen dieses Buch helfen. Die geschulte Psychotherapeutin Barbara Günther-Haug zeigt Ihnen, wie Sie Ihre aufgewühlte Seele beruhigen und zu mentaler Leistungsstärke zurückfinden können.

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Seitenzahl: 238

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Barbara Günther-Haug

Den Boden unter den Füßen verlieren

Barbara Günther-Haug

Den Boden unter den Füßen verlieren

Wenn eine seelische Erschütterung schwer trifft und wie man bei Schock-Erfahrungen Heilung findet

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Originalausgabe

1. Auflage 2020

© 2020 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Caroline Draeger

Umschlaggestaltung: Sonja Vallant

Umschlagabbildungen: shutterstock/GoodStudio

Satz: Ortrud Müller, Die Buchmacher – Atelier für Buchgstaltung, Köln

Druck: CPI books GmbH, Leck

ISBN Print 978-3-7474-0198-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-556-0

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-557-7

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.muenchner-verlagsgruppe.de

Arbeitsblätter zum Herunterladen

Einzelne Arbeitsblätter können Sie online herunterladen und sie anschließend bearbeiten:

https://bgh-psychotherapie.de/buch/ab/

Inhalt

1. Wer den Schaden hat, braucht für den Schock nicht zu sorgen

Zuerst den Kopf reparieren

Arbeitsblätter zum mentalen Training

Arbeitsblatt 1: Sie sind immer noch Sie selbst – ein kurzer Steckbrief

2. Was macht ein Schock mit dem Gehirn?

Wahrnehmung

Gefühle

Körper

Denken

Verhalten

Arbeitsblatt 2: Woran hakt es bei mir?

3. Bin ich krank?

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Angststörungen

Depression

Arbeitsblatt 3: Checkliste alarmierende Krankheitssymptome

4. Wann bin ich wieder normal?

Das Ausmaß des Schadens

Die persönliche Ressourcenlage

Ein paar zeitliche Eckpunkte

Arbeitsblatt 4: Genesungsblumen

Arbeitsblatt 5: Genesungskalender

5. Wie ein Schock die Wahrnehmung trübt

Das wunderliche Phänomen der Dissoziation

Die Realität ist ein Hund: Wer vor ihr wegläuft, den wird sie jagen

Arbeitsblatt 6: Checkliste Wahrnehmungsstörungen

6. Scheibenwischer einschalten

Gegenwartsanker: die kleine gute Suggestion

Das Prinzip des Gegenwartsankers

Arbeitsblatt 7: Meine Gegenwartsanker

Präsenz-Spiele: Ich sehe was, was du nicht siehst

Arbeitsblatt 8: Präsenz üben

7. Nehmen Sie Ihre Gefühle an die Hand

Die Tiefsee unserer Seele

Sie dürfen abtauchen

Sie dürfen auftauchen

Arbeitsblatt 9: Die Gefühls-Olympiade

Rechnen statt Rasen

Gegenlenken

Arbeitsblatt 10: Gefühle abschwächen. Mach es entgegengesetzt

8. Im Würgegriff von Scham und Kränkung

Gutes sehen, gütig sein

Arbeitsblatt 11: Ressourcen sammeln

9. Wenn der Nervenmotor blockt und bockt

Der Mythos der Gelassenheit

Mit Achtsamkeit das Getriebe justieren

Arbeitsblatt 12: Motivationsprotokoll Achtsamkeit

10. Das Gefühl der Sicherheit kultivieren

Reale Ressourcen der Sicherheit erkennen

Arbeitsblatt 13: Meine Ressourcen der Sicherheit

Das Gefühl der Sicherheit durch Imaginationen stärken

Arbeitsblatt 14: Mein sicherer innerer Ort

11. Verstörte Seele stört den Körper

Nein, es ist keine Einbildung

Arbeitsblatt 15: Ich sorge für meinen Körper

Wenn Arzttermine sich häufen

Arbeitsblatt 16: Spickzettel für den nächsten Arztbesuch

12. Der Schlaf ist wie ein Schmetterling, er setzt sich nur auf ruhige Menschen

Gegen Sorgengespenster und Alpträume

Unsere Ressource Fantasie

Arbeitsblatt 17: Die Feierabendübung

13. Liebesleben reloaded

Zu viel Lust und Sex

Abschwächen von Verliebtheit: Was macht das Gefühl mit mir?

Arbeitsblatt 18: Verliebtheit abschwächen

Fehlanzeige Partnerschaft

In der Posttrauma-Phase lieber keine Ekstase

Arbeitsblatt 19: Gesunde Freuden

Zu wenig Lust und Sex

Arbeitsblatt 20: Mein Lieblingsmensch

14. Das Morgengrauen

Drei Gehirn-Erfrischer

Arbeitsblatt 21: Meine Morgenparole

15. Der Stress mit dem Essen

Zu wenig oder selektiv essen

Ich kontrolliere mich – also habe ich alles im Griff

Was, wenn das Kind spinnt?

Hungern als Sühneübung

Zu viel essen

Arbeitsblatt 22: Präsenz beim Essen

Wenn der Genuss zur Sucht wird

Arbeitsblatt 23: Präsenz beim Konsum psychoaktiver Substanzen

16. Scharf wie ein Messer aus der Spülmasche – das Denken nach dem Schock

Vater Staat darf sich nützlich machen

Die Geistesklinge schärfen

Kampf dem Denkfehler

Arbeitsblatt 24: Denkfehler ausmerzen

Schreck lass nach

Arbeitsblatt 25: Kleine Pannenhilfe

17. Ständig diese Scheißgedanken

Mentale Bildbearbeitung

Nachdenkliche Stunde

Ablenken und verpacken

Arbeitsblatt 26: Verpackungskünste

18. Hilfe, das triggert mich – kleiner Reiz mit großer Wirkung

Vermeiden macht es schlimmer

Trigger identifizieren und auflösen

Arbeitsblatt 27: Genug getriggert

19. Ran an die Realität

Der große Umweg

Radikale Akzeptanz

Arbeitsblatt 28: Eine lange Sache kurz machen

20. Ihr könnt mich alle mal

Der erste Ausritt nach dem Schock

Wem sage ich was?

Arbeitsblatt 29: Strategieplan zur Kontaktaufnahme

21. Jetzt lauern Wundertäter und falsche Geschäftsfreunde

Setzen Sie auf bewährte Beziehungen und sich selbst

Arbeitsblatt 30: Gemeisterte Herausforderungen

22. Und dann noch so schrecklich viel Arbeit

Motivationsbildung

Das rechte Maß

Startwissen freischalten

Die passende Reihenfolge

Arbeitsblatt 31: Mein Schritt-für-Schrittnach-vorne-Plan

23. Der sogenannte heilsame Schock

Was kann der Schock uns beibringen?

Arbeitsblatt 32: Hart erworbene Schätze

Kontaktdaten von Beratungsstellen, alphabetisch sortiert

Kapitel 1Wer den Schaden hat, braucht für den Schock nicht zu sorgen

Sie betreten nichtsahnend die Firma, da kommt der Wachdienst, eskortiert Sie zum Chef, und Sie hören, dass Sie gekündigt sind. Oder Sie fahren auf dem Rad abends nach Hause, da schießt aus einer Seitenstraße ein Auto hervor, und plötzlich fliegen Sie durch die Luft. Manchmal ändert sich das Leben innerhalb von Sekunden: Die Partnerin hat sich unbemerkt in einen andern verliebt und zieht aus. Der Arzt sagt, dass der Knoten bösartig ist. Der wichtigste Kunde springt ab, und jetzt will auch die Bank nicht mehr.

Solche Erlebnisse mit ihren vielen Folgen gehen nicht spurlos an uns vorüber. Sie verwandeln unseren Alltag und uns selbst. Wir denken und fühlen danach anders. Ein Kopf nimmt Schaden, wenn man ihn mit dem Hammer traktiert, das weiß jeder. Aber hier reden wir von Verletzungen anderer Art. Manchmal bleibt die Schädeldecke heil, kein Blut fließt, uns ist äußerlich nichts anzusehen, und trotzdem hat uns etwas schwer getroffen – eine seelische Erschütterung, ein Schock.

Der typische Schock tritt plötzlich ein. Ein schlimmes Ereignis genügt. Es kann uns so überfordern, dass Psyche und vielleicht auch Kreislauf rasant zusammenbrechen. Mit oder ohne Unterstützung raffen wir uns zwar nach einigen Minuten bis Stunden wieder auf, doch damit ist der Schrecken nicht wirklich ausgestanden. Derselbe Kopf, der eben noch ganz durcheinander war, sieht sich vor schwierige Aufgaben gestellt, soll Krisen managen und kommt doch kaum mit den eigenen Gedanken klar. Statt Zuversicht und Tatkraft, die wir jetzt dringend bräuchten, machen sich Angst und Verzweiflung breit.

Ein buchstäblich schockierendes Erlebnis hat über die akute Belastungsreaktion hinaus große Auswirkungen auf unsere Seele und kann Denken, Fühlen und Wahrnehmung nachhaltig verstören. Wir sprechen dann von einem Psychotrauma. Der Begriff Trauma (altgriechisch für Wunde) steht in der Medizin allgemein für eine Verletzung durch Gewalteinwirkung. Meist sind solche Schäden nur allzu offensichtlich; es lässt sich nicht leugnen, dass etwas kaputtgegangen ist. Eben war der Knochen noch heil, aber dann dieses Glatteis, man kommt ins Rutschen, knacks, und da liegt man mit dem gebrochenen Bein. Nun braucht man den Unfallchirurgen.

Bei einem mentalen Knacks ist es ähnlich, nur dass hier Psychotherapeuten zuständig sind. Erfahrungen mit Schockzuständen zeigen, dass unser seelischer Apparat genau wie das gebrochene Bein Schienung und Unterstützung benötigt, um zur alten Form zurückzufinden. Wir wollen keine bleibenden Schwachstellen!

Selbst wenn Ihr Schock-Ereignis länger zurückliegt: Mit den richtigen Methoden lassen sich Fehlentwicklungen noch nach Jahren korrigieren. Wir sind lebendige Wesen, in uns wohnt die wunderbare Kraft zur Heilung. Geht eine Tasse entzwei, wachsen die Scherben nicht wieder zusammen. Der Knochen dagegen bildet neue Zellen und regeneriert sich allmählich. Ebenso heilt die Psyche von innen heraus. Und wir können ihr dabei helfen.

Im medizinischen Sinn ist die Seele ein Körperteil wie alle anderen: Ein im Gehirn angesiedeltes biologisches System, das auf Eindrücke aus der Außenwelt und dem übrigen Organismus reagiert, das aber auch eine ganz eigene Dynamik hat – selbst wenn kaum Reize eintreffen, ist die Seele aktiv. Unsere Nervenzellen (Neuronen) sind über sogenannte Botenstoffe (Transmitter) in komplizierten Netzwerken miteinander verknüpft. Es findet ein Erregungsaustausch statt, der sich gegenseitig aufschaukeln oder blockieren kann und unserem Bewusstsein Gefühle, Gedanken, Wahrnehmungen vermittelt, die das Handeln bestimmen. Die Seele soll angemessen auf die sie erreichenden Reize reagieren, nicht zu stark, nicht zu schwach, dann funktioniert sie gut. »Funktionieren« ist ein trockenes Wort, an das wir uns im Zusammenhang mit unserem Seelenleben erst gewöhnen müssen. Tatsächlich werden wir unsere zahlreichen Aufgaben aber umso leichter bewältigen, je präziser unser Kopf arbeitet.

Nun gibt es belastende Ereignisse, die uns psychisch maximal negativ stimulieren. Die Auslöser können unterschiedlich sein, der Effekt aufs Gehirn bleibt derselbe: Ein extremer Ausstoß von Stress-Transmittern, unsere mentalen Kapazitäten sind überfordert, Verarbeitungsprozesse entgleisen. Das im Ausnahmezustand befindliche Gehirn regt zudem starke Hormonausschüttungen in anderen Körperregionen an. Kortisol und Adrenalin versetzen uns in spannungsreiche Flucht- und Kampfbereitschaft, womöglich bis zum Kollaps von Muskeln und Kreislauf. Vergleichbare Kettenreaktionen kennen wir beispielsweise von der Autobahn: Bei hohem Verkehrsaufkommen drohen Kollisionen, und jeder Unfall erhöht das Risiko für den nächsten. Auf ganz ähnliche Weise kann der Schock im Gehirn um sich greifen und sich sogar dort einnisten.

Der Begriff »Psychotrauma« ist demnach wie in der Chirurgie wörtlich zu nehmen: Durch das Schock-Ereignis ist ein Defekt entstanden und zwar in dem neurobiologischen System, das wir Psyche nennen. Ein Schock führt, anders als ein Schlaganfall, nicht zum makroskopischen Untergang von Gewebe und ist deshalb auf radiologischen Bildern nicht erkennbar. Aber er verwüstet die mikroskopischen Abläufe der Hirnchemie und bewirkt so teils erhebliche psychische Störungen.

Zuerst den Kopf reparieren

Wenn es uns nach einem Schock schlecht geht, sehnen wir uns nach Hilfe. Meist denken wir dabei nicht an unser verletztes Gehirn, sondern an die vielen äußeren Dinge, die durcheinandergeraten und jetzt zu regeln sind. Vom Kopf erwarten wir, dass er von selbst heilt. Manchmal geschieht das auch, aber oft genug ist die seelische Wunde zu tief. Und natürlich tut es dem Gehirn nicht gut, wenn kurz nach dem Trauma schon schwierige Aufgaben anstehen. Man versucht, sich zu zwingen, wird jedoch oft erleben, dass der Druck alles nur noch schlimmer macht.

Die Symptome von Trauma-Folgestörungen sind vielgestaltig und hängen unter anderem von der Art der Traumatisierung ab. Wer Schreckliches mitansehen musste, hat ungewollt Bilder gespeichert, die andern nicht einmal im Alptraum einfallen würden. Wer schlecht behandelt wurde in Beruf oder Liebe, denkt danach schlechter von sich und den Menschen überhaupt. Schock-Erfahrungen sind entsprechend vielfältig: familiäre Verluste durch Tod oder Trennung; lebensverändernde Krankheiten bei sich oder Angehörigen; Jobverlust; Geldverlust, Unfälle als Opfer, Zeuge oder Verursacher, Krieg, Folter, Katastrophen; Straftaten beginnend mit Einbruch und Stalking bis hin zu Sexualdelikten, Überfällen oder schwerem Betrug. Manchmal trifft es uns allein, manchmal die ganze Familie oder gar das komplette Land wie in einem Krieg oder bei einer Pandemie.

Schock-Erlebnisse wirken lähmend. Viele Betroffene hätten nie für möglich gehalten, dass das Leben solch schwarze Seiten besitzt, jedenfalls nicht für sich persönlich. Dann wird für viele der Schock zum existentiellen Einschnitt. Wer lange das Glück hatte, relativ unversehrt zu bleiben, nimmt das zunächst als selbstverständlich hin und glaubt im Stillen an die eigene Unverwundbarkeit. Man ist noch »naiv«, was so viel heißt wie »eben erst geboren«, also unerfahren. Dabei darf man die Naivität nicht mit Dummheit verwechseln; sie ist ein Abwehrmechanismus, der uns erlaubt, optimistisch durch die krumme Welt zu schreiten. Aber plötzlich hat es uns erwischt. Der magische Bann ist gebrochen, wir wurden getroffen und müssen obendrein erkennen, dass sich das, was einmal passiert ist, wiederholen könnte. Von diesem Moment an sind wir für die Pfeile des Schicksals nicht mehr unerreichbar. Diese Erkenntnis bringt uns ins Wanken.

Vielleicht tröstet Sie der Gedanke, dass sehr viele Menschen, so sie nur alt genug werden, eines Tages einen Schock erleiden. Oder sagen Sie jetzt, dass diese Behauptung Ihnen persönlich kein bisschen weiterhilft? Was geht Sie die Misere der anderen an; Ihnen, Ihnen tut es weh, und zwar unerträglich. Außerdem ist Ihre Geschichte schlimmer als die des Nachbarn, der bloß eine Frau mit Alzheimer hat.

Ihre Bitterkeit ist erst einmal nur zu begreiflich. Verwünschen Sie ruhig die ränkespinnenden Götter, denn auf diese Weise lässt man Dampf ab. Aber bleiben Sie bitte nicht im Hader stecken. Nach manchen Erfahrungen könnte man auf die wilde Idee kommen, dass die ganze Welt schlecht und man selbst verflucht ist. Halt, solche Gedanken wären auch kein Grund, sich zu schämen. Schocks sind ausgesprochen menschlich. Das Gehirn des Homo sapiens ist in seiner auf Erden einmaligen Intelligenz so kompliziert, dass man sich nicht zu wundern braucht, wenn es unter Extrembelastungen gründlich entgleist. Immerhin – und das sage ich Ihnen gern – lässt sich unser Oberstübchen nie vollständig demolieren. Es bleiben stets intakte Räume, und genau um diese Räume geht es mir hier, denn wir können sie nutzen, um das Gesamtsystem wieder flott zu machen.

Menschliche Größe beruht nicht darauf, dass uns alles geschenkt wird. Sie erwächst aus unseren gemeisterten Prüfungen. Wir müssen keine Bestnoten erreichen – wie sollten wir das, wenn wir keine Chance zur Vorbereitung hatten? Ein Schock ist ja zumeist hervorgerufen durch etwas plötzlich über uns Hereinbrechendes. Hinzu kommt: Wir können nicht zaubern. Und das sollten wir uns vor Augen halten: Es genügt, irgendwie durchzukommen. Mag sein, dass wir vieles verlieren – aber nicht unsere Nerven, die wollen wir retten. Und damit behalten wir unsere beste Ressource, die uns neue Möglichkeiten weisen wird, denn mit gesundem Geist ist der Mensch ja findig.

Schock ist Erkenntnis, vielleicht eine herbe, aber eine Erfahrung in einem Lebensbereich, den wir nur vom Hörensagen kannten, weil er zuvor für uns noch im Dunkeln lag. Auch deshalb trifft es uns meist unvorbereitet. Wie wir daran reifen und vielleicht sogar Vorbild und Ratgeber für andere Menschen in Not werden können, das will dieses Buch erklären.

Solche Tugenden werden zu teuer erkauft? Ja, aber deshalb sind sie umso wertvoller. Machen Sie sich nicht zum Vorwurf, dass es Sie erwischt hat. Leid kann man nicht dauerhaft vermeiden, nur überstehen. Verneigen Sie sich respektvoll vor dem eigenen Schmerz. In der abendländischen Kultur ist der leidende Mensch nicht verächtlich, sondern zum Gottessohn verklärt. Nur unwissende Knechte schmähen das Leiden, zumindest im Evangelium. Diese Auffassung leuchtete so vielen Menschen ein, dass sich der Christenglaube ausbreitete und zur Weltreligion entwickelte.

Wir wollen trotzdem alle so schnell wie möglich raus aus der Märtyrerrolle. Es stimmt zwar, dass wir manchem Schicksal ausgeliefert sind – doch nicht unbedingt unseren Schockschäden. Die gehen wir jetzt gemeinsam an.

Arbeitsblätter zum mentalen Training

Sie mochten Arbeitsblätter schon in der Schule nicht? Da sind Sie nicht allein. Aber wie sagt man beim Skat: Wer schreibt, der bleibt. Unsere Arbeitsblätter dienen nicht nur der Wiederholung, sondern lotsen das Denken mit gezielten Fragen und Anregungen heraus aus dem Schlammloch der Depression. Fangen Sie klein an und bauen Sie langsam ein eigenes Instrumentarium auf. Wählen Sie ein Lese- und Arbeitstempo, bei dem Sie nicht aus der Puste und trotzdem vorwärtskommen. Üben lohnt sich. Und auch das stete Wiederholen. Was wir hier machen, ist Krankengymnastik für das Gehirn, und die bringt Ihnen Schritt für Schritt die geistige Beweglichkeit zurück.

In den Arbeitsblättern können Sie sich mit Ihrer individuellen Situation beschäftigen. Schreiben fördert klares Denken stärker, als wenn wir nur so vor uns hin sinnieren. Deshalb spricht viel für die Schriftform, statt nach alter Schülersitte »die Hausaufgaben im Kopf« zu machen. Probieren Sie einfach aus, wie es Ihnen damit geht. Das gilt übrigens für alle Vorschläge in diesem Buch. Geben Sie nicht zu früh auf, wenn etwas nicht auf Anhieb gelingt, aber zwingen Sie sich auch nicht zu Übungen, die nun genau Ihnen aus einem persönlichen Grund nicht liegen. Versuchen Sie dann einfach eine der vielen anderen Möglichkeiten.

Arbeitsblatt 1Sie sind immer noch Sie selbst – ein kurzer Steckbrief

Datum: ____________________________________________

Der Schock hat es an sich, dass wir alles in Frage stellen. Nichts scheint mehr wie zuvor. Wir werden uns selber fremd, zweifeln an uns, als hätten wir uns nie richtig gekannt. Haben wir uns und anderen nur etwas vorgemacht?

Diese Gedanken sind nach einem Schock normal, entspringen aber nicht der Realität, sondern unserer tiefen Verunsicherung. Deshalb notieren wir uns zum Anfang ein paar Grundwahrheiten über uns selbst, die jetzt, nach dem Schock, genauso zutreffen wie vorher:

Ich heiße: ______________________________________________

Mein Geburtstag und Geburtsort: _________________________

________________________________________________________________

Mein Bauchnabel wölbt sich nach innen oder nach außen.

Meine Lieblingstiere: ___________________________________

________________________________________________________________

Was ich gern an mir mag:_________________________________

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Meine Lieblingshelden aus Buch oder Film:________________

________________________________________________________________

________________________________________________________________

Meine bisher mutigste Tat: ______________________________

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Kapitel 2Was macht ein Schock mit dem Gehirn?

Ein Schock-Ereignis ist für die Psyche ein Reiz von extremer Intensität. Es handelt sich um ein akutes Geschehen, nicht um eine chronische Bürde, die uns zwar erschöpft, aber nicht von eben auf gleich mental kollabieren lässt. Ein Burnout bahnt sich allmählich an, der Schock dagegen kann sekundenschnell eintreten oder sich innerhalb weniger Stunden in uns ausbreiten.

Ein Psychotrauma – und nichts anderes ist so ein Schock – ist die normale Reaktion auf unnormale Umstände. Ab einer bestimmten Belastungsstärke erleidet jede Seele Einbrüche. Man hat nichts falsch gemacht. Doch genau wie bei anderen Unfällen erleben wir, dass ein Organ, nämlich unser Kopf, schlagartig nicht mehr funktioniert. Somit ist jetzt nicht nur äußerlich etwas Schlimmes passiert, nein, wir haben außerdem innerlich Schaden genommen. Dies verstärkt den Schrecken. Es fühlt sich an wie ein Kontrollverlust auf allen Ebenen. Eine solch bestürzende Erfahrung kann sich geistig festsetzen und über die aktuelle Lage hinaus zu Störungen führen. Dem wollen wir mit Hilfe psychotraumatologischer Methoden vorbeugen und eine möglichst rasche und vollständige Genesung herbeiführen.

Welche Symptome bringt ein Psychotrauma mit sich? Wir sehen schließlich kein Blut fließen. Deshalb ist man zumindest als Außenstehender versucht, die Problematik zu unterschätzen. Einerseits weiß die Menschheit seit jeher um die verheerenden Auswirkungen von Schock-Erfahrungen und hat sich auch stets therapeutisch darum bemüht. Andererseits denkt man heute gern wie Sigmund Freud, der aufzeigte, dass ein psychisches Symptom nicht nur Defekt sein muss, sondern eine tiefere Bedeutung haben kann. Also argwöhnt die Umgebung nach einiger Zeit, ob die Betroffenen sich eigentlich mit ihren angeblichen Beschwerden irgendwie wohlfühlen, einen »Krankheitsgewinn« daraus ziehen oder warum es sonst nicht besser werden will. Doch Trauma-Folgestörungen haben weder Nutzen noch Hintersinn, sie zeigen einfach, dass das Gehirn noch nicht wieder richtig funktioniert. Betroffen sein können:

Wahrnehmung

Gefühle

Körper

Denken

Verhalten

Wobei diese Aufzählung nicht als Reihenfolge zu verstehen ist, vielmehr schlägt der Schock wie ein Blitz in alle Systeme gleichzeitig ein.

Wir verschaffen uns zum Einstieg einen ersten Überblick, welche Probleme in den genannten Funktionsbereichen auftreten können, aber wohlgemerkt nicht müssen. Die individuellen Ausprägungen sind sehr unterschiedlich.

Wahrnehmung

Hier geht es um die Eindrücke der fünf Sinne, mit denen wir unsere Außenwelt wahrnehmen: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten. Natürlich spüren wir auch uns selbst, den Herzschlag, die volle Blase oder dergleichen. Während eines Schocks kann unsere Wahrnehmung allerdings ganz aussetzen, wir haben dann eine Gedächtnislücke für das eigentliche Ereignis. Ein Blackout sorgt zumindest dafür, dass wir von weiteren schrecklichen Eindrücken verschont bleiben. Doch es beweist, dass unsere mentale Verarbeitung in diesem Moment total überfordert war. Auch in der Folgezeit kann vermehrt Geistesabwesenheit auftreten, man ist schreckhaft, fühlt sich der Umwelt oder dem eigenen Körper merkwürdig entfremdet. Starke Sinneseindrücke wie Gerüche, die uns früher angenehm waren, können plötzlich abstoßend wirken – oder wir bemerken sie zur Verwunderung unserer Mitmenschen gar nicht.

Unsere Wahrnehmung ist ohnehin nie objektiv wie eine Kamera, sondern hängt von unserem Wachheitsgrad, unserem Interesse und unserer Grundstimmung ab. Nach dem existenziellen Einschnitt, den ein Schock nun einmal bedeutet, schlafen wir schlecht und messen Dingen, die wir früher liebten, keine Bedeutung mehr bei. Dies beeinträchtigt die Wahrnehmung, sie wird weniger Außenreize verarbeiten als früher. Überdies ist sie von Haus aus selektiv: Man sieht, was man zu sehen erwartet. Wenn wir traurig sind, bemerken wir vor allem Dinge, die uns in unserer Trauer bestätigen und verstärken; nicht den sonnigen Himmel, sondern das staubige Pflaster.

Außerdem bleibt die Wahrnehmung für gewisse Eindrücke überempfänglich, die mit dem Schock-Ereignis in Verbindung standen. Wer um Ostern herum einen Herzinfarkt erleiden musste, dem könnte im nächsten Jahr flau werden, nur weil er wieder die Narzissen sieht. Wo eine traumaassoziierte, doch eigentlich belanglose Wahrnehmung eine reflexhafte Stressreaktion auslöst, nennen wir dies einen »Trigger« (Auslösereiz). Auch Tiere sind nach erlittenen Traumata triggerbar. Wenn ein Hund von einem Menschen in roter Jacke verprügelt wurde, nimmt er später vielleicht Reißaus, sobald sich nur irgendwo eine rote Jacke zeigt. Das tierische Gehirn wird sich unter günstigen Umständen allerdings schneller erholen, gerade weil es nicht so kompliziert gebaut ist. Für den Menschen gilt leider auch hier: Gelernt ist gelernt.

Gefühle

Die ersten Gefühle während eines Schocks liegen irgendwo zwischen Angst, Entsetzen, Ekel, und können so heftig sein, dass man gar nicht mehr weiß, was man überhaupt empfunden hat. Nach und nach kommt man dann zu sich, überdenkt das Erlebte, zieht Schlüsse und wird vielleicht noch unglücklicher. Typische Gefühle sind Trauer, Verzweiflung, Reue, Scham, Schuldgefühle oder Wut und Hass.

Gefühle beeinflussen alle anderen seelischen Funktionen. Wenn wir Angst haben, sehen wir nur noch, was die Angst zu bestätigen scheint, und ein mürrischer Blick kann da schon genügen. So erreichen wir manchmal eine emotionale Spannung, die den realen Umständen nicht mehr angemessen ist (der Volksmund sagt: Wir steigern uns rein).

In jedem Fall bedeuten intensive Gefühle, dass das Hirn »auf starker Flamme kocht«. Dies laugt auf Dauer den Transmitter-Haushalt aus. Emotionale Hochspannung ist ein doppelter Energiefresser: erstens aufwendig in der Produktion, zweitens belastend für den Rest des Organismus.

Körper

Wenn im Kopf viel vorgeht, wirkt sich das auf den ganzen Menschen aus. Seelische Spannungen können die Funktion anderer Organe empfindlich stören, und dann redet man in der Fachsprache von »Psychosomatik«. Mit dem altgriechischen Begriff »Soma« ist der Körper gemeint im Gegensatz zum vermeintlich unkörperlichen Geist. Da die uns hier interessierenden seelischen Prozesse genauso zellbiologischer Natur sind wie die Vorgänge in anderen Organen, ist diese gegensätzliche Betrachtung im Grunde überholt. Gemeint sind einfach die Auswirkungen einer unruhigen Schaltzentrale auf das Gesamtsystem.

Psychosomatische Wechselwirkungen kennen wir von klein auf: Das Kind freut sich auf Weihnachten und wird zappelig. Der Student steht vor einer Prüfung und muss vorher ein paarmal aufs stille Örtchen. Dem Kopf ist nicht egal, wenn der Fuß wehtut, und dem Fuß nicht, wenn der Kopf sich erschreckt, dann rollt er die Zehen ein. Insofern ist es wenig erstaunlich, dass ein Schock-Ereignis den Körper schwer angreift.

Meist werden vorbestehende Schwachstellen getroffen: der Rücken, der Darm oder auch die Migräneneigung. Sexualleben, Appetit und Schlafdauer können nachlassen oder sich umgekehrt steigern. Die Körperhaltung kann zum bleibenden Ausdruck des erlittenen Schreckens werden: Man geht nicht mehr gerade und frei, lässt die Schultern hängen, »klappt zusammen«. Andere psychomotorische Störungen sind das Zittern traumatisierter Soldaten oder ein bleibendes Stammeln und Stottern.

Denken

Ein vom Schock getroffenes Gehirn kann Denkstörungen entwickeln. Häufig sind Gedächtnis, Konzentration und Problemlösefähigkeit beeinträchtigt. Auch Denkinhalte verändern sich: Das traumatische Ereignis hat uns so beeindruckt, dass wir laufend darüber nachgrübeln.

Beeinflusst von den geschockten Gefühlen kommt man jedoch nicht immer zu einer ausgewogenen Einschätzung. Vielmehr denkt der traurige Mensch, dass die Welt ein einziges Jammertal sei, und vergisst die Freuden, die er erleben durfte. Der Zornige ruft sich alle Gemeinheiten in Erinnerung, die an ihm und andern verübt wurden, und lässt empfangene Freundlichkeiten außer Acht. Dies verstärkt wiederum das dunkle Grundgefühl – ein Teufelskreis.

Bei Trauma-Folgestörungen kommen anders als bei anderen ängstlichen oder depressiven Verstimmungen außerdem Intrusionen vor. Damit sind Trauma-Erinnerungen gemeint, die sich heftig und ungewollt einstellen. Handelt es sich um Bilder des Geschehens, nennt man sie Flashbacks (Rückblenden). Aber auch Gerüche, Klänge, das Gefühl des Schreckens, körperliche Zustände wie Starre oder Übererregung treten überfallsweise auf. Intrusionen sind oft leicht triggerbar, ein kleiner Reiz ruft große Reaktionen wach. Oder sie schießen ganz spontan ins Bewusstsein.

Diese Symptomatik zeigt, dass unsere Psyche das monströse Trauma-Ereignis in ihren Speichern noch nicht ausbruchsicher verstaut hat. Natürlich lässt sich ein so bedeutsames Geschehen nicht ausradieren. Doch um möglichst unbelastet in die Zukunft sehen zu können, soll die Erinnerung zugänglich, also willentlich verfügbar, aber nicht dauernd präsent sein. Manche Betroffenen sind wie auf der Flucht, doch was wir unbedingt vergessen wollen, ist erst recht da. Unser panisches Bemühen, gewisse Gedanken zu meiden, führt zum Gegenteil. Wer einem Kind eine gefährliche Steckdose mit eindrücklichem »Nein, nein« und intensiver Warngeste zeigt, muss sich nicht wundern, dass davon dann ein unwiderstehlicher Reiz ausgeht: Das Kind ist fortan fasziniert von jeder Steckdose. Auch mit unserem Schock-Erlebnis ist das so, und dies permanente »Kreisen im Kopf« geht mit zermürbender Anstrengung einher und schränkt den geistigen Spielraum ein, so dass weniger Kapazität für die Erledigung des Alltags bleibt.

Verhalten

Nach einer Erfahrung, die Störungen im gesamten Organismus verursacht hat, ändert sich auch das Verhalten. Viele Menschen schotten sich ab, lassen Dinge schleifen. Andere zeigen sich aggressiv und werden auf diese Weise einsam. Suchtverhalten kann ausufern, man bekämpft die belastenden seelischen Zustände mit Alkohol, Essen, Drogen, Spiel oder Sex. Es gibt freilich auch Betroffene, die sich neue Werte und Herausforderungen schaffen, Träume verwirklichen. Denn ein Schock lehrt uns, dass Geld nicht alles ist und wir nicht ewig leben. Ein Sonderfall sind jene Leute, die sich nach dem Trauma auf Wundersuche begeben in der Hoffnung auf magische Heilung, Entscheidungshilfe durch Wahrsagerei oder Kontaktaufnahme zu den Toten. Sie werden in die Gesellschaft von Menschen geraten, die ihnen viel Geld abnehmen oder selbst mit dem Diesseits nicht gut zurechtkommen.

Sondieren wir mit dem nächsten Arbeitsblatt und dem Folgekapitel zunächst einmal, in welchen Funktionsbereichen sich bei Ihnen eventuelle Störungen oder gar Krankheitssymptome zeigen. Danach gehen wir die Probleme Stück für Stück an – beginnend mit unserer Wahrnehmung, denn mit verschleiertem Blick ist ja schon das Lesen dieses Buchs erschwert. Anschließend lernen wir, unsere Gefühle zu managen, weil zu starke Gefühle eine schwere Last sind. Dann folgt der Körper, dem es ebenfalls einigermaßen wohl ergehen muss, wenn wir überhaupt eine Chance auf klare Gedanken haben wollen, die unser nächstes Anliegen sind. Und sobald wir unsern Scharfsinn wiedererlangt haben, werden wir auch zu angemessenem Verhalten zurückfinden, das Erforderliche tun und vielleicht sogar an Weisheit gewonnen haben.

Arbeitsblatt 2Woran hakt es bei mir?

Name und Datum: ___________________________________

Hier finden Sie jeweils drei Aussagen, die typischerweise auf eine Störung im jeweiligen Funktionsbereich hinweisen. Trifft auch nur eine dieser Aussagen auf Sie zu, sind die entsprechenden Kapitel dieses Buchs für Sie besonders interessant. Kreuzen Sie gegebenenfalls an:

Wahrnehmung:

Ich bin oft zerstreut und komme mit der Arbeit schlecht voran. Ich wurde schon mehrfach gescholten, weil ich Absprachen vergessen habe.

Ich fühle mich in meiner gewohnten Umgebung oder sogar in meinem Körper jetzt manchmal fremd und unvertraut.

Siehe besonders Kapitel 4, 5 und 6.

Gefühle:

Ich bin häufig niedergeschlagen oder gereizt.

Ich habe mehr Ängste als früher.

Meine Stimmung kommt leicht ins Kippen, und ich kann oft kaum die Tränen zurückhalten.

Siehe besonders Kapitel 7, 8, 9 und 10.

Körper:

Ich habe mehrfach pro Woche Ein- und Durchschlafstörungen.

Mein altes Leiden (zum Beispiel Magen, Rücken, Haut, Unterleib, Bewegungsapparat) bereitet mir wieder starke Beschwerden. Ich esse zu viel.

Siehe besonders Kapitel 11, 12, 13, 14 und 15

Denken:

Ich kann mich nicht mehr konzentrieren.

Ich werde oft von Erinnerungen an das Schock-Ereignis heimgesucht, sogar im Traum.

Ich grübele jetzt öfter über düstere Themen nach, zum Beispiel wie schlecht die Welt ist oder was ich falsch gemacht habe.

Siehe besonders Kapitel 16, 17, 18 und 23

Verhalten:

Ich habe mich zurückgezogen und reagiere auch auf Kontaktversuche meiner Umgebung eher abweisend.

Ich schiebe wichtige Dinge vor mir her, statt sie zu erledigen.

Ich fange alles Mögliche an, verzettele mich dann aber und bringe nichts richtig zu Ende.

Siehe besonders Kapitel 19, 20, 21, 22 und 23

Kapitel 3Bin ich krank?

Es ist nicht immer einfach, krankhafte seelische Störungen von natürlichen Stimmungsschwankungen abzugrenzen. Grundsätzlich kann man sagen: Psychische Unordnung, die uns über längere Zeit die Alltagsbewältigung stark erschwert, ist krankheitswertig. Aber wie wir von Erkältungen wissen, bringen Zeit und Hausmittel uns über viele Hürden, und so neigt man auch bei psychischen Problemen anfangs zum Abwarten. Für Schockfolgen von nicht zu erheblichem Schweregrad, die nach spätestens sechs Monaten abklingen, verwendet man in der Fachsprache die Diagnose »Anpassungsstörung«. Damit ist gemeint, dass die Betroffenen sich psychisch nicht reibungslos an eine veränderte (in der Regel natürlich verschlechterte) Situation anpassen konnten. Es gibt viele Menschen, die nach einem Schock nicht zum Arzt gehen, somit keine Diagnose erhalten, aber doch unter einer Anpassungsstörung leiden mit Symptomen wie im letzten Kapitel beschrieben. Und nicht immer heilt wirklich alles spontan ab. Vielmehr können sich Niederstimmung, Rückenschmerzen oder Rückzugstendenz ausweiten. Das will man nicht. Dies Buch hilft Ihnen, die Heilungsprozesse Ihres Gehirns in allen Bereichen kompetent zu unterstützen.

Manchmal ist das Psychotrauma so gravierend, dass die Patienten schwere Symptome entwickeln, die sich mit der Zeit nicht etwa bessern, sondern verschlimmern. Dann ist ärztliche Behandlung nötig, sonst kann die Störung chronifzieren, also auf Dauer bleiben, selbst wenn der zugrunde liegende Schock längst Geschichte ist. Hier ist unser Buch zwar auch ein nützlicher Begleiter, wird aber die Behandlung durch Fachleute aus Psychotherapie und Psychiatrie nicht ersetzen können.