Reise ins Glück - Toni Waidacher - E-Book

Reise ins Glück E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Die vierundzwanzigjährige Gisela Böhm strahlte. Sie hatte das zweite juristische Staatsexamen mit Prädikat bestanden. Ihr Vater, Dr. Klaus Böhm, seines Zeichens Professor an der Universität in Regensburg, juristische Fakultät, beglückwünschte sie, ebenso ihre Mutter. Sie waren stolz auf ihre Tochter. »Dir stehen sämtliche Möglichkeiten offen, Gisela«, erklärte ihr Vater. »Du kannst dich für ein Richteramt bewerben oder auch zur Staatsanwaltschaft, du kannst aber auch in eine Kanzlei einsteigen, oder sogar selbst eine eröffnen. Du wirst – egal wofür du dich entscheidest -, erfolgreich sein.« Carla Böhm, ihre Mutter, nahm Gisela überglücklich in die Arme. »Jetzt soll sich die Gisela erst einmal für eine gewisse Zeit auf ihren Lorbeeren ausruhen, Klaus«, sagte sie. »Gebüffelt hat sie in den vergangenen Semestern genug. Das Prädikatsexamen beweist es. Jetzt darf sie sich erst einmal zurücklehnen, durchatmen, und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.« »Vergeudete Zeit«, grummelte der Professor. »Ich habe damals keine Zeit verloren, sondern mich gleich drum bemüht, die Doktorarbeit schreiben zu können. Bis zu meiner Habilitation hab' ich in einer Kanzlei gearbeitet. Du wirst dich doch auch drum bemühen, eine Doktorarbeit zu schreiben, Tochter?«

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Seitenzahl: 134

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Bergpfarrer – 517 –

Reise ins Glück

Sie galten als ungleiches Paar

Toni Waidacher

Die vierundzwanzigjährige Gisela Böhm strahlte. Sie hatte das zweite juristische Staatsexamen mit Prädikat bestanden. Ihr Vater, Dr. Klaus Böhm, seines Zeichens Professor an der Universität in Regensburg, juristische Fakultät, beglückwünschte sie, ebenso ihre Mutter. Sie waren stolz auf ihre Tochter.

»Dir stehen sämtliche Möglichkeiten offen, Gisela«, erklärte ihr Vater. »Du kannst dich für ein Richteramt bewerben oder auch zur Staatsanwaltschaft, du kannst aber auch in eine Kanzlei einsteigen, oder sogar selbst eine eröffnen. Du wirst – egal wofür du dich entscheidest -, erfolgreich sein.«

Carla Böhm, ihre Mutter, nahm Gisela überglücklich in die Arme. »Jetzt soll sich die Gisela erst einmal für eine gewisse Zeit auf ihren Lorbeeren ausruhen, Klaus«, sagte sie. »Gebüffelt hat sie in den vergangenen Semestern genug. Das Prädikatsexamen beweist es. Jetzt darf sie sich erst einmal zurücklehnen, durchatmen, und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.«

»Vergeudete Zeit«, grummelte der Professor. »Ich habe damals keine Zeit verloren, sondern mich gleich drum bemüht, die Doktorarbeit schreiben zu können. Bis zu meiner Habilitation hab‘ ich in einer Kanzlei gearbeitet. Du wirst dich doch auch drum bemühen, eine Doktorarbeit zu schreiben, Tochter?«

»Davon bin ich im Moment noch weit entfernt, Papa«, antwortete Gisela. »Wie die Mama es schon richtig erkannt hat: Gebüffelt habe ich genug, sodass ich für die nächste Zeit eine Pause brauche, eine Auszeit, die ich mir redlich verdient habe.«

»Was hast du denn vor?«, fragte ihr Vater fast ein wenig verstimmt.

»Ich werde zwei oder drei Wochen entspannen. Während dieser Zeit überlege ich, wie’s weitergehen soll. Ich werde daher heute noch meinen Koffer packen, mich morgen früh ins Auto setzen, und – ins Wachnertal, genau gesagt nach St. Johann, fahren.«

»Dort warst du doch schon nicht mehr, seit du das Studium aufgenommen hast!«, stieß Klaus Böhm hervor. »Die Mama und ich waren auch nicht mehr dort. Dort liegt doch der Hund begraben.«

»Wir haben früher, fast zehn Jahre lang, bis zu meinem Abitur, jeden Sommer dort unseren Urlaub verbracht«, versetzte Gisela. »Ihr habt geschwärmt für das Tal. Und ich - pflege immer noch Telefonkontakt mit Konrad.«

Jetzt verriet das Gesicht ihres Vaters Bestürzung. Von Giselas Mutter kam ein geradezu erschreckter Laut. »Mit dem Bauernbuben?«, brach es aus ihrer Kehle. »Wie hat er gleich wieder mit Familiennamen geheißen?«

»Urban«, half Gisela ihrer Mutter auf die Sprünge.

»Genau, Konrad Urban. Mit dem hast du immer noch Kontakt?«, rief Carla Böhm geradezu entsetzt. »Wir haben dir doch damals schon geraten, diesen primitiven Naturburschen schnell wieder zu vergessen.«

»Das war doch nur ein Urlaubsflirt«, fügte Klaus Böhm hinzu. »Wie sagt man? Ach ja! Ein Techtelmechtel, mehr nicht. Wir spielen in einer anderen Liga, Gisela. Diesen Bauernburschen musst du dir ganz schnell aus dem Kopf schlagen. In dem Kreis, in den wir dich eingeführt haben, gibt es doch genügend junge Kerle, die unserem Niveau entsprechen. Lach dir von denen einen an.«

»Ich mag den Konrad«, beharrte Gisela auf ihrem Standpunkt. »Außerdem habe ich schon im Hotel ›Zum Löwen‹ ein Zimmer gebucht, das ich nicht mehr rückgängig machen kann und auch nicht rückgängig machen will. Ich weiß, ihr wart damals schon dagegen, dass ich den Konrad für begehrenswert gefunden habe und er meine Gefühle erwidert hat. Während all der Jahre meines Studiums, in denen ich keine Zeit hatte, ihn zu besuchen, haben wir oft miteinander telefoniert. Er hat mir immer wieder versichert, dass sich an seinen Gefühlen für mich nichts geändert hat. Und mir ergeht es ebenso.« Gisela schaute ihren Vater an. »Sei mir nicht böse, Papa, aber ich fühle mich nicht irgendeiner Liga zugehörig. Ich richte mich ausschließlich danach, was mir die Stimme da drin ...«, sie schlug sich mit der flachen Hand mehrere Male leicht gegen die Brust, »... sagt.«

»Das ist romantischer Quatsch!«, erregte sich Klaus Böhm. »Das ist geradezu naiv, Gisela. Du bist hochintelligent und dir steht die Welt offen. Ich stell‘ mir vor, die stehst in Gummistiefeln in einem dreckigen Kuhstall und mistest die Boxen. Erschreckend! Ein Bild, das mich geradezu entsetzt. Alles wäre umsonst gewesen. Gütiger Gott, daran darf ich gar nicht denken.«

»Ihr könnt mich nicht umstimmen«, erklärte Gisela trotzig. »Zum einen habe ich das Zimmer schon gebucht, zum anderen habe ich Konrad versprochen, dass ich ihn mal besuche. Ich käme mir ja schäbig vor, würde ich jetzt einen Rückzieher machen. Es gibt für mich nicht den geringsten Grund dafür. Darum bleibt es dabei: Morgen fahre ich nach St. Johann. Ich kann es kaum erwarten, dort zu sein. Ihr müsst keine Sorge haben, Mama und Papa, meine berufliche Zukunft behalte ich natürlich im Auge. Aber jetzt will ich erst einmal für zwei oder drei Wochen das Leben genießen und mit dem Konrad eine schöne Zeit verbringen.«

»Ich sehe es schon«, murmelte der Professor. »Du lässt es dir nicht ausreden, also musst du fahren. Hoffentlich erlebst du keine Enttäuschung. Es sind mehr als vier, ja sogar fünf Jahre vergangen. Sicher, du und der Bauernbub, ihr habt öfter mal miteinander telefoniert. Wenn ich mich richtig erinnere, dann war er damals zwei- oder dreiundzwanzig Jahre alt. Inzwischen geht er auf die dreißig zu. In diesen Kreisen wird früh geheiratet und Nachwuchs gezeugt, damit mal jemand da ist, der den Hof übernimmt. In seinem Alter müsste dieser Kerl eigentlich schon eine Familie haben. – Na schön, Gisela. Morgen wirst du es wissen, wie es in Wirklichkeit um die Gefühle des Bauernburschen bestellt ist.«

»An seinen Gefühlen hat sich in vergangenen Jahre nichts geändert«, verlieh Gisela ihrer Überzeugung ein weiteres Mal Ausdruck. »Der Konrad hat mir nichts vorgegaukelt. Der ist ehrlich. Ich freue mich schon auf ihn.«

Der Professor und seine Frau wechselten einen Blick, der absolute Hilflosigkeit beinhaltete. Gisela hatte sich festgelegt, und jedes weitere Wort vonseiten ihrer Eltern wäre gegen die Wand gesprochen gewesen. Gisela war volljährig, sie hatte während der Semesterferien immer gejobbt, sodass sie das Geld für die Auszeit in St. Johann besaß, außerdem war sie stur; ein Erbe ihres Vaters. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, nach St. Johann zu fahren, und nichts auf der Welt würde sie davon abbringen können.

»Tu‘, was du nicht lassen kannst«, stieß Klaus Böhm fast ein bisschen aggressiv aus. »Denk‘ aber immer dran, dass wir eine Menge Geld in deine Ausbildung investiert haben. Ich erwarte Dankbarkeit, insofern, dass du das zu schätzen weißt und das Beste daraus machst.«

»Ich bin euch dankbar, und ich werde euch immer dankbar sein«, versicherte Gisela. »Aber fordert bitte nicht von mir, dass ich aus lauter Dankbarkeit meine Grundsätze über Bord werfe. Einer meiner Grundsätze ist, Versprechen einzuhalten. Ich habe Konrad versprochen, irgendwann nach St. Johann zu kommen und mit ihm eine schöne Zeit zu verbringen.«

»Dann weiß er wohl gar nichts von seinem Glück, dass du ihn morgen schon besuchen kommst?«, fragte Carla Böhm.

»Nein, das soll eine Überraschung werden«, antwortete Gisela und lächelte hintergründig. »Er wird aus allen Wolken fallen.«

*

In der Tat!

Als Gisela am folgenden Tag, nachmittags, auf dem Urbanhof erschien und Konrad plötzlich gegenüberstand, glaubte dieser einen Moment lang an eine Halluzination. Er starrte Gisela an wie eine überirdische Erscheinung, seine Lippen bewegten sich, sein Kehlkopf rutschte hinauf und hinunter, doch seine Stimmbänder versagten.

»Da staunst du, was?«, fragte Gisela und schaute ihn mit strahlenden Augen an. Er wirkte reifer als damals, männlicher und irgendwie gesetzter.

Konrad blinzelte. »Es ist also kein Traum«, entfuhr es ihm. »Du bist es wirklich. Ja, ich staune, Gisela. Damit hätt‘ ich ja net mal im Traum gerechnet. Wieso kommst du nach St. Johann? Du warst doch immer so sehr mit deinem Studium ausgelastet.« Er griff sich an die Stirn. »Ich werd‘ ja nimmer«, stöhnte er regelrecht.

»Ich bin mit meinem Studium fertig, Konrad«, erwiderte Gisela. »Warum ich dich besuche, wirst du dir doch denken können. Es sollte eine Überraschung sein.«

»Die ist dir gelungen«, knurrte Konrad. Er schien kurz zu überlegen. »Warum hast du denn net angerufen?«

»Dann wäre es ja keine Überraschung mehr gewesen. – Willst du mich nicht ins Haus bitten?« Es war so, dass Gisela vor der Haustür im Hof stand, Konrad aber mit seiner Gestalt die Haustür blockierte. Plötzlich überschattete sich das Gesicht der Vierundzwanzigjährigen für einen Moment. »Ich bin mir ja nicht ganz sicher ...«, murmelte sie und forschte regelrecht in seinen Zügen. »... mir kommt es aber nicht vor, als würdest du dich besonders freuen, Konrad. Wenn wir miteinander telefoniert haben, warst du ganz anders.«

»Das täuscht nur«, beteuerte Konrad. »Natürlich, komm‘ rein. Ich war wirklich von den Socken, als du vor der Haustür gestanden hast. Aber das kannst du dir ja denken.«

Er gab die Tür frei und Gisela trat an ihm vorbei ins Haus. »Komm«, sagte der Siebenundzwanzigjährige, »gehen wir in die Küche. Da ist die Mama dabei, das Abendessen zu richten. Du erinnerst dich doch noch an die Mama?«

»Natürlich.«

Konrad ließ Gisela den Vortritt. »Grüß Sie Gott, Frau Urban!«, grüßte Gisela freundlich und mit lachendem Mund, als sie über die Schwelle in die Küche trat. »Ich hoffe, Sie wissen noch, wer ich bin.«

Den Blick, mit dem die Mutter Konrads die Besucherin maß, konnte man als verstört bezeichnen. Die Bäuerin nickte. »Ja, ja, du bist die Gisela. Es ist schon ein paar Jahre her. Aber ich erinnere mich. Es hat mal eine Zeit gegeben, da war der Konrad regelrecht von dir verzaubert. Wo kommst denn du auf einmal her?« Katharina Urban schaute ihren Sohn an. »Hast du gewusst, dass das Mädchen herkommt?«

»Iwo, Mama, ich war genauso überrascht wie du. Setz dich, Gisela.«

Alle drei nahmen am Küchentisch Platz.

Die ganze Atmosphäre, die sowohl Konrad als auch seine Mutter verbreiteten, mutete Gisela seltsam an. Es war völlig anders, als sie es erwartet hatte. Sie war darauf gefasst gewesen, von Konrad in die Arme genommen und geküsst zu werden, und dass er vor Freude geradezu überschäumte. Nun konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie ungelegen gekommen war und überhaupt nicht willkommen zu sein schien.

»Tja«, machte sie, »wo komme ich schon her, Frau Urban. Aus Regensburg natürlich. Ich bin heute Mittag angekommen und habe erst einmal im Hotel eingecheckt. Die Susanne Reisinger hat mich sofort wiedererkannt. - Ich bin mit meinem Studium fertig, und da wir - der Konrad und ich - nie die Verbindung zwischen uns abreißen haben lassen, habe ich mir gedacht, ich besuche ihn.«

»Im Moment ist es halt bei uns ganz schlecht mit der Freizeit«, murmelte Konrad. »Auf den Feldern und Äckern ist zwar nicht viel zu tun. Das Zeug wächst von selber. Der letzte Winter hat jedoch gewaltige Schäden im Wald angerichtet, und ich muss tagtäglich das Totholz herausholen, wenn ich nicht will, dass sich der Borkenkäfer und anderes schädliches Ungeziefer breitmacht.«

Gisela verstand und verspürte Enttäuschung. Konrad war jetzt, wo sie ihm gegenübersaß, vollkommen anders als bei ihren Telefonaten mit ihm. Er hatte immer wieder versichert, dass er sie nicht vergessen könne, dass er ständig an die Zeit mit ihr denken musste, und dass er Sehnsucht nach ihr habe.

Davon war jetzt ganz und gar nichts zu merken.

Auch die Tatsache, dass sie nicht einmal gefragt wurde, ob sie eine Tasse Kaffee oder ein Glas Wasser haben wolle, befremdete sie. Und jetzt hatte er ihr auch noch eröffnet, dass er keine Zeit für sie haben werde, weil er dem Borkenkäfer zuvorkommen müsse.

Gisela fühlte sich unvermittelt vollkommen deplatziert. Am liebsten wäre sie aufgestanden und gegangen. Aber da war immer noch ein Rest Hoffnung ...

»Wir können uns doch abends treffen«, schlug sie vor. »Nach Sonnenuntergang wirst du doch nicht mehr im Wald arbeiten. Damals haben wir doch auch abends im Biergarten oder in einem heimeligen Weinlokal gesessen, wir sind außerhalb des Ortes spazieren gegangen und haben uns vom Zirpen der Grillen verzaubern lassen ...«

»Abends bin ich müde, Gisela, und froh, wenn ich alle fünfe gerade sein lassen kann. Du hättest mir deine Absicht, nach St. Johann zu kommen, ankündigen sollen. Ich hätt‘ dir dann abgeraten. Der Papa kann auch nimmer so, und ich bin viel mehr gefordert als vor vier, fünf und sechs Jahren. Das ist so, und ich kanns nicht ändern. Gewiss, du hast dir was anderes erwartet, aber dem kann ich beim besten Willen nicht gerecht werden. Es tut mir leid. Aber ich werde mich während der Zeit, in der du hier weilst, kaum um dich kümmern können.«

Seine Äußerungen schnürten Gisela die Brust ein. In ihrer Kehle bildete sich ein Kloß, in ihr stauten sich Enttäuschung sowie Frust, sie verspürte aber auch Zorn. »Ich verstehe«, murmelte sie mit brüchiger Stimme und erhob sich. »Es war ein Fehler, herzukommen. Keine Sorge, Konrad, ich werde nicht versuchen, dich von deinen Obliegenheiten abzuhalten, die dir keine Zeit für ein Privatleben lassen.«

Gisela maß den Burschen mit einem abfälligen Blick. Ihr entging nicht, dass er es vermied, sie anzusehen, und dass er sich überhaupt nicht wohlfühlte in seiner Haut.

Sodann streifte ihr Blick die Mutter Konrads. Die schaute sie mit einer Mischung aus Trotz und Triumph an. Katharina Urban fühlte sich bemüßigt, etwas zu sagen. »Der Bub nimmt halt seine Aufgaben sehr, sehr ernst, und stellt alles andere hintan. Schließlich kriegt er ja auch einmal den Hof, und will zeigen, dass er ihn verdient. Zum Rumturteln und Flirten hat er keine Zeit mehr. Und eine Studierte wie du wäre wohl eh nicht das Richtige für ihn.«

Gisela war wie vor den Kopf gestoßen. »Dann weiß ich ja Bescheid«, murmelte sie und spürte, wie die Wut in ihr hochkochte. »Keine Sorge, Frau Urban! Ich werde den Konrad nicht belästigen. Meine Eltern scheinen recht gehabt zu haben, als sie Ihren Sohn als einen primitiven Bauern hingestellt haben. Ich sehe ihn jetzt genauso. Fünf Jahre lang hat er mir Sand in die Augen gestreut. Heute aber hat er sein wahres Gesicht gezeigt. Na schön, ich werde den Urlaub hier auch ohne seine Gesellschaft herumkriegen. Was ich von Ihnen und Ihrem Sohn zu halten habe, weiß ich jetzt. Einen schönen Abend noch.«

Sie wirbelte herum und strebte der Tür zu. Über die Schulter rief sie: »Du brauchst dich net zu bemühen, Konrad. Ich finde den Ausgang alleine.«

Sie ließ betretenes Schweigen zurück.

Da der Urbanhof außerhalb des Ortes inmitten der landwirtschaftlich genutzten Flächen lag, war Gisela mit dem Auto gekommen. Es war ein Kleinwagen von Ford, der auch schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Sie klemmte sich hinter das Steuer und fuhr aufs Geradewohl los. Der Aufruhr in ihrem Innern war nur schwer unter Kontrolle zu bekommen. Die Enttäuschung saß tief, außerdem fühlte sie sich in ihrem Stolz verletzt, ein bisschen sogar gedemütigt. Man hatte sie auf dem Hof ablaufen lassen wie Wasser. Es nagte und fraß in Gisela.

*

Sie bog von der Landstraße ab, befuhr eine schmale Teerstraße, die sich in einiger Entfernung in den Wald zu bohren schien und zwischen den dicht an dicht stehenden Bäumen verschwand.

Gisela wollte alleine sein, wollte ihr Innerstes sortieren, wieder zu sich finden und den Tiefschlag verarbeiten.

Als der Wald begann, stellte sie ihr Auto ab und ging zu Fuß weiter. Die schmale Teerstraße setzte sich fort. Gisela glaubte sich erinnern zu können, dass es sich um den Ainringer Forst handelte, in dem sie sich befand. Sie hatte damals zusammen mit ihren Eltern einen Spaziergang zu dem ehemaligen Jagdschloss Hubertusbrunn unternommen.

Tiefer im Wald herrschte Düsternis. Nur hier und dort erreichte ein Sonnenstrahl den Boden und malte einen sich ständig leicht verändernden Lichtklecks auf den Waldboden, was darauf zurückzuführen war, dass ein lauer Wind in die Baumkronen fuhr und die Zweige bewegte. Von verschiedenen Seiten erreichte Vogelgezwitscher das Gehör Giselas.

Sie war fertig mit der Welt. Die Ruhe und der Friede, die der Wald vermittelte, erreichten sie nicht. Immer wieder erschien das betroffene Gesicht Konrads vor ihrem inneren Auge, es wurde abgelöst vom Gesicht seiner Mutter, das einen geradezu gehässigen Ausdruck angenommen hatte, als sie erklärte, dass sie, Gisela, sowieso nicht die richtige Frau für Konrad und den Hof wäre.

Gisela hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verstrichen war, seit sie den Wald betreten hatte, als sie den Rand der großen Lichtung erreichte, auf dem das Jagdschloss Hubertusbrunn errichtet worden war. Sie hielt an und schaute um sich, als würde sie aus einem Zustand der Trance erwachen.