Der Andere des Wortes und das Andere der Sterne - Günter von Hummel - E-Book

Der Andere des Wortes und das Andere der Sterne E-Book

Günter von Hummel

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Beschreibung

Das Unbewusste ist die Sprache des Anderen, sagt der französische Psychoanalytiker J. Lacan. Dieser Andere sind die Echos unseres eigenen Körpers, eine subjektbezogene Linguistik, ein Semantiker. Doch es gibt auch eine bild-, blickhafte Seite des Unbewussten, die sich im nächtlichen Sternenhimmel spiegelt. Damit ist aber nicht der übliche Blick - gar verstärkt durch die astropysikalischen Fernrohre - gemeint, sondern ganz 'anders herum' ein Blick in uns selbst. Dieser Blick ist kaleidoskopisch verwirrend, und ein Ausweg kann nur darin bestehen, diesen Anderen des Wortes und dieses Andere der Sterne in eine verbindend-verbindliche Form zu bringen, was bisher noch keiner Wissenschaft gelungen ist. Es kann nur jeder Einzelne in und mit sich selbst erreichen, wozu in diesem Buch ein selbst erlernbares Verfahren, das der Autor Analytische Psychokatharsis nennt, geschildert wird.

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Die Malerin T. Heydecker (www.semantik-art.com) schreibt, dass das Umschlagsbild mit dem Titel Menetekel drei Ebenen hat. Die erste stellt die Frau dar, die sich an den Kopf fasst, in dem sich gleichzeitig ein Totenkopf spiegelt, was das „nicht abwendbare Unheil", die direkte Todeserfahrung oder das wirkliche Wissen darum bedeutet. Die zweite Ebene betrifft die Buchstaben in den Sternen, auf die im Text speziell eingegangen wird. Die dritte Ebene entspricht der des Bildbetrachters, ein Tourist, der als blinder Zeuge, mit Fotoapparat das Bild des Menetekel (gezählt, gewogen und zu leicht befunden) nur von außen kennt und unbekümmert konsumiert. Das Buch sucht einen Ausweg aus dieser vielschichtigen Mahnung.

Inhaltsverzeichnis

I.

Die Thematik des Unbewussten

1.1 Das konjekturale Denken

1.2 Die Signifikanten des Neandertalers

1.3 Liebe als Erkenntniskategorie

1.4 Die eigenartige Sprache der Wissenschaftler

II.

Physiker und Philosophen

2.1 Kant

2.2 Gott und Hirn

2.3 Einstein und die ultimative Theorie

III.

Es

Strahlt /

Es

Spricht

3.1 Quantenpsychologie und Physik der Träume

3.2 Freud und Kafka

IV.

ARE VID EOR

4.1 Arithmetik und

Formel- Wort

4.2 Die B(r)uchstaben

4.3 Praktische Anleitung

4.4 Selbsttherapie

V.

Literaturverzeichnis

I. Die Thematik des Unbewussten

1. Das konjekturale Denken

Mit dem Begriff des konjekturalen Denkens habe ich vor etlichen Jahren in einem Buch das beschrieben, was ich jetzt mit dem Titel ,Der Andere des Wortes' und ,Das Andere der Sterne' präziser und vielleicht auch verständlicher ausdrücken kann. Schon damals stellte ich die Frage: ,Für was braucht man eigentlich einen Therapeuten, einen professionellen Heiler, einen besonders gescheiten Daherredner, wenn man die beiden Grundprinzipien psychischen Geschehens,1 diese doppelte Unbewusstheit, die ich auch eine doppelte Andersheit nenne, selbst zur Therapie nutzen kann. Ich hatte nämlich Meditatives und Psychoanalytisches zu einem neuen selbsttherapeutischen Verfahren verbunden, das in seiner praktischen Anwendung einfach zu erlernen ist. Ein bekannter Literaturagent, der damals das Manuskript meines Buches angefordert hat, meinte jedoch nach der Lektüre, er könne damit nichts anfangen, er könne nicht konjektural denken, er verstünde das nicht. Vielleicht gelingt es mit diesem Buch den Leser und vielleicht sogar auch einen anderen Literaturagenten besser zu überzeugen.

Das konjekturale Denken war nicht als etwas gedacht, das als philosophische, akademische oder gar universitäre Methode hätte durchgehen sollen.2 Es sollte vielmehr etwas für jeden sein, der sich dafür interessiert oder es vielleicht sogar aus Gründen seelischer oder seelisch mitbedingter körperlicher Störungen selbst benötigt. Es besteht – so hatte ich es vereinfacht ausgedrückt – darin, dass das übliche, sogenannte 'gerichtete' Denken und das Nichtdenken sich in engster Verbindung abwechseln. Mit Nichtdenken ist nicht vollkommene Unbewusstheit gemeint, sondern ein Zustand der Aufmerksamkeit, jedoch ohne bestimmte Gedanken, also eine Art der Kontemplation. Es handelt sich genau um den Zustand, den der Psychoanalytiker einnehmen muss, wenn er den 'freien Assoziationen' seines Patienten lauscht. S. Freud sagte, dass der Analytiker dabei mit 'gleichschwebender Aufmerksamkeit' zuhören sollte. D. h., der Analytiker denkt nicht ,gerichtet', ist jedoch wach und auf die Aussagen des Patienten hin orientiert. Er befindet sich somit in leichter Meditation, in einer Art des Nichtdenkens, von wo aus er jedoch jeder Zeit zum Denken zurückkehren kann. Auch der Patient wird aufgefordert eine ähnliche Haltung einzunehmen. Er soll ,frei assoziieren', also spontan alles äußern, was ihm in den Sinn kommt, wobei er ebenfalls das ,gerichtete Denken' ausschaltet, auch wenn es kurzfristig immer wieder dazu kommt und er so zwischen Denken und Nichtdenken hin und her schwankt.

Der Philosoph P. Sloterdijk hat diese Vorgänge eine 'Einheit von Wachen und Denken' genannt und auf das griechische Wort sophronein (sich besinnen) zurückgeführt. So habe auch der Philosoph M. Heidegger versucht, das 'Philosophieren wieder in den ,vorsokratischen' Zustand zurückzuversetzen, in dem . . diese Einheit von Wachen und Denken noch möglich war.'3 Sloterdijk nennt es auch eine 'prokunfuse Einheit', weil das spätere abendländische Denken ohne Wachen genauso wie das östlich-asiatische Wachen ohne Denken nur Konfusion hervorgerufen hat. Neben Heidegger erwähnt Sloterdijk auch Foucault und F. v. Weizsäcker, die dem 'paradoxen Ideal eines Präsokratismus auf der Höhe des zeitgenössischen Wissens am nächsten gekommen seien'.

Hier noch ein anderes Beispiel, um das konjekturale Denken, dieses meditative, fuzzi-logische oder kontrapunktische Denken/Nichtdenken zu erklären: Der etwas verrückte Szene-Guru der 70ger und 80ger Jahre, Bhagwan Rajneesh, machte manchmal – trotz seiner sonst recht esoterischen Grundhaltung – ganz pfiffige Bemerkungen. So sagte er z. B., dass er in seinen Ansprachen zwischen den Worten oft etwas längere Pausen mache. Nicht zu lange Pausen freilich, bei denen die Zuhörer hätten denken müssen, dass er jetzt den Faden verloren hat. Aber doch so lange, dass das Publikum noch in der zuhörenden Anspannung verblieb, also gleichermaßen noch die Ohren gespitzt hielt, die Aufmerksamkeit wach zum Redner hin gewandt blieb. Bei zu langen Pausen, aber auch bei zu kurzen oder gar keinen Pausen, fangen die Leute nämlich an, sich selbst Gedanken zu machen. So aber verblieben sie in einem Nichtdenken, in einer Art von Meditation. Während einer halbstündigen derartigen Ansprache hätten – so der Guru – die Zuhörer also schon ca. sieben Minuten meditiert (und 23 Minuten 'gerichtet' zugehört).

Trotzdem scheint mir diese Ansprache/Zuhörer-Methode keine sehr ausgereifte Form des Wechsels von Denken und Nichtdenken zu sein. Denn die Lehre des Gurus, die er auf diese Weise vermitteln wollte, hat sich nicht durchgesetzt. Man könnte sich eine kompaktere, direktere Methode vorstellen, z. B. ganz langsam, monoton, eben mit Zwischenpausen einen rätselhaften Satz denken, wie man es beim buddhistischen Koan macht. Der Nachteil beim Koan ist jedoch ein asiatisch religiöser Hintergrund, der völlig fremd und auch nicht mehr zeitgemäß ist. Auch ein Gebet vermittelt kein konjekturales Denken, der Gebetstext muss rituell wiederholt werden, und der konfessionelle, dogmenbehaftete Hintergrund ist störend.

Für mein Vorhaben sollte vielmehr neutrale Wissenschaftlichkeit zum Zug kommen, die jedoch außerhalb der fachuniversitären Vermittlung liegt, wie es etwa bei der Psychoanalyse der Fall ist. An der Universität wird nur ,gerichtet' gedacht. Es wird nur Wissen produziert, aber keine Wahrheit, wie Lacan es in seinen ,vier Diskursen' monierte.4 Um einen guten Überblick zur gesamten Thematik zu haben, um die es hier gehen soll, fängt man am besten mit einem kurzen Hinweis auf die Philosophie des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts an, so zum Beispiel bei Hegel. Dieser Allround-Philosoph konnte noch voll aus allen bekannten Wissenschaften schöpfen. Er fing mit dem Begriff des Selbstbewusstseins an, ging dann zum Wesen des Denkens, der Logik, der Transzendenz und etlichem anderem über, um all diese Bausteine höher und höher schaukelnd in stets weitere Zusammenhänge bringend, und gelangte so zu einem wolkenkratzerartigen Universalgebäude Namens Geist.

Geist, ein schillernder Begriff, bei Hegel allein aus seinem eigenen Denken in äußerst komplexer Form konstruiert. So etwas geht heute nicht mehr. Hegel konnte noch behaupten, er sei der Weltgeist und Napoleon die Weltseele, beide hätten sie zusammen Gott ergeben. Eine kühne Phantasie, auf die man sich im einundzwanzigsten Jahrhundert nicht mehr einlassen kann. Auch mein konjekturales Denken ist so heute chancenlos. Man benötigt etwas, das jeden Menschen in die Wissens- und Wahrheitsfindung vollkommen einschließt. Bereits der Philosoph H. Hastedt postulierte diese Forderung indem er schrieb, dass „der Geist in der Teilnehmerperspektive als Subjekt der Erkenntnis methodisch vorrangig ist gegenüber Geist und Körper als Erkenntnis-Objekten in der Beobachterperspektive".5

Außerdem existieren heute andere Schwerpunkte der Wissens- und Wahrheitsfindung, die jedem zugänglich sind, wie etwa das Internet und die Psychoanalyse.6 Ich arbeite seit vierzig Jahren als Arzt und Psychoanalytiker und stütze mich in meinem Vorgehen auf diese psychologische Wissenschaft. Wie erwähnt, teilt man sich also (zwischen Analytiker und Patient) die Sache mit dem Denken und Nichtdenken in der herkömmlichen Psychoanalyse auf. Sowohl der Patient wie der Analytiker haben Phasen des 'gerichteten' wie des tranceartigen Denkens, das der originelle Psychoanalytiker A. Ferro auch ,il pensiero onirico della veglia' nennt, das rätselhafte Wachtraumdenken.7 Ferro schreibt, wie er und sein Patient in der Therapiestunde sich zusammen einem Traum hingeben, um dann – wieder ganz wach – die Sitzung mit einem gemeinsamen, konkreten Gedanken zu beenden.

Hier in diesem Buch soll es aber um etwas anderes gehen: eben um ein direktes Verfahren, bei dem man nicht hunderte Stunden in eine Therapie gehen, aber auch nicht an der Universität ewig lange studieren muss,8 sondern an etwas Eigenem mitarbeiten kann. Darin können jedoch die Grundtatsachen wie die 'freie Assoziation' (der Andere des Wortes) und die 'gleichschwebende Aufmerksamkeit' (das Andere der Sterne) eine Rolle spielen.

,Der Andere des Wortes' ist jener Typ, den der französische Psychoanalytiker J. Lacan L'Autre nennt, den unbewusst Anderen in uns selbst. Es ist klar, dass beim ,freien Assoziieren', beim Drauflosreden, ,Anderes' dazwischen kommt, das man gar nicht sagen wollte. Doch wer ist es, der da dazwischen redet? Es muss nicht ein Er sein, der sich aus dem Unbewussten heraus vernehmbar macht, ich bezeichne ihn auch als ein Es Spricht (Lacan: ça parle dans l'inconscient). Auf jeden Fall Spricht Es anders als üblich, und so ist vom Anderen des Wortes zu schreiben vielleicht ganz zutreffend und besser als vom konjekturalen Denken zu schwadronieren, auch wenn ich dies damals originell fand.

Er/Es beinhaltet die verinnerlichten Aussagen der Eltern, Lehrer, Analytiker, die als solche im Unbewussten wie sprechende Echos und mahnende Stimmen in Form von IchIdeal, Über-Ich, und eben Anderem in jedem Menschen weiter agieren. Wenn ich sage ,weiter', so weil sie schon im Kleinkindesalter zu wirken begonnen haben, wo das Kind noch gar nicht sprechen und die Symbole verstehen konnte. Doch gerade deswegen, weil das Kind nichts hinsichtlich der worthaften Bedeutung der Stimmen und Echos einordnen kann, finden ja schon ganz früh Verwerfungen, Verdrängungen und innerseelische Spaltungen statt, die ins Erwachsenenalter hineinwirken.9 Im Traum und speziell in den Freudschen Versprechern, die das normale Wort völlig verdrehen und zerhacken, drückt sich all das Redende und doch nicht klar Gesagte dieses verbalen Anderen aus. Wirklich, Er/Es spricht ganz ,anders herum' und so müssen seine Ausdrücke interpretiert werden, um sie verständlich zu machen.

Aber es wird in der herkömmlichen Psychoanalyse zu wenig interpretiert. Bekanntlich überträgt der Patient in der Behandlung Bedeutungen auf den Therapeuten, die aus diesen frühen Zeiten oder aus anderen Beziehungen stammen in nicht adäquater Weise. Diese Übertragungen kann der Psychoanalytiker nur interpretieren, wenn er sie als ,psychische Objekte', als psychische Fixierungen und als Abwehr vor bedrängenden Trieben zu fassen bekommt. Wenn er sie auf keine zu objektivierenden Beziehungen mehr zurückführen kann, weil er sie in seiner Ausbildung bei sich selbst gar nicht kennen gelernt hat, greift er oft zu sogenannten, Enactments', einer Art künstlichen Eingreifens, erspürten Deutungen und anderen Methoden, die er im Sinne einer Gegenübertragung (Reaktion auf die Übertragung des Patienten, die man auch ,Übertragungsliebe' nennt) intervenierend zu nutzen versucht. Der Psychoanalytiker betont zu sehr das Es Spricht, das Wort-Wirkende. Meines Erachtens fehlt ihm das Es Strahlt, das Bildlich-Wirkende, das ich ,Das Andere der Sterne' nenne.

Auch dieser Begriff stammt von Lacan, als er vom ,L'Autre des Astres' sprach. Es geht um „den Anderen, den man eben immer an seinem Platz antrifft, und den ich das Andere der Sterne genannt habe, weil er das stabile System der Welt und des Objekts ist."10 Lacan stützte sich mit dieser Aussage auf die Sterne, speziell die Fixsterne, die eben eine fixierte, definitive Ordnung garantieren und somit herhalten müssen für die psychischen – den oben genannten Echos entsprechenden – inneren Spiegelungen, die innere Luzidität. auf die Lichtreflexe, auf die Wissenschaft von den Pixeln und den strahlenden Kraftlinien – wie er auch sagt. Diese wirken im Unbewussten eben wie ein Anderes ihrer selbst, wie das Andere der Sterne, eine andere Geometrie. Der Ausdruck Sterne bezieht sich auf eine psychische Spiegelung, die Sternencharakter hat und die manchmal sogar so intensiv sein kann, dass man sich wirklich mitten unter ihnen zu befinden glaubt,11

E. Coccia philosophiert diesbezüglich über das Sinnenleben, die ständige Verwandlung durch Bild- und Sinneseindrücke, die einem unaufhörliche Identitäten vermitteln, Ideal-Ichs und Neben-Ichs,12 so dass der Mensch von etwas ,Schizoid-Paranoidem' bedroht ist, wie es die Psychoanalytikerin M. Klein formulierte.13 In immer neuen Formen versuchen Künstler dieses sinnlich Strahlende, Blendende, Faszinierende und Betörende einzufangen. Man findet sich in diesem sich wandelnden Sinnesleben aber auch topologisch, geometrisch zurecht. Man denke an die Sternbilder, die wie geometrische Figuren durch derartige Kraftlinien verbunden sind, und die man immer schon zur Stützung der eigenen Identität verwendet hat.

So beruft sich Lacan also einerseits auf die Linguistik (den Anderen des Wortes), andererseits aber auch auf die Bildtheorie bzw. Einsteinsche Geometrie, Topologie (das Andere der Sterne). „Die Natur liefert Signifikanten", schreibt er, und damit betont er neben dem Symbolischen, Wort-Wirkendem, auch das Imaginäre, das Bild-Wirkende, die bildliche Ordnung der Natur und der Sterne, die genauso eine Andersheit im Unbewussten darstellen wie die des Wortes. Das Andere der Sterne und Pixel ist durchdrungen von dem der Worte, der verbalen Symbole und umgekehrt.

„Noch bevor die eigentlichen Humanbeziehungen entstehen, sind gewisse Verhältnisse schon determiniert", schreibt Lacan weiterhin. „ . . Noch vor jeder Erfahrung, vor aller individuellen Deduktion und noch bevor überhaupt kollektive Erfahrungen . . . sich niederschlagen, gibt es etwas, das dieses Feld organisiert und die ersten Kraftlinien in es einschreibt . . . die Funktion einer ersten Klassifizierung".10Kraftlinien sind also bedeutende Zeichen, tragende Erscheinungen, Bildliches, das etwas zeigt, ein Es Zeigt, Es Strahlt. Ein sich Zeigendes liegt bereits vor, und wenn die symbolische Ordnung, das Es Spricht, in dieses Sich-Zeigende, bedeutend Erscheinende hineinwirkt, kann man die ausstrahlenden Kraftlinien als Pendant zu den symbolisch ordnenden, ,verbalen Signifikanten' die ,imaginäre Signifikanten' nennen und beide zusammenfassend das Unbewusste – Lacan folgend – als einen „linguistischen (Spricht, Anderen des Wortes) Kristall" (Strahlt, Anderes der Sterne) bezeichnen.

Am Anfang war also die Zwei,14 das Bild- und Wort-Wirkende, verbaler und imaginärer Signifikant, das Es Strahlt und Spricht. Wegen der vielen gleichsinnigen Begriffe hier ein kleines Schema zur Übersicht. Der Schrägstrich soll das Trennende, aber auch Verbindende der sich gegenüberstehenden Ausdrücke vermitteln. Ich rechtfertige diese

Vielseitigkeit der Begriffe damit, dass sie trotz ihrer Gleichheit doch leicht unterschiedliche Aspekte herausheben. Sie verdichten schon von sich aus das Wesentliche, um das es geht, wobei der trennend/verbindende Schrägstrich das Reale kennzeichnen soll, das Freud ,psychische Realität' nannte, und das Lacan neben dem Symbolischen und dem Imaginären als die dritte wesentliche Kategorie allen Seins und Nichtseins herausstellte.

Kurz zusammengefasst: Im seelisch Unbewussten eines jeden Menschen arbeiten zwei Grundkräfte mit- und gegeneinander. Es handelt sich nicht mehr um den Eros-Lebens- und den Todes-Trieb (der sich nie beweisen ließ) wie noch bei Freud, sondern um den Schau- oder Wahrnehmungstrieb und den Sprech- oder Entäußerungstrieb. Letzterer, der Andere des Wortes, spricht nicht nur nach außen, sondern auch innerlich. „Die Sprache per se," sagt der Philosoph M. Heidegger zu dieser Thematik, „spricht vom Menschen . . Sie spricht als das Geläut der Stille. . . . Wir 'Sprechen' im Wachen und im Traum. Wir 'Sprechen' stets; auch dann, wenn wir kein Wort verlauten lassen, sondern nur zuhören oder lesen, sogar dann, wenn wir . . . einer Arbeit nachgehen oder in Muße aufgehen. 15 Doch Es Spricht im Unbewussten nur monologisch, der Andere des Wortes ist kein universeller, dialogfähiger, die Wahrheit garantierender Anderer. Die Psychoanalytiker sagen: er ist im Symbolischen kastriert, er ist blockiert, gehemmt.16 Zum realen, reichen, vollständigen Anderen kann er nur im Verbund mit dem der stemenartigen Strahltpunkte, des unbewusst Luziden, der ,ultrasubjektiven Ausstrahlung' (Lacan) werden.

Diese Helligkeit des Anderen der Sterne zeigt sich in der klassischen Psychoanalyse jedoch nicht. Um sie ins Spiel zu bringen muss ich etwas in die menschliche Frühgeschichte hin ausholen. Die Vormenschen haben die Sterne nicht als den Spiegel einer inneren Stabilität wahrgenommen wie ich es von Lacan oben zitierte. Das Andere der Sterne bestand noch aus unkoordinierten Spiegelungen wie sie Freud noch etwas ungenau als primären Narzissmus beschrieb. Am Anfang des Lebens sind die seelischen Energien sogar noch „im undifferenzierten Ich-Es vorhanden",17 wobei sich ein „primärer Narzissmus" herausbildet.18 Wer Säuglinge beobachtet hat, und dies gehört heute zur psychoanalytischen Ausbildung, wird bestätigen, dass in den ersten Wochen das Kind selbstspiegelnd in sich verbleibt, auch wenn es früh die vereinheitlichte Mundzone/Brust der Mutter als seelisches Objekt' energetisch (libidinös) besetzt.

Und so sehen viele neuere Psychoanalytiker das Vorherrschen primärster Spiegelungen, speziell solcher im eigenen Körper, also das starke uns von Anfang an bestimmende ,Körper-Spiegel-Ich', das psychische „concrete original object" (COO), als präexistent an.19 Ihm folgen erst später die üblichen Selbstspiegelungen, mit denen man sich nach außen hin in anderen reflektiert, wozu dann eben der sekundäre Narzissmus und anderes gehört. Das Andere der Sterne nimmt also seine Form schon in zunehmender Ausprägung beim Frühmenschen an und ist – übertragen aus dieser Phylogenese nunmehr in die Ontogenese – beim Kleinkind ebenfalls in den frühesten Lebenswochen präsent. Es ist sogar das Bezeichnende in dieser Phase, wie auch Coccia betont, der die Nachahmung als die perfekte Anverwandlung beschreibt, die ihre eigene innere, wenn auch flüchtige, Existenz hat.

Erst später kommt das Sprechen hinzu (phylogenetisch vor ein paar hunderttausend Jahren, ontogenetisch mit eineinhalb bis zwei Jahren), und so verbinden sich die beiden Anderen zu dem, was man einen vollwertigen Menschen mit seinem Ich oder seinem Selbstobjekt nennen kann. Für den Psychoanalytiker setzt erst da das Unbewusste ein, das sich ja durch sein besonderes Gedächtnis auszeichnet: Es speichert nämlich das am besten, was es am schlechtesten erinnern kann, das Verdrängte.

So muss es zwar schon vorher in einer ersten Verdrängung (Freud spricht von der ,Urverdrängung') ebenfalls unbewusste Vorgänge geben, die eben noch fast instinktmäßig verankert sind bzw. eine ,psychische Gegenbesetzung' darstellen. Der Instinkt und auch der Freudsche Trieb sind in ihrer Primärform nicht bewusst zu erfassen. Während der Instinkt rein biologisch zu sehen ist und so nur beim Tier seine Funktion ausübt, ist dies beim Freudschen und für den Menschen zuständigen Trieb anders. Er wird psychisch in einer ,Vorstellungsrepräsentanz' (so Freuds Begriff), entweder als direkter Affekt oder als ins Denken verschobener Inhalt, dargestellt. Wenn man sich jetzt das Ganze von diesen frühen Spiegelungsphasen her ansieht, spielt wohl nur der Affekt eine Rolle, denn ,gerichtetes' Denken ist hier noch nicht vorhanden. Dieser reine Affekt kann nicht in einem Gedächtnis gespeichert werden, doch er wird bestens erinnert, denn es genügt schon der erneute gleiche oder ähnliche Auslöser, dass er wieder auftaucht.

Diese beiden Gedächtnis/Erinnerungs-Strukturen zeigen also erneut den Unterschied und doch auch den Zusammenhang des Anderen des Wortes und der Sterne. Ist der Inhalt der Worte zu bedrängend, wird er verdrängt, in die Luzidität dagegen kann man sich fallen lassen. Wie erwähnt hatte Freud am Anfang seiner Tätigkeit dieses Sich-Fallen-Lassen durch Hypnose erzeugt, die auftretende Katharsis sodann genutzt, um dem Patienten Erinnerungen zu entlocken. Doch die Patienten genossen den Abhängigkeitsrausch von der Stimme des Therapeuten und waren zu kritischer, intellektueller Zusammenarbeit nicht zu bewegen. Deswegen verlagerte er die Behandlung auf die genannte ,freie Assoziation' (Anderer des Worte) und die ,gleichschwebende Aufmerksamkeit' (Anderes der Sterne) und musste nun in mühevollen Interpretationen oder Rekonstruktionen (den erwähnten Enactments) die im Unbewussten verborgene Wahrheit finden.

In dem von mir entwickelten Verfahren wird jedoch die Katharsis wieder genutzt, weshalb ich es auch ,Analytische Psychokatharsis' genannt habe.20 In diesem Verfahren werden die oben schematisch zusammengestellten beiden Grundkräfte in ihrer elementarsten Form verwendet. Ich erkläre die Praxis zwischen den Zeilen des theoretischen Textes, fasse sie aber nochmals ausführlich ab der Seite 176 zusammen. Doch soviel schon vorab: Die ,Imageny Rehearsal Therapy wird in letzter Zeit oft hinsichtlich der Bewältigung von Albträumen erwähnt.21 Schon in den Wortteilen ,imag' und ,hear' klingen die beiden Grundkräfte wieder heraus, doch die Methode ist ein simpler verhaltenstherapeutischer Trick. Man muss zuerst die albtraumhaften Elemente anschauen, sich dann eine Strategie ausdenken wie die Monster und Horrorszenen in einen lieblichen Märchenfilm umgedeutet werden können. Prägt man sich dann die Umdeutung so richtig gut ein, verschwinden die Albträume. Das mag manchmal so ablaufen, aber logisch und wissenschaftlich begründet ist dies nicht. Deswegen heißt es auch, dass es gerade bei wiederkehrenden Albträumen nicht funktioniert.

Fundierter, logisch-wissenschaftlich begründeter ist das Vorgehen bei der Analytischen Psychokatharsis. Das Unbewusste ist – sowohl vom Sprachlichen wie vom Bildlichen her – ,anders herum' aufgebaut, also als Anderer des Wortes wie auch als Anderes der Sterne. Ich habe dies bereits am Beispiel des buddhistischen Koans erläutert, dieses Vorgehen aber wegen seiner Unwissenschaftlichkeit und Mystik abgelehnt. In der Analytischen Psychokatharsis werden sogenannte Formel-Worte (Wortformeln) verwendet, die in einem einzigen, im Kreis geschriebenen Schriftzug mehrere Bedeutungen enthalten, je nachdem von welchem Buchstaben aus man die Formulierung liest. Entsprechende Bezüge zum psychoanalytisch-linguistischen Kern (Lacans ,linguistischer Kristall') des Unbewussten werden aufgezeigt. Es ist klar, dass die Verwendung derartiger ,anders herum' gestalteter Formulierungen das Unbewusste weitaus stärker provoziert, sein Wissen, seine Wahrheit, herauszugeben, als wenn man es nur mit lieblich umgestalteten Sätzen umschmeichelt. So viel bzw. wenig erst einmal vorab.

1 Ich spiele hier auf Freuds ,Zwei Prinzipien psychischen Geschehens' (GW VIII, S. 230-238) an, nämlich das Lust- und das Realitätsprinzip.

2 Konjektur heißt Vermutung, und das konjekturale Denken, das schon Nikolaus von Kues so benannte, ist ein Denken in – jedoch sehr präzisen, fast mathematischen – Vermutungen (es sind trotzdem freie Vermutungen, die sich immer mehr zu etwas Zutreffendem hin verdichten, bis ein letztlicher Schluss feststeht). Was Kulturanthropologen unter konjekturalem Denken verstehen lässt sich gut in der Zeitschrift SAGG, Gisi, L. M. Heft 5 / 2008 nachlesen. Es geht dort um eine Denken, das sehr disparate Wissenschaften zusammenfasst.

3 Sloterdijk, P., Du musst dein Leben ändern, Suhrkamp (2009) S. 272 - 275

4 Der erste Diskurs ist der des Herrn, des blinden Bestimmers, der zweite der des Neurotikers, der die Wahrheit sagt, aber nichts weiß, der dritte eben der der Universität, der weiß, jedoch die Wahrheit verfehlt, weil er nur das Wissen vermehrt, der vierte der des Psychoanalytikers, der das speziell das Wissen um die Wahrheit aus seinem Patienten herauszieht, während er selbst unerkannt bleibt.

5 Hastedt, H., Das Leib-Seele Problem, Suhrkamp (1989) S. 291

6 Freud hatte für die Laienanalyse geworben, dass also jeder an dieser Wissenschaft teilnehmen können sollte.

7 Ferro, A., Pensieri di uno psicoanalista irriverente, Raffaello Cortina Editore (2017) S. 29

8 Ich weise nochmals auf die Fußnote 4 hin, dass der reine universitäre Diskurs ohnehin nicht zur Wahrheitsfindung taugt, da wegen eines Objektvierungszwangs das Subjekt immer unberücksichtigt bleibt.

9 Lacan, J., Seminare XXIII, Übersetzung Lacan-Archiv, S. 10: „Die Philosophen . . wissen nicht, dass die Triebe das Echo im Körper sind. . .Weil der Körper einige Öffnungen hat, deren wichtigste, weil sie nicht geschlossen werden kann, das Ohr ist, antwortet im Körper das, was ich die Stimme genannt habe".

10 Lacan, J., Seminar III, Quadriga (1997) S. 89

11 Mystiker und Esoteriker reden diesbezüglich oft vom Astralen', einem Zustand, bei dem man das Gefühl hat wie unter ganz leichtem Strom zu stehen. Das seelisch Unbewusste fängt dann an mit dem Gehirn in eine Oszillation zu geraten. Diese oder eine sehr ähnliche Erfahrung kann auch in Hypnose auftreten und Freud hat dies anfänglich zur Psychotherapie genutzt.

12 Coccia, E., Sinnenleben, Ed. Akzente Hanser (2020)

13 Das Tier kennt feste Bild-zu-Bild-Entsprechungen und kann sich nicht wie der Mensch im Sinneshaften völlig verlieren.

14 Auch wenn in der mathematischen Mengenlehre von der Drei (oder Mehrheit) ausgegangen wird, werden Prinzipien und Kräfte in der Wissenschaft allgemein auf die Zwei grundlegenden reduziert.

14 Heidegger, M., Unterwegs zur Sprache, Verlag G. Neske (1993) S. 32-33

16 Lacan sagt, dass es sich um den verbalen Signifikanten eines Mangels im Anderen handelt, geschrieben S(A): das Fehlen eines Signifikanten, der die Wahrheit beim (groß zu schreibenden, bedeutenden) Anderen garantiert.

17 Freud, S., GW XVII, S. 72

18 Freud, S., GW X, S. 154

19 Ferrari, A. B., From the Eclipse of the Body to the Dawn of Thought, London: Free Association Books (2004)

20 Hierbei kommt es jedoch nicht zu der eingangs beschriebenen ,Astralerfahrung' der Mystiker, im Vordergrund steht die reine befreiende, eher mit Helligkeits- oder ,Durchrieselungs-Empfindungen' einhergehende Katharsis.

21 Lauer, J., Schlecht geschlafen? FAS vom 23. 2. 2020, S. 15

1. 2. Die Signifikanten des Neandertalers

Vor ein paar hunderttausend Jahren also konnten die Menschen (z. B. die Neandertaler) bereits sprechen, wenn auch in völlig anderer Weise als wir es heute tun. Wahrscheinlich war ihr Sprechen jedoch so anders, dass unser Wort sprechen für eben diese Tätigkeit sogar missverständlich ist. Ich müsste meinen ersten Satz geradezu in der Art der 'Sprache' – oder besser: 'Spreche', 'Lautung' – der Früh-Menschen ausdrücken können, um von ihnen wirklich etwas mitzuteilen. Anderenfalls verfehlt mein Schreiben seinen Zweck. Denn sowohl 'sprechen' als auch 'Mensch' in diesem ersten Satz müsste ich gänzlich anders erfassen und einander zuordnen, als ich es mit unserer heutigen Ausdrucksweise tue. Denn es liegt ja nicht nur an der Unmöglichkeit einer Übersetzung der Neandertalersprache in unsere heutige verbale Kommunikation, sondern an der Unmöglichkeit einer Rekonstruierbarkeit dieser frühen artikulativen Tätigkeit überhaupt, die wir als 'menschliches Sprechen' bezeichnen. Umso mehr glaube ich, dass es wichtig wäre, schon durch die Art meines Schreibens das Originäre des Frühmenschen zum Ausdruck zu bringen. Denn das sich Mitteilen des Neandertalers – so meine These – spiegelte mehr dieses kontemplative Nicht-Denken wider, während wir mehr ,gerichtet' sprechen und denken.

Wie soll man also generell von so jemand Elementarem, so einem Urwesen wie dem späten homo erectus oder dem Neandertaler etwas aussagen? Er selbst würde sich selbst ja niemals in unseren trockenen Vokabeln und in unseren gestelzten Formulierungen wiedererfassen können. Umgekehrt könnten wir unsere komplizierten Ausdrücke für seine 'Urlaute' (Urphoneme, wenn so etwas wie ein Phonem, nämlich die klangliche Einheit des Sprechens, dafür überhaupt zutreffend ist) gar nicht verwenden. Es ergäbe sich also nur eine tiefe Miss-Kommunikation, träfen wir mit einem Neanderta1er zusammen. Wir können sicher sein, dass wir niemals wirklich wissen werden, wie der Neandertaler gesprochen, besser: 'gelautet' hat. Seine 'Spreche' war, wie man vermutet, eher ein Rufen, Singen und Lärmen, als wirkliche Rede, eher Evokation als Mitteilung.

Aber eben darin war er wieder sehr modern. Denn eigentlich, sagt Lacan, dient das Sprechen (oder sollte es) mehr der Evokation, der Enthüllung, als der Kommunikation und der Mitteilung. Ja, insoweit das Unbewusste des Menschen selbst schon Sprachliches, Symbolisches ist, sollte die Sprache ohnehin mehr Sage, Verlautung, Wort-Wirkendes sein, als oberflächliche Vermittlung und Kommunikation. Für die Psychoanalyse ist das Subjekt des Aussagens wichtiger als das der Aussage, das Wie fast authentischer als das Was. Man teilt sich – und das gilt natürlich auch außerhalb analytischer Sitzungen – eklatant mehr in dem mit, was man beim Sprechen nebenbei enthüllt, als in dem, was man inhaltlich sagt.

Was heißt das überhaupt: voll und authentisch sprechen, voll und ganz eine symbolische Ordnung austauschen, so dass nicht eigentlich hintenherum die Wahrheit erst gesucht werden muss, wie in den meisten Fällen von heutiger Kommunikation? Die Unmenge Gedrucktes und Gefilmtes, Gefachsimpeltes und Gequatschtes, Dahingeredetes und bis zum Geht-Nicht-Mehr Debattiertes kann ja nicht immer wirkliche Kommunikation im Sinne auch einer Enthüllung des Wahren und Zutreffenden sein! Das ist ja der Grund, warum ich gerne im Originalton reden möchte, der für uns heute wie für damals gelten würde. War uns nicht der Neandertaler vielleicht in vielem voraus, wenn er zwar nur Rülps- und Grunzlaute – wie unfreundlich gesinnte Forscher gemeint haben – von sich gab, darin aber viel mehr von sich, seinen Gefühlen und elementaren Affekten verriet, als wir es heute selbst in langen Gesprächen tun?

Lacan war ganz entsetzt über den berühmten Sprachwissenschaftler N. Chomsky, als dieser ihm gegenüber erklärte, die Sprache sei für ihn ein Organ, ein Werkzeug!22 Nach Chomsky ist die Sprache ein menschliches Werkzeug, das auf den Menschen selbst zurückwirken kann, während Lacan genau der gegenteiligen Auffassung ist: 'Der Mensch spricht' – hat die Fähigkeit zum Symbolisieren – 'aber er tut dies, weil das Symbol ihn zum Menschen gemacht hat'!23 Irgendetwas Symbolisches, eine primitive symbolische Ordnung, eine Art von Wort-Wirkendem, von einem Es Spricht ist schon da, bevor der Mensch erscheint, d. h. mit diesem Spricht erscheint er erst voll und ganz. Deswegen muss es eine Möglichkeit geben, dass wir ohne Miss-Kommunikation Vergleiche zwischen den Frühmenschen und uns anstellen können, ohne uns nur auf die Altertumswissenschaft, speziell die Paläoanthropologie beschränken zu müssen, die uns stets nur magere Funde liefert: ein paar Knochen, Reste einer Höhle, Grabbeigaben.

Natürlich will ich darauf hinaus, einen Zugang für uns heute zu gewinnen, der viel kompakter und einfacher als die klassische Psychoanalyse, aber auch wissenschaftlich fundiert hinsichtlich der Frühmenschen zu handhaben ist. Das erwähnte, neue Verfahren der Analytischen Psychokatharsis kann man üben wie eine Meditation, indem man eben diese originären Sprach-Elemente vermittels der genannten Formel-Worte (Wort-Formeln) wieder aufruft, wieder lebendig macht und zur Analyse verwendet. Auf all dies werde ich noch ausführlich zurückkommen, will aber den Leser nicht lange darauf warten lassen und wie bei den Pausen beim oben zitierten Guru immer wieder kleine Enthüllungen einsprengen. So könnte vielleicht das Lesen schon ein bisschen von der Kombination des Andern der Worte und der Sterne vermitteln.

Neuere paläoanthropologische Forschungen behaupten, 'die Neandertaler sind nicht unsere Vorfahren', weil jetzt endlich exakte Analysen von mitochondrialer DNS bewiesen haben, dass das genetische Muster zwischen den Frühmenschen und uns doch zu unterschiedlich 24. Allerdings schließen die DNS-Untersuchungen nicht aus, dass es doch in einem gewissen Grade Vermischungen zwischen den Neandertalern und den Cro-Magnon-Menschen (unseren gesicherten Vorfahren) gegeben hat und wir somit doch in sehr 'verdünntem' Maße genetisches Material von Neandertalern haben könnten. Das genetische Material ist dann eben so ausgedünnt, dass man die Vermischung nicht mehr nachweisen kann, bzw. es spielen auch noch andere epigenetische, nicht an die DNS gebundene Erb-Merkmale eine Rolle.25 Inzwischen haben jedoch genauere Untersuchungen eindeutig belegt, dass die Neandertaler unsere Vorfahren sind.26

Abb. 1 Neandertalerflöte und dessen kunstvoll ergänzende Rekonstruktion

Auch die Kulturstufe der Neandertaler war – wie K. Wong berichtet – wahrscheinlich doch der des moderneren Menschen viel ähnlicher, als man bisher annahm. So 'fertigten vor rund 90000 Jahren Neandertaler wie frühmoderne Menschen Werkzeuge der Moustérien-Stufe, der Kultur der mittleren Altsteinzeit'. Erst neueste Erkenntnisse – veröffentlicht in der renommierten Zeitschrift 'Nature' – belegen, dass Kunstwerke, die man lange Zeit dem Aurignacien (Altsteinzeit) zuschrieb, wie z. B. die Höhlenzeichnungen von Chauvet sowie Figuren und Flöten (siehe Abb. oben), ganz offensichtlich Werke des späten Neandertalers waren.27 Neandertaler und frühmoderne Menschen lebten einige Zehntausend Jahre mit- und nebeneinander und vermischten sich genetisch und kulturell zumindest in gewissem, begrenzten, Umfang. Schließlich aber wurden die Neandertaler durch zahlenmäßige Übermacht der heutigen Cro-Magnon-Menschen verdrängt, gingen in ihnen auf oder starben durch eigenes Fehlverhalten aus.

Aber darüber hinaus sind es ja vielmehr diese primären Signifikanten, diese in der Natur schon vorgezeichneten Kraftlinien ursprünglichster Bedeutungen, dieses Bild-Wort-Wirkende, eine Art von Es Strahlt / Spricht, das sie zu unseren engsten Verwandten macht. Das Genom ist nicht das Wesentliche unserer Identität. Denn viel wichtiger als die Genetik, die Physiologie, der Nachweis spezifischer DNS oder RNS, aber auch wichtiger als irgendeine 'geistige' Strebung, Kraft, Tendenz28 sind eben die Signifikanten, die uns zum Menschen und Nachfahren des Neandertalers werden ließen, indem sie uns den Stempel der symbolischen Ordnung (den Anderen der Worte) und der imaginären Strahlenwelt (das Andere der Sterne) schon eingedrückt haben, lange bevor wir uns im modernen Sinne vermitteln konnten. Diese Wort- und Bild-Anderen bestanden nämlich beim Neandertaler noch vorwiegend aus jener von Freud so genannten primärsten Identifizierungsart, die sich 'vor dem Hintergrund einer assimilierenden Verschlingung' abspielt. Kurz: diese Kombination der beiden Grundprinzipien drückte sich meist in einer Art von Silben-Kauen, von vorwiegend vokalischen Lauten beim gemeinsamen Verzehr, ja, vom 'Oralem' (Mundtrieb) aus, das ausgetauscht werden kann. Bekanntlich kann man sich mit Worten füttern (beim berühmten Kaffeeklatsch etwa oder gerade dann, wenn man sich 'zu gut' versteht), und die Neandertaler gaben sich diesbezüglich recht drastisch. Nicht nur, dass sie sehr viel vom Essen sprachen, ihr Sprechen hatte selbst den Charakter von Essgeräuschen und oralen Genusslauten.29 Es gab ein Ur-Gespräch, oder besser noch: eine Art Ur von Gespräch, in dem sie sich unterhielten, schwätzten und sch(w)(m)atzten. Sie liebten sich dabei so sehr, dass sie sich – freilich nur im Sinne eines rituellen Kannibalismus – auch fraßen.30

Auch wenn dies spekulativ ist, für mein Vorhaben ist es nicht so wichtig, quantitative oder qualitative Unterschiede zwischen uns und dem Neandertaler herauszuarbeiten, denn gerade im Bereich der Signifikanten, wo wir also am ehesten einen Vergleich zwischen uns und dem Neandertaler herstellen können, zählen just die Unterschiede nur insofern sie ohnehin nivelliert, ja gelöscht sind! Der verbale Signifikant ist nämlich eine gelöschte Spur, eine Tilgung der genannten Kraftlinien,