Verraten und verkauft! - Toni Waidacher - E-Book

Verraten und verkauft! E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Sebastian schlüpfte in sein schwarzes Jackett mit dem kleinen, goldenen Kruzifix am Revers und verließ sein Büro. Die Küchentür war nur angelehnt. Er hörte Sophie Tappert, seine Hauswirtschafterin, in der Küche hantieren und stieß die Tür ein klein wenig weiter auf, sodass er seinen Kopf in den entstehenden Spalt stecken konnte. »Ich fahr dann mal, Frau Tappert. Bis zum Mittagessen bin ich auf jeden Fall zurück.« »Ist schon recht, Hochwürden«, erwiderte die mütterliche und gutherzige Sophie. »Bestellen S' bitte allen Patienten, die ich kenn', schöne Grüße von mir und wünschen S' Ihnen gute Besserung.« »Das mach' ich gern, Frau Tappert«, versicherte der Bergpfarrer, dann verließ er das Pfarrhaus, holte sein Fahrrad aus der Garage und trat wenig später in die Pedale. Es war ziemlich früh am Morgen und verhältnismäßig kühl. Die Gipfel der Zweitausender, die das Wachnertal säumten, lagen noch im Morgendunst. Die Sonne stand weit im Osten. Aber sie war schon stark genug, um den Tau auf den Gräsern zu trocknen und die Wälder rund ums Tal dampfen zu lassen. Vogelgezwitscher und das Gebimmel von Kuhglocken begleiteten den Pfarrer. Auf den eingezäunten Weiden grasten Kühe und Kälber. Sebastian benutzte den Fahrradweg, der parallel zur Landstraße verlief. Auf den Blütenköpfen der Blumen beidseits des Weges krochen Bienen und Hummeln herum. Es war ein geradezu paradiesischer Friede, der das Leben im Tal zu bestimmen schien. Das Gelände stieg leicht an und Sebastian musste Kraft aufwenden.

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Seitenzahl: 133

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Bergpfarrer – 522 –Verraten und verkauft!

Maritta schwebte im siebten Himmel – nun ist sie am Boden zerstört

Toni Waidacher

Sebastian schlüpfte in sein schwarzes Jackett mit dem kleinen, goldenen Kruzifix am Revers und verließ sein Büro. Die Küchentür war nur angelehnt. Er hörte Sophie Tappert, seine Hauswirtschafterin, in der Küche hantieren und stieß die Tür ein klein wenig weiter auf, sodass er seinen Kopf in den entstehenden Spalt stecken konnte. »Ich fahr dann mal, Frau Tappert. Bis zum Mittagessen bin ich auf jeden Fall zurück.«

»Ist schon recht, Hochwürden«, erwiderte die mütterliche und gutherzige Sophie. »Bestellen S‘ bitte allen Patienten, die ich kenn‘, schöne Grüße von mir und wünschen S‘ Ihnen gute Besserung.«

»Das mach‘ ich gern, Frau Tappert«, versicherte der Bergpfarrer, dann verließ er das Pfarrhaus, holte sein Fahrrad aus der Garage und trat wenig später in die Pedale.

Es war ziemlich früh am Morgen und verhältnismäßig kühl. Die Gipfel der Zweitausender, die das Wachnertal säumten, lagen noch im Morgendunst. Die Sonne stand weit im Osten. Aber sie war schon stark genug, um den Tau auf den Gräsern zu trocknen und die Wälder rund ums Tal dampfen zu lassen.

Vogelgezwitscher und das Gebimmel von Kuhglocken begleiteten den Pfarrer. Auf den eingezäunten Weiden grasten Kühe und Kälber. Sebastian benutzte den Fahrradweg, der parallel zur Landstraße verlief. Auf den Blütenköpfen der Blumen beidseits des Weges krochen Bienen und Hummeln herum. Es war ein geradezu paradiesischer Friede, der das Leben im Tal zu bestimmen schien.

Das Gelände stieg leicht an und Sebastian musste Kraft aufwenden. Er war jedoch konditionell auf der Höhe und so kam er kaum außer Atem. Bei der Bergklinik angekommen stellte er seinen Drahtesel auf dem für Fahrräder vorgesehen Abstellplatz ab, sicherte ihn mit einem Schloss, und begab sich dann in die Klinik. Er wollte eine Messe halten und anschließend die Patienten in ihren Zimmern aufsuchen, um ihnen Mut zuzusprechen oder sie zu trösten, oder einfach nur mit ihnen ein paar belanglose Worte auszutauschen.

Er grüßte die drei Leute in der Rezeption und lenkte seine Schritte auf den Flur zu, an dessen Ende sich die Kapelle und auch eine kleine Sakristei befanden, als ihn eine helle Stimme einholte. »Guten Morgen, Herr Pfarrer.«

Sebastian drehte sich um und sein Blick erfasste eine junge Frau in Schwesterntracht. Sie war sehr hübsch, dunkelhaarig, mittelgroß und schlank. Alles in allem eine ausgesprochen erfreuliche Erscheinung. Sie lachte den Pfarrer an, ihre braunen Augen funkelten, zwischen ihren schön geschnittenen Lippen blitzte eine weiße Zahnreihe.

»Habe die Ehre, Maritta«, erwiderte der Pfarrer den freundlichen Gruß. »Du wirst immer hübscher.« Sebastian grinste. »Wie gehts dir denn?«

Sebastians Kompliment machte sie ein wenig verlegen. Ihre Wangen röteten sich leicht. »Danke«, antwortete sie. »Ich kann mich nicht beklagen.« Sie überwand ihre Verlegenheit, hob die linke Hand und Sebastian konnte den funkelnden Ring an ihrem Ringfinger sehen. »Der ist vom Marius«, verriet sie. »Er hat am Wochenende um meine Hand angehalten, ich hab‘ ja gesagt, und er hat mir diesen Verlobungsring an den Finger gesteckt.«

Sebastian staunte. »Das ist aber erfreulich«, erklärte er dann, ging auf Maritta Steger zu und streckte ihr die Hand hin. »Herzlichen Glückwunsch, Maritta. Den Doktor Bertelshofer werd‘ ich auch noch gratulieren, wenn ich ihn treff‘. Wie lange seid ihr denn schon liiert? Das ist doch mindestens schon ein Jahr.«

»Anderthalb Jahre, Herr Pfarrer.« Sie lachte. »Ich glaub, ich muss net betonen, wie glücklich ich bin.«

»Nein, das musst du net«, sagte Sebastian. »Man sieht’s dir an. Dann werden wohl auch bald die Hochzeitsglocken läuten, wie?«

»Im nächsten Jahr wollen wir heiraten«, verriet Maritta. »Na ja, alt genug bin ich ja mit meinen neunundzwanzig Jahren. So ziemlich alle meine Schulfreundinnen sind längst verheiratet und haben Kinder.«

»Das ist wahr«, erklärte Sebastian. »Aber mit neunundzwanzig bist du noch nicht zu alt, um eine Familie zu gründen. Der Marius dürft‘ Mitte dreißig sein. Ich denk‘, es ist genau das richtige Alter, um das Junggesellendasein zu beenden und ...«, Sebastian lachte amüsiert, »... seinen bevölkerungspolitischen Auftrag zu erfüllen.«

Auch Maritta lachte. »Sagen S‘ ihm das, wenn S‘ ihn treffen, Herr Pfarrer.« Dann wurde sie wieder ernst. »Wir wollen in der Tat Kinder, zwei oder drei. Aber erst mal werden wir den Bund der Ehe eingehen. Der Rest wird sich dann ergeben.«

»Ihr werdet das schon auf die Reihe kriegen«, verlieh Sebastian seiner Überzeugung Ausdruck. »So, ich muss jetzt weiter. Ich wünsch‘ dir einen angenehmen Tag, Maritta. Hoffentlich treff‘ ich den Marius. Wenn net, dann sei so gut und bestell‘ ihm die besten Grüße von mir.«

»Mach ich, Herr Pfarrer. Einige Gläubige warten schon in der Kapelle. - Auch Ihnen einen schönen Tag.«

»Danke.« Sebastian setzte seinen Weg fort. In der Sakristei zog er sein Messgewand an und wartete noch ein paar Minuten, denn die Messe sollte um halb zehn Uhr beginnen. Schließlich war es so weit und er begab sich in die Kapelle. Die Gläubigen auf den Stühlen erhoben sich ...

Nach der Messe stattete Sebastian seinem Freund, dem Professor Ulrich Bernhardt, einen kurzen Besuch ab, dann machte er seinen Rundgang durch die Krankenzimmer. Es war auch die Zeit der Visite, und als sich Sebastian in der chirurgischen Abteilung befand, entdeckte er in dem Ärzte-, Pfleger- und Schwesternteam Dr. Marius Bertelshofer, der als Oberarzt in der Chirurgie der Bergklinik tätig war.

Sebastian und der Arzt begrüßten sich, Sebastian lächelte und sagte: »Ich hab‘ die Maritta getroffen. Das sind ja erfreuliche Neuigkeiten, die sie mir offenbart hat.«

»Na ja«, erwiderte der Arzt, »wir sind jetzt seit anderthalb Jahren ein Paar und ich hab‘ mir gedacht, es wär‘ an der Zeit, ihr einen Heiratsantrag zu machen.«

»Meinen Glückwunsch, Herr Doktor. Die Maritta hab‘ ich schon beglückwünscht. Nächstes Jahr, hat sie mir erzählt, wollen Sie sie zum Traualtar führen. Ich vermute, dass Sie kirchlich heiraten.«

»Ja, natürlich. Wir werden deswegen zu gegebener Zeit auf Sie zukommen, Herr Pfarrer.«

»Gut. Dann will ich Sie nicht länger aufhalten, Herr Doktor.«

Sebastian verabschiedete sich von dem Arzt, dann setzte er seine Patientenbesuche fort.

Gegen halb zwölf Uhr war er wieder zu Hause. Im Pfarrhaus roch es nach Gebratenem. Sophie trat in die Tür zur Küche. »Da sind S‘ ja wieder, Hochwürden. Und? Alles im grünen Bereich oben in der Klinik?«

»Es ist halt immer das alte Lied, Frau Tappert. Die einen tragen ihr Leiden mit Geduld, die anderen hadern mit Gott und der Welt. Man muss sich zum einen als Psychologe, zum anderen als Seelsorger betätigen. Die Steger-Maritta hab‘ ich getroffen. Der Doktor Bertelshofer und sie haben sich verlobt und werden wohl im nächsten Jahr heiraten.«

»Da schau her!«, entfuhr es Sophie. »Na ja, warum auch nicht? Die zwei sind ja schon eine ganze Weile miteinander verbandelt. Und wenn alles passt ...«

»Die Maritta ist absolut glücklich«, sagte der Pfarrer. »Aber dieses Glück sei ihr gegönnt. - Es riecht hier so verführerisch, Frau Tappert. Was werden S‘ uns denn Gutes kredenzen?«

»Schweinerückensteak mit Apfel, Lauch und Kartoffeln«, antwortete die Haushälterin. »Ich kann Ihnen doch nicht ständig Hausmannskost vorsetzen. Fleischlos ist zwar gesund, aber auf die Dauer auch eintönig.«

»Sie erfreuen das Herz meines lieben Bruders, Frau Tappert. Fleisch gehört beim Max nämlich zu den Grundnahrungsmitteln. Er liebt natürlich auch Hausmannskost. Ich möcht‘ fast behaupten, der liebt alles, was Sie uns an Speisen kredenzen.«

»Das will ich doch auch gehofft haben«, versetzte die Pfarrhaushälterin lachend.

»Ich geh‘ dann noch in mein Büro«, erklärte der Pfarrer. »Es wird eh nimmer lang dauern, dann kreuzt der Max auf. Ich freu‘ mich übrigens auch schon auf die Steaks.«

Er wandte sich ab und strebte der Tür zu seinem Arbeitszimmer zu.

Sophie kehrte an den Herd zurück ...

*

»Donnerwetter«, stieß Florian Hoffmann hervor. Er stand am Fenster des Aufenthaltsraums der ›Pension Stubler‹ und schaute auf die Straße hinaus. »Was sind denn das für zwei blitzsaubere Mädchen, die vor der Pension aus dem Auto steigen? Wollen die zu uns?«

Ria Stubler, die Pensionsbetreiberin, die soeben dabei gewesen war, weiße Porzellanvasen, die mit frischen Blumen bestückt waren, auf den Tischen zu verteilen, trat neben Florian, der vor längerer Zeit aus Liebe zu ihr von Beilngries nach St. Johann umgezogen war, sah die beiden jungen Frauen und sagte: »Das sind zwei neue Gäste, zwei Schwestern. Sie heißen Neubauer und kommen aus Heilbronn. Sie sind für heut‘ angesagt und werden, wenn ich mich nicht irr‘, zwei Wochen bleiben. Ich geh‘ gleich mal in die Rezeption, damit die beiden einchecken können.« Ria lachte. »Du wirst die Ehre haben, ihre Koffer oder Reisetaschen aufs Zimmer bringen zu dürfen, mein Lieber.«

»Wenigstens etwas«, versetzte Florian grinsend.

»Sei froh, dass du gesund bist«, ging Ria auf den Scherz ein.

Die beiden verließen den Aufenthaltsraum, und als sie auf den Flur traten, kamen auch schon die beiden hübschen Schwestern in die Pension. »Guten Tag«, grüßten beide fast wie aus einem Mund, geradezu in Stereo, und lächelten freundlich.

»Grüß euch«, erwiderte Ria den Gruß.

Florian murmelte: »Habe die Ehre.«

»Wir haben Sie schon kommen sehen«, fügte Ria hinzu. »Sie sind die Schwestern Neubauer aus Heilbronn, gell? Sie haben Ihr Kommen für heut‘ angemeldet.«

»Ich bin die Birgitt«, erwiderte eine der beiden, »das ist meine Schwester Romy. Es stimmt. Wir haben ab heute bei Ihnen ein Zimmer gemietet.« Birgitt Neubauer sprach hochdeutsch, konnte ihren schwäbischen Dialekt aber nicht völlig verheimlichen.

»Ihr Gepäck haben S‘ gewiss im Auto«, sagte Ria. »Der Florian kümmert sich drum, während Sie beide einchecken. Es ist eine reine Formsache. Danach bekommen S‘ den Zimmerschlüssel von mir, und dann können S‘ den Herrgott einen guten Mann sein und die Seele baumeln lassen.«

Birgitt und Romy lachten. »Wir haben den Urlaub nicht gebucht, um die Füße unter den Tisch zu strecken und alle viere gerade sein zu lassen«, meldete sich nun Romy zu Wort. Sie war neunundzwanzig Jahre alt und die ältere der beiden Schwestern. Der Altersunterschied betrug allerdings nicht einmal zwei Jahre und man hätte Birgitt und Romy für Zwillinge halten könne. Sie waren mittelgroß und schlank, beide waren blondhaarig und hatten blaue Augen, und sie waren sonnengebräunt, was verriet, dass sie sich auch zu Hause viel im Freien aufhielten. »Wir haben vor, Aktivurlaub zu machen«, erklärte Romy. »Darum haben wir uns für St. Johann und das Wachnertal entschieden. Es gibt hier zwei Klettersteige und die sogenannte ›Kleine Wand‹. Zuerst wollen wir die Klettersteige bezwingen, und wenn wir das schaffen, dann gehen wir die ›Kleine Wand‹ an.«

»Von früh bis spät am Badesee zu liegen und die Zeit totzuschlagen ist nicht das, was wir suchen«, ergänzte Birgitt. »Wir haben natürlich nicht vor, jeden Tag auf irgendeinen Berg zu klettern. Wir werden auch einige weniger herausfordernde Wanderungen unternehmen. Wenn man dem Reiseführer und den Ausführungen im World Wide Web Glauben schenken darf, dann gibt es rund um das Wachnertal tausend Möglichkeiten, seinen Urlaub sinnvoll zu verbringen.«

»Ja, das ist richtig«, bestätigte Ria die Aussage. »Die Möglichkeiten sind geradezu unerschöpflich. Sie haben S‘ ja schon oben vom Pass aus sehen können: Wald und Berge. Allerdings muss man sich alles zu Fuß erschließen. Bei uns gibt es keine Drahtseilbahnen und schon gab keine Zahnradbahn, die es einem abnehmen würden, die Berge auf Schusters Rappen zu erkunden. Das ist eigentlich das Einzige, was wir bieten können. Irgendwelche touristischen Attraktionen haben wir nicht ins Tal gelassen. Die Leute, die zu uns kommen, mögen es nämlich ruhig und beschaulich. In der Regel kommen sie immer wieder. Bei uns ist die Welt halt noch in Ordnung.«

»Wir legen gar keinen Wert auf künstlich hochstilisiertes Vergnügen«, erwiderte Birgitt. »Wir suchen nicht die Bequemlichkeit, sondern die Herausforderung. Sie müssen wissen, Frau Stubler, dass wir – meine Schwester und ich -, sehr viel Sport treiben. Für uns ist das Körperkultur. Vor längerer Zeit sind wir sogar einem Verein beigetreten, der unter anderem Bouldern als Sportart anbietet. An der Kletterwand sind wir kaum zu schlagen.«

»Gehen S‘ immer mit Bedacht die Klettersteige oder Felswände an«, mahnte Ria. »Mir scheint, Sie suchen im Klettern, wie Sie schon zum Ausdruck gebracht haben, die Herausforderung. Dabei sollten sie aber die Gefahren, die damit verbunden sind, nicht vernachlässigen.«

»Ein bisschen Gefahr wird sich nicht vermeiden lassen«, versetzte Romy. »Aber keine Sorge, Frau Stubler. Wir suchen die Herausforderung, aber wir fordern nichts heraus. Sicherheit ist das oberste Gebot.«

»Na schön«, sagte Ria. »Dann erledigen wir das Formelle. Vielleicht holen sie dann ihr Gepäck aus dem Auto. Stellen S‘ es einfach neben dem Fahrzeug ab. Der Florian kümmert sich drum.«

Florian, der bis jetzt wortlos dabeigestanden hatte, nickte. »Sicher«, murmelte er, »ich erledige das.«

»Es sind zwei Koffer und zwei Reisetaschen«, erklärte Birgitt. »In den Reisetaschen befindet sich unsere Kletterausrüstung.«

»Kein Problem«, gab Florian zu verstehen. »Dann geh‘ ich halt dreimal oder viermal.«

»Das wäre ja noch schöner«, stieß Romy hervor. »Wir tragen das Zeug gemeinsam aufs Zimmer – Sie, meine Schwester und ich. Birgitt und ich sehen das sportlich.«

Florian grinste. »Sport ist Mord!«, knurrte er. »So hat jedenfalls Winston Churchill, der englische Premierminister, seine laxe Einstellung zu Sport und Fitness gerechtfertigt.«

»Dafür war er übergewichtig, er hatte darüber hinaus einen viel zu hohen Blutdruck, und es hat ihm einen Herzinfarkt und zwei Schlaganfälle eingetragen«, entgegnete Romy lächelnd. »Dem wollen meine Schwester und ich vorbeugen.«

»Dennoch ist er einundneunzig Jahre alt geworden«, erklärte Florian.

»Hätte er Sport getrieben«, rief Birgitt lachend, »hätte er sicherlich die hundert geschafft.«

»Das ist nicht auszuschließen«, sagte Ria, ging zu ihrem Arbeitsplatz hinter dem Rezeptionstresen und holte die Anmeldung der Schwestern auf den Bildschirm. »Da haben wir Sie ja«, erklärte sie schließlich. »Dann wollen wir mal ...«

*

An diesem Samstagnachmittag begab sich Ria Stubler in den kleinen Supermarkt, den Karl und Elsbeth Herrnbacher betrieben. Elsbeth saß an der Kasse und zog gerade die Ware einer jungen Frau aus dem Ort über den Scanner. »Grüß di, Ria«, rief Elsbeth. »Wie gehts, wie steht’s?«

»Ich kann nicht klagen«, antwortete Ria. »Jetzt, in der Hauptsaison, gibts halt immer viel Arbeit. Aber von nix kommt nix. Schließlich leb‘ ich ja von den Gästen. Also darf ich mich über die Arbeit auch nicht beschweren.«

»Eine gesunde Einstellung«, erwiderte Elsbeth.

Ria verschwand mit ihrem Einkaufswagen zwischen den Regalen. Sie legte dieses und jenes in den Wagen, bog in das nächste Regal ein, und – stieß mit ihrem Einkaufswagen beinahe gegen den Wagen, den Sophie Tappert schob. »Jetzt hätt‘ ich beinahe einen Unfall verursacht«, rief Ria lachend. »Grüß di, Sophie«, grüßte sie dann. »Ich hoff‘, im Pfarrhaus ist alles im grünen Bereich.«

»Ist es, Ria, ist es«, erwiderte Sophie. »Der Hochwürden hat schon zu verstehen gegeben, dass es ihm langsam verdächtig erscheint, weil aus dem Rathaus nix mehr kommt, das ihn herausfordert. Der Bruckner verhält sich ausgesprochen zurückhaltend. Und auch sonst sind keine außergewöhnlichen Dinge zu vermelden. Das Leben plätschert halt so dahin.«

»Der Bürgermeister ist nur so moderat, weil in Bälde die Gemeinderatswahl durchgeführt wird«, konstatierte Ria. »Jetzt ist er darauf bedacht, ja niemand zu verärgern. Dabei muss er sich überhaupt keine Gedanken machen. Seine Fraktion wird wieder die meisten Stimmen kriegen, und er wird wieder Gemeindevorsteher. Es gibt ja auch keine Konkurrenz. Aber weil du vorhin von Herausforderung gesprochen hast, Sophie: Bei mir wohnen seit heut‘ Mittag zwei junge Damen, Schwestern, die nach St. Johann gekommen sind, um die Herausforderung zu suchen. Zwei ausgesprochen hübsche Mädchen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, erst die beiden Klettersteige und dann die ›Kleine Wand‹ zu bezwingen.«

»Haben die beiden denn Klettererfahrung?«, fragte Sophie.

»Sie bouldern an einer künstlichen Kletterwand«, antwortete Ria. »Ob sie Bergerfahrung haben, hab‘ ich sie gar nicht gefragt.«

»Die ›Kleine Wand‹ hat seine Tücken«, gab Sophie zu bedenken. »Da sind schon schwere Unfälle passiert. Der Fels ist an manchen Stellen porös und die Haken können herausbrechen. Hast du die Mädchen wenigstens gewarnt, Ria?«

»Ich hab‘ sie nur ermahnt, mit Bedacht an die Klettersteige und die ›Kleine Wand‹ heranzugehen«, erwiderte Ria. »Irgendwelche Ratschläge kann ich ihnen kaum geben. Vom Bergsteigen hab‘ ich so viel Ahnung wie ein Säugling.«

Sophie lachte amüsiert auf. »Na ja. Da können wir uns die Hand geben, Ria. Vielleicht sollten wir noch anfangen, Zigarren zu rauchen, dann könnten wir möglicherweise auch die neunzig erreichen.«