Der Biss der Schlange - Carolyn J. Cherryh - E-Book

Der Biss der Schlange E-Book

Carolyn J. Cherryh

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Beschreibung

Zone Hydra: Unter Quarantäne

Die Region der Hydra ist ein absolut unzugänglicher Sektor der Galaxis in der Nähe der Erde. Er wird von den Majat, einer insektoiden Spezies, bewohnt, die unberechenbar und aggressiv ist. Deswegen wurde die Region der „Wasserschlange“ für menschliche Siedler gesperrt und die Grenze gut bewacht. Trotzdem hat es vor langer Zeit Menschen gegeben, die in das Gebiet vorgedrungen sind und es geschafft haben, mit den Majat zusammenzuleben. Das Vertrauen der Majat zu gewinnen war aber nur möglich, indem sie einen Teil des Menschseins aufgaben. Raen, eine letzte Überlebende der Sul-Familie, weiß, dass es diesseits wie jenseits der Grenze Kräfte gibt, denen das Tabu ein Dorn im Auge ist, weil sie sich an den Ressourcen der Region bereichern wollen. Aber sie weiß aus eigener Erfahrung, dass ein Biss der Schlange für die menschliche Zivilisation tödlich wäre …

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C. J. CHERRYH

DER BISS DER SCHLANGE

Roman

Das Buch

Die Region der Hydra ist ein absolut unzugänglicher Sektor der Galaxis in der Nähe der Erde. Er wird von den Majat, einer insektoiden Spezies, bewohnt, die unberechenbar und aggressiv ist. Deswegen wurde die Region der »Wasserschlange« für menschliche Siedler gesperrt und die Grenze gut bewacht. Trotzdem hat es vor langer Zeit Menschen gegeben, die in das Gebiet vorgedrungen sind und es geschafft haben, mit den Majat zusammenzuleben. Das Vertrauen der Majat zu gewinnen war aber nur möglich, indem sie einen Teil des Menschseins aufgaben. Raen, eine letzte Überlebende der Sul-Familie, weiß, dass es diesseits wie jenseits der Grenze Kräfte gibt, denen das Tabu ein Dorn im Auge ist, weil sie sich an den Ressourcen der Region bereichern wollen. Aber sie weiß aus eigener Erfahrung, dass ein Biss der Schlange für die menschliche Zivilisation tödlich wäre …

Der Autor

Titel der Originalausgabe

SERPENT'S REACH

Aus dem Amerikanischen von Thomas Schichtel

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1980 by C. J. Cherryh

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Das Illustrat

Satz: Thomas Menne

»ZONE HYDRA (WASSERSCHLANGE): UNTER QUARANTÄNE. Anflug nur über genehmigte Flugrouten gestattet. SIEHE Istra.«

– Nav. Man.

»ZONE HYDRA (WASSERSCHLANGE): VERSCHLUSSACHE: Wenden Sie sich um Informationen an das XenBüro.«

– Xenologische Enzyklopädie

»HYDRA-STERNE: unter Quarantäne stehende Region. Konsultieren Sie betreffs der geltenden Regelungen Cor. Jur. Hum. XXXVII 91.2. Zu den eingeborenen Spezies von Alpha Hydrae III gehört zumindest eine intelligente Rasse, die Majat, zu denen ein erster Kontakt im Jahr 2223 durch die Sonde Celia hergestellt wurde. Ein erfolgreicher Kontakt wurde jedoch erst erreicht, als im Jahr 2229 die Sonde Delia folgte und der Majat-Raum schließlich einem sehr begrenzten Verkehr gemäß den Bedingungen des Hydrae-Vertrages von 2235 geöffnet wurde, und das über einen einzigen festgelegten Handelspunkt auf der Station von Beta Hydrae II, dort Istra genannt.

Die gesamte Schlangenregion untersteht internen Regelungen, vermutlich auf der Basis der Zusammenarbeit zwischen Menschen und Majat, und steht deshalb außerhalb des Allianz-Rechtes. Bürger der Allianz werden warnend darauf hingewiesen, dass sich die Verträge nicht auf den Schutz von Allianz-Bürgern und -Eigentum erstrecken, wo gesperrter Raum durch sie verletzt wird, und dass das Allianz-Recht den Einflug jedes Schiffes und jeder Person, fremdrassig oder menschlich, von der besagten Quarantänezone (Schlangenregion) in Allianz-Raum untersagt. Davon ausgenommen ist lediglich der lizenzierte Handelsverkehr bis zur erlaubten Kontaktstelle auf Istra über sorgfältig überwachte Routen. Die Allianz wird äußerste Gewalt anwenden, um jedes unerlaubte Eindringen in die Quarantänezone oder umgekehrt zu unterbinden. Konsultieren Sie wegen besonderer Export- und Importregelungen ATR 189.9 und Ergänzungen. Die Art der internen Regierungsform ist Gegenstand reiner Spekulation, aber man glaubt aufgrund gewisser Tatsachen daran, dass die Regierung ihren Sitz auf Alpha Hydrae III hat, dort Cerdin genannt, und dass diese Regierung während der Jahrhunderte seit ihrer Einführung relativ stabil geblieben ist …

Von den Majat wird berichtet, dass sie jeden Kontakt mit den Menschen heftig zurückgewiesen haben, abgesehen nur von der Handelsgesellschaft, die ursprünglich durch die Sonde Delia dort eingeführt wurde. Man nimmt heute an, dass die Kontrin-Gesellschaft die Regierungsgewalt über die menschlichen Einwohner ausübt. Die Bevölkerung der Mission wurde zu Beginn durch den Import menschlicher Eizellen vergrößert, und die Beobachtung von außen hat ergeben, dass außer Cerdin und Istra noch verschiedene andere Planeten innerhalb der Quarantänezone kolonisiert worden sind.

Hauptexportgüter sind: Software für Biocomputer, medizinische Präparate, Fasern und jene Substanz, die als Lebensjuwelen bekannt ist, alles charakteristisch für die Zone und die Produktion der Majat. Hauptimportgüter sind Metalle, luxuriöse Nahrungsmittel, Baumaschinen, Elektronik, Kunstgegenstände.«

– XenBüro, Eph. Xen. 2301

»MAJAT: sämtliche Informationen sind geheim.«

– XenBüro, Eph. Xen. 2301

»Tatsache ist … wir sind abhängig geworden. Wir können die Materialien nicht anderswo bekommen, und wir können sie nicht duplizieren.«

– ÖkonBüro, Geheimbericht

1

Wenn es irgendwo möglich war, in der Familie Kind zu sein, dann im Kethiuy auf Cerdin. Nur wenige Besucher kamen dorthin, und es bestanden keine unmittelbaren Gefahren. Die Siedlung lag nicht sehr weit von der Stadt und Alphas alter Halle entfernt, aber ihre Berge und die einzigartige Bewohnerschaft hielten sie vom größten Teil der Familienpolitik isoliert. Sie besaß ihren See und ihre Felder, ihren Garten aus Kerzenbäumen, die sich wie fedrige Spiralen zwischen den vierzehn Kuppeln erhoben; und ringsherum um das Tal lebten die Schwärme, die ihre Angehörigen nach Kethiuy sandten und von dort zurückerhielten. Alle Majat, die mit Menschen Umgang zu haben pflegten, taten das über Kethiuy, das einen Schwarm vom anderen trennte und den Frieden wahrte. Dies war das eigentümliche Talent der Meth-marens, jenes Geschlechts und Hauses der Familie, in dessen Besitz sich dieses Land befand. In der einen Richtung erstreckten sich Felder, sowohl solche im Besitz von Menschen als auch solche im Besitz von Majat, in einer anderen Labors, in einer dritten Warenhäuser, wo Azi, geklonte Menschen, den Wohlstand des Schwarmhandels sammelten und katalogisierten, ebenso die Labor- und Computerprodukte, die den größten Teil dieses Handels bildeten. Kethiuy war gleichermaßen Stadt wie Haus, isoliert und friedlich, in den Begriffen seiner Besitzer fast wandellos, denn die Kontrins maßen ihr Leben mehr in Jahrzehnten als in Jahren, und für die seltenen lizenzierten Kinder, die die Toten ersetzen sollten, gab es keinen Zweifel, was sie sein mussten und wie die Ordnung der Welt beschaffen war.

Raen vergnügte sich, indem sie die Blätter der Tagrebe mit kurzen, präzisen Schüssen abtrennte; der Wind blies und erhöhte dadurch den Schwierigkeitsgrad, und sie schätzte ihr Feuer aus Nadelstrahlen peinlich genau ab. Sie war fünfzehn; seitdem sie zwölf geworden war, hatte sie die kleine Pistole an den Gürtel geheftet bei sich getragen. Sie, die eine Kontrin war und potentiell unsterblich, war doch in diese Welt gekommen, weil ein bestimmter enger Verwandter aus Sorglosigkeit ums Leben gekommen war; sie hegte den Wunsch, dass ihr eigener Austausch in möglichst ferner Zukunft liegen möge. Sie war als Scharfschütze ausgebildet, und eine ihrer Vergnügungen bestand im Wetten; im Moment hatte sie gerade eine Wette mit einem Vetter dritten Grades laufen, bei der es um die Zielentfernung ging.

Treffsicherheit, Wetten, die Hecken entlang auf die Felder laufen, um den Azi bei der Arbeit zuzuschauen, oder wieder zurück nach Kethiuy, versunken im Vergessen des Tiefenlernens oder dem Studium der Labcomputer, bis sie die Geräte dazu bringen konnte, ihr eine Verbindung zu den fremdartigen Majat zu verschaffen … – solche Dinge erfüllten ihre Tage, von denen einer dem anderen weithin glich. Sie spielte nicht; dafür würden ihr noch in Zukunft Jahre zur Verfügung stehen, sobald die Aussicht auf die Unsterblichkeit an Reiz verlor und die Jahre Vergnügungen bieten mussten, damit sie schneller vorübergingen. Ihre gegenwärtige Aufgabe bestand darin, zu lernen und die Fähigkeiten zu entwickeln, die diesem langen Leben Schutz boten. Die ausgeklügelten Vergnügungen, mit denen sich ihre Älteren amüsierten, waren noch nichts für sie, obwohl die Aussicht darauf sie mit einer leisen Regung des Interesses erfüllte. Sie saß auf ihrer Bergflanke und entfernte eine herausragende Blätterfolge mit raschen, genauen Schüssen von der sich hin und her bewegenden Rebe, und überlegte dabei, dass sie sich zur vorgeschriebenen Zeit an das Computerpult setzen und rechtzeitig zum Essen fertig sein würde, womit dann der Abend für eine Bootsfahrt auf dem See von Kethiuy frei blieb … während des Tages war es dafür zu heiß, wenn das Wasser den weißglühenden Himmel mit solchem Glanz reflektierte, dass man nicht einmal ohne Visier daraufblicken konnte; aber bei Nacht stieg das, was darin lebte, vom Grund auf, und Boote glitten wie Feuerteufel über die schwarze Oberfläche und angelten nach den Fischen, die auf Kethiuys Tischen eine seltene Besonderheit waren. Andere Täler verfügten über Wild und sogar über domestizierte Herden, aber kein Geschöpf außer dem Menschen blieb in Kethiuy zwischen den Schwärmen. Niemand sonst vermochte es.

Raen a Sul hant Meth-maren. Sie war eine langgliedrige und mit langen Knochen ausgestattete Fünfzehnjährige, die wahrscheinlich schon ihre endgültige Körpergröße erreicht hatte. Das mit dem von Meth-maren vermischte Ilitblut hatte zu dieser Gliederlänge beigetragen, und das von Meth-maren war für ihre von einer Adlernase dominierten Gesichtszüge verantwortlich. Auf der rechten Hand trug sie ein glitzerndes Chitinmuster, das lebendig in ihrem Fleisch steckte: es kennzeichnete ihre Identität, ihre Verpflichtung gegenüber den Schwärmen. Alle Kontrins trugen ein solches. Dieses Zeichen vermochte ein Majat zu lesen, dessen Augen mit menschlichen Gesichtszügen nichts anzufangen wussten. Betas blieben unmarkiert, und Azi trugen eine winzige Tätowierung. Die Kontrinmarke bestand aus gewachsenen Juwelen, und Raen trug sie als die Auszeichnung, die sie darstellte.

Als letztes fiel die durchschossene Ranke. Raen heftete die Pistole an den Gürtel und erhob sich geschmeidig, zog die Maske ihres Sonnenanzuges hoch und richtete das Visier so ein, dass es ihre Augen schützte, bevor sie den Schatten verließ. Sie nahm den langen Weg entlang der Wälder, da sie es nicht besonders eilig hatte: er war kühler und weniger steil, und nichts wartete auf sie außer ihren Studien.

Ein Dröhnen zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie sah sich um, hob den Blick. Es war nicht ungewöhnlich, dass Flugzeuge vorbeikamen: Kethiuy war ein günstiges Markierungszeichen für jedermann, der unterwegs zu den Siedlungen weiter im Norden nach Sicht navigierte.

Aber diese beiden flogen tief herein.

Besucher. Raens Geister hoben sich schlagartig. Kein Computer heute Nachmittag. Sie wich vom Weg zum Labor ab und schritt den Abhang hinunter davon, trotz seiner Felsen und Fadensträucher, sprang mit leichtsinniger Selbstvergessenheit von einem Punkt der steilen Flanke zum nächsten, dachte dabei an Unterhaltung und eine allgemeine Absage der Unterrichtsstunden.

Etwas rutschte hinter ihr in der Hecke. Sie blieb augenblicklich stehen und legte die Hand auf die Pistole. Sie hatte keine Angst vor wilden Tieren, aber vor Menschen, vor allem, was sich herumdrückte und verbarg.

Majat.

Sie machte die beschattete Gestalt zwischen den stabartigen Blättern aus, war verdutzt, sie dort vorzufinden. Die Gestalt stand reglos in ihrer Wachhaltung, war anderthalbmal so groß wie Raen. Facettenaugen flackerten bei der leichtesten Drehung des Kopfes. Beinahe hätte Raen ihr etwas zugerufen, glaubte, es handele sich um einen der Arbeiter, der von den Labors weiter unten weggestreunt war: manchmal ließen ihre Augen sie im Stich, und, konfus durch die Einwirkung von Laborchemikalien, verloren sie dann die Orientierung. Aber eigentlich hätte er sich nicht so weit verlaufen sollen.

Der Kopf drehte sich weiter, wurde ihr ganz zugewandt: kein Arbeiter … das erkannte sie jetzt deutlich. Die Kiefer waren massiv, der Kopf gepanzert.

Sie konnte die Embleme nicht erkennen, die angaben, zu welchem Schwarm der Majat gehörte, und menschliche Augen konnten auch seine Farbe nicht sehen. Er beugte sich herab, eine Ansammlung hervorstehender Spitzen und ledriger Glieder im gitterartigen Spiel von Sonne und Schatten … – ein Krieger, ein Wesen, dem man sich auf keinen Fall nähern durfte. Manchmal kamen Krieger her, um auf Kethiuy zu schauen, wahrzunehmen, was ihre blinden Augen zu erkennen vermochten, und gingen dann wieder, wahrten ihre Geheimnisse. Raen wünschte sich, sie könnte die Abzeichen sehen: er konnte zu irgendeinem der vier Schwärme gehören, obwohl nur die freundlichen Blauen und Grünen mit Kethiuy Umgang pflegten – der Handel der Roten und Goldenen wurde über die Grünen abgewickelt. Ein Roter oder Goldener war enorm gefährlich.

Und er war auch nicht allein. Weitere erhoben sich ganz langsam; drei, vier. Angst verspannte Raens Bauch – was irrational war, redete sie sich beharrlich zu: in Kethiuys ganzer Geschichte hatte nie ein Majat irgendjemand im Tal etwas getan.

»Ihr seid auf Kethiuy-Land«, sagte sie, hob dabei die Hand, die sie für ihre Augen identifizierte. »Geht zurück! Geht zurück!«

Der Majat starrte sie für einen Moment an, wich dann zurück: er trug kein Abzeichen, erkannte sie erstaunt. Er neigte den Körper zum Zeichen der Zustimmung; sie hoffte, dass er das damit sagen wollte. Sie hielt stand, achtete scharf auf jede Veränderung, jede Ablenkung. Ihr Herz hämmerte. Noch nie war sie in den Labors mit ihnen allein gewesen, und der Anblick dieses gewaltigen Kriegers und seiner Gefährten, die sich ihrem Befehl fügten, wirkte unglaublich auf sie.

»Schwarmherrin«, zischte er und verdrückte sich plötzlich mit das Auge irritierender Schnelligkeit durch das Unterholz. Seine Gefährten schlossen sich ihm auf dem Rückzug an.

Schwarmherrin. Die Bitterkeit war sogar aus der Majatstimme herauszuhören. Schwarmfreunde, sagten die Majat in den Labors normalerweise, wenn sie einen mit Zartgefühl anfassten, sich mit scheinbarer Aufrichtigkeit verneigten.

Unten vor dem Berg kündete das Trommeln von Motoren eine Landung an. Raen wartete noch, ließ den Blick forschend über die Hecken in der Nähe schweifen, bevor sie ihren Weg fortsetzte. Wende niemals einem von ihnen den Rücken zu, hatte sie während ihres ganzen Lebens gehört, selbst von denen, die am engsten mit den Schwärmen zusammenarbeiteten: Majat bewegten sich zu schnell, und ein Kratzer schon von einem Arbeiter war gefährlich.

Sie wich zurück, kam zu dem Schluss, dass es sicher war, den Blick abzuwenden und weiterzulaufen – trotzdem blickte sie hin und wieder über die Schulter zurück.

Und die Flugzeuge waren gelandet. Die kreisförmigen Luftstrudel drückten das Gras in der Nähe der Tore, neben dem Seeufer, nieder.

Eine Glocke läutete und verkündete dem ganzen Haus, dass Fremde gekommen waren. Raen warf einen Blick zurück und sah, dass die Majat sich ganz zurückgezogen hatten, trabte dann zur Landestelle.

Die Farben auf den Flugzeugen waren Rot mit grünen Streifen, und es waren die Farben des Hauses Thon, Freunde von Sul, diesem Geschlecht der Meth-marens. Männer und Frauen stiegen aus, noch während die Motorengeräusche erstarben; die Tore standen offen, und Meth-marens kamen heraus, um die Besucher zu begrüßen, die meisten ohne Sonnenanzüge, so plötzlich war die Ankunft und so willkommen waren alle Thon.

Die Umhänge der vordersten waren solche von Thon; dazwischen sah man dann noch das Weiß und Gelb von Yalt, und auch diese waren willkommen. Aber dann kamen aus den Flugzeugen noch Besucher mit dem rotumkreisten Schwarz von Hald; und das Meth-maren-Blau mit schwarzem Rand, nicht das Weiß des Sul-Geschlechtes.

Das Ruil-Geschlecht der Meth-marens, mit Hald an seiner Seite. Raen blieb abrupt stehen. Die anderen folgten ihrem Beispiel. Das Willkommen verlor all seine Wärme. Ohne die Begleitung der befreundeten Farben Thons hätten es weder Ruil noch Hald gewagt, ihren Fuß auf dieses Land zu setzen.

Aber nach kurzem Zögern traten Raens Verwandte zur Seite und gestatteten es den Besuchern, die Tore zu durchschreiten. Die Flugzeuge entließen noch mehr Thon und Yalt, aber Willkommensgrüße wurden jetzt nicht mehr geäußert. Und weitere kamen zum Vorschein: etwa zwanzig Azi, anonym in Sonnenanzügen und Visieren.

Bewaffnete Azi. Raen starrte sie ungläubig an, während sie nervös die Landestelle umging. Immer wieder zurückblickend ging sie zu den Toren, zornig bis in die Tiefen ihrer nur geringen Erfahrungen mit Ruil, der linken Linie der Meth-marens. Ruil war gekommen, um Schwierigkeiten zu bereiten, und die Azi-Wachen waren Ruils arrogante Show; daran zweifelte sie nicht. Thon hätte keinen Grund gehabt.

Sie trug eine gewisse Arroganz zur Schau, als sie die Tore durchschritt. Azi des Sul-Geschlechtes schlossen sie hinter ihr fest zu, ließen die eingedrungenen Azi draußen in der Hitze. Raen wünschte ihnen einen Sonnenstich und ging verdrießlich zum Haus. Ihr ganzer Tag war verdorben.

2

Es blieb seltsam, das Schwarz des Ruil-Geschlechts zwischen den weiß-geränderten Sul-Umhängen zu sehen, ebenso die mit dem Rot und Schwarz von Hald; und es war unglaublich festzustellen, dass Ihnen der Zutritt zum Speisesaal gestattet wurde, wo die Ratsversammlungen und die Hauptmahlzeiten des Hauses gleichzeitig stattfanden.

Raen saß neben ihrer Mutter und fand Sicherheit in ihr – in Morel, ihrer Mutter, die sie von einem Ilit empfangen hatte, der seinerseits mit Thon blutsverwandt war. Sie fragte sich, ob sich unter den Anwesenden auch entfernte Verwandte befanden. Falls dem so war, so sagte es ihre Mutter, die es wissen würde, doch nicht, und das Tiefenstudium hatte ihr keine Hinweise gegeben.

Großvater saß der Tafel vor – er war mehr als Großvater, doch bildete dieser Titel die kürzeste Bezeichnung für den Ältesten der Meth-marens, für den Meth-maren, der grauhaarig war und gebeugt durch viele Jahrzehnte seines Lebens, fünfhundert Umläufe Cerdins um seine Sonne: der Älteste des gesamten Sul-Geschlechtes und auch Ruils, so dass diese ihn zu respektieren hatten. Raen betrachtete ihn mit Ehrfurcht, so selten, wie er jetzt nur noch aus seiner Abgeschlossenheit im Westflügel hervorkam, sich spärlich um die Belange des Hauses kümmerte, öfter jedoch zur Ratsversammlung unten in Alpha ging, wo er die Macht eines beträchtlichen Stimmenblocks ausübte. Anders als bei anderen Häusern üblich, deren Angehörige über mehrere Planeten der Schlangenregion verstreut lebten, blieben die Meth-marens in Heimatnähe, bei Kethiuy. Von den siebenundzwanzig Häusern und achtundfünfzig Geschlechtern innerhalb dieser Häuser, die die Familie bildeten, war Meth-maren Sul der einzige, dessen Pflichten ihn nur selten anderswohin führten, fort von Cerdin und den Schwärmen. Der Posten der Familie lag hier, zwischen den Schwärmen und den Menschen, während Meth-maren Ruil sich in der Gegend von Alpha herumtrieb und dort gastierte, wo sich eine Möglichkeit bot, da seit der Spaltung ohne Haus.

Hald erinnerte sich noch an jenen Tag, als Meth-maren gegen Meth-maren gekämpft hatten. Hald hatte dafür geblutet, als es Ruil-Mördern Schutz gewährte. Es war viel Überredungskunst nötig gewesen, die Hald und die beiden Geschlechter von Meth-maren wieder unter einem Dach zu vereinen. Der gesamte Einfluss von Thon und Yalt zusammen war nötig gewesen, damit Großvater diese Versammlung akzeptierte, Halds und die geteilten Meth-marens am selben Tisch, sorgfältig getrennt durch Thons und Yalts. Es erforderte einen gewissen Wagemut von den Halds und Ruils, um das zu essen und zu trinken, was Sul ihnen gab.

Raen selbst fühlte sich nicht wohl im Magen, und sie lehnte ab, als ein Azi-Diener das nächste kunstvolle Gericht brachte. »Kaffee«, sagte sie, und der Azi Mev flüsterte die Bestellung sofort einem seiner Gefährten zu; schon traf der Kaffee ein, denn Raen war die Tochter der Urenkelin des Ältesten in direkter Abstammung und im Haus existierte eine Erbhierarchie. Bis zu einem gewisse Grad wurde sie verwöhnt, andererseits aber auch um dieses Geburtsrechtes willen mit Bürden belastet. Es erforderte ihre Anwesenheit an erster Stelle an diesem Abend bei Tisch und zwang sie, sich unter die Älteren zu mischen, etwas, was den meisten von diesen widerstrebte. Sie versuchte dieselbe einstudierte Verachtung der Geschehnisse an den Tag zu legen wie ihre Mutter, aber ihr gegenüber am Tisch saß ein Ruil, Vetter Bron, und sie mied seine Augen, soweit sie konnte, denn ihr Blick war heiß und unverschämt.

»Wir hoffen auf eine Versöhnung«, sagte der Thon-Älteste gerade am anderen Ende der Tafel. Er war aufgestanden, um mit der Ansprache zu beginnen, deretwegen er gekommen war. »Meth-maren, wollen Sie es Ruil erlauben, hier zu sprechen? Oder ziehen Sie immer noch Vermittler vor?«

»Sie wollen sagen«, intonierte Großvater mit seiner durchdringenden Stimme, »dass wir diesen linken Zweig unseres Hauses wieder aufnehmen sollen. Er hat sich aus freien Stücken von uns getrennt. Er ist in Kethiuy nicht willkommen. Er bereitet uns Probleme, und die Schwärme meiden ihn. Das Ruil-Geschlecht hat sich ihnen entfremdet, und das war nicht unsere Tat. Dies hier ist Schwarmterritorium. Wer sich diesen Bedingungen nicht fügen will, kann nicht hier leben.«

»Unsere Fähigkeiten«, sagte Tel Ruil Meth-maren, »liegen bei anderen Schwärmen, denen, mit denen Sul nicht zurechtkommt.«

»Den Roten und den Goldenen.« Großvaters Kinn zitterte vor Zorn. »Sie betrügen sich selbst, Tel a Ruil! Die empfinden keine Liebe für die menschliche Rasse, am wenigsten für Ruil. Ich weiß, dass Sie rote Kontakte hatten, Gerüchte sprechen davon. Ich weiß, was Sie im Schilde führen und warum Sie so weit gegangen sind, auch Thon und Yalt mit hineinzuziehen. Ihre Pläne, auf dem Kethiuy-See zu bauen, sind nicht annehmbar.«

»Sie sind der Vorsteher des Hauses«, sagte Tel. Er hatte eine unglückliche Stimme, die näselnd und jammernd klang. »Sie sollten unparteiisch sein gegenüber dem Geschlecht, Ältester. Aber Sie führen Fehden weiter aus Zeiten, bevor irgendjemand von uns anderen geboren wurde. Vielleicht empfindet das Sul-Geschlecht Neid … weil Ruil mit den beiden Schwärmen umgehen kann, zu denen Sul keinen Zugang findet. Sie sind zu uns gekommen, nicht wir zu ihnen. Sie haben uns vorgezogen. Thon hat es gesehen; Thon wird es bezeugen. Alle innerhalb des Paktes. Der rote Schwarm hat uns seine Zusammenarbeit versprochen, wenn wir diesen Grund in der Nähe seines Gebietes, auf dem See, befestigen können. Wir sind gekommen, um zu bitten, Ältester. Das ist alles. Um zu bitten.«

»Wir unterstützen die Bitte«, sagte der Thon.

»Yalt stimmt auch zu«, sagte der andere Älteste. »Es ergibt Sinn, Meth-maren, diesen Streit zu beenden und etwas Gutes daraus zu machen.«

»Und bittet Hald um dasselbe?«

Schweigen trat ein. Raen saß still da, und ihr Herz hämmerte.

Der Hald-Älteste erhob sich. »Wir sind in gewisser Weise hierin verwickelt. Meth-maren. Die alte Fehde hat mittlerweile jeden Zweck überlebt. Wenn sie jetzt beigelegt wird, müssen wir daran beteiligt sein, oder Meth-maren wird Frieden haben, und wir nicht. Wir sind willens, die Vergangenheit zu vergessen. Sie sollen das wissen.«

»Sie sind hier, um für Ruil einzutreten.«

»Eine Verpflichtung, Meth-maren.«

Sie sagten nicht Freundschaft. Raen entging diese Implikation nicht, und eine Weile herrschte Schweigen, während die Ruil finstere Gesichter machten.

»Wir haben Möglichkeiten«, fuhr der Hald fort, »die nicht ungenutzt bleiben sollten.«

»Sprechen Sie zumindest über die Angelegenheit«, sagte Yalt. »Wir bitten Sie darum.«

»Nein«, murrten einige vom Haus, aber der Älteste lehnte es nicht ab. Seine alten Augen wanderten über sie alle hinweg, und schließlich nickte er.

Raens Mutter fluchte leise. »Geh hinaus«, sagte sie zu Raen. Und als diese sie gekränkt anschaute: »Mach schon!«

Andere, sogar Erwachsene und Ältere, wurden weggeschickt von dem, was jetzt ein Ältestenrat wurde. Einspruch war nicht möglich. Raen küsste ihre Mutter auf die Wange, drückte ihre Hand und zog sich verdrossen mit den anderen zurück, jüngeren Leuten unter dreißig und Älteren des dritten und vierten Ranges, die im Rat unbedeutend waren.

Eine murmelnde Versammlung bildete sich im Gang draußen. Raens Verwandte waren nicht glücklicher als sie über das, was sich anbahnte.

Keinen Frieden, vernahm sie. Nicht mit Ruil.

Und: Rote und Goldene, hörte sie, was sie an die Bergflanke und die Begegnung dort erinnerte, die sie abgelenkt hatte. Sie hatte niemandem davon erzählt. Sie war zu arrogant, um dieses bedeutungslose Fragment zum allgemeinen Aufruhr im Gang beizusteuern. Sie umging die Nähe ihrer schwatzenden Verwandtschaft, der männlichen und der weiblichen, wies die Aufmerksamkeiten eines Azi zurück und ging in einem Anflug von Verärgerung den Korridor entlang – sowohl darüber, dass man sie hinausgeworfen hatte, als auch über den Vorschlag des Ruil-Geschlechts. Der Kethiuy-See gehörte dem Sul-Geschlecht und war schön in seiner Unberührtheit. Sul hatte dafür gesorgt, dass die Ufer in ihrem ursprünglichen Zustand bewahrt blieben, hatte sich darum bemüht, die Bootsstege so unauffällig wie möglich zu gestalten, damit keine Hinweise auf menschliche Besiedlung ins Auge fielen. Ruil dagegen wollte eine Stelle, die in ihrem Blickfeld liegen würde, um sich genau dort niederzulassen, wo Sul sie ständig im Blick behalten und mit ihnen rechnen musste. Diese Sache mit den Roten und Goldenen: gewiss hatte Ruil das fabriziert, um Unterstützung durch andere Häuser zu gewinnen. Es war unmöglich, dass sie tun konnten, was sie behaupteten, nämlich als Vermittler gegenüber den wilden Schwärmen aufzutreten.

Lügen. Ausgemachte Lügen.

Sie schlängelte sich an den Azi neben der Tür vorbei und suchte die kühle saubere Luft auf der Veranda. Sie füllte die Lungen damit, sah sich in der Dunkelheit um, wo die Kerzenbäume den Kethiuy-See umrahmten, und die hässlichen Flugzeuge hockten mit ihren schimmernden Lichtern in ihrem Blickfeld.

Bewaffnete Azi, als sei dies hier ein Grenzbesitz. Sie war über ihre Anwesenheit entrüstet, und sie empfand deswegen nicht wenig Unbehagen.

Schritte waren in der Nähe zu hören. Sie sah drei Männer, und einer trug Halds dunkle Farben. Sie erstarrte, als sie sich daran erinnerte, dass sie unbewaffnet war, da sie gerade von der Tafel kam. Kindischer Stolz hielt sie vor der Flucht zurück, die die Klugheit forderte.

Es war ein hochgewachsener Mann, der ihr gegenüberstand. Den Rücken der Tür zugewandt starrte sie zu ihm hinauf, und das Licht aus den geschlitzten Fenstern gewährte ihr eine bessere Sicht auf ihn: in den mittleren Dreißigern nach Betarechnung; bei einem Kontrin konnte das irgendein Alter zwischen dreißig und dreihundert bedeuten. Sein Gesicht war hager und grimmig. Pol Hald war es, erkannte sie plötzlich mit einem Déjà-vu aus ihrem Tiefenstudium. Die beiden neben ihm kannte sie nicht.

Und Pol bedeutete Ärger. Er hatte Verwandte durch die Meth-marens verloren. Er hatte auch den Ruf eines frivolen Wüstlings, eines Spaßvogels, der jederzeit für üble Streiche zu haben war. Sie vermochte diese Berichte nicht mit dem hageren Gesicht in Einklang zu bringen, bis er sie auf einmal angrinste und damit ein halbes Dutzend scheinbarer Jahre loswurde.

»Guten Abend, kleine Meth-maren.«

»Guten Abend Ihnen selbst, Pol Hald.«

»Wie, sollte ich deinen Namen kennen?«

Sie hob den Kopf etwas weiter. »Noch stehe ich nicht in Ihren Lehrbändern, Ser Hald. Mein Name lautet Raen.«

»Tand und Morn«, stellte er mit einem Achselzucken die beiden Verwandten hinter ihm vor, der eine jung und knabenhaft, der andere mit schmalem Gesicht und ihm sehr ähnlich, ähnlich genug für engste Verwandtschaft. Mit einer äußerst beleidigenden Geste streckte Pol die Hand aus und berührte sie unter dem Kinn. »Raen. Das werde ich nicht vergessen.«

Sie trat einen Schritt zurück und spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. Sie hatte keine Erfahrungen, wie sie mit einer solchen Geste umgehen sollte, und die Verlegenheit verwandelte sich in Wut. »Und wer hat Sie hergeschickt, damit Sie um die Fenster herumschleichen?«

»Wir sind hier, um die Flugzeuge zu bewachen, kleine Meth-maren. Um sicherzustellen, dass die Meth-maren-Gastfreundschaft auch ist, was sie sein sollte.«

Der Klang seiner Äußerung behagte ihr nicht, und sie drehte sich abrupt um und packte den Türgriff, hatte für einen Moment Angst, dass sie sie aufhalten würden; aber sie machten keine Bewegung in ihre Richtung, und sie zögerte noch, um sie verärgert anzufunkeln, war entschlossen klarzustellen, dass man sie nicht von der eigenen Türschwelle jagen konnte. »Ich habe anscheinend meine Pistole drinnen vergessen«, sagte sie. »Ich trage sie normalerweise bei mir – gegen Ungeziefer.«

Pols hageres Gesicht wurde daraufhin sehr ernst, vollkommen ernst.

»Guten Abend, Meth-maren«, sagte er.

Sie öffnete die Tür und ging hinein in die Geborgenheit des Lichts und der Nähe ihrer Verwandten.

3

Als es auf die Morgendämmerung zuging, ertönte das Dröhnen eines Motors. Ein startendes Flugzeug, dachte Raen, drehte sich im Bett um und vergrub sich in den Kissen. Die Diskussion unten in der Speisehalle war immer weitergegangen, manchmal laut genug, um noch vor den Türen vernommen zu werden, im allgemeinen jedoch nicht. Die Versammlung im Gang davor hatte sich schließlich zerstreut, zu Pflichten oder Vergnügungen begeben. Es herrschte ein gewisser Mangel an Ordnung im Haus, da die jüngeren Männer und geringeren Älteren durch ihren Ausschluss vergrämt waren und bestrebt, ihr Missvergnügen zum Ausdruck zu bringen. Ein paar betranken sich. Einige andere wandten sich bizarren Vergnügungen zu, und das Azi-Dienstmädchen, das sich in Raens Zimmer schlafen gelegt hatte, war in Panik hierhergeflüchtet.

Lia hatte sie hereingelassen, Lia, Raens eigene Azi, eine Frau, die auf ihr tödliches vierzigstes Jahr zuging. Raen blinzelte und blickte zu ihr hinüber, die in einem Stuhl neben der Tür eingeschlafen war, während das geflüchtete Dienstmädchen sich auf einer Pritsche in der Ecke zusammengerollt hatte … die liebe alte Lia war erregt durch den Aufruhr im Haus und hatte diese unbequeme Stellung sicher aus Sorge um ihre, Raens, Sicherheit eingenommen.

Liebe. Das war Lia, deren ausgebreitete Arme sie in all ihren fünfzehn Jahren beschützt hatten. Ihre Mutter war Autorität für sie, war Schönheit, Zuneigung und Sicherheit, aber Lia war Liebe, im Labor für die Mutterschaft erzeugt, wenn auch die Azi steril waren.

Und sie konnte an solch einem Wachtposten nicht vorbeischleichen. Sie versuchte, aufzustehen und sich anzuziehen, dabei still genug vorzugehen, aber Lia wachte auf und machte sogleich große Umstände mit ihr, wählte mit Sorgfalt die Kleidung für sie aus, weckte das schlafende Dienstmädchen, damit es das Badewasser einließ und das Bett machte, überwachte selbst jede Einzelheit. Raen ertrug es, denn so ungeduldig sie auch darauf brannte zu erfahren, wie die Dinge unten standen, so hatte sie doch unendliche Geduld mit Lia, die durch eine Zurückweisung verletzt sein konnte. Lia war neununddreißig. Es blieb ihr nur noch dieses letzte Jahr, bevor irgendein in sie eingebauter Defekt sie tötete. Raen wusste das mit großem Bedauern, obwohl sie sich nicht sicher war, ob Lia ihr eigenes Alter kannte. Auf gar keinen Fall würde sie Lia auch nur für einen Tag ihres Lebens unglücklich machen; und auf gar keinen Fall würde sie zulassen, dass Lia den Grund für diese Einstellung erfuhr.

Das ist ein Teil des Erwachsenwerdens, hatte ihre Mutter ihr beigebracht. Der Preis der Unsterblichkeit. Azi und Betas kommen und gehen, die Azi am schnellsten. Wir alle lieben sie, wenn wir jung sind. Wenn wir dann die Amme verlieren, fangen wir an zu lernen, was wir sind und was sie sind; und das ist eine wichtige Lektion, Raen. Lerne es, dich zu erfreuen – und Lebewohl zu sagen.

Lia reicht ihr den Farbenumhang, und Raen entschied, dass es angemessen sei, ihn zu tragen. Sie befestigte ihn und duldete es, dass Lia ihn zurechtrückte, ging dann zum Fenster, wo das erste Licht der Morgendämmerung den Landeplatz zeigte.

Ein Flugzeug stand dort noch. Noch war es also nicht vorüber.

Sie ging in den Flur hinaus und nach unten, vorbei am Ratssaal, wo ein paar ältere Vettern und Verwandte niedergeschlagen herumlungerten. Sie waren nicht in der Stimmung, eine Fünfzehnjährige zu instruieren, ob sie nun zur Erblinie gehörte oder nicht. Raen spürte das und lauschte, hörte, wie drinnen immer noch Stimmen redeten.

Sie schüttelte empört den Kopf und ging weiter, dachte ans Frühstück, obwohl sie diese Mahlzeit nur selten einnahm. Zumindest würden die Unterrichtsstunden weiterhin ausgesetzt sein, aber sie hätte gerne eine Ferienwoche dafür hergegeben, die Ruil und ihre Freunde aus Suls Nähe wegzuhaben. Sie erinnerte sich an die drei Halds und fragte sich, ob sie immer noch auf der Veranda standen.

Es war nicht der Fall. Raen stand auf der Veranda, die Hände in die Hüften gestemmt, und atmete tief. Die Gegend war leer, und die Azi strömten auf die Felder hinaus, wie sie es jeden Morgen taten. Ein goldenes Licht berührte die Kerzenbäume und die Hecken in dieser schönsten Stunde des Tages, bevor Alpha Hydrae ihr wahres Gesicht zeigte und den Himmel versengte.

Nur dieses eine Flugzeug besudelte die Landschaft.

Und dann sah sie eine Bewegung an der Hausecke.

Ein Azi, zu dieser Stunde schon im Sonnenanzug.

»Was machst du hier?«, schrie sie ihn an. Und dann sah sie Schatten in einer lebenden Welle über den Rasen huschen, große stelzenartige Gestalten, die sich mit das Auge irritierender Geschwindigkeit bewegten.

Sie fuhr herum, stand einem bewaffneten Azi gegenüber und schrie auf.

1

Raen taumelte und rutschte aus, konnte sich an einem hervorstehenden Felsen festhalten. Ein Schmerz schoss durch ihre Seite. Die Kleidung klebte dort fest. Die Verbrennung war aufgebrochen und Feuchtigkeit durchnässte den Stoff. Sie tastete danach und wischte die geröteten Finger wieder an dem Felsen ab, der sie aufgehalten hatte. Sie kletterte weiter.

Hin und wieder blickte sie zum Tiefland zurück, zum Wald und zum See, zu dem ganzen trügerischen Frieden im Tal von Kethiuy, während ihr Atem heftig ging und sie auf den Felsen fast das Gleichgewicht verlor. Sie waren alle tot da unten, ihre ganze Verwandtschaft; alle, alle waren tot … und das Ruil-Geschlecht hielt Kethiuy als eigenes Gebiet, wo überall die Leichen des Sul-Geschlechtes herumlagen. Nur Raen hatte das Massaker überlebt, aber nicht aufgrund einer klugen Handlung nicht aufgrund eigenen Verdienstes: versengt war sie gestürzt, und die Sträucher neben der Veranda hatten sie verborgen.

Sie waren alle tot, und sie selbst würde auch sterben.

Hier oben gab es keinen Schutz vor der Sonne; sie brannte aus einem weißglühenden Himmel herab, zog Blasen auf entblößter Haut, drohte mit Blindheit trotz des Umhangs, den sich Raen um das Gesicht gewickelt hatte. Steine verbrannten ihre Hände und erhitzten die dünnen Sohlen ihrer Stiefel. Ihre Augen verströmten Tränen, waren dann ausgedörrt durch die Trockenheit und das Gleißen. Möglichkeiten, Schutz zu finden, bestanden schon lange nicht mehr, hatten sich nur zu Beginn des Anstieges geboten. Wenn die Ruil sie suchten, würden sie sie finden. Sie hinterließ eine Spur für jede Suche zu Fuß, die durchzuführen sie sich vielleicht die Mühe machten, Blutflecken, die ihre Hände und ihre Seite auf den Felsen hinterlassen hatten. Und aus der Luft konnte Ruil sehr wohl bei Nacht Wärmesensoren einsetzen. Es bestand keine Hoffnung, sie abzuschütteln, wenn sie sie wirklich fangen wollten.

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