Missklang der Herzen - Toni Waidacher - E-Book

Missklang der Herzen E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Wie jeden Morgen, während Pfarrer Trenker die Frühmesse las, begab sich seine Haushälterin zur Bäckerei Terzing, um für sein Frühstück frische Semmeln oder Stangerln zu holen. Sehr oft traf sie bei dieser Gelegenheit die Dorftratsche Nummer eins, die Maria Erbling, die Witwe des früheren Poststellenleiters von St. Johann. Maria wusste immer etwas zu berichten. Meistens waren es üble Gerüchte, denen sie meist noch etwas Zündstoff verlieh, indem sie aus der Mücke einen Elefanten machte. Auch an diesem Samstagmorgen steuerte Sophie Tappert wieder die Bäckerei an. Von Weitem sah sie schon vier Frauen vor dem Schaufenster des Ladens stehen, unter ihnen die Erbling-Maria, die – wie meistens – den Alleinunterhalter spielte. Sie redete auf die anderen Frauen ein und fuchtelte dabei mit beiden Händen in der Luft herum, wohl um dem, was sie zum Besten gab, mehr Nachdruck zu verleihen. Sophie ging der Tratschtante gern aus dem Weg, denn es lag ihr fern, sich deren Gequassel anzuhören und es vielleicht sogar noch zu kommentieren. Ein gewisses Maß an Neugierde war allerdings auch der mütterlichen Pfarrhaushälterin zu eigen, was ganz normal ist und der menschlichen Natur entspricht, denn das eine oder andere Mal hatte die Erbling-Maria auch etwas zu verlautbaren, das das Interesse des Pfarrers zu wecken imstande war und ihn des Öfteren veranlasste, mäßigend einzugreifen. Also näherte sich Sophie dem Quartett. Da erspähte die Maria sie auch schon, unterbrach ihre Statements und rief: »Einen wunderschönen guten Morgen, Frau Tappert. Wie gehts, wie steht's. Ich geh' aber davon aus, dass im Pfarrhaus alles seine Ordnung hat. Wär's nämlich net der Fall, dann wüsst' ich mit Sicherheit Bescheid.« »Das unterstell' ich«, erwiderte Sophie lakonisch, dann grüßte sie in die Runde, ihr Gruß wurde erwidert, und sie fragte: »Was gibt es denn Interessantes zu vermelden, Frau Erbling. Sie ziehen wieder einmal die Leute in Ihren Bann. Ist es was Schlimmes? Vielleicht etwas, das ich auch wissen sollte?«

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Seitenzahl: 135

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Bergpfarrer – 518 –

Missklang der Herzen

Julia verzweifelt an ihrer Liebe

Toni Waidacher

Wie jeden Morgen, während Pfarrer Trenker die Frühmesse las, begab sich seine Haushälterin zur Bäckerei Terzing, um für sein Frühstück frische Semmeln oder Stangerln zu holen. Sehr oft traf sie bei dieser Gelegenheit die Dorftratsche Nummer eins, die Maria Erbling, die Witwe des früheren Poststellenleiters von St. Johann. Maria wusste immer etwas zu berichten. Meistens waren es üble Gerüchte, denen sie meist noch etwas Zündstoff verlieh, indem sie aus der Mücke einen Elefanten machte.

Auch an diesem Samstagmorgen steuerte Sophie Tappert wieder die Bäckerei an. Von Weitem sah sie schon vier Frauen vor dem Schaufenster des Ladens stehen, unter ihnen die Erbling-Maria, die – wie meistens – den Alleinunterhalter spielte. Sie redete auf die anderen Frauen ein und fuchtelte dabei mit beiden Händen in der Luft herum, wohl um dem, was sie zum Besten gab, mehr Nachdruck zu verleihen.

Sophie ging der Tratschtante gern aus dem Weg, denn es lag ihr fern, sich deren Gequassel anzuhören und es vielleicht sogar noch zu kommentieren. Ein gewisses Maß an Neugierde war allerdings auch der mütterlichen Pfarrhaushälterin zu eigen, was ganz normal ist und der menschlichen Natur entspricht, denn das eine oder andere Mal hatte die Erbling-Maria auch etwas zu verlautbaren, das das Interesse des Pfarrers zu wecken imstande war und ihn des Öfteren veranlasste, mäßigend einzugreifen. Also näherte sich Sophie dem Quartett.

Da erspähte die Maria sie auch schon, unterbrach ihre Statements und rief: »Einen wunderschönen guten Morgen, Frau Tappert. Wie gehts, wie steht’s. Ich geh‘ aber davon aus, dass im Pfarrhaus alles seine Ordnung hat. Wär’s nämlich net der Fall, dann wüsst‘ ich mit Sicherheit Bescheid.«

»Das unterstell‘ ich«, erwiderte Sophie lakonisch, dann grüßte sie in die Runde, ihr Gruß wurde erwidert, und sie fragte: »Was gibt es denn Interessantes zu vermelden, Frau Erbling. Sie ziehen wieder einmal die Leute in Ihren Bann. Ist es was Schlimmes? Vielleicht etwas, das ich auch wissen sollte?«

»Es ist nix von allzu großer Bedeutung, Frau Tappert«, antwortete Maria. »Es geht um die Dobner-Julia. Ich habe das Mädchen gestern getroffen und mich mit ihm eine Weile unterhalten. Die Julia ist nicht zu beneiden. Ihre Mutter, die Resi, ist voll und ganz auf sie angewiesen. Die kann sich überhaupt nimmer selber helfen.«

»Der Hochwürden besucht sie von Zeit zu Zeit«, sagte Sophie. »Von ihm weiß ich, dass sich der Gesundheitszustand der Resi in letzter Zeit wieder verschlechtert hat. Sie sitzt die meiste Zeit im Rollstuhl. Es stimmt: Die Julia ist wirklich nicht zu beneiden. Der Hochwürden meint, wenn sich der Gesundheitszustand der Resi noch mehr verschlechtert, dann wird der Julia nix anderes übrig bleiben, als sie ins Heim zu geben.«

»Auf Rosen sind die beiden auch nicht gerade gebettet«, erzählte die Maria. »Die Julia kann wegen der Pflege ihrer Mutter nur Teilzeitarbeit verrichten, hat allerdings zum Saisonbeginn keinen Arbeitgeber gefunden, der bereit gewesen wäre, sie zu den Arbeitszeiten, die ihr möglich sind, einzustellen. Jetzt bezieht sie Arbeitslosengeld. Die Resi erhält eine kleine Rente und Pflegegeld. Das Geld reicht gerade von einem Ersten zum nächsten, hat mir die Julia verraten. Und da müssen sie jeden Cent zweimal umdrehen. Sie leben gewissermaßen von der Hand in den Mund.«

»Manche trifft es schon hart«, sagte eine der Frauen in der Runde. »Aber die Julia und ihre Mutter sind nicht die Einzigen, die zu krebsen haben. Alles wird immer teurer, und das Geld, das manche Leute zur Verfügung haben, reicht hinten und vorne nicht. Aber was nützt es, wenn man sich beschwert. Ändern kann man’s eh nicht.«

»Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig«, pflichtete eine der anderen Frauen der Sprecherin bei. »Ja, so ist halt das Leben. Das ist kein Kindergeburtstag. Man muss schauen, wo man bleibt.«

»Das ist wahr«, stöhnte die Erbling-Maria. »Um auf die Julia zurückzukommen: Sie hat mir schon leidgetan. Das Mädchen hat fast ein bissel verzweifelt gewirkt. Es möcht‘ arbeiten, aber es kann nicht so, wie die potenziellen Arbeitgeber es fordern. Nimmer lang, hats lamentiert, dann läuft das Arbeitslosengeld aus, und dann kanns Bürgergeld beantragen. Die Julia weiß nicht, wie’s weitergehen soll. Ins Heim will sie ihre Mutter auch nicht stecken.«

Sophie kannte das Schicksal Julia Dobners und ihrer Mutter Resi. Bei Resi hatte es mit Mitte vierzig begonnen. Es war Multiple Sklerose, eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, die trotz ärztlicher Bemühungen, sie zu verlangsamen oder zu stoppen, immer mehr fortgeschritten war. Seit längerer Zeit war Resi Dobner ein Pflegefall, doch Julia hatte es nicht übers Herz gebracht, ihre Mutter in Heimpflege zu geben.

»Ich muss weiter«, erklärte die Pfarrhaushälterin. »Das Schicksal der Resi geht einem schon nahe. Aber was will man machen? Hat die Julia schon einmal mit der Brandner-Silke gesprochen?«

»Mit der Gemeindeschwester?«, sinnierte die Erbling-Maria halblaut. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie dann mit etwas erhobener Stimme. »Wenn ich die Julia wieder einmal treffen sollt‘, werde ich sie drauf hinweisen. Die Kosten für die Hilfe müsst‘ doch die Pflegeversicherung übernehmen.«

»Da kenn‘ ich mich nicht so aus«, gestand Sophie. »Damit habe ich mich auch noch gar nicht befasst. Ja, Frau Erbling, geben S‘ der Julia den Tipp. Ich befürchte allerdings, dass die Pflegeversicherung für die Kosten einer Pflegehilfe nicht separat aufkommt, sondern dass sie die Resi von dem Pflegegeld bestreiten muss, das ihr ausgezahlt wird. – Also dann! Ich wünsch‘ allseits noch einen schönen Tag. Ich muss zusehen, dass ich das Frühstück für den Hochwürden auf den Tisch bekomm‘. Auf Wiedersehen, die Damen.«

Sophie beeilte sich, in die Bäckerei zu kommen. Es war nichts Neues, was sie aus dem Mund der Erbling-Maria erfahren hatte. Sie kaufte frische Semmeln und kehrte auf schnellstem Weg ins Pfarrhaus zurück. Es war ihr persönlicher Ehrgeiz, dafür zu sorgen, dass sich der Pfarrer nach der Messe an einen gedeckten Frühstückstisch setzen konnte.

Als zwanzig Minuten später der Pfarrer beim Frühstück saß, erzählte ihm Sophie von den Problemen Julia Dobners und ihrer kranken Mutter. »Ich weiß das schon«, war Sebastians Kommentar. »Und ich habe auch schon die verschiedensten, infrage kommenden Arbeitgeber angesprochen. Die brauchen alle Arbeitskräfte, deren Arbeitszeit sich festlegen lässt. Die Julia kann nur unregelmäßig arbeiten. Ich kann die Arbeitgeber verstehen, wenn sie sagen, tut mir leid. Andererseits ist jede Ablehnung für die Julia ein Grund, wieder ein Stück mehr zu resignieren.«

»Kann man ihr denn nicht helfen?«, fragte die empathische Sophie, die in einem hohen Maß mitlitt, wenn sie hören musste, dass sich manche Mitmenschen ohne eigenes Verschulden in Notlagen befanden, aus denen meistens kein Ausweg führte. »Es wird ja nicht besser, wenn die Julia aus dem Arbeitslosengeldbezug aussteuert und nur noch Bürgergeld erhält.«

»Ich kann allenfalls meine Bemühungen verstärken, doch noch jemand zu finden, der die Julia zu den ihr möglichen gleitenden Arbeitszeiten einstellt«, erklärte Sebastian. »Oder ich rede ihr zu, dass sie die Resi in ein Pflegeheim gibt. Die Hauptkostenlast müsst‘ dann die Sozialhilfe tragen, weil bei der Julia nix zu holen wär‘.«

»Vielleicht sollten S‘ wirklich mal mit ihr reden, Hochwürden«, riet Sophie Tappert.

Sebastian schaute nachdenklich drein und nickte wiederholt.

*

Der dreißigjährige Alfred Grünauer, der zusammen mit seiner zweiundsechzigjährigen Mutter einen Aussiedlerhof in der Gemeinde St. Johann bewirtschaftete, war am Montagmorgen mit dem Traktor in den Wald gefahren, um das Totholz, für das im Winter die Schneelasten und der eine oder andere Sturm gesorgt hatten, herauszuholen, ehe sich Schädlinge wie der Borkenkäfer darüber hermachten, die auch den gesunden Bestand an Bäumen gefährden konnten. Jetzt, zurzeit des Sonnenuntergangs, kehrte er nach Hause zurück. Er stellte den Schlepper in die Garage, schloss das Tor und begab sich mit der Gewissheit ins Wohnhaus, in der Küche seine Mutter anzutreffen, die für ihn das Abendessen zubereitete.

Seine Mutter war nicht in der Küche.

Alfred kehrte in den Flur zurück und rief laut: »Mama! – Mama, hörst du mich denn nicht? Wo bist du denn? Mama!« Seine Stimme hallte durch das ganze Haus und war bis in die obere Etage zu vernehmen, doch Alfred erhielt keine Antwort. Sorge stieg in ihm hoch und staute sich in seiner Brust. Er schaute zuerst im Erdgeschoss in alle Räume, dann lief er hinauf in die erste Etage, um dort alle Türen aufzureißen und einen Blick in die Zimmer zu werfen. Dabei rief er immer wieder nach seiner Mutter.

Er fand sie im ganzen Haus nicht. Also rannte er hinüber in den Stall. Und da lag sie im Gang zwischen den Boxen für die Kühe. Neben ihr lag eine Mistgabel auf dem Betonboden. Alfred war wie elektrisiert. »Mama!«, keuchte er und beugte sich über sie. Sie lag auf der Seite und hatte die Augen geschlossen. Ihr Gesicht war leichenblass, aber sie atmete. »Großer Gott, Mama!« Der Dreißigjährige war vollkommen perplex. Er richtete sich auf, versuchte sein aufgewühltes Inneres unter Kontrolle zu bringen und einen klaren Gedanken zu fassen. Es gelang ihm leidlich, und er begriff, dass er den Rettungsdienst rufen musste.

Sein Handy steckte in der Tasche seiner Arbeitsjacke, die er noch immer anhatte. Mit zittriger Hand holte er es heraus, die Nummer des Rettungsdienstes war bei seinen Kontakten gespeichert. Gleich darauf hatte er die Rettungsleitstelle an der Strippe. Er nannte seinen Namen und erklärte mit gehetzter Stimme, dass er seine Mutter besinnungslos im Kuhstall aufgefunden hatte.

»Atmet sie noch?«, wurde Alfred gefragt.

»Ja. Aber Sie ist bleich wie ein ... wie ein Leichentuch. Ihre Lippen sind leicht bläulich verfärbt. Bitte, schicken Sie jemand, ehe meine Mutter stirbt.«

»Sagen Sie mir Ihre Adresse, Herr Grünauer.«

Alfred nannte sie.

»Ich veranlasse alles«, wurde ihm versichert. »Kümmern Sie sich in der Zwischenzeit um Ihre Mutter. Sollte sie zu atmen aufhören, müssen Sie eine Herzdruckmassage durchführen. Wissen Sie Bescheid?«

»Ja, ja, ich hab‘ einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert.«

»Der Notarzt und sein Team machen sich sofort auf den Weg.«

Tatsächlich konnte Alfred schon wenige Minuten später die Sirene der Ambulanz hören. Sie wurde schnell lauter und war schließlich ohrenbetäubend. Der Notarztwagen und die Ambulanz rasten mit blinkendem Blaulicht und Sirenengeheul auf den Hof des Anwesens, die Sirene wurde abgestellt, der Notarzt und zwei Sanitäter sprangen aus ihren Fahrzeugen, schnappten sich ihr Equipment und rannten zum Stall, vor dessen offenem Tor Alfred stand und winkte.

Der Notarzt diagnostizierte einen Herzinfarkt. Adelgunde Grünauer wurde erstversorgt und dann auf dem schnellsten Weg in die Bergklinik auf der Nonnenhöhe gebracht, wo sich ein Kardiologenteam um sie kümmern würde.

Alfred war mit seinem Auto dem Krankenwagen gefolgt. Nun saß er auf dem Flur der Notaufnahme und wartete darauf, dass ihm ein Arzt Bescheid sagte, wie es um seine Mutter stand. Er war die Unruhe in Person. Was würde sein, wenn seine Mutter den Infarkt nicht überlebte? Ein derartiges Szenario wollte er sich gar nicht vorstellen. Allein der Gedanken daran war derart ungeheuerlich und überwältigend, dass er sich bemühte, ihn erst gar nicht aufkommen zu lassen. Doch das wollte ihm nicht so recht gelingen. Er drängte sich ihm auf und ließ ihn frösteln.

Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Die Ungeduld in ihm wuchs und wurde quälend. Die Sorge, dass seine Mutter den Infarkt nicht überlebte, war erdrückend.

Schließlich aber näherte sich ihm ein Arzt, stellte sich als Oberarzt Dr. Kilian vor und sagte: »Wir konnten Ihre Mutter soweit stabilisieren, dass keine Lebensgefahr mehr besteht. Es war ein Hinterwandinfarkt und wir haben alles Notwendige veranlasst. Ich schätze, dass wir Ihre Mutter drei Wochen in der Klinik behalten werden. Anschließend sollte sie eine Reha-Maßnahme durchführen. Man hat mir gesagt, dass Sie zusammen mit Ihrer Mutter einen großen, landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaften.«

»Das ist richtig«, murmelte Alfred.

»Es wäre vielleicht gut, wenn Sie sich nach einer anderen Hilfe umsehen würden«, erklärte der Arzt. »Allzu belastbar dürfte Ihre Frau Mutter in Zukunft nämlich nicht mehr sein. Und wie gesagt: In den nächsten fünf bis sechs Wochen fällt sie komplett auf dem Hof aus.«

»Das mit einer Hilfe werde ich hinkriegen, Herr Doktor«, erwiderte Alfred, dem ein riesiger Felsbrocken vom Herzen gefallen war, als ihm der Arzt versichert hatte, dass seine Mutter außer Lebensgefahr war. »Hauptsache, die Mama wird wieder. Wie konnte es bei ihr überhaupt zu einem Herzinfarkt kommen? Sie hat nie geraucht, fast keinen Alkohol getrunken, einigermaßen gesund gegessen ...«

»Schlecht zu sagen. Vielleicht hat sie sich überanstrengt. So ein Infarkt kommt oft wie aus heiterem Himmel. Ihre Mutter hat Glück gehabt. Der Infarkt hat sie etwa eine Stunde, bevor Sie Ihre Mutter aufgefunden haben, ereilt. So ist nicht allzu viel Herzmuskelgewebe geschädigt. Hätte sie über einen längeren Zeitraum im Stall gelegen, weil der Infarkt früher eingetreten wäre, sähe es wahrscheinlich nicht ganz so gut aus.«

»Dem Himmel sei Dank, dass das nicht der Fall ist«, murmelte Alfred. »Darf ich zu ihr?«

»Ja. Einen Moment dauert es noch. Wenn sie im Überwachungsraum ist, können Sie zu ihr. Wo Sie den Überwachungsraum finden, erfahren Sie im Stationsbüro der kardiologischen Abteilung.«

»Danke.«

Der Arzt verriet Alfred noch das Stockwerk, auf dem die stationäre Unterbringung seiner Mutter erfolgen würde, dann verabschiedete er sich. »Ihre Mutter wird wieder, Herr Grünauer«, versuchte er noch, Alfred Mut zuzusprechen. »Es müsste schon etwas Gravierendes dazwischenkommen, damit sich ihr Zustand wieder verschlechtert. Im Moment ist sie stabil. Also malen wir den Teufel nicht an die Wand.«

Der Arzt schüttelte Alfreds Hand, dann entfernte er sich. Alfred begab sich in die Kardiologie ...

*

Es war wieder Sophie Tappert, die am folgenden Morgen die Nachricht vom Zusammenbruch der Grünauerbäuerin dem Pfarrer überbrachte.

Sebastian zeigte sich bestürzt. »Die Adelgunde ist doch erst zweiundsechzig Jahre alt und hat immer gesund gelebt«, stieg es aus seiner Kehle. »Kaum zu glauben, dass eine wie sie, einen Herzinfarkt bekommen kann.«

»Da steckt man oft nicht drin, Hochwürden«, philosophierte Sophie. »Die Adelgunde braucht nur an einer Herzmuskelentzündung erkrankt gewesen sein und es nicht bemerkt haben. Nach allem, was man mir erzählt hat, war sie im Kuhstall bei der Arbeit. Neben ihr hat am Boden eine Mistgabel gelegen. Bei einer Herzmuskelentzündung genügt oft ein bissel Anstrengung, und schon spielt einem die Pumpe einen Streich.«

»Ich werde die Adelgunde besuchen, wenn ich wieder in der Klinik bin, um eine Messe zu lesen«, erklärte Sebastian. »Sie hat wahrscheinlich Glück im Unglück gehabt. So eine Sache kann schlimm enden. Für den Alfred wirds auch nicht so leicht werden, wenn seine Mutter ausfällt. Sie hat ihm im Haus, im Hof, im Garten und im Stall einiges an Arbeit abgenommen. Er wird den Ausfall der Adelgunde schmerzlich feststellen, schätze ich.«

»Reden S‘ halt mal mit ihm, Hochwürden«, riet Sophie. »Vielleicht will er eine Haushaltshilfe, die ihm auch auf dem Hof ein bissel zur Hand geht, beschäftigen. Ihm wäre ja sicherlich schon gedient, wenn jemand täglich nur für zwei, drei oder vier Stunden seinen Haushalt und ein paar andere Arbeiten übernehmen würde. Ich denk‘ zum Beispiel an die Dobner-Julia, Hochwürden. Sie würde so ein Angebot gewiss mit Handkuss annehmen.«

Sebastian stutzte, dann stieß er hervor: »Das ist eine ganz hervorragende Idee, Frau Tappert. Bevor ich dem Grünauer-Alfred jedoch den Vorschlag unterbreite, muss ich mit der Julia reden, ob sie das möchte.«

»Davon bin ich überzeugt«, erklärte Sophie.

»Ich werde gleich nach dem Frühstück zu ihr fahren und sie fragen«, entschied sich Sebastian. »Ich möcht‘ das persönlich mit ihr klären. Dann kann ich auch gleich mal wieder nach ihrer Mutter, der Resi, schauen. Es ist tragisch, wie bei ihr der körperliche Verfall voranschreitet. Ich glaub‘, ich würde mich, wenn ich zwischen einem Herzinfarkt und MS wählen müsst‘, für den Infarkt entscheiden.«

»Danach wird Sie halt keiner fragen, Hochwürden«, gab Sophie zu verstehen. »Wir sind unserem Schicksal mehr oder minder hilflos ausgeliefert.«

»Leider. Aber ein bissel beeinflussen können wir es schon.« Sebastian winkte ab. »Das ist ein Thema, das zu keinem Ergebnis führt. Ich werde mich jedenfalls nach dem Frühstück auf mein Fahrrad schwingen, zur Julia fahren, mit ihr sprechen und ihr den Vorschlag unterbreiten. Wenn sie ja sagt, dann radle ich zum Grünauerhof und rede mit dem Alfred.«

Zwanzig Minuten später trat Sebastian tatsächlich in die Pedale. Es war ein warmer Sommertag, und im Ort war es zu dieser ziemlich frühen Stunde noch ausgesprochen ruhig. Die Außenservicebereiche der Cafés, Eisdielen und Restaurants hatten noch nicht geöffnet. Stühle und Tische waren noch zusammengestellt und mit einer langen Kette gesichert.