Der Bodyguard - Michael Kuhr - E-Book

Der Bodyguard E-Book

Michael Kuhr

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Beschreibung

Michael Kuhr ist Bodyguard und kümmert sich mit seinen rund 50 Mitarbeitern um die Sicherheit von Prominenten, einflussreichen Geschäftsleuten und Veranstaltungen. Er begleitet Stars wie Sarah Connor und Mario Adorf über den roten Teppich und er sorgt dafür, dass Events wie die Bambi-Verleihung sicher über die Bühne gehen. Er erzählt von seinem spannenden Alltag als Beschützer der Schönen und Reichen, aber auch von der dunklen Seite der Hauptstadt, wo er »Pate von Berlin« genannt wird. Denn seine Sicherheitsfirma Kuhr Security betreut zahlreiche Diskotheken, seine Männer kontrollieren Nacht für Nacht den Einlass. Michael Kuhr hat die Macht, zu entscheiden, wer reinkommt und wer nicht. Und damit die Macht darüber, ob Drogen und Prostitution in die Clubs gelangen. Er arbeitet konsequent mit der Polizei zusammen und verhindert so, dass die Unterwelt immer mehr Einfluss gewinnt. Das packende und actionreiche Leben eines unbestechlichen Mannes, der sich tagtäglich für andere in Gefahr bringt. Der Bodyguard von Michael Kuhr und Mataly Bleuel: im eBook!

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Seitenzahl: 250

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Michael Kuhr

Bodyguard

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Prolog oder: vor GerichtNicht aus jedem Jungen wird ein FußballprofiIch bin kein Held, aber ein ChampionDie Türsteher-SzeneDie FirmaImmer einen Schritt hinter den StarsWas ein Personenschützer noch so alles machtTraumberuf BodyguardMut und RespektBerliner NächteBeim BoxkampfDurch die ClubsEyes Wide ShutDie Männer des JahresDie organisierte Kriminalität in BerlinMeine Zukunftsvision: eine sichere HauptstadtEpilogDankBildnachweis
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Prolog oder: vor Gericht

Zwei Männer in Glaskäfigen. Es ist ein großer Saal, seine Mauern sind aus dickem Stein und hundert Jahre alt. Vor den hohen Fenstern stehen noch mal Wände aus Glas, so dass von der Stadt draußen nur fahles Licht hereinbricht.

Vorne ein hohes Podest, noch leer. An der linken und an der rechten Seite des Raums zwei Kästen aus Glas. Im linken sitzt ein junger Mann, im rechten auch. Sie sitzen sich gegenüber, doch sie sehen sich nicht an. Der im rechten hat den Kopf zwischen die Schultern gezogen und schaut auf seine Hände. Der im linken starrt auf die Fenster, durch die man die Freiheit nicht sieht.

Der Saal ist bis zur Decke getäfelt, und auch die beiden Kronleuchter verleihen ihm etwas Feierliches – schon bevor das Gericht erscheint und alle aufstehen. Noch ist es still im Saal 500.

Es sitzen da noch, vor den Glaskästen, einige Herren in schwarzen Roben und blicken konzentriert auf die Bildschirme ihrer Laptops. Zwei gehören zum linken Käfig, drei zum rechten. Wie auf einer einsamen Kanzel scheint zwischen Podest und Käfig der graumelierte Staatsanwalt zu schweben. Und schweigend stehen zur Sicherheit Justizvollzugsbeamte in dunkelblauer Dienstkleidung im Raum verteilt. Manche tragen Schlagstöcke und Handschellen, einige sogar Schusswesten.

Dann werden die Flügeltüren geöffnet, und es poltern die Zuschauer herein, dass die Dielen knarzen. Wenn man den Saal von hinten betritt, durch den Zuschauereingang, kann man kaum erkennen, ob die Leute vorn auf dem Podest lächeln werden oder nicht. So tief ist der Raum, gediegen, ehrerbietig.

Die Holzbänke knacken beim Draufsetzen. Sie sind durch eine Balustrade vom Verhandlungssaal getrennt. Es sind etwa ein Dutzend Bänke. Sie werden nicht ganz voll.

Die erste Reihe ist geschlossen: sechs, acht breite, bullige Männer mit dunklen Haaren. Fast alle tragen sie Jogginghosen, Turnschuhe und Pullis, durch die sich ihre Muskeln abzeichnen. Sie wirken nicht ganz ausgeschlafen, gerötete Augen. Es ist elf Uhr vormittags.

In der zweiten Reihe eine rundliche ältere Frau in bodenlangem Mantel und Kopftuch. Neben ihr ein alter Mann mit Käppchen auf grauen Haaren und Gebetskette zwischen den Fingern. Und eine junge Frau ohne Tuch und Schmuck.

Weiter hinten einzelne Männer in Anzügen und junge Frauen, Studentinnen vielleicht.

Dann gehen die Türen vorne hinter dem Podest auf, und es kommen herein: der Richter, Beisitzerinnen, Schöffen, die Protokollantin. Alle erheben sich. Auch die beiden Männer in den Käfigen. Der, der vorher auf seine Hände geschaut hat, lächelt der alten Frau zu. Sie nickt.

Und dann blicken alle auf die Besucher in der ersten Reihe: Solche Energien gehen von diesen Männern aus. Wie eine Welle stehen sie da, mächtig, gewaltig.

 

Es ist der fünfte Verhandlungstag im sogenannten Poker-Prozess. Er wird verhandelt im Landgericht in Berlin-Moabit. Vier Männer wurden schon verurteilt, jetzt geht es um die Drahtzieher.

Am 6. März 2010, einem Samstag, überfiel eine Gruppe von Männern ein Pokerturnier. Aber nicht irgendeines, sondern eines der größten Pokerturniere der Welt, das European Poker Tournament. Es fand zum ersten Mal in Berlin statt, im Herzen der Stadt, in einem Nobelhotel am Potsdamer Platz. Eine Woche lang wurde gespielt, von Zockern, von Profis wie der Pokerweltmeisterin Sandra Naujoks und von Promis, Boris Becker und Charlotte Roche waren auch dabei. Das Preisgeld betrug 4,6 Millionen Euro. Der Sieger bekam eine Million. Ein Spektakel, bei dem unzählige Kameras liefen.

Kurz nach zwei Uhr mittags stürmten vier Männer durch einen Seiteneingang des Hotels in den Vorraum des Turniers. In den Ballsälen liefen gerade drei Turniere: Freezeout, Highroller, Ladies-Only.

Die Männer trugen Mützen überm Gesicht und vermeintliche Schusswaffen, einer hatte eine Machete. Sie stürmten die Registratur. An einem Tisch wurde das eingesetzte Geld kurzfristig gesammelt, gut sichtbar in einem offenen Tresor. Die Männer riefen: »Das ist ein Überfall!« und »Go, go, go!« Der Tumult draußen wurde auch im Turniersaal spürbar. Panik brach aus. Stühle und Tische wurden umgeschmissen, Spielchips und Karten wirbelten durch den Raum, Menschen warfen sich zu Boden, in Deckung. Die Kameras übertrugen es live.

Die Männer rafften Geld zusammen: an die 800 000 Euro.

Dann erkannten die Sicherheitsleute ihre Chance. Einer war sehr groß und wuchtig. Er stürzte sich auf einen Mann mit Pistole und versuchte, sie ihm aus der Hand zu schlagen. In dem Moment lief der Mann mit der Machete auf ihn zu. Er holte aus und erwischte den Sicherheitsmann Roman H. unterm Auge, aber nur leicht. Er ließ vorerst ab. Später gelang es dem Sicherheitsmann, den Räuber wieder in den Schwitzkasten zu nehmen. Ein Hotel-Azubi schnappte sich sofort die von dem festgehaltenen Räuber fallen gelassene Tasche und stellte sie sicher. Darin war knapp eine halbe Million Euro.

Mit dem Rest der Beute, 242 000 Euro, konnten die Männer fliehen. Sie rannten durch die Menge der Menschen im Einkaufszentrum am Potsdamer Platz, sprangen in einen schwarzen Mercedes und rauschten ab.

Der bewaffnete Raubüberfall hat keine zehn Minuten gedauert. Ein Schreck ging durch Berlin, über den hinterher alle lachten. Kurze Zeit später, am Nachmittag schon, sprach die halbe Stadt über den Überfall. Radio, Fernsehen, Zeitungen berichteten von der Sensation. Man kann sie sich jederzeit im Internet ansehen.

Zwei Tage später titelte die B.Z. »Polizei lacht über die Poker-Bande«, und die taz amüsierte sich über »die trotteligen Vier vom Pokerturnier«. Es lacht nicht nur die Polizei, sondern die ganze Stadt. So dämlich haben sich die Pokerräuber angestellt.

Der Polizeipräsident von Berlin, Dieter Glietsch, sagt schon am Montag nach dem Überfallwochenende: »Die Täter werden angesichts der Berge von hinterlassenen Spuren sehr schnell gefasst.«

Einer trug keine Handschuhe. Einer riss sich mitten in der Menge der erstaunten Passanten die Sturmhaube vom Gesicht. Das Autokennzeichen schrieb sich ein Passant auf. Das Auto war nicht mal geklaut, sondern auf einen Verwandten des Pokerräubers zugelassen. Und überhaupt: Die ganze Aktion wurde ja gefilmt. Jede Bewegung des Mannes mit dem roten Blouson und den Lederslippern, den der Sicherheitsmann Roman im Schwitzkasten hatte, kann sich jeder Mensch ansehen. Es kommen dann noch hinzu: regelmäßiges Boxtraining, ausgerechnet beim Polizeisportverein, und letzte Absprachen mitten in der Öffentlichkeit, bei McDonald’s nämlich, keine 50 Meter vom Tatort entfernt.

Zwei Wochen später gab es mehrere Hauptverdächtige: Am 15. März stellte sich Mehdi Z.[1] und verriet die Namen seiner Komplizen. Ein paar Tage darauf schnappte die Polizei bei einer zufälligen Kontrolle in Mitte Ibrahim F. Als Omar A. von seinem Fluchtziel Istanbul in Berlin-Tegel landete, nahm die Polizei ihn fest. Und kurz darauf auch Mohammed S., der offenbar lieber in Berlin als in Beirut im Gefängnis sitzen wollte.

Die Beute blieb verschollen. Die Hintermänner auch.

 

Wenn man den Männern ins Gesicht schaut, muss man an die Daltons denken. Nicht die echten, sondern die Comicfiguren von Lucky Luke.

Der Mann im linken Glaskäfig ist Jussuf Ch. Er ist ein enger Verwandter des bereits verurteilten Mohammed S., er ist ein junger Mann Ende 20, und soll den »Coup« mit eingefädelt haben.

Der Mann im rechten Glaskäfig ist Amir J. Und er soll der Drahtzieher des Überfalls sein?

Es ist Anfang Oktober 2010, der Prozess läuft seit August. Davor waren »die trotteligen Vier« rechtskräftig verurteilt worden. Nach nur zwei Wochen Verhandlung hatte die Jugendstrafkammer des Berliner Landgerichts das Urteil gefällt: Der Kronzeuge Mehdi Z. bekam für schweren Raub und gefährliche Körperverletzung drei Jahre und neun Monate; die anderen drei bekamen Jugendstrafen von je drei Jahren und sechs Monaten Haft.

Für heute hat der Vorsitzende Richter einen besonderen Zeugen aufgerufen. Er sagt zum Gerichtsbeamten: »Sie können jetzt den Zeugen Michael Kuhr hereinholen.«

Die Männer in der ersten Reihe setzen sich auf, Spannung schießt in ihre muskulösen Körper. Amir, im rechten Glaskäfig, verändert zwar seine Haltung kaum – er bleibt meist eingesunken und lächelt ab und an einigen Besuchern zu. Doch auch er blickt nun zur Tür.

Die Männer in der ersten Reihe sind seine Brüder. Die beiden alten Leute in der zweiten könnten die Eltern sein. Die Familie J. kennt jeder B.Z.-Leser, jeder Polizist, halb Berlin und die ganze Berliner Unterwelt: Sie sind eine der »arabischen Großfamilien« in Berlin. Es gibt etwa 30 Großfamilien mit arabischer Herkunft in Berlin. Strafrechtlich auffällig ist eine Handvoll Clans von 50 bis mehr als 500 Mitgliedern, vorwiegend mit libanesisch-kurdischem Hintergrund. Regelmäßig sind sie in den Schlagzeilen. Sie sollen einen Großteil der Unterwelt beherrschen. Mit Geschäften in Gastronomie, Drogenhandel, Prostitution und Schutzgelderpressung, Sozialhilfebetrug, Immobilienhandel.

Die Bild-Zeitung in Berlin widmete der Familie – unter einem Decknamen – eine ganze Seite und schrieb: »Von neun Kindern eines Clan-Elternpaares sind sechs polizeibekannt. Die drei Unbescholtenen sind Mädchen.«

Kleiner Auszug aus dem Werdegang einiger Familienmitglieder:

Hasan: gilt als gewalttätig. Soll eine der Führungsfiguren sein. Bekannt, weil er mit einem Musiker Immobiliengeschäfte betreibt. Bild bringt Hasan in Zusammenhang mit Ermittlungen wegen Körperverletzung, Raub, Verstoß gegen das Waffengesetz, Beleidigung.

Fatih: soll Konsument harter Drogen sein. Ermittlungen wegen Freiheitsberaubung, Bedrohung, Betrug, gefährlicher Körperverletzung.

Hakim: gilt als Oberhaupt des Clans. Wegen Zuhälterei zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Ermittlungen wegen Körperverletzung, Raub, Schutzgelderpressung, Bildung einer bewaffneten Gruppe, Drogenhandel, Freiheitsberaubung, Bedrohung.

Karim: Ermittlungen wegen Körperverletzung, Beleidigung, Nötigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Spielt gern Fußball.

Und last but not least Amir: vor Gericht wegen vermuteter Planung des Pokerraubs. Ermittlungen wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Diebstahl, Beleidigung, Betrug.

Es geht hier also doch nicht um ein paar Flitzpiepen, die sich bei einem Pokerraub dämlich angestellt haben. Es geht um Gewalt. Und um Macht, sehr viel Macht. So viel mit rücksichtsloser Gewalt und dubiosen Geschäften erreichte Macht, dass manche von einer Mafia sprechen.

Auch weil sich keiner traut, gegen sie auszusagen. Außer …

Die Tür fliegt auf, und ein Mann tritt in den Saal. Er ist klein und hat den Schädel rasiert. Er trägt einen grauen Anzug und teure Schuhe. Später wird er über sich sagen, er sei der berühmte »Sprechende Embryo«. Er ist Berliner, er hat Humor. Aber jetzt sieht er nicht nach Späßchen aus. Er schaut sehr ernst.

Er läuft durch die Tür, mit großen Schritten – und nicht direkt zu dem Stuhl, auf dem die Zeugen Platz zu nehmen haben, nahezu eingekeilt zwischen Richterpodest und Glaskäfigen, flankiert von den besten Anwälten der Stadt – und im Rücken »die Familie«. Er macht, mit ausholenden Schritten und konzentriertem Blick, einen Bogen und bleibt kurz vor den Besucherreihen stehen. Und sieht sich die Leute an. Schaut ihnen lange und direkt in die Augen. Es scheint, als würde er sich die ihm noch unbekannten Gesichter einprägen. Als wäre es der Einmarsch in einen Boxring, der Walk-in des Kämpfers. In der Stille breitet sich der Geruch von Adrenalin aus.

Dann erst geht er zum Zeugenstuhl und setzt sich.

Der Richter sagt: »Guten Tag, Herr Kuhr. Sie sind als Zeuge geladen. Wie ist Ihr Vorname?«

»Michael.«

Oder auch Mike. Oder Ali. Aber das kommt später.

»Sie wohnen in …?«

»Berlin-Steglitz.«

»Was machen Sie beruflich?«

»Ich bin Leiter der Sicherheitsfirma Kuhr Security.«

Er war auch Weltmeister im Kickboxen, lang ist es her. Und davor Postbote im Wedding, noch länger.

»Ich muss Sie wie jeden Zeugen belehren, die Wahrheit zu sagen.«

»Ja, Herr Richter«, sagt Michael Kuhr und wird nun die Familie, die ihm im Rücken sitzt, und ihr Mitglied im Glaskäfig in Schwierigkeiten bringen. Er wird gegen sie aussagen. Das ist mutig und gefährlich. Denn es gibt sogar Anwälte in dieser Stadt, die sich nicht trauen, die Opfer dieser Familie zu verteidigen.

»Wie Sie wissen«, sagt der Vorsitzende Richter in umgänglichem Ton, »geht es hier um den Raubüberfall auf das Pokerturnier.« Der Zeuge solle doch einfach mal erzählen, was er dazu zu sagen habe, bitte.

Michael Kuhr beugt sich zu seiner Tasche neben dem Stuhlbein und zieht ein Papier heraus.

»Verehrter Vorsitzender«, hebt er an, »ich würde gerne mit meinen Schilderungen etwas weiter ausholen, damit meine gesamte Tätigkeit und auch einige Ungereimtheiten verständlicher wer…«

»Stopp! Einspruch.«

Die Verteidiger finden das nicht rechtens. Ablesen geht nicht. Sie möchten die Unterlagen sehen, bevor Kuhr weiterspricht. Er beteuert, dass es sich bei diesen Notizen um eigene Ermittlungsnotizen handle, die er für seine Schilderungen für wichtig hält und die deswegen nicht vergessen werden dürften. Der Richter verkündet eine Pause. Danach heißt es, der Zeuge solle bitte frei sprechen und die Notizen umdrehen. Er dürfe das Papier nur behalten, wenn er den Anwälten eine Kopie davon überlasse. Kein Problem für Kuhr.

»Ich bin seit 1982 im Sicherheitsgewerbe«, beginnt Kuhr erneut, »und habe 1994 die Kuhr Security GmbH gegründet. Wir sichern Clubs, aber auch große Veranstaltungen wie Bambi, Echo, die Leichtathletik-WM oder die Silvesterparty am Brandenburger Tor. Ich arbeite sehr offen und intensiv mit der Berliner Poli…«

»Halt, Einspruch!«

Der Verteidiger vor dem linken Glaskäfig, unter seiner Robe blitzt eine auffällige Halskette hervor, sagt, das sei hier keine PR-Veranstaltung. Der Verteidiger vor dem rechten Glaskäfig nickt heftig, und sein direkter Kollege, mit weit aufgeknöpftem, etwas zerknittertem Hemd, meint: Wie Herr Kuhr wurde, was er ist, das tue hier nichts zur Sache.

Von hinten, von den Zuschauerbänken, kann man nicht erkennen, ob der Zeuge jetzt die Brauen runzelt oder ob er grinst und wie er das findet. Denn wenn man ihn und seine Rolle kennt, weiß man: Es tut schon was zur Sache. Man versteht seine Rolle beim Pokerraub im Grunde kaum, wenn man nicht weiß, welche er sonst spielt: zwischen Unterwelt, Polizei und Society.

Jetzt aber könnte man fast meinen, der Zeuge wäre der Angeklagte. So scharf ist der Ton der Verteidiger. Und in dem geht es weiter.

»Jetzt erzählen Sie doch mal«, sagt der Richter, »was an jenem 6. März aus Ihrer Sicht geschah.«

»Ich bin um etwa 13 Uhr 30 von meinem Büro losgefahren, zur Spielbank. Die liegt neben dem Luxushotel, wo das Turnier stattfand. Es war der fünfte Tag des Turniers. Ich betreue mit meiner Sicherheitsfirma seit zehn Jahren die Spielbank, und dieses Jahr zum ersten Mal das EPT, das European Poker Tournament. Kurz nachdem ich mein Büro verlassen hatte und auf dem Weg zur Spielbank war, hatte ich einen Verkehrsunfall.«

 

»Wer war schuld?«

»Ich.«

Einer der Verteidiger runzelt übertrieben die Stirn, als ob es zu bedenken gelte, ob dieser Unfall etwa fingiert gewesen sei. Der Zeuge stockt.

Der Zeuge holt Luft und spricht weiter: »Durch den Unfall bin ich erst um circa drei Uhr am Hotel angekommen. Einer meiner Mitarbeiter rief an, um mir zu sagen, dass es einen Überfall gegeben hat. Das war vielleicht kurz vor halb drei. Als ich am Tatort eintraf, habe ich zuerst mal meine Mitarbeiter psychologisch aufgebaut. Sie haben mir alles genau erzählt.«

Was sie denn erzählt hätten, will einer der Verteidiger wissen.

»Dass vier Männer den Vorraum gestürmt haben und dass Roman, mein Mitarbeiter, ein Schrank von einem Mann, sich denen in den Weg gestellt hat und beinahe mit der Machete eins auf den Kopf bekommen hätte. Das ist ganz schön mutig, also ich muss mal sagen: Der Roman ist ’ne coole Sau.«

Der Richter grinst, auch der Anwalt mit der auffälligen Halskette, der sonst öfter mal Rocker der Hells Angels verteidigt. Die Übrigen nicht. Ein unterdrückter Lacher kommt aus der ersten Besucherreihe.

»Meine Mitarbeiter waren psychisch fertig. Ich habe sie also aufgebaut. Und dann habe ich meine eigenen Ermittlungen begonnen.«

»Warum denn eigene Ermittlungen?«, will ein Verteidiger wissen.

»Ich hatte einen Ruf zu verlieren. Ich bin für die Sicherheit dieses Turniers zuständig gewesen, und es wurde überfallen. Und ich hatte einen Verdacht.«

»Zum Verdacht kommen wir gleich«, sagt der Richter. Der Angeklagte im rechten Glaskasten, Amir, schaut jetzt wieder in seine Hände. Aber wie sei denn das Turnier eigentlich gesichert gewesen? Auf Deutsch: Wie konnte das passieren?

»Im Fall des Pokerturniers von Berlin sind wir als reiner Dienstleister aufgetreten. Das heißt, meine Firma hat wunschgemäß fünf unbewaffnete Securitys zur Verfügung gestellt. Die Spielbank lehnte den Einsatz von Waffen ab, und zwar aus einem einfachen Grund: Im Falle eines Überfalls ist der Verlust von Werten dem Verlust von Menschenleben vorzuziehen. Das Konzept der Spielbank ist ganz klar: Leben vor Geld. Dieser Meinung bin ich auch, ganz entschieden.«

»Sie sind Waffenträger?«, fragt der Richter.

»Ja, ich bin berechtigt zum ständigen Tragen einer Schusswaffe. Das mache ich auch, wenn ich nachts in der Stadt auf meiner Tour bin.«

»Sie haben auch an jenem 6. März eine Waffe getragen?«

»Ja, ich trug eine Schusswaffe bei mir und habe damit auch die Geldtransporte überwacht.«

Wie das mit dem Geldtransport gelaufen sei, fragt der Richter. Der Verteidiger aber will erst noch wissen, wie die fünf Sicherheitsleute postiert waren. Und warum fünf?

»Die Positionen waren so verteilt, dass ein Überfall niemals erfolgreich durchgeführt werden konnte, ohne dass die Männer danach geschnappt werden würden. Einige waren im Hotel, andere hielten sich teilweise innen, teilweise außen auf. Die Schwachstelle war der Geldtransport vom Ausgang des Hotels rüber zur Spielbank. Darauf waren wir entsprechend vorbereitet. Wenn das Geld transportiert werden musste, vom Hotel rüber zur Spielbank, haben das ein bis zwei Leute gemacht. Und ich war immer dabei. Verdeckt. Der Geldtransport hat also immer nur stattgefunden, wenn ich persönlich vor Ort war.«

»Warum war der Tresor offen?«, fragt ein Verteidiger. Ein Tresor sei doch dafür da, dass man ihn schließt.

»Natürlich ist der Tresor zum Schließen gemacht«, sagt der Zeuge, »aber Poker ist nun mal Show, die Leute wollen Cash sehen. Das Geld war aber durch genug Manpower geschützt. Und keiner von uns hätte es für möglich gehalten, dass man auf die dumme Idee kommen könnte, den Tresor im Vorraum zu stürmen.«

»Ach nein?«

»Dass maskierte Leute durch die von Kameras überwachte Hotellobby die Treppen hoch in den Vorraum stürmen würden, um an den Tresor und das Geld zu kommen, hatten wir für so gut wie ausgeschlossen gehalten. Die Wahrscheinlichkeit, dass man dann von der Polizei gefasst werden würde, war viel zu groß! Auf dem Potsdamer Platz befinden sich sehr viele Videokameras. Da kann man sich kaum unbemerkt bewegen. Das Luxushotel am Potsdamer Platz ist eines der sichersten Hotels in Berlin. Im Check-in-Bereich waren immer viele Menschen: Besucher und meine Mitarbeiter. Vor dem Tresor haben wir zur Abschreckung einen Baum von Mann positioniert, den konnte man nicht übersehen. Im Normalfall ist die Polizei nach unserer Erfahrung in der Spielbank innerhalb von drei Minuten vor Ort. Im Check-in und im Spielsaal waren mehr als 15 Pressevertreter: Fotografen, Kameraleute, Blogger mit Fotokameras, Videokameras, Steadycams mit Liveschaltungen ins Internet. Die erste Etage, wo das Turnier stattfand, war voller Kameras. Dagegen ist der Big-Brother-Container nichts. Dass man da früher oder später von der Polizei gefasst werden würde, war fast hundertprozentig klar. Wir hätten nicht gedacht, dass da einer reinrennen würde, um an das Geld zu kommen. Aber nachdem das passiert ist, weiß man: Man hätte auch in Erwägung ziehen sollen, dass man einen Überfall plant, um jahrelang Urlaub im Knast zu machen. Und zu guter Letzt möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass unsere Security-Mitarbeiter bei einem bewaffneten Raubüberfall 80 Prozent des Geldes unseres Auftraggebers sichern konnten, ohne dass dadurch weitere Personen zu Schaden gekommen sind.«

Verteidiger, Richter und Staatsanwalt schweigen. Es ist still im Saal. Dann sagt der Vorsitzende Richter: »Sie hatten also einen Verdacht? Wie kamen Sie denn darauf?«

Einer der Verteidiger hebt den Finger, er möchte erst noch mal wissen, weshalb der Zeuge überhaupt begonnen hat, selbst zu ermitteln. Das macht doch eigentlich die Polizei.

»Ich habe noch am Samstagabend begonnen, mich in der Szene umzuhören, um Hinweise und Informationen zu bekommen, die zur Aufklärung des Raubs nützlich sein könnten. Mir war wichtig, dass der Fall geklärt würde, auch um herauszufinden, ob jemand von uns einen Fehler gemacht hat. Es gab dann auch das Gerücht, dass ein Mitarbeiter – des Hotels oder sogar einer von meinen Sicherheitsleuten – mit dem Überfall zu tun haben könnte. Als Tippgeber zum Beispiel, der das Startzeichen gegeben haben könnte. Das ging ja sogar so weit, dass man mir was in die Schuhe schieben wollte. Weil ich diesen Unfall hatte und nicht vor Ort war. Als wäre das geplant gewesen. Und da habe ich nicht nur helfen wollen, die Sache aufzuklären, ich habe sogar eine Summe von 20 000 Euro ausgesetzt, für denjenigen, der mir beweist, dass es einer meiner Männer war. Also habe ich vom 6. März an über mehrere Wochen in regelmäßigem Kontakt mit der Polizei gestanden und über alle meine Ermittlungsergebnisse der verantwortlichen Ermittlungsstelle beim LKA berichtet.«

»Sie haben regelmäßig mit den Beamten telefoniert?«, fragt der Verteidiger mit der Halskette.

»Ja.«

»Einmal die Woche, mehrmals, täglich?«

»Manchmal mehrmals am Tag.«

»Deren Nummern haben Sie?«

»Ja klar. Ich spreche auch sonst fast täglich mit der Polizei.«

»Verfassen Sie auch schriftliche Berichte für die Polizei?«

»Nein.«

»Nie?«

»Nein.«

»Könnte ja sein«, sagt der Verteidiger links, und seine Blicke treffen die des ihm gegenüber Sitzenden.

Könnte ja sein, dass der Zeuge als V-Mann für die Polizei arbeitet. Und undercover Informationen aus der Szene verrät?

»Ich arbeite, wie ich anfangs sagen wollte, seit Mitte der Neunziger intensiv und offen mit der Polizei zusammen. Dafür bin ich deutschlandweit bekannt.«

»Jetzt zu Ihrem Verdacht, Herr Kuhr, wie kamen Sie darauf?«, sagt der Richter freundlich.

»Ich habe mir am Sonntag nach dem Überfall das Video im Internet angeschaut. Bei YouTube kann man ja sehen, wie das im Vorraum ablief. Und da sah ich, wie eine mir bekannte Person im Vorraum steht und das Ganze beobachtet. Es war Amir J. Ich habe meine Mitarbeiter auf ihn angesprochen, und sie sagten, sie hätten ihn auch dort gesehen, öfter, und er habe dabei telefoniert.«

»Woher kennen Sie ihn?«, fragt ein Verteidiger.

»Aus dem Nachtleben. Er verkehrt in den Clubs, die ich betreue. Daher kenne ich ihn und seine Brüder schon lange. Ich sehe sie häufig auch im Adagio, das ist ein großer Club am Potsdamer Platz. Außerdem ist er oft in der Spielbank. Sein Bruder auch. Und er war jeden Tag auf dem Pokerturnier und hat gespielt. Ich wollte ihn anrufen, aber die Polizei meinte, ich solle das Treffen dem Zufall überlassen.«

»Sie wollten ihn anrufen?«

»Ja.«

»Woher haben Sie denn seine Nummer?«

»Ich kenne ihn eben schon lange. Und ich wollte mit ihm und seinem Bruder reden. Das ist dann auch geschehen. Am 13. März, also eine Woche nach dem Überfall, kam Amir zu uns ins Adagio. Er ist da meistens im VIP-Bereich. Ich habe ihn direkt auf den Überfall angesprochen. Ich habe ihn gefragt, warum er exakt während des Überfalls im Vorraum stand und telefonierte. Er sagte, er habe im Pokerraum einen Anruf bekommen und ungestört telefonieren wollen. Also sei er raus in den Vorraum gegangen. Dann habe ich ihn gefragt, warum er meinen Mitarbeitern nicht geholfen hat. Immerhin kennen wir uns. Ich würde ihm ja auch in einer Notsituation helfen. Er sagte, es sei ihm zu gefährlich gewesen, er wollte nicht den Helden spielen, gegenüber Leuten mit langen Messern und Pistolen. Das hat mich schon gewundert. Dass ein Azubi und meine Leute mehr Mut hatten. Er schwor dann beim Leben seines Kindes, dass er mit dem Überfall nichts zu tun habe. Und er meinte, ich würde ja seine ganze Familie kennen, schon deswegen würde er bei so was nicht mitmachen. Damit war unser Gespräch beendet. Dann fiel bei meinen Ermittlungen in diesen Tagen immer wieder der Name Yassi.«

»Wo fiel dieser Name?«

»Ich bin an den Wochenenden viel in den Clubs, Bars und auf Partys unterwegs. Ich schaue nach dem Rechten und höre mich nach Neuigkeiten um. Ich kenne viele Leute, und nach dem Pokerüberfall waren alle besonders aufgewühlt. Jeder wollte was dazu sagen. Yassi kenne ich gut. Er hat vor einigen Jahren einen Raubüberfall begangen, dafür war er im Gefängnis. Also rief ich seinen Onkel an, den ich noch sehr gut aus alten Sportlerzeiten kenne, wir haben zusammen trainiert. Er sagte, Yassi sei es nicht gewesen. Er habe ein einwandfreies Alibi. Aber der Name fiel immer wieder. Also habe ich ihn direkt angesprochen. Er sagte, er sei es nicht gewesen. Man würde versuchen, ihm den Überfall in die Schuhe zu schieben. Für den Fall, dass er verhaftet werden würde, hätte er einen Zettel in seiner Wohnung versteckt. Darauf stünden die Namen der Leute, von denen er gehört habe, dass sie den Überfall geplant hätten. Ich habe ihm trotzdem Hausverbot erteilt, für all die Clubs und Veranstaltungen, die ich betreue. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem seine Unschuld bewiesen wäre.

Am Freitag, den 12. März, wurde er verhaftet. Der Polizei sagte er, er wolle nur mit mir reden, um mir den Zettel mit den sechs Namen zukommen zu lassen. Damit wollte er beweisen, dass er mit der Sache nichts zu tun hat. Aber natürlich sprach ich nicht mit ihm – was der Staatsanwalt mir auch untersagt hatte. Am gleichen Tag noch wurde er entlassen – und ich bekam bei einer Zeugenvernehmung die sechs Namen von der Kripo vorgelesen. Es waren: Mehdi, Ibrahim, Omar, Mohammed, Sinan, Karim. Karim ist ein Bruder von Amir.

Am Freitag, den 19. März, also zwei Wochen nach dem Überfall, habe ich Amir wieder zufällig getroffen, vor der Spielbank. Ich sagte ihm, dass sein Name im Zusammenhang mit dem Pokerraub immer wieder falle, und fragte ihn, warum er nicht selber ermittle. Er antwortete, das täte er, aber er bekomme keine brauchbaren Infos. Mittlerweile konnte man die Gesichter der Verdächtigen in jeder Berliner Zeitung sehen. Ich fragte ihn, ob er die Leute kenne. Er sagte: Ich kenne keinen von ihnen. Ich habe das Gespräch beendet, weil ich das Gefühl hatte, er lügt. Einen Tag später habe ich mich mit dem großen Bruder von Amir und Karim getroffen. Er heißt Hakim und ist für mich das Familienoberhaupt. Ich wollte von ihm wissen, was er über die Sache denkt. Er sagte, er würde seinen Brüdern glauben. Falls sich aber herausstellen sollte, dass sie an dem Raub beteiligt gewesen sein sollten, dann müssten sie ihre gerechte Strafe bekommen. Er hätte aber auch gehört, dass ein Mitarbeiter meiner Firma in den Überfall verstrickt gewesen sei.«

»In den Akten haben wir eine SMS«, sagt der Richter dann, »die Sie dem Angeklagten – Amir – geschrieben haben. Da heißt es: ›Lieber Amir, nach unserem Meeting im Adagio hast du weiter Hausverbot, es wird nur aufgehoben, wenn ich mich persönlich für dich verbürge. Und das tue ich auf gar keinen Fall. Liebe Grüße, Ali Kuhr.‹ – Das sind Sie?«

»Das habe ich geschrieben.«

»Ali?«

»Das ist mein Spitzname in der Szene. Weil ich mit vielen Ausländern befreundet bin. Ali Kuhr, das bin ich.«

»Und Sie haben die alle in Ihrem Adressbuch?«

»In meinem Handy. Ich sehe sofort, wer anruft.«

»Sie erkennen jede Nummer?«

»Nein, ich kenne jeden Namen. Und ich speichere mir jeden Anruf. Von all den Leuten aus der Unterwelt. Aber auch so.«

»Und die rufen Sie an.«

»Die rufen mich an, wenn sie in meine Clubs reinwollen.«

»Aha. Sie haben die Telefonnummern der Unterwelt.«

Der Verteidiger macht eine Pause, als müsste er wirklich nachdenken. Wie kann es so was geben? Er legt den Kopf schief und sieht den Zeugen prüfend an. Als wollte er sagen: Das müssen Sie mir jetzt aber wirklich mal erklären.

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Nicht aus jedem Jungen wird ein Fußballprofi

Das will ich gerne tun: erzählen und erklären. Wie ich wurde, wer ich bin.

Sonst versteht man meine Rolle nicht: zwischen Unterwelt, Polizei und High Society. Den Job als Türsteher und Bodyguard. Warum mir mein guter Ruf wichtig ist. Ich bin unabhängig von Großfamilien, Rockerbanden, großen und kleinen Verbrechern. Das ist in meinem Beruf extrem selten. Und darauf bin ich extrem stolz.

Wo soll ich anfangen? Wie ich Weltmeister wurde? Oder Türsteher? Das Gefühl, Superstars wie Leonardo DiCaprio oder Lady Gaga zu beschützen? Als Muhammad Ali an meinem Ohr gezuppelt hat? Oder die erste blutige Nase? – Damit fange ich an.

Ich bin im Wedding groß geworden, im Norden Berlins. In meiner Kindheit sprach man noch nicht von sogenannten »Problembezirken«. Damals gab es noch nicht diese Klischees, die man heute Neukölln, Wedding oder Kreuzberg zuschreibt.

Wäre es nach meinem Vater gegangen, hätte ich Fußballstar werden sollen. Er hat mich praktisch gezwungen, Fußball zu spielen. Ich fand es langweilig. Aber er schleifte mich in eine Halle, zu dem Zeitpunkt war ich sechs oder sieben.

Vieles aus meiner Kindheit ist verblasst, weg, verschwommen. Aber an meine erste blutige Nase erinnere ich mich sehr gut. Ich stand am Spielfeldrand und redete mit jemandem. Plötzlich knallte der Ball an meinen Kopf. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet. Das war ein Schock, und von diesem Moment an war es aus mit meiner Fußballerkarriere.

Danach hatte ich sogar Angst vor einem Ball. Vor einem Ball! Das klingt vielleicht komisch: Ein Typ, der sechsfacher Kickboxweltmeister ist und andere beschützt, hatte Angst vor einem Ball. Aber Angst an sich ist im Grunde nicht schlimm. Angst hat jeder mal. Der eine kann sie eben mehr, der andere weniger gut kontrollieren. Ich brauche die Kontrolle. Kontrolle gibt mir Sicherheit.

Eigentlich habe ich mich gut mit meinem Vater verstanden. Er arbeitete bei den Berliner Verkehrsbetrieben, als Zugabfertiger bei der U-Bahn. Zugabfertiger sind diejenigen, die am Gleis in einem Häuschen stehen und den Zug durchwinken. Zum Schluss war er Pförtner bei den Kabelwerken in Berlin-Tegel.

Uns verband eine gemeinsame Leidenschaft: Minigolf. Wir gingen oft zusammen auf den Minigolfplatz. An guten Tagen lochten wir auf einem Parcours mit 18 Spielfeldern mit 18 Schlägen ein. Wir waren echt gut, fast schon Profis. Wenn es mal nicht so gut lief, brauchten wir 20 bis 24 Schläge. Aber damit lagen wir meistens immer noch weit vor allen anderen, die mit uns spielten. Wir hatten sogar unsere eigenen Schläger und Bälle. Und wenn ich heute mal in den Urlaub fahre und dort eine Minigolfbahn sehe, weiß jeder, wo er mich finden wird.