Der Berliner ist dem Pfannkuchen sein Tod - Thilo Bock - E-Book

Der Berliner ist dem Pfannkuchen sein Tod E-Book

Thilo Bock

0,0

Beschreibung

Thilo Bocks Satiren und Geschichten sind zeitaktuelle Miniaturen mit harten rhetorischen Mitteln und viel Lokalkolorit. In diesem neuen Erzählungsband entdeckt er Hitlers Hodenwärmer, besucht Stammgermanen im Berliner Umland und deckt auf, wie der Pfannkuchen in die Welt kam und was John F. Kennedy damit zu tun hatte. Von nun an wird regelmäßig geputzt! Oder einfach im Bett geblieben, damit die Wohnung weniger schnell verdreckt. Auch so ist es mühsam genug, die Realität immer wieder neu zu bewerten: Wie gelingt der Berxit – der Ausstieg aus einem Staat, in dessen meisten Regionen man Berlins Bewohner nicht versteht, also mental? Kommen jedoch Touristen, kümmern sich professionelle Auskunftsberliner darum, sie geschickt über das Stadtgebiet zu verteilen. Nicht jeder, der zur Museumsinsel möchte, sollte diese finden müssen. Thilo Bock plädiert in seinem neuen Erzählungsband für die Abschaffung überflüssiger Angelegenheiten wie Mücken, Fett und Staub, findet, dass man sich öfter mal bei Arschlöchern entschuldigen sollte, und deckt auf, wie Realitätsverschleierung funktioniert. Am Ende bleibt nur eine Frage offen: Woraus sind eigentlich Glasnudeln?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 190

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Thilo Bock

Der Berliner istdem Pfannkuchensein Tod

35 Arten,die Realität zu bewerten

Thilo Bock

wurde 1973 in Berlin geboren. Er ist Lyriksammler, Dada-Versteher und liest regelmäßig bei den »Brauseboys«. Er hat drei Romane und zweieinhalb Erzählungsbände veröffentlicht und ist Mitherausgeber der ersten umfassenden Anthologie Berliner Mundartgedichte »Ick kieke, staune, wundre mir …« (Andere Bibliothek: 2017). Bei Satyr erschien von ihm 2013 »Dichter als Goethe« (auch als Hörbuch). Neuigkeiten und Termine: www.thilo-bock.de

E-Book-Ausgabe Januar 2019

© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2019

www.satyr-verlag.de

Cover: Susanne Bax

Fotos: © byrdyak/fotolia (Bär) und © studio/fotolia (Pfannkuchen)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

E-Book-ISBN: 978-3-947106-26-4

Inhalt

Vorbeugende Maßnahmen

Gießharzmuffen

Wir Auskunftsberliner

Hitlers Hodenwärmer

Heilige Vorhaut

Fröhliche Weihnachten!

Berxit jetzt!

Weg damit

Der geborene Statist

Realitätsverschleierung leicht gemacht

Pommes?! Dit kann dauern …

Der Berliner ist dem Pfannkuchen sein Tod

Der frühe Vogel singt mir viel zu laut

Unter Stammgermanen

Vierzehn Arten, den Regen zu bewerten

Voll in die Tomaten

Die typische Sechs-Margarita-Pleite

Türspion

Sich öfter mal bei Arschlöchern entschuldigen

Beim Barte des Diktators

Im Dienst für die Kunst

Der gemeinsame grüne Gefährte

Vom blauen Dunst einer bitterkalten Jugend

Die Gerontofizierung der Kriminalität

Woraus sind eigentlich Glasnudeln?

Die Geschichte von der weinenden Tapete

Repariert, was euch pressiert, und verschmutzt, was unnütz rausgeputzt!

Was man Berliner nie fragen sollte

Das Wisch-&-Weg-Date

Eins Eins Zwo – Notruf in der Nacht

Wenn die Zahnärztin nicht mehr lächelt

Die Arztfrage

Der Büchermörder

Schreib! Dein! Buch!

Der ewige Brauseboy (quasi ein Nachwort)

Vorbeugende Maßnahmen

Ich werde von nun an regelmäßig putzen. Und nicht nur, wenn sich Besuch angesagt hat.

Ich werde von nun an regelmäßig putzen. Und nicht nur, wenn meine Eltern drohen zu kommen.

Ich werde von nun an regelmäßig putzen. Und nicht nur, wenn die Schuhsohlen beim Durchqueren der Wohnung an manchen Stellen so ein schmatzendes Geräusch machen.

Ich werde von nun an regelmäßig putzen. Und nicht nur die klebrigen Stellen auf den Dielen.

Ich werde von nun an regelmäßig putzen. Sogar meine Zähne. Und nicht nur, wenn ich zum Zahnarzt gehe. Damit ich auch morgen noch kraftvoll zubeißen kann.

Ich werde von nun an sogar meine Zähne putzen. Und nicht nur, wenn ich beabsichtige, das Haus zu verlassen.

Ich werde von nun an meine Zähne putzen. Selbst wenn ich nur rasch zum Backshop gehe. Die eine Verkäuferin dort lächelt aber auch verdammt niedlich.

Ich werde von nun an regelmäßig meine Zähne putzen. Man weiß ja nie, wem man unterwegs begegnet.

Ich werde von nun an regelmäßig meine Wohnung putzen. Auch und gerade, wenn ich nur zum Backshop gehe. Man weiß ja nie, wem man unterwegs begegnet. Man weiß ja nie, wer einen so niedlich anlächelt. Man weiß ja nie, wen man spontan zu sich einlädt. Man weiß ja nie, wo andere Menschen spontan beschließen, Kleidungsstücke fallen zu lassen. Gut, wenn die am Boden kleben bleiben, ist es nicht so schlimm. Das bemerkt man ja erst hinterher.

Ich werde von nun an regelmäßig lächeln, wenn ich mein Brot kaufe und weil ich meine Wohnung geputzt habe. Wenn ich denn meine Wohnung geputzt habe.

Ich werde von nun an regelmäßig lächeln, wenn ich meine Wohnung geputzt habe. Zumindest die Dielen im Flur und die dem Flur zugewandte Seite des Bettes. Und – na gut – den Küchenboden werde ich ebenfalls putzen. Man weiß ja nie. Vielleicht bringt die Backshopverkäuferin Brötchen mit. Die wären eh sonst weggeworfen worden. Und ich kann ja auch kraftvoll zubeißen, weil ich mir regelmäßig die Zähne putze.

Ich werde von nun an regelmäßig zum Zahnarzt gehen, denn ich habe meine Wohnung geputzt, sogar die Fliesen in der Küche, weshalb es Brötchen gibt. Die sind zwar vom Vortag, aber ich verzehre sie zum Frühstück und das nicht allein. Ich habe seit Jahren nicht mehr gefrühstückt und das meistens allein in meiner ungeputzten Küche. Nicht frühstücken kann man nämlich sehr gut in einer ungeputzten Küche.

Von nun an aber werde ich regelmäßig frühstücken – in meiner geputzten Küche. Und zwar wirklich frühstücken, denn meine Mitfrühstückerin muss zeitig raus. Sie arbeitet nämlich im Backshop bei mir um die Ecke. Deshalb wird sie gerne bei mir übernachten wollen. Da hat sie es morgens nicht so weit zur Arbeit, und ich werde hinterher noch ein bisschen weiterschlafen können.

Ich werde von nun an regelmäßig nach dem Frühstück wieder ins Bett gehen. Im Grunde muss ich auch gar nicht mehr vor die Tür, denn die nötigen Brötchen bekomme ich abends mitgebracht. Nur manchmal muss ich zum Zahnarzt, um auch morgen noch kraftvoll in die altbackenen Brötchen beißen zu können.

Ich werde von nun an keinen Dreck mehr machen, wenn ich entweder beim Zahnarzt bin oder im Bett liege. Meine liebste Backshopverkäuferin darf mir dabei Gesellschaft leisten. Wenn sie frei hat. Sonntags beispielsweise. Sonntags bleiben wir sowieso den ganzen Tag im Bett. Dort kann man ja auch frühstücken. Und nicht nur am Sonntag.

Ich werde von nun an regelmäßig im Bett frühstücken. Nie wieder die Küche vollkrümeln! Hurra!

Krümel im Bett dagegen, die liegen sich weich.

Krümel im Bett dagegen verhindert man, indem man die Brötchen zuvor in den Kaffee tunkt.

Tunkt man Brötchen in den Kaffee, ist es nicht so schlimm, dass sie nicht mehr ganz so frisch sind.

Tunkt man Brötchen in den Kaffee, ist es nicht so wichtig, ob man kraftvoll zubeißen kann oder nicht.

Tunkt man Brötchen regelmäßig in den Kaffee, muss man nicht mehr zum Zahnarzt und schon gar nicht andauernd seine Wohnung putzen, allenfalls den Weg von der Wohnungstür bis zum Bett.

Ich werde von nun an meine Brötchen in den Kaffee tunken.

Ich werde von nun an liegen bleiben.

Ich werde von nun an nur noch aufstehen, wenn meine liebste Backshopverkäuferin klingelt.

Ich werde meiner liebsten Backshopverkäuferin einen Wohnungstürschlüssel geben. Wie heißt sie eigentlich?

Ich werde sie mal nach ihrem Namen fragen.

Ich werde sie fragen, ob sie nach Feierabend zu mir kommen wird.

Ich werde ihr nicht gleich den Schlüssel geben. Das könnte sie irritieren.

Ich werde ihr das mit dem Eintunken der altbackenen Brötchen beim Frühstück im Bett auch nicht gleich aufs Butterbrot schmieren.

Ich werde sie einfach mal so anquatschen. Wir müssen ja nicht sofort in meine Wohnung. Aber wenn, sollte sie nicht so versifft sein wie jetzt gerade. Das macht keinen guten Eindruck auf junge, hübsche Backshopverkäuferinnen.

Na ja, so jung ist sie ja gar nicht.

Na ja, so hübsch ist sie auch nicht. Mehr jung als hübsch, aber auch nicht mehr so richtig jung. Trotzdem, ich würde es darauf ankommen lassen. Ich würde für die nicht ganz so junge und nicht ganz so hübsche Backshopverkäuferin meine Wohnung putzen, auch wenn das Tage dauert.

Ich würde für die nicht ganz so junge und nicht ganz so hübsche Backshopverkäuferin meine Wohnung putzen, auch wenn es – sagen wir – einen halben Tag dauert. Nicht dass sie schon Feierabend hat, wenn ich endlich beim Backshop bin. Nicht dass schon alles ausverkauft ist, wenn ich endlich beim Backshop bin. Nicht dass selbst die altbackenen Brötchen ausverkauft sind, wenn ich endlich beim Backshop bin.

Und sonst müsste ich am nächsten Tag von vorne anfangen mit dem Putzen. So ’ne Wohnung verdreckt nun mal schnell. Es sei denn, man bleibt im Bett liegen. Putzen strengt ja auch an. Da muss man sich gleich wieder hinlegen. Was Quatsch ist. Hätte man ja gleich liegen bleiben können. Ist man auch viel zu erschöpft, um noch eine Backshopverkäuferin kennenzulernen. Ich werde von nun an einfach liegen bleiben. Sogar wenn sich Besuch angesagt hat. Ist auch viel zu riskant. Nachher bleibe ich noch am Fußboden kleben. Oder der Besuch.

Nee, nee.

Ich werde von nun an einfach nicht mehr aufmachen, wenn es klingelt. Selbst wenn eine Backshopverkäuferin vor der Tür steht mit einer Tüte altbackener Brötchen. Sonst müsste ich nur wieder zum Zahnarzt. Sonst müsste ich nur wieder putzen. Sonst müsste ich nur wieder …

Ach, hör mir auf!

Gießharzmuffen

Der Mann steht einfach in meinem Flur. Vormittags. Ich komme gerade frotteeumschürzt, mit schwerem Kopf und noch halb nass aus dem Bad. Ich bin perplex. »Was machen Sie in meiner Wohnung?«

»Ich bringe Ihnen Ihr Paket.« Er lächelt. »Als ich eben geklingelt habe …«

»Ich war unter der Dusche«, sage ich. »Wie kommen Sie überhaupt hier rein? Hatte ich nicht abgeschlossen?«

»Ja, sogar doppelt! Aber wo ich doch ein Paket für Sie habe … Von Amazon!«, sagt er und stellt es ab.

»Amazon?« Ich gebe mich angeekelt. »Da bestell ich nichts. Die sind böse.«

»Aber billiger! Deswegen haben Sie die Gießharzmuffen wohl trotzdem bei uns bestellt.«

»Was für Dinger? Und ich soll die bestellt haben? Ich wüsste nicht, wann.«

»Hm, Moment.« Er guckt in ein Gerät, wenig größer als ein Smartphone. »Heute früh um 3:45 Uhr.«

»Heute früh?«

»Ja! Womöglich waren Sie …«, er zögert, »… eingeschränkt in Ihrer Willenskraft.«

»Na ja …« Ich überlege. »Ich war in der Kneipe. An sich wollte ich mit dieser einen Blonden … Na, egal! Und überhaupt, wieso glauben Sie, ich sei … Wie war das?«

»… eingeschränkt in Ihrer Willenskraft.«

»Genau! Wie kommen Sie darauf?«

»Das ergibt die Analyse Ihres Klick- und Tippverhaltens.«

»So was gibt es?«

»Ja, und wären Sie Amazon-Prime-Kunde, könnten Sie eine Einschränkungsversicherung abschließen für nur 3,10 Euro im Monat. Käufe, die Sie getätigt haben, als Sie nicht voll zurechnungsfähig waren, lassen sich dann kostenlos umtauschen.«

»Kann man nicht alles kostenlos umtauschen?«

»Nicht alles. Gießharzmuffen zum Beispiel nicht.« Er tritt einen Schritt auf mich zu. »Wenn ich mir eine persönliche Frage erlauben darf: Was wollen Sie mit zwanzig Gießharzmuffen?«

»Das frage ich mich auch.«

»Sie können sich nicht mehr erinnern?«

»Aus irgendwelchen Gründen muss ich das Wort ›Gießharzmuffe‹ lustig gefunden und danach gegoogelt haben.«

»Hat das was mit der Blonden aus der Bar zu tun?«

»Tja …« Kurz hänge ich meinen Gedanken nach. »Und wenn! Erklären Sie mir lieber, wieso Sie in meiner Wohnung sind?!«

»Sie haben sich neulich beschwert, dass einer unserer Boten eine Bestellung unter Ihrer Fußmatte deponiert hatte.«

»Das fand ich auch nicht so gut. Hätt sich ja ein anderer schnappen können.«

Er guckt auf sein Gerät. »Einen Panda-Schlafanzug? Wer sollte so was haben wollen?«

»Na, ich!«, sage ich. »Also, aus rein beruflichen Gründen.«

Er zuckt mit den Schultern. »Aber hätten Sie die Sendung lieber in unserer nächsten Filiale abgeholt?«

»Wäre auf jeden Fall sicherer gewesen.«

»Okay, das notier ich mal.« Er tippt auf sein Gerät. »Die Filiale ist in Brieselang.«

»Wo bitte?«

»Zwischen Falkensee und Nauen. Ist nicht so weit. Ich habe gerade so knapp fünfeinhalb Stunden gebraucht.«

»Oha! Sind Sie S-Bahn gefahren?«

»Nein, ich bin gelaufen.«

»Und die anderen Bestellungen? Haben Sie so ’n Handwägelchen?«

»Es gibt keine anderen Bestellungen«, sagt er. »Ich bin derzeit als Ihr persönlicher Kundenbetreuer abgestellt. Zur Strafe.«

»Was denn für ’ne Strafe?«

»Weil Sie sich über mich beschwert haben.« Jetzt klingt er fast weinerlich. »Dabei habe ich es doch nur gut gemeint. Damit Sie wegen Ihres scheiß Panda-Schlafanzugs nicht bis nach Brieselang müssen.«

»Oh, das tut mir jetzt wirklich …«

»Schon okay. So bin ich zumindest an der frischen Luft. Ist besser, als die ganze Zeit in meiner Schlafkoje mit Helene Fischer beschallt zu werden.«

»Wieso das denn?«

»Das ist die Lieblingsmusik unserer Kunden. Und damit wir uns besser in sie hineinversetzen können, müssen wir das Tag und Nacht hören.«

»Ist ja schrecklich! Also, ehrlich: Ich kaufe wirklich nie was bei Ihnen. Also fast nie!«

»Das sagen alle«, sagt er. »Weil wir den Einzelhandel kaputt machen.«

»Ja, genau! Und weil Sie und Ihre Kollegen so schlecht behandelt werden.«

»Trotzdem haben Sie letzte Nacht …«

»Ja, ein Versehen!«, gebe ich zu. »Quasi ein Mausrutscher im Suff.«

»Das passiert den anderen Kunden wahrscheinlich mit den Helene-Fischer-CDs. Die will auch keiner gekauft haben. Dabei werden die millionenfach bestellt. Und hinterher will’s wieder niemand gewesen sein. Weder das noch dass sie das bei uns gekauft haben. Es gab schon Überlegungen, ob wir unsere Waren in neutralen Paketen ausliefern wie der Erotikfachhandel.«

»Das wär angenehmer für alle Beteiligten«, sage ich. »Mitunter wird ja das Amazon-Paket beim Buchhändler um die Ecke abgegeben. Das ist mal peinlich.«

»Ich denke, Sie bestellen nichts bei Amazon!«

»Es war ja gar kein Buch. Also keins, das ich mich getraut hätte bei meiner Buchhändlerin zu bestellen.«

Der Mann grinst. »Seh’n Sie! Deswegen liefern wir jetzt ja in die Wohnungen, egal ob die Kunden zu Hause sind oder nicht.«

»Haben Sie dafür einen Zentralschlüssel von Deutschland oder was?«

»Nein, Sie müssen lediglich das neue Digitalschloss von Amazon kaufen.«

»Ist das denn sicher?«

»Natürlich! Dank Abgleich mit unserem Zentralcomputer können wir Ihnen im Fall eines Besuchs Unbefugter in Ihrer Wohnung gleich sagen, um wen es sich dabei handelt. Vorausgesetzt, er ist Kunde bei uns, aber das ist ja jeder.«

»Moment mal!«, fällt bei mir der Groschen. »Ich hab so ’n Schloss gar nicht!«

»Doch, haben Sie!« Er zeigt zur Wohnungstür. »Hab’s Ihnen vorhin eingebaut. Ihr altes war nämlich kaputt. Aufgebrochen!« Er zieht es aus der Jackentasche. »Sorry, irgendwie musste ich mir ja Zutritt verschaffen.«

Als ich mich darüber aufregen will, gleitet mein Handtuch beinahe von den Hüften.

»Das Schloss ist echt praktisch!«, sagt der Mann. »Stellen Sie sich vor, die Blonde aus der Bar würde Ihren Zugangscode wissen.«

»Wieso sollte sie?«

»Vielleicht bekommt sie eine Nachricht von einem unserer Mitarbeiter, dem sehr am Wohl seiner Kunden gelegen ist. Das Handtuch steht Ihnen übrigens. Sicher besser als so ’n Panda-Schlafanzug. Und wenn dann die Blonde …«

»Ich weiß gar nicht, ob die überhaupt was von mir wollte.«

»Laut meinen Unterlagen …«, er klickt auf sein Gerät, »hat heute kurz vor vier noch jemand Gießharzmuffen bestellt. Eine Frau, die nicht Helene Fischer heißt, aber schon mal Tönungswäsche Goldblond gekauft hat.« Er zwinkert mir zu. »Scheint ein anregendes Gespräch gewesen zu sein über Gießharzmuffen, letzte Nacht in der Bar.«

Wir Auskunftsberliner

Ich bin ja immer froh, wenn ich helfen kann. Wenn wer was von mir wissen will. Zum Beispiel, wie er zum BER kommt. Den frage ich meinerseits, was er um Himmels willen am BER will.

»Da fliegt doch nix!«

»Na, deswegen muss ich da ja auch hin. Um denen die Brandschutzanlage zu reparieren.«

»Ah! Dann fahren Sie am besten bis zum U-Bahnhof Hönow, nehmen den hinteren Ausgang und laufen immer geradeaus.«

»Laufen?«

»Ja, leider gibt’s noch keinen Bahnanschluss. Und die Busverbindungen … Nee, besser nicht. Auch wenn Ihnen andere vielleicht was anderes sagen. Laufen geht echt am schnellsten. Glauben Sie mir, ich bin zertifizierter Auskunftsberliner.«

»Oh, dann habe ich ja Glück, Sie getroffen zu haben.«

»Das Glück ist ganz auf meiner Seite.«

Zufrieden blicke ich dem Mann nach, beseelt davon, wieder einmal eine gute Tat vollbracht zu haben. Wunderbar, dass ich den umlenken konnte! Sonst hätte der noch den Flughafen repariert, und fortan würden bei Berlin minütlich Ferienflieger aus der ganzen Welt eintreffen.

Ich habe nichts gegen Touristen. Und ich begegne Ihnen in der Regel auch mit Wahrhaftigkeit. Doch die meisten meiner Mitberlinerinnen und Mitberliner sind noch nicht soweit. Der sogenannte Senat, besser bekannt als Berliner Freizeitausschuss, hat in der Vergangenheit zwar viel dafür getan, dass die Stadt von Besuchern überschwemmt wird, aber in seinem Eifer vergessen, die Bevölkerung auf die Ankunft der Ahnungslosen vorzubereiten.

Neulich saß ich im Nachtbus vorne rechts, also schräg hinterm Chauffeur. Unter den Linden stieg eine Japanerin ein mit lustiger Mütze und dickem Rollkoffer und fing an, den Fahrer in ein Gespräch zu verwickeln, das dieser irgendwann ergebnisoffen beendete, indem er einfach mal den Blinker setzte.

Verwirrt wandte sich die Japanerin nun mir, dem Nächstsitzenden, zu. Ich hörte gerade ein wunderbares Stück Musik und genoss den Blick auf den menschenleeren Boulevard, aber das kümmerte die Frau gar nicht. Fröhlich lächelnd plapperte sie mich an. Das störte die Stimmung und den Rhythmus der Musik in meinen Ohren. Also ließ ich die Stöpsel herausploppen und mir das Problem schildern. Gegen 1 Uhr in der Früh wollte die Dame doch ernsthaft zum Flughafen Tegel, wo nachts ja überhaupt nichts fliegt. Immerhin, tags schon.

Ja, um sechs!, gab die Japanerin an. So lange wolle sie vor Ort warten. Ich befragte mein schlaues Telefon, wie man nachts um eins zum Flughafen kommt. Gar nicht. Der erste Bus dorthin fährt ab Zoo um drei Uhr dreißig. Das sagte ich der Japanerin. Sie erwiderte, da gäbe es doch eine U-Bahn – »you six, you know?« –, die ganz nah am Flughafen vorbeiführe, den Rest könne sie ja laufen. Auf der Karte habe das nicht so weit ausgesehen. Und sie habe schließlich Zeit.

Ich betrachtete ihren dicken Rollkoffer, stellte mir kurz vor, wie sie damit über die Stadtautobahn manövrieren würde, und schüttelte den Kopf. Sie solle lieber zum Zoo fahren. Nirgendwo lernt man die Stadt besser kennen als dort. Zwischen denkmalgeschützten Ruinen des Kalten Krieges pfeift ein schneidiger Ostwind, der stets leicht nach Tierurin duftet. Das aber verschwieg ich lieber, als ich sagte, Zoo Station sei ein nahezu romantischer Ort. Wenn man Glück habe, könne man beim Warten sogar Elefanten streicheln.

Die Japanerin wirkte skeptisch. »Are you sure?«

»Yes, trust me. I am an educated Berlin informant. No whistle-blower, just an Auskenner.«

In anderen Worten: Ich bin ein Auskunftsberliner. Und damit nicht allein. Ohne uns ginge in dieser Stadt gar nichts mehr. An jeder Ecke orientierungslose Touristen, die die Stadtpläne falschrum halten.

Auskunftsberliner! Das ist doch was. Endlich mal eine Perspektive für all die hier ansässigen Besserwisser und Klugscheißer. Eine kurze Schulung, und schon geht’s los. Wer sich qualifiziert, bekommt einen Button angesteckt, der Fremden signalisiert, dass der Stickerträger fähig ist, ihnen weiterzuhelfen. Natürlich gehört da auch ein bisschen Psychologie hinzu. Feinfühligkeit! Das ist nichts für die üblichen Tourette-Tröter und Schulle-Nasen. Nein, ein guter Auskunftsberliner weiß, wen er wann wohin schickt.

Nicht jeder, der zur Museumsinsel möchte, sollte diese finden müssen. Lärmende Schulklassen lotst man lieber gleich in ein Großraumeinkaufszentrum nach Hellersdorf oder – bei hoher Markenklamottendichte – in eine dunkle Neuköllner Ecke. Die dort herumlungernden Kleinkriminellen müssen schließlich auch beschäftigt werden. Sonst kommen die noch auf falsche Gedanken und überfallen Einheimische.

Außerdem sind Auskunftsberliner dazu angehalten, die Touristenströme zu lenken. Per SMS erhalten sie die aktuellen Hotspots des Besucherinteresses und können so gegebenenfalls umlenken. Fragt beispielsweise eine sächsische Schulklasse nach dem Weg zum Alexanderplatz, wo derzeit jedoch nicht nur ein jahreszeitlicher Budenmarkt stattfindet sowie die Kundgebung einer bizarren Splittergruppe von Mondanbetern, sondern bereits mehrere Reisegruppen aus verschiedenen Erdteilen umherirren, sollte der verständige Auskunftsberliner bemüht sein, den Sachsen andere Orte schmackhaft zu machen.

Schon mal in der Kaulsdorfer Kronkorkensammlung gewesen? Oder im Wilmersdorfer Lippenstiftmuseum? Oder bei der Wurstbude mit dem ältesten noch flüssigen Fett der Welt? Die ist in Wedding. Oder wie wär’s mit einem Ausflug nach Mahlsdorf? Dort steht Europas modernste Müllsortierfabrik. Wenn das mal nichts ist!

Bleiben die Fragenden allerdings beharrlich und wollen unbedingt zu ihrem Wunschort, muss der Auskunftsberliner zu härteren Bandagen greifen und die Touristen bewusst in die Irre führen. Am besten mit dem Bus nach Köpenick. Die Hinfahrt dauert ewig, und eh’ sie zurückfinden, ist der Alex wieder menschenleer.

Hitlers Hodenwärmer

Als ich mich letztens, um einen Einkauf zu vollenden, an eine Kasse stellte, waren drei Menschen vor mir, die rein optisch zusammenpassten, zwei Männer, eine Frau, alle irgendwie groß, zumindest unförmig. Der Klotz vor mir hielt eine Zeitschrift in den Händen: ein Häkelheftchen, Häkeldeckchen zum Selbermachen, wirklich wahr, so was denkt man sich nicht aus. Doch was wollte der mit einem Magazin für den häuslichen Handarbeiter? Fand er beim Topflappenhäkeln seine innere Ruhe, die zu suchen ihm sein Bewährungshelfer aufgetragen hatte? Oder traf er abends Gleichgesinnte im Hinterzimmer eines vom Staatsschutz observierten Lokals, um sich eine eigene Reichskriegsflagge zu häkeln? Oder gar ein Häkelkreuz?

Womit ich jetzt in meiner plumpen Art der Vorurteilsbildung einen kahl geschorenen Kerl in die rechte Ecke dränge, weshalb der hinterher sagen könnte: »Die Gesellschaft ist schuld! Eigentlich wollte ich einen frommen Spruch aus dem Kirchengesangsbuch häkeln, um damit meinen Fernseher zuzudecken, aber in einem Text, der zufälligerweise in diesem Moment gelesen wird, wurde ich zum Nazi vorverurteilt. Hey, ich spreche nicht mal Deutsch!« Dabei kann man sehr wohl Nazi sein, ohne Deutsch zu sprechen. Prominentestes Beispiel ist Hitlers Schäferhund Blondi. Das heißt: War Hitlers Hündin tatsächlich eine Antisemitin?

Dieser Text ist typisch deutsch. Nicht mal eine Seite um, und schon bin ich beim Führer gelandet. Und das nur wegen eines Häkelheftchens. Ist Häkeln also rechtsradikal? Wird in Sachsen mehr gehäkelt als in Friedrichshain? Oder häkelt die Antifa auch? Palitücher vielleicht? Ich will das gar nicht wissen. Ich möchte nicht, dass ein Text von mir solche Fragen formuliert. Ich wollte sowieso nicht so lange auf diesen Typen mit dem Häkelheftchen in der Hand eingehen. War ihm wohl zu peinlich, das aufs Förderband zu legen. Zu Recht! Konnte der nicht ein normales Tittenheft kaufen?! Oder war das so ein Weichei, dessen Frau sich gelangweilt in der grau gescheckten Sitzgruppe rekelte, anstatt zu häkeln, weil ihr die Ideen ausgegangen waren? Aber bald hat Schwiegermutter Namenstag, da kann sie ja nicht schon wieder ein Klorollenhäubchen klöppeln, sodass sie ihren Gatten, der sie damals nur wegen der vorgetäuschten Schwangerschaft geheiratet und das später dann vergessen hatte, anschnurrte: »Du, Mausebär, gehste mal noch schnell los und holst mir ’n Häkelheftchen? Die neue Nummer müsste gestern erschienen sein.« Eine Nummer würde auch er gern mal wieder schieben, aber seit sie ihm Hodenwärmer gehäkelt hat, lag Madames Libido im Tiefkühlfach. Kein Wunder, welche Frau ist schon scharf auf einen Kerl mit gehäkelten Hodenwärmern?

Dieser Text wird immer schlimmer. Hitler, Hunde, Hodenwärmer. Hitler soll ja nur ein Ei gehabt haben. Wer da wohl geplaudert hat? Vielleicht die Häkelmagd aus dem Führerbunker, weil bei ihr eine Sonderanfertigung in Auftrag gegeben wurde? Gibt’s darüber bald einen Film? Der Führer friert untenrum. So was zieht bestimmt. Mich interessieren Hodenwärmer allerdings kaum. Mich interessiert viel mehr, wie viel Küchenpapier ein durchschnittlicher Deutscher verbraucht. So im Durchschnitt. Das ist jetzt ein starker Denksprung, anders aber komme ich leider nie zum eigentlichen Thema dieses Textes.

Als ich nämlich an jener Kasse stand, fiel mir dieser Häkelheftchenmensch gar nicht so sehr auf, denn die anderen beiden, die womöglich doch nicht so groß waren, auf keinen Fall schlank, am Ende trugen sie Blousonjacken, die vollzogen gerade einen Großeinkauf, auch wenn sie nur ein einziges Produkt kauften, das aber in großer Anzahl und in verschiedenen Ausführungen. Ja, man ahnt es wahrscheinlich nicht, ich habe es nicht ganz zufällig erwähnt, sie kauften Häkelnadeln.