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Nach über einem Jahrzehnt des Wartens und Wachsens liegt diese Geschichte nun vor, als Einladung, in eine Welt voller Fantasie, Abenteuer und tieferer Fragen einzutauchen. Von den Straßen Londons bis zu fernen, exotischen Orten führt die Reise Fraser und Mai durch prächtige Szenerien und bewegende Erlebnisse. Dabei geht es um mehr als nur das Erkunden fremder Orte. Die Erzählung fragt: Was treibt uns wirklich, die Welt zu bereisen, ist es die Notwendigkeit oder die Freiheit der Wahl? Durch geheimnisvolle Begegnungen und unerwartete Wendungen entfaltet sich ein Abenteuer, das das Alltägliche mit dem Außergewöhnlichen verbindet. Die Grenzen zwischen Realität und Magie verschwimmen, und selbst den skeptischsten Lesenden wird dämmern: Das Unerwartete hat seinen festen Platz in dieser Geschichte. After over a decade of waiting and evolving, this story is finally here, a call to dive into a world filled with imagination, adventure, and deeper questions. From the streets of London to distant, exotic lands, the journey takes Fraser and Mai through magnificent scenes and moving encounters. But it's about more than just exploring new places. The narrative asks: what truly drives us to travel the world, is it necessity or the freedom of choice? Through mysterious crossroads and unexpected twists, an adventure unfolds, blending the ordinary with the extraordinary. The boundaries between reality and magic blur, and even the most sceptical reader will sense: the unexpected has a rightful place in this tale.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Für Charlton
Nach über einem Jahrzehnt des Wartens und Wachsens liegt diese Geschichte nun vor – als Einladung, in eine Welt voller Fantasie, Abenteuer und tieferer Fragen einzutauchen. Von den Straßen Londons bis zu fernen, exotischen Orten führt die Reise Fraser und Mai durch prächtige Szenerien und bewegende Erlebnisse. Dabei geht es um mehr als nur das Erkunden fremder Orte. Die Erzählung fragt: Was treibt uns wirklich, die Welt zu bereisen – ist es die Notwendigkeit oder die Freiheit der Wahl?
Durch geheimnisvolle Begegnungen und unerwartete Wendungen entfaltet sich ein Abenteuer, das das Alltägliche mit dem Außergewöhnlichen verbindet. Die Grenzen zwischen Realität und Magie verschwimmen, und selbst den skeptischsten Lesenden wird dämmern: Das Unerwartete hat seinen festen Platz in dieser Geschichte.
Ulrich Krentz, FRSA ist ein deutscher Autor, Dichter und Künstler, geboren 1958 in Detmold, Deutschland. Derzeit lebt er in Luxemburg, Trier und auf der Isle of Man. Krentz schreibt Gedichte, Kurzgeschichten und Reiseerzählungen. Er ist Fellow der Royal Society of Arts, London sowie Mitglied der Kipling Society, England und der Isle of Man Poetry Society. Neben seiner literarischen Arbeit ist Krentz ausgebildeter Buch- und Siebdrucker und war in den späten 1970er und 1980er Jahren für seine politischen und künstlerischen Druckprojekte bekannt.
ULRICH KRENTZ BEI BOD
Wege & Wörter (2025)
Gedichte & Geschichten (2018)
Gedichte vom Innersten auf Äußerste (2012)
Gedichte und andere Ungereimtheiten (2009)
After over a decade of waiting and evolving, this story is finally here—a call to dive into a world filled with imagination, adventure, and deeper questions. From the streets of London to distant, exotic lands, the journey takes Fraser and Mai through magnificent scenes and moving encounters. But it’s about more than just exploring new places. The narrative asks: what truly drives us to travel the world—is it necessity or the freedom of choice?
Through mysterious crossroads and unexpected twists, an adventure unfolds—blending the ordinary with the extraordinary. The boundaries between reality and magic blur, and even the most sceptical reader will sense: the unexpected has a rightful place in this tale.
ULRICH KRENTZ, FRSA is a German author, poet, and artist, born in 1958 in Detmold, Germany. He currently resides in Luxembourg, Trier, and the Isle of Man. Krentz writes poetry, short stories, and travel narratives. He is a Fellow of the Royal Society of Arts in London, as well as a member of the Kipling Society in England and the Isle of Man Poetry Society. In addition to his literary work, Krentz is a trained letterpress and screen printer and was known in the late 1970s and 1980s for his political and artistic printing projects.
ULRICH KRENTZ AT BOD
Ways & Words (2025)
Poems & Stories (2018)
Poems from the Innermost to the Utmost (2012)
Gedichte und andere Ungereimtheiten (2009)
‘We are all broken—that’s how the light gets in.’
Ernest Hemingway
Absatz eins
Vorwort
Kapitel eins: Scherben
Kapitel zwei: Veränderungen
Kapitel drei: Tiefe Wasser und der große Apfel.
Kapitel vier: Singapur und die unerwartete Wendung
Kapitel fünf: Bangkok und der Dschungel der Stadt
Kapitel sechs: Varanasi, Stadt der Geister und des Lichts
Kapitel sieben: Eine Insel in der Stadt
Kapitel acht: Neu-Delhi – Farben, Düfte, Geheimnisse und Smog
Kapitel neun: Afrika und die letzte Offenbarung
Kapitel zehn: Das Erwachen
Episode 1
Preface
Chapter 1: Shards
Chapter 2: Changes
Chapter 3: Deep Waters and the Big Apple
Chapter 4: Singapore and the Unexpected Departure
Chapter 5: Bangkok and the Urban Jungle
Chapter 6: Varanasi, City of Spirits and Lights
Chapter 7: An Island in the City
Chapter 8: New Delhi, Colours, Scents Mysteries and Smog
Chapter 9: Africa and the Final Revelation
Chapter 10: The Awakening
Er wusste, dass es kein Zurück mehr gab. Zog er das Messer jetzt aus seinem Herzen, würde ihn der Tod augenblicklich verschlingen. Ließ er es stecken, hielt das Leben nur noch kurz inne, bevor es ihm den letzten Atemzug raubte. So oder so, das Ziel des Täters war erreicht – sein Leben war unwiderruflich vorbei.
Doch es war nicht nur der Schmerz, der ihn lähmte. Etwas Dunkleres, Unfassbares kroch in die tiefsten Ecken seines Bewusstseins. Die Luft um ihn war schwer, als trüge sie das Unausweichliche in sich, während jenseits des Sichtbaren Schatten lauerten, die ihn leise verspotteten. Ein Flüstern, kaum hörbar, aber immer da.
Tausend Gedanken rasten durch seinen Kopf. Er dachte an seine letzte große Liebe, die er enttäuscht hatte, an seine beiden kleinen Mädchen, deren Lachen er nie wieder hören würde. An seine Mutter, die schon lange gegangen war, und an diese letzte Reise, die so anders endete, als er es je erwartet hatte. Ein eisiger Schauer kroch ihm in die Knochen, als ob etwas von jenseits dieser Welt bereits nach seiner Seele griff.
War es nicht so, dass dieses Messer, tief in seiner Brust, entfernt werden musste, bevor er seinen letzten Atemzug tat? War er nicht noch Herr seines Schicksals, selbst in diesen letzten Momenten? Sollte er nicht, mit allem, was ihm blieb, das Leben selbst bis zum letzten Atemzug in den Händen halten?
Langsam hob er seinen Arm, fühlte den Schmerz, der wie eine Welle durch seinen Körper jagte, und umfasste den Griff der Klinge. Das Metall war kalt, doch etwas anderes, etwas Widerwärtiges, breitete sich in ihm aus. Das Messer schien zu pulsieren, fast lebendig unter seinen Fingern. Seine Hand zitterte – vor Schmerz, vor Angst, vor der Todesahnung, die sich wie ein schwarzer Schatten über ihn legte …
...aber nein, nein, halt! So fängt diese Geschichte nicht an! Dies ist eine Erzählung vom Leben, mit all seinen Höhen und Tiefen, Wendungen und Überraschungen. Eine Geschichte, die von Momenten des Verlusts, der Hoffnung und der unvorhersehbaren Wege handelt, die uns zu dem machen, was wir sind.
Über ein Jahrzehnt in der Entstehung schlummerte diese Geschichte jahrelang wie ein fast vergessenes Manuskript in den Tiefen einer abgelenkten Müdigkeit, einem Brunnen gleich, dessen Eimer längst dem zähen Widerstand des Sisalseils nachgegeben hat und in unergründlichen Tiefen verloren ging. Unterbrochen, gestoppt, beinahe verschollen in einem Wirbel aus zahllosen anderen Gedanken und Entwicklungen, nahm sie leise Gestalt an, geformt durch die Strömungen der Zeit und das unerschöpfliche Geschenk der Fantasie. Nun liegt hier, auf diesen Seiten, eine Einladung – ein Ruf, in eine Welt einzutauchen, die nicht nur unterhalten, sondern auch erleuchten will, in der die Vorstellungskraft zum treuen Begleiter wird, der die Lesenden durch ein Abenteuer führt, das sich mit jeder Wendung, jeder Entscheidung neu entfaltet.
Die Lesenden werden in eine geheimnisvolle Odyssee hineingezogen, eine Reise, die von der Mitte Londons bis zu den entferntesten Winkeln der Erde führt. Der Protagonist begibt sich auf einen Weg, der das Alltägliche übersteigt, eine Reise voller Opulenz und Dekadenz, als wären solche Dinge die selbstverständlichsten der Welt. Auf diesem Weg entdeckt er ein neues Verständnis von Menschlichkeit und Güte, als hätten diese Tugenden still unter der glitzernden Oberfläche des Überflusses auf ihre Wiederentdeckung gewartet. Es ist ein Eintauchen in Sphären, in denen das Vertraute in das Traumhafte übergeht und Begegnungen die Grundfeste der Zeit herausfordern – eine Reise, die an die wagemutigen Abenteuer eines Phileas Fogg und den surrealen Schlaf eines Rip Van Winkle erinnert.
Eine Erzählung von Verlust und Hoffnung – und von jenen verwinkelten, verschwiegenen Pfaden, auf denen das Leben uns formt: leise, geduldig und mitunter gegen unseren Willen – zu dem, was wir womöglich längst schon waren. Doch auch eine Geschichte großer Schwächen und kleiner Fluchten: verführt von bernsteinfarbenen Nebelspendern – wohltemperiert, diskret und stets bereit, uns sanft zu verführen in jenes Dämmerlicht aus Vergessen, Trost und einem Hauch Selbstbetrug.
Von den Straßen Londons führt das Abenteuer weiter – über das pulsierende New York, wo Glasfassaden in den Himmel wachsen und der Takt der Stadt selbst durch die Adern der Reisenden zu fließen scheint, bis in die glänzenden, disziplinierten Adern Singapurs: eine Stadt der Gegensätze, in der modernste Technologie auf uralte Rituale trifft, wo hoch aufragende Türme neben dampfenden Garküchen stehen und Ordnung stets mit einem Hauch Magie durchwirkt ist. Von dort gleitet die Reise weiter in das vibrierende Chaos Bangkoks, wo Vergangenheit und Gegenwart in einem Strudel der Sinne ineinanderfließen und die Stadt sich in all ihren schillernden, widersprüchlichen Facetten offenbart. Dann treibt die Erzählung hinein in die flirrende Hitze Indiens, wo Tempel und heilige Stätten von jahrtausendealter Energie durchdrungen sind und Suchende in ihre Tiefen locken – suchend, fragend, verweilend. Schließlich kulminiert die Reise an der Südspitze Afrikas, wo sich Kulturen überlagern, Geschichten kreuzen und der ungezähmte Geist des Kaps sich zu einem farbenreichen, vielstimmigen und tiefgründigen Teppich menschlicher Erfahrung verdichtet. Durch diese Landschaften hindurch wird die Reise der Hauptfigur zu einer tiefen Erkundung des Selbst, eingebettet in eine Welt, die zugleich vertraut und fremdartig ist.
In diesen Seiten treffen die Lesenden auf Fraser und Mai, zwei Seelen, deren Geschichten widerhallen und deren Gedanken zum Nachdenken anregen. Begleite sie auf einer Suche, die eine zeitlose Frage stellt: Was treibt uns wirklich dazu, die Welt zu durchqueren – ist es Notwendigkeit oder Wahl?
Zwischen Begegnungen und Erlebnissen verbergen sich Momente des Staunens; geheimnisvolle Kräfte, die an uralte Erzählungen erinnern, erwachen zum Leben, und unerwartete Wendungen sprengen die Grenzen des Vorstellbaren. Ob man an das Außergewöhnliche glaubt oder nicht – das Unerwartete findet seinen rechtmäßigen Platz in dieser Erzählung.
Im Laufe der Geschichte wird deutlich, dass es nicht nur die Ereignisse sind, die zählen, sondern auch das, was in den Zwischenräumen der Zeilen hervorscheint. Der Geist ist frei, eigene Bedeutungen zu suchen und seinen Platz in dieser entfaltenden Erzählung zu finden.
Kapitel eins: Scherben
Fraser trat eine zerknitterte, rosafarbene Financial Times die Fleet Street entlang, an einem frühen Sonntagmorgen. Jeder kleine Tritt verschaffte ihm einen flüchtigen Moment der Genugtuung. Es war nicht nur eine Zeitung, die er über das Kopfsteinpflaster kickte, sondern auch ein stiller Aufstand gegen die Langeweile, die sich in sein Leben geschlichen hatte – ein Leben, in dem er tatsächlich ein ziemlich guter Fondsmanager bei der ehrwürdigen Silberman Bank war.
Fraser war sich schmerzlich bewusst, dass sein Leben in eine monotone Schleife geraten war, ein grausames Echo des Murmeltiertages. Was war aus ihm geworden, wenn die erste große Herausforderung des Tages darin bestand, die wohlige Wärme seines Bettes zu verlassen? Langsam wachte er auf, drehte sich zum vierten, fünften Mal „ein letztes Mal“ um, bevor er sich wie eine widerwillige Katze streckte, die Glieder zögernd dem Tag entgegenreckend. Schließlich erhob er sich, saß eine Weile auf der Bettkante, legte seine Uhr an wie ein Ritter seine Rüstung, zog sein T-Shirt über und machte sich auf den Weg ins Badezimmer.
Noch vor wenigen Monaten war seine unglückliche Ehe in eine noch elendere Scheidung zerbrochen. Nun bestand sein größtes Vergnügen in den lebhaften, selbst ausgedachten Abenteuern eines kleinen Jungen – Abenteuern, die ihn jede Nacht bis in den Schlaf begleiteten, nur um sich schnell in Träume zu verwandeln. In diesen Träumen durchstreifte er die Welt, unbeschwert von Geld, stiftete Kriege an, beendete Revolutionen, entdeckte die monumentalsten Gräber der Menschheitsgeschichte und wurde dabei zu einem gefeierten Nobelpreisträger.
Fraser wusste, dass seine Kollegen die Veränderungen an ihm bemerkt hatten. Getuschel folgte ihm, und Einladungen zu gemeinsamen Mittagessen im „Ye Olde Cheshire Cheese“ um die Ecke wurden immer seltener. Doch verspürte er kaum den Drang, Zeit mit ihnen zu verbringen – oder mit irgendjemandem, wenn er ehrlich war. Das tägliche Chaos des Großraumbüros reichte aus, ihn zu erschöpfen. Auch seine Vorgesetzten hatten ihn im Blick. Sein sonst so großzügiger Bonus im März fiel in diesem Jahr eher bescheiden aus und verschärfte seine finanziellen Probleme, nachdem er sich durch die Finanzierung seiner Scheidung übernommen hatte.
An diesem Morgen, wie an so vielen zuvor in den letzten Wochen, griff Fraser nach der erstbesten blauen Hose und dem weißen Hemd, die in Reichweite neben seinem Bett lagen.
Fraser war eigentlich immer korrekt gekleidet – im Anzug oder Blazer –, und nur zum Sport erlaubte er sich praktischere Kleidung. Doch heute war ihm das gleichgültig. Nein, mehr noch: Er bemerkte es nicht einmal.
Hastig zog er sich an, während seine Hände durch das zerzauste, dunkelblonde Haar fuhren, als könnten sie die Schwere der Müdigkeit vertreiben. Sein quadratischer Kiefer spannte sich, als er mit kräftigen Fingern darüber rieb – ein unbewusster Versuch, sich ins Hier und Jetzt zurückzuholen, doch ohne großen Erfolg.
Der schnelle Kaffee aus der Padmaschine war mehr eine Geste des Alltags als ein Moment der Erfrischung, ein vertrautes Ritual, das in seiner Monotonie Trost suchte. Schließlich schnappte er sich den roten, durchgeschwitzten Designer-Hoodie vom Garderobenhaken und öffnete die Wohnungstür, die schwerer schien als sonst.
Obwohl es Sonntag war, glitt Fraser in den starren Takt eines weiteren ziellosen Tages, inmitten eines Rhythmus, der sich von der Woche kaum unterschied.
Als er sich den altehrwürdigen Mauern des King’s College an der Straße The Strand näherte, hob Fraser den nun erbärmlich aussehenden Zeitungsball auf und warf ihn in einen der königsblauen Mülleimer – zu seiner letzten Ruhe. Kurz vor dem Gebäude des Obersten Gerichtshofs hielt er inne und überlegte, ob er die Strand weitergehen oder nach Aldwych abbiegen sollte. Er entschied sich, geradeaus zu gehen, in Richtung Trafalgar Square. Kaum hatte er diese Entscheidung getroffen, stolperte er über etwas Großes und Blaues. Erschrocken drehte er sich um und hörte eine raue, stotternde Stimme: „Hey, pass auf, wo du hintrittst!“ Die Stimme gehörte zu einem zahnlosen, breitmäuligen Obdachlosen.
Der Mann, vielleicht in seinen Fünfzigern – obwohl er auch sechzig hätte sein können – und offensichtlich stark betrunken, lag ausgestreckt auf dem Bürgersteig, eingehüllt in einen dieser blauen Schlafsäcke, die die Stadt London gelegentlich an ihre unglücklichsten Bürger verteilt.
Fraser dachte bei sich: Was ist meine Situation verglichen mit seiner? „Oh, entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht gesehen“, antwortete Fraser, mehr überrascht als erschrocken. Instinktiv griff er in seine Tasche und zog eine Pfundmünze heraus, die er in die aufgeschnittene Plastikflasche des Mannes fallen ließ – eine Mischung aus Mitgefühl und dem Wunsch, sich von seinen eigenen Problemen zu distanzieren.
„Was macht so einer wie du zu dieser Zeit hier in dieser Ecke Londons?“, lallte der Betrunkene, statt Fraser zu danken.
„Ich konnte nicht schlafen und dachte, ein Spaziergang würde meinen Kopf klären“, antwortete Fraser, leicht verwirrt über die Frage.
„Zumindest hast du ein paar Manieren, nicht wie diese neureichen Schnösel, die denken, sie besitzen die ganze Stadt. Hilf mir aus diesem Schlafsack raus, ja? Irgendwelche Bengel hatten ihren Spaß, indem sie mich den Bürgersteig rauf und runter gerollt haben. Der Reißverschluss klemmt, und ich versuche seit Ewigkeiten, aus dieser verdammten Falle rauszukommen“, grummelte der Mann.
Fraser kniete sich neben ihn und versuchte, ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien. Der Reißverschluss rührte sich nicht, und Fraser merkte, dass der arme Kerl praktisch mumifiziert in dem Schlafsack steckte, wahrscheinlich schon eine Weile versucht hatte, sich zu befreien. „Das wird nicht einfach. Ich denke, wir müssen Gewalt anwenden“, sagte Fraser skeptisch.
„Ist mir egal, solange du mich rauskriegst“, erwiderte der Mann. Mit einem Ruck öffnete Fraser den Reißverschluss – und eine Mischung aus Geruch und halbgetrocknetem Erbrochenem traf ihn ins Gesicht. Entsetzen breitete sich in ihm aus, als er begriff, womit er es zu tun hatte. Ein mittelgroßer Mann kroch aus dem geöffneten Schlafsack – in einem fast perfekt sitzenden, aber leicht mitgenommenen blauweißgestreiften Blazer und einem rosa Hemd. „Mein Gott, endlich! Danke, danke! Ich dachte, ich würde in diesem britischen Sozialkokon sterben. Die wenigen Passanten, die ich vor dir gefragt habe, hatten keine Zeit für jemanden wie mich. Nun, dein Pfund war sicherlich gut investiert“, sagte der Mann, seine Sprache jetzt viel klarer.
„Verdoppel deine Wohltätigkeit, indem du die zweite Pfundmünze in deiner rechten Tasche hinzufügst, und du wirst es nicht bereuen.“
Fraser lächelte gequält, sich der vielen Drogensüchtigen, Alkoholiker und Sonderlinge bewusst, für die London berüchtigt war. „Hier, nimm sie. Mir hilft sie nicht, und du kannst sie sicher besser gebrauchen“, sagte Fraser und warf vorsichtig die zweite Pfundmünze in die Plastikflasche.
„Ah, ein Großzügiger“, erwiderte der Mann sarkastisch. „Wie versprochen, wird es dein Verlust nicht sein, vor allem, da du mich aus meinem Schlafsack befreit hast. Sieben Wünsche werde ich dir gewähren. Aber ich kann dir weder ewige Gesundheit, sofortigen Reichtum, Weltfrieden noch Unsterblichkeit geben.“
„Was bleibt dann übrig? Was für ein Flaschengeist bist du? Und waren es nicht immer nur drei Wünsche?“, fragte Fraser amüsiert.
„Drei Wünsche? Mach mich nicht lachen!“, entgegnete der Mann. „Vor zweitausend Jahren vielleicht, aber nicht heute. Die Inflation hat auch unser ‚Geschäft‘ getroffen. Was früher drei Wünsche waren, wurde im Mittelalter zu fünf, und heute sind es sieben. Du musst dich mit sieben zufriedengeben – nicht mehr, nicht weniger. Aber du musst sie nicht sofort einlösen. Wenn du sie brauchst, wenn du sie forderst, werden sie dir gewährt.“
Der Mann rollte seinen blauen Schlafsack zusammen und nahm eine große, dicke „Marks & Spencer“-Tasche zu seiner Rechten, aus der er eine etwas abgenutzte weiße Kapitänsmütze mit einer dicken Goldkordel zog. Er setzte sie sorgfältig auf seinen vollen, schwarzen Haarschopf, während Fraser, der sein Lachen kaum unterdrücken konnte, zusah. Der Mann sah nun recht distinguiert aus, dachte Fraser – überhaupt nicht wie ein Obdachloser oder Landstreicher.
„Nun, ich muss jetzt los. Ich habe genug Zeit mit dir verschwendet. Pass auf dich auf … Aber denk immer daran: Jeder, den du auf deinem Weg triffst, kämpft einen Kampf, von dem du nichts weißt. Sei freundlich. Immer!“, sagte der Fremde plötzlich und verschwand, ohne zurückzublicken, in die nun etwas belebtere Straße.
Was für ein seltsamer Kerl, dachte Fraser und fühlte sich nach dieser Begegnung mit jemandem, der noch schlechter dran war als er, etwas besser in seiner eigenen Lage. Er fand es auch auf seltsame Weise motivierend, so eine bunte Figur außerhalb seiner sonst so chaotischen Träume getroffen zu haben. Und so änderte sich seine erste Entscheidung des Tages: Mit sichtlichem Widerwillen wischte er sich die Reste des Erbrochenen seiner neuen Zufallsbekanntschaft aus Haar und Gesicht. Der Ekel saß ihm tief in den Gliedern, begleitet von dem dringenden Bedürfnis, sich irgendwo die Hände und Gesicht zu waschen – am besten sofort. Also wandte er sich in Richtung Aldwych.
Die Straße beschrieb eine elegante Kurve, einen halbkreisförmigen Schwung, der sich sanft wieder mit The Strand vereinte – jener altehrwürdigen Lebensader Londons, einst gesäumt von den Stadtpalästen des Adels, heute geprägt vom Puls der Moderne: Theater, Hotels, Geschäftigkeit.
Auch in der Aldwych wirft die Architektur der Aristokratie noch immer ihre langen Schatten – doch längst ist sie ein lebendiger Knotenpunkt aus Kultur und Kommerz geworden, offen für jedermann, ein Ort, an dem sich Vergangenheit und Gegenwart die Hand reichen. Inmitten dieser Szenerie stand das Waldorf Hotel – ein Grand Hotel aus der Belle Époque. Seine Bar, „Good Godfrey’s“, oder schlicht „Godfrey’s“, wie Fraser sie nannte, bot mit ihrem gedämpften Licht, den dunklen Holztönen und dem leisen Jazzklang stets eine verlässliche Zuflucht vor dem Lärm der Welt.
Nicht nur die sanitäre Aussicht zog ihn dorthin. Auch das vertraute Ambiente und die Erinnerungen halfen ihm, seine Entscheidung zu treffen.
In genau dieser Bar hatte Fraser in erfolgreicheren Tagen als Fondsmanager oft Geschäftspartner bewirtet. Dort hatte er auch seine Frau nach der Arbeit zu Drinks getroffen. Er kannte jeden hinter der Bar und viele der Stammgäste davor. Es war schon eine Weile her, seit Fraser es gewagt hatte, nach seiner Trennung wieder in die Bar zu gehen. Er hatte sie wochenlang gemieden, aus Angst vor unangenehmen Fragen von Bekannten oder der Möglichkeit, seiner Ex-Frau zu begegnen. Obwohl es erst kurz nach elf war und die Bar sonntags erst um zwölf öffnete, hoffte er, dass er vielleicht einen Drink in der Lobby bekommen könnte.
Das ikonische Waldorf Hilton war ein charmantes Gebäude im edwardianischen Stil, das traditionelle Eleganz ausstrahlte – ideal gelegen zwischen dem lebhaften Covent Garden und dem nüchternen Finanzdistrikt.
Fraser durchquerte die weite Lobby mit ihren elfenbeinfarbenen Marmorböden und steuerte direkt auf die ihm nur allzu vertrauten Toiletten zu. Nach einer gründlichen Reinigung von Gesicht und Händen fühlte er sich endlich wieder präsentabel genug, um seinen alten Tummelplatz aufzusuchen. Vorsichtig ließ er den Blick schweifen, suchte nach einem vertrauten Gesicht. Doch außer einer japanischen Reisegruppe, die das Personal an der breiten Rezeption beschäftigte, war niemand zu sehen, den er erkannte.
Mit einem leisen Seufzen wandte er sich zum Eingang zurück – und bemerkte die halb geöffnete Tür zu Godfrey’s Bar. Es war vielleicht noch etwas früh, aber er beschloss, sein Glück zu versuchen.
Fraser sah sich selbst – und wurde auch von seinen Freunden so gesehen – als eine Art Renaissance-Mann: fasziniert vom goldenen Glanz der 1920er und der wilden Ekstase der 1930er Jahre. Oft stellte er sich vor, wie wunderbar es wäre, nur für einen einzigen Tag und eine Nacht in diese Ära des schimmernden und maßlosen Überflusses einzutauchen, wo Eitelkeit wie Pailletten funkelte und Dekadenz in Kristallkelchen perlte.
Es passte nur zu gut, dass sein Lieblingscocktail der zeitlose Whiskey Sour war. Und seiner Meinung nach gab es keinen besseren in ganz London als im Good Godfrey’s im Waldorf Hilton.
Godfrey’s war ein Klassiker – doch für Fraser bedeutete die Bar weit mehr. Die Stunden, die er hier verbracht hatte, die Gespräche, die Entscheidungen über zahllose Gläser hinweg – sie hatten ihre Spuren hinterlassen. Die Bar war mehr als nur ein Zufluchtsort; sie war ein Raum, in dem er sich selbst, Stück für Stück, zu begreifen begonnen hatte. Ein zeitloser, fast vollkommener Ort, sanft beleuchtet, mit dunklem Holz, hohen Decken – ein Raum, der die Geheimnisse vergangener und kommender Leben zu flüstern schien.
Die Tür stand einen Spalt offen, und ein Angestellter räumte gerade die Stühle von den Tischen. Fraser trat ein und nahm an der Bar Platz. Er versank schnell in Gedanken – bis er plötzlich bemerkte, dass Annabelle, seine ExFrau, ebenfalls dort saß. Ihr dunkles Haar fiel in weichen Wellen über den Rücken, genau wie er es in Erinnerung hatte. In ihrer Hand hielt sie ein Glas, die Schultern leicht angespannt. Fraser durchfuhr ein Schock – war sie wirklich da? Oder war sie nur ein weiterer Geist seiner Vergangenheit? „Annabelle?“, murmelte er zögerlich.
Sie drehte sich langsam um. Ihre Augen waren wachsam, doch lag ein Hauch von Weichheit darin. „Fraser“, sagte sie, als hätte sie auf ihn gewartet. „Was machst du hier?“
„Ich … ich weiß nicht“, stammelte er. „Ich glaube … nachdenken.“
„Es ist lange her“, sagte sie, ihre Stimme nun sanfter. „Es ist viel passiert.“
„Zu viel, vielleicht“, nickte er.
Sie seufzte, drehte das Glas langsam zwischen den Fingern. „Vielleicht sind wir deshalb hier – um darüber zu reden. Über das, was war … und was nicht.“
Frasers Magen zog sich zusammen. „Wenn es ums Geld geht …“
Sie unterbrach ihn mit einem bitteren Lächeln. „Denkst du, es geht nur darum?“
Er öffnete den Mund, um sich zu erklären, doch sie hob die Hand. „Es ging nie nur ums Geld“, sagte sie, ihre Stimme bebend. „Es war alles. Die Art, wie du gegangen bist. Weißt du, was das mit mir gemacht hat?“
Fraser hatte nicht mit so viel Schmerz in ihrer Stimme gerechnet. „Aber Annabelle, es ging doch immer ums Geld. Besonders, wenn man keins hat. Und ja – es war mir wichtig“, flüsterte er. „Ich wusste nur nicht, wie ich die Dinge so regeln könnte, dass wir beide damit leben konnten.“
„Du dachtest immer, du müsstest alles reparieren“, erwiderte sie. „Aber manche Dinge sind einfach kaputt. Und du … du bist gegangen.“
„Ich bin nicht weggelaufen“, sagte er leise. „Ich habe nur …“
„… dich entfernt“, vollendete sie seinen Satz. „Du bist einfach gegangen.“
Ihre Worte hingen schwer zwischen ihnen. „Es tut mir leid, Annabelle, wenn du das so siehst“, flüsterte er. „Für alles.“
Sie sah ihn lange an. „Vielleicht ist es noch nicht zu spät“, sagte sie schließlich. „Für einen Neuanfang.“
Bevor Fraser antworten konnte, durchbrach eine vertraute Stimme den Moment.
„Fraser!“
Er holte scharf Luft, eine Mischung aus Erleichterung und Verwirrung durchzuckte ihn. „Oh, Luc … Ich hatte gerade einen fürchterlichen Albtraum. Ist es zu früh für einen Drink?“
Luc, der Barkeeper, stand hinter dem Tresen und grinste ihn an. „Was machst du um diese Uhrzeit hier – und dann noch in diesem Outfit?“ Dabei deutete er auf Frasers Hoodie.
Fraser blinzelte – und der Tagtraum löste sich auf, wie Nebel in der Morgensonne. Er drehte sich um. Der Platz, an dem Annabelle gesessen hatte, war leer. Und er wusste, es gab immer noch Geister, denen er sich stellen musste – Wahrheiten oder vielleicht auch Lügen, die er noch nicht bereit war zu akzeptieren.
Luc war Anfang dreißig, groß, mit einer kräftigen Statur, die ein wenig ins Füllige ging. Sein kurzes, mausbraunes Haar ließ sich kaum bändigen, was seiner sonst nachdenklichen Erscheinung etwas Jungenhaftes verlieh. Seine blaugrauen Augen besaßen eine Tiefe, die im Kontrast zu seiner leichten Art stand, und seine Stimme, mit ihrem sanften frankokanadischen Akzent, hatte eine Wärme, die ihn sofort zugänglich machte. Er hatte diese Art von Präsenz, die die Menschen beruhigte, eine gelassene Ausstrahlung, die ihn sofort sympathisch machte.
Fraser spürte eine Welle der Erleichterung, als er Luc sah. „Weißt du, Luc“, sagte er, seine Stimme müde, aber dankbar, „es war in letzter Zeit ziemlich schwer … eigentlich mehr als schwer – es war ein Chaos. Aber ich bin wirklich froh, dich zu sehen.“
Lucs Lächeln wurde verständnisvoller. „Fraser, du musst mir nichts erklären. Ich habe schon einiges gehört“, antwortete er. „Eigentlich haben wir noch nicht geöffnet, die Kasse ist auch noch nicht eingerichtet, aber ich mache dir einen Drink aufs Haus. Dann kannst du mir alles erzählen – was soll’s sein, das Übliche?“
Fraser nickte, ein kleines, ehrliches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Ja, das Übliche klingt perfekt.“
„Danke, ja. Vielleicht sollte ich mir angewöhnen, früher zu kommen“, antwortete Fraser schelmisch, während seine Gedanken kurz zu seiner Ex-Frau abschweiften. Kurz darauf stellte Luc einen doppelten Whiskey Sour vor Fraser auf den Tresen. Sie sprachen lange miteinander, bis die ersten Gäste eintrafen. Fraser war froh, gekommen zu sein. Während Luc Cocktails mixte und Drinks servierte, teilte er seine Pläne mit Fraser.
„Nun, ich habe schon gekündigt. Sie waren ziemlich überrascht, als ich das gemacht habe. Damit hatten sie nicht gerechnet. Aber jetzt sind es nur noch zwei Wochen, und dann bin ich auf hoher See. Du weißt, ich habe schon lange auf eine solche Gelegenheit gewartet, und bevor ich zu alt werde …“