Der Angeber - Toni Waidacher - E-Book

Der Angeber E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Auf dem Schreibtisch Pfarrer Trenkers klingelte das Telefon. Sebastian, der an seiner nächsten Sonntagspredigt arbeitete, nahm die Hände von der Tastatur, griff nach dem Hörer und stellte mit einem Blick auf das Display fest, dass es sich bei dem Anrufer um Bürgermeister Bruckner handelte. Sebastian nahm das Gespräch an. »Habe die Ehre, Markus«, grüßte er. »Ich wollt' dich gestern Nachmittag erreichen, mir ist aber gesagt worden, dass du dich in einer Gesprächsrunde mit deinen Ressortleitern und –leiterinnen befunden hast.« »Drum ruf ich Sie jetzt zurück, Hochwürden«, erwiderte der Bürgermeister. »Wie's die Angermeier-Lisbeth zugesagt hat.« »Ja, auf deine Sekretärin ist Verlass«, erklärte der Pfarrer. »Auf mich etwa net, Hochwürden?«, hakte der Gemeindevorsteher sofort ein. »Sie müssten mich doch kennen. Ein Mann, ein Wort.« »Das ist es, was ich an dir so schätze, Markus«, schmunzelte Sebastian. »Das hat doch schon wieder ironisch geklungen«, beschwerte sich Bruckner. »Nein, das war ehrlich gemeint, Markus«

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Bergpfarrer – 519 –Der Angeber

Er sah sich als Maß aller Dinge

Toni Waidacher

Auf dem Schreibtisch Pfarrer Trenkers klingelte das Telefon. Sebastian, der an seiner nächsten Sonntagspredigt arbeitete, nahm die Hände von der Tastatur, griff nach dem Hörer und stellte mit einem Blick auf das Display fest, dass es sich bei dem Anrufer um Bürgermeister Bruckner handelte.

Sebastian nahm das Gespräch an. »Habe die Ehre, Markus«, grüßte er. »Ich wollt‘ dich gestern Nachmittag erreichen, mir ist aber gesagt worden, dass du dich in einer Gesprächsrunde mit deinen Ressortleitern und –leiterinnen befunden hast.«

»Drum ruf ich Sie jetzt zurück, Hochwürden«, erwiderte der Bürgermeister. »Wie’s die Angermeier-Lisbeth zugesagt hat.«

»Ja, auf deine Sekretärin ist Verlass«, erklärte der Pfarrer.

»Auf mich etwa net, Hochwürden?«, hakte der Gemeindevorsteher sofort ein. »Sie müssten mich doch kennen. Ein Mann, ein Wort.«

»Das ist es, was ich an dir so schätze, Markus«, schmunzelte Sebastian.

»Das hat doch schon wieder ironisch geklungen«, beschwerte sich Bruckner.

»Nein, das war ehrlich gemeint, Markus«, widersprach der Bergpfarrer. »Im Großen und Ganzen trifft es nämlich zu. Aber das ist kein Thema, über das man diskutieren muss. Ich halt‘ demnächst wieder ein Grillfest im Hof von Schloss Hubertusbrunn, und dazu will ich dich und deine Gattin einladen. Das Publikum ist in etwa das gleiche wie in den vergangenen Jahren. Wir treffen uns um elf Uhr auf dem Pfarrplatz und marschieren dann gemeinsam nach Hubertusbrunn. Ich kann doch mit dir und deiner werten Gattin rechnen, Markus?«

»Muss denn das sein, Hochwürden?«

»Ich versteh‘ nicht, Markus. Meinst du das Grillfest? Das ist doch schon Tradition, dass ich es abhalt‘. Wenn du natürlich kein Interesse hast, daran teilzunehmen, dann sag’s. Ich kann dich ja nicht zwingen, meiner Einladung zu folgen.«

»Das mein ich doch gar nicht, Hochwürden. Das Grillfest ist in der Tat schon zur festen Einrichtung in der Gemeinde geworden, und ich komm‘ auch liebend gern hin. Wenn ich frag‘, ob das sein muss, dann mein‘ ich den Fußmarsch vom Ort bis zum Schloss. Das sind ein schönes paar Kilometer, und ich habe Ihnen schon gefühlte tausend Mal erzählt, dass ich fußkrank bin.«

»Ja, ja, ich weiß: Spreiz-, Senk- und Plattfüße.« Sebastian lachte. »Das ist sicher nicht besser geworden, bei dem Gockerlfriedhof, den du vor dir herträgst. In deinen Trachtenjanker passt du ja fast schon nimmer rein, und dass von deiner Weste nicht schon lang die Knöpfe davongesprungen sind, wundert mich. So ein kleiner Fußmarsch wird dich nicht umbringen.«

»Dieser – hm, Gockerlfriedhof, wie Sie meinen Bauch nennen, Hochwürden, hat mich sehr viel Geld gekostet. Ein leerer Sack steht nämlich nicht. Aber Spaß beiseite: Kann man das mit dem gemeinsamen Marsch nach Hubertusbrunn nicht weglassen? Heimwärts fällt einem das Laufen ja noch viel schwerer, wenn man sich mit vollem Magen und zwei oder drei Seideln Bier in der Blutbahn auf den Weg machen muss.«

»Gerade dann ist so ein kleiner Verdauungsspaziergang angebracht. Außerdem solltest du nicht vergessen, Markus, dass bald die Gemeinderatswahlen anstehen. Wenn du wieder Bürgermeister werden willst, dann ists nur von Vorteil, wenn du dich mit so vielen Leuten – sprich Wählern -, wie möglich an einen Tisch setzt.«

»Die wählen mich auch so, Hochwürden. Denen ist es wurscht, ob ich dick oder dünn bin. Die brauchen einen, der die Gemeinde repräsentiert, der kluge Entscheidungen trifft, der das Wohl seiner Bürger im Auge hat. Außerdem wird sich außer mir niemand als Kandidat aufstellen lassen. Oder ...«, Bruckners Stimme wurde lauernd, »... haben Sie was Anderes gehört.«

»Hab‘ ich nicht, Markus. Keine Sorge. Es gibt, soviel ich weiß, keinen Konkurrenten. Dennoch wär’s gut, wenn du dich mit deinen Wählern ein bissel verbrüdern tätest. Es ist doch erhebend, wenn du nach der Wahl das Gefühl hast, gewählt worden zu sein, weil du beliebt bist und nicht, weil kein anderer da war, den man hätte wählen können.«

»Da haben S‘ natürlich recht, Hochwürden. Schon gut, schon gut, ich mach‘ den Marsch mit. Ich werde im Endeffekt ja auch dafür entschädigt; Bratwurstsemmeln, Steaks, frisches Bier ... Was will der Mensch mehr?«

»Dann notier‘ dir den Termin«, sagte Sebastian und nannte den Tag, an dem das Grillfest stattfinden sollte. »Um elf Uhr treffen wir uns, wie schon gesagt, auf dem Pfarrplatz, Markus. Ansonsten, hoff‘ ich, ist bei dir alles im grünen Bereich.«

»Ich kann nicht klagen, Hochwürden. In der Gemeinde herrscht Ruhe. Nachdem wir das Projekt Gschwandnerweiher ad acta legen konnten, herrscht Friede auf der ganzen Linie. Gott sei Dank, möcht‘ ich fast sagen. Jeder Streit zehrt an den Nerven und geht an die Substanz.«

»Vor allem, wenn man ihn heraufbeschworen hat, Markus, und am Ende die Waffen strecken muss, gell?«, erwiderte Sebastian und grinste. »Es ist jedoch nicht der Streit als solcher, der an den Nerven zehrt, sondern es ist die Niederlage. Aber da kann ich nicht mitreden.«

»Jetzt legen S‘ den Finger bei mir wieder in alte Wunden, Hochwürden«, beschwerte sich der Bürgermeister. »Aber das bin ich gewohnt, drum reg‘ ich mich nicht auf. Irgendwann werde auch ich triumphieren.«

»Das lassen wir mal dahingestellt, Markus. Du weißt jetzt Bescheid. Meiner Stimme kannst du jedenfalls sicher sein bei der Wahl. Mein Leben wäre ohne dich ausgesprochen eintönig. Du gestaltest es nämlich oft sehr kurzweilig.«

»Danke, Hochwürden, danke für die Blumen. Ich bin immer hocherfreut, wenn ich Ihnen eine Freude bereiten kann. Das sag‘ ich, ohne sarkastisch klingen zu wollen.«

»Servus, Markus, und – danke für den Rückruf. Wir sehen uns.«

»Gott behüte Sie, Hochwürden. Aber das tut er wahrscheinlich sowieso. Der Herr gibt es den Seinen nämlich im Schlaf, hab‘ ich mir sagen lassen. Einen schönen Tag noch.«

Sebastian legte auf, holte die Liste mit den Namen der Leute, die er zu dem Grillfest einzuladen gedachte, aus dem Schreibtischschub und machte hinter den Namen Bruckner einen Haken.

*

Wenn man von Norden her ins Wachnertal will, muss man über einen Pass. Auf dem höchsten Punkt des Passes hatte man einen Parkplatz und eine Aussichtsplattform angelegt. Von dort oben aus konnte sich jeder einen ersten Überblick über das Tal verschaffen. Es wurde von bewaldeten Bergen begrenzt, wobei es sich hauptsächlich um gesunden, sattgrünen Nadelwald handelte. Dahinter erhoben sich die Felsketten des Hochgebirges, die entweder völlig vegetationslos waren oder grünlich schimmerten, weil sie von Moosen und Flechten bedeckt waren. In den Schattenfeldern lag noch der Schnee vom vergangenen Winter.

Das Tal mit seinen drei Gemeinden bot einen malerischen Anblick. Die Kupferdächer der Kirchen wiesen eine grüne Patina auf. Es gab eine Vielzahl von ausgelagerten Bauernhöfen, die inmitten der zu ihnen gehörenden Nutzflächen erbaut worden waren. Die Kachlach, die hoch oben beim Gletscher entsprang und sich als Wildbach ins Tal ergoss, wo sie sich beruhigte und ihrer Mündung in den Achsteinsee entgegenströmte, bildete eine graugrüne, gewundene Linie am Rand des Tales. Der See mutete an wie ein flüssig gewordener Smaragd.

Auf den Parkplatz auf dem Pass rollte ein eleganter, metallicsilberner Audi S5 Cabriolet. Der Wagen kam zum Stehen, der Motor wurde abgestellt, heraus stieg ein großgewachsener, schlanker Mann von etwa dreißig Jahren, mit schwarzer Hose, weißem, kurzärmligem Hemd und weißen Sneakers bekleidet. Er hatte die schwarzen Haare straff zurückgekämmt, über seiner Oberlippe trug er einen Clark-Gable-Schnurrbart, der wie ein schwarzer Strich anmutete und dem Mann etwas Dandyhaftes verlieh.

Er erregte die Aufmerksamkeit einiger Touristen, die sich auf der Aussichtsplattform befanden, und es war nicht nur sein extravagantes Auftreten, es war auch, weil er am linken Handgelenk eine schwere, goldene Uhr, eine Rolex, trug, am rechten Handgelenk ein Herrenarmband mit wuchtigen, goldenen Gliedern, und um den Hals eine dazu passende Kette, die weit auf seine Brust hinunterhing. Seine Arme waren durchgehend tätowiert.

Er war gewiss ein bemerkenswerter Zeitgenosse. Er selbst achtete jedoch auf nichts und niemand, trat an das Eisengeländer heran, mit dem die Plattform gesichert war, und ließ seinen ausdruckslosen Blick über das Wachnertal schweifen. Er zeigte sich völlig unbeeindruckt. Achselzuckend wandte er sich ab und ging zu seinem Auto zurück. Er stieg ein, schloss aber noch nicht die Tür, sondern griff nach seinem Apple iPhone, das auf dem Beifahrersitz lag, und wählte eine Nummer aus dem digitalen Telefonbuch an. Das Freizeichen tutete, dann meldete sich eine Stimme: »Hotel ›Zum Löwen‹, St. Johann, Sie sprechen mit Susanne Reisinger. Was kann ich für Sie tun?«

»Hofmeister – Marcel Hofmeister«, sagte der stutzerhafte Mann. »Ich habe bei Ihnen ein Zimmer gebucht und werde in etwa einer Viertelstunde bei Ihnen ankommen. Ich hoffe, dass ich das Zimmer unverzüglich beziehen kann.«

Ein paar Sekunden verstrichen, in denen Susanne Reisinger mit einigen Mausklicks die Anmeldung Hofmeisters auf den Bildschirm holte, dann sagte sie: »Richtig, Herr Hofmeister. Sie haben das Zimmer ab heute gebucht, zunächst für vier Wochen, haben sich aber die Möglichkeit ausbedungen, zu verlängern. Ja, das Zimmer ist bezugsfertig. Sie können also sofort einchecken, sobald Sie angekommen sind.«

»Sehr gut«, lobte Marcel und warf einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. »Es ist jetzt Viertel nach zwei Uhr. Um halb drei schlage ich bei Ihnen auf. Bis dann.«

Er beendete das Gespräch, warf das iPhone wieder auf den Beifahrersitz, schlug die Autotür zu und startete den Motor. Wenig später rollte er die engen Serpentinen hinunter, fuhr ins Tal hinein und langte bald darauf in St. Johann an. Im Schritttempo und mit offenem Verdeck fuhr er die Hauptstraße des Ortes entlang. Sein linker Arm hing über die Fahrertür und baumelte lässig an ihr nach unten.

Marcel machte sich ein Bild von dem Ort. Die Häuser waren im alpenländischen Stil erbaut, auf den Fensterbänken und an den Balkonen blühten Geranien und Petunien um die Wette, an vielen Fassaden waren kunstvolle Lüftlmalereien zu sehen. Der Ortskern wurde von Geschäften der verschiedensten Art und von Cafés, Eisdielen sowie Restaurants geprägt. Die Außenservicebereiche waren proppenvoll mit Gästen.

Auch jetzt blieb sein Gesicht unbewegt. Es verriet nicht die geringste Gemütsregung. Seine Welt war eigentlich eine andere. ›Du wirst dich daran gewöhnen‹, sagte er sich. ›Der Mensch ist ein Gewohnheitstier‹, fügte er in Gedanken hinzu. ›Du musst dich eben mit den Gegebenheiten arrangieren. Misch‘ dich einfach unter diese Plebejer, die hier überall herumlaufen und herumsitzen, und tu‘ so, als ob du einer von ihnen wärst.‹

Er erreichte schließlich das Hotel und steuerte den Audi auf den hoteleigenen Parkplatz. Seine Mundwinkel sanken geringschätzig nach unten. ›Mit dem Adlon kann dieser Schuppen nicht mithalten‹, sinnierte er. ›Aber es wird zu ertragen sein. Ich lasse mich gerne überraschen.‹

Wenig später betrat er das Hotel. In der Rezeption saß Susanne Reisinger, die älteste Tochter des Hotelinhabers, der sich weitestgehend aus dem Geschäft zurückgezogen und Susi die Führung übertragen hatte. Sie arbeitete am Computer, nahm aber die Hände von der Tastatur und hob den Blick, als Marcel sich näherte. Susi lächelte freundlich.

»Guten Tag«, grüßte der neue Gast. »Wir haben vorhin miteinander telefoniert. Mein Name ist Hofmeister.« Susis Lächeln erwiderte er nicht.

Susis erster Eindruck war vernichtend. ›Ein Schnösel, wie er im Buch steht!‹, durchfuhr es sie, und ihr Lächeln gerann. »Sie haben um ein Zimmer zum Hof gebeten«, sagte sie. »Sie möchten es wohl ruhig haben, wie?«

»Ja, ja. Geben Sie mir den Schlüssel. Ich habe einige hundert Kilometer am Steuer gesessen und will mich frisch machen. Mein Gepäck befindet sich auf dem Rücksitz meines Wagens. Sorgen Sie dafür, dass es aufs Zimmer geschafft wird. Das Verdeck des Wagens ist offen und die Türen sind nicht verriegelt. In einem Ort wie diesem gibt es wahrscheinlich nur ehrliche Leute. Das hoffe ich zumindest.«

»Nachts würde ich das Verdeck dennoch schließen«, riet Susi. »Hin und wieder ziehen nämlich ein paar Regenwolken über das Tal, und ich weiß nicht, ob Sie’s besonders prickelnd finden, wenn die Sitze Ihres Autos durchnässt sind.«

»Danke für den wertvollen Tipp«, erwiderte Marcel etwas spöttisch, dann nahm er von Susi den Zimmerschlüssel in Empfang.

»Erster Stock«, sagte Susi, »zweite Tür links. Ihr Gepäck lass‘ ich aufs Zimmer bringen.«

Wortlos wandte sich Marcel ab, ging zur Treppe, stieg sie empor und verschwand schließlich aus Susis Blickfeld. Susi schüttelte den Kopf, was ungläubiges Staunen zum Ausdruck brachte. ›Keine Bitte, kein Danke‹, dachte sie. ›Was ist denn das für ein Stoffel?‹

Marcel Hofmeister war ihr unsympathisch. Sie fand sein Verhalten, seine Arroganz, geradezu widerwärtig, sagte sich aber, dass es sich bei ihm um einen Gast handelte, den sie genauso freundlich behandeln würde wie jeden anderen Gast auch. Gut Miene zum bösen Spiel zu machen hatte sie gelernt.

Susi veranlasste, dass Marcels Gepäck aus dem Auto geholt und auf sein Zimmer gebracht wurde. Als einmal Heidi, ihre Schwester, an der Rezeption vorbeikam, sagte Susanne leise: »Heut‘ ist einer bei uns angekommen, der strotzt geradezu vor Überheblichkeit. Sein Name ist Marcel Hofmeister. Er kommt aus Berlin. Er schaut zwar sehr gut aus, aber das ändert nix an der Tatsache, dass er ein übertrieben eingebildeter Mensch ist. So einen Mann möcht‘ ich nicht geschenkt.«

»Du machst mich neugierig«, bekannte Heidi. Sie war Sepp Reisingers zweitälteste Tochter.

»Der Kerl wird dir wahrscheinlich genauso suspekt erscheinen wie mir«, prophezeite Susi. »Er hat für mindestens vier Wochen gebucht. Sieht aus, als würde er sich eine längere Auszeit nehmen. Aus seinem Auftreten schließe ich, dass er es gewohnt ist, Anordnungen zu erteilen. Das Auto, das er fährt, ist auch nicht gerade billig. Wahrscheinlich ein ziemlich erfolgreicher Geschäftsmann, der ein bissel Ruhe sucht.«

»Beim Abendessen werde ich ihn ja sehen«, erwiderte Heidi. »Dann kann ich mir selbst ein Bild von ihm machen.«

»Stimmt«, sagte Susi. »Du bist ja diese Woche jeweils abends für den Service im Restaurant zuständig. Ja, der Herr Hofmeister hat Halbpension gebucht. Er wird also im Hotel zu Abend essen. Ich bin gespannt, wie du ihn empfindest.«

»Es wird sich zeigen«, versetzte Heidi und ging weiter.

Tatsächlich fiel ihr Marcel Hofmeister sofort auf, als er später den Speisesaal betrat. ›Donnerwetter!‹, durchfuhr es sie. ›Das ist ja ein Bild von einem Mann, wenn er auch fast ein bissel zu geleckt aussieht. Der kommt ja daher wie frisch aus dem Ei gepellt. Aber im Großen und Ganzen schaut er sehr gut aus. Er trägt halt zur Schau, was er hat.‹

Marcel war an der Tür stehen geblieben. Mit erhobener linker Braue schaute er sich um. Denn steuerte einen Tisch an, der nur für zwei Leute gedacht war, und ließ sich nieder.

Im Restaurant hatten sich schon einige Gäste eingefunden. Einige der Leute taxierten Marcel ziemlich unverhohlen, er jedoch beachtete niemand. Er legte wie beiläufig den linken Unterarm auf den Tisch und jeder konnte die goldene Rolex an seinem Handgelenk sehen.

Ob er jemand damit beeindruckte, war schlecht abzuschätzen. Die meisten dachten sich wohl ihren Teil und stuften ihn als das ein, was er war: Ein Angeber, einer, der beeindrucken wollte, wahrscheinlich ein Mensch, der sich selbst für das Maß der Dinge hielt.

Heidi allerdings gefiel er. Sie fand sein Verhalten irgendwie weltmännisch. Er verströmte etwas, das ihn anderen überlegen erscheinen ließ. Heidi fand, dass dieses dominierende Verhalten nicht aufgesetzt war, sondern dem Naturell dieses Mannes entsprach.

Sie begab sich zu seinem Tisch. »Guten Abend«, grüßte sie und schaute ihm in die Augen. »Sie habe ich hier noch nicht gesehen. Sind S‘ heut‘ angekommen, wie?«

»Sehr richtig. Sie haben große Ähnlichkeit mit der Rezeptionistin. Sind Sie Schwestern?«

»Ja, die Susi ist meine ältere Schwester. Sie müssen wissen, wir sind ein Familienbetrieb. Wir haben noch eine jüngere Schwester. Sie bedient heut‘ im Biergarten. Was darf ich Ihnen denn zum Trinken bringen, Herr ...« Sie schaute Marcel fragend an.

»Hofmeister«, stellte er sich vor. »Ich denke, ich genehmige mir eine Flasche Weißwein. Genau. Aber etwas Vernünftiges, das man auch trinken kann. Auf keinen Fall irgendeinen billigen Hauswein.«

»Sie können den Wein kosten«, erwiderte Heidi. »Wie soll er denn sein? Trocken, halbtrocken oder lieblich.«

»Trocken.«

Heidi bedankte sich und wandte sich ab, um den Wein zu holen.

»Und vergessen sie nicht, einen Weinkühler mitzubringen, junge Frau«, rief ihr Marcel hinterher. »Weißwein kann man nur eiskalt genießen«, verdeutlichte er.

»Sie bekommen den Wein im Kühlbehältnis, Herr Hofmeister«, versicherte Heidi und dachte: ›Will er vermitteln, dass er über besonders viel Stil verfügt? Oder verfügt er tatsächlich über ein hohes Maß an Stil und das, was andere für Arroganz halten, ist einfach nur Autorität, die angeboren oder anerzogen ist?‹