Der Drache erwacht - Phillip Mann - E-Book

Der Drache erwacht E-Book

Phillip Mann

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Beschreibung

Helden werden nicht geboren

Coll, Miranda und Angus haben ihren ersten Winter in der heidnischen Siedlung Stand Alone Stan gut überstanden. Doch es ist nur die Ruhe vor dem Sturm: Eine Seuche hat die Schaffarmen des Imperiums 1994 befallen. Nachdem lediglich die Anlagen auf dem Festland betroffen sind, beschließt der Römische Kaiser, dass Britanniens Wälder gerodet werden sollen, um dort Tiere zu züchten. Noch während die Fässer mit Chemikalien über das Meer nach Britannien transportiert werden, regt sich eine Rebellion gegen die Brandrodung – und die drei Gefährten sehen sich plötzlich ihrem Schicksal gegenüber …

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PHILLIP MANN

DER DRACHE ERWACHT

EIN LANDFÜR HELDEN

Dritter Roman

Inhalt

Widmung

1 – Zwölf Sekunden entfernt

2 – Der Kaiser spricht

3 – Colls Lachen

4 – Auf nach Ägypten

5 – Cava Caverna

6 – Auf dass hier friedlich Schafe weiden …

7 – Miranda findet zu sich selbst

8 – Von Frachtgut und einer Katze

9 – Der Schlüssel

10 – Miranda im Lager Caligula

11 – Die Nacht des Großen Tanzes

12 – Castra Skusa

13 – Der Drache erwacht

14 – Mirandas Reisen

15 – Lager VI

16 – Ulysses lädt zum Fest

17 – Coll und Gwydion

18 – Das Straflager Caligula

19 – Ulysses' Feuerprobe

20 – Caligula und die Folgen

Für meine Freunde

Alan Robson,

Alex Heatley und Nicki McLean.

Mit einem Dankeschön dafür,

1

Zwölf Sekunden entfernt

Willkommen auf der Erde. Es ist jedoch nicht ganz die Erde, die Sie und ich kennen, obwohl man vom Mond aus den Unterschied gar nicht bemerken würde. Diese Welt gehört zu einem jener Paralleluniversen, deren Zahl unendlich ist. Aber jedes dieser Universen existiert in seiner ganz eigenen Zeitkapsel, und die Zeitrechnung weicht ein ganz klein wenig von der unserer Welt und der aller anderen Welten ab.

Die Welt, der wir uns jetzt nähern, ist gegenüber unserer nur um zwölf Sekunden verschoben. Aber schon diese kurze Spanne sorgt dafür, dass diese Welt sich von unserer ganz und gar unterscheidet, auch wenn sie in bestimmter Hinsicht recht vertraut wirkt. Die Hügel, Flüsse und Ebenen zum Beispiel sehen im großen und ganzen so wie bei uns aus, aber die Männer und Frauen, die dort leben, sind anders. Auch ihre Geschichte und ihre Sitten und Gebräuche sind anders, anders auf kaum merkliche, aber seltsame Weise.

In dieser Welt sind die römischen Legionen nie aus Britannien abgezogen. Ganz im Gegenteil: Die römischen Legionen sind weiter marschiert. Zuerst haben sie Britannien ihr Brandzeichen aufgedrückt, dann haben sie den Rest der Welt erobert. Und wo immer sie hintraten, haben sie ihre Gesellschaftsordnung, ihre Gesetze und ihre militärische Organisation eingeführt.

Angesichts der nordischen Stämme hat Rom eine Zeitlang zwar bedenklich gewackelt, aber es hat überlebt und ist zur Hauptstadt einer riesigen, bunt zusammengewürfelten Zivilisation geworden. Rom ist jetzt berühmt als Wiege der Wissenschaft, als kultureller Schmelztiegel, als Platz an der Sonne, der alle Rassen aufnimmt, als Heimstätte guten Essens, seltener Gewürze und erlesenen Rotweins, als der Ort für den neuesten Klatsch und Tratsch, für die Philosophie, für Liebe und Lust, als Zentrum sagenhaften, verschwenderischen Reichtums, als Sitz einer angsteinflößenden, säbelrasselnden Weltmacht.

Was ja alles schön und gut ist, aber dieses Buch schert sich nicht sonderlich um Rom, übrigens auch nicht um den Rest der Welt. Vielmehr handelt es von einer ganz kleinen Ecke im fernen Nordosten der feuchten, bewaldeten Provinz Britannien.

Als der militärische Widerstand in Britannien mit der Niederlage der keltischen Stämme zusammenbrach, blühte die Provinz auf. Kreuz und quer durchs Land bauten die Römer ihre Straßen und regierten in ihren ordentlichen Groß- und Kleinstädten und von ihren Heereslagern aus. Nach und nach schufen sie eine wohlstrukturierte Gesellschaft, die sich auf einen städtischen Lebensstil gründete.

Kurz nach der Eroberung ernannte Rom den politischen Statthalter dieser Gesellschaft, den sogenannten Praefectus Comitum. Aber bald schon nahmen andere diese Position ein: Angehörige der großen aristokratischen Militärfamilien, die sich in Britannien niedergelassen hatten und sich in dieser Provinz mit der Zeit zu Hause fühlten. Diese Familien verwalteten ausgedehnte Ländereien und genossen fast uneingeschränkte Macht. Ihre Vorzugsstellung stützte sich auf zwei Klassen der Bevölkerung: auf die Bürger und auf die Soldaten. Diese beiden Klassen rekrutierten sich vor allem aus einheimischen Familien, die in früheren Zeiten das Stammesleben aufgegeben und die Pax Romana mit Wonne hingenommen hatten. Sie wurden ›zivilisiert‹. Aus Jahrzehnten wurden Jahrhunderte, aus Jahrhunderten wurde eine kleine Ewigkeit, und die römische Herrschaft kam allen nach und nach wie ein Naturgesetz vor. Da man den Bürgern materiellen Komfort, Sicherheit und einen festen Platz in der Gesellschaft bot, waren sie sich der strengen Gesetze, Vorschriften und Verbote, denen sie unterworfen waren, kaum bewusst. Deshalb kam es auch kaum vor, dass die Buchhalter, Kanalarbeiter, Köche, Putzfrauen, Ammen, Gärtner oder Kerzenmacher, die der römischen Militäraristokratie das zivilisierte Leben überhaupt erst ermöglichten, ihre eigene Situation in Frage stellten. Und was die Soldaten betraf, so gab es nichts, was sie ermutigt hätte, über irgend etwas anderes zu sinnieren als den Stolz auf ihren Dienst und die Freude an der eigenen Tüchtigkeit. Sie überwachten die Straßen und die Tore der Stadt.

Dort jedoch, wo die Stadtmauern aufhörten, begann die Wildnis. In den Wäldern, Mooren und Sümpfen rings um die römischen Städte spielte sich das Leben immer noch ähnlich wie vor Jahrhunderten ab, nicht anders als zu der Zeit, ehe die Kelten und, noch früher, Menschengenerationen gekommen waren, die Stonehenge errichtet hatten. So wie man hier lebte, hatte man sogar schon zur Zeit der Riesen gelebt. In den unterschiedlichen Regionen des Landes, das die Römer Britannien nannten, hatten die alten, grünen, ewig jungen Geister der Bäume, Lichtungen und Flüsse ihre Würde bewahrt und großen Einfluss auf die erdverbundenen Menschen. Jene Menschen in den riesigen Wäldern konnten ihre Vorfahren, die beinahe so alt wie die Hügel waren, in den Bäumen und zwischen den sprudelnden Wasserläufen flüstern hören. In der Dämmerung murmelten sie miteinander in den Schatten der langen Hügelgräber. Trotzdem liebten sich die goldenen Burschen und Mädchen in den Wiesen, oben auf den Hügeln und an den stillen Plätzen hinter den Hügelgräbern und dachten nicht an den Grabesstaub.

Aber für die alten römischen Familien und die ihnen dienenden Bürger und Soldaten waren diese Waldbewohner nichts als primitive Wilde, die man dulden konnte, weil von ihnen keine Gefahr drohte.

In manchen Teilen des Landes machte das Christentum von sich reden, aber nirgendwo wurde es zu einer so großen politischen Kraft wie in unserer Welt. Wo das Christentum tatsächlich überlebte, nahm es den Platz einer Sekte unter vielen anderen ein. Jede dieser Sekten feierte auf ihre ganz eigene Weise das Sühneopfer eines Mannes oder einer Frau, die freiwillig den Tod gewählt hatten, um die Menschheit zu erlösen. Diese unterschiedlichen Glaubensrichtungen verschmolzen mit älteren Religionen, in deren Mittelpunkt Erde, Himmel oder die Große Mutter standen.

Und alle Rassen und Religionen wandelten auf den römischen Straßen.

Wir kommen zur Gegenwart.

Eine Seuche, die anfangs Verheerung unter den Schafherden in den Provinzen des Festlandes anrichtete, hat sich inzwischen so bösartig entwickelt, dass sie auch andere Tiere und selbst Menschen befällt. Abgesehen davon, dass Fleisch, Wolle, Leder und Düngemittel knapp geworden sind, hat die Krankheit auch Panik ausgelöst und wirtschaftliche Einbrüche verursacht. Seltsamerweise ist die Seuche nicht in Britannien aufgetreten, sondern nur in den Provinzen Gallien, Hispanien, Germanien und Italien. Und das hat zu der Mutmaßung geführt, dass sich in der Seuche ein bestimmter Unwille der Götter offenbare.

Als Reaktion darauf hat der neue Kaiser der Welt, Lucius Prometheus Petronius, beschlossen, staatliche Schaffarmen in Britannien einzurichten. Das setzt voraus, dass das Land abgefackelt und gerodet wird – zumindest ist das Lucius' offenkundige Absicht. Allerdings bewegen ihn in dieser wie in jeder anderen Angelegenheit auch noch dunklere Motive.

Um diesen Plan durchzuführen, hat der Kaiser Marcus Augustus Ulysses, das Oberhaupt einer der wohlhabendsten und mächtigsten militärischen Familien Britanniens, zu seinem Statthalter ernannt. Kaum ist der Plan gefasst, wird er auch schon in die Tat umgesetzt. Nichts kann ihn aufhalten – jedenfalls glauben das die römischen Führer. Aber noch während die Fässer mit Chemikalien, die für die Feuer benutzt werden sollen, nach Britannien verschifft werden, sind dort schon Bewegungen im Gange, der Brandstiftung Widerstand entgegenzusetzen. Die Natur selbst beginnt zu rebellieren. Die Menschen, die die Schlacht gegen die große Zerstörung anführen werden, sind sich im großen und ganzen der Rolle, die sie spielen werden, noch gar nicht bewusst. Aber sie lernen dazu. Es sind Coll, Miranda und Angus. Alle drei sind gemeinsam aus dem Kampfdom entkommen. Inzwischen haben sie den Winter nahe bei der kleinen Siedlung Stand Alone Stan überstanden. Alle drei warten die nächsten Entwicklungen ab, jeder auf seine eigene Art.

Coll ist der letzte noch lebende Sohn desselben Marcus Ulysses, der jetzt als Statthalter des Kaisers in Amt und Würden ist. Früher hieß Coll Viti, aber er hat anstelle dieses Namens den Namen eines Baumes angenommen, denn ›Coll‹ heißt der Baum, den wir als ›Haselnuss‹ kennen. Coll ist ein trauriger junger Mann, der gegen seine Familie rebelliert hat, und wird von Schuldgefühlen zerfressen. Als junger Offizier an der Militärakademie Eburacum hat er Miranda vergewaltigt. Jetzt hat er den Winter überstanden, den er ganz allein in seinem Baumhaus nahe Stand Alone Stan verbracht hat. Von Verzweiflung überwältigt, hat er jedoch seine Taschen mit Steinen gefüllt und sich in einen Wildwasserfluss gestürzt. Er weiß nicht, ob er ein Ende oder einen neuen Anfang machen will.

Auch Miranda war gezwungen, gemeinsam mit Coll und Angus nach Stand Alone Stan zu flüchten. Dort ist sie Leiterin eines Hospitals geworden. Seltsame Kräfte offenbaren sich ihr mit der Zeit – die Fähigkeit, die Geister der Toten zu sehen und in andere Dimensionen der Natur einzudringen.

Miranda kann ihre Entwicklung nicht lenken, sie ist wie ein Blatt auf einem Strom, das mitgerissen wird. Aber sie ist dabei, ihre tieferen Kräfte zu entdecken, und bald wird die Zeit kommen, in der sie handeln muss.

Angus, der Mechaniker, der Mann, der nach Wissen hungert und seine eigenen Ideen verfolgt, hat an Roscius' Akademie in der Nähe von Stand Alone Stan studiert. Dort hat er die Geschichte entdeckt. Sein neuerworbenes Wissen hat ihm allerdings keinen inneren Frieden verschafft, in ihm schwelt Zorn. Unterstützt von seinen beiden Freunden Sean und Perol, hat Angus vor, eine Widerstandsbewegung zu schaffen, die den römischen Staat stürzen soll: ›die Drachenkrieger‹.

2

Der Kaiser spricht

»Ich gehe also davon aus, dass du nichts dagegen hast, wenn wir Britanniens Wälder niederbrennen?« Der Kaiser Lucius Prometheus Petronius machte eine kurze Pause und starrte in den riesigen Versammlungssaal. Das Echo seiner Stimme verhallte.

Niemand rührte sich. Bis auf einen Mann, den Mann, den der Kaiser direkt ansprach. Er rutschte auf seinem Platz hin und her. Es war Tripontifex, der Praefectus Comitum von Britannien. Als der Kaiser weitersprach, schwang in seiner Stimme Ironie und Spott mit. »Schließlich habt ihr uns eure Hilfe verweigert, als wir sie am nötigsten hatten, Tripontifex. Und Opfer müssen wir alle bringen. Dem Allgemeinwohl zuliebe. Nicht wahr?«

Der arme grauhaarige Mann, der im Publikum saß, versuchte, etwas zu sagen. Aber ehe er aufstehen oder ein Wort herausbringen konnte, spürte er im Kopf eine plötzliche Benommenheit. Dann wurde der Saal dunkler, und er biss die Zähne zusammen, weil ihn ein Schmerz durchfuhr – als stoße man ihm einen rotglühenden Schürhaken in die Seite. Gleich darauf starb er, schnell aber laut. Sein Weinglas schlug klirrend auf dem harten Boden auf, und der Wein ergoss sich über die Marmorfliesen.

»Also gut, das wäre also erledigt«, fuhr Lucius Petronius fort, ohne auf Tripontifex' Keuchen zu achten. »Unsere Entscheidung ist gefallen. Auf diese Weise ziehen wir die Lehre aus dem, was die Götter uns sagen wollten und unser weiser Meister Lazarus und unser guter, loyaler Freund Trismagister Neptuna uns übermittelt haben. Auf diese Weise sichern wir unsere Zukunft. Das nenne ich gute Arbeit für einen Abend.«

Mit diesen Worten besiegelte der Herrscher der Welt das Schicksal des feuchten, grünen Britannien.

Natürlich hatte er seine Strategie schon viel früher entworfen.

Der Tod des Tripontifex war eigentlich nur ein glücklicher Zufall gewesen. Wäre er nicht an Ort und Stelle gestorben, dann hätte man ihn ein paar Wochen später aufgrund irgendeines erfundenen Verbrechens wegen Landesverrats verurteilt und hingerichtet oder in die Verbannung geschickt. Die jetzige Entwicklung stellte alle (außer vielleicht Tripontifex) zufrieden, und der Leichnam wurde hastig zurück nach Britannien befördert. Dort wurde er, nachdem man ihn bis zur Zeit nach dem Winterfest kühl gelagert hatte, wenige Wochen nach der Wintersonnenwende mit einem Staatsbegräbnis beigesetzt.

Die Bestattung fand an einem grauen Tag statt, an dem der Regen in Schauern von einem bleiernen Himmel fiel und ein kühler Nebel die Stadt Eburacum einhüllte. Der Sarg, reich mit goldenem Tuch und Blumen aus den wärmeren Teilen des Reiches geschmückt, wurde im Forum des Kaiserlichen Palastes in Eburacum aufgestellt. Jeder, der irgendwelche Bedeutung in der Leitung der Regierungsgeschäfte von Britannien hatte, war anwesend, denn üblicherweise wurde nach einer solchen Bestattung bekanntgegeben, wen der Kaiser zum neuen Praefectus Comitum bestellt hatte. Jedenfalls war es in der Vergangenheit so gehandhabt worden. Normalerweise beriet sich der Kaiser, der um die Empfindlichkeiten vor Ort wusste, mit den führenden militärischen Familien und hielt nach einem neuen Praefectus Ausschau, der von allen gebilligt wurde. Aber nach dem Tod von Tripontifex lief es anders: Als die Lobeshymnen und Trauerklagen verklungen waren, trat ein kaiserlicher Gesandter vor. In der Staatshalle wurde es still. Keine der Familien wusste, ob und welche Verhandlungen stattgefunden hatten, und alle wollten es unbedingt erfahren. Sie gingen davon aus, dass man Marcus Augustus Ulysses auffordern würde, sein zeitlich befristetes Amt als Statthalter des Kaisers niederzulegen, und an seiner Stelle einen untergeordneten Diplomaten zum Praefectus Comitum bestellen würde.

Der kaiserliche Gesandte räusperte sich, dann verkündete er: »Was die zukünftige Regierung der schönen Provinz Britannien betrifft, so hat der Kaiser Lucius Prometheus Petronius beschlossen, den status quo beizubehalten. Dringende Regierungsangelegenheiten erfordern, dass er auch weiterhin persönlich das Amt des Praefectus Comitum von Britannien ausübt. Da er einen ihm ergebenen und unbescholtenen Mann braucht, der ihn in Britannien vertritt, ernennt er Marcus Augustus Ulysses, den Helden von Afrika, auch für die Zukunft zu seinem Statthalter.« Nach dieser kurzen Ansprache trat der kaiserliche Gesandte zurück und verschränkte die Arme über der Brust.

Die Neuigkeit wurde mit bestürztem Schweigen aufgenommen. Die großen Familien der Heeresangehörigen, die die Provinz Britannien seit Jahrhunderten regierten, waren plötzlich beunruhigt. Ihre Oberhäupter sahen sich im Amphitheater um und tauschten Blicke. Sie hatten Gerüchte über die Versammlung in Rom gehört, nach denen der neue Kaiser vorgeschlagen hatte, bestimmte Abschnitte der großen Wälder niederzubrennen, um Weideland für Schafe zu schaffen. Der Brand selbst beunruhigte sie nicht, solange es nicht ihren eigenen Waldbesitz betraf. Viel schwerwiegender war in ihren Augen die Gefahr, dass der Kaiser ihre althergebrachte Autorität zu untergraben versuchte. Die Ernennung von Marcus Augustus Ulysses zum Statthalter des Kaisers schien ein erster Schritt dahin, denn vom alten Ulysses wusste man, dass er ehrgeizig, prinzipienlos und unberechenbar war.

Später am Tag, als sich der Leichnam von Tripontifex sicher oben auf dem Scheiterhaufen befand und auf die Einäscherung wartete, fing Marmellius Caesar, führender Kopf der Sippe der Caesars, Marcus Ulysses ab, als er durch eines der Vorzimmer eilte.

»Was geht hier vor, Marcus?«, fragte er unverblümt und ohne jede Höflichkeitsfloskeln.

»Wir sind gerade dabei, Tripontifex einzuäsch…«

»Treib keine Spielchen mit mir. Du weißt genau, wovon ich rede. Ich dachte, du hättest uns erzählt, deine Ernennung sei nur eine Ernennung auf Zeit, und du selbst lediglich ein Lückenbüßer. Du weißt schon – einer der alten Garde, den man in der Stunde der Not ruft, damit er seine Pflicht tut.«

Marcus zuckte vielsagend die breiten Schultern. »Anscheinend hat es der Kaiser in seiner Weisheit für richtig befunden, mich mit einer längerfristigen Aufgabe zu betrau …«

Er kam nicht dazu, den Satz zu vollenden. »Unsinn.« Marmellius Caesar war sehr aufgebracht. »Ich warne dich hier und heute, Marcus Ulysses. Ich warne dich. Es wird einen Bürgerkrieg geben, falls du aus der Reihe tanzt. Wir werden dieses Land Stück für Stück auseinandernehmen, falls wir das müssen. Tripontifex hat's geschafft, den Frieden zu erhalten, weil er für niemanden eine Bedrohung dargestellt hat. Du bist eine. Du könntest eine Bedrohung für uns alle darstellen. Es wird keine Spielchen mehr geben.«

Marcus Ulysses sah den jungen Mann recht überrascht an. Eine solche Entschiedenheit hatte er nicht in ihm vermutet. »Hier können wir nicht reden«, sagte er aalglatt. »Wenn ich gesehen werde, wie ich ein Privatgespräch mit dir führe, habe ich Sextus Valerius Manaviensis und alle übrigen am Hals. Hör mal, vertrau mir einfach, nur für den Augenblick. Lass den alten Tripontifex in einer Flamme des Ruhms von uns gehen. Lass uns abwarten, bis sich die Aufregung ein bisschen gelegt hat. Dann berufen wir eine Versammlung ein. In der nächsten Zeit wird schon nichts passieren. Außerdem weiß ich über Lucius Petronius Bescheid. Er hat ein bisschen was von einem Windbeutel. Viel Geschwätz, aber wenig Taten.« Der alte Ulysses musterte Marmellius prüfend, weil er abschätzen wollte, wie seine Worte ankamen, aber das Gesicht des jungen Mannes verriet nichts. »Im Übrigen«, fuhr er fort, »dachte ich, du freust dich, dass einer deiner eigenen Leute zum Statthalter auserkoren wurde. Denk doch nur mal daran, was gewesen wäre, wenn man Trismagister Neptuna die Geschicke Britanniens anvertraut hätte.« Er grinste. Trismagister Neptuna war der Praefectus Comitum von Hispanien. Über ihn waren unzählige Schauergeschichten in Umlauf. Ein Gerücht besagte, er habe den bösen Blick. Einmal habe er einen Mann nur angesehen, und der sei daraufhin zu Staub zerfallen. Außerdem erzählte man sich, Trismagister trinke zum Frühstück Blut und verspeise menschliche Gehirne.

»Dann hätten wir Trismagister in dem Augenblick umgebracht, in dem er einen Fuß in dieses Land gesetzt hätte«, antwortete Marmellius, ohne mit der Wimper zu zucken. »Wir hätten aus großer Höhe einen schweren Stein auf seinen dicken Kopf fallen lassen. Das hätte seinem Zauber ein Ende gemacht und wäre eine Warnung für diesen gallischen Emporkömmling gewesen, den wir jetzt Kaiser nennen.«

Marcus wirkte peinlich berührt. Er merkte, dass es keine Möglichkeit gab, die Befürchtungen von Marmellius auf die Schnelle zu zerstreuen. »Lass mir einfach etwas Zeit«, erwiderte er schließlich. »Ich halte dich auf dem laufenden. Ich sorge schon dafür, dass nichts passiert. Jetzt entschuldige mich bitte. Ich soll den Scheiterhaufen anzünden. Das heißt, falls sie es geschafft haben, das Holz trocken zu halten. Ich werde mich in wenigen Tagen bei dir melden.« Marcus Ulysses eilte davon.

Damit musste sich Marmellius zufriedengeben. Obwohl er es natürlich nicht war.

Sobald die Bestattungszeremonie beendet war – die Asche war noch nicht einmal kalt –, stieg Marcus Augustus Ulysses an Bord seines Flaggschiffs Ithaca und machte sich auf den Weg zu seinem Anwesen Farland Head in Kaledonien. Das Gespräch mit Marmellius hatte ihn beunruhigt. Er merkte, dass er selbstzufrieden geworden war, zweifellos Folge davon, dass er es so lange mit dem phantasielosen Tripontifex zu tun gehabt hatte, den man so leicht hatte einschüchtern und herumkommandieren können. Marcus war klar, dass er von jetzt an bei all seinen Unternehmungen Vorsicht walten lassen musste. Er hatte die Warnsignale in der kühlen, präzisen Art des Marmellius erkannt. Hier hatte er es mit einem Mann zu tun, der bereit war, schnell und entschlossen zu handeln, falls er das Gefühl hatte, seine Interessen seien bedroht. Marcus nahm (mit Recht) an, dass Marmellius inzwischen schon mit den Oberhäuptern der anderen Familien gesprochen und mit ihnen ein loses Bündnis geschlossen hatte. Sie würden jeden seiner Schritte verfolgen.

Als Marcus Ulysses in dieser Nacht wieder sicher in seinem Haus in Farland Head gelandet war und mit einer Flasche milden Whiskys vor einem offenen Feuer saß, wägte er die Möglichkeiten ab. Obwohl er stets falsches Spiel trieb, ertappte sich Marcus Ulysses dabei, dass er sich fragte, warum er eigentlich dieses spezielle Spielchen trieb. Warum stellte er sich auf die Seite dieses rüpelhaften Kaisers Lucius und damit gegen die ihm selbst verbundenen Herrscher über Britannien? Warum versuchte er, mit Leuten wie Gnaeus Marmellius Caesar Spielchen zu treiben? Was wollte er dabei gewinnen? Welche tiefe Unzufriedenheit nagte an ihm, störte seine Ruhe, machte ihn zum Verräter? Marcus Ulysses, der keine Antwort auf seine Fragen fand, füllte sein Glas. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag wanderten die Gedanken des alten Ulysses zu seinem Sohn Viti, der immer noch in Freiheit lebte, obwohl man ihn einmal beinahe gefasst hätte. Marcus Ulysses war davon überzeugt, dass sein Sohn eines Tages zurückkehren würde.

Langweilt es mich, darauf zu warten, dass er zurückkommt? überlegte er und nahm einen tiefen Schluck.

Draußen kam Wind auf, so dass sich die Vorhänge bauschten. Das Feuer flammte auf und knisterte, ein Ast rollte herunter, so dass Funken nach oben, zum Schornstein, stoben. »Will ich Viti ein besseres Erbe hinterlassen, als ich selbst erhalten habe? Etwa ganz Britannien? Will ich alle übrigen zerquetschen, die Caesars, die Manaviensis?« Er starrte gedankenverloren ins rote Herz des Feuers. »Oder gefällt mir einfach nur der Anblick eines Großbrandes?«

Er seufzte tief. In diesem Augenblick eilte seine Pflegerin, persönliche Zofe und Hausdame, eine Frau namens Julia, ins Zimmer. Sie war schon seit der Zeit bei ihm, als er sie während eines Afrikafeldzugs gefangengenommen hatte. Julia, eine große, stattliche Frau, trug einen knallig rotblauen Seidenkaftan. Sie brachte ein Tablett herein, auf dem ein Pillenfläschchen und ein Glas Wasser standen. Unter den Arm hatte sie sich eine noch nicht angebrochene Zigarrenschachtel geklemmt.

»Verschwinde«, sagte Marcus Ulysses. »Ich denke nach.«

»Zeit für deine Tabletten«, erwiderte Julia, als habe sie ihn gar nicht gehört, und fügte nachdrücklich hinzu: »Und wenn du sie diesmal nicht in meiner Gegenwart einnimmst, werfe ich diese Zigarrenschachtel ins Feuer.«

»Das würdest du nicht wagen«, sagte der alte Ulysses und versuchte, überzeugend zu klingen. »Das ist die letzte …«

Julias Augen blitzten im dunklen Gesicht. »Ach nein? Dann stell mich doch auf die Probe.« Sie hob die Zigarrenschachtel, als wolle sie sie ins Feuer schleudern. »Jetzt nimm schon deine Tabletten ein!« Sie lieferten sich ein kurzes Blickduell.

»Ach, was soll's«, brummte der alte Ulysses schließlich. »Nur, damit die liebe Seele Ruh hat.« Er warf sich die Tabletten in den Mund, zerkaute sie und spülte sie in einer plötzlichen Anwandlung von Trotz mit Whisky herunter.

Julia grinste, stellte die Zigarrenschachtel auf dem Tisch neben dem Sessel des alten Mannes ab, ließ sich auf einem Hocker vor dem Feuer nieder und stützte ihren Arm auf sein Knie. »Eine raue Nacht, da draußen«, bemerkte sie. »Könnte bald Schnee geben.«

Statt einer Antwort gab der alte Ulysses nur ein Grunzen von sich. Dann schwiegen sie beide.

»Ist es heute in Eburacum nicht gut gelaufen?«, fragte Julia schließlich. »Seit du zurück bist, scheinst du ein bisschen trübselig herumzuhängen.«

»Ich habe nachgedacht. Versucht, Klarheit in die Dinge zu bringen. Im Land gibt's Unruhe.«

»Was! Wegen der Bestattung des blöden alten Tripontifex? Das kann doch wohl nicht wahr sein?!«

»Nein. Weil man mich zum Statthalter des Kaisers ernannt hat. Sie trauen mir nicht.«

Julia sagte nichts. Ulysses griff nach einem Stück Holz und warf es ins Feuer. »Ich glaube, ich rede wohl besser mal mit dem jungen Prometheus«, erklärte er. »Vermittle ihm eine Vorstellung davon, wie die Dinge hier stehen. Finde heraus, was er vor hat. Ich glaube, wenn ich besser verstehe, wie er denkt, begreife ich auch besser, was ich selbst denke.« Der alte Ulysses legte seinen Arm um Julias Hüften und drückte sie. »Stell die Verbindung her. Er müsste inzwischen wach sein. Es ist neun Uhr abends.«

Julia tat, wie befohlen, schleppte die große Kommunikationskonsole ins warme Arbeitszimmer und gab die Koordinaten ein, die eine Verbindung zwischen dem Herrenhaus in Farland Head und der kaiserlichen Residenz in Rom herstellten. Ulysses verfügte über einen speziellen Anrufcode, der es ihm ermöglichte, alle untergeordneten Dienststellen zu umgehen und direkt mit dem Kaiser zu sprechen.

Nach kurzer Verzögerung hörte Ulysses eine sehr leise, weit entfernte Stimme sagen: »Hallo? Sekretariat des Kaisers. Wer ist dran?«

Marcus Ulysses nannte seinen Namen, und sofort wurde die Stimme am anderen Ende der Leitung freundlicher. »Hallo, Marcus. Schön, dich zu hören. Ich hoffe, bei euch ist alles in Ordnung. Ich stelle dich direkt zum Kaiser durch.« Marcus lächelte Julia selbstzufrieden zu. Sie füllte sein Whiskyglas mit Sodawasser auf.

Kurz darauf drang die tiefe, humorvolle Stimme von Lucius Prometheus Petronius an sein Ohr. Im Hintergrund war Musik, kreischendes Gelächter und Wasserspritzen zu vernehmen. »Marcus, du alter Schafeschänder. So spät noch auf? Ich dachte, ihr Hafergrütze essenden Nordländer müsstet schon um sieben im Bett sein.«

Marcus legte die Hand über die Sprechmuschel und flüsterte: »Er ist jetzt schon angesäuselt.« Julia, die nahe bei ihm stand, verdrehte die Augen.

»Also, was kann ich für dich tun? Geht's um Dienstliches? Oder ist dies ein rein freundschaftliches Palaver?«

»Ein bisschen von beidem«, erwiderte Marcus diplomatisch. »Wir haben heute den alten Tripontifex eingeäschert.«

»Gut. Dabei gab's doch wohl keine Probleme, wie ich annehme. Der alte Mistkerl ist doch nicht etwa plötzlich wieder auferstanden, von seiner Totenbahre gehopst und hat angefangen, nach Gerechtigkeit zu schreien oder so?«

»Nein, nichts dergleichen. Solche Sachen passieren in Britannien nicht. Das überlassen wir alles euch überspannten Latinern.«

»Auch bei uns geschehen derzeit nicht viele Wunder. Eigentlich wird's allmählich schon ein bisschen langweilig. Also, um was geht's?«

Marcus holte tief Luft. Er hatte das Gespräch eigentlich gar nicht richtig vorbereitet, und jetzt fischte er plötzlich im Trüben. »Na ja, während der … ähm … Feier, hat sich einer der jungen Caesars an mich gewandt, genauer gesagt: Gnaeus Marmellius, und ich glaube, er hat auch im Namen der anderen Familien gesprochen. Es beunruhigt sie, dass ich zu deinem Statthalter ernannt worden bin. Und jetzt möchten sie Einzelheiten über deine Pläne wissen. Das Gerede darüber, dass der Wald abgefackelt werden soll, hat alle in helle Aufregung versetzt.«

»Und weiter?«

»Was weiter?«

»Was hast du ihnen gesagt?«

»Eigentlich gar nichts. Ich habe um den heißen Brei herumgeredet. Ich habe Gnaeus Marmellius gesagt, er solle abwarten, bis sich die Lage wieder beruhigt hat. Und dass er mir vertrauen soll.«

Lucius platzte so laut mit einem Lachen heraus, dass es den alten Ulysses fast taub machte. Als er wieder zu Atem kam, sagte der Kaiser: »Das ist immer ein guter Schachzug. Die große Lüge. Verschafft einem zeitlichen Aufschub und bringt den Feind aus dem Konzept. Die meisten Menschen möchten nämlich gern an die Wahrheit glauben, weißt du. Das ist eine große Schwäche. Weise Männer wie du und ich wissen längst, die einzige Wahrheit besteht darin, dass alles Lüge ist, folglich kann man uns auch nie hinters Licht führen. Also: Wie lange, glaubst du, werden sie noch stillhalten? Oder bereiten sie schon eine Verschwörung vor?«

»Es wird Gerede geben.«

»Das gibt es immer. Aber inwieweit ist das ernst zu nehmen?«

»Ich glaube, wenn wir ihnen etwas über die Pläne erzählen würden …«

»Dann hätten wir es unverzüglich mit Aufruhr zu tun, gefolgt von einem regelrechten Aufstand.« Es trat eine lange Pause ein. Als der Kaiser wieder sprach, hatte sich seine Stimme ganz leicht verändert, es schwang eine Drohung mit. »Du lässt mich doch wohl nicht im Stich, oder, Marcus?«

»Nein, nein«, erwiderte Marcus Ulysses hastig. »Es ist nur so, dass …«

»Gut. Du weißt doch, ich habe dich nur deshalb zu meinem Statthalter ernannt, weil du ein absoluter Mistkerl bist, genau wie ich. So korrupt, wie man nur sein kann, ohne jede Integrität, ohne Skrupel, die dazwischenfunken könnten. Ein Realist. Hab ich recht?«

»Ähm … na ja … ja«, sagte Marcus unsicher.

»Allerdings mit gewissem Glanz und Charisma, das muss man sagen. Gar nicht zu reden von deiner spontanen Großzügigkeit und einem jungenhaften, schönen Humor, der gut zu deinem eindrucksvollen Profil passt.« Die Stimme des Kaisers klang wie Seide, über die ein Messer streicht. Marcus atmete auf. »Und all das macht dich ganz unwiderstehlich und zu einer recht tödlichen Waffe. Fast so tödlich wie ich selbst. Der Unterschied besteht nur darin, dass ich jünger bin als du, schlauer bin als du und letztendlich mehr Macht habe als du. Gibst du mir recht?«

»Ähm … Worauf willst du hinaus?« Marcus versuchte, seine Stimme fest klingen zu lassen.

»Auf folgendes: Falls du mich zu linken versuchst oder die eine Seite gegen die andere ausspielen willst, falle ich so schnell bei euch ein, dass dir nicht einmal mehr Zeit bleibt, dir in die Hose zu machen. Und ich komme nicht nur mit den regulären Soldaten, sondern lasse ein paar von meinen Spezialtruppen aus dem Andenfeldzug los. Du wirst nicht wissen, mit was du geschlagen bist. Ich werde dein Land mit Salz unterpflügen. Ich werde dich langsam über einem Feuer rösten und dann Trismagister übergeben, damit er sich ein Jahr lang an dir gütlich tun kann. Ich werde die Geschichtsbücher umschreiben und deine Familie darin als ein Pack von Hochverrätern auflisten, tja, ich werde sogar die Odyssee neu schreiben, so dass der Name Ulysses nicht einmal mehr erwähnt wird. Drücke ich mich deutlich genug aus?«

Der alte Ulysses nickte, dann räusperte er sich. »Ich höre«, erwiderte er mit heiserer Stimme.

»Aber wenn du mitmachst«, fuhr Lucius versöhnlicher fort, »dann kannst du dich mit den Deinen immer noch in einer mächtigen Provinz verlustieren. Ihr könnt euch dort nach Lust und Laune amüsieren, solange euch die Götter gnädig gesinnt sind. Du hast die Wahl.«

»Wie kann ich dir trauen?«

»Gar nicht. Ist das nicht immer das Paradoxon, mit dem Verräter geschlagen sind?« Der Kaiser lachte. Anscheinend war seine gute Laune wiederhergestellt. »Aber hier hast du zumindest ein Argument, das dafür spricht: Wenn es darum geht, wer mir zu Diensten sein soll, würde ich stets einen unehrlichen Mann wie dich vorziehen. Den Tugendhaften kann man nicht trauen. Sie entdecken ihre Skrupel immer genau dann, wenn es heikel wird.«

»Was soll ich jetzt unternehmen?« Marcus war klar, wie hilflos diese Frage klang. Es stieß ihn selbst ab, wie leicht Lucius Petronius ihn um den kleinen Finger gewickelt und dahin gebracht hatte, wo er ihn haben wollte.

»Mach folgendes: Erzähl den Caesars, den Manaviensis und den übrigen, dass du privat mit mir gesprochen hast. Und zu deiner Freude hast du festgestellt, dass ich große Zuneigung zu Britannien empfinde und es als ein Land bewundere, das die Götter achten – und so weiter und so fort. Sag ihnen, dass hinsichtlich der Schafzucht noch nichts entschieden ist und selbstverständlich nichts ohne vorherige Beratung unternommen wird. Ausgiebige Beratung. Vermittle ihnen den Eindruck, dass ich wütend auf Tripontifex war, als ich die Erklärung abgab, ich würde alle Wälder Britanniens niederbrennen. Ich hätte nur eine Fensterrede für die Versammlung gehalten, weil sie starke Sprüche hören wollte. Die Wirklichkeit werde viel, viel milder ausfallen. Sag ihnen, dass in jedem Fall irgendein kleiner Verlust an Grund und Boden durch Ländereien hier in Italien oder im Westen des Reiches mehr als ausgeglichen wird. Sag ihnen, dass Kaiser Lucius zur Alten Schule gehört: Als Feind ist er gnadenlos, aber zu seinen Freunden ist er milde und nachsichtig. Nein, sag ›nett und liebevoll‹.« Der Kaiser kicherte. »Da hast du's, eine ganze Ladung Pferdescheiße, sie würde den Augiasställen zur Ehre gereichen. Aber hör mir zu, Marcus. Selbst wenn du um unserer Sache willen lügst, vertraue ich dir, unter uns gesagt, an, dass ich wirklich vorhabe, die Wälder Britanniens von Küste zu Küste niederzubrennen. Und ich lasse tatsächlich alle Ländereien bis auf deine beschlagnahmen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Ich glaube schon.« Marcus hatte sich Notizen gemacht.

»Gut. Noch etwas zum Schluss. Ich bin froh, dass du dich von dir aus gemeldet hast. Ich wollte dich am Morgen anrufen. Ich habe nämlich vor, in wenigen Wochen nach Ägypten zu fahren, und würde mich freuen, wenn du mitkommst. Wir können eine kleine Orgie veranstalten. Im Sonnenschein eine Verjüngungskur machen. Ich glaube, du musst dir dein kaltes, feuchtes Land mal aus den Gliedern schwitzen. Mir liegt daran, dass wir beide unser Vorgehen in Britannien sorgfältig vorbereiten, und das möchte ich von Angesicht zu Angesicht erledigen. Damit du deinen misstrauischen Landsleuten diese Reise schmackhaft machen kannst, schlage ich vor, dass du diesen aufgeweckten jungen Caesar zu deinem Stellvertreter ernennst. Diesen Marmeladendings – wie hieß er doch gleich?«

»Marmellius.«

»Ja, den. Ernenne ihn zu deinem Stellvertreter. Sag ihm, ich hätte dich darum gebeten. Und dann gib ihm etwas Wichtiges zu tun. Stell ihn dazu an, eine Bestandsaufnahme des Weines vorzunehmen, der in den letzten Jahren ins Land importiert wurde. Sag ihm, wir glauben, dass Tripontifex dem Reich Steuern vorenthalten, Steuern unterschlagen hat. Das müsste ihn eigentlich ablenken. Setz die Dinge noch heute Abend in Gang. Er wird von deiner Umsicht beeindruckt sein. Gibt es sonst noch was?«

»Ich glaube nicht.«

»Also gut. Träum süß. Hast du irgendwas von deinem Sohn Victor gehört?«

»Bis jetzt nicht.«

»Warum begnadigst du ihn nicht? Gewähre allen Flüchtigen und Verbrechern eine Amnestie. Sei gütig, Marcus. Sorg dafür, dass die Zeit deiner Statthalterschaft als kurzes goldenes Zeitalter in die Geschichte eingeht, als eine Epoche, in der fast so etwas wie Gerechtigkeit geherrscht hat. Du kannst es dir leisten.«

»Ich werde darüber nachdenken«, antwortete Marcus. »Wir sehen uns in wenigen Wochen.«

»Ich freue mich darauf.«

Damit war ihr Gespräch beendet.

Marcus lehnte sich zurück. Er schwitzte, fühlte sich jedoch besser. Julia reichte ihm sein Getränk, das er mit einem Schluck hinunterstürzte. »Na, das war vielleicht ein Gespräch!«, bemerkte er schließlich.

Draußen heulte plötzlich der Wind. Der Rauch zog durch den Schornstein wieder nach unten, so dass Schwaden durchs Zimmer trieben. »Verdammt kaltes Wetter«, sagte Marcus. »Verdammt kaltes Land.« Er streckte die Hände aus, zog Julia auf seinen Schoß und küsste sie. »Pack die Koffer«, sagte er. »In ein paar Wochen machen wir beide Ferien im stinkenden, verdorbenen alten Ägypten. Da können wir unter Dattelpalmen liegen und die heiße Sonne genießen. Ha, vielleicht haben wir sogar Gelegenheit, Florea zu besuchen. Ich hab sie seit Jahren nicht gesehen.« Florea war Marcus Ulysses' älteste Tochter. Sie war mit dem Herrscher über ein kleines Königtum verheiratet und wohnte in einem Palast am Golf von Hammamet, südöstlich von Neu-Karthago.

»Du siehst gleich viel besser aus.«

»Ja. Vielleicht wird doch noch alles gut. Und die Abwechslung wird mir guttun.«

Ehe seine Entschlusskraft ihn verlassen konnte, nahm er unverzüglich Kontakt mit Marmellius auf, der lebhaft und hellwach wirkte.

»Der Zusammenstoß heute tut mir leid«, sagte Marcus gelassen. »Aber ich dachte, du würdest wohl gern erfahren, dass ich gerade mit dem Kaiser gesprochen habe.«

Anhand seiner Notizen gab er Marmellius eine Zusammenfassung des Gesprächs und schloss mit den Worten: »Es ist ausdrücklicher Wunsch des Kaisers, dass du von jetzt an als mein Stellvertreter agierst. Das ist eine Ehre, Marmellius. Du wirst die Geschicke des Landes lenken, solange ich in Ägypten bin.«

Zunächst musste er Marmellius ein bisschen überreden, aber schließlich willigte er ein. »… um den Traditionen meiner Familie Genüge zu tun«, sagte er.

Marcus spürte eine Welle der Erleichterung, als er hörte, wie der Ton des jungen Mannes milder wurde. Er würde am Morgen zur Einschwörungszeremonie nach Eburacum fahren.

»Und wann reist du nach Ägypten ab?«, fragte Marmellius, ohne dass er die Vorfreude darauf gänzlich verhehlen konnte.

»Erst in ein paar Wochen. Erst nach dem Lupercalia-Fest und den Abschlusskämpfen im Kampfdom. Die kann ich mir doch nicht entgehen lassen. Aber mach dir keine Sorgen. Wenn ich aus Ägypten zurück bin, wissen wir, was der Kaiser wirklich vorhat. Dann können wir reden. Wir alle. Wir können nach Herzenslust reden. Bis dahin lass uns weise regieren. Du und ich, Marmellius. Lass uns im Interesse aller einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen.«

3

Colls Lachen

Jenseits der Büsche gelangte Coll an ein Steilufer und blickte ins dunkle, kalte Wasser des Flusses hinab. Es kam ihm so vor, als habe er Coll, Viti oder welchen menschlichen Namen er sich auch geben mochte sich in einen winzigen Lichtfleck zurückgezogen.

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