Der bewusste Leader - Nicholas Pesch - E-Book

Der bewusste Leader E-Book

Nicholas Pesch

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Beschreibung

Alle sprechen von Transformation – doch lediglich fünf Prozent aller Führungskräfte verfügen tatsächlich über die mentale und emotionale Kompetenz, den rasanten Wandel und die Komplexität der Aufgaben zu bewältigen. Die Folge: Viele Leader sind müde und ratlos. Hektik und Unsicherheit bestimmen ihren Alltag und führen geradewegs in Resignation, Depression und Erschöpfung. Der Ausweg aus dieser Abwärtsspirale liegt nicht in ausgeklügelten Managementmethoden oder neuen Supertools, sondern: in einem klaren, fokussierten Geist. Denn wir können die Komplexität der Welt nicht reduzieren – wir müssen die eigene erhöhen! Nicholas Pesch, erfolgreicher Ex-Manager und Top-Executive-Coach, hat aus amerikanischen Thinktanks den Ansatz des Vertical Leadership Development mitgebracht, der hierzulande noch weitgehend unbekannt ist. Basierend auf neuesten Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Entwicklungspsychologie geht es darum, ein Mindset zu entwickeln, aus dem heraus wir Sinn und Bedeutung geben und mit den Herausforderungen der VUCA-Welt souveräner umgehen können. Ziel ist ein Zustand von MIND MOVEMENT MASTERY, um klüger, fürsorglicher und aus tiefer Ruhe und Gelassenheit heraus zu handeln. Daraus erwachsen Spitzenleistungen, echte Führungsstärke sowie eine positive Grundhaltung zu sich selbst und anderen. Nach diesem Buch werden Sie Führung mit anderen Augen sehen!

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Wenn du dein Potenzial realisierstund in deine eigenen Fähigkeiten vertraust,kannst du eine bessere Welt erschaffen.

DALAI LAMA XIV.

Nicholas Pesch

DER BEWUSSTELEADER

Fokussiert, gelassen und erfolgreichführen im digitalen Zeitalter

Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft.

Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

© 2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2020 erschienenen Buchtitel »Der Bewusste Leader« von Nicholas Pesch, © 2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-966-2ISBN epub: 978-3-95623-920-5

Lektorat: Sabine Rock, Frankfurt a. M. | www.druckreif-rock.de Umschlaggestaltung: Martin Zech, Bremen | www.martinzech.de

Autorenfoto: Roderick Aichinger | www.roderickaichinger.com

Grafiken: Stephanie Bodenstedt

Copyright © 2020 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

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Inhalt

ÜBER DIESES BUCH

MIND MOVEMENT MASTERY: DAS GEHEIMNIS DES KLAREN GEISTES

Der tradierte Wahnsinn

Die Rückkehr zum Ich

Abschied von den inneren Antreibern

DIE HERAUSFORDERUNG: SCHÖNE NEUE VUKA-WELT

Täglicher Irrsinn: Alle sind agil, keiner blickt durch

Grenzen der Vereinfachung

Ankerpunkt für den Wandel

Das schwächste Glied: der Mensch

Führung heute – Krise und Chancen

Selbstoptimierung: Mode oder Chance?

Das innere »Betriebssystem« neu definiert

INVENTUR: FÜHRUNGSSTILE AUF DEM PRÜFSTAND

Führen nach dem Ausnahmeprinzip

Transaktionale Führung

Servant Leadership

Ubuntu: Führen durch Menschlichkeit

Level-5-Leadership

Die Firma ohne Chef

Transformationale Führung: ein zukunftsweisender Entwurf

Vergleich: transaktional versus transformational

DIE LÖSUNG: VIER SCHRITTE ZU MIND MOVEMENT MASTERY

Aufsteiger gesucht

Der RAIN-Prozess im Überblick

Tipps für die tägliche Praxis

1. BEWUSSTHEIT – Erkennen, was geschieht

2. AKZEPTANZ – Das Ende der Ausreden

3. ERFORSCHUNG – Alles, was wahr ist

4. BEFREIUNG – Abschied vom Ego

DIE UMSETZUNG: FÜHRUNG FÜR BEWEGTE ZEITEN

Leadership im Umbruch

Sich selbst führen – klar, konzentriert, konsequent

Wege der Selbsttransformation

Anleitung zum Glücklichsein

Andere führen – der Leader ohne Ego

Emotionen heben die Welt aus den Angeln

Führungspräsenz für das digitale Zeitalter

Teams zu Höchstleistungen führen

Coaching als Transformationsbeschleuniger

Organisationen führen – neuer Spirit im Großformat

I HAVE A DREAM …

… für Unternehmen

… für die Gesellschaft

LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

DANKSAGUNG

STICHWORTVERZEICHNIS

ÜBER DEN AUTOR

Über dieses Buch

Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind,sondern wir sehen sie, wie wir sind.

TALMUD

Viele, die mich als Executive Coach zu sich rufen, wirken müde und ratlos, manche sogar verzweifelt. Sie empfinden ihren Alltag als Hamsterrad, in dem sie sich jeden Tag abstrampeln, um nicht auf die Nase zu fallen. Und es sind nicht sie selbst, die das Rad in Gang setzen und am Laufen halten, es sind die Hektik und Unsicherheit unserer Zeit, der hohe Wettbewerbsdruck, die neuen Geschäftsmodelle sowie die wachsende Komplexität der Digitalisierung und Vernetzung.

Etliche meiner Klienten sind gestandene Topmanager aus der Wirtschaft. Sie sagen mir, Menschen und Organisationen zu führen, sei heute schwerer denn je. Ich kenne dieses von Gefühlen heraufbeschworene Zerrbild der Wirklichkeit aus meiner Zeit als Geschäftsführer eines Unternehmens mit 1000 Mitarbeitern. Tatsächlich ist das Führen heute nicht anders oder komplexer als früher. Ob es tatsächlich schwerer ist? Das liegt zu einem großen Teil am Leader selbst.

In diesem Buch werden Sie mit mir hinter die Kulissen des rasanten Wandels in unserer Welt blicken – die inneren Zusammenhänge besser zu verstehen, ist die erste Voraussetzung, um die fortwährenden Veränderungen für sich zu nutzen, statt sich ihnen auszuliefern. Die einzige Antwort auf diesen äußeren Wandel ist eine innere Transformation. Sie lernen Wege des »vertikalen Lernens« kennen, um konzentrierter, gelassener und erfolgreicher zu führen. So erlangen Sie wieder mehr Raum für Entscheidungen in einer zunehmend komplexen Welt.

Wann haben Sie zuletzt den Blick von dem »alltäglichen Wahnsinn« abgewandt und sich gefragt, was Ihnen an Ihrer Arbeit Freude macht? Wenn ich viel beschäftigte Führungskräfte darauf anspreche, ernte ich vorwiegend Lippenbekenntnisse zu »spannenden Herausforderungen«, nicht selten auch nur leere Blicke.

In einer Welt, in der nichts beständiger ist als der Wandel, geraten selbst die Motiviertesten und Leistungsfähigsten früher oder später an ihre Grenzen. Sie verlieren die Freude an der Arbeit und oft sogar am Leben. Man hält nur noch durch, von Wochenende zu Wochenende, von Urlaub zu Urlaub. Um weiter zu funktionieren, greift dann mancher zu Alkohol, Tabletten und anderen Suchtmitteln. Aber keine Pille oder Droge, keine noch so ausgeklügelte neue Managementmethode und schon gar kein Supertool wird Ihren Führungsalltag auf Dauer entspannen.

Die Welt wird sich in Zukunft noch schneller drehen, die globale Konkurrenz weiterwachsen und junge Mitarbeiter werden Ansprüche stellen, bei denen »alten Hasen« die Ohren schlackern. Der neuen Generation ist ihre Work-Life-Balance wichtiger als der nächste Karrieresprung. Statt eines höheren Einkommens sucht sie Sinn in ihrem Tun. Noch fehlt vielen Führungskräften darauf die passende Antwort.

Die gute Nachricht ist: All das braucht Sie nicht zu beunruhigen. Zu meinen Klienten zählen Manager, die früher den Tag ohne Medikamente kaum überstanden haben und die nach Feierabend nur mit ein paar Gläsern Wein runtergekommen sind. Heute wissen sie: Das beste »Hirndoping« gibt es nicht in der Apotheke, es ist vollkommen kostenlos und mit etwas Übung jederzeit verfügbar: Es ist ein klarer, fokussierter, bewusster Geist. Dieser ermöglicht eine mentale, emotionale, körperbewusste und spirituelle Präsenz im Hier und Jetzt, um sein Leben erfolgreich zu meistern. Ich nenne diesen Zustand Mind Movement Mastery.

Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen diesen englischen Begriff zumute. Englisch ist nun mal die Sprache der Wissenschaft und da macht die Literatur zu Führungstheorien und -methoden keine Ausnahme. Ich werde Anglizismen aufs Nötigste beschränken und die Ausnahmen hinreichend erklären. Besonders die Begriffe »Führerschaft« und »Führer« wecken im Deutschen zu Recht negative Assoziationen; ihre englischen Entsprechungen Leadership und Leader lenken da weniger vom eigentlichen Thema ab.

Zudem lässt sich kaum eingängig ins Deutsche übertragen, wofür der Begriff Mind Movement Mastery steht. Die Übersetzung »Geist-Bewegung-Meisterschaft« vermittelt das zugrunde liegende Konzept eher vage und ist etwas irreführend. Tatsächlich verwandelt Mind Movement Mastery Ihren Geist in einen Meister, der durch regelmäßiges Training immer mehr Kraft, Ausdauer und Geschicklichkeit gewinnt. Zudem versetzt dieses Konzept Sie in die Lage, sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Dann handeln Sie aus tiefer Ruhe heraus, selbst wenn draußen ein Sturm tobt. Sie werden durch Souveränität beeindrucken und echte Führungsstärke beweisen. Und all das geschieht mit »Selbst-bewusst-sein«, also mit Bewusstheit und Fürsorge für sich selbst, für die eigenen Gedanken und Gefühle. Nur mit diesem »Selbst-bewusst-sein« können Sie anderen mit Bewusstheit und Fürsorge begegnen. Dieser Seinszustand ist die einzig vernünftige Antwort auf die Hektik der Außenwelt.

Mind Movement Mastery zu erlangen, ist ein oft jahrelanger Prozess, der über mehrere Stufen verläuft. Doch wie Sie bei der Lektüre dieses Buches feststellen werden, können schon kleine Veränderungen im Innern zu großen Veränderungen im Äußeren führen: im Umgang mit Mitarbeitern oder im Führen Ihres Unternehmens.

Das Buch zeigt, wie Sie sich und anderen sinnvolle Ziele setzen und diese erreichen. Es will kein neues Standardwerk für Psychologiestudenten sein, sondern ein Praxisbuch für Leader und solche, die es werden wollen. Wo immer sinnvoll, verweise ich auf aktuelle Forschungsergebnisse, auch um Ihnen das nötige Grundlagenwissen zu vermitteln. Das erschien mir gerade im Hinblick auf die Schwerpunkte Achtsamkeit, Meditation, Embodiment und Spiritualität wichtig, damit sich mein Kompendium klar von den zahllosen »esoterischen« Ratgebern zu diesen Themen abgrenzt.

Sie werden auf den folgenden Seiten auf etliche praktische Übungen stoßen; dennoch habe ich bewusst darauf verzichtet, einen umfassenden Meditationsleitfaden zu verfassen. Zwar halte ich die Meditation für den wirkungsvollsten, doch nicht für den »allein selig machenden« Weg zu Mind Movement Mastery. Doch in diesem Buch geht es um mehr. Sie werden modernste Ansätze wie Embodiment und vertikales Lernen kennenlernen. Die Erkenntnisse aus den jüngsten Forschungen in den Bereichen der Neurowissenschaften und der Entwicklungspsychologie geben uns heute Methoden an die Hand, mit denen wir Veränderungen weitaus effektiver realisieren können, als dies bis vor wenigen Jahren für möglich gehalten wurde.

So werden Sie lernen, sich von Ihren verborgenen Überzeugungen und mentalen Konstrukten zu lösen. Sich diese »Blocker« bewusst zu machen, ist der erste Schritt zu Ihrer inneren Befreiung: Sobald solche Prägungen nicht länger ein Teil von Ihnen sind, werden Sie diese wie ein Objekt kontrollieren, untersuchen, verändern und sich sogar ganz von ihnen verabschieden können. Dies ist eine vertikale Entwicklung, die Ihnen mehr und mehr Zugriff auf Ihr volles Potenzial ermöglicht.

Vielleicht werden Sie keine riesige »Delle im Universum hinterlassen«*, aber als bewusster Leader können Sie der Welt offensiver begegnen und so Ihr Leben und das vieler anderer aktiver gestalten. Sie werden Ihre Mitarbeiter durch Empathie und mitreißende Visionen inspirieren, Sie werden in neue Rollen schlüpfen und Dinge völlig neu denken. Wo auch immer Sie als Leader wirken – Sie werden einen Beitrag leisten, um andere und auch Unternehmen zu transformieren, sodass diese sowohl für die Gesellschaft als auch für den Planeten eine Bereicherung sind. Und so können Sie unsere Welt dann doch um ein gutes Stück besser machen.

Herzlichst

Ihr Nicholas Pesch

*Zitat aus dem Film »Triumph of the Nerds«.

MIND MOVEMENT MASTERY: Das Geheimnis des klaren Geistes

Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.

VIKTOR E. FRANKL

Jede Generation von Führungskräften muss sich ihren Erfolg neu verdienen. Erfolg ist kein Selbstläufer. Es gibt darauf auch keinen erblichen Anspruch wie bei der Thronfolge des britischen Königshauses. Er ist vielmehr das Ergebnis aller richtigen Entscheidungen unter klar umrissenen Bedingungen in einer bestimmten Epoche der Geschichte. Und da die Welt sich verändert, kann ein heute noch erfolgreicher Führungsstil morgen schon in die Katastrophe führen.

Der Bankrott der Niederländischen Ostindien-Kompanie war so eine Katastrophe. Die 1602 gegründete Vereenigde Oostindische Compagnie (kurz »VOC«) war die erste börsennotierte Aktiengesellschaft der Wirtschaftsgeschichte. Zweihundert Jahre lang zählte sie zu den größten Handelsunternehmungen der Welt. Ihre Businessstrategie bestand aus drei Maximen: Expansion, Expansion, Expansion.

Auf den zu Spitzenzeiten etwa 4700 Segelschiffen der VOC fuhren insgesamt eine Million Menschen über die Weltmeere. Sie befehligte Heere und eroberte Länder – Merkantilismus in Reinkultur. Die meiste Zeit erschien sie so unangreifbar wie Amazon heute. Aber sie ging trotzdem unter. Was war geschehen?

Die Welt hatte sich verändert, vor allem die der Kunden. Die VOC war mit Gewürzen zu Macht und Größe gelangt. Nur nützte ihr das Monopol darauf wenig, als plötzlich Tee, Seide und Porzellan ganz oben auf dem Einkaufszettel standen. Auf einmal musste sich die Niederländische Ostindien-Kompanie gegen lästige Konkurrenz behaupten. Hinzu kam ein echtes Führungsproblem, das sich in Korruption und einer verbreiteten Selbstbedienungsmentalität äußerte. Einige weitere Faktoren und zuletzt der Börsencrash von 1772 führten schließlich zum Niedergang.

Warum erzähle ich Ihnen diese Geschichte? Weil sie ein Lehrstück ist für das, was die Wirtschaft heute erlebt. Keine Organisation ist unverwundbar, auch Global Player wie damals die VOC und heute Amazon, Facebook, Google und Apple nicht. Im 18. Jahrhundert hatte sich die Welt transformiert. Die Musketen- und Kanonenpolitik des Merkantilismus war ein Auslaufmodell. Im Zeitalter der Aufklärung bezogen die neuen Industriekonzerne ihre Macht aus technischer Innovation, nicht aus Kanonen. Der heutige Wandel in der Welt vollzieht sich schneller als je zuvor. Und wer sich nicht mit ihr transformiert, der wird untergehen wie die VOC.

Aber wir verändern uns doch, mögen Sie jetzt sagen. Wir entwickeln innovative Produkte, betreiben Content-Marketing, verlagern Standorte, produzieren nachhaltiger, schicken unsere Führungskräfte auf Managementseminare mit Rafting und allem Pipapo, das den Teamgeist stärkt … Darf ich Sie kurz unterbrechen? Ich kenne solche Listen aus zahlreichen Unternehmen. Einige dieser Maßnahmen mögen durchaus sinnvoll sein. Und immer wieder fällt mir auf, dass etwas Wichtiges fehlt. Lassen Sie mich Ihnen dazu eine kleine Geschichte erzählen.

In Japan lebte einst ein reicher Mann. Er hatte alle Annehmlichkeiten, die sich ein Mensch nur vorstellen kann: köstliches Essen, prachtvolle Häuser und die schönsten Konkubinen weit und breit. Trotzdem war dieser Mann nicht glücklich. Er fühlte sich schlecht, weil er seinen Reichtum, sagen wir, nicht ohne gewisse Gemeinheiten erlangt hatte und weil er ein ausgemachter Fiesling war.

Um seinen inneren Nöten abzuhelfen, ging der reiche Mann in einen Tempel. Dort lebte eine alte Zen-Meisterin namens Sono, deren Reinheit des Herzens weithin bekannt war. »Ich bin böse und schlecht«, schüttete der reiche Mann ihr sein Herz aus. »Wahrscheinlich fühle ich mich deshalb so elend.«

Die Meisterin hörte ihm geduldig zu. Dann sagte sie: »Danke für alles! Was auch immer sein mag, ich habe nichts zu beklagen.« Der reiche Mann knirschte mit den Zähnen. Er fühlte sich nicht ernst genommen. Mochte ja sein, dass es der weisen Sono prächtig ging, er aber fühlte sich schlecht. »Ja, aber was kann ich tun, damit es mir besser geht«, zeterte er.

Sie deutete ihm durch ein Nicken an, dass sie ihn verstanden hatte und wiederholte: »Ich bin dankbar für alles. Was auch immer sein mag, ich habe nichts zu beklagen.« Dem reichen Mann fiel es nicht leicht, die Fassung zu bewahren. »Und dafür bewundere ich Euch, Sono-sama. Doch wie kann mein Herz Ruhe und Frieden finden?«

Nun endlich half Sono ihrem ungeduldigen Schüler auf die Sprünge. »Jeden Morgen und jeden Abend und wenn dir etwas zustößt, dann sprich: ›Danke für alles. Was auch immer sein mag, ich habe nichts zu beklagen.‹« Endlich verstand der reiche Mann. Er bedankte sich, ging nach Hause und befolgte ein ganzes Jahr lang die Anweisung der Zen-Meisterin. Doch Ruhe und Frieden fand sein Herz dabei nicht. Deshalb kehrte er zum Zen-Tempel zurück und klagte Sono sein Leid. »Ich habe Euer Gebet immer und immer wieder gesprochen, und doch hat sich in meinem Leben nichts geändert. Ich bin nach wie vor die gleiche egoistische Person wie früher. Was soll ich jetzt machen?«

»Danke für alles. Was auch immer sein mag, ich habe nichts zu beklagen«, erwiderte Sono sofort. Da endlich verstand der reiche Mann. Nun vermochte er sein geistiges Auge zu öffnen und ging voll Freude nach Haus.

Was hat diese Geschichte mit der erfolgreichen Leitung eines Unternehmens im 21. Jahrhundert zu tun? Sehr viel! Vordergründig handelt sie vom Wert der Dankbarkeit. Wie wir später sehen werden, ist sie eine der kraftvollsten Geisteshaltungen, die ein Mensch einnehmen kann. Dankbarkeit und Lebensglück sind untrennbar miteinander verknüpft. Doch die Geschichte vom reichen Mann und Sono lässt sich noch weiter fassen.

Die Zen-Meisterin sagte dem Reichen nicht, er solle erst etwas an seinen äußeren Umständen ändern, um Frieden und Ruhe im Herzen zu finden. Sie sagte ihm, er solle zuerst sich selbst verändern, sein Denken. Stressforscher bestätigen diesen Zusammenhang: Es sind nicht die äußeren Umstände, die uns so zusetzen, sondern in jedem Moment ist es unsere innere Haltung ihnen gegenüber. Sobald ein äußeres Geschehen unsere Erwartungen stört, empfinden wir Stress.

Nehmen wir einmal an, der reiche Mann hätte gelernt, für die vielen kleinen Segnungen des Lebens dankbar zu sein. Er spricht sein Mantra selbst bei Rückschlägen, weil er diese als Chance zum Lernen begreift. Infolgedessen ist ihm sein Reichtum eines Tages nicht mehr so wichtig. Er teilt seinen Wohlstand mit anderen, die das Leben weniger verwöhnt hat als ihn, gibt zurück, was er sich erschlichen hat, und behandelt Frauen mit allem Respekt. Und weil er auch für die Gaben der Natur dankbar ist, schützt er sie und gründet eine Organisation, die er Greenpeace nennt …

Wie Sie sehen, habe ich die Geschichte etwas ausgeschmückt, doch nur um das Hauptthema dieses Buches herauszustreichen: Es geht darum, wie sich durch Ihre eigene Transformation Ihr Führungsstil ändern wird – um eine neue Grundhaltung, ein verändertes Mindset, aus dem heraus Sie Ihre Mitarbeiter und Ihre Organisation konzentrierter, gelassener und erfolgreicher führen werden. Kurz: Es geht um Mind Movement Mastery.

Der tradierte Wahnsinn

Vielleicht haben Sie sich auch schon einmal wie der Mann aus der japanischen Legende gefühlt. Irgendetwas in Ihnen ist aus dem Gleichgewicht geraten. Sie sind unzufrieden mit sich und beklagen sich über Personen und Umstände, denen Sie sich ausgeliefert fühlen. Ständig drehen sich Ihre Gedanken um die Dinge und Menschen, die Sie scheinbar daran hindern, Ihr Potenzial zu entfalten. Manchmal sehnen Sie sich nach dem Kindheitstraum, den Sie nie verwirklicht haben, wie den Pilotenschein oder die Schauspielerkarriere. Heute erscheint Ihnen das alles unerreichbar fern und Sie wünschen sich innere Ruhe und Frieden.

Selbst wenn keiner oder nur einer dieser Aspekte auf Sie zutrifft, verdeutlicht das Szenario doch, wer bei den allermeisten Menschen für innere Unruhe sorgt. Es ist ihr Geist. Er gleicht einem ungezähmten Pferd: Er ist kraftvoll, ungestüm, fantasievoll, neugierig. Er hüpft ruhelos von der Vergangenheit in die Zukunft und verweilt nur selten in der Gegenwart.

Woher kommt diese Rastlosigkeit des Geistes, die beinahe jeden Menschen umtreibt? Auf der Suche nach der Antwort müssen wir erkunden, wie unsere mentale Grundausstattung entsteht. Die moderne Entwicklungspsychologie erklärt: Neugeborene sind zunächst völlig hilflos. Alles ist von externen Einflüssen abhängig. Deshalb ist die Wahrnehmung der Babys immer nach außen gerichtet. So verinnerlichen sie, dass ihr Überleben vom Außen abhängt.

In den ersten Lebensjahren arbeitet der kindliche Geist dann wie ein Staubsauger: Er zieht sich alles rein, was er zu fassen bekommt. Unablässig stellt er Fragen, erzählt Geschichten, sucht sich Wege, kehrt wieder um und sucht andere Wege. Er ist noch nicht fokussiert, denn am Anfang des Lebens würde der junge Geist sich dadurch seiner Möglichkeiten berauben.

Im Lauf der weiteren Entwicklung prägen ihn dann die Erziehung, das persönliche Umfeld und kulturelle Einflüsse – das Gehirn organisiert sich zunehmend. Den ersten harten Schnitt erleben Kleinkinder bereits im Alter von etwa drei Jahren, wenn Erwachsene sie zu Objekten von Erziehung, Unterricht und anderen »Maßnahmen« machen. Dadurch gerät ihre Entwicklung ins Stocken, und es beginnt »eine fokussierte Suche nach Lösungen«, wie es Gerald Hüther umschreibt, einer der bekanntesten Hirnforscher Deutschlands (Wellnitz 2018).

In dieser frühen Phase seiner Entwicklung ahmt das Kind alles nach und unterscheidet kaum zwischen Richtig und Falsch. So verwandeln manche die anderen Menschen einfach genauso zum Objekt, wie sie es am eigenen Leib erfahren. Das äußert sich in Kommentaren wie »blöder Papa« oder »doofe Lehrerin«. Solche Kinder neigen dazu, andere »Objekte« (Menschen) für eigene Zwecke einzuspannen. »Diejenigen, die das am besten gelernt haben, sind unsere Führungskräfte in Wirtschaft und Politik«, behauptet Hüther. »Andere für sich einzuspannen, sie zu manipulieren, hätten sie ja nicht nötig gehabt, wenn ihnen mal jemand gesagt hätte, dass sie per se bedeutsam sind, dass sie dazugehören« (Wellnitz 2018).

Einige Kinder, erklärt der Neurobiologe, machten sich selbst zum Objekt. Sie fühlten sich nicht schön, nicht liebenswert genug und litten meist unter psychosomatischen Störungen. Je komplexer die Welt wird und je weniger Orientierung Kinder durch Eltern und ihr soziales Umfeld bekommen, desto leichter schleifen sich schädliche Verhaltensmuster ein. Später sind diese dann nur noch schwer zu korrigieren.

Wir werden im weiteren Verlauf des Buches immer wieder auf diesen Mechanismus zurückkommen, den Fachleute »psychologisches Immunsystem« nennen. Vorerst genügt es festzustellen: Die frühkindlichen Prägungen tragen entscheidend dazu bei, dass viele ihr Leben im Allgemeinen und die heutige Arbeitswelt im Besonderen wie ein endloses Abstrampeln im Hamsterrad empfinden. Vor allem Topmanager, die Verantwortung für zahlreiche Menschen und für den geschäftlichen Erfolg großer Unternehmen tragen, klagen mir ihr Leid über ihr Eingebundensein in ein System, in dem sie all ihre Energie verbrauchen. Und es scheint trotzdem nie genug zu sein.

So war es auch bei Rolf*, dem erfolgreichen Manager, der mich vor einiger Zeit um ein Coaching gebeten hatte. Oberflächlich betrachtet wirkte er wie der Prototyp einer Führungskraft, die ihr Leben im Griff hat: Anfang vierzig, steile Karriere, Bilderbuchfamilie, teurer Anzug, teure Uhr, sportlich, gepflegt vom Scheitel bis zur Sohle.

»Ich habe mich selbst nicht wiedererkannt«, antwortete er zerknirscht auf meine Frage nach den Gründen für seinen Entschluss, sich coachen zu lassen. »Was ist passiert?«, fragte ich ruhig. »Ich bin im Abteilungsmeeting ausgerastet«, erzählte Rolf. Regelrecht angebrüllt habe er einen Mitarbeiter, als der zum dritten Mal die Projektplanung mit einem lahmen »Ja, aber …« infrage stellte. Ich sah, wie in Rolf erneut der Ärger hochstieg. »Dem kann man ohnehin im Gehen die Schuhe besohlen. Manchen Leuten ist einfach nicht klar, unter welchem Druck wir stehen«, knurrte er.

»Und wie denken Sie heute über Ihre Reaktion?«, fragte ich. »Der Ausraster ist natürlich unentschuldbar.« »Und deswegen sitzen Sie jetzt hier im Coaching?« »Na ja«, gab er zögerlich zu, »das war nicht mein erster Wutausbruch. Die Mitarbeiter halten mich für cholerisch, sagt mein Vorstand. Die Fluktuation in meiner Abteilung ist überdurchschnittlich. Das gefährdet den Bonus und die weitere Beförderung. Ich muss und will an mir arbeiten.«

Und so haben wir mit der Arbeit begonnen. Im Verlauf des Coachings ist sich Rolf einer aus seiner Kindheit stammenden Prägung bewusst geworden, die sein Verhalten wie ein Autopilot steuerte. Er glaubte, dass am Ende nur der sich durchsetzt und recht bekommt, der am lautesten schreit. Doch wie entstehen solche »Grundannahmen«?

Grundannahmen: unser inneres Betriebssystem

Wollten wir Menschen uns mit einem Computer vergleichen, dann hätte jeder von uns ein Betriebssystem, eine Grundsoftware, die aus der Hardware ein nützliches Werkzeug macht. Alle höheren geistigen Prozesse sind in diesem Bild die Apps, Anwendungsprogramme, mit denen sich die verschiedensten Aufgaben lösen lassen. Ohne das Mind Operating System (MindOS) funktioniert gar nichts. Die Basisroutinen in diesem MindOS sind die Prägungen, Konditionierungen, mentalen Konstrukte, Grundannahmen (Big Assumptions) und Glaubenssätze. Auch die »verborgenen Verpflichtungen« (Hidden Commitments), mit denen wir die Automatismen unbewusst vor uns selbst rechtfertigen, gehören dazu. Jede Begrenzung im MindOS limitiert unweigerlich auch die Möglichkeiten der Apps.

Glaubenssätze wie »Wer am lautesten schreit, hat recht« wurzeln oft im kindlichen Imitationslernen und in der unbedingten Liebe zu den Eltern. Dieser gesunde »Mechanismus« erleichtert Kindern das Lernen ungemein. Sie entwickeln so mühelos Fertigkeiten, Werte, emotionale und soziale Kompetenzen. Doch leider übernehmen Kinder aus dem für die Persönlichkeitsentwicklung so wichtigen Eltern-Kind-Verhältnis oft auch limitierende Grundannahmen.

Ein solcherart sozialisierter Geist neigt dazu, die Ansichten von Autoritäten unreflektiert zu übernehmen. Eine eigene Haltung zu entwickeln fällt ihm dementsprechend schwer. Für viele bleibt daher die oberste Instanz lebenslang der Vater oder die Mutter, zumindest unbewusst. Wenn also Daddy in der Familie jeden zusammengebrüllt hat, der ihm zu widersprechen wagte, dann trägt auch Klein Rolf an dieser Hypothek. Und so lang er das Niederbrüllen als untrennbaren Teil seines Ichs begreift, als Grundroutine in seinem MindOS, wird sich daran auch nichts ändern.

Die Psychologin und Stanford-Professorin Carol Dweck spricht in diesem Zusammenhang von einem Fixed Mindset, einer »unveränderlichen Denkweise« (Watkins 2015). Bei einigen Menschen führe diese statische Weltsicht zu dem Glauben, sie seien bereits auf der Ziellinie geboren. Das genetische Erbe, das Schicksal oder Gottes Gnade habe ihnen ihre Fähigkeiten, Vorlieben und Talente in die Wiege gelegt. Sie hätten in der großen Lotterie des Lebens eben den Hauptgewinn gezogen, für die glücklosere Mehrheit blieben nur Nieten.

Moderne wissenschaftliche Erkenntnisse widerlegen diese verbreitete Ansicht. Selbst ein Genie wie Wolfgang Amadeus Mozart sei kein Wunderkind gewesen, sagt der Neuropsychologe Lutz Jäncke von der Universität Zürich. Er habe nur viel fleißiger geübt als andere (Wolff 2015). Aktuelle Forschungsergebnisse legen daher eher eine »Denkweise des Wachstums« (Growth Mindset) nahe. Danach können Menschen prinzipiell ein Leben lang lernen, sich anpassen und entwickeln.

Im wirklichen Leben tun sich viele damit schwer. Oft haben schon die Eltern ihre Ansichten von deren Eltern oder Großeltern übernommen. Um diesen »tradierten Wahnsinn« zu beenden, bedarf es der Konzentration aufs eigene Ich.

Die Rückkehr zum Ich

Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Ich plädiere hier nicht für rücksichtslosen Egoismus. Doch um souverän mit seiner Umwelt zu interagieren, soziale Kompetenz zu beweisen und die für Führungskräfte unverzichtbare Empathie an den Tag zu legen, muss man sich selbst achten und lieben. Sie brauchen ein Gespür für Ihre wahren Bedürfnisse – nicht für die von den Eltern und vom kulturellen Umfeld eingeimpften »vermeintlichen« Anforderungen. Diese Rückkehr zum Ich gelingt nur mit einer inneren Neuausrichtung. Erst, wenn Sie sich Ihre Ich-Momente zurückerobern, werden Sie glücklicher leben und mehr erreichen.

Dazu bedarf es Konzentration, Anstrengung und Ausdauer. Geduld und Ausdauer gehören zu den Tugenden, die scheinbar inkompatibel sind zu dem Takt minütlicher Statusmeldungen in den sozialen Medien. Die schnelllebige Zeit fordert schnelle Lösungen. Sicherlich, Bücher zu den Themen »Achtsamkeit« und »Resilienz« boomen, Meditation ist salonfähig und Managementgurus bekennen sich zur Mindfulness. Das Ganze aber bitteschön per App auf dem Smartphone, damit man sein Wohlbefinden »schnell mal zwischendurch« abrufen kann. Wer etwas mehr tun will, läuft Marathon oder verabschiedet sich ins Wellnesswochenende, um endlich mal wieder zu entspannen.

Und all das ändert nichts. Meistens jedenfalls. Denn vor uns selbst können wir nicht weglaufen, und drei Tage Wellness haben nicht sofort einen Einfluss auf unsere Verhaltensmuster. Mit solcherlei Aktionismus verdrängen wir die Misere nur. Wir suchen Erlösung im Außen, in neuen Kompetenzen, erlernbaren Managementstrategien, in rasch wirksamen »Meditationstechniken«. Manches davon ist nützlich, doch es dringt eben nicht zum Kern des Problems vor: ins eigene Ich.

Jedes Lebewesen auf unserem Planeten erschafft sich ein eigenes Bild von der Welt. Das nennen wir dann Realität. In unserer dreidimensionalen Wirklichkeit erleben wir ein Ich als Subjekt und die Umwelt als Objekt. Diese Realität aus voneinander getrennten Subjekten und Objekten ist konstruiert – dazu später mehr. Da unsere Wirklichkeit von uns selbst »erschaffen« ist, findet letztlich alles Erlebte in unserem Ich statt. Man spricht in diesem Zusammenhang von mentalen Landkarten. Diese lassen sich wie ein Eisberg darstellen: Das für andere sichtbare Verhalten einer Person ist nur zu einem winzigen Teil ursächlich für die Ergebnisse ihres Handelns. Die weitaus meisten Ursachen für mehr oder weniger gute Ergebnisse liegen unter der Oberfläche des Offensichtlichen: im Denken, in den Gefühlen, Empfindungen und sogar in der Physiologie (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Unsere Resultate und unser Handeln werden vor allem durch unbewusste, interne Faktoren bestimmt.

Wie Neurologen nachweisen konnten, bestimmen unsere Gefühle das Handeln stärker als unsere Gedanken. Menschen kaufen keine Dinge, weil sie denken, sie bräuchten sie. Sie kaufen Dinge, weil sie ein Bedürfnis verspüren. Die Emotionen wiederum speisen sich aus noch tieferen Sphären unseres Selbst. Wissenschaftler sprechen von »rohen Emotionen« oder von E-Motionen – von »Energie in Bewegung«.

Zu diesem unterschwelligen Cocktail gehören auch physiologische Signale, denn Bewusstsein ist ein stetiges Wechselspiel aus Geist und Körper. Im 19. Jahrhundert stellten erstmals William James und Carl Lange die Theorie auf, dass der Organismus sich nicht in Körper und Geist aufspalten lässt. Sie bilden ein einheitliches Ganzes, was sich auch darin zeigt, dass physiologische Erregung Gefühle auslösen kann.

»Emotionen entstehen dort, wo Verstand und Körper zusammentreffen«, betont auch der spirituelle Lehrer Eckhart Tolle in seinem Bestseller Jetzt! Die Kraft der Gegenwart (2011). Unzählige Forschungen haben ergeben, dass starke Emotionen Veränderungen in der Biochemie des Körpers hervorrufen. Wir alle kennen den berühmt-berüchtigten Adrenalinschub, der unseren Körper in den Kampf- und Überlebensmodus schaltet. Umgekehrt kann ein veränderter Adrenalinpegel auch Emotionen auslösen.

Der Strom an Signalen aus verschiedensten Regionen des Körpers bricht niemals ab. Unser Unterbewusstsein ist ihm ständig ausgesetzt, doch der Geist muss sich ihm nicht ausliefern. Zu lernen, wie wir diese »Botschaften« im eigenen Körper-Geist-System bewusst wahrnehmen und ihre Qualität positiv verändern können, ist einer der wichtigsten Schlüssel zu Mind Movement Mastery und damit zu fokussierter Leadership. Im Kapitel »Das Herz – Signalgeber im Körper« werden wir uns eingehender mit den Akteuren beschäftigen, die unser Körpergefühl bestimmen.

Vorerst wollen wir uns mit der Erkenntnis begnügen, dass die Rückkehr zum Ich einem Tauchgang in die verborgenen Tiefen des Selbst gleichkommt. Das geht weder schnell noch einfach. Doch dieser Weg ist jedem zugänglich, der entschlossen nach Mind Movement Mastery strebt.

Wer einen klaren Geist besitzt und ihn beherrscht, gewinnt die Oberhoheit über sein Leben zurück. Was damit gemeint ist, zeigt das Beispiel Rolfs, des cholerischen Erfolgsmanagers. Er hatte von sich selbst gesagt, er sei »wie auf Autopilot«, wenn er ausrastet: »Ich nehme mir jedes Mal vor, beim nächsten Ärger ruhig zu bleiben, doch es gelingt mir einfach nicht!«

Fragt sich nur, wer genau da eigentlich steuert, wenn wir uns fremdgesteuert fühlen und hinterher sagen: »Ich habe mich selbst nicht wiedererkannt.« An welchen Fäden hängen wir dann? Hier kommt wieder unser Geist ins Spiel, den ich mit einem ungezähmten Pferd verglichen habe. Er ist die mentale Instanz in uns, die wir so selten hinterfragen, obwohl sie doch recht eigenmächtig unser Denken, Fühlen und Handeln organisiert.

Buddhisten bezeichnen das Kontrollorgan unseres Ichs auch als »Affengeist« (Monkey Mind), weil dieser wie ein Affe ständig sein Maul aufreißt und uns unendlich geschwätzig in alles hineinredet. Immerfort müssen wir diesen »Affengeist« beschäftigen, ihm gleichsam eine Banane reichen, damit er schweigt. Wie soll das gehen?

Ich empfehle hierfür eine sehr einfache Meditationsübung: das Konzentrieren auf den eigenen Atem. Probieren Sie es doch gleich einmal aus.

Übung zum eigenen Atem

Setzen Sie sich bequem und aufrecht hin und schließen Sie die Augen. Sie können für diese Meditation auch direkt eine unterstützende Körperhaltung einnehmen, wie Sie im Kapitel »Tipps für die tägliche Praxis« beschrieben ist (in diesem Fall bleiben die Augen leicht geöffnet).

Konzentrieren Sie sich jetzt auf Ihren Atem: Nehmen Sie das Einatmen wahr. Das Ausatmen. In der winzigen Pause zwischen dem Ende des Ausatmens und dem Beginn des Einatmens nehmen Sie Ihr Körpergefühl wahr. So entsteht ein Objekt aus drei Punkten: Sie folgen dem Einatmen. Sie folgen dem Ausatmen. In der Pause dazwischen spüren Sie Ihren Körper. Dieses Objekt aus den drei Punkten bleibt im Fokus Ihrer Aufmerksamkeit.

Einatmen. Ausatmen. Körpergefühl. Einatmen. Ausatmen. Körpergefühl. Atemzug für Atemzug. Moment für Moment. Wenn Ihre Konzentration fortwandert, steuern Sie Ihre Aufmerksamkeit wie mit einem Lenkrad wieder zurück. Sie können Ihre Aufmerksamkeit beobachten. Immer öfter und immer früher können Sie wahrnehmen, wenn Ihre Konzentration fortwandert. Nutzen Sie das »Lenkrad« und steuern Sie Ihre Aufmerksamkeit wieder zum Atem zurück. So trainieren Sie Ihre Konzentration wie einen Muskel.

Für Ihre erste Übung genügen drei Minuten. Später können Sie die Praxis je nach Bedarf auf zehn Minuten ausdehnen. Als kleine Atemübung zwischendurch empfehle ich Ihnen folgende Mikropraxis: Die Kurzform der Übung dauert nur etwa sechs Sekunden. Atmen Sie einfach bewusst ein, pausieren Sie und achten Sie beim Ausatmen darauf, wie Sie sich entspannen und die Konzentration zunimmt. Im Arbeitsalltag können Sie diese kleine Übung zum Beispiel vor wichtigen Telefonaten durchführen.

Abschied von den inneren Antreibern

Atemübung fertig? Das Schöne daran: Sie können den »Affengeist« damit überall bändigen: in einem Meeting, beim Warten an einer roten Ampel, in der Straßenbahn … Versuchen Sie es doch gleich bei der nächsten Gelegenheit!

Doch zunächst lassen Sie uns kurz reflektieren, was Sie bei der Übung erlebt haben. Waren Sie die ganze Zeit auf Ihren Atem konzentriert? Oder wanderte Ihre Aufmerksamkeit zwischendurch immer wieder fort – zu Gedanken, Gefühlen, Körperwahrnehmungen oder Geräuschen? War Ihr Geist still und ruhig oder war er ständig in Bewegung? Hatten Sie einen Moment der Metakognition, konnten Sie die Aktivitäten Ihres Geistes beobachten? Konnten Sie Ihre Aufmerksamkeit wieder zurück auf den Atem ausrichten? Oder waren Sie »einfach weg«? Haben Sie drei Minuten durchgehalten?

»Wer führt eigentlich in Ihrem Leben?«, frage ich in meinen Seminaren regelmäßig. »Steuern Sie Ihren Geist, oder steuert Ihr Geist Sie?« Die meisten Teilnehmer halten diese Frage für unverständlich bis blödsinnig, und die Mutigen sagen das auch laut.

Dann begleite ich sie durch die eben gezeigte Meditationsübung. »Schauen Sie, wo Ihre Aufmerksamkeit jetzt ist. Wenn Sie fortgewandert ist, bringen Sie sie jetzt sanft zurück zu Ihrem Atem«, erinnere ich die Teilnehmer während der Meditation wieder und wieder. Trotzdem meldet sich nie jemand, wenn ich anschließend frage: »Und, waren Sie die ganze Zeit bei Ihrem Atem?«

Tatsächlich denken die Teilnehmer an alles Mögliche: das Mittagessen, die überfällige Steuererklärung, den Streit vom Morgen, die Schwester, deren Parfüm genauso duftet wie das der Nachbarin. Überhaupt: Wann habe ich zuletzt mit meinem Schwesterherz telefoniert? Dass die auch kein Handy hat! Na ja, altmodisch war sie ja schon immer …

Verstehen Sie jetzt, was mit dem »Affengeist« gemeint ist? Ein Wunder, wenn wir bei so viel Geschwafel überhaupt einen einzigen klaren Gedanken fassen können. Fatalerweise versucht der Monkey Mind uns nicht nur vom Meditieren abzulenken. Er plappert fast immer. Eine der wenigen Ausnahmen ist ein Zustand, den wir Flow nennen und über den Sie später noch mehr erfahren. Meist jedoch kostet es uns unendliche Mühe, uns auf den Moment zu fokussieren, weil es unablässig in uns denkt und denkt und …

In diesem Zustand vermögen wir auf die meisten Situationen nur reflexhaft zu reagieren. Was uns derweil durch den Kopf schwirrt, ist weit entfernt von einer objektiven Analyse aktueller Ereignisse. Vielmehr schustern frühere Erfahrungen, tief verwurzelte Emotionen und halbbewusste Verhaltensmuster ein Konstrukt zusammen, das wir für unsere Vernunft halten. Diese Pseudo-Ratio treibt uns dann an.

Überlegen Sie bitte: Wie oft am Tag – oder besser: wie selten – sind Sie ganz bei der aktuellen Sache? Und wie oft lenken überraschende Gedanken oder Gefühle Sie ab und reißen Sie aus dem Hier und Jetzt? Das ist so, weil die meisten Menschen ihren Rucksack voller Erziehungsregeln, Erfahrungen, Glaubenssätze, persönlicher Antreiber, Gewohnheiten und anderer »Lebenssouvenirs« als Teil des eigenen Ichs ansehen.

Mind Movement Mastery bedeutet zu begreifen, dass man diesen Rucksack selektiv ausleeren und sogar ablegen kann, um – dieserart erleichtert – sein volles Potenzial zu entfalten. Damit das gelingt, müssen Sie lernen, sich von Ihren inneren Antreibern zu distanzieren. Dazu zwei Beispiele:

Zu den Mitbringseln aus der Kindheit gehört bei vielen die Effizienzgetriebenheit, ein bei Managern durchaus geschätztes Verhaltensmuster. Wer seine Mitarbeiter zur Eile antreibt, wiederholt meist nur das »Trödel nicht!« seiner Eltern und Großeltern. Für Zeitverschwendung hatte im abendländisch geprägten Kulturkreis schon früher niemand Verständnis. Diese Prägung verrät sich in beiläufigen Wendungen wie »Ich will nur mal schnell …« oder »Hol mal schnell …!« Achten Sie bewusst darauf, wie oft Sie dergleichen aus eigenem oder fremdem Mund hören.

»Sei stark! Ein Indianer kennt keinen Schmerz.« Auch das ist so ein Antreiber, der bei Führungskräften zur mentalen Grundausstattung gehört. In dieser unerbittlichen Lebensregel wurzeln Ehrgeiz und Selbstdisziplin. Man »reißt sich zusammen«, auch wenn es schwierig wird. Und nun sitzt diesem Manager im Meeting einer gegenüber, der sich Langsamkeit erlaubt und/oder Schwäche zeigt, und das mit enervierender Hartnäckigkeit. Kurzum: jemand, der all das spiegelt, was der knallharte Manager sich selbst versagt. Vor Jahrzehnten erworbene und unhinterfragte Wertungen und Muster brechen sich Bahn, schon kochen die Emotionen über, und dann nagelt der Manager die vermeintliche Schlafmütze an die Wand. Sigmund Freud hätte ihm erklärt: »Sie haben da gerade eine Projektion von sich selbst plattgemacht, mein Lieber. Das wird Sie nicht weiterbringen.«

»Der Geist ist ein guter Diener, aber ein schlechter Herr«, lautet eine alte Weisheit. Solange wir uns den Automatismen unseres Geistes ausliefern, anstatt sie bewusst zu steuern, werden wir immer wieder in dieselben Fallen rennen. Kein Entspannungskurs, kein Verhaltenstraining mit Rollenspielen zu Dialogtechniken und kein Führungsseminar wird daran etwas ändern.

Noch einmal: Die eigenen Muster zu transformieren, gelingt nicht von heute auf morgen. Mind Movement Mastery braucht Übung. Doch selbst Menschen, die täglich ihren Körper stählen, scheuen vor dieser mentalen Anstrengung zurück. Dabei bereichern ein trainierter, bewusster Geist und echtes Körperbewusstsein das Leben viel stärker und tiefer als ein strammer Bizeps oder ein Waschbrettbauch.

Übung zur Präsenz

Apropos Bewusstheit (Awareness). Lassen Sie uns das doch mit einer kleinen Übung zur Zentrierung des eigenen Körpers gleich einmal ausprobieren. Die Fachliteratur nennt diese von Mark Walsh entwickelte Methode »ABC Centering«. Es geht darum, im Körper und damit im Hier und Jetzt präsent zu werden. Die Übung besteht aus folgenden einfachen Schritten:

Awareness

1.Sitzen Sie aufrecht, Füße auf dem Boden.

2.Spüren Sie Ihren Körper. Wie geht es Ihnen?

Balance

3.Richten Sie sich so aus, dass Sie vollkommen aufrecht und zentriert sitzen.

Core Relaxation

4.Entspannen Sie die Vorderseite Ihres Körpers und Ihren Bauch.

5.Atmen Sie tief durch die Nase ein und vollständig durch den Mund aus.

Fertig! War doch gar nicht so schwierig, oder? Wie geht es Ihnen jetzt? Ich hoffe gut, denn gleich geht es richtig los.

Sind Sie bereit, tiefer ins Thema ein- und zum bewussten, fokussierten Leader aufzusteigen? Dann begleiten Sie mich nun auf dem Weg zu Mind Movement Mastery! Bevor ich Ihnen den RAIN-Prozess vorstelle, der Sie über vier Etappen zu mehr Bewusstheit, Präsenz, Effektivität und Erfüllung führt, schauen wir uns zunächst an, welche Herausforderungen unsere (Arbeits-)Welt für uns bereithält und welche Führungsstile es gab, gibt und zukünftig geben könnte.

Neben den wissenschaftlichen und theoretischen Grundlagen erfahren Sie mehr über praktische Methoden, durch die Sie lernen, sich bewusster wahrzunehmen und zu steuern. Dazu gehören Meditation und Embodiment, das gezielte Bewusstwerden und die Steuerung der Wechselwirkung zwischen Körper und Geist. Im weiteren Verlauf sehen Sie, wie Sie mithilfe von Mind Movement Mastery sich selbst, andere und Organisationen erfolgreicher führen können. Abschließend folgt ein Ausblick in die Zukunft oder zumindest eine Utopie dessen, was Mind Movement Mastery in der sich weiter verändernden Welt zu bewirken vermag.

Und nun lassen Sie uns loslegen! Gehen wir dem täglichen Wahnsinn auf den Grund und stellen wir uns den Herausforderungen der schönen neuen VUKA-Welt.

Mind Movement Mastery (Definition)

Mind Movement Mastery ist ein erweiterter, klarer Seinszustand (State of Being), den der Mensch gewöhnlich nur durch eine umfassende Entwicklung von Bewusstheit (Awareness) für sich selbst, seine Denk- und Verhaltensmuster sowie für die ihnen zugrunde liegenden Glaubenssätze (Big Assumptions) erreicht. Die so erhöhte Bewusstheit, kombiniert mit der Fähigkeit, den Geist zu fokussieren und zu entspannen, schafft Präsenz (Gewahrsein im Moment) und ermöglicht tiefe und nachhaltige Transformation.

Mind Movement Mastery stärkt das Selbstwertgefühl und verbessert die Konzentration, das präzise Denken sowie den effektiven Umgang mit Komplexität und emotionalen Herausforderungen. In diesem Seinszustand lässt sich im Alltag gelassener, engagierter und mitfühlender agieren. In allen Bereichen des Lebens erschließt Mind Movement Mastery den Zugriff auf Zustände tiefer Konzentration, die Spitzenleistungen und hohe Kreativität ermöglichen. Zudem erzeugt es eine positive und optimistische Grundhaltung gegenüber sich selbst und anderen. In diesem Zustand wird das eigene Ich als Teil eines großen Ganzen erlebt, woraus auch ein nachhaltigerer Umgang mit der Natur resultiert.

Die Entwicklung von Mind Movement Mastery ist ein Weg vertikalen Wachstums, das sich durch regelmäßige Meditation und Embodiment (Somatic Practices) fördern und vertiefen lässt.

Alles in allem beschreibt Mind Movement Mastery also eine mentale, emotionale, körperbewusste und spirituelle Präsenz im Hier und Jetzt, um sich selbst und sein Leben erfolgreich zu meistern.

*Privatsphäre und Diskretion sind mir sehr wichtig. Deshalb habe ich in den Lebensberichten meiner Klienten alle Namen und zum Teil auch persönliche Details geändert.

DIE HERAUSFORDERUNG: Schöne neue VUKA-Welt

Wir befinden uns inmitten einer tiefgreifenden Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen, weg von hierarchischer, hin zu lateraler Macht.

JEREMY RIFKIN

Täglicher Irrsinn: Alle sind agil, keiner blickt durch

»Wenn du erfolgreich bist, dann wirst du glücklich sein.« Diesem Glaubenssatz scheint die ganze Welt zu folgen, zumindest der Teil, der sich westlich und kapitalistisch nennt. Die Erfolgs-Glücks-Maxime geht auf den Reformator Johannes Calvin (1509 – 1564) zurück. Und sie ist Quatsch.

Wie zahlreiche Studien belegen, ist der Mensch viel erfolgreicher, wenn er bereits im Hier und Jetzt glücklich ist. Nicht die Arbeit macht glücklich, sondern Glück verbessert die Arbeit. Botenstoffe im Gehirn machen uns dann produktiver, kreativer und ausdauernder. Ohnehin misst sich Glück ja nicht an materiellem »Erfolg«, also daran, wie kostspielig »mein Haus, mein Auto, mein Garten« ist. Was nützt es, der reichste Mann auf dem Friedhof zu sein? Ein Mensch kann im Äußeren arm dran sein, aber im Innern reich und vollkommen glücklich.

Diese Vorstellung irritiert Sie? Verständlich. Doch darüber nachzudenken lohnt sich. Umso mehr, wenn Sie Verantwortung für Mitarbeiter und/oder ein Unternehmen tragen. Richard Branson, der Gründer von Virgin, sagte einmal: »Ich habe kein Erfolgsgeheimnis. In der Wirtschaft gibt es eigentlich keine Regeln zu berücksichtigen. Ich arbeite einfach hart und glaube – wie ich es schon seit jeher tue –, dass ich es schaffen kann. Vor allen Dingen versuche ich aber, Spaß zu haben« (2006, S. 35).

Spaß ist zwar nicht dasselbe wie Glück, doch ohne Spaß ist echtes Glück kaum vorstellbar. Spaß kann man nur im Hier und Jetzt erleben. Möglicherweise setzt uns Branson hier auf die Fährte des Glücks.

Zu viele Menschen suchen Erlösung – Glück und Zufriedenheit – im Außen. Der Weg dorthin führt aber über unser Inneres. Glück erfahre ich nicht, weil es besser wird, sondern weil ich anders mit meinen Gedanken und Gefühlen umgehe: bewusster, präsenter, gelassener. Dadurch sehe ich klarer und interagiere aktiver mit der Situation. Das ist Mind Movement Mastery.

Wagen Sie also ruhig, die calvinistische »Glücksformel« zu hinterfragen. Das ist in unserer sich schnell verändernden Welt von existentieller Bedeutung. Wenn ein großer Teil der heutigen Manager ihren Führungsstil nicht aus sich selbst heraus ändert, wird die Welt sie abhängen, so wie sie einst die Niederländische Ostindien-Kompanie abgehängt hat.

Die Welt überholt sich selbst

Dieser Wandel duldet keinen Aufschub. 1965 formulierte Gordon Moore, Mitbegründer von INTEL, eine nach ihm benannte Faustregel: Moore’s law (mooresches Gesetz) besagt, dass sich die Komplexität integrierter Schaltkreise regelmäßig verdoppelt. Den Zeitraum für einen solchen hundertprozentigen Entwicklungssprung bemaß er auf 18 Monate. Grundsätzlich gilt dieser exponentielle Anstieg der Komplexität für viele Bereiche des heutigen Lebens.

Die Welt scheint sich jedes Jahr selbst zu überrunden und die Menschen kommen kaum mehr mit. Stellen Sie sich vor, Sie würden auf der Straße 30 große Schritte gehen. Das entspricht grob einer Strecke von 30 Metern. Mit 30 exponentiellen Schritten hätten Sie 13 Mal die Welt umrundet. So rasant verändert sich unser Leben.

Die neuen Herausforderungen sind immer seltener linear. Nehmen Sie nur den Wandel in der Gesellschaft, etwa bei der Demokratisierung von Informationen. Als man Weltnachrichten noch in Stein meißelte oder als Hieroglyphen an Palast- und Tempelwände malte, lag das Wahrheitsmonopol bei Königen, Priestern, hohen Beamten und Adligen. Diktaturen erheben diesen Anspruch nach wie vor. Im Internet jedoch kann heute jeder seine »Wahrheit« in epischer Breite der ganzen Welt verkünden – einschließlich der »alternativen Fakten«.

Auch die Migration trägt zum gesellschaftlichen Wandel bei. Berlin etwa wird laut ZEIT Online »gemeinhin als zweitgrößte türkische Stadt auf der Welt bezeichnet« (2013). Im Jahr 2018 waren laut einer Statistik des UNHCR Deutschland (2019) weltweit fast 71 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Zahl der Migranten, die außerhalb ihres Heimatlandes leben, betrug nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung (2018) im Jahr 2017 sogar knapp 258 Millionen.

Aufgrund der stärkeren kulturellen Durchmischung sind die Märkte heute schwerer voneinander abzugrenzen als noch vor wenigen Jahren. Viele Menschen halten weiter Kontakt zu ihrem Heimatland oder kommunizieren aus anderen Gründen in Echtzeit kreuz und quer über den Erdball. Die ganze Welt ist ein Dorf.

Selbst das Machtgefüge befindet sich in ständigem Umbruch. Während auf der einen Seite der Nationalismus in vielen Regionen neu aufblüht, sehen sich auf der anderen Seite immer mehr Zeitgenossen als Weltbürger.

Im großen Gerangel um Macht und Einfluss melden auch die »Global Player« ihre Ansprüche an. Apple etwa erzielte im Geschäftsjahr 2018 einen Umsatz von über 265 Milliarden US-Dollar. Wäre der iPhone-Konzern ein Land, läge er gemessen am Bruttoinlandsprodukt im internationalen Vergleich auf Platz 45, gleich hinter Finnland und vor Nationen wie dem Emirat Kuwait oder dem Bankenstandort Luxemburg. Deutschlands größter Konzern, die Volkswagen AG, schlägt auf dieser Vergleichsbasis die Hälfte aller EU-Staaten. Im Gegensatz zu Staaten, deren Auslandsvertretungen vergleichsweise klein und zu strikter Neutralität verpflichtet sind, nehmen die Global Player der Wirtschaft durch Lobbyarbeit, durch die »Macht der Arbeitsplätze« und manchmal auch durch Korruption Einfluss auf Politik und Gesetze zahlreicher Länder.

Das eingangs angeführte Beispiel der niederländischen VOC zeigt: Selbst Megakonzerne sind nicht unverwundbar. Schon im Fall der Ostindien-Kompanie hatte der Wandel der Welt, gepaart mit »Managementsünden« wie Untreue und Korruption, zum Niedergang geführt. Heute muss sich die Wirtschaft ähnlichen und ganz neuen Herausforderungen stellen. In unserer vernetzten Welt hängt alles voneinander ab. Für operative Abläufe und Produktzyklen bleibt immer weniger Zeit.

Das erste iPhone von Apple kam 2007 auf den Markt, das ist eine gefühlte Ewigkeit her. Das erste Flugtaxi kommt vielleicht schneller, als wir glauben. Schon formiert sich die Industrie 4.0, die voll digitalisierte und vernetzte Industrieproduktion. Werbung funktioniert heute dank Onlinemarketing nicht mehr mit der Gießkanne, sondern so präzise wie ein Laserskalpell: Sie wendet sich maßgeschneidert an einzelne Käufer mit ganz spezifischen Vorlieben und Bedürfnissen. Trotzdem folgt die Zielgruppe lieber Influencern statt Fernsehspots und Plakaten. Und das ist erst der Anfang.

Wir leben in einer Übergangsperiode; wir stehen auf der Schwelle zum Morgen, haben aber noch keine Rezepte dafür. Der US-amerikanische Ökonom und Politikberater Jeremy Rifkin sprach gar von Veränderung »weg von hierarchischer, hin zu lateraler Macht« (Seliger 2014). Damit sagte er den Wandel von einer differenzierenden zu einer integrierenden Weltsicht voraus. Dieses neue Paradigma verlangt nach neuen Konzepten der Führung, weil die althergebrachten nicht mehr greifen.

Grenzen der Vereinfachung

Wenn die Quantenmechanik Sie nicht gründlich schockiert hat, dann haben Sie sie noch nicht verstanden. Alles, was wir als real bezeichnen, besteht aus Dingen, die nicht als real angesehen werden können.

NIELS BOHR

Vereinfachung war im Zeitalter der Industrialisierung das grundlegende Erfolgsrezept. Eine aufstrebende Wissenschaft, die sich zunehmend selbstbewusst von den metaphysischen Erklärungsmustern der Kirchen abgrenzte, lieferte dafür die passenden Erklärungen. Die Vordenker der Aufklärung wollten objektive Wahrheiten ergründen und verkünden. Nicht von ungefähr fand der Determinismus in dieser Zeit seine glühendsten Anhänger. Ihm zufolge ist jede Wirkung durch eine klar zuzuordnende Ursache bestimmt (determiniert). Seine Glaubenssätze beherrschen bis heute das Denken vieler Menschen:

Wir können die ganze Welt durch Beobachten und Analysieren verstehen.

Die so gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen uns objektive Aussagen über jedes Phänomen.

Die Naturgesetze sind das Fundament einer stabilen Weltordnung.

Ausnahmslos alle Prozesse des Lebens sind Auswirkungen klar bestimmbarer Ursachen.

Die Welt vom »primitivsten« Geschöpf bis hin zum obersten Wesen (Gott) ist hierarchisch geordnet.

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts lieferten Wissenschaftler gut begründete Einwände gegen den Determinismus. Den Mathematikern wie Henri Poincaré und Jacques Hadamard etwa fiel auf, dass schon einfache dynamische Systeme sehr komplizierte Abläufe erzeugen. Ihre Arbeit bildet die Grundlage der heutigen Chaostheorie. Der modernen Quantenmechanik zufolge gibt es im Mikrokosmos der Atome Entweder-oder-Zustände, die erst dann in eine eindeutige Erscheinungsform wechseln, wenn man sie – etwa durch ein Messgerät – beobachtet. Somit wären unbeobachtete Abläufe im Universum unvorhersehbar.

Damit gäbe es dann auch keine klassischen Dualitäten mehr, keine berechenbaren Entweder-oder-Zustände. Selbst die Zeit und jedes einzelne Individuum existieren nur im Augenblick und besitzen zugleich ein nahezu unbegrenztes Potenzial zur Veränderung. Dies entspricht genau den Erfahrungen, die auch die Meditation in fortgeschrittenen Stadien vermittelt.

Die deterministische Weltsicht hat zu einer beispiellosen Jagd nach immer mehr Wissen geführt. Die Folge: Statt Komplexität zu vereinfachen, haben Wissenschaft und Technik diese nur vermehrt. Jede beantwortete Frage wirft neue Fragen auf. Und manch scheinbare Vereinfachung entpuppt sich letztendlich als Irreführung.

Früher genügten Ansagen wie »Fokussieren Sie sich auf den Verkauf« oder »Reduzieren Sie die Kosten«, um eine Schieflage auszugleichen. Viele Entscheidungen bezogen sich auf eine polarisierte Welt:

Entweder niedriger Preis oder Qualität

Entweder Individualität oder Teamgeist

Entweder zentrale Koordination oder lokale Verantwortung

Entweder interner Wettbewerb oder abteilungsübergreifende Zusammenarbeit

Dieses Entweder-oder-Denken zeigt, wo die Grenzen der Vereinfachung liegen: an der Linie zwischen Vernunft und Unvernunft. In unserer hochkomplexen Welt muss eine zu grobe Simplifizierung unweigerlich in eine Sackgasse führen. Das bedeutet im Umkehrschluss:

Manches im Leben kann man nur vernünftig handhaben, wenn man sich mit seiner Komplexität verbündet, statt sie zu bekämpfen.

So ging es übrigens auch den Militärs, als ihnen Ende der 1980er-Jahre das herrlich einfache Freund-Feind-Bild des Kalten Krieges abhandenkam. Plötzlich mussten sie sich völlig neuen Herausforderungen und Bedrohungsszenarien stellen.

Schon einige Jahre zuvor hatten der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Warren Benis und sein Kollege Burt Nanus das Kürzel VUCA (deutsch: »VUKA«) geprägt. Es ist ein Akronym für die englischen Begriffe Volatility (Volatilität, Unbeständigkeit), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Ambiguität, Mehrdeutigkeit). Auf der Suche nach einem Führungsstil für die Ära nach dem Kalten Krieg interessierte sich vor allem das US-Militär für die Ideen von Benis und Nanus. Von den Militärhochschulen gelangten die neuen Erkenntnisse dann, wie so oft in der Geschichte, in die Führungsetagen der Wirtschaft.

Da die Realität der wissenschaftlichen Forschung grundsätzlich hinterherhinkt, hat die schöne neue VUKA-Welt viele Manager kalt erwischt. Jede Entscheidung gerät sofort ins Kreuzfeuer unzähliger Einflussfaktoren. Phänomene lassen sich selten auf singuläre Ursachen zurückführen und oft gibt es auch keine einfachen Lösungen mehr. All das erzeugt gefährliche Stressspiralen.

So war es auch bei Robert, einem Manager auf der mittleren Führungsebene aus meinem Bekanntenkreis. Sein Chef hatte ihm mangelnde Durchsetzungskraft attestiert, während seine Mitarbeiter ihm vorwarfen, er vertrete die Interessen des Teams bei »denen da oben« nicht energisch genug. »Ich bin rhetorisch nicht versiert genug, da habe ich Nachholbedarf«, klagte mir Robert sein Leid. Kein Wunder, dass ihn Magenschmerzen plagten. Körperliche Symptome sind oft die Folge geistiger Überforderung.

Wie er, so glauben viele Führungskräfte klassischen Zuschnitts an eine Welt des »Fressens und Gefressenwerdens«, an die nächsten Quartalszahlen und an die Maxime »Jeder kämpft für sich selbst«. Aus dieser Haltung heraus geben sie ständig Vollgas, ruinieren dabei ihre Partnerschaft, die Beziehung zu ihren Kindern und ihre Gesundheit – aber der Erfolg bleibt trotzdem aus oder zumindest hinter den Erwartungen zurück.

Aus meiner Erfahrung als Executive Coach heraus halte ich die beschriebenen Big Assumptions für »Männerspiele«. Ich coache auch viele brillante Frauen in den oberen Führungsetagen von Unternehmen. Ihnen ist das Machogehabe ihrer männlichen Kollegen oft suspekt. Deshalb meiden sie eher die Vorstandsposten, um sich nicht den ungeschriebenen Spielregeln der Männerwelt unterwerfen zu müssen. Schade, denn das weibliche Geschlecht ist beim Entwickeln von Mind Movement Mastery klar im Vorteil. Auch deshalb bin ich ein entschiedener Verfechter der Frauenquote. Säßen in Vorständen zur Hälfte Frauen, würden die Karten anders gemischt. Dann hätten die Männerspiele ein Ende und neue Regeln bekämen schneller die Chance, sich zu bewähren.

Leider fehlt der Wirtschaft die Zeit, auf die Geschlechterparität zu warten. In der VUKA-Welt muss jede Führungskraft in der Lage sein, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: »Halt mal! Welchen Regeln folge ich eigentlich und sind das immer noch die besten Vorgaben für mein Unternehmen?«

Maßvolle Vereinfachung hat durchaus ihre Berechtigung. Immerhin hat die »differenzierende Weltsicht« erstaunliche Fortschritte ermöglicht im Kampf gegen Hunger, Armut, Krankheiten, Analphabetismus … Zur Kehrseite der Medaille gehört aber auch der Bodenverlust bei so wichtigen Themen wie dem Klimaschutz oder bei der Bekämpfung von Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und Korruption.

Um die Herausforderungen der VUKA-Welt zu meistern, brauchen wir einen Quantensprung in unserem Bewusstsein. Wie nie zuvor sind wir gefordert, Fähigkeiten des Verbindens, Integrierens und Vernetzens zu entwickeln. Solche bewussten Leader sind bereit, die Welt als lebenden Organismus voller Unberechenbarkeiten und Überraschungen anzunehmen.

Womöglich fragen Sie sich jetzt: Wie bitteschön soll man integrieren und vernetzen, wenn die Grenzen zwischen Märkten und Branchen zunehmend verschwimmen und es kaum noch verlässliche Fixpunkte gibt? Die klassischen Führungsstile halten da nicht mehr Schritt. Und fast noch wichtiger: Wer soll in dem neuen, integrativen Paradigma die Führung übernehmen?

Abb. 2: VUKA versus VUKA: Herausforderung und Lösung

Diese Frage stellte sich auch die National Security Agency, der größte Auslandsgeheimdienst der USA, und bat einige der klügsten Köpfe um eine Antwort. Die Forscher kamen zu der Erkenntnis, dass Führungskräfte eine signifikante Lücke aufweisen, die zwischen der Komplexität der zu bewältigenden Aufgaben und ihrer eigenen mentalen Komplexität klafft. Andere Studien belegen einen Mangel an emotionaler Intelligenz unter den Führungskräften.

Es läuft also darauf hinaus, dass der Geist vieler Manager zu beschränkt ist, um die rasant zunehmende Komplexität im Führungsalltag souverän zu meistern. Das ist nicht abwertend, sondern bildlich gemeint. Ich werde Ihnen später zeigen, wie man diese Schranken im Kopf abbauen kann. Dazu bedarf es einer inneren Änderung, einer »vertikalen Transformation«.

Ankerpunkt für den Wandel

Die heutigen Unternehmen und Führungskräfte müssen sich neu erfinden, sonst sind sie weg vom Fenster. Ein prominentes Beispiel dafür ist »Blockbuster«. Unter diesem Namen gründete David Cook 1985 eine Videothek in Dallas (Texas, USA). Die Individualisierung der Fernsehunterhaltung fand sofort viele Freunde und Blockbuster ging ab wie Schmidts Katze. Mehrere Filialen später verkaufte Cook seine Rechte, und die neuen Eigentümer eröffneten landesweit weitere Filialen, bis sie das Unternehmen für 8,4 Milliarden Dollar an Viacom weiterreichten. In seinen besten Zeiten unterhielt Blockbuster weltweit über 9000 Filialen. Doch Erfolg ist ein scheues Reh. Die Geschäftsführung schätzte das Potenzial der Streamingdienste falsch ein und wirtschaftete das Unternehmen in den Ruin. Heute gibt es nur noch eine Blockbuster-Videothek. Sie befindet sich in Bend im US-Bundesstaat Oregon.

Des einen Leid ist des andern Freud. In diesem Fall hatte Netflix gut lachen, das 1997 ebenfalls als Videothek startete. Reed Hastings und sein Partner Marc Randolph setzten von Anfang an auf das Onlinegeschäft und verschickten die Filme zunächst als DVD an die Abonnenten. Acht Jahre später gingen täglich eine Million Disks in die Post. Im Gegensatz zum Management von Blockbuster erkannte Hastings rechtzeitig die Transformation des Marktes und setzte auf Video-on-Demand. Eine kluge Entscheidung, denn im Jahr 2018 nutzten weltweit 765 Millionen Menschen Streamingdienste. Davon haben 130 Millionen ein Netflix-Abo.

Hastings, der sich früher im Friedenscorps engagierte, begreift Veränderung nicht als Kriegserklärung, sondern als Chance. Seit 2011 produziert sein Unternehmen eigene Serien, darunter das mit drei Emmys prämierte House of Cards. Obwohl die Jurymitglieder einiger renommierter Filmfestspiele wie dem von Cannes sich noch zieren, werden auch sie sich über kurz oder lang der VUKA-Dynamik nicht entgegenstellen können. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine Netflix- oder Amazon-Prime-Produktion auch eine Goldene Palme gewinnen wird.

Gemessen an seinem Erfolg wirkt Reed Hastings wie der Prototyp des neuen Unternehmensführers. In einem Interview antwortete er auf die Frage, was die Aufgabe eines CEO sei:

»Wenn du echt groß wirst, achte vor allem darauf, was wirklich wichtig ist: […] Vision, Fokus, Inspiration, Kultur. Aber du [selbst] kannst nicht viel von der Arbeit machen – wenn du es versuchst, wirst du ausbrennen und alle anderen verärgern. […]

In meiner ersten Firma, ich war 33 Jahre alt und wir hatten 50 Leute, […] war [ich] zu sehr damit beschäftigt, Holz zu hacken, anstatt die Axt zu schärfen. Ich hätte mehr Zeit mit anderen Unternehmern verbringen sollen. Ich hätte Yoga oder Meditation machen sollen. Ich verstand nicht, dass ich dem Unternehmen half, indem ich mich besser machte, auch wenn ich von der Arbeit weg war.« (Yeh 2018)

Ist Ihnen etwas aufgefallen? Hastings spricht hier nicht von Programmierkursen, Managementseminaren und ähnlichen Formen der Wissensvermehrung, die man gemeinhin als »horizontales Lernen« bezeichnet. Vielmehr schwingt in seinen Worten viel von dem mit, was ich oben als »innere Transformation« bezeichnet habe. Er sieht den Ankerpunkt für den Wandel bei sich selbst. Sein Beispiel führt uns bei unserer Suche nach den Führungspersönlichkeiten des 21. Jahrhunderts auf die richtige Fährte.

Die neuen Leader werden aus einer Position der höheren Bewusstheit heraus entscheiden und agieren – deshalb nenne ich sie »bewusst«. Sie fördern mutiges Handeln und Teambeziehungen, die auf Vertrauen beruhen und unsere grundlegenden Bedürfnisse nach Autonomie, Verbundenheit und Glück miteinbeziehen, statt sie »dem Wohl des Unternehmens« zu opfern.

Der britische Nationalökonom Richard Layard fordert sogar eine Revolution der Wissenschaft, die das Glück der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wie Ruth Seliger in ihrem Buch Positive Leadershship: Die Revolution in der Führung (2014) beschreibt, sieht Layard die Probleme der Wirtschaftswissenschaft darin,

»dass Wirtschaftsexperten nicht daran interessiert sind, wie glücklich die Menschen wirklich sind. Stattdessen betrachten sie nur die Kaufkraft und lassen die Bedürfnisse der Menschen beiseite. Wir benötigen eine Wirtschaftstheorie, die die Erkenntnisse der neuen Psychologie einbezieht. Auf dieser Grundlage brauchen wir eine neue Vision, wie wir tatsächlich Wohlstand schaffen können.« (S. 50)

Ein hehres Ziel! Leider hat das Gros der Führungskräfte bis heute viel zu selten das Glück ihrer Mitarbeiter auf dem Schirm. Dabei wäre dieser Perspektivwechsel enorm hilfreich.

Das schwächste Glied: der Mensch