Ein altes Geheimnis - Toni Waidacher - E-Book

Ein altes Geheimnis E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Es war ein Samstag. Wie fast jeden Morgen erschien der Brandhuber-Loisl, kurz nachdem die Bäckerei Terzing geöffnet hatte, in dem Laden, um sich ein Kännchen Kaffee zu genehmigen und die Tageszeitung durchzublättern, und natürlich auch den einen oder anderen Artikel, dessen Überschrift sein Interesse erregte, zu lesen. Die Zeitung stellte ihm die Bäckermeistergattin unentgeltlich zur Verfügung, allerdings unter der Voraussetzung, dass sie der Loisl genauso sauber ins Regal zurücklegte, wie er sie entnommen hatte. Frau Terzing wollte die Zeitung ja noch an den Mann bringen, und mit braunen Kaffeeflecken auf den Seiten war das sicherlich nicht so einfach. Der Loisl hatte einen Platz – es war gewissermaßen sein Stammplatz -, an dem Stehtisch in der Ecke der Bäckerei eingenommen und den Blick auf die aufgeschlagene Zeitung geheftet. Eine Frau wurde soeben von der Bäckermeistergattin bedient, ein älterer Mann wartete. Nun drückte jemand von außen die Tür auf, die Ladenglocke bimmelte, und herein kam Sophie Tappert, die Haushälterin Pfarrer Trenkers, eine mütterliche Frau mit warmherzigem Charme. »Guten Morgen, allseits!«, grüßte Sophie freundlich. »Ich hoff' alles ist gesund und munter.« Ihr Gruß wurde mehrstimmig erwidert, der ältere Mann fügte seinem Gruß hinzu: »Hin und wieder drückt halt mal das eine, dann wieder das andere Zipperlein, Frau Tappert. Im Großen und Ganzen aber kann ich nicht klagen.« »Das freut mich, Herr Malzer. Die Gattin ist auch wohlauf?« »Ja, der gehts gut. Sind wir dankbar, dass es so ist. In unserem Alter ist halt die Gesundheit das Wichtigste.« »Da haben S' recht«, pflichtete Sophie dem Mann bei. Dann richtete sie den Blick auf den Loisl und sagte: »Dir gehts hoffentlich auch gut, Loisl.«

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Bergpfarrer – 515 –

Ein altes Geheimnis

Nach einem halben Jahrhundert droht es zum Albtraum zu werden

Toni Waidacher

Es war ein Samstag. Wie fast jeden Morgen erschien der Brandhuber-Loisl, kurz nachdem die Bäckerei Terzing geöffnet hatte, in dem Laden, um sich ein Kännchen Kaffee zu genehmigen und die Tageszeitung durchzublättern, und natürlich auch den einen oder anderen Artikel, dessen Überschrift sein Interesse erregte, zu lesen. Die Zeitung stellte ihm die Bäckermeistergattin unentgeltlich zur Verfügung, allerdings unter der Voraussetzung, dass sie der Loisl genauso sauber ins Regal zurücklegte, wie er sie entnommen hatte. Frau Terzing wollte die Zeitung ja noch an den Mann bringen, und mit braunen Kaffeeflecken auf den Seiten war das sicherlich nicht so einfach.

Der Loisl hatte einen Platz – es war gewissermaßen sein Stammplatz -, an dem Stehtisch in der Ecke der Bäckerei eingenommen und den Blick auf die aufgeschlagene Zeitung geheftet. Eine Frau wurde soeben von der Bäckermeistergattin bedient, ein älterer Mann wartete. Nun drückte jemand von außen die Tür auf, die Ladenglocke bimmelte, und herein kam Sophie Tappert, die Haushälterin Pfarrer Trenkers, eine mütterliche Frau mit warmherzigem Charme.

»Guten Morgen, allseits!«, grüßte Sophie freundlich. »Ich hoff‘ alles ist gesund und munter.«

Ihr Gruß wurde mehrstimmig erwidert, der ältere Mann fügte seinem Gruß hinzu: »Hin und wieder drückt halt mal das eine, dann wieder das andere Zipperlein, Frau Tappert. Im Großen und Ganzen aber kann ich nicht klagen.«

»Das freut mich, Herr Malzer. Die Gattin ist auch wohlauf?«

»Ja, der gehts gut. Sind wir dankbar, dass es so ist. In unserem Alter ist halt die Gesundheit das Wichtigste.«

»Da haben S‘ recht«, pflichtete Sophie dem Mann bei. Dann richtete sie den Blick auf den Loisl und sagte: »Dir gehts hoffentlich auch gut, Loisl.«

Der selbsternannte Kräuterheilkundige erwiderte Sophies Blick, überlegte kurz und erwiderte mit seiner für ihn typisch näselnden Stimme: »Schlechte Leute gehts immer gut, Frau Tappert.«

»Na, na, Loisl, seit wann stellst du dich als schlecht hin?«, versetzte Sophie fast ein bisschen belustigt. »Lass‘ das nicht den Hochwürden hören. Der hält nämlich große Stücke auf dich.«

Ungläubig starrte der alte Sonderling die Pfarrhaushälterin an. Das weiße, strähnige Bartgestrüpp, das die untere Hälfte seines runzligen Gesichts bedeckte, bewegte sich, als würde er etwas kauen. »Der Hochwürden – große Stücke – auf mich?«, ächzte er schließlich. »Das kann ich ja fast nicht glauben. Meistens schimpft er mit mir, wenn ich ihm übern Weg lauf‘.«

»Gewiss nicht zu Unrecht, Loisl«, mischte sich nun Frau Terzing ein. »Nur dann, wenn du wieder mal versucht hast, jemand über den Tisch zu ziehen, dann schimpft der Pfarrer mit dir – falls es ihm zugetragen worden ist.«

»Ich zieh‘ niemand über den Tisch«, verteidigte sich der alte Sonderling. »Wenn ich meinen Kunden die Vorzüge meiner Naturmedizin beschreib‘, dann entspricht das den Tatsachen. Ich versuch‘ den Leuten weder etwas vorzugaukeln, noch dräng‘ ich sie, meine Medizin zu kaufen.«

»Ist ja schon gut, Loisl«, beschwichtigte Frau Terzing den Kräuterkundigen. »Reg‘ dich nicht auf. Du weißt ja selber, was die Leute über dich sagen.«

»Ja, ja, das weiß ich nur zu gut.« Der Loisl seufzte. »Damit leb‘ ich schon mehrere Jahrzehnte lang. Ist der Ruf erst ruiniert ... Ich lass‘ mich davon aber nicht beeinflussen. Und eben haben S‘ es ja selber gehört, Frau Terzing: Der Hochwürden hält große Stücke auf mich. Das will was heißen!«

Die Bäckermeistergattin und Sophie wechselten einen bedeutungsvollen Blick, dann sagte Sophie: »Das will in der Tat was heißen, Loisl. Darauf kannst du stolz sein.«

»Bin ich auch. Was ich schon lang mal fragen wollt‘, Frau Tappert. Der Hochwürden liegt doch im Clinch mit unserem Bürgermeister, weil der das Biotop am Gschwandnerweiher zerstören will. Ich hab‘ gehört, dass einige Leute aus München da waren, um eine Eingabe des Hochwürden zu prüfen. Hat sich da schon was getan?«

»Es schaut so aus, als würd‘ man vonseiten des Umweltamts eine Bebauung des Geländes ausschließen«, antwortete Sophie. »Die schriftliche Stellungnahme steht allerdings noch aus.«

»Es wäre geradezu sündhaft, das Biotop zu zerstören«, brummte der Loisl. »Es ist ein Paradies für einen wie mich, der sich auf dem Gebiet der Pflanzenheilkunde auskennt wie kein Zweiter. Auf dem Gelände wachsen Unmengen von Pflanzen mit heilender Wirkung, Kräuter, die man sonst nirgendwo mehr findet. Und was dort alles kreucht, das ist geradezu unvergleichlich. Es wär‘ frevlerisch, so etwas einem völlig überflüssigen Freizeitzentrum zu opfern.«

»Wir müssen abwarten, Loisl«, sagte Sophie, die vom Loisl nicht besonders viel bis gar nichts hielt, die aber jetzt von seinen Äußerungen beeindruckt war. »Du kannst dich ja der Initiative des Hochwürden anschließen«, schlug sie vor. »Jede Stimme gegen das Projekt zählt.«

»Das mach‘ ich auf jeden Fall«, versicherte der Alte. »Ich hoff‘ allerdings, dass das Umweltamt nicht hergeht, und das Biotop zum Naturschutzgebiet erklärt. Denn dann dürft‘ ich mir dort auch keine Kräuter mehr holen. Und das wär‘ ein immenser Verlust für mein Geschäft.«

Frau Terzing kassierte die Kundin ab, die sie eben bedient hatte, diese bezahlte und verließ nach einem Gruß den Laden. Der ältere Mann trat vor und grinste vielsagend nach des Loisls Äußerung. Auch Sophie und die Bäckermeistergattin hatten wieder einen schnellen Blick gewechselt, und auch sie lächelten.

Dem Loisl entging es nicht. »Da gibts nix zu lachen«, rief er aufgebracht. »Aber ich weiß schon: Meine Arbeit nimmt niemand ernst. Ihr lasst euch lieber von der Schulmedizin mit Chemie vergiften. Euch werden eines Tages noch die Augen aufgehen, spätestens dann, wenn ihr merkt, dass euch die Herren Doktoren mit ihren Pillen nicht gesund, sondern nur noch kränker gemacht haben. Ich praktiziere Naturheilkunde in der reinsten Form, und zwar in akribischer Anlehnung an die Ausführungen im sechsten und siebten Buch Moses. Meine Medizin heilt, die Schulmedizin jedoch macht auf die Dauer krank.«

»Ist ja schon gut, Loisl«, gab Sophie zu verstehen. »Du hast doch eben selber zum Ausdruck gebracht, dass es dich nicht interessiert, was die Leute über dich reden. Also reg‘ dich nicht auf. Deine Einstellung zur Schulmedizin ist hinlänglich bekannt, und dass du deine – hm, Heilmittel nach den Rezepten der beiden Bücher Moses produzierst, ebenfalls.«

»Ich reg‘ mich nicht auf, Frau Tappert. Im Gegenteil! Seit ich weiß, dass der Herr Pfarrer große Stücke auf mich hält, ist das, was der Rest der Welt über mich denkt, ohne jede Bedeutung. Bestellen S‘ dem Hochwürden die besten Grüße von mir, und sagen S‘ ihm, Frau Tappert, dass er auf mich zählen kann. Ich werde an seiner Seite wie ein Löwe für den Erhalt des Biotops kämpfen. Der Bruckner soll sich schon mal warm anziehen. In dem Moment, in dem ich gegen ihn in den Ring steig‘, wird die Auseinandersetzung mit Sicherheit um einige Töne schärfer.«

»Das bestell‘ ich dem Hochwürden, Loisl«, versprach Sophie.

»Wir werden es dem Gemeinderat zeigen«, versicherte der Loisl. »Von diesen Banausen lassen wir unsere schöne Natur nicht kaputtmachen.« Er trank den letzten Schluck aus seiner Tasse, legte die Zeitung fein säuberlich zusammen und brachte sie zu dem Ständer, in dem ein ganzer Stapel von Tageszeitungen darauf wartete, nach und nach gekauft zu werden. Dann kramte er Kleingeld aus der Tasche seiner zerschlissenen Trachtenjacke und zählte den Preis für den Kaffee auf den Tresen. »So«, sagte er, »und jetzt geh‘ ich wieder an die Arbeit. Ich kann mich nicht zurücklehnen und den Herrgott einen guten Mann sein lassen. Es gibt genug Leute, die auf meine Medizin schwören. Die kann ich doch nicht hängen lassen. Ich müsste mich ja Sünden fürchten.«

Er ging zur Tür. »Wie gesagt, Frau Tappert, richten S‘ dem Hochwürden aus, dass ich geschlossen hinter ihm steh‘. Der Bruckner wird sich an uns die Zähne ausbeißen.«

»Ich sag’s ihm, Loisl«, beteuerte Sophie lächelnd. »Dass du geschlossen hinter dir stehst, hättest du nicht extra zu betonen brauchen.«

*

Tags darauf erschien Sophie Tappert wieder am frühen Morgen in der Bäckerei Terzing, um für den Frühstückstisch des Pfarrers ein paar Stangen zu besorgen. Drei Frauen warteten darauf, bedient zu werden, eine vierte war soeben an der Reihe. »Guten Morgen, allseits«, grüßte Sophie, nachdem das Läuten der Türglocke verklungen war. »Wie gehts, wie steht’s?«

Ihr Gruß wurde erwidert. Eine der wartenden Frauen war die Maria Erbling, die Witwe des früheren Poststellenleiters von St. Johann, eine Dorftratsche allererster Ordnung, die emsig dafür sorgte, dass die Gerüchteküche in der Gemeinde und auch über die Gemeindegrenzen hinaus ständig am Brodeln war.

Wenn sich für sie eine Möglichkeit ergab, dann ging die Pfarrhaushälterin der Witwe tunlichst aus dem Weg, obschon sie aus dem Mund der Erbling-Maria so manche wichtigen Hinweise auf Begebenheiten erfahren hatte, die den Bergpfarrer bewogen hatten, regulierend einzugreifen, weil dieses oder jenes gewaltig aus dem Ruder gelaufen war. Also war Sophie jedes Mal, wenn sie der Erbling-Maria in die Arme lief, hin- und hergerissen. Einerseits hatte sie wenig Interesse, sich das Geschwätz der Maria anzuhören, erwartete diese doch auch einen Kommentar, andererseits war es nicht auszuschließen, dass die Maria etwas zu erzählen wusste, das geeignet war, den Pfarrer schlichtend oder vermittelnd auf den Plan zu rufen.

»Na, Frau Tappert, haben S‘ dem Herrn Pfarrer bestellt, was Ihnen der Loisl aufgetragen hat?«, erkundigte sich Frau Terzing, die Bäckermeistergattin, die wie fast immer hinter der Theke stand. »Heut‘ war‘s noch gar nicht da, das alte Schlitzohr. Aber ich bin überzeugt, dass es noch auftaucht.«

»Beim Hochwürden hat der alte Schlawiner einen Stein im Brett«, erwiderte Sophie. »Na ja, irgendwie hat er ja das Herz auf dem rechten Fleck, der Loisl, wenn er auch ständig versucht, jemand übers Ohr zu hauen. Wer ihm seine ...«, Sophie malte zwei Anführungszeichen in die Luft, »... Medizin für teures Geld abkauft, ist allerdings selber schuld. Es ist ja harmloses Zeug, das er anbietet wie Sauerbier. Manche haben ihn sogar im Verdacht, dass er Unkraut trocknet und es als Tee verkauft.«

»Der muss halt schauen, wo er bleibt, der Loisl«, mischte sich die Erbling-Maria ein. »Eine Rente kriegt er nicht, und das bissel Sozialhilfe, die ihm die Gemeinde zahlt, ist zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Es sei ihm gegönnt, wenn er sich mal den einen oder anderen Euro hinzuverdient.«

»Indem er die Leute bescheißt«, brachte sich eine der anderen Frauen in die Unterhaltung ein. »In Ordnung ist das nicht. Aber wie Sie schon angedeutet haben, Frau Tappert: Wer mit dem Loisl ein Geschäft macht, muss damit leben, dass er über den Tisch gezogen wird.«

»Der Loisl lebt in seiner eigenen Welt«, erklärte die Erbling-Maria. »Den ändert niemand mehr. - Was ich noch sagen wollte: Mir ist gestern Nachmittag eine Frau, ich schätze sie auf gut siebzig Jahre, begegnet, die mich an jemand erinnert hat. Leider komm‘ ich nicht drauf, an wen. Es muss schon sehr, sehr lange her sein, dass ich sie gesehen hab‘. Sie ist mir auf dem Gehsteig vor der Metzgerei entgegengekommen. Wir haben uns angeschaut, und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich ihr auch bekannt vorgekommen bin.«

»Vielleicht sieht sie wem ähnlich, jemand, der Ihnen in der Erinnerung haften geblieben ist, Frau Erbling«, stellte Sophie Tappert eine Vermutung an. »So was kommt vor. Es ist ungefähr so, wie wenn man das Gefühl hat, eine momentane Situation schon einmal, und zwar genauso, erlebt zu haben.«

»Es kann schon sein, dass die Frau jemand ähnlichsieht, an den ich mich irgendwie schwach erinnere.« Die Maria winkte ab. »Ist ja auch egal. Es war jedenfalls eine Frau, die nicht im Tal lebt, denn dann würd‘ ich sie zumindest vom Sehen kennen.«

»Was hat denn der Herr Pfarrer gesagt, als Sie ihm vermittelt haben, dass der Loisl für seine Sache eintreten und wie ein Löwe kämpfen will?«, fragte Frau Terzing und wechselte mit ihrer Frage wieder das Thema.

»Der Hochwürden meint, dass sich die Angelegenheit in Wohlgefallen auflösen wird, nachdem man vonseiten der Umweltbehörde signalisiert hat, dass man nicht zulassen will, dass das Biotop einem Freizeitzentrum geopfert wird«, erwiderte Sophie. »Der schriftliche Bescheid steht noch aus. Unser verehrter Gemeindevorsteher hat jedoch schon in der ihm eigenen Manier das Rückzugsgeplänkel begonnen. Er sei schon länger der Ansicht, dass man das Biotop nicht dem Kommerz opfern dürfe, hat er verlautbart, doch waren ihm parteipolitisch die Hände gebunden. Na ja, wir kennen ihn ja, unseren Bruckner-Markus. Wenn er merkt, dass das, was er angeleiert hat, den Bach hinuntergeht, dann hängt er seine Fahne nach dem Wind, der ihm am wärmsten ins Gesicht bläst.«

»Tja, so ist er der Bruckner«, stieß Frau Terzing ergeben hervor. »Man kann ihn allerdings genauso wenig ändern wie den Loisl. Ich würde sagen, bei den beiden ist Hopfen und Malz verloren.«

Sophie schoss der Bäckermeistergattin einen warnenden Blick zu.

Frau Terzing begriff. »Wobei man über den Bruckner im Großen und Ganzen nicht klagen kann«, entschärfte sie ihre Aussage von eben, und zwar mit Blick auf die Erbling-Maria. »Wenn er von sich behauptet, der erste Diener der Gemeinde zu sein, dann übertreibt er net. Er tut ja viel, bloß manchmal schießt er halt übers Ziel hinaus.«

»Wir haben ja einen in der Gemeinde«, erklärte die Maria, »der ihn immer wieder auf den Boden zurückholt, wenn er seinen Höhenflug hat.«

Diese Aussage der Erbling-Maria erstaunte alle Anwesenden.

»Dem ist nix hinzuzufügen«, sagte Sophie.

*

Wieder verstrichen einige Tage. Sophie Tappert stand in der Küche im Pfarrhaus. Es ging auf elf Uhr zu. Um zwölf Uhr würde Max, der Bruder des Pfarrers, zum Mittagsmahl erscheinen. Sophie hatte Krautwickel auf dem Speiseplan.

Draußen schien die Sonne. Das gleißende Gestirn stand fast senkrecht über dem Wachnertal. Die alten Kastanienbäume und Linden auf dem Pfarrplatz warfen nur ganz kurze Schatten. Es war heiß. Die Konturen des Hochgebirges schienen in der flirrenden Luft regelrecht zu verschwimmen.

Sophie hatte das Fenster geschlossen, ein Ventilator lief mit leisem Surren und fächelte der Pfarrhaushälterin kühle Luft zu.

Auf dem Pfarrplatz sah sie eine dunkelgekleidete, mittelgroße Frau mit silbrig anmutenden Haaren vorübergehen. Sie bewegte sich in Richtung der Pforte, durch die man auf den Friedhof gelangte, den eine mannshohe Mauer zum Pfarrplatz hin begrenzte.

Sophie hatte diese Frau nie vorher im Leben gesehen – dachte sie zumindest auf den ersten Blick und schaute wieder weg, plötzlich aber durchfuhr es sie wie ein Stromstoß und sie konzentrierte sich voll und ganz auf die weißhaarige Dame.

Sofort schoss Sophie die Äußerung der Maria Erbling durch den Kopf. Maria war einer etwa siebzigjährigen Frau begegnet, die ihr bekannt vorgekommen war, die sie aber in ihrer Erinnerung nicht unterzubringen vermocht hatte.

Sollte es sich um diese Frau handeln, die in Richtung Friedhofsportal schlenderte?

Sophie erging es jetzt nämlich wie der Erbling-Maria. Die Frau auf dem Pfarrplatz kam ihr bekannt vor, aber so sehr sie in ihrer Erinnerung kramte, sie kam nicht drauf, woher dieses Kennen möglicherweise rührte. Ihre Gedanken schweiften zurück, sie begann gedanklich in den Nebeln der Vergangenheit herumzustochern – vergebens.

Die Frau verschwand aus dem Blickfeld der Pfarrhaushälterin.

Versonnen schaute Sophie noch eine ganze Weile zum Fenster hinaus. Nur nach und nach löste sie sich von der Frage, woher sie die Dame kannte oder wo sie ihr zumindest schon einmal begegnet war.

Kurz entschlossen begab sie sich in das Büro Pfarrer Trenkers. Er arbeitete am Computer. »Entschuldigen S‘ die Störung, Hochwürden«, sagte sie.

Der Pfarrer hörte zu tippen auf und hob den Blick. »Sie stören nicht, Frau Tappert. Was gibts denn?«

Sophie erzählte von der alten Dame, die soeben auf den Friedhof gegangen war, und die ihr bekannt vorkam.

»Vielleicht hat sie früher hier einige Male Urlaub gemacht«, verlieh Sebastian einer Vermutung Ausdruck. »Manche Gesichter behält man einfach in der Erinnerung, oft über Jahre hinweg.«

»Ich kann mir das Hirn noch so zermartern, Hochwürden – mir fällt es nicht ein, woher ich die Dame kenn‘. Dass ich sie kenn‘, ist aber Fakt. Ich würd‘ ja nicht drauf beharren, wenn die Erbling-Maria nicht das Gleiche behaupten würd‘.«

Dass es sich um die Frau handelte, von der die Maria gesprochen hatte, war für Sophie keine Frage.

Sebastian schien kurz nachzudenken, dann erwiderte er: »Die alte Dame ist auf den Friedhof gegangen, sagen Sie. Auf den Friedhof geht man, um ein Grab zu besuchen. Touristen trifft man da kaum. Das könnt‘ ein Indiz dafür sein, Frau Tappert, dass die alte Dame irgendeine Bindung zu St. Johann hat. Die Betonung liegt auf dem Wort könnt‘. Vielleicht interessiert sie sich tatsächlich ganz allgemein für Friedhöfe.«