Schau nicht zurück, Christine - Toni Waidacher - E-Book

Schau nicht zurück, Christine E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Christine Lindner zuckte zusammen, als es an der Tür klingelte. Nicht schon wieder, ging es ihr durch den Kopf. Einmal mußte es doch ein Ende haben! Sie ging in den Flur des Vierzimmer-Apartments. Dabei klopfte ihr Herz bis zum Hals hinauf. Die junge Frau ahnte, daß der Besuch nichts Gutes bedeutete – genau, wie all die anderen Besuche, die sie in den letzten Tagen und Wochen erhalten hatte. Vor der Tür blieb sie einen Moment stehen. Sollte sie öffnen? Oder sich still verhalten und so tun, als sei sie nicht zu Hause, in der Hoffnung, daß, wer immer da draußen stand, unverrichteter Dinge, wieder ging? Erneut wurde der Klingelknopf gedrückt. Länger, energischer, so als wüßte der Besucher genau, daß sie hinter der Tür stand. Christine öffnete. Der Mann, der sie erwartungsvoll ansah, hielt eine Aktentasche unter dem Arm. »Grüß Gott, Frau Lindner«, sagte er mit einer knappen Verbeugung. »Meine Name ist Franz Langinger, ich bin Gerichtsvollzieher und hab' einen Vollstreckungsbeschluß. Darf ich hereinkommen?« Die hübsche Architektin zuckte mutlos die Schulter und ließ den Mann eintreten. Franz Langinger war Mitte Vierzig, trug einen dunklen Schnäuzer, der von dem schon schütteren Haupthaar ablenkte, und der Ansatz des Bierbauches zeugte vom häufigen Genuß des Gerstensaftes. Christine Lindner hatte die Tür geschlossen und deutete mit einer Handbewegung die Richtung zum Wohnzimmer an.

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Der Bergpfarrer – 373 –

Schau nicht zurück, Christine

Wage einen beherzten Schritt in Richtung Glück!

Toni Waidacher

Christine Lindner zuckte zusammen, als es an der Tür klingelte.

Nicht schon wieder, ging es ihr durch den Kopf. Einmal mußte es doch ein Ende haben!

Sie ging in den Flur des Vierzimmer-Apartments. Dabei klopfte ihr Herz bis zum Hals hinauf. Die junge Frau ahnte, daß der Besuch nichts Gutes bedeutete – genau, wie all die anderen Besuche, die sie in den letzten Tagen und Wochen erhalten hatte.

Vor der Tür blieb sie einen Moment stehen.

Sollte sie öffnen?

Oder sich still verhalten und so tun, als sei sie nicht zu Hause, in der Hoffnung, daß, wer immer da draußen stand, unverrichteter Dinge, wieder ging?

Erneut wurde der Klingelknopf gedrückt.

Länger, energischer, so als wüßte der Besucher genau, daß sie hinter der Tür stand.

Christine öffnete. Der Mann, der sie erwartungsvoll ansah, hielt eine Aktentasche unter dem Arm.

»Grüß Gott, Frau Lindner«, sagte er mit einer knappen Verbeugung. »Meine Name ist Franz Langinger, ich bin Gerichtsvollzieher und hab’ einen Vollstreckungsbeschluß. Darf ich hereinkommen?«

Die hübsche Architektin zuckte mutlos die Schulter und ließ den Mann eintreten. Franz Langinger war Mitte Vierzig, trug einen dunklen Schnäuzer, der von dem schon schütteren Haupthaar ablenkte, und der Ansatz des Bierbauches zeugte vom häufigen Genuß des Gerstensaftes.

Christine Lindner hatte die Tür geschlossen und deutete mit einer Handbewegung die Richtung zum Wohnzimmer an.

Der Gerichtsvollzieher trat ein und sah sich um. Mit einem Blick hatte er festgestellt, welche Gegenstände es in dem Raum gab, die er gegebenfalls pfänden konnte.

Aber noch war es nicht soweit. Die Architektin bot ihm einen Platz an und setzte sich dann ihm gegenüber. Franz Langinger öffnete die Aktentasche, die er neben sich auf den Boden gestellt hatte, und nahm den Vollstreckungsbefehl heraus. Einen ganz kurzen Moment schaute er darauf, dann sah er die junge Frau an.

»Ja, Frau Lindner, die Firma Heusmann und Söhne macht einen Betrag in Höhe von Sechstausend Euro geltend. Das ensprechende Urteil des Amtsgerichtes, Nürnberg, müßte ihnen vorliegen.«

Die Architektin nickte resigniert.

Nicht nur das, dachte sie.

Inzwischen stapelten sich Vollstreckungsurteile fast aller bayerischen Gerichte auf ihrem Schreibtisch. Mal mehr, mal weniger große Forderungen. Allerdings – zu glauben, daß sie in der Lage wäre, sie zu erfüllen, war geradezu utopisch. Denn, wenn sie es genau nahm, dann war Christine Lindner arm, so arm wie eine Kirchenmaus.

Durch ihre eigene Dummheit, wie sie inzwischen wußte.

»Können Sie die Forderung bezahlen?« fragte der Gerichtsvollzieher.

Eine rein rhetorische Frage, denn in neun von zehn Fällen, konnten die Schuldner nicht zahlen. Und auch hier erntete er nur ein Kopfschütteln.

Wutausbrüche und Krokodilstränen hatte Franz Langinger oft erlebt, wenn er in der Wohnung eines Schuldners saß. Sogar unmoralische Angebote hatte er schon bekommen, für den Fall, daß er die leidige Angelegneheit unter den Tisch fallen ließ.

Aber so ein ruhiger und emotionsloser Mensch, wie diese junge Frau, war wirklich noch nicht dabei gewesen. Sie saß da, als ginge sie das alles gar nichts an, und der Vollzugsbeamte fragte sich, ob Christine Lindner wohl innerlich schon mit allem abgeschlossen hatte.

Auch mit dem Leben…

Er beugte sich vor.

»Ich hab’ nix geseh’n, was sich für eine Pfändung verwerten ließe«, stellte er fest.

Viel gab es wirklich nicht mehr in der Wohnung. Gerade mal das, was ein Mensch zum Leben braucht. Da täuschte auch die Tatsache, daß sich das Apartment in einem Haus, im vornehmen Münchener Stadtteil Bogenhausen befand, nicht darüber hinweg. Zudem gab es Gegenstände des täglichen Lebens, die überhaupt nicht gepfändet werden duften. Ein Bett oder der Fernseher, zum Beispiel.

Der Gerichtsvollzieher stellte ein paar Fragen über die Lebensumstände der jungen Frau, schrieb ein Protokoll, das sie unterzeichen mußte, und verabschiedete sich.

»Ich will Ihnen net verschweigen, daß Sie früher oder später eine eidesstattliche Versicherung werden abgeben müssen«, erklärte Franz Langinger, als er in der Tür stand. »Früher wurd’s Offenbarungseid genannt. Ich denk’, Sie wissen, was damit gemeint ist.«

Wieder nickte Christine Lindner nur, wenngleich die Worte sie auch amüsierten.

Die eidesstattliche Versicherung konnte auf Verlangen eines Gläubigers angeordnet werden, wenn der glaubte, daß ein Schuldner, trotz gegenteiliger Behauptung, in der Lage war, zu zahlen, aber nicht wollte. Doch in ihrem Fall war nun wirklich überhaupt nichts zu holen!

Sie schloß die Tür hinter dem Gerichtsvollzieher und lehnte sich dagegen. Einen Moment schwindelte es ihr, dann ging sie an den Garderobenspiegel und schaute sich prüfend an.

*

Sechsundzwanzig Jahre war sie jetzt alt. Vor zwei Jahren hatte sie sich selbstständig gemacht, zusammen mit Wolfgnag Hersching, den sie auf der Universität kennen- und liebengelernt hatte.

Es war kein leichter Start gewesen, den das junge Architektenbüro gehabt hatte. Die Konkurrenz in München war groß, und wer Erfolg haben wollte, der mußte schon mit etwas Neuem, Großartigem kommen. Mit etwas, das noch nie dagewesen war.

Der jungen Architektin Christine Lindner gelang dieser Wurf.

Sie und ihr Partner beteiligten sich an einem Wettbewerb. Es ging um den Neubau eines Shopping-Centers vor den Toren der Stadt. Hier, wo Designerware – Mode vor allem –, verkauft wurde, sollte nach den Wünschen der Unternehmergruppe, ein einzigartiges Ensemble entstehen, das durch das äußere Erscheinungsbild dem Ruf der Weltfirmen, die sich hier niederlassen wollten, gerecht wurde.

Dabei wurde vor allem darauf Wert gelegt, daß die Kunden nicht nur zum Einkaufen herkamen – wenngleich dieser Aspekt natürlich im Vordergrund stand. Aber durch eine geschickte Mischung aus Läden und Erlebnisgastronomie, verbunden mit etlichen Freizeitaktivitäten, sollte den Leuten suggeriert werden, sich in einem wahren Paradies zu befinden.

In Amerika, woher diese Idee stammte, waren die Umsätze um ein Vielfaches gesteigert worden.

Menschen, die sich in einer gehobenen lockeren Stimmung befanden, waren in der Regel bereit, mehr Geld auszugeben, als sie ursprünglich beabsichtigt hatten.

Sie hatten nie darüber gesprochen, aber daß das Architektenbüro, Hersching und Lindner, den Wettbewerb gewann, lag letztlich an den bahnbrechenden Ideen, die Christine eingebracht hatte. War die Startphase ihres Unternehmens alles andere als rosig gewesen, so war jetzt ihr Name in aller Mund. Von allen Seiten kamen Aufträge, und zeitweise war die Nachfrage so groß, daß sie sogar den Angestelltenstamm aufstockten.

Diese Bekanntheit verschaffte ihnen Einladungen in illustre Kreise, zu denen sie sonst nie Zugang gehabt hätten. Und wenn Christine es recht bedachte, dann war genau das auch der Anfang vom Ende.

Als sie Wolfgang auf der Uni kennengelernt hatte, verliebte sie sich sofort in den blendend aussehenden Mitstudenten. Schon nach wenigen Wochen stand fest, daß sie zusammenbleiben und ihre Zukunft gemeinsam gestalten wollten.

War ich wirklich so blind, vor Liebe, daß ich nicht sehen wollte, daß der Untergang bevorstand?

Diese Frage hatte Christine sich in den vergangenen Wochen immer wieder gestellt.

Angefangen hatte alles damit, daß plötzlich Forderungen von Firmen auftauchten, von denen sie glaubte, daß sie längst beglichen seien.

Erst waren es nur zwei, drei, dann, innerhalb von nur einer Woche trafen vierundvierzig Mahnschreiben verschiedenster Unternehmen im Büro ein, mit denen sie zusammen gearbeitet hatten. Ihr Partner Wolfgang Winkler befand sich zu dieser Zeit in Schweden wo er angeblich neue Kontakte knüpfen wollte.

Eine Lüge, wie sich wenig später herausstellte. Denn als Christine versuchte, ihn in den Firmen, die er ihr genannt hatte, zu erreichen, mußte sie feststellen, daß diese gar nicht existierten. Und natürlich war ihr Geschäfts- und Lebenspartner auch nicht in den Hotels abgestiegen, die er auf einem Zettel notiert hatte.

Noch dachte die junge Frau sich nichts dabei, glaubte an einen Irrtum, eine Verwechslung der Namen und Telefonnummern. Mißtrauisch wurde sie erst, als Wolfgang Winkler sich nicht meldete und auch nicht über sein Mobiltelefon zu erreichen war.

Das böse Erwachen kam eines Morgens, als der Steuerberater des Architektenbüros Alarm schlug. Auf Christines Bitte hin hatte er sich die Unterlagen angesehen und mit den Firmen telefoniert, die diese Forderungen stellten.

Das Ergebnis war niederschmetternd gewesen.

Nicht eine Rechnung hatte Wolfgang Winkler bezahlt, selbst Steuern und Krankenkassenbeiträge war er schuldig geblieben.

»Nach allem , was ich herausgefunden habe, Frau Lindner, sind Sie pleite!«

Dieser Satz klang ihr immer noch in den Ohren.

»Aber, wie kann das denn sein?« hatte sie ungläubig gefragt.

Der Steuerberater zuckte nur mit der Schulter.

»Wenn die Firmen ihre Forderungen einklagen, dann bleibt nichts mehr übrig«, erklärte er. »Als einer von zwei Geschäftsführern einer GmbH, haften Sie mit Ihrem persönlichen Vermögen. Da der Herr Winkler nicht greifbar ist, werden sich die Gläubiger an Sie halten.«

»Was mach’ ich denn jetzt?« flüsterte sie tonlos.

Der Steuerberater sah sie bedauernd an.

»Gehen Sie noch heute zum Gericht und beantragen Sie Insolvenz. Das ist der einzige Rat, den ich Ihnen geben kann.«

*

Jens Bruckner schlug die Augen auf und streckte sich genüßlich. Dann schaute er auf den Wecker, der an diesem Mittwoch morgen ausnahmsweise nicht geklingelt hatte.

»Heut’ net, du alter Sklaventreiber«, sagte er triumphierend zu dem Wecker, der unschuldig an seinem Bett stand und sonst immer die unangenehme Angewohnheit hatte, jeden Morgen zu klingeln. »Ich hab’ nämlich Urlaub!«

Trotzdem schlug der junge Rechtsanwalt die Decke zurück und stand auf. Allerdings lief dieser Morgen, im Gegensatz zu den anderen, nicht so hektisch ab. Geruhsam stellte sich Jens unter die Dusche, rasierte sich anschließend sorgfältig und ging, nachdem er sich angezogen hatte, zum Bäcker hinüber und kaufte ein paar Semmeln. Mit der Zeitung in der Hand machte er es sich auf der Terrasse seines Hauses bequem und frühstückte.

Es war herrlich, endlich einmal in aller Ruhe in der Morgensonne zu sitzen, den Kaffee zu genießen und nicht an Gerichtsakten und Prozeßordnung denken zu müssen. Niemand, der ihn zur Eile antrieb, kein Staatsanwalt oder Richter, mit dem er sich herumschlagen mußte.

Und das ganze drei Wochen lang!

Im Flur standen schon zwei Koffer, die er noch am Vorabend gepackt hatte. In diesem Jahr ging es nicht zu den angesagten Ferienzielen. Mallorca war zu überfüllt, und mit den Reichen und Schönen, die sich in Marbella tummelten, hatte der junge Anwalt nichts am Hut. Daher war er dem Rat eines Freundes dankbar gewesen, er ihn auf einen Ort hinwies, auf den Jens Bruckner von alleine kaum gekommen wäre.

»Ich bin ja auf der ganzen Welt zuhause«, hatte Wolfgang Winkler, der bekannte Fotograf gesagt. »Aber wenn ich mal wirklich ausspannen will, dann fahr’ ich nach Sankt Johann. Leider komm’ ich viel zu selten dazu!«

»Wo liegt denn das?« fragte Jens, dessen Neugierde geweckt war.

Schon lange hatte er es satt, in den überfüllten Urlaubsorten seine Ferien zu verbringen. Die kostbarsten Wochen des Jahres wollte er sinnvoll nutzen. Wirklich ausspannen, ein gutes Buch lesen. Vielleicht ein wenig ausreiten oder wandern.

»Das alles kannst du dort«, sagte Wolfgang und erklärte, wo dieser wundersame Ort zu finden sei.