E-Book 261-270 - Toni Waidacher - E-Book

E-Book 261-270 E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 1: Ein Traum vom großen Erfolg E-Book 2: Nimm den Ring zurück! E-Book 3: Der Spuk vom Wendlerhof E-Book 4: Ferienfahrt ins Glück E-Book 5: Dir will ich gehören E-Book 6: Heimkehr ins Glück? E-Book 7: Schenke mir dein Herz, Valerie E-Book 8: Verliebt in einen Heiratsschwindler? E-Book 9: Ein Herz kann man nicht kaufen E-Book 10: Gefahr aus der Vergangenheit

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Inhalt

Ein Traum vom großen Erfolg

Nimm den Ring zurück!

Der Spuk vom Wendlerhof

Ferienfahrt ins Glück

Dir will ich gehören

Heimkehr ins Glück?

Schenke mir dein Herz, Valerie

Verliebt in einen Heiratsschwindler?

Ein Herz kann man nicht kaufen

Gefahr aus der Vergangenheit

Der Bergpfarrer – Staffel 27 –

E-Book 261-270

Toni Waidacher

Ein Traum vom großen Erfolg

Auf Andrea wartet ein hartes Erwachen

Roman von Waidacher, Toni

»Guten Morgen, Servus und Grüß Gott, liebe Leute, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Hier ist wieder euer Sender ›Radio Fünf‹ mit der coolsten Morningshow in ganz Bayern. Und wir steigen gleich in die Charts ein, hier sind die ›Beauty Angels‹ mit ›Dream on baby‹ …«

Andrea Brandner drückte auf den Ausknopf, und die gerade einsetzende Musik verstummte. Die junge Frau biss sich auf die Unterlippe.

Einmal nur in dieser Radioshow sein, davon träumte sie, solange sich Andrea erinnern konnte. Doch leider bisher vergebens.

Missmutig blickte sie sich in dem Zimmer um. Es war eine billige Pension, in der sie wohnte. Zu mehr reichte es nicht, hatte Jochen gemeint und sie auf später vertröstet.

»Du musst Geduld haben!«, beschwor er sie stets, wenn Andrea wieder mal kurz davor war, alles hinzuwerfen. »Mensch, Madel, was glaubst’ wohl, was für einen steinigen Weg die meisten großen Stars hinter sich haben? Das geht nicht von heute auf morgen!«

Dann lächelte er wieder sein gewinnendes Lächeln, und schon war Andrea bereit, ihm zu glauben. Indes blieb ihr auch gar nichts anderes übrig, als weiter zu hoffen, dass Jochen sein Versprechen endlich wahr machte und sie ganz groß herausbrachte. Denn außer ihm und ihrer Hoffnung hatte sie nichts anderes auf der Welt. Mit Wehmut dachte sie daran, dass alles so großartig angefangen hatte, ihr großer Traum von einer Karriere als Sängerin. Heimlich hatte sie ihn schon immer geträumt. Damals, als sie noch im Kirchenchor, in St. Johann, gesungen hatte.

Pfarrer Trenker war mit Christel Haller, der Chorleiterin, einer Meinung gewesen, dass sie eine wunderschöne Stimme hätte, und es wäre ein Jammer, wenn dieses Talent so ungenutzt verkümmerte. Beide hatten sich darum bemüht, dass das Madel sich gesanglich weiterentwickelte, und erste Soloauftritte in der Kirche an hohen Feiertagen hatten auch die Gemeinde davon überzeugt, dass da ein kleines Wunderkind mit einer großen Stimme unter ihnen lebte.

Andrea war gerade erst neun Jahre alt, als sie in der Weihnachtsmesse »Maria durch ein’ Dornwald ging« sang, ganz alleine, vorne am Altar, nur von der Orgel begleitet.

Selbst ihr Vater zeigte sich gerührt, obwohl der Bauer es nicht gerne sah, dass seine Tochter so viel Zeit für den Chor opferte.

»Das Madel soll lernen, Kühe zu melken, Wäsche zu waschen und auch sonst auf dem Hof mitzuarbeiten«, sagte Franz Brandner, als der Bergpfarrer ihn darauf ansprach, dass Andrea zweimal die Chorprobe versäumt habe.

Dennoch tat sie alles, um weiterhin dem Gesang treu bleiben zu können und ihren Traum zu träumen.

Mit achtzehn dann kam die Wende. Andrea bewarb sich heimlich, ohne Wissen der Eltern, bei einer Talentshow. Mit klopfendem Herzen war sie nach München gefahren, wo die Veranstaltung stattfand. Ganz schlecht war ihr gewesen vor Aufregung, als sie auf die Bühne gerufen wurde, doch sobald sie das Mikrophon in der Hand hatte, war das Lampenfieber verflogen. Andrea sang und gab alles. Die Zuschauer klatschten begeistert Beifall, und als dann ihr Name als Siegerin genannt wurde, da schien der große Traum vom Glück sich tatsächlich erfüllt zu haben.

Veranstalter des Wettbewerbs waren eine große Tageszeitung und ein Musikproduzent, der ihr noch in der Stunde ihres Triumphs vorgestellt wurde. Jochen Hoffmann präsentierte ihr bei einem Glas Sekt hinter der Bühne den Vertrag. Eine CD sollte sie aufnehmen. Gleichzeitig würde er sich als ihr Manager darum kümmern, dass diese CD zu den Rundfunksendern kam, damit sie dort gespielt wurde. Das war überhaupt die Voraussetzung, um bekannt zu werden.

Andrea kehrte an diesem Tag nicht mehr nach Hause zurück. Auch nicht am nächsten und am übernächsten. Seit drei Jahren lebte sie nun in München. Jedoch ohne nennenswerten Erfolg.

Klar, Jochen kümmerte sich um alles. Er beschaffte ihr Auftritte in Möbelhäusern, die neu eröffnet wurden, er ließ sie in Diskotheken singen und verwaltete ansonsten ihr ganzes Leben. Eigenes Geld besaß Andrea kaum.

»Es kommt ja kaum was rein«, jammerte ihr Manager immer wieder, wenn sie sich beschwerte.

Dann zahlte er ihr ein lächerliches Taschengeld und verschwand für einige Zeit, um dann plötzlich wieder aufzutauchen, mit einem Vertrag für einen neuen dubiosen Auftritt. Längst hatte Andrea Brandner die Wahrheit erkannt. Sie war alles andere, als auf dem Weg, ein Star zu werden.

Wenn es so weiterging, würde sie nie über diese drittklassigen Engagements hinauskommen!

Doch wie sollte sie es ändern?

Geraume Zeit dachte sie schon darüber nach. Der einzige Ausweg, der ihr einfiel, war in die Heimat zurückzukehren und einzugestehen, dass sie versagt hatte, ihr großer Traum geplatzt war und sich nie erfüllen würde.

Auch auf die Gefahr hin, dass man sie daheim auslachen würde …

Andrea nahm ihre Handtasche und holte die Geldbörse hervor. Das ohnehin knapp bemessene Geld, das sie von Jochen bekam, reichte kaum für das Nötigste. Aber schon gar nicht, um davon noch was zu sparen. Dennoch war es ihr gelungen, ein bisschen Geld aufzuheben. Andrea hatte es in das hinterste Fach der Börse gesteckt und, so oft sie auch versucht war, daran zu gehen, sich gesagt, dass sie es eines Tages vielleicht für etwas brauchen würde, das dringender war, als der Kauf einer neuen Bluse. Jetzt zählte sie die Scheine durch. Hundertsiebzig Euro – auf jeden Fall genug für eine Fahrkarte nach St. Johann!

*

Mit klopfendem Herzen trat die Besucherin durch die Tür. Hoch über ihr wölbte sich das herrliche Deckenfresko, zu dem Andrea Brandner schon unzählige Male hinaufgeschaut hatte. Szenen aus der Bibel waren meisterlich dargestellt, angefangen bei der Erschaffung der Welt, bis hin zur Sintflut und Noahs Arche. Langsam ging sie durch den Mittelgang zum Altar hinunter und betrachtete dabei die Fensterbilder. Jedes einzelne Motiv kannte die Besucherin in und auswendig. Als Ministrantin hatte sie oft genug darauf geschaut, wenn sie ungeduldig auf das Ende der Messe gewartet hatte. Auch die wunderschönen Heiligenfiguren, von frommen Holzschnitzern geschaffen, die teilweise mit Blattgold verziert waren, grüßten sie scheinbar wie eine alte Bekannte.

Andrea schaute auf ein Gemälde, das unter der Galerie an der Wand hing. Es war ein Porträt des Gottessohnes. »Gethsemane«, stand auf einem kleinen Schild daneben. Es zeigte Jesus Christus am Abend vor der Kreuzigung, im Gebet versunken. Dem unbekannten Künstler war es meisterhaft gelungen, das Wissen um die Unabänderlichkeit seines Schicksals im Gesicht des Erlösers wiederzugeben.

Nur wenige Schritte daneben stand auf einem Sockel die kostbare Madonna. Das Meisterwerk eines unbekannten Holzschnitzers, die so schlicht gearbeitet war, dass genau diese Einfachheit jeden Betrachter ergriffen dastehen ließ.

Andrea wusste, dass die Statue nicht nur einen großen finanziellen Wert besaß. Sie gehörte einfach nach St. Johann und in diese Kirche, wie …, ja, wie Pfarrer Trenker auch.

Ob er wohl in der Sakristei war?

Andrea hatte nicht lange gezögert und ihren Entschluss, aus München fortzugehen, gleich in die Tat umgesetzt. Jochen Hoffmann verhandelte mit irgendeinem »Veranstalter«, der sie angeblich verpflichten wollte. Aus diesem Grund war ihr Manager nach Starnberg gefahren. Er würde nicht vor dem späten Nachmittag zurück sein, hatte er gesagt. Schnell packte Andreas dann ein paar Sachen zusammen und verließ die Pension, froh darüber, dass der Besitzer ihr nicht begegnete. Ferdl Pirschler war ihr nicht unbedingt sympathisch und hätte ihr sicher nur unangenehme Fragen gestellt.

Mit dem Bus fuhr Andrea zum Bahnhof, kaufte eine Fahrkarte und wartete ungeduldig auf die Abfahrt des Zuges. Erst als der Bahnsteig zurückblieb, atmete sie befreit auf und lehnte sich entspannt ins Polster zurück.

In der Kreisstadt stieg sie in den Bus um, der sie nach St. Johann brachte. Die ganze Zeit hatte sie überlegt, an wen sie sich sonst noch wenden konnte, aber außer Pfarrer Trenker fiel ihr niemand ein. Zu den früheren Bekannten und Freundinnen hatte Andrea Brandner keinen Kontakt mehr, und gleich nach Haus zu gehen, das wagte sie nicht. Also führte ihr erster Weg in die Kirche.

Mit der Reisetasche in der einen Hand stand sie vor der Sakristeitür und klopfte mit der anderen an.

Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter. Von früher her wusste sie noch, dass die Sakristei nie zugesperrt war. Die Tür konnte Andrea aufziehen, der Raum dahinter war leer. Sie musste es also im Pfarrhaus versuchen.

Andrea verließ die Kirche. Rechts vom Friedhof stand das Haus, hinter einer dichten Hecke. Sie drückte den Klingelknopf und wartete mit klopfendem Herzen. Nach ein paar Sekunden waren Schritte zu hören, und die Tür schwang auf.

»Grüß Gott.«

Die Haushälterin blickte die junge Frau fragend an, dann erhellte sich ihre Miene.

»Das ist doch die Andrea!«

»Grüß Gott, Frau Tappert«, lächelte die Besucherin. »Ist der Herr Pfarrer zu sprechen?«

»Aber ja, komm nur herein. Deine Tasche kannst’ gleich hier abstellen. Ich sag’ Hochwürden Bescheid.«

Sebastian Trenker saß in seinem Arbeitszimmer und las die Post. Als er hörte, wer da zu Besuch gekommen war, legte der den Umschlag, den er gerade öffnen wollte, aus der Hand und stand auf.

»Andrea Brandner!«, sagte er und streckte die Hand aus. »Grüß dich, Madel. Das ist aber eine Überraschung!«

Sie lächelte befangen.

»Ich freu’ mich auch, wieder hier zu sein.«

Der Bergpfarrer nickte. Ihm war sofort klar, dass dies nicht einfach ein Besuch seines ehemaligen Pfarrkindes war. Da steckte mehr dahinter. Forschend betrachtete er die Sängerin und entdeckte etwas in ihrem Gesicht, das seine Ahnung bestätigte.

»Komm«, sagte er, »ich denk’, wir haben viel zu besprechen.«

*

»Das ist eine schlimme Geschichte«, sagte Sebastian Trenker, als Andrea ihm alles erzählt hatte.

Sie saßen auf der Terrasse des Pfarrhauses. Sophie Tappert hatte Saft serviert und für die Besucherin ein belegtes Brot.

»Weißt du«, fuhr der Geistliche fort, »ich hab’ mich oft gefragt, was aus dir geworden ist, warum du dich nie gemeldet hast?«

Andrea hatte den letzten Bissen heruntergeschluckt und trank aus ihrem Glas.

»Ich hatte keinen Mut dazu«, gestand sie. »Nach einiger Zeit, ich glaub’, es war ein halbes Jahr, nachdem ich fortgegangen bin, hab’ ich versucht, mit den Eltern Kontakt aufzunehmen. Ich hab’ ihnen einen Brief geschrieben, in dem ich ihnen erklären wollte, warum ich so gehandelt hab’. Der Brief kam postwendend zurück, und als ich daheim anrief, war Vater am Telefon und fertigte mich mit den Worten ab, er habe keine Tochter mehr, und ich sei für ihn gestorben. Danach wagte ich gar net mehr, mich bei irgendjemandem zu melden.«

Sebastian nickte verstehend.

»Ich hab’ deine Mutter oft gefragt, ob sie was von dir gehört hat«, erzählte er. »Leider nein, hat sie geantwortet, du würdest dich nie melden. Jetzt versteh’ ich, warum. Dein Vater hat ihr deine Kontaktversuche verschwiegen.«

Andrea seufzte betrübt, doch dann blitzte es in ihren Augen hoffnungsvoll auf.

»Glauben S’, wir könnten erst mal mit Mutter reden?«, fragte sie.

Der Bergpfarrer lächelte.

»Wir werden’s auf jeden Fall versuchen«, versprach er. »Jetzt aber bringst’ erst mal deine Sachen ins Gästezimmer hinauf. Frau Tappert zeigt’s dir, und dann wollen wir Mittag essen. Anschließend überlegen wir, wie wir am besten mit deiner Mutter Kontakt aufnehmen. Hauptsache ist aber erst einmal, dass du den Fängen dieses dubiosen Musikmenschen entkommen bist!«

Dankbar richtete sich Andrea im Gästezimmer ein. Es war schön, wieder in der Heimat zu sein. Andrea trat ans Fenster und schaute hinaus. Die Berge schienen zum Greifen nah, ihre Gipfel berührten den Himmel, wurden eins mit den Wolken. Andrea fühlte sich unendlich glücklich. Nur einmal hatte sie sich gefragt, ob sie Jochen hätte sagen müssen, dass sie ihre Karriere aufgeben wollte. Immerhin war sie vertraglich an ihn gebunden. Doch dann beruhigte sie sich, mit dem Gedanken, dass er vielleicht ganz froh war, sie los zu sein. Schließlich war der Erfolg ja ausgeblieben und das Geld ebenso.

Andrea holte tief Luft und schüttelte den Kopf.

Nein, »Mandy«, den Star der Discoszene, gab es nicht mehr. Sie hatte ihn mit dem heutigen Tag begraben!

Überhaupt – gefallen hatte ihr der Künstlername, den Jochen ihr gegeben hatte, nie so richtig. Sie wusste nicht, was sie mit diesem Namen verband, nur für ihre Person schien er ihr gänzlich ungeeignet.

Vermutlich würde es nicht lange dauern, und ihr Manager hatte eine andere Sängerin gefunden, die er als »Mandy« vermarktete.

Als Andrea Brandner wieder nach unten kam, aßen sie zu Mittag, anschließend kochte die Haushälterin des Bergpfarrers Kaffee. Sie tranken ihn auf der Terrasse, dann machten sie sich auf den Weg.

Je näher sie dem Brandnerhof kamen, umso aufgeregter wurde das Madel.

»Nur die Ruhe«, meinte Sebastian Trenker zu ihr, »es wird schon werden.«

Dabei versuchte er, zuversichtlich zu klingen. Indes ahnte er, dass es nicht einfach sein würde, Franz Brandner davon zu überzeugen, dass er sich mit seiner Tochter versöhnen möge. Überhaupt war es fraglich, ob er dem Geistlichen überhaupt Gehör schenken würde. Seit damals, als Andrea heimlich nach München gefahren und nicht zurückgekommen war, hatte Andreas Vater die Kirche nicht mehr betreten. Er gab dem guten Hirten von St. Johann die Schuld daran. Sebastian habe der Tochter Flausen in den Kopf gesetzt und sie ermutigt, war sein Vorwurf. Der Bergpfarrer setzte deshalb seine ganze Hoffnung auf Liesl Brandner. Die Mutter würde der Tochter eher verzeihen können, als der hartherzige Vater.

Andrea saß ganz verkrampft neben ihm, als Sebastian auf den Bauernhof einbog. Er hielt vor dem Wohnhaus und stieg aus.

»Komm«, sagte er und nickte ihr zu.

Sie öffnete die Tür und richtete sich auf. Schlagartig wurde die Zeit um vier Jahre zurückgedreht. Nichts hatte sich auf dem Hof verändert, selbst der Anstrich an Scheune und Stall war noch derselbe.

Sebastian wollte gerade zur Tür gehen, als diese von innen geöffnet wurde. Groß und wuchtig trat Franz Brandner nach draußen. Als er die Besucher sah, runzelte er die Stirn, dann verengten sich seine Augen zu Schlitzen und er stieß einen knurrenden Laut aus.

*

Über dem Saal der großen Strafkammer lag ein kleiner Raum, in dem zur selben Zeit fünf Männer saßen. Vor Ihnen auf dem Tisch lagen Berge von Akten, daneben standen Kaffeekannen, Tassen, Zucker und Milch. Eines der beiden Fenster war geöffnet und ließ ein wenig von der frischen Luft herein, die draußen wehte. Hier drinnen hingegen war sie eher zum Schneiden dick, auch wenn nicht geraucht wurde.

An einem Seitentisch saß eine junge Frau, die Sekretärin des Gerichtspräsidenten, die jedes gesprochene Wort auf Band aufnahm und gleichzeitig in einen Computer tippte. Seit dem frühen Morgen saßen sie zusammen; Dr. Konrad Brunner, oberster Münchner Richter, Dr. Hans Willinger, Justiziar der Staatskanzlei, Tobias Hochleitner, Staatsanwalt, und Dr. Herbert Wohlfahrt, ein Stuttgarter Rechtsanwalt, der von Richard Hausschild, seinem Sozius begleitet wurde. Die Angelegenheit, über die sie seit Stunden verhandelten, war so brisant, dass strengstes Stillschweigen vereinbart worden war. Jeder der fünf Männer hatte unterschrieben, nichts über dieses Treffen an die Öffentlichkeit weiterzugeben, genauso wie Kathrin Moser, die durch ihren Beruf ohnehin an die Schweigepflicht gebunden war. Denn es ging um nicht mehr und nicht weniger, als darum, eine Frau, die auf mannigfache Weise straffällig geworden war, freizukaufen.

Betrug, Urkundenfälschung, Bestechung, Nötigung – das waren nur einige Punkte in einer langen Reihe von Straftaten, die Patricia Vangaalen zur Last gelegt wurden und deretwegen sie auf der ganzen Welt polizeilich gesucht wurde. Die mehrfache Milliardärin hatte als Inhaber der ›Schwäbischen Investment GmbH‹ Leute belogen und bedroht, und wenn es gar nicht anders ging, zum Schweigen bringen lassen. Die ebenso schöne wie skrupellose Frau kannte keine Grenzen, wenn es darum ging, ihren Willen durchzusetzen. Erst in Pfarrer Trenker erwuchs ihr ein Gegner, der immer wieder ihre Pläne durchkreuzte.

Dafür hatte sie ihm Rache geschworen!

Aber auch dafür, dass er sie abgewiesen hatte, als sie dem guten Hirten von St. Johann ihre Liebe erklärte …

Dr. Brunner sah auf die Uhr und räusperte sich. Schon nach Mittag. Voller Wehmut dachte er an die süßsauren Nierchen, die es heute in der Gerichtskantine gegeben hatte. Jetzt waren sie sicher schon ausverkauft.

Allerdings schwindelte ihm der Kopf nicht nur vor Hunger, sondern vor allem wegen der Zahlen, die durch den Raum geschwebt waren. Das Angebot Frau Vangaalens hatte nicht nur den Richter überrascht, auch der Justiziar der Staatskanzlei hatte überrascht geschluckt.

Die Dame ließ es sich was kosten, wieder nach Deutschland zurückkehren zu können!

Indes war es kein schlechtes Geschäft, das der bayerische Staat da machte. Einige der Taten waren ohnehin verjährt, zu anderen Vorwürfen fehlten die Beweise, sodass die Anklage eher auf wackligen Beinen stand, als auf einem festen Fundament. Wenn die Beklagte es darauf anlegte, würde bei einem Prozess vielleicht sogar ein Urteil in ihrem Sinne gefällt. Dass sie es nicht abwarten konnte und diesen Weg ging, hatte vermutlich seinen Grund, den der Gerichtspräsident aber nicht herausfinden wollte. Da war es schon besser so.

»Dann sind wir uns also einig«, sagte Dr. Brunner an die Anwesenden gewandt. »Frau Moser, bitte schreiben Sie: Frau Patricia Vangaalen erhält, gegen Auflage, völlige Straffreiheit zugesichert, der internationale Haftbefehl wird außer Vollzug gesetzt. Dieser Beschluss tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft. Die Auflage beträgt …«

Der Richter nannte die Summe, die Patricia Vangaalen garantierte, dass kein Gericht der Welt sie noch anklagen würde, und Kathrin Moser fühlte unmittelbar ihr Herz schneller klopfen, als sie die Zahlen schrieb – eigentlich war es nur eine Zahl, aber mit etlichen Nullen dahinter …

Die Männer standen von ihren Stühlen auf und reichten sich die Hände. Lächelnd verabschiedete man sich, und die beiden Stuttgarter Anwälte verließen mit einem Gefühl des Sieges das Gericht.

Noch vor der Tür holte Herbert Wohlfahrt sein Handy hervor und wählte eine Nummer.

»Hildebrandt«, meldete sich der Teilnehmer sofort. »Wie sieht es aus?«

»Großartig!«

»Dann haben die Herren unser Angebot akzeptiert«, lachte Andreas Hildebrandt, der der verlängerte Arm Patricia Vangaalens war, solange sie sich im Ausland versteckt hielt. »Ja, manchmal siegt eben das Geld doch über die Gerechtigkeit. Vielen Dank, Herr Wohlfahrt, auch an Ihren Kollegen. Sie haben gute Arbeit geleistet. Ich werde mich sofort darum kümmern, dass das Geld überwiesen wird, und erwarte Ihre Rechnung.«

»Unsere Empfehlung an Frau Vangaalen«, antwortete der Rechtsanwalt.

»Werde ich ausrichten«, verabschiedete sich Andreas Hildebrandt.

In seinem Stuttgarter Büro wählte er sich ins Internet ein. Mit ein paar raschen Bewegungen über die Tastatur rief er eine Seite auf, gab ein Passwort ein und wartete kurz. Es gab einen Signalton, im nächsten Moment öffnete sich ein Bildschirm und das Gesicht einer Frau wurde sichtbar.

»Herzlichen Glückwunsch«, sagte er, »Sie können Ihre Rückkehr nach Deutschland vorbereiten.«

Die rothaarige Frau lächelte.

»Sehr gut, Andreas«, antwortete sie, »ich habe schon alles soweit fertig, die Maschine startet in einer Viertelstunde, morgen um diese Zeit treffe ich in Stuttgart ein.«

»Ich werde Sie persönlich erwarten.«

»Ich freue mich«, nickte Patricia Vangaalen. »Bereiten Sie bitte alles für ein neues Geschäft vor, besser gesagt einen neuen Geschäfts­zweig …«

Andreas Hildebrandt runzelte die Stirn.

»In welcher Branche?«, wollte er wissen.

Die Antwort überraschte ihn noch mehr, als die bloße Ankündigung.

»Im Bankwesen«, antwortete seine Chefin. »Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir da mehr Einfluss nehmen sollten, und habe mich deshalb entschlossen, eine eigene Bank zu gründen. Die ›Vangaalen Privatbank‹. Hauptsitz wird eine dieser Inseln in der Karibik sein, wo das deutsche Recht nicht greift. Das überlegen wir noch gemeinsam. Unsere Dependance in Deutschland sollte sich aber schon in Stuttgart befinden. Eine Filiale aber liegt mir ganz besonders am Herzen – und die richten wir in St. Johann ein!«

*

»Was wollen S’ hier?«, fuhr der Bauer den Geistlichen an. »Ich hab’ Sie net hergebeten.«

Seine Tochter hatte er nicht angesehen.

»Grüß dich, Franz«, antwortete Sebastian gelassen. »Nein, hergebeten hast’ mich net. Aber wie du siehst, bin ich trotzdem hier. Da du net zu mir in die Kirche kommst, bin ich ja dazu gezwungen.«

Franz Brandner bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick.

»Was haben wir zwei schon miteinand’ zu bereden?«, stieß er hervor.

»Zum Beispiel, dass deine Tochter heimgekommen ist«, entgegnete der gute Hirte von St. Johann. »Und tu’ net so, als ob du sie net erkannt hättest.«

Jetzt endlich blickte der Vater sein Kind an. Doch die Reaktion erschreckte Sebastian.

»Meine Tochter ist es net«, sagte Franz stur. »Die ist verschwunden. Die da, die können S’ wieder mitnehmen. Soll sie in die Gosse zurückgeh’n, aus der sie gekommen ist!«

Andreas Augen weiteten sich vor Entsetzen, und ihrer Kehle entrang sich ein erstickter Schrei.

»Vater …!«

Der Bauer streckte den Arm aus.

»Vom Hof!«, brüllte er, mit zornesrotem Gesicht. »Lass dich nie wieder hier blicken!«

»Himmel, nimm Vernunft an!«, rief Sebastian aufgebracht. »Franz Brandner, du versündigst dich! An deinem Kind und an Gott.«

Der Geistliche schüttelte den Kopf.

»Ist denn net genug Zeit vergangen, um Verzeihen zu können?«, fuhr er fort. »Sicher war’s net richtig, was die Andrea getan hat, aber sie ist doch dein eigen Fleisch und Blut!«

Sebastian trat einen Schritt vor.

»Wo ist deine Frau? Lass mich mit ihr sprechen. Bestimmt ist die Liesl einsichtiger, als du.«

Im selben Moment wurde hinter dem Bauern die Gestalt seiner Frau sichtbar. Doch Franz Brandner drückte sie rücksichtslos zurück und zog die Tür hinter sich zu.

»Fahren S’ wieder!«, verlangte er. »Was Sie hier machen ist Hausfriedensbruch, und der ist strafbar. Fragen S’ Ihren Bruder.«

Er wandte sich zur Tür und drückte die Klinke herunter. Ehe der Bauer im Haus verschwand, drehte er sich noch einmal um und deutete auf Andrea.

»Und die da nehmen S’ wieder mit. Sie soll sich net noch mal hier seh’n lassen!«

Krachend warf er hinter sich die Tür ins Schloss.

Sebastian legte tröstend seinen Arm um das Madel. Andrea schluchzte hemmungslos.

»Komm«, sagte der Geistliche, »es hat keinen Zweck, hier zu bleiben. Im Moment ist mit deinem Vater net zu reden. Vermutlich ist er von deinem plötzlichen Auftauchen zu überrascht, um angemessen zu reagieren.«

»Aber was soll ich denn jetzt machen?«, fragte Andrea leise. »Wo soll ich denn hin? Ich hab’ doch sonst niemanden.«

Sebastian führte sie zum Auto.

»Erst einmal bleibst’ im Pfarrhaus«, erklärte er. »Und dann überlegen wir, wie’s weitergeh’n soll. Irgendwas wird uns schon einfallen. Jedenfalls lass ich dich net im Stich, das weißt du.«

Andrea hatte die Tränen abgewischt, und ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie dankbar nickte.

Die Fahrt nach St. Johann zurück verlief stumm. Sebastian ließ das Madel seinen Gedanken nachgehen und überlegte selbst, was nun zu tun war. Wie Andrea gesagt hatte, wollte sie ihre Gesangskarriere beenden und lieber einen »richtigen« Beruf lernen. Der Bergpfarrer begrüßte einerseits diesen Entschluss, fand es allerdings auch schade, dass sie ihr Talent nicht weiter verfolgen wollte.

Indes wusste er im Moment aber auch nicht, wie beides gelingen sollte.

Allerdings kam Max zum Kaffeetrinken mit einer Nachricht, die den Geistlichen noch mehr beschäftigte, als das Problem, welches Andrea hatte.

Eigentlich kam der Bruder des Bergpfarrers die Woche über immer zum Mittagessen ins Pfarrhaus. Claudia, seine Frau, arbeitete in Garmisch Partenkirchen bei der Zeitung, und ihre Pause war zu kurz, als dass es gelohnt hätte, mittags nach Hause zu fahren. Während sie also in der Stadt blieb, wusste die Journalistin ihren Mann gut versorgt, und dass der kleine Sebastian, ihrer beider Sohn, sich in der Obhut eines zuverlässigen Kindermädchens befand, das Claudia und Elena Wiesinger gemeinsam engagiert hatten. Die attraktive Tierärztin und Ehefrau Dr. Wiesingers, hatte nach der Geburt ihrer Tochter schnell wieder arbeiten müssen, und so war dies die beste Lösung gewesen.

An diesem Tag hatte Max einen Termin im Präsidium der Kreisstadt und deshalb das Mittagessen ausfallen lassen müssen. Zum Nachmittagskaffee war er jedoch pünktlich wieder zurück. Der junge Polizist begrüßte Andrea Brandner herzlich. Max schüttelte nur den Kopf, als er hörte, wie stur und unversöhnlich der Brandnerbauer sich gezeigt hatte.

»Na, dem Franz werd’ ich ein Strafmandat verpassen, wenn er das nächste Mal zu schnell fährt, das sich gewaschen hat!«, meinte er, grimmig lächelnd, und wurde gleich darauf ernst. »Es gibt noch eine Neuigkeit …«

Sebastian sah seinen Bruder forschend an.

»So wie du das sagst, kann’s nix Gutes bedeuten«, bemerkte er.

Max Trenker nickte.

»Wahrlich net. Der internationale Haftbefehl gegen Patricia Vangaalen wurde aufgehoben …«

»Das gibt’s doch net!«

»Doch, leider«, erwiderte der Bruder des Bergpfarrers. »Ich hab’s eben im Präsidium erfahren. Der Haftbefehl ist seit heut’ Mittag außer Kraft gesetzt. Frau Vangaalen muss net mehr befürchten, von den Gerichten verfolgt zu werden.«

Sebastian sank in seinem Sitz zurück. Diese Nachricht traf ihn wie ein Keulenschlag.

»Wie um alles in der Welt hat sie jetzt das geschafft?«, fragte er kopfschüttelnd.

»Genaues weiß man net«, antwortete Max. »Aber es wird gemunkelt, dass man sich außergerichtlich geeinigt habe.«

»Was bedeutet das? Kann sich jetzt jeder, der genug Geld hat, von jeglicher Schuld freikaufen?«

Der Bergpfarrer war sichtlich empört. Sein Bruder zuckte die Schultern.

»Die Gerichte in Deutschland sind derart überlastet, dass es Jahrzehnte dauern würde, alle anhängigen Klagen zu verhandeln«, sagte er. »Deshalb ist man schon seit Jahren dazu übergegangen, Verfahren gegen Auflagen einzustellen. Der Beklagte zahlt einen vom Gericht festgelegten Betrag und geht straffrei aus.«

Sebastian schüttelte den Kopf.

»Das mag bei kleineren Vergehen vielleicht angebracht sein«, bemerkte er. »Aber bei den Dimensionen, in denen Patricia Vangaalen sich bewegt, ist das doch wohl etwas ganz anderes!«

»Vielleicht hören wir ja nie wieder was von ihr«, hoffte Max laut.

»Diese Zuversicht vermag ich leider net zu teilen«, sagte Sebastian Trenker. »Dazu ist mir diese Frau viel zu suspekt. Nicht von ungefähr hat sie erst vor kurzem versucht, sich die Kirchengrundstücke unter den Nagel zu reißen.«

Max blickte skeptisch drein.

»Warum sollte sie ihre ganze Energie darauf verschwenden, uns das Leben schwer zu machen?«, wandte er ein.

Der Geistliche sah ihn düster an.

»Weil sie mich hasst und nur ein Ziel kennt – sich an mir zu rächen!«

*

In den nächsten Tagen kümmerte sich Sebastian darum, dass Andrea eine Arbeit fand. Ihr war es egal, womit sie ihr Geld verdienen konnte, solange es nichts mit Musik zu tun hatte. Gerne hätte das Madel auf einem der umliegenden Bauernhöfe als Magd gearbeitet, doch da waren die Stellen längst besetzt, und Aushilfen wurden erst ein paar Wochen eingestellt, wenn die Ernte begann. Doch bis dahin konnte Andrea nicht warten. Umso mehr freute sie sich, als Pfarrer Trenker ihr vorschlug, sich in der Pension »Edelweiß« zu bewerben. Die gehörte seinem Cousin Andreas und dessen Ehefrau Marion. Die beiden suchten ein »Mädchen für alles«, angefangen vom Servieren des Frühstücks, bis hin zum Bettenmachen und Reinigen der Zimmer.

»Du könntest auch dort wohnen«, sagte der Bergpfarrer.

Die junge Frau konnte ihr Glück kaum fassen. Noch in derselben Stunde sprach sie in der Pension vor und bekam die Stelle.

Sebastian hatte selbstverständlich schon vorgefühlt und das Madel Andreas und Marion ans Herz gelegt.

Inzwischen bewohnte Andrea Brandner ein Zimmer unter dem Dach, das aber nicht weniger komfortabel ausgestattet war, als die Pensionszimmer. Ihr Dienst begann früh, weil nicht wenige Gäste zeitig aufstanden, um die Gegend zu erkunden und Ausflüge an den Achsteinsee oder zum Jagdschloss zu unternehmen. Dafür hatte Andrea am frühen Nachmittag schon wieder Feierabend und konnte selbst noch etwas unternehmen. Indes blieb sie die meiste Zeit im Haus und half auch dann noch, wenn sie längst frei hatte.

»Du solltest mal ein wenig unter die Leute gehen«, meinte Marion Trenker, als sie und Andreas beim Kaffee zusammen saßen. »Bestimmt triffst du morgen auf dem Tanzabend ein paar alte Bekannte von früher wieder.«

Andrea zuckte die Schultern.

»Ich weiß gar net, ob ich das überhaupt will«, antwortete sie.

Marion sah sie forschend an.

»Es ist die Geschichte mit deinen Eltern, was?«

Das Madel nickte traurig.

»Ich weiß, dass ich damals einen Fehler gemacht hab’, als ich heimlich fort bin«, räumte die Bauerntochter ein.

»Aber ich versteh’ net, warum Vater mir net verzeihen kann!«

Marion Trenker legte ihr tröstend die Hand auf den Arm.

»Ich bin sicher, dass das eines Tags wieder in Ordnung kommt«, sagte sie. »Wie wir unseren Pfarrer kennen, gibt er nicht so leicht auf.«

Andrea lächelte.

»Wie ist das eigentlich so, einen Pfarrer in der Verwandtschaft zu haben?«, fragte sie.

»Na ja, zu dem bin ich gekommen, wie die Jungfrau zum Kind«, lachte die Pensionswirtin. »Ich hab’ mir ja auch nie träumen lassen, einmal im tiefsten Bayern zuhause zu sein.«

»Du und Andreas habt euch in Kanada kennen gelernt, oder?«

Marion nickte.

»Ja, und es war eine recht abenteuerliche Geschichte, wie wir zwei zusammengefunden haben und dann wieder getrennt wurden …«

»Geboren wurde ich ja in Hamburg«, fuhr sie fort. »Ich gebe mir zwar Mühe, es zu verbergen, aber manchmal lässt sich mein norddeutscher Dialekt doch net ganz verleugnen.«

Dann erzählte sie, wie sie seinerzeit Andreas Trenker kennen gelernt hatte. Marion war für ein paar Wochen Urlaub nach Kanada gefahren, wo sie dem deutschstämmigen Mann begegnete, der die Liebe ihres Lebens wurde.

Andreas war Jahre zuvor aus Deutschland ausgewandert und hatte sich drüben eine neue Existenz aufgebaut. Persönliche Gründe, eine verlorene Liebe waren der Anlass gewesen. Doch schon bald nachdem Marion nach Deutschland zurückgekehrt war, brach er seine Zelte in Übersee ab und ging in die Heimat zurück. Immer noch fühlte er eine tiefe Liebe für die Frau aus Hamburg und verzehrte sich nach ihr.

Indes gab es doch ein paar kleine Hindernisse, bis sie wirklich zueinander fanden. Denn erst nach einigen Wochen wagte er es endlich, nach Hamburg zu fahren und Marion einen Heiratsantrag zu machen, den sie freudig annahm.

Jetzt waren sie glücklich verheiratet und stolze Besitzer der Pension »Edelweiß«.

»In Hamburg habe ich als Lektorin in einem Verlag für Jugendliteratur gearbeitet«, schloss Marion Trenker. »Ein Beruf, der mir viel Spaß macht, und ich bin glücklich, ihn immer noch ausüben zu können. Dank Internet ist das ja heutzutage kein Problem.«

Die beiden Frauen saßen im Garten der Pension. Andreas war zum Einkaufen gefahren. Die Wirtin sah auf, als auf der Strasse ein Auto hielt.

»Das ist doch noch nicht mein Mann«, sagte sie und schaute über die Büsche am Gartenzaun.

Dann schlug sie sich überrascht auf die Stirn.

»Himmel, das ist der Herr Wohlers, ein Gast. Den habe ich doch glatt vergessen!«

Sie schaute Andrea fragend an.

»Haben wir denn überhaupt noch was frei?«

»Die Zwei«, nickte die Bauerntochter. »Ich hab’ das Zimmer erst heute Morgen fertig gemacht.«

»Gott sei Dank!«

Marion stand auf und ging dem Gast entgegen, der gerade durch die Gartenpforte trat.

Andrea sah sie mit dem jungen Mann sprechen. Herr Wohlers war Ende Zwanzig, hatte kurzes blondes Haar und ein markantes, bartloses Gesicht. Er wirkte sportlich und war mit einer leichten Hose und kurzärmeligem Hemd bekleidet.

Und er war äußerst attraktiv, wie Andrea bemerkte …

Indes hatte sie kein Interesse an Männern. Erst einmal musste sie ihr Leben in den Griff bekommen und etwas daraus machen. Die Arbeit in der Pension war nur einen Zwischenlösung, darin war sie sich mit den Trenkers einig. Was noch kommen würde, wusste Andrea nicht, nur dass jetzt der undenkbar schlechteste Zeitpunkt war, sich zu verlieben.

Dennoch klopfte ihr Herz, als Marion sie zu sich rief und sie bat, dem Gast das Zimmer zu zeigen.

Thomas Wohlers, stellte er sich vor, als sie durch die kleine Halle gingen, und er lobte die Pension und ihre geschmackvolle Einrichtung.

»Frau und Herr Trenker haben die Villa erst vor einem guten Jahr gekauft und umgebaut«, erklärte Andrea Brandner. »Ich hoffe, Sie werden sich hier wohl fühlen.«

Sie schloss die Tür auf und ließ den Gast eintreten.

»Da bin ich ganz sicher«, nickte Thomas und schaute sich um. »Sehr schön.«

Andrea erklärte ihm, von wann bis wann das Frühstück serviert wurde und wies auf die Prospekte hin, die in dem Zimmer auslagen, in denen Vorschläge für die individuelle Freizeitgestaltung gemacht wurden.

»Ich will mich in erster Linie erholen«, meinte der junge Mann. »Das hab’ ich mir nach den letzten Wochen redlich verdient.«

Er verriet nicht, was in den letzten Wochen so anstrengend gewesen war, und Andrea fragte freilich auch nicht nach. Sie wünschte ihm einen schönen Aufenthalt und ging hinaus.

Irritiert bemerkte sie dabei, dass Thomas Wohlers sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck anschaute. Grad so, als würde er sie kennen.

Hoffentlich niemand, der einen der peinlichen Auftritte von ihr gesehen und sie jetzt wiedererkannt hatte …

In seinem Zimmer trat Thomas an die Terrassentür und öffnete sie weit. Ein Stück abgetrennte Terrasse gehörte zu jedem Zimmer, Tisch und Stuhl und eine bequeme Liege standen darauf. Der junge Mann setzte sich und atmete tief durch. Ja, es war richtig gewesen, München für einige Zeit den Rücken zu kehren und sich hier eine Auszeit zu nehmen. Der »Schuss vor den Bug«, wie sein Arzt die auftretenden Herzrhythmusstörungen bezeichnet hatte, war ihm wirklich eine Warnung gewesen. Mit achtundzwanzig Jahren fühlte sich Thomas noch viel zu jung, um so zu erkranken. Glücklicherweise hatte Dr. Zimmermann ihm versichert, dass das alles in den Griff zu kriegen sei.

»Spannen S’ ein paar Wochen aus«, riet ihm der Mediziner. »Fahren S’ am besten in die Berge. Ein bissel Wandern, die Seele baumeln lassen, und nehmen S’ vor allem keine Arbeit mit. Handy, Laptop und alles andre muss daheim bleiben! Dann werden S’ seh’n, dass es Ihnen in ein paar Wochen viel besser geht.«

Thomas Wohlers hatte sich an den Rat des Arztes gehalten, seine Sekretärin in den Urlaub geschickt, alle anstehenden Termine abgesagt und weder den tragbaren Computer, noch das Mobiltelefon mitgenommen.

Nach einer Weile stand er auf und rieb sich die Hände.

So, jetzt den Koffer auspacken und dann eine schöne Tasse Kaffee trinken!

Während er nach draußen ging, um sein Gepäck zu holen, überlegte Thomas, wieso ihm das hübsche Madel, das ihm das Zimmer gezeigt hatte, so bekannt vorkam. Die ganze Zeit hatte er immer wieder überlegt, war aber nicht darauf gekommen. Vermutlich gab es jemanden, dem es ähnlich sah. In seinem Beruf kam er mit vielen Menschen zusammen, und man konnte sich nicht jedes Gesicht merken.

Obwohl – dieses natürlich schöne Gesicht wäre ihm doch bestimmt im Gedächtnis geblieben …

Andrea stand an der Rezeption, als der Gast von Zimmer zwei hereinkam.

»Ich würd’ gern irgendwo Kaffee trinken«, sagte er, freundlich lächelnd. »Können S’ mir da was empfehlen?«

»Im Ort selbst gibt’s nur das Hotel ›Zum Löwen‹, mit Biergarten, Restaurant und Gastwirtschaft«, erklärte Andrea. »Sehr zu empfehlen, wenn S’ zu Mittag oder Abend essen wollen. Falls Sie aber nur einen Kaffee trinken möchten, den können S’ auch hier bekommen.«

»Das wäre ganz wunderbar«, lächelte er.

Sie kam hinter der Rezeption hervor und führte ihn zu einem kleinen Zimmer, neben dem Frühstücksraum.

»Bei schönem Wetter servieren wir das Frühstück draußen«, bemerkte sie nebenbei. »Und hier können S’ sich jederzeit bedienen. Tee, Kaffee, Cappuccino und Espresso, alles auf Knopfdruck.«

Auf einer Anrichte stand die Kaffeemaschine, daneben Tassen und Untertassen, Zucker und Milch, sowie eine Blechdose mit selbstgebackenen Keksen.

»Herrlich!«, freute sich Thomas Wohlers. »Setzten S’ den Betrag einfach mit auf die Rechnung.«

»Die Getränke werden net berechnet«, antwortete Andrea. »Ein Service des Hauses.«

»Noch ein Grund, immer wieder hier abzusteigen«, bemerkte er und schaute sie wieder so seltsam forschend an.

Was der andere Grund sein könnte, sagte er nicht …

*

Pfarrer Trenker kam am Abend vorbei und erkundigte sich, wie die Woche gewesen war.

»Also, aus meiner Sicht kann ich nur sagen, dass wir heilfroh sind, Andrea zu haben!«, sagte Marion.

»Das freut mich«, lächelte der Geistliche.

Ihr Mann nickte bekräftigend.

»Du bist uns wirklich eine große Hilfe.«

»Ich fühl’ mich sehr wohl«, meinte Andrea Brandner. »Und ich bin sehr glücklich, dass ich hier arbeiten darf.«

Sie sah Sebastian fragend an.

»Haben S’ was gehört …?«

Der gute Hirte von St. Johann schüttelte den Kopf.

»Bisher net«, antwortete er, »aber am Sonntag wird deine Mutter in die Kirche kommen. Das hat dein Vater ihr net verboten. Ich hab’ gedacht, ihr könntet euch dann im Pfarrhaus ungestört unterhalten.«

Andrea nickte begeistert.

»Wie steht’s denn morgen mit euch«, erkundigte sich Sebastian, »kommt ihr auf den Tanzabend?«

Marion und Andreas nickten sofort.

»Wir waren schon lange nicht mehr aus«, sagte die blonde Pensionswirtin.

Der Bergpfarrer sah die junge Frau an.

»Und du?«

Andrea Brandner schüttelte den Kopf.

»Ich hab’ keine Lust dazu, glaub’ ich …«

»Glaubst du’s nur oder weißt’ es genau?«, hakte Sebastian nach.

Sie zuckte die Schultern.

»Hör mal«, sagte der Geistliche nachdrücklich, »ich kann versteh’n, wenn du dich net in der Öffentlichkeit seh’n lassen magst. Aber du hast absolut keinen Grund, dich zu verstecken. Es hat sich ohnehin schon herumgesprochen, dass du wieder da bist, und ich bin sicher, dass es eine ganze Reihe von Leuten gibt, die sich freuen werden, dich zu seh’n.«

Darüber dachte Andrea noch lange nach. Vielleicht hatte Hochwürden ja Recht. Es war schon so etwas wie Scham, die sie davon abgehalten hatte, sich im Dorf zu zeigen. Indes konnte sie sich nicht ewig verstecken, und ganz egal, was die Leute redeten, sie hatte nichts Unrechtes getan.

Seufzend wälzte sich Andrea auf die andere Seite.

Tausend Dinge gingen ihr durch den Kopf und ließen sie nicht einschlafen.

Da war zum einen die Angelegenheit mit dem Vater, die ihr zu schaffen machte. Andrea wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er ihr verzieh, doch danach sah es ganz und gar nicht aus.

Dann dachte sie immer wieder an Jochen Hoffmann. Nicht, dass sie sich nach ihm sehnte, dieses Kapitel war abgeschlossen. Aber sie befürchtete, er könne die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen und auf Erfüllung des Vertrags pochen. Unter Umständen würde da eine Schadensersatzklage auf sie zukommen.

Und schließlich ging ihr der Gast aus Zimmer zwei nicht aus dem Kopf, und der Blick, mit dem er sie angesehen hatte.

Als der Wecker am nächsten Morgen klingelte, hatte Andrea eine unruhige Nacht hinter sich. Sie stand rasch auf und machte sich fertig. Als sie in die Küche kam, war Marion schon dabei, das Frühstück vorzubereiten.

Die Pensionswirtin sah sie forschend an.

»Guten Morgen. Hast du nicht gut geschlafen? Irgendwie hab’ ich den Eindruck«, bemerkte sie.

Andrea winkte ab.

»Mir sind so viele Sachen durch den Kopf gegangen …«, antwortete sie.

Marion schenkte Kaffee ein.

»Nun setz’ dich erst mal, bevor die Frühstücksgäste uns keine Zeit mehr lassen, selbst zu essen«, sagte sie. »Und dabei erzählst du mir, was dich so beschäftigt.«

Die Semmeln und das Laugengebäck waren erst vor wenigen Minuten geliefert worden. Sie dufteten herrlich, waren noch warm und rösch. Andrea erzählte Marion beim Essen, was ihr so alles durch den Kopf gegangen war, wobei sie allerdings die Gedanken an Thomas Wohlers ausließ …

Andreas war inzwischen hinzugekommen und hatte die Unterhaltung der Frauen teilweise mitgehört.

»Madel, du musst unter die Leut’«, sagte er. »Was du brauchst, ist Ablenkung! Am besten wird’s sein, wenn du heut’ Abend mitgehst. Ein bissel Tanzen und Gaudi, das lenkt von trüben Gedanken ab.«

Seine Frau nickte bekräftigend.

»Andreas hat Recht«, meinte sie. »Und was diesen Herr Hoffmann angeht, ich denk’, da brauchst du dir keine Gedanken machen. Wenn er ein bisschen Verstand hat, dann weiß er selbst, dass er dich in Ruhe lassen muss. Vertrag hin oder her.«

Kurz nachdem sie mit dem Frühstück fertig waren, kamen die ersten Gäste aus ihren Zimmern. Andrea und Marion hatten es gerade noch geschafft, die Tische im Garten einzudecken.

Die hübsche junge Frau kam bei den Gästen der Pension gut an. Sie lächelte stets und hatte für jeden ein freundliches Wort, was ihr nicht selten mit einem Trinkgeld gedankt wurde.

Thomas Wohlers kam als einer der Letzten. Strahlend trat er in den Garten hinaus und grüßte zu allen Seiten.

»Guten Morgen, Herr Wohlers«, begrüßte Marion ihn. »Wie war die erste Nacht? Haben Sie gut geschlafen?«

»Ganz ausgezeichnet«, nickte er und setzte sich an den Tisch, den die Wirtin ihm zuwies.

»Grüß Gott«, sagte Andrea, die hinzugetreten war. »Was darf ich Ihnen bringen? Kaffee oder Tee?«

Der junge Mann sah sie lächelnd an.

»Grüß Gott. Kaffee bitt’ schön.«

»Ein Ei dazu?«

»Sehr gern. Fünf Minuten gekocht.«

»Wird sofort erledigt.«

Beinahe verträumt sah er ihr hinterher, wie Andrea ins Haus ging.

Sie kam ihm so vertraut vor. Wenn er doch bloß wüsste, wo er sie schon einmal gesehen hatte!

*

Im Pfarrhaus hatte man das Frühstück längst beendet, als hoher Besuch eintraf. Sophie Tappert schaute nicht wenig verwundert, als Bischof Meerbauer vor der Tür stand. Sein Sekretär begleitete ihn.

»Grüß Gott, Frau Tappert«, sagte Ottfried lächelnd. »Ist Pfarrer Trenker daheim oder kraxelt er mal wieder auf einem Berg herum?«

»Immer herein mit dir«, ließ sich Sebastian aus seinem Arbeitszimmer vernehmen.

Er trat aus der Tür und begrüßte den Bischof und Pater Antonius.

»Was verschafft mir denn die Ehre dieses frühen Besuchs?«

Der Bergpfarrer schaute einen Moment irritiert.

»Ich hoff’ doch sehr, dass dies kein dienstlicher ist …, oder?«

Ottfried Meerbauer hatte plötzlich eine undurchdringliche Miene aufgesetzt.

»Wie man’s nimmt«, antwortete er dem verdutzten Geistlichen. »Mir liegt eine Beschwerde vor.«

»Eine Beschwerde?«

Sebastian verzog ungläubig das Gesicht.

»Was soll ich denn getan haben?«, verlangte er zu wissen.

»Du hast deinen Bischof lange nicht mehr zum Essen eingeladen«, grinste Ottfried.

»Na, wenn’s weiter nichts ist«, lachte Sebastian. »Ich dachte schon, dass mein lieber Amtsbruder aus Engelsheim …«

»Bruder Eggensteiner?«

Der Bischof winkte ab.

»Wie kommst du darauf? Ich dachte, inzwischen versteht ihr euch?«

Das taten sie tatsächlich. Indes war das Verhältnis der beiden Pfarrer zueinander nicht immer von Harmonie geprägt gewesen.

Sebastian kannte den Mann schon, bevor Blasius Eggensteiner die jahrelang verwaiste Pfarre im Nachbarort übernommen hatte, während des Studiums war er schon mehrere Male auf unangenehme Weise mit ihm aneinandergeraten. Immer wieder provozierte Blasius Sebastian und auch seine Mitstudenten, verwickelte sie in theologische Streitgespräche und versuchte, sie hintenrum bei den Professoren anzuschwärzen. Es war kein Wunder, dass selbst die Lehrer erleichtert waren, als der streitbare und zur Hinterhältigkeit neigende Student die Fakultät verließ.

Lange Zeit hatte Sebastian Trenker nichts mehr von ihm gehört, denn Blasius Eggensteiner war in die Mission gegangen und hatte viele Jahre in Südamerika gelebt. Doch eines Tages kehrte er zurück und wurde Pfarrer der Gemeinde Engelsbach. Viele Jahre hatte Sebastian zusammen mit einem Amtsbruder aus Garmisch Partenkirchen die verwaiste Pfarre an St. Anna mitbetreut, doch es war ein unhaltbarer Zustand. Ottfried Meerbauer wusste es selber und war froh, endlich eine Lösung präsentieren zu können.

So sehr Sebastian es auch begrüßte, dass dort endlich wieder ein Seelsorger sein Amt versah, so entsetzt war er gewesen, als er den Namen des Nachfolgers erfuhr. Und als hätte er es geahnt, waren auch gleich die ersten Differenzen gefolgt. Blasius Eggensteiner hatte sich nicht verändert, und der Gipfel seiner Intrigen war erreicht, als er Pfarrer Trenker bei seinem Bischof beschuldigte, gegen strenge Kirchengesetze verstoßen zu haben.

Freilich stimmte an dem Vorwurf hinten und vorne nichts, denn der gute Hirte von St. Johann hatte tatsächlich nichts weiter getan, als eine junge Frau vorübergehend im Pfarrhaus einzuquartieren …

Ottfried Meerbauer, ihrer beider Vorgesetzter, kannte den Bergpfarrer indes so gut, dass er nicht einen Moment an diese Vorwürfe glaubte. Aber es war bezeichnend für Blasius Eggensteiner, dass er sich zwar zähneknirschend bei Sebastian Trenker entschuldigte, aber im nächsten Augenblick schon wieder etwas Anderes ausheckte.

Allerdings manövrierte sich der rundliche Amtsbruder mehrmals selbst in Situationen, aus denen Sebastian ihn in letzter Sekunde rettete. Einmal war es ein goldenes Altarkreuz, das aus St. Anna gestohlen wurde, ein anderes Mal ein wertvolles Gemälde, das Pfarrer Eggensteiner einem Schwindler für ein Gutachten überließ und beinahe an den falschen Professor verloren hätte. Der Höhepunkt war indes erreicht, als Blasius, der unter der strengen Diät seiner Haushälterin litt, sich heimlich im Wirtshaus den Bauch vollschlug und gegen die auftretenden Beschwerden sich ausgerechnet bei Alois Brandhuber, dem selbsternannten Wunderheiler von St. Johann, eine Medizin besorgte. Das Ende vom Lied war, dass der Pfarrer beinahe gestorben wäre, hätte sein Amtsbruder aus St. Johann ihn nicht in letzter Sekunde gefunden und ihm das Leben gerettet.

Seither war das Miteinander erträglicher geworden, wenngleich Sebastian im Umgang mit Blasius Eggensteiner immer noch Vorsicht walten ließ.

»Wir kommen inzwischen ganz gut miteinander aus«, bestätigte der Bergpfarrer. »Aber jetzt kommt erst mal herein. Kaffee?«

»Bei dir immer«, lachte der Bischof. »Ich verstehe nicht, warum die Nonnen im Ordinariat es nicht schaffen, denselben Kaffee zu kaufen.«

»Wenn ich mal wieder in der Stadt bin, bringe ich dir welchen mit«, versprach Sebastian schmunzelnd.

Seit vielen Jahren schon wurde der Kaffee für das Pfarrhaus in einem kleinen Geschäft in der Kreisstadt gekauft. Der Inhaber röstete noch selbst in seinem Laden, und schon an der Tür schlug den Kunden ein betörender Duft entgegen. Freilich war dieser Kaffee etwas teurer, als der aus dem Supermarkt, doch dafür entschädigte der unvergleichliche Genuss.

»Warum ich tatsächlich gekommen bin«, bemerkte Bischof Meerbauer, als sie auf der Terrasse saßen, »ich mache mir Sorgen, wegen der Geschichte mit Frau Vangaalen …«

»Dann machst’ dir also auch so deine Gedanken«, nickte Sebastian Trenker. »Ja, ich muss gesteh’n, dass mich die Nachricht, dass sie straffrei ausgeht, schockiert hat.«

»Und du glaubst net, dass sie nun Ruhe gibt, was?«

Der Bergpfarrer schüttelte den Kopf.

»Bestimmt net«, antwortete er. »Patricia Vangaalen ist bis aufs Blut verletzt, weil ich sie abgewiesen hab. Nichts ist für diese Frau schlimmer, als die Zurückweisung eines Mannes. Ich weiß zwar noch net, was sie vorhat. Aber dieses Kapitel ist leider noch net abgeschlossen.«

»Na, die Geschichte mit den Grundstücken am Klosterberg war ja wohl auch von der Dame ausgeheckt worden«, sagte Ottfried.

Vor geraumer Zeit hatte eine Regensburger Maklerfirma im Ordinariat angefragt, ob zwei Grundstücke, die der Kirchengemeinde St. Johann gehörten, eventuell zum Verkauf stünden. Sebastian hatte recherchiert und schnell herausgefunden, dass besagte Maklerfirma in keinem guten Ruf stand und darüber hinaus dem Unternehmenskonglomerat Patricia Vangaalens angehörte.

Zwar hatte Bischof Meerbauer versichert, ein Verkauf käme nicht in Betracht, doch beinahe wäre es dennoch dazu gekommen.

Ottfried hatte sich entschlossen, eine Pilgergruppe in den französischen Wallfahrtsort Lourdes zu begleiten. Caspar Brandstetter, der Bischof der Diözese Freienstein, vertrat ihn solange in den Amtsgeschäften, und der hatte sich offenbar mit Dr. Hildebrandt zusammengetan und wollte doch verkaufen.

Wirklich im letzten Moment gelang es Sebastian diese Verschwörung, in die auch Markus Bruckner, der Bürgermeister von St. Johann, verstrickt war, aufzudecken und Ottfried Meerbauer zu informieren. Der kehrte umgehend nach Deutschland zurück und verhinderte das eigenmächtige Handeln seines Amtskollegen.

»Ich bin ganz sicher, dass die Dame dahintersteckt«, nickte der Bergpfarrer. »Und ich gäb’ was dafür, wenn ich wüsst’, was sie sich jetzt ausgedacht hat.«

Ottfried Meerbauer trank seinen Kaffee aus.

»Wie auch immer«, sagte er und stand auf, »du sollst jedenfalls wissen, dass du von mir jede Rückendeckung bekommst, die du brauchst.«

»Vielen Dank.«

Der Bischof sah seinen Sekretär an.

»Ich glaube, wir müssen los.«

»Aber, was ist denn mit dem Essen heut’ Abend?«, fragte Sebastian überrascht. »Die Einladung steht.«

Sein Bischof verzog das Gesicht.

»Das müssen wir leider verschieben«, antwortete er. »Eigentlich waren wir auf dem Weg nach München. Ein Empfang in der Staatskanzlei …«

Er zuckte bedauernd die Schultern.

»Ich kann dir gar net sagen, wie gern ich hier geblieben wäre«, fuhr er fort. »Das leckere Essen von Frau Tappert gegen die trocknen Kanapees vom Partyservice – ach, Sebastian, ich beneide dich!«

»Aufgeschoben ist net aufgehoben«, schmunzelte der gute Hirte von St. Johann und brachte die beiden Besucher zur Tür.

*

Thomas Wohlers saß im Biergarten des Hotels und aß zu Abend. Er fühlte sich ausgesprochen wohl. So wohl wie lange nicht mehr. Immer wieder hatte er in sich hineingehorcht und nach Anzeichen von Langweile gesucht. Doch vergeblich – bisher hatte er keine Sekunde bereut, hierhergefahren zu sein, auch wenn dies hier ganz bestimmt nicht seine Welt war …

Zumindest nicht die, in der er sonst zu Hause war.

Glanz und Glamour gehörten dazu, Blitzlicht und Champagner, Prominente und solche, die gerne welche sein wollten. Nie im Traum hätte er daran gedacht, sich ein oberbayerisches Idyll als Urlaubsort auszusuchen, bisher waren fremde Länder seine Ziele gewesen, und nun saß er hier in einem Biergarten und freute sich seines Lebens.

Herrlich!

Wenn er wieder in München war und seinen Freunden erzählte, wie und wo er seinen Urlaub verbracht hatte, dann würden sie ihn ganz bestimmt für verrückt erklären, aber das war Thomas Wohlers herzlich egal. Er war seinem Arzt dankbar für den Rat und hatte längst beschlossen, auch später, nach dem Urlaub, ein wenig kürzer zu treten.

Schließlich konnte er es sich leisten. Geld spielte ohnehin keine große Rolle in seinem Leben, auch wenn er genug davon hatte. Sicher würde der eine oder andere Vertrag noch zu erfüllen sein, aber neue Talente wollte er nur noch wenige unter seine Fittiche nehmen.

Thomas hatte eine ausgezeichnet zubereitete Forelle »Müllerin« gegessen und dazu ein Glas Wein getrunken. Auf sein Zeichen hin kam die aufmerksame Bedienung und brachte die Rechnung.

»Die Eintrittskarte für den Tanzabend«, sagte sie und händigte ihm das Billet aus.

Thomas zahlte und gab ein angemessenes Trinkgeld. Schmunzelnd betrachtete er die Eintrittskarte. Keiner seiner Freunde und Bekannte würde glauben können, dass er auf so eine Veranstaltung ging …

Er betrat das Hotel und ging zum Nebeneingang des Saales, da er sich nicht draußen anstellen musste. Thomas war überrascht, welch ein Trubel auf dem bestimmt dreihundert Leute fassenden Saal herrschte. Auf einer Empore hatten die Musiker ihre Plätze.

»Die Wachnertaler Bu’am«, verkündeten ein Plakat darüber den Namen der Kapelle.

Thomas wurde von einer Saaltochter empfangen und zu seinem Tisch geführt. Er bestellte erst einmal ein Mineralwasser und setzte sich.

Es war ein Platz an einem langen Tisch, der ihm zugewiesen worden war. Offenbar saßen hier Urlauber und Einheimische zusammen. Auf der anderen Seite hatten die jüngeren Leute ihre Plätze, und weiter vorne, zum Eingang hin, standen die Tische der Honoratioren des Dorfes, wie ihm ein Tischnachbar erzählte.

Die Stimmung war, trotz des noch relativ frühen Abends, schon prächtig. Die Leute sangen ausgelassen die Lieder mit, überall wurde erzählt und gelacht, und auf der Tanzfläche herrschte ein fröhliches Getümmel.

Thomas Wohlers ließ seinen Blick schweifen. Hin und wieder blieb er auf einer hübschen Frau haften, und verwundert stellte er fest, dass er nach jemand Bestimmtem Ausschau hielt.

Andrea, die junge Frau aus der Pension, – ob sie wohl auch auf den Tanzabend ging?

Sicher würde sie sich diese Gaudi nicht entgehen lassen, vermutete Thomas. Wie er es einschätzte, war es sicher die einzige Abwechslung, die die Leute hier hatten.

Doch bisher hatte er sie nicht entdecken können.

Aber warum suchte er überhaupt nach ihr?

Er musste sich eingestehen, dass er den ganzen Tag an das hübsche Zimmermädchen gedacht hatte. Mehr noch, gestern Abend hatte sein letzter Gedanke Andrea gegolten, und heute Morgen beim Aufwachen hatte er als Erstes auch sofort an sie gedacht.

Wäre das Frühstück nur halb so gut gewesen, wie es tatsächlich war, hätte es ihm dennoch unvergleichlich geschmeckt …

Ihr zauberhaftes Lächeln, mit dem sie es ihm servierte, hatte ihm den Tag vergoldet!

Himmel, was denkst du bloß für’n Zeug!, schoss es ihm durch den Kopf.

Auch wenn er es noch abstritt, so ahnte Thomas Wohlers doch, dass er sich in das Madel verliebt hatte.

Aber konnte das überhaupt sein? Er, dem die Frauen zu Füßen lagen, der gut aussehend und erfolgreich war, ausgerechnet er hatte sich in ein Madel vom Land verliebt?

Irgendwie wollte er es nicht glauben, doch sein Herz schlug schneller, als er Andrea plötzlich sah. Zusammen mit den Wirtsleuten der Pension war sie auf den Saal gekommen und hatte sich an einen der Honoratiorentische gesetzt.

Genau so, dass er sie im Blick hatte.

Thomas konnte es nicht lassen, sie immerzu anzusehen. Zwischendurch sah er Andrea mit einer Frau in ihrem Alter sprechen. Die beiden schienen sich lange nicht gesehen zu haben, denn sie lagen sich lachend in den Armen. Nach einer Weile ging die Unbekannte wieder fort, und Andrea blieb an ihrem Tisch sitzen. Thomas, der sie die ganze Zeit beobachtet hatte, registrierte irgendwie erleichtert, dass sie offenbar nicht in männlicher Begleitung war …

Wieder fragte er sich, warum nur dieses Gesicht ihm so bekannt vorkam, und wieso er sich ausgerechnet in sie verlieben musste?

Indes war ihm klar, dass er den Abend nicht damit verbringen konnte, sie anzustarren. Kurz entschlossen stand er auf und ging an ihren Tisch.

*

Marion und Andreas Trenker hatten nicht locker gelassen, bis Andrea sich endlich bereit erklärte, mit auf den Tanzabend zu gehen. Als sie sich dann am frühen Abend umzog, freute sie sich sogar darauf, wieder einmal das Spektakel auf dem Saal des Hotels zu erleben, zu tanzen und vielleicht sogar ein bekanntes Gesicht zu sehen. Sollte jemand fragen, was aus ihrer angestrebten Gesangskarriere geworden sei, wollte sie ganz freimütig erzählen, dass sie im Sande verlaufen sei.

Sie hatte es versucht und war gescheitert.

Na und?

Das war noch lange kein Grund sich zu schämen und zu verstecken!

Gut gelaunt machten sie sich nach dem Abendessen auf den Weg zum Hotel. Die Pension »Edelweiß« lag am anderen Ende des Dorfes, und sie mussten ein paar Minuten laufen. Indes war es ein herrlich lauer Sommerabend, die Luft flirrte noch, Dörfler, die nicht auf den Tanzabend gingen, saßen in ihren Gärten, irgendwo wurde gegrillt, und der Duft zog den Spaziergängern in die Nasen.

Für die Honoratioren, zu denen auch Marion und Andreas zählten, gab es keine Wartezeit am Eingang. Indes hatte sich die Schlange auch bereits abgebaut, und entsprechend laut war es auf dem Saal.

Sebastian Trenker, sein Bruder Max, sowie dessen Frau Claudia, saßen schon am Tisch, als die drei eintrafen. Kurz zuvor war auch das Ehepaar Wiesinger eingetroffen. Die beiden Kinder befanden sich derweil in der Obhut von Sophie Tappert. Andrea Klein, das Kindermädchen, hatte ihren freien Abend und war mit dem Freund in die Stadt gefahren. Pizza essen und Kino stand bei ihnen auf dem Programm. Aber ganz sicher würden sie am späten Abend auch noch auf den Saal kommen.

Andrea Brandner blickte sich um. Nach ihren Eltern hielt sie allerdings vergebens Ausschau. Ihr Vater war noch nie ein Freund von dem Trubel gewesen, wie er auf dem Tanzabend herrschte. Und ihre Mutter fügte sich um des lieben Friedens willen und blieb ebenfalls daheim.

Sehr wohl bemerkte sie aber den jungen Mann, der auf der anderen Seite saß und unablässig zu ihr herüberschaute. Dabei gab sich Thomas Wohlers alle Mühe, es nicht so aufdringlich aussehen zu lassen.

Andrea tat, als bemerke sie es nicht und wandte sich wieder der Unterhaltung am Tisch zu.

In Gedanken jedoch war sie bei dem Pensionsgast, und sie fragte sich, warum sie ihn offensichtlich so sehr beschäftigte, dass er sie immer wieder ansehen musste.

Vielleicht doch jemand, der sie irgendwann einmal, bei einem ihrer Auftritte, gesehen hatte?

Wenn ja, dann würde er sich vielleicht früher oder später erinnern. Allerdings wäre es ihr lieber gewesen, er hätte einen anderen Grund für sein Interesse …

»Du treulose Tomate!«

Eine Stimme hinter ihrem Rücken riss Andrea aus ihren Gedanken. Sie wandte den Kopf, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

»Kathrin!«

»Ja, ich bin’s«, lachte die Freundin aus früheren Tagen.

Andrea war aufgesprungen, und sie lagen sich in den Armen.

»Warum hast’ denn nie was von dir hören lassen?«, wollte Kathrin Langer wissen.

Ein leichter Vorwurf schwang in dieser Frage mit. Andrea und sie kannten sich seit Kindertagen. Gemeinsam waren sie in die Schule gegangen, hatten am selben Tag Kommunion und Firmung gefeiert und in der Schule nebeneinander gesessen.

Die junge Frau winkte ab.

»Ach, das ist eine lange Geschichte …«

»Die du mir aber unbedingt erzählen musst!«, beharrte Kathrin. »Wir müssen uns ganz bestimmt mal treffen und dann nur stundenlang erzählen.«

»Gibt’s denn so viel Neues bei dir?«, fragte Andrea.

Lächelnd hob Kathrin die linke Hand und wedelte damit vor dem Gesicht der Freundin. Der silberne Ring mit dem kleinen Diamanten war unübersehbar.

»Sag’ bloß, du bist …«

»Verlobt!«, nickte die Freundin. »Seit drei Monaten, und im August wollen wir heiraten.«

»Wer ist es denn? Kenn’ ich ihn?«

»Thomas Mayr, aus Waldeck. Du hast ihn mal geseh’n, als wir in der Disco waren.«

Andrea stutzte. Das war kurz bevor sie nach München verschwunden war.

»Was, so lang’ geht das schon mit euch?«, rief sie. »Ich weiß noch, wie er dich nach Haus’ bringen wollt’, aber du hast dich geweigert.«

»Na ja, schließlich war ich ja mit dir unterwegs«, lachte Kathrin. »Aber zwei Wochen später durfte er mich dann heimbringen.«

»Offenbar net das einzige und letzte Mal.«

Sie umarmten sich noch einmal.

»Ruf’ mich an«, bat Kathrin. »Noch wohn’ ich bei den Eltern.«

»Mach’ ich«, versprach Andrea und setzte sich wieder.

Pfarrer Trenker, der die Begegnung mitverfolgt hatte, lächelte.

»Siehst’, es war doch gut, dass du mitgegangen bist.«

Sie nickte lächelnd und hob ihr Glas. Gerade hatte sie einen Schluck getrunken, als sie wieder eine Stimme hinter sich vernahm.

»Darf ich um diesen Tanz bitten?«

Andrea sah auf, und ihr Herz schlug plötzlich rasend schnell. Hinter ihr stand Thomas Wohlers und sah sie bittend an.

*

Auf dem Brandnerhof herrschte seit Tagen keine gute Stimmung mehr unter den Eheleuten. Nach Andreas Verschwinden war es ohnehin nie wieder so fröhlich und unbeschwert gewesen, wie früher, doch nachdem die Tochter ein Lebenszeichen von sich gegeben hatte, kehrte allmählich die Normalität zurück.

Freilich war auch die hin und wieder getrübt. Vor allem, wenn Liesl Brandner wehmütig an Andrea dachte und sich wünschte, sie mögen wieder heimkehren.

Nur dieser eine Anruf – warum meldete sie sich nicht öfter?

Diese Frage hatte die Bäuerin sich mehrmals gestellt, bis sie dahinterkam, dass ihr Mann ganz offenbar den Kontakt mit der Tochter abgebrochen hatte und verhinderte, dass Andrea mit ihrer Mutter sprach. Auch Liesl war nicht damit einverstanden, dass das Madel in München lebte und unbedingt Sängerin werden wollte. Auch in ihren Augen war es eine brotlose Kunst, und für ihr einziges Kind hatten sie sich eben eine andere Zukunft vorgestellt. Aber immerhin war Liesl bereit, ihrer Tochter zu verzeihen und sie wieder mit offenen Armen aufzunehmen.

Ganz anders da ihr Mann!

Sobald die Bäuerin auch nur wagte, den Namen der Tochter zu erwähnen, fuhr Franz Brandner aus der Haut.

»Red’ net mehr von ihr!«, fuhr er seine Frau an. »Wir haben keine Tochter mehr!«

Nur ganz klein war der Protest ausgefallen, als Liesl gemerkt hatte, dass ihr Mann die Briefe, die Andrea geschrieben hatte, zurückschickte. Dann hatte sie sich gefügt und nur im Stillen gebetet, dass es der Tochter wohl ergehen solle.

Als Pfarrer Trenker nun plötzlich mit Andrea vor dem Haus stand, da hatte Liesl Brandner gehofft, dass doch noch alles zu einem guten Ende kommen würde. Ihr Herz hatte vor Freude bis an den Hals geklopft, doch die harten Worte ihres Mannes trafen sie wie Keulenschläge. Verzweifelt hatte die Bäuerin nach draußen gedrängt, doch ihr Mann stieß sie wieder ins Haus zurück und hielt die Tür von außen zu. Mit Tränen in den Augen musste die Mutter es zulassen, dass ihre Tochter vom Hof gewiesen wurde, und dann brach sie schluchzend zusammen, als der Bergpfarrer und Andrea wieder abfuhren.

Franz Brandner war anschließend zornig ins Haus gestürmt und hatte herumgetobt. Auf den Pfarrer hatte er ebenso geschimpft, wie auf die Tochter, und als er die Verzweiflung seiner Frau bemerkte, bekam Liesl auch noch seinen Ärger zu spüren.

»Heul’ net herum!«, brüllte der Bauer. »Das ist sie gar net wert!«

»Aber, Franz«, hatte Liesl weinend gerufen, »sie ist doch unser einziges Kind!«

Schnaubend stieß er einen Stuhl beiseite, der ihm im Wege stand.

»Unser Kind? Das war sie mal«, erwiderte er unbeugsam. »Wie hat sie uns denn unsre Liebe und Fürsorge gedankt? Fortgelaufen ist sie heimlich. Hat einem anständigen Leben in Geborgenheit und Rechtschaffenheit dem Leben im Sumpf der Musikwelt vorgezogen. Schlag’ doch nur mal die Zeitung auf. Da kannst’ tagtäglich lesen, wie’s in diesen Kreisen zugeht. Alkohol, Drogen und Schamlosigkeit, das ist es, was das Madel sich unter der großen weiten Welt vorstellt. Das ist’s, was sie sich ersehnt. Aber bitt’ schön, jedem so, wie er’s haben will. Ins Haus kommt sie mir jedenfalls net mehr zurück!«

Das war das letzte Wort, das er in dieser Angelegenheit gesprochen hatte.

Allerdings hörte Franz Brandner seitdem auch nichts mehr von seiner Frau. Jahrelang hatte Liesl sich unter seinem Regiment geduckt und getan, was ihr Mann sagte und verlangte. Sein Wort war Gesetz auf dem Hof, und zugegeben, so richtig hatte es der Bäuerin nie etwas ausgemacht. Freilich haderte sie hin und wieder mit seinem harschen Wesen, vermisste sie die frühere Wärme und Zärtlichkeit, sehnte sie sich nach einer Umarmung, einem liebevollen Kuss.

Doch dann dachte sie, es müsse wohl so sein. Irgendwann war das Feuer der ersten Liebe eben erloschen, und der Alltag kehrte in die Ehe ein.

Das Kind versorgen, die Arbeit auf dem Hof, der Haushalt – es war wie überall. Und doch war es eine glückliche Zeit gewesen. Nicht immer leicht, aber Liesl mochte keine Stunde davon missen.