Den schlafenden Riesen wecken - Francesco De Meo - E-Book

Den schlafenden Riesen wecken E-Book

Francesco De Meo

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Beschreibung

Radikalkur für unser Gesundheitswesen Die Corona-Pandemie hat eindrücklich vor Augen geführt, wie wichtig das Thema Gesundheit ist. Sie hat auch gezeigt, wie schnell unser Gesundheitswesen an seine Grenzen stößt. Überlastung, knappe finanzielle Mittel, zu viel Bürokratie – schon seit Langem offenbaren sich die besorgniserregenden Zustände im deutschen Gesundheitssystem. Um das marode Gesundheitswesen zu verbessern, müssen die selbst auferlegten Grenzen und starren Strukturen aufgebrochen werden. Heilung für ein krankes System Francesco De Meo hat als langjähriger Chef Europas größter Klinikgruppe einen klaren Blick auf die besorgniserregenden Zustände im deutschen Gesundheitssystem, das selbst zum Patienten geworden ist. Sein Buch "Den schlafenden Riesen wecken" ist ein Weckruf weg vom bewahrenden Stillstand, hin zur aktiven Transformation. Es erzählt in 10 Episoden, woran eine Umsetzung krankt, warum Karl Lauterbachs Reform eine Mogelpackung ist und was stattdessen geschehen muss – ungeschminkt und lebendig illustriert mit Beispielen und Geschichten aus dem echten (Er)Leben eines der erfolgreichsten deutschen Gesundheitsmanager. Dabei beleuchtet er unter anderem die Frage, wie man in Krankenhäusern, Kliniken und der Pflege die Balance zwischen Profit und Qualität findet. Er betont, dass Veränderungen mit Nachhaltigkeit nicht am "Reißbrett" der Politik, sondern nur "von unten her" gelingen können. Daraus entwickelt er konkrete Vorschläge für eine Transformation zu einem Gesundheitswesen, das für alle zugänglich und bezahlbar ist, eine hochwertige Versorgung leistet, zeitgemäße Technologien nutzt und das knapper werdende Geld sinnvoll investiert. Eine Utopie, mögen Kritiker und Vertreter der Beharrungskräfte im Gesundheitswesen sagen. Eine Utopie, die schnell Realität werden und den Menschen in Zukunft zugutekommen könnte, sagt Francesco De Meo.

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Seitenzahl: 250

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Francesco De Meo

Den schlafenden Riesen wecken

Francesco De Meo

Den schlafenden Riesen wecken

Wie ein gesundes Gesundheitssystem entsteht, wenn wir es wirklich wollen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Fazit Communication GmbH

Frankfurter Allgemeine Buch

Pariser Straße 1

60486 Frankfurt am Main

Umschlag: Nina Hegemann

Titelfoto: © Adobe Stock/Trsakaoe

Satz: Jan Walter Hofmann

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

1. Auflage

Frankfurt am Main 2024

ISBN 978-3-96251-202-6

ISBN 978-3-96251-259-0

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Frankfurter Allgemeine Buch hat sich zu einer nachhaltigen Buchproduktion verpflichtet und erwirbt gemeinsam mit den Lieferanten Emissionsminderungszertifikate zur Kompensation des CO2-Ausstoßes.

In dieser Publikation wurde aufgrund der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet, womit immer weibliche, männliche und diverse Personen gemeint sind.

Inhalt

Einführung: Was möglich wäre im Gesundheitswesen

Episode #1 Weiße Elefanten sterben nicht

Episode #2 Wo Geld fließt, da ist auch ein Wille

Episode #3 Realitäten abschaffen für eine neue Realität

Episode #4 Realitäten über Profitabilität, Synergien und Effizienzen

Episode #5 Wir müssen von jedem fordern, was er leisten kann

Episode #6 Werkzeuge und Spielzeuge im Gesundheitswesen

Episode #7 Ein digitales Rad für unsere Gesundheit

Episode #8 Gesundheit in einer global vernetzten Infrastruktur

Episode #9 Die Wahrheit ist zu schlau, um gefangen zu werden

Episode #10 Das Wettkampfspiel Transformation

Was wir von zehn Episoden aus 20 Jahren im Gesundheitswesen lernen

BE FASTER Deutschland!

Danksagung

Der Autor

Einführung: Was möglich wäre im Gesundheitswesen

Gesundheit geht uns alle an. Gesundheitsversorgung ist ein soziales Gut. Aber unser Gesundheitssystem bewegt sich in selbst auferlegten Grenzen. Seit Jahrzehnten wird darüber in Deutschland debattiert. Unzählige Kongresse finden dazu jedes Jahr statt. Die Zahl der politischen Programme, wie das zu ändern ist, wächst ins Unendliche.

Nur: In der Realität ändert sich nichts. Auch wenn Politiker wie der derzeitige Gesundheitsminister Karl Lauterbach sich mutig vornehmen, viel zu erneuern. Tatsache ist, dass Karl Lauterbach viele Themen angefasst hat. Er hat mehr Gesetze lanciert als jeder Gesundheitsminister vor ihm. Und er hat in Sachen Digitalisierung eine strenge Datenagenda auf den Weg gebracht. Doch in der Art, wie er diese Veränderungen angefasst hat, „Ich gegen alle“, scheint es mir, dass er sich in den Auseinandersetzungen um einen Bereich, das Krankenhauswesen, zu sehr verzettelt hat. Ich bin mir sicher, dass es ihm in seiner noch verbleibenden Amtszeit nicht mehr gelingen kann, die Rahmenbedingungen „top down“ so umzugestalten, dass die für die Gesundheitsversorgung vor Ort Verantwortlichen die in der Versorgungspraxis notwendigen Veränderungen vorantreiben könnten.

Es gilt die inhärenten Grenzen und systemischen Dysfunktionen im deutschen Gesundheitswesen konsequent aufzubrechen, wenn die Gesundheitsversorgung besser werden soll. Dieses Buch ist ein Weckruf an alle, die in unserem Gesundheitssystem Verantwortung tragen. Es ist ein Plädoyer für eine aktive Transformation weg vom bewahrenden Stillstand. Nicht zuletzt ist es auch ein Mutmacher für uns alle, denen an einer guten, bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung gelegen ist. Denn, das möchte ich mit diesem Buch aufzeigen: Eine Veränderung zum Besseren ist möglich.

Ein gutes Gesundheitssystem schafft flächendeckend Zugang zu bezahlbarer Gesundheitsversorgung und sichert gleichzeitig eine hohe Qualität der Leistungen. Es fördert die medizinische Evidenz, pflegerische Exzellenz und ein personalisiert bedarfsgerechtes Handeln, schont Ressourcen bei Einsatz zeitgemäßer Technologien und investiert gutes Geld in die Zukunft.

Über 20 Jahre konnte ich im Gesundheitswesen in Europa mitwirken. Begonnen hat alles im Jahr 2000. Ich durfte die größte private Klinikgruppe in Europa aufbauen und mitgestalten. Ich durfte ein Gesundheitsunternehmen entwickeln, das 130.000+ Menschen beschäftigt, eine Milliarde+ Euro jährlich an Gewinn macht und in Europa pro Jahr 20+ Millionen Menschen behandelt. Entstanden ist dieser Konzern aus einer Handvoll kleiner Kliniken, entwickelt und weiter ausgebaut mit Privatisierungen in Deutschland. Es folgte die Konsolidierung des deutschen Marktes, der Gang nach Europa, schließlich global und digital. Wir waren das Paradebeispiel eines Start-ups im Gesundheitswesen, bevor es den Begriff überhaupt gab. Schon im Jahr 2004 konnten wir über eine Milliarde Euro Umsatz erwirtschaften und waren profitabel. Schließlich haben wir ab 2006 das Vertrauen der Finanzmärkte gewinnen können und durften international wachsen. Ohne Zweifel eine dynamische Entwicklung und ein unternehmerischer Erfolg. Aber im Gesundheitssystem selbst und in den Gesundheitsmärkten hat sich seit 2000 wenig, zu wenig, geändert. Dabei steckt darin angesichts dessen Größe und Komplexität im wahrsten Sinne des Wortes riesiges Potenzial.

Der Riese schläft.

Dämmert im Dornröschenschlaf vor sich hin.

Ich sage: Es ist höchste Zeit, ihn zu wecken!

Die Strukturen und Mechanismen im Gesundheitswesen ändern sich nur langsam. Kein Grund allerdings, innezuhalten. Eine Wendung zum Besseren ist allein schon aus demografischen Gründen überfällig. Und sie braucht echte Transformation.

Die Veränderung „von unten her“ leiten

Menschen lassen sich bewegen, wenn ihnen klar wird, dass ein Wandel in ihrem ureigenen Interesse liegt. Als Chef der Nummer 1 der Klinikkonzerne in Europa war es von Anfang an mein Ziel, Prozesse zu verändern und zu standardisieren, um die Qualität zu steigern und gleichzeitig sinnlose Kosten zu vermeiden. Wir haben marode Kliniken übernommen, alte Gebäude abgerissen, Strukturen umgekrempelt, Arbeitsabläufe geändert – nicht immer zur Freude von Chefärzten, Beschäftigten, Gewerkschaften, aber für einen guten und sinnvollen Zweck, der an der Basis umgesetzt wurde: Wir haben damit unsere Kliniken zu Qualitätsführern gemacht. Die Leistungsverbesserungen in unseren Kliniken waren das Ergebnis einer jeweils vor Ort konkret adaptierten agilen Strategie nach dem Leitspruch: „Es gibt immer etwas zu tun! Und Veränderungen müssen an der Basis beginnen.“

Ich war, bin und bleibe fest davon überzeugt: Eine strikt am Patientennutzen orientierte Organisation von Krankenhäusern erreicht eine höhere Patientenakzeptanz und Mitarbeiterzufriedenheit und damit auch bessere medizinische und wirtschaftliche Ergebnisse! Junge Krankenhausmanager aus der „Helios-Schule“ haben diese Philosophie und ihre Erfahrungen als Manager oder Berater öffentlicher und gemeinnütziger Kliniken weitergetragen. Wir haben an zahlreichen Stellen im Gesundheitssystem dafür gesorgt, Prozesse an Qualität orientiert effizient zu managen. Wir haben Kollegen beigebracht, die Ärzte, die Pflegekräfte, das gesamte Klinikpersonal auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören und auszurichten.

Was zu tun ist!

Doch an diesem Ziel sind wir in Deutschland insgesamt noch lange nicht. Aufgrund knapper Finanzmittel steht unser Gesundheitswesen heute mehr denn je vor wachsenden Herausforderungen. Es gibt auf der anderen Seite erhebliche Potenziale in digitalen Technologien und in der medizinischen, therapeutischen und pharmazeutischen Forschung. Wenn wir diese Potenziale nutzen wollen, benötigen wir eine agilere Strategie für das gesamte Gesundheitswesen. Es braucht klare Verantwortlichkeiten der relevanten Akteure, flexible Rahmenbedingungen, ein Grundvertrauen der Politik und die entsprechend adaptierten gesetzlichen Bedingungen, damit wir beides erreichen können: gute Versorgungsqualität und ökonomische Exzellenz. Die Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, die damit mögliche Profitabilität, ist kein Teufelszeug, sondern für mich vielmehr ethisch notwendige Voraussetzung, um die Misere zu beenden und das Gesundheitssystem in eine nachhaltig gute Zukunft zu entwickeln. Ständig wird darüber geredet, was zu tun wäre. Momentan wird aber viel zu wenig getan, um unser Gesundheitssystem so zu verbessern, dass verantwortlich handelnde Akteure das leisten können, wozu sie eigentlich in der Lage sein sollten: eine bessere Versorgung der Menschen sicherzustellen. Obwohl die demografische Zeitbombe tickt. Und trotz aller Diskussionen über Reformen, die sich leider viel zu häufig als Mogelpackung entpuppten.

Aus allen diesen Erfahrungen und Überlegungen ist eine adaptierte Strategie entstanden, die mich zu diesem Buch motiviert hat. Aus der Überzeugung, dass ein „Weiter so“ nicht mehr genügen wird. Aus der Wahrnehmung, dass die Zeit reif ist, sowohl gesellschaftlich, sozial als auch ökonomisch. Aus der Erfahrung und Prägung, wie sehr die überlieferten Denkstrukturen bis heute dazu beitragen, dass sich keiner über den eigenen Tellerrand hinauswagt. Aus der Erkenntnis, dass im System praktisch alles bestimmt wird von Finanzierungsformen für die Gesundheitsdienstleistungen.

Meine Leitgedanken für ein künftiges Gesundheitswesen

Die präventive, diagnostische und therapeutische Reise der Menschen in einem Gesundheitssystem erfolgt für alle im nahen Lebensumfeld zugänglich, datentechnisch barrierefrei, medizinisch-pflegerisch evidenzbasiert und stets bedarfsgenau mit einer personalisierten Gesundheitsversorgung. Diese Reise der Menschen ist dabei realitätsnah und zudem ressourcenschonend organisiert, vor allem mithilfe von Digital Health inklusive datenfundierter Algorithmen und von Expertensystemen adaptierter Avatar-KI.

Was wäre möglich, wenn wir alle gemeinsam ausschließlich an diesem einem Ziel orientiert handelten? Als das primäre Ziel schlicht den einfachen Zugang, bedarfsgerechtes Handeln und die ressourcenschonende Organisation des Gesundheitswesens unbeirrbar im Auge behielten? In der Umsetzung die Möglichkeiten der modernen Medizin einsetzten, die digitale Innovation wagten, Potenziale von Algorithmen und KI nutzten? Schließlich das knapper werdende Geld deutlich klüger investierten?

Genau davon handelt dieses Buch. Es zeigt auf, warum und wie konkret eine bessere Gesundheitsversorgung möglich wäre. Was schon gut ist. Wo die Risiken liegen. Wer heute die Regeln setzt und das Tempo bestimmt. Wo der schmale Grat zwischen Profitmaximierung und Qualitätsorientierung verläuft. Das werde ich in zehn Episoden beispielhaft illustrieren. Geschichten, Anekdoten, Zusammenhänge, die ich aus meiner langjährigen Praxis erzählen kann und die konkret aufzeigen, woran unser Gesundheitswesen derzeit krankt – und wie es besser gemacht werden kann. Ich möchte Chancen aufzeigen, wie der schlafende Riese endlich geweckt und in Bewegung versetzt werden kann.

Dabei konzentriere ich mich auf Deutschland. Erstens, weil ich selbst die meisten Erfahrungen im deutschen Markt gemacht habe. Zweitens, weil das deutsche Gesundheitswesen heutzutage besonders viel Potenzial zur Verbesserung bietet. Punktuell habe ich meine Beispiele um Vergleiche mit anderen Gesundheitsmärkten erweitert, auch diese gespeist aus selbst Erlebtem. Ich beschreibe entlang der Episoden mit beispielhaften Analysen schließlich, wie sich die verschiedenen Bereiche damit perspektivisch besser gestalten ließen.

Deutschland braucht für sein Gesundheitswesen ein radikales Umdenken. Weg von Intervention, hin zur Prävention. Weg von selektiv, hin zu kooperativ. Weg von sektoralen Silos, hin zu barrierefreien Behandlungspfaden. Weg von Papierbergen, hin zu digitalen Prozessen. Weg von Datenbunkern, hin zu einer interaktiven Datenplattform. Weg von einer Verschwendung der Ressourcen, hin zu einer intelligenten Organisation der künftig weiter abnehmenden Ressourcen. Weg vom Reden, hin zum Handeln. Weg aus den Echokammern, hin zur Ehrlichkeit.

Manche mögen dieses Buch nicht als Weckruf verstehen, sondern als anekdotische Utopie – einige Gesundheitsfunktionäre allemal. „Weit gefehlt!“, halte ich den Kollegen überzeugt entgegen. Die Reise im Gesundheitswesen hat nämlich längst begonnen. Transformation ist heute nicht mehr die Frage des Ob, sondern des Wann und Wie. Beides hängt fest zusammen. Je früher wir also aktiv werden, desto eher gelingt es uns, diese Transformation kontrolliert selbst zu gestalten. Und die Utopie eines gesunden Gesundheitswesens könnte künftig tatsächlich zur Realität werden.

Wenn wir es denn wirklich wollen.

Episode #1Weiße Elefanten sterben nicht

Weiße Elefanten sterben nicht! So die Antwort unseres Finanzchefs auf die Frage der Kollegen, warum wir uns am Verfahren zum Verkauf des Klinikums Buch in Berlin beteiligen sollten. Wir schreiben das Jahr 2001, wir sitzen im „Kurfürst“, der neuen Konzernzentrale von Helios in Fulda, beim morgendlichen Briefing unseres Führungsteams. Vor uns auf dem Tisch liegt ein dickes grünes Buch, dessen Einband in British Racing Green gehalten ist – traditionell die Farbe der Marke Helios. Ein gutes Omen, denke ich. Sowohl der Finanzchef als auch ich sind dafür, uns an der Transaktion zu beteiligen. Wir sind beide noch relativ neu im Gesundheitsgeschäft, ich selbst erst seit wenigen Monaten bei Helios. Die Kollegen sind etwas skeptisch. Sie scheuen die Komplexität von Maximalversorgern, sind aber natürlich begeistert von „weißen Elefanten“.

Charme und Risiken von Größe

So kam es zu einer Transaktion, die Helios zu einem ernsthaften Wettbewerber im deutschen Markt machte als privater Träger von Krankenhäusern der Akutversorgung. Wir waren bis dahin die Nummer 4 oder 5, stiegen mit dem Erwerb des Klinikums Buch auf. Wir gewannen die Ausschreibung gegen die damals unbestrittene Nummer 1, die börsennotierte Rhön-Klinikum AG. Wir kauften und bauten uns den „weißen Elefanten“, den ersten Maximalversorger, der in Deutschland privatisiert wurde. Das tat die Politik aus der Not, weil die Klinik abgewirtschaftet, überdimensioniert, von einem Investitionsstau geplagt war.

In DDR-Zeiten galt sie als das größte Krankenhaus Eurasiens mit fast 4000 Betten, verteilt auf insgesamt fünf örtlich getrennte Bereiche mit fünf Küchen und 150 Fahrzeugen, die nur für die interne Logistik benötigt wurden. Und um die insgesamt 167 Gebäude anzufahren, die das Klinikum umfasste. In der Nachwendezeit folgten Jahre ohne Instandhaltung, kaum Investitionen, fehlendes Geld für Innovationen. Die Zahl der Beschäftigten lag fast noch auf dem Niveau für 4000 Betten, obgleich wir der Ausschreibung zufolge künftig nur noch knapp 1000 Betten behalten sollten. Hinzu gepackt wurden die Robert-Rössle-Klinik und die Franz-Volhard-Klinik, zwei Spezialkliniken für Onkologie und Kardiologie, seit der Wiedervereinigung Teil der Charité. Beide Spezialkliniken lagen räumlich nah, noch am Rande Berlins.

Das Schwarze-Peter-Spiel der Finanzierung

Es fand ein öffentliches Verfahren statt, bei dem Rhön und Helios als Bewerber übrig blieben. Rhön versuchte, mit einem Finanzierungskonzept zu punkten, das jedoch von den Krankenkassen abgelehnt wurde, da es diese stark belastet hätte. Dadurch änderte sich die Situation. Letztendlich erhielten wir den Zuschlag. Der damalige Streitpunkt spiegelt die Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen wider. Es gibt verschiedene Geldquellen, aus denen die Investitionen und der Betrieb von Gesundheitsanbietern finanziert werden. Eigentlich ist es Aufgabe der Länder, die baulichen und medizintechnischen Investitionen in Krankenhäusern zu finanzieren. Der Betrieb eines Krankenhauses wird hingegen von den Krankenkassen finanziert, also aus den Solidarbeiträgen der Versichertengemeinschaft. Seit dem Jahr 2004 vereinbaren Krankenkassen die Krankenhausbudgets mit jeder einzelnen Klinik auf der Grundlage von Fallpauschalen nach einem Katalog von Diagnosen (DRG/Diagnosis Related Groups). Im Jahr 2001 befand sich das DRG-System noch in einer Übergangsphase bis zu dem für alle obligatorischen Start ab 2004. Wer wollte, konnte schon 2003 für den Umstieg optieren. Zu Beginn gab es noch manch offene Detailfrage, etwa bei der Finanzierung von Investitionen. Es gab Gesetzesregelungen, die explizit auf den Verzicht von Fördermitteln eingingen. Wenn ein solcher Verzicht mit dem Land vereinbart wurde, konnte derjenige, der auf diese Fördermittel verzichtete, einen Zuschlag zum DRG-Budget (Betrieb) von den Krankenkassen verlangen, der über längere Laufzeiten umgerechnet wurde.

Das Land Berlin wollte Berlin-Buch aus politischen Gründen nicht schließen, war aber auch nicht bereit, geschätzte 200 Millionen Euro für die erforderlichen Investitionen auszugeben. Es gab eine lange Liste von Investitionsbedarfen anderer Krankenhäuser in Berlin, wobei die Charité Priorität hatte. Die Verhandlungslogik legte nahe, auf die Förderung durch das Land zu verzichten – da nicht mit Geld vom Land zu rechnen war – und diesen Betrag dann als Zuschlag zum DRG-Budget von den Krankenkassen einzufordern. Rhön hatte mit diesem Modell schon Erfolg gehabt. Die Krankenkassen unter Federführung der AOK waren zwar bereit, eine solide Laufzeit der Vereinbarung zu den DRG-Budgets für Berlin-Buch zu akzeptieren, jedoch nicht die schrittweise Finanzierung der Investitionsmittel durch die Kassenbudgets, die in einem Vertrag zum Verzicht auf Fördermittel zu vereinbaren gewesen wäre. Diese Investitionen sollten wirtschaftlich vom Erwerber getragen werden. Unsere Kombination aus Investitionsverpflichtung und Verlässlichkeit in der DRG-Budgetvereinbarung erhielt letztendlich den Zuschlag, da sowohl die Interessen des Landes als auch der Krankenkassen berücksichtigt wurden.

Damals, zu Beginn meiner Zeit in der deutschen Gesundheitsbranche, lernte ich anhand der Transaktion Berlin-Buch ein systemisches Dilemma im deutschen Gesundheitswesen kennen: Die Akteure blockieren sich gegenseitig und das tun sie seit Jahrzehnten. Alle wissen im Grundsatz, was zu tun wäre. Aber keiner macht den ersten Schritt. Alle suchen nach Lösungen, die am Bestehenden möglichst wenig ändern und dennoch verkaufbar sind – wie damals die ersten Privatisierungen.

Wer sich bewegt, der verliert

Es wird oft darüber diskutiert, wie man das bestehende Gesundheitssystem erhalten oder sogar ausbauen kann. Politik und Medien verkaufen dies als „Rettung“ des Gesundheitswesens oder als „Rettung“ eines bestimmten Krankenhauses bei Privatisierungen, rechtfertigen damit auch, weitere Unsummen ins bestehende System zu pumpen. Neuerdings spricht die Politik von einer „Entökonomisierung“. Insgeheim soll mit der aktuellen Gesundheitsreform jedoch die längst überfällige Reduzierung der Krankenhäuser eingeleitet werden, was zu einer Welle von Krankenhausinsolvenzen führen wird. So weit, so schlecht: Die Versorgungsqualität in Deutschland ist nach Ansicht fast aller Beteiligten trotz zusätzlicher Milliardenbeträge gesunken.

Das Prinzip „mehr Geld für weniger Qualität“ gilt für das Gesundheitswesen im „Normalbetrieb“ genauso wie in Ausnahmesituationen. Ein Beispiel: Zu Beginn der Coronapandemie konnte der Bundesgesundheitsminister über fünf Milliarden Euro aus den Rücklagen der Krankenversicherten verfügen, um die Krankenhäuser zu unterstützen. Die Krankenhäuser wurden aufgefordert, neben Notfällen nur noch Coronapatienten zu behandeln. Eigentlich hätten die Bundesländer für die Finanzierung im Rahmen des Infektionsschutzes zuständig sein müssen. Stattdessen nahmen die Bundesländer gerne die vorgeschlagene Finanzierung aus dem Risikofonds der Krankenversicherten an. Die Milliarden wurden großzügig verteilt, später nach einem konkreteren Schlüssel, der sich an der Anzahl der Intensivbetten und ihrer Auslastung mit Coronapatienten orientierte. Für die Krankenhäuser war dies ein Geldsegen, für einige davon in der Pandemie eine neue Einnahmequelle.

Pandemischer Aktionismus – pandemischer Blues

Ich habe damals mit Interviews, Blogs und Stellungnahmen versucht, den Menschen etwas Angst zu nehmen. Durch den Blick auf die Fakten. Ich habe aufgezeigt, warum die bestehende Infrastruktur – gerade Intensivbetten – in Deutschland ausreichen wird. Ich wollte mit Evidenz und Fakten die Menschen wegbringen von Angst und Aktionismus. Wir haben bei Helios deshalb täglich die Daten zur Auslastung unserer Intensivbetten im Internet veröffentlicht. Und über die Initiative Qualitätsmedizin (IQM) Studien mit Daten aus rund 300 Kliniken aller Trägergruppen publiziert. Die Fakten sprachen eigentlich eine deutliche Sprache: Tatsächlich zeigten sie, dass wir auch (oder gerade) in dieser Zeit genug Intensivbetten hatten. Wir mussten aber ernüchtert feststellen: Fakten wurden anders konnotiert, weil sie nicht in das Covidnarrativ von Politik und Medien passten, das eine latente Überlastung des Systems suggerierte. Und sie wurden vereinzelt sogar missbraucht von denjenigen, welche die Pandemie nur verharmlosen wollten.

Fakt zur Pandemie bleibt: Das deutsche Gesundheitswesen hat sich in dieser Zeit politisch motiviert abgewandt von Menschen, die zwar kein Covid hatten, aber krank waren und Hilfe benötigt hätten. Es war per Anweisung auf Corona fokussiert, dafür aber zunächst nicht gut organisiert. Die bekannten Schwächen wurden in der Pandemie offenbar: keine verlässlichen Versorgungsdaten zur Steuerung des Leistungsgeschehens. Eine mangelhafte Vernetzung der Akteure vor Ort. Selbst in der Pandemie vorherrschende Partikularinteressen.

Fakt auch: Die Krankenhäuser haben in Deutschland während der Pandemie insgesamt sehr viel Geld erhalten. Anders als zum Beispiel in Spanien. Die Covidsterblichkeit in den Krankenhäusern lag in Spanien jedoch niedriger als in Deutschland und das bei nur einem Drittel deutscher Intensivkapazitäten.

Wie ging es nach der Pandemie weiter?

In Deutschland etablierte sich trotz der ausbleibenden Patienten das Bild weiterhin permanenter Überlastung der Beschäftigten in den Krankenhäusern. Management und Beschäftigte konnten sich nicht aus dem Pandemieschock befreien. Es fühlte sich – so eine bemerkenswert markante Wortwahl bei den späteren Marktanalysen – an wie eine Art „Pandemieblues“. Viele Patienten tun sich heute tatsächlich schwer, den Weg in die deutschen Krankenhäuser zurückzufinden. Die Menschen haben während der Pandemie erkannt, dass eine Behandlung im Krankenhaus nicht immer die erste Wahl sein muss. Sie reflektieren vermehrt die eigenen Bedürfnisse und können heute mehr nach dem echten medizinischen Bedarf handeln. Insgesamt war die Gesamtzahl der stationären Patienten in Deutschland im Jahr 2023 immer noch wesentlich unterhalb des Niveaus des Jahres 2019. Das bedeutet derzeit hohe Einbußen in den Erlösen vieler Krankenhäuser, was bis 2023 durch Staatshilfen abgefedert wurde. Bereinigt man die publizierten Margen um die bekannten Staatshilfen und bilanzielle Sondereffekte, offenbaren sich die tatsächlichen Margen. Die sehen bei vielen mittlerweile schmal aus. Keine Überraschung also, wenn sich Krankenhäuser vor Insolvenzen fürchten.

Der nachhaltige Einbruch bei der Anzahl stationärer Patienten ist einer von zwei Gründen für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten von Krankenhäusern in Deutschland. Hinzu kommen Liquiditätsengpässe, weil die Krankenkassen Pflegebudgets für die Jahre seit 2020 streitig verhandelten und temporär die Liquidität der Krankenhäuser austrockneten. Diese Strategie zielte darauf ab, dass Krankenhäuser in der Not niedrigere Pflegebudgets akzeptierten. Damit wurde zugleich die Budgetbasis abgeflacht. Wie meist ging es also ums Geld.

Den Krankenkassen muss man allerdings zugestehen, dass die Situation im Prinzip vom Gesetzgeber und den Krankenhäusern selbst verursacht wurde. Denn bei der Herausnahme des Pflegebudgets aus dem DRG-Fallpauschalen-Katalog blieben einige Details zur Zuordnung von Beschäftigten zur Pflege (insbesondere des pflegenahen Servicepersonals) zunächst unklar, was von den Krankenhäusern zum eigenen Vorteil ausgenutzt wurde. Dies wurde während der Pandemie zwar rückwirkend beseitigt. Das wiederum entfachte aber erst den Streit um die Feststellung der Pflegebudgets ab 2020.

Wo sind die Patienten hin?

Wie auch immer, eine ganz maßgebliche Erkenntnis steht fest: Seit 2019 kommen nicht mehr ausreichend Patienten in deutsche Krankenhäuser, um einen Fortbestand der Infrastrukturen im bisherigen Umfang zu rechtfertigen.

Deshalb war es folgerichtig, die exorbitant hohe Anzahl der Krankenhäuser in Deutschland zu hinterfragen, deren Vernetzung in den ambulanten Strukturen zu überdenken und so stärker auf Qualität als auf Bewahren zu setzen. Das war das Ziel und der eigentliche Anlass für die seit 2022 diskutierte Gesundheitsreform.

Eigentlich – wäre da nicht die Energiekrise gekommen! Sie entpuppte sich als Glücksfall für Bestandsdenker. Sie spülte für 2023 weitere Staatshilfen von über vier Milliarden Euro in die deutschen Krankenhäuser, erneut verteilt über die Anzahl der Planbetten, ein Segen für alle weißen Elefanten. Eines immerhin hatten Politik und Gesetzgeber verändert: Während in der Pandemie gewährte Staatshilfen noch ohne jede Einschränkung an Eigentümer und – per Boni – an Manager „weitergereicht“ werden konnten, ist dies bei den Energiehilfen nur noch sehr begrenzt möglich.

Weiße Elefanten sterben nicht. Ein Mantra im deutschen Gesundheitswesen, das sich hartnäckig am Leben hält. Viele Akteure arbeiten bis heute sehr erfolgreich daran, das Bestehende zu bewahren und das zum Erhalt oder Ausbau nötige Geld möglichst aus Versichertenbeiträgen zu organisieren.

Tischlein deck dich

Private Krankenhausträger sind in einer idealen Position. Sie haben früher marode öffentliche Kliniken – insbesondere die kleineren Standorte – übernommen und somit vor Insolvenz oder Schließung gerettet. Früher wurden fast alle bedrohten Krankenhäuser in Deutschland zu „weißen Elefanten“ erklärt. Die Privatisierung war die Lösung. Mittlerweile sind die meisten deutschen Krankenhäuser in privater Trägerschaft. Im Schwerpunkt handelt es sich dabei um die kleineren Standorte nach Patienten und Betten. Wenn diese Krankenhäuser früher vom Markt genommen statt privatisiert worden wären, hätte sich die Kliniklandschaft bereits weitgehend bereinigt. Es gäbe rund 1100 Krankenhäuser, also rund 800 weniger als heute. Das wäre zwar immer noch mehr, als Experten für notwendig halten, aber näher an der Anzahl, die für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung in Deutschland benötigt wird.

Die privaten Träger haben die übernommenen Krankenhäuser nicht nur „gerettet“, sondern auch wirtschaftlich solide aufgestellt – bei gleichbleibender oder sogar besserer Versorgungsqualität. Dies wurde durch die Umstellung der Vergütung auf DRG-Fallpauschalen begünstigt. Eine bessere Organisation und Effizienzsteigerungen führten dazu, dass am Ende des Jahres ein Überschuss im DRG-Budget vorhanden war (Gewinn). Mit diesem Gewinn konnten die privaten Träger in ihre Krankenhäuser investieren, wodurch diese für mehr Patienten attraktiver wurden. Viele private Träger hatten auch Spielraum für Investitionen im ambulanten Bereich, die aufgrund einer späteren Reform zur Gründung von MVZ (Medizinische Versorgungszentren) durch Krankenhäuser begünstigt wurden. Wer sich in den letzten beiden Jahrzehnten nicht an diese Rahmenbedingungen angepasst und weiterentwickelt hatte, blieb demgegenüber in einer Spirale aus Investitionsstau und Ineffizienzen gefangen. In dieser „Todeszone“ drohen nun Insolvenzen und Schließungen. Profitabel aufgestellte Kliniken (auch die privater Träger) könnten dann auf noch mehr Patienten hoffen, die von den dann insolventen Krankenhäusern kämen.

Zukunft ist jetzt und Veränderung passiert vor Ort

Damit das deutsche Gesundheitssystem tatsächlich zukunftsfähig und dauerhaft besser wird, müssen historische Strukturen in den nächsten Jahren verschwinden. Es gilt, die Strukturen künftig mehr an den Menschen anzupassen.

Gute Gesundheitsversorgung kennt und bedient nämlich den „echten“ Bedarf der Menschen. Dieser Bedarf der Menschen manifestiert sich räumlich in deren Lebensumfeld und braucht inhaltlich eine populationsbezogene medizinische Evidenz. Gute Gesundheitsversorgung orientiert sich inhaltlich an der praktischen Versorgungswissenschaft, sie organisiert sich in kooperativen regionalen Versorgungsnetzwerken und schafft hierfür nötige Freiräume. Es braucht eine regulatorische Balance zwischen sozialpolitischen Rahmenvorgaben und freiem Wettbewerb. Es braucht eine neu gelebte Evidenz, also ein Handeln auf nachweisbarer faktischer Basis und die Transparenz für Qualitätsstandards in der Medizin und Pflege.

Weiße Elefanten sterben nicht, sie sortieren sich als sogenannte Clusterzentren auf ihren künftigen Platz als Zentren der qualitativ neuen Krankenhauslandschaft in regional organisierten Netzwerken. Kliniken wären dann künftig nominiert in unterschiedlichen Leistungsstufen. Einigkeit zur genauen Zahl an nötigen Standorten besteht nicht, aber Konsens zur Orientierung, wonach für die Gesundheitsversorgung von 150.000 bis 250.000 Menschen ein Standort im Level eines Clusterzentrums ausreicht. Damit lägen wir für Deutschland künftig bei unter 400 solcher Zentren und insgesamt rund 1000 Akutklinik-Standorten. Unabhängig davon wären Standorte von Rehakliniken zu hinterfragen, die Rolle von BG-Kliniken in den Versorgungsclustern neu zu modellieren, spezielle Versorgungsbereiche wie die Knappschaftsversorgung oder Bundeswehr mit ihrer Infrastruktur – etwa für Notfälle – mit einzuordnen.

Von den heute existenten Krankenhäusern der Akutversorgung in Deutschland stünden bei der Transformation bis zu 1000 Standorte zur Disposition. Allerdings nicht zwingend alle für eine Schließung oder eine Insolvenz, einige blieben im Bestand für sinnvolle(re) Rollen in kooperativen Versorgungsclustern. Nach dem konkret für eine lokale Population ermittelten Bedarf würden diese Standorte dann mit spezifischen ambulanten oder auch (teil)stationären Versorgungsaufträgen belegt. Übergänge zwischen ambulanter und stationärer Versorgung wären fließend.

Ängste der Menschen und Kalküle der Gesundheitsfunktionäre

Das meiste davon dürfte seitens der Bestandsbewahrer zu heftiger Gegenwehr führen. Auch zu Ängsten bei den niedergelassenen Ärzten und deren Kassenärztlichen Vereinigungen. Weil diese wiederum eine Entwicklung zu ihren Lasten und zum Vorteil der Krankenhausstandorte befürchten. Dabei sind solche kooperativen Netzwerke vorteilhaft auch für die niedergelassenen Ärzte, wo es sie noch gibt in Deutschland. In ihnen käme den niedergelassenen Ärzten nämlich eine maßgebliche Steuerungsfunktion zu. In Landschaften, in denen es einen Mangel an niedergelassenen Ärzten gibt, würde die Klinik als Gesundheitszentrum dann ambulante Aufgaben (mit)übernehmen. Die künftig ambulant Tätigen – Niedergelassene und Kliniken – erhielten insgesamt einen größeren Anteil am Gesamtbudget als bislang. Der Beruf Arzt würde damit auch auf dem Land vielleicht wieder an Attraktivität gewinnen. Die in Deutschland ungeklärte Gretchenfrage nach Sinn und Wertschöpfung der doppelten Facharztschiene, also der parallelen Vorhaltung und Finanzierung von Fachärzten im ambulanten und stationären Sektor, käme in regionalen Versorgungsclustern konkret auf den Tisch, es bestünde die Chance auf lokal praktische Lösungen. Wie in anderen europäischen Ländern könnte das Belegarztsystem – wo regional sinnvoll – gestärkt werden, den niedergelassenen Fachärzten könnten Türen zu Gesundheitszentren attraktiv geöffnet werden. Belegarzttätigkeiten würden wiederum besser vergütet als heutzutage. Es entstünden unternehmerisch neue Formen an Praxen als Gemeinschaftspraxis oder mit MVZ. Es bildeten sich sukzessive zügig mehr Zentren für ambulantes Operieren, egal ob angegliedert an die Gesundheitszentren oder an Krankenhäuser. Und auch die diagnostischen Leistungsanbieter fänden ihren funktionalen Platz im Gesundheitsnetzwerk und würden integrativer in die regionalen Versorgungscluster eingebunden.

Insgesamt wäre eine solche Gesundheitssystemreform für ALLE von Vorteil, für die Patienten, für die Leistungserbringer und sogar für die Krankenkassen.

Es bräuchte hierzu aber einen Kraftakt in Politik und Gesellschaft.

Blaupausen mit Blick in die Ferne

Mut macht ein Blick in andere europäische Länder, die partielle Lösungen gefunden haben. In Spanien beispielsweise, das drei Basisunterschiede zum deutschen Gesundheitssystem aufweist, lebt die Vielfalt in der Gestaltung.

Erstens sind dort alle Menschen aus Steuergeldern krankenversichert, jeder kann sich allerdings zusätzlich (die gesetzliche Versicherung bleibt unberührt) für bezahlbare Beiträge (rund ein Zehntel dessen, was wir in Deutschland kennen) privat versichern. Als gesetzlich Versicherter gibt es grundsätzlich keine freie Krankenhauswahl, es sei denn, die lokalen Strukturen erlauben Free Choice (wie z. B. Madrid). Privatversicherte haben freie Wahl, sofern die ausgesuchte Klinik mit der privaten Krankenversicherung zusammenarbeitet.

Zweitens gibt es keine Sektorengrenzen, die Übergänge zwischen ambulant und stationär sind dort fließend. Ambulante Leistungen werden in den Kliniken erbracht durch Fachärzte als Belegärzte, die sich lokal einmieten.

Drittens sind Finanzierung und Verantwortlichkeiten dezentral fokussiert. Es gibt regulatorische Freiräume der Regionen in der Ausgestaltung und Umsetzung, insbesondere bei den ergänzenden Konzepten wie Outsourcing-Verträgen oder PPP-Modellen (PPP: Public Private Partnership). Dementsprechend gibt es in der Finanzierung lokal unterschiedliche Modelle, beispielswese solche, bei denen ein Anbieter (ein Netzwerk oder eine einzelne Klinik oder eine Gruppe) die gesamte Gesundheitsversorgung für eine räumlich definierte Population übernimmt. Dafür wird dieser Leistungsanbieter jährlich mit einem festen Betrag pro Clusterbewohner (sog. Kopfpauschale) vergütet. Häufig gibt es zusätzlich differenzierte Verträge, mit denen konkrete Leistungen für gesetzlich Versicherte an private Kliniken übertragen werden (Outsourcing). Schließlich gibt es Verträge, die bewusst einen Leistungswettbewerb regional vorsehen, dazu Menschen räumlich einem regionalen Versorgungscluster zuordnen, in dem definierte Leistungsanbieter ambulante und stationäre Versorgung übernehmen. Dies auf der Grundlage von PPP-Modellen, in deren Rahmen die Leistungsanbieter die Infrastruktur neu bauen, dafür wegen der Amortisationszeiträume lange Vertragslaufzeiten erhalten. Manchmal geht am Ende des PPP-Zeitraums das neue Krankenhaus an die öffentliche Hand oder die Vertragspartner einigen sich auf Alternativen. In allen Fällen wird die vertraglich definierte Qualität der erbrachten Leistungen von Leistungsanbietern nach einheitlichen Standards gemessen und veröffentlicht, damit die Menschen lokal die Qualität der Anbieter gut vergleichen können. Als Qualitätskriterien dienen einige medizinische, aber auch serviceorientierte Parameter. Diese sind vertraglich verankert und teilweise vergütungsrelevant.

Alles zusammen führt im Endeffekt beispielsweise dazu, dass in Spanien viel mehr ambulant behandelt wird als in Deutschland. Bemerkenswert ist, dass nach WHO und OECD Spanien in der Versorgungsqualität insgesamt deutlich vor Deutschland liegt. Ähnliches gilt für die Nordländer in Europa, vor allem Norwegen, Finnland und Dänemark. Sie leben von einer auf die jeweilige Population zugeschnittenen Versorgungsstruktur, die aktiv ambulant mit stationär vernetzt und die komplexeren Diagnosen in definierten Zentren oder Spezialkliniken konzentriert. Hinzu kommt jeweils eine hoch entwickelte digitale Verknüpfung.

Diese bekannten Modelle könnten für Deutschland mit den diversen regionalen Bedürfnissen als Blaupause für eine Annäherung an die Zukunft taugen.

Voraussetzung wäre aber, dass der gordische Knoten durchschlagen wird, den wir seit Jahrzehnten mit Nelkenöl beträufeln. Systemisch besteht schon heute ein Weg, der mit integrierten Versorgungsmodellen gangbar wäre. Faktisch ist dieser Weg bis heute nicht von Relevanz. Warum? Weil die von Spitzenverbänden verhandelten Rahmenbedingungen zu starr sind, da „von oben herab“ auf einen Durchschnitt nivellierend. Weil Versorgungsmodelle noch heute davon abhängen, dass die lokal zu vernetzenden Sektoren eine – auch wirtschaftliche – Einigung über das Budget erzielen, das wiederum aus unterschiedlichen Geldtöpfen gespeist wird. Daran scheitert eine breitere Umsetzung agiler Modelle. Dementsprechend müsste der gesetzliche Rahmen in der Gestaltung mit mehr Freiraum versehen werden, in Optionen der lokalen Umsetzung inhaltlich offener, zeitlich stringenter. Wir müssen vom Irrglauben an eine „verordnete Generallösung“ Abschied nehmen.

Hin zu regionalen Versorgungsnetzwerken

Deutschland braucht vor allem inhaltlich eine Abkehr vom Primat der Infrastrukturen, hin zu den agil interagierenden, intelligenten Versorgungsnetzwerken. Die nahe Zukunft des heutigen Gesundheitswesens liegt – auch in Deutschland – in den regional-lokalen Versorgungsnetzwerken, diese jeweils abgestimmt auf den konkreten Bedarf einer definierten regionalen Population.

Die heute bestehende Sektorentrennung zwischen ambulant und stationär wird sukzessive fallen (müssen), ersetzt wird sie durch die aktive Vernetzung von ambulant mit stationär, und das sowohl budgetär als auch organisatorisch wie medizinisch.