Der Duft von Sommerflieder - Renate Fabel - E-Book
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Der Duft von Sommerflieder E-Book

Renate Fabel

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Beschreibung

Herz über Kopf: der schwungvoll-freche Roman »Der Duft von Sommerflieder« von Erfolgsautorin Renate Fabel jetzt als eBook bei dotbooks. Das Ticket für die große Liebe oder eine Fahrkarte mitten ins Chaos? Ina hat die Nase gestrichen voll! Die ehemals gefeierte Star-Redakteurin eines Modemagazins scheint neben ihren jüngeren Kolleginnen inzwischen nur noch Luft zu sein. Und auch ihre harmonische Ehe fühlt sich mehr nach Gewohnheit als nach Liebe an. Also krempelt Ina ihr Leben komplett um – für das gewisse Prickeln sorgt dabei der charmante Verleger Martin. Doch wie Ina bald feststellen muss, kommt ein Traumprinz immer mit Kleingedrucktem daher … und Karriere ist auch nicht mehr das, was es einmal war! Ist das größte Glück womöglich dort zu finden, wo sie es am wenigsten erwartet? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der turbulente Roman »Der Duft von Sommerflieder« von Erfolgsautorin Renate Fabel. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 377

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Über dieses Buch:

Das Ticket für die große Liebe oder eine Fahrkarte mitten ins Chaos? Ina hat die Nase gestrichen voll! Die ehemals gefeierte Star-Redakteurin eines Modemagazins scheint neben ihren jüngeren Kolleginnen inzwischen nur noch Luft zu sein. Und auch ihre harmonische Ehe fühlt sich mehr nach Gewohnheit als nach Liebe an. Also krempelt Ina ihr Leben komplett um – für das gewisse Prickeln sorgt dabei der charmante Verleger Martin. Doch wie Ina bald feststellen muss, kommt ein Traumprinz immer mit Kleingedrucktem daher … und Karriere ist auch nicht mehr das, was es einmal war! Ist das größte Glück womöglich dort zu finden, wo sie es am wenigsten erwartet?

Über die Autorin:

Renate Fischach-Fabel (1939 - 2016) wuchs in Bayern auf. Schon als Kind dachte sie sich Geschichten aus und wollte »Gedichterin« werden. Mit 14 Jahren schrieb sie ihren ersten Roman über eine Reise nach Italien. Während ihrer Buchhändlerlehre beim Goldmann Verlag veröffentlichte sie zahlreiche Kurzgeschichten in Tageszeitungen und Frauenzeitschriften, unter anderem in der »Madame«. Dort arbeitete sie schließlich sogar als stellvertretende Chefredakteurin und verfasste viele weitere Romane.

Bei dotbooks veröffentlichte sie auch ihre Romane Zwei Männer sind nicht genug, Ein Kater namens Rasputin, Kater Ludwig und Prinzessin Mizzi.

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Aktualisierte Originalausgabe Juni 2019

Dieses Buch erschien bereits 2016 unter dem Titel Ein später Frühling bei dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der aktualisierten Originalausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/pio3

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95824-775-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Renate Fabel

Der Duft von Sommerflieder

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Ina senkte den Blick. Staunend und gleichzeitig fasziniert starrte sie auf die Parade der dolchartig zugespitzten Schuhpaare, deren nicht weniger spitze Absätze sich um sie herum in den hellgrauen Teppichboden bohrten. Nicht mehr lange, und der Beton würde durchscheinen. Neun Paar Schuhe waren es genau, allesamt zweifellos waffenscheinpflichtig. Mit Schleifchen, ohne Schleifchen, geschlossen oder als Pantolette, zweifarbig, uni, raffiniert perforiert, kokett gefältelt, aus Glatt- oder Wildleder … Wie konnte man so etwas nur tragen? Sie bestimmt nicht, mit ihrem von der Mutter geerbten Ballen – Halux valgus war der medizinische Ausdruck dafür –, der sich von Jugend an angedeutet und dann ab etwa ihrem fünfzigsten Geburtstag (was für ein Geschenk!) kontinuierlich weiterentwickelt hatte. Eine Schande.

Eine Schande? Nein, eigentlich nicht. Es war ein Vermächtnis ihrer Mutter, die ihr ja auch – man musste gerecht sein – die erfreulich faltenfreie Haut und große hellgrüne Augen vererbt hatte. Betrachtete Ina ihren Ballen, dachte sie jedes Mal an die Mutter, genauso wie ihre ebenfalls kontinuierlich breiter werdenden Hände sie an den Vater erinnerten. Dabei waren die langen schlanken Finger einmal Inas Stolz gewesen. Nun, das war lange her. Inzwischen lackierte sie ihre Nägel kaum noch oder höchstens perlmuttfarben, um die Blicke nicht unnötig darauf zu lenken. Und an den Füßen trug sie bequeme sportliche Schuhe. Gott sei Dank waren die sogar in Mode, wenn natürlich längst nicht so wie die scharfen Luxusmodelle von Burberry, Manolo Blahnik, Prada und wie die Designerlabels alle hießen. (Gerade hatte sie einen Artikel über den berühmten Blahnik umschreiben müssen. Mickey, die zwanzigjährige Modeassistentin, kannte seine Vita zwar aus dem Effeff, hatte mit dem Formulieren aber ihre Schwierigkeiten.)

»Die Mode«, verkündete in dem Moment die Chefredakteurin, heute in einem fernöstlich anmutenden Oberteil, das ihr, wie Ina fand, nicht stand, »soll im nächsten Heft durch einen Filmstar kommuniziert werden. Oder besser durch zwei. Wer ist derzeit angesagt? Jennifer Lopez oder …« Sie sah sich fragend in der Runde um.

»Sarah Jessica Parker«, warf besagte Mickey in die Runde. »Oder Madonna. Aber die ist schon uralt.«

Ina zuckte zusammen. Der Hieb hatte gesessen. Auch wenn er nicht mit Absicht ihr gegolten hatte – dazu war Mickey zu gutmütig. Und auch Katja meinte es nicht böse, als sie Kollegin Ina in den altmodisch gerade geschnittenen Jeans und mit Ole-Björns-Pullover lange und nachdenklich betrachtete, um dann »Gisele Bündchen« in die Runde zu werfen. Ina konnte nicht erwarten, dass die ganze Redaktion auf sie, die Seniorin, Rücksicht nahm. Sie war die Außenseiterin, nicht die anderen. Aber zurück zu Gisele Bündchen. Die war doch Model. Hatte sie auch in einem Film mitgespielt?

»Audrey Hepburn«, schlug Ina vor. Höchste Zeit, dass sie auch mal etwas beisteuerte. Noch vor ein paar Monaten hatte sie das oft genug getan, aber inzwischen war sie verunsichert. Betroffenes Schweigen. Hätte sie besser den Mund halten sollen? Ina wurde es heiß. O. B.s Pulli juckte. Der feine English lavender, mit dem sich ihr Mann jeden Morgen kräftig einsprühte, stieg ihr in die Nase. Himmelherrgott, kannte der Nachwuchs Audrey Hepburn nicht? Sabrina, Ariane, Holly Golightly … Sie hatte nun wirklich Modegeschichte geschrieben.

»Sicher, ich bin auch ein Fan von Audrey Hepburn«, erklärte Anke Sawitzki, die Chefredakteurin, überfreundlich. »Leider« – sie klapperte betont mit den stark getuschten Wimpern – »besitze ich nicht ihre Rehaugen. Aber wir sollten uns nicht auf Tote konzentrieren.«

»Natürlich nicht. Aber die heutigen Filmstars sind doch alle Einheitstypen«, brach es aus Ina heraus. »Wer pflegt von denen noch einen eigenen Stil? Entweder kleiden sie sich alle auf die gleiche Art flippig, also mit zerrissenen Jeans und Spitzentops, oder sie laufen für die großen Modeschöpfer Reklame.« Oje, sie hätte Designer sagen müssen. Der Ausdruck Modeschöpfer war megaout. »Wo bleibt denn da die Individualität?«

Genauso, wie ihr keine habt, hätte sie am liebsten hinzugesetzt, ließ es aber sein.

Dabei, fand sie trotzig, hatte sie recht. Eine Kollegin sah wie die andere aus, sie unterschieden sich höchstens noch in Größe und Haarfarbe. Sogar die strähnigen, kunstvoll gegelten Frisuren waren gleich. Eines musste man den jungen Dingern allerdings lassen: Alle waren sie beneidenswert schlank, fast schon knochig. So viele schmale Silhouetten hatte es zu Zeiten von Marilyn Monroe und der Lollo nicht gegeben. (Auch Ina war trotz ihrer früheren Kleidergröße 38 immer schon stabil gebaut gewesen. »Ein fester Brocken«, wie O. B. gern sagte.) War das ein Resultat dieser schrecklichen Bulimie? Oder lag es an der neuen kalorienarmen Küche? Dabei bedienten sich alle (bis auf Ina) fleißig an den Schokotäfelchen, die sich – eine Spende der Beauty-Redaktion – in einer Philippe-Starck-Schale häuften.

»Nun, es gibt da schon Unterschiede.« Anke Sawitzki übte sich heute in seltener Geduld.

Warum ist sie bloß so nett zu mir?, überlegte Ina. Was steckt dahinter, nachdem sie mich ein paar Mal vor versammelter Mannschaft ganz schön fertiggemacht hat? Respekt vor dem Alter oder Mitleid? Ist ja fast noch schlimmer.

»Vanessa Paradis«, machte sie einen letzten Versuch, ohne von ihrem Vorschlag überzeugt zu sein. Aber immerhin kleideten sich Französinnen individueller als das Promivölkchen in Hollywood. Und – was für ein Wunder – die ganze Runde schien einverstanden. Sogar Klaus Köhnemann, der sich aus einer gewissen intellektuellen Arroganz heraus nicht mit Filmsternchen beschäftigte und dessen Interesse bei der »Großmutter« Charlotte Rampling begann, nickte.

»Okay, Vanessa Paradis ist gut. Die nehmen wir. Eignet sich auch blendend für eine Make-up-Studie. Hat nicht eine Parfümfirma sie unter Vertrag genommen? Bitte nachprüfen.« Die Chefredakteurin nickte Silke Sörenby, ihrem blassen Schatten, zu. Die notierte wichtigtuerisch, nickte zurück. »So, das hätten wir. Und jetzt kommen wir zur Kunst.«

Das Zeichen für Klaus Köhnemann. Er setzte sich aufrecht hin, schlug die Beine übereinander, zog die nicht vorhandenen Bügelfalten seiner Cordhose zurecht. »Nun, es gibt in Antwerpen eine Rembrandt-Ausstellung«, schnarrte er in der Manier eines preußischen Rittmeisters herunter. Fehlte nur das Monokel. »Mit weniger bekannten Werken des großen Meisters und einigen seiner Schüler. Sie werden in einen spannenden Vergleich zu zeitgenössischen Bildern gestellt.« Er wirkte zufrieden. Die Chefredakteurin schaute erschrocken. »Ist Rembrandt nicht ein bisschen sehr uralt?«, fragte sie vorsichtig. »Natürlich, er ist ein Klassiker, aber unsere Leserinnen …«

»Ich sprach doch genauso von aktuellen Künstlern.« Köhnemann betonte jedes einzelne Wort. »Diese Sichtweise ist völlig neu. Aber bitte, wenn Ihnen das Thema nicht gefällt, werde ich mir etwas anderes überlegen. Da hätten wir Jeff Koons …«

»Über den habe ich gerade in Maxi-Style gelesen. Zwei Doppelseiten im letzten Heft. Den können wir vergessen. Gut, nehmen wir Rembrandt. Nur müsste der Artikel diesmal besonders zeitgeistig geschrieben sein, so richtig flott. Von dem ›Mann mit dem Goldhelm‹ zum Beispiel will ich kein Wort hören.«

Klaus Köhnemann schloss gequält die Augen. »Frau Sawitzki …« Er machte eine Pause. »Habe ich Sie schon einmal enttäuscht?« Das klang provozierend und gleichzeitig wie ein Flirt.

»Natürlich nicht.«

Ina staunte. Wie schaffte es der auch nicht mehr blutjunge Kollege (er war Vater eines erwachsenen Zwillingspärchens), seine Vorschläge immer wieder durchzusetzen? Ihr gelang das nur äußerst selten. Und warum? Weil sie sich für alles, was sie sagte, im selben Augenblick entschuldigte. Mit leiser Stimme sprach und dabei schüchtern lächelte. So verkaufte man sich nicht.

Und auf das sich Verkaufen kam es heute allein an. Darauf, und nicht auf Können und Erfahrung. Wieder brach ihr der Schweiß aus. (Dabei hatte sie die Wechseljahre längst hinter sich.) Sie brauchte jetzt unbedingt ein Glas Wein oder einen Prosecco. In ihrem Büroschrank hielt sie ein paar Miniflaschen von beidem versteckt, aber die konnte sie unmöglich mit in den Konferenzsaal schleppen, selbst wenn sie die Runde großzügig dazu einlud. Im Nu hätte sie den Ruf einer Trinkerin weg. Gut, die anderen hatten genauso Durst, aber sie hockten brav vor Riesengläsern mit Mineralwasser aus dem Automaten im Gang, einige hatten sich einen Kaffeebecher dazugestellt. In dieser überjüngten Redaktion wurde kein Alkohol getrunken. Ein eisernes Gesetz.

Was waren das für goldene Zeiten gewesen, als immer eine geöffnete Sektflasche im Eisschrank stand! Für den Allgemeingebrauch bestimmt oder für die, die es nötig hatten. Moderedakteur Hänschen Graupke hatte das damals eingeführt. Das liebe Hänschen. War auch schon tot, genau wie Audrey Hepburn, Rembrandt und Graupkes angebetete Marlene Dietrich. Himmel, hatte Ina Durst! Ohne einen beziehungsweise einige kräftige Schlucke würde sie die Themenkonferenz nicht überstehen. Sie blinzelte zu Doro, der Schlussredakteurin, hinüber, hob ein imaginäres Glas an die Lippen. Doro lächelte und schob der Kollegin ihr Wasserglas zu. Die Gute. Sie wollte Ina immer behilflich sein. Folgsam nahm die einen Schluck.

»Also, Rembrandt. Ja, warum eigentlich nicht? Macht uns irgendwie seriös. Und nun kommen wir zum Food-Bereich. Was steht dort auf dem Programm?« Anke Sawitzkis Stimme klang leicht gereizt. Mit Ferdinand Höre, dem verantwortlichen Redakteur, stand sie seit einiger Zeit auf Kriegsfuß. Niemand verstand genau, warum. Er tat seine Pflicht, war morgens der Erste und abends der Letzte in der Redaktion, nahm seinen Urlaub nur häppchenweise. Und so schrecklich alt war er auch noch nicht, knapp über vierzig. Vielleicht, überlegte Ina, weil er genauso wie Doro, Köhnemann und sie selbst zur alten Truppe gehörte. Neue Chefs wollen neu anfangen, mit Leuten ihrer Wahl, die ihnen schon allein deshalb zu Dank verpflichtet sind. Aber Köhnemann hatte sich auch durchgesetzt. Was machte Ferdinand Höre also falsch? Peu à peu hatte man ihm, genauso wie ihr, absichtlich oder unabsichtlich das Rückgrat gebrochen. Und auch er hatte sich nicht gewehrt.

»Ich dachte für das Juniheft an Sommerpartys«, las Ferdi Höre von seiner Liste ab. »Mit leckeren Bowlen und leichten Salaten. Man könnte vielleicht auch …«

Die Chefredakteurin verdrehte genervt die Augen. »Leichte Salate. Wenn ich das schon höre! Vielleicht auch der berühmte Nudelsalat aus den Siebzigern? So was können Sie den Leserinnen von Mode & mehr beim besten Willen nicht vorsetzen. Die verbringen ihre Ferien in den Hamptons oder in Luxusherbergen an der Côte d’Azur, wo man ihnen das Allerfeinste serviert. Und da kommen Sie mit hausgemachten Salaten! Unmöglich!« Ihre Stimme hob sich. Am liebsten hätte sie wohl gebrüllt. »Und was Ihre Bowlen betrifft …«

»Die sind wieder groß im Kommen«, warf Ina mutig ein. Sie fand, es war an der Zeit, dem Kollegen beizustehen. Außerdem – hatten O. B. und sie nicht letzten Sonntag bei den Mühlichs Waldmeisterbowle getrunken? Ina hatte dies nostalgisch gestimmt, obwohl sie insgeheim einen eisgekühlten Chardonnay vorgezogen hätte.

Anke Sawitzki überhörte Inas Anmerkung einfach. Ina hatte anscheinend ein weiteres Mal bei ihr verspielt. Die Chefredakteurin redete von Fingerfood und Löffelfood (was war das eigentlich?) und dem Trend der kreolischen Küche. Und da sie zu erbost war, um sich auf der Stelle zu entscheiden, wurde der Food-Redakteur beauftragt, mit neuen – »super hippen« – Vorschlägen bei ihr anzutanzen. »Spätestens morgen früh.«

Die Konferenz war beendet. Alle, die sich unentbehrlich vorkamen, blieben in Reichweite ihrer Chefin, die anderen zogen ab. Brav trug Ina ihren Stuhl ins Sekretariat zurück, wo sie ihn sich ausgeliehen hatte. Frau Ruckdeschl, die Sekretärin, sah seelenruhig zu. Sie war erst seit vier Monaten in der Redaktion, kannte Ina van Bergh nicht aus alten, besseren Zeiten. Für die Fünfundzwanzigjährige war sie nichts weiter als eine Antiquität.

»C’est la vie«, murmelte Ina vor sich hin, auf dem Weg zu ihrem Büro. Büro? Besenkammer wäre zutreffender gewesen für diesen heißen, engen Schlauch. Täglich trafen neben den neuesten Prospekten gewaltige Kartons mit Büchern ein, die sie zu begutachten und gegebenenfalls zu rezensieren hatte. Aus dieser Menge eine Auswahl zu treffen, war allein vom Platz her fast unmöglich. Auf ihrem halbmondförmigen Arbeitstisch stand neben dem Computer (der älteste im Verlag) eine Lampe mit Wackelkontakt, eine verstaubte mechanische Schreibmaschine (jahrelang hatte Ina ihre Artikel darauf geschrieben, jetzt brauchte sie sie gelegentlich noch für einen Brief) und eine noch verstaubtere Schale mit angeknabberten Bleistiften. Da konnte sie ja nicht mal drei Bücher ordentlich nebeneinander ausbreiten!

Arbeitsraum gab es überhaupt zu wenig in der Redaktion. Wichtiger war, die vielen Kleider und Accessoires für die Modeproduktionen akribisch in Schränken und Kammern unterzubringen, das Gleiche galt für Cremes und Parfüms. Anke Sawitzki hatte zwei Tage nach ihrem Erscheinen der dienst- und auch sonst ältesten Redakteurin diesen lächerlichen Raum zugewiesen. Allerdings mit dem Zugeständnis, dass Ina sich im Gegensatz zu ihren Kollegen nicht streng an die festen Bürozeiten halten musste.

»Ich genehmige Ihnen da eine gewisse Freiheit.« Die Ina – wenn schon, denn schon – auch großzügig ausnutzte. O. B. wunderte sich immer wieder, dass seine Frau gegen acht Uhr noch im Bett lag und gähnend abwinkte, wenn er ihr vorschlug, allmählich mal übers Aufstehen nachzudenken.

»Wohin soll ich so eilig? In meine Besenkammer? Heute soll es an die dreißig Grad heiß werden. Wenn ich das Bürofenster öffnen will, muss ich unter dem Schreibtisch durchkriechen. Mein Gewicht hält er nämlich nicht aus. Für eine Seniorin eine ganz schöne Zumutung.«

Worauf O. B. stets seine Stirn in Falten legte, um seiner Frau dann vorzuschlagen, demnächst persönlich in der Redaktion aufzutauchen und sich die Verantwortlichen vorzuknöpfen. »Die kriegen von mir in sämtlichen Details zu hören, was ich von ihnen halte – und von ihrem Verhalten dir gegenüber sowieso. Ich« – er hob drohend den Zeigefinger – »habe nämlich im Gegensatz zu dir keine Angst vor deinen sogenannten Chefs. Aber du hast mir ja verboten, den Verlag zu betreten. Und vor dir habe ich Angst.«

Mindestens zweimal pro Woche wiederholte sich die Szene so oder so ähnlich. O. B., der liebenswerte Mann von vorgestern. Der zufrieden in seiner eigenen Welt lebte, nach wie vor die schönsten Tieraufnahmen machte und von der modernen Leistungsgesellschaft nichts wissen wollte. »Die geht mich nichts an. Gott sei Dank.« Liebevoll retuschierte er das Foto eines Storchennests mit fütternder Störchin. Dahinter zeigte sich ein Himmel mit groteskem Wolkengebilde. »Interessiert mich auch nicht. Und meine Kunden denken zum Glück genauso. Sonst hätte ich längst meine Leica beiseitelegen und gegen so eine idiotische Digitalkamera oder wie die Dinger heißen, austauschen müssen. Aber ich verdiene auch auf die herkömmliche Art noch gutes Geld. Sehr gutes Geld.« Immer die gleichen Worte, die gleichen – nicht unbedingt fairen – Argumente.

Auf O. B.s Einwand, wenn Inas Lage so unerträglich sei, solle sie den Job doch aufgeben, sie würden es auch so schaffen, schüttelte sie nur den Kopf. Nein, so einfach gab sie nicht auf. Warum auch? Da hatte sie schon andere Krisen überwunden.

Ina war jetzt vierundfünfzig, und sie hatte sich vorgenommen, bis zur Rente – vorgezogen oder nicht – zu arbeiten. Selbst wenn man ihr eine Abfindung anbot, würde sie ablehnen. Sie brauchte ihre Arbeit, liebte sie. Der lang geplante Roman musste noch warten. Auch wenn es ihr oft in den Fingern kribbelte, endlich damit anzufangen – einen weiteren Stress vertrug sie im Augenblick nicht. Außerdem – wer sollte ihr eine Abfindung anbieten? Die Zeiten waren hart, mit Geld warf man nicht mehr so leichtfertig um sich, lieber nahm man eine (wohlwollend ausgedrückt) erfahrene, in Wahrheit aber längst überfällige Mitarbeiterin in Kauf. Also musste sie sich durchbeißen, und das würde ihr auch gelingen.

Das war heute wieder ein hartes Stück Arbeit gewesen. Hastig köpfte Ina hinter der halb geöffneten Schranktür – damit war der Eingang zu ihrem Büro versperrt – einen lauwarmen Piccolo und goss sich den Inhalt in den Mund. Oh, das belebte! Gleich noch einen hinterher. Allerdings war die erste Flasche im Schrank umgekippt und hatte ihr beim Öffnen den Pullover vollgespritzt. English lavender und Aldi-Sekt – eine aparte Mischung. Leicht benebelt griff sie zum Telefon. Hoffentlich hielt O. B. nicht schon seinen Mittagsschlaf. Dabei wünschte er nämlich nicht geweckt zu werden.

Nein, er saß noch bei seinem Kaffee, freute sich über ihren Anruf. »Na, wie ist es gelaufen? Hast du mit deinen brillanten Ideen wieder mal alle in den Schatten gestellt?« Er meinte das nicht spöttisch. O. B. besaß eine so hohe Meinung von seiner Frau.

»Von wegen! Eher das Gegenteil. Als ich den Namen Audrey Hepburn in die Runde warf, ist die Chefin fast ausgeflippt.«

»Vielleicht wäre Katherine Hepburn besser gewesen.«

Die stammte ja aus einer noch früheren Generation. Typisch Ole-Björn. Er verstand mal wieder gar nichts. Trotzdem tat es gut, seine Stimme zu hören. Wie schön, dass wenigstens zu Hause alles in Ordnung war und der Ehemann sich – und hoffentlich auch ihr – treu blieb. Wenigstens einer, der nicht auf stylish, hip, zeitgeistig oder angesagt tat, sondern die Dinge nach altbewährter Weise beurteilte. Ein solider Fels in dieser verrückten Welt. Anders hätte Ina das auch nicht ausgehalten. Sie wechselte das Thema.

»Was möchtest du heute Abend essen?«

»Ich dachte an Leber- und Blutwurst. Haben wir lange nicht gehabt. Als Nachtisch wäre Schokoladenpudding schön.« Es klang sehnsüchtig.

»Und ich, mein Lieber, habe mich schon so auf Löffelfood gefreut.« Mit diesen Worten legte Ina auf.

Kapitel 2

Ina kam oft ins Grübeln, meist in den wenigen ruhigen Momenten, die ihr die Arbeit und sonstige Verpflichtungen ließen. Und am liebsten unter der Dusche. Wo sind bloß all die Jahre geblieben? Alles ging so schnell, dachte sie dann. Gerade noch war sie die flotte Biene mit den langen glatten Beinen, die schon im Mai nach Italien fuhr, um dort die Modemärkte leer zu kaufen und daheim dann sämtliche Freundinnen mit ihrer Sonnenbräune zu ärgern. Deren Röcke nicht kurz und Jeans nicht eng genug sein konnten und für die es selbstverständlich war, dass jeder einigermaßen normale Mann Notiz von ihr nahm. Die das aber nicht ausnutzte, o nein, sicher nicht. O. B. und Clarissa standen bei ihr immer an allererster Stelle und die Arbeit sowieso. Aber natürlich genoss sie es, bewundert zu werden, mitten im Leben zu stehen, überall ein wichtiges Wörtchen mitzureden.

Und heute? Nachdenklich sah sie an sich hinunter, immer noch fast durchgehend sonnengebräunt, immer noch mit langen (durch das Reiten), relativ glatten Beinen, aber eben auch mit kleinen Dellen da und dort. Manchmal waren sie kaum sichtbar, dann wieder sehr. Das lag nicht nur am Licht, das lag auch an ihrer körperlichen Verfassung. Ob sie zum Beispiel wieder mal ein paar Gläser Wein zu viel getrunken und zu lange auf ihrem Bürostuhl gehockt hatte (neuerdings mit abgebrochener Armlehne, und keiner machte Anstalten, sie zu reparieren). Und dann war da dieses verdammte Östrogen, das Ina seit einigen Jahren nahm. Okay, es hielt die Haut einigermaßen faltenfrei, weil es Wasser speicherte – »ich sehe jeder Frau, die meine Praxis betritt, auf den ersten Blick an, ob sie Östrogen nimmt oder nicht«, hatte ihr Frauenarzt kürzlich stolz verkündet –, aber das Wasser war eben unregelmäßig verteilt. Und schlug heftig aufs Gewicht. Morgens hatte Ina manchmal den Eindruck, es steige bis in den Kopf hinauf und ließ ihre Lider doppelt anschwellen.

Am schlimmsten aber war der Bauchansatz. Hing wie bei einem kastrierten Kater leicht herunter, zwang einen, permanent den Bauch einzuziehen. Hatte das immer noch mit Clarissa zu tun? Aber die Geburt lag doch beinahe dreiundzwanzig Jahre zurück! Allerdings war Ina eine für damalige Verhältnisse Spätgebärende gewesen, schon über dreißig. Auch das hatte sich, wie so vieles andere, inzwischen gewaltig verändert. Heute brachten nicht wenige Frauen ihr erstes Kind mit vierzig zur Welt. Und waren ein paar Wochen nach der Geburt wieder spindeldürr. Gerade hatte Ina das bei einer Kollegin von der Beauty-Redaktion erlebt. Auch die Schwangerschaft wirkte bei Jennifer wie ein Riesenspaß. Stolz hatte sie ihren Bauch mit immer neuen Stretchteilen betont, ihn, wenn es ihr zu heiß war, auch einfach mal freigelegt. »Toll«, sagte die Sawitzki, und Ina hatte ihr feige zugestimmt. Bloß nicht zugeben, was man wirklich dachte. Nämlich: »Ist das peinlich!«

Wütend drehte sie das kalte Wasser auf. »Eine eiskalte Dusche ist das A und O für einen erfolgreichen Tag«, lautete einer von O. B.s Lieblingssprüchen. Was Sprüche und Lebensweisheiten anging, war Inas Ehemann Meister. Er wiederholte sie gern und oft, und es kamen nie neue dazu. Hörte Ina deshalb kaum mehr hin? Die eiskalte Dusche jedenfalls ließ sie immer öfter weg. Dabei straffte sie bei regelmäßiger Anwendung nachweislich die Haut, auch der Bauch profitierte davon. Also die Zähne fest zusammenbeißen, wenigstens für ein paar Sekunden. Ohne ständige Torturen und immer neue Beweise von Selbstdisziplin ging in ihrem Alter gar nichts mehr. Und da Ina heute ihre masochistische Ader hatte, griff sie auch noch nach dem reibeisenharten Massagehandschuh, rubbelte sich von oben bis unten damit ab. Hmmm, das tat sogar gut. Hinterher würde sie sich mit Babyöl einreiben.

Aber erst mal zur Belohnung wieder warmes Wasser. Ina schloss die Augen, begann zu träumen. Natürlich von ihrer großen Zeit, den goldenen Jahrzehnten bei Mode & mehr (damals noch Annette), als das Magazin von einem milden alten Chefredakteur geleitet wurde. Ja, Peterich war wirklich alt gewesen, Ende sechzig, und niemand hatte das seltsam gefunden. Im Gegenteil, alle hofierten ihn, hatten Respekt vor dem, was er geleistet hatte. Ein Zeichen seiner Souveränität: Er redete seinen drei jungen Redakteurinnen kaum in ihre Arbeit hinein. Hauptsache, sie wurde ordentlich gemacht. Und das wurde sie. Aber der Redaktionsalltag bestand eben damals nicht nur aus Redigieren, Formulieren, Diskutieren, Stress total, Dauerdruck. O nein. Für das Leben blieb auch noch Zeit. Man zankte und vertrug sich, man lachte oft miteinander, so übermütig und laut, dass die Kollegen auf der anderen Seite des Gangs neidisch wurden, man ging gemeinsam shoppen, zum Essen, Skifahren, auf Faschingsbälle. Dort lernte Ina als Außerirdische »à la Courrèges« einen damals schon grau melierten Trapper mit dem nordisch nostalgischen Namen Ole-Björn van Bergh kennen. Sein Oberlippenbart kitzelte sie beim ersten Kuss (später gewöhnte sie sich daran), dafür leuchteten seine nougatbraunen Augen warm wie ein Kaminfeuer (das taten sie heute noch). Zwei Jahre später heirateten sie, ein paar Jahre später kam Clarissa auf die Welt, nougatäugig und von gemäßigtem Temperament wie der Papa. Damals erfuhr Ina das erste Mal, was Stress war. Sie wollte mit aller Macht die beste Mutter der Welt sein und gleichzeitig weiterhin eine gute, nein, eine sehr gute Redakteurin. (Und dann gab es ja auch noch O. B.) Wäre ihre Mutter nicht gewesen, hätte Ina das alles nie geschafft. Aber die Mutter, gerade verwitwet, nahm sich eine Wohnung in der Nachbarschaft, entwickelte sich zur Superoma. Sogar ihrem Hobby, dem Reiten, konnte Ina weiterhin nachgehen.

Und dann verabschiedete sich Peterich eines Tages doch in den Ruhestand, und die schöne Claudia Dahmen übernahm die Leitung der Redaktion. Sie war mit dem Mann verheiratet, dem die Zeitschrift inzwischen gehörte. Mit Claudia verstand sich Ina auf Anhieb. Zwischen beiden Frauen entwickelte sich fast so etwas wie eine Freundschaft. »Was gerade bei Frauen im Arbeitsverhältnis ausgesprochen selten ist«, hatte O. B. immer wieder hervorgehoben. »Vor allem, wenn beide im gleichen Alter sind und, was ihr Aussehen und ihre Intelligenz betrifft, auf demselben Niveau. Liebling, du hast wirklich Glück.«

Was Ina wusste und wofür sie dankbar war. Aber vielleicht nicht genug? »Nichts im Leben ist umsonst« lautete einer ihrer Lieblingssprüche (ja, auch sie hatte welche, nur viel weniger als ihr Mann), und heute musste sie für die vielen schönen Jahre eben bezahlen. Dabei – warum hätte es zwischen Claudia und ihr auch Schwierigkeiten geben sollen? Ina gönnte der Chefin ihre bevorzugte Stellung von ganzem Herzen, genauso wie den reichen Ehemann. (Nur Claudias grazile Figur betrachtete sie manchmal mit einem Anflug von Neid. Wie machte sie das bloß?) Dafür besaß sie ihre zahlreichen Bücher, die Leidenschaft fürs Reiten und natürlich das geliebte Duo Ole-Björn/Clarissa, das sie für nichts in der Welt eingetauscht hätte. Und ihre Chefin drückte nachsichtig ein Auge zu, wenn Ina später in die Redaktion kam, weil Clarissa mal wieder Fieber hatte oder sie nachmittags zur Elternsprechstunde musste.

Man schrieb die Achtzigerjahre. Die Wirtschaft boomte, und Mode & mehr erlebte einen rasanten Aufstieg. Alle wollten in dem Glanzblatt ihre Edelprodukte (als Annonce) oder wenigstens sich selbst (in der Society-Rubrik) abgebildet sehen. Die Zeitschrift veranstaltete in München Pariser Modenschauen, bei denen Ina neben der Chefin repräsentierte, außerdem Sommerbälle der Extraklasse, für die sich Ina jedes Mal ein neues Designer-Abendkleid auslieh. (O. B. hatte es inzwischen zu einem Smoking gebracht.) Bei der Frankfurter Buchmesse war es dann sie, die Claudia Dahmen in die wunderbare Welt der Bücher einführte. Beide teilten sich ein Zimmer im noblen Frankfurter Hof, machten bei Verlagsfesten die Nächte durch und entdeckten nebenbei die neuesten literarischen Trends. In der Zeit entstand bei Ina auch der Wunsch, eines Tages selbst ein Buch zu schreiben.

Unvergessliche Zeiten. Bis Claudia Dahmen eines Tages fand, es sei für sie Zeit, zurückzutreten. Das hatte mit ihrem Privatleben zu tun, aber auch mit ihrem klaren Blick für die Lage der Dinge. Ihr Mann war inzwischen nicht mehr Besitzer und auch nicht mehr Geschäftsführer der Zeitschrift, ein Jüngerer drängte nach vorn und mit ihm ein ganzes Team von Newcomern. Sollte sie sich diesen Stress antun? Nein. Ina aber tat ihn sich an, und damit hatte das Dilemma begonnen.

Wütend griff sie jetzt nach ihrem apricotfarbenen Bademantel, hüllte sich fest darin ein. Im sanften Licht der Badezimmerbeleuchtung, das Gesicht gestrafft von der eisigen Dusche, das kurze weißblonde Haar feucht zurückgekämmt, sah sie immer noch ganz annehmbar aus. Vielleicht sogar sexy – Ina enthüllte kokett ein Bein –, hätte es noch das alte abenteuerliche Funkeln in ihren Augen gegeben. Aber das war eben auch besagtem Dilemma zum Opfer gefallen. Man hatte sie gedemütigt, ihr das Rückgrat gebrochen. Dabei – was hatte sie eigentlich verbrochen? War in Amt und Würden älter geworden. Na und?

Ina würde nie den Morgen vergessen, als drei schwarz gekleidete Damen mit blassen, wichtigen Mienen durch den mit großen Modefotos dekorierten Gang stöckelten, um im Zimmer der Chefredaktion zu verschwinden. Dort hatte sich der verbliebene Rest der alten Mannschaft versammelt, alle noch etwas verschlafen, denn der neue Geschäftsführer hatte ungewohnt frühzeitiges Erscheinen befohlen. »Schlag neun Uhr. Keine Minute später.«

Gläser mit Prosecco waren auf Tabletts verteilt. Kein Champagner, die neue Sparsamkeit hatte bereits eingesetzt. Gut, dagegen gab es nichts zu sagen. Ina wollte gerecht sein. Schlimmer war das, was dann geschah. Kuno Irdahl, der Geschäftsführer, löste sich aus der müden Menge, begrüßte überschwänglich das neue Trio, das ab sofort an der Spitze der Redaktion stehen würde. Ina, die sich mit ungewohnter Schüchternheit hinter dem schlaksigen Klaus Köhnemann versteckte, musterte die drei. Alle fünfzehn, zwanzig Jahre jünger als sie, und alle sahen sich zum Verwechseln ähnlich. In schicken Prada- oder Gucci-Klamotten, deren Horrorpreis man erst beim dritten oder vierten Blick erkannte, alle mit wild entschlossenem Blick, die pomadige Truppe aufzumischen, alle mit professionell getöntem Haar (keine Eigenfabrikation wie bei Ina) und alle mit fast bodenlangem Rock. Hatten sie Angst, ihre Beine zu zeigen? Die links außen Stehende, Eileen Huth, wie sie vorgestellt wurde, anscheinend schon, denn ihre Figur verbreiterte sich von der Taille abwärts deutlich. Bei Anke Sawitzki und Silke Sörenby war die Figurensituation unklarer. Dick waren sie auf keinen Fall, aber wie stand es um die Beine? Stramme Waden, oder was? Ina würde sich, was kurze Röcke betraf, in Zukunft zurückhalten müssen. Wenn man schon die Älteste war, hatte man nicht das Recht, zu provozieren. Die neue Generation war da gnadenlos.

Kuno Irdahl – auch nicht mehr taufrisch, aber mit einer jungen Geliebten, was ihm etliche Bonuspunkte einbrachte, außerdem war er der Geschäftsführer – erhob seine ölige Stimme. Er begrüßte die Neuen, von deren Einsatz er sich Erhebliches erhoffte, sprach von der schwierigen Wirtschaftslage, schwenkte sein Glas. »Auf einen erfolgreichen und, wie ich meine, längst überfälligen Neuanfang.« Ruhte sein Blick dabei auf Ina? Unruhig verlagerte sie ihr Gewicht auf den linken Fuß. »Prost.« Von der alten Mannschaft kein Wort. Ein anerkennendes schon gar nicht. Ihre Aufgabe war es, wenn man überleben wollte, sich mit der neuen schnellstens zu arrangieren. Was einige von ihnen mit Sicherheit tun würden. Vielleicht hatten sie ja recht, Anpassung gehörte heute zum Job, war unerlässlich. Nur Ina stellte sich stur. Zählte ihre Erfahrung denn gar nichts? Und all die über Jahrzehnte aufgebauten Kontakte? Ina van Bergh besaß in der Branche einen gewissen Namen, man las ihre Artikel und Buchkritiken, ihr Urteil galt etwas. In diesem Augenblick fühlte sie sich – vielleicht auch durch den Prosecco – noch stark, nahm sich vor, sich zu behaupten.

Diesen Vorsatz einzuhalten, wurde von Woche zu Woche schwerer. Okay, anfangs war Anke Sawitzki betont freundlich zu ihr – man konnte auch sagen, rücksichtsvoll –, bezog ihre älteste Mitarbeiterin in die meisten ihrer Entscheidungen ein, aber das hielt nicht lange an. Die drei langen schwarzen Röcke waren es, die bestimmten. Laut klagten, wie hoffnungslos veraltet die Zeitschrift war, ein Gespött der Konkurrenz, was wohl vor allem an Claudia Dahmen gelegen hatte. Und an deren engster Mitarbeiterin? Ina spürte den unausgesprochenen Vorwurf.

Von einem Tag zum anderen wurde alles megajung. Die Gesellschaft hatte sich verändert, würde sich weiter und immer schneller verändern. Wer überleben wollte, musste darauf reagieren.

Nur – so einfach war das auch wieder nicht. Täglich kündigten Abonnenten, die ihre geliebte Zeitschrift nicht wiedererkannten, neue kamen kaum hinzu. Die Verantwortlichen (inzwischen kombinierten sie eine Art Gehrock zu ihren Trauerröcken) weigerten sich, davon Kenntnis zu nehmen. Nur die Atmosphäre wurde noch angespannter.

Und dann kam der Moment, als man Ina in die Besenkammer abschob. Mit der Begründung, man brauchte ihr schönes Büro – es lag neben dem der Chefredakteurin – für wichtige Besprechungen. Ein gewaltiger Schlag. Ina lehnte sich gegen die fleckige Wand, ballte die Fäuste. Damit hatte sie niemals gerechnet. Sollte sie kündigen, alles hinschmeißen? Dabei hielt sie, wie sie fand, inzwischen ganz gut bei dem neuen Tempo mit, schlug sich tapfer. Und jetzt das!

Andererseits besaß Anke Sawitzkis Vorschlag, ihre Arbeitszeit als Ausgleich für das Minibüro in Zukunft etwas lockerer zu gestalten, auch seine Vorteile. Die besten Reitstunden fanden um neun Uhr vormittags statt, dann, wenn die anderen gestresst ihren Computer hochfuhren und Silke Sörenby zu ihrem Kontrollgang ansetzte. Derweilen konnte sie, Ina, auf ihrem Abelard oder ihrer Mimosa alles vergessen. War das nicht einen Kompromiss wert?

Kapitel 3

Einunddreißig Jahre bei derselben Zeitschrift, siebenundzwanzig Jahre mit demselben Mann und über ein Vierteljahrhundert denselben Reitstall – Flatterhaftigkeit konnte man Ina wirklich nicht vorwerfen.

Die Sache mit dem Reitstall war wirklich ein Glücksfall. Viele Reiter und vor allem Reiterinnen waren im Laufe der Jahre gekommen und wieder gegangen, nur die Gruppe um Ina machte unermüdlich weiter. Stieg regelmäßig zweimal pro Woche aufs Pferd, um im Winter in der Halle, im Sommer in den Isarauen ihre Runden zu drehen. Keine müden Spazierrunden, o nein, sondern schweißtreibende Dressurübungen, kleine und größere Sprünge und – wenn die Bauern ihre Felder freigaben – wilde Galopps. Aus zehn bis zwölf Amazonen bestand die Gruppe, sie hielten wie Pech und Schwefel zusammen.

Nur – auch hier machte die Zeit nicht halt. Plötzlich hatte die hübsche Wilhelmina, die immer lachte und als Einzige Jodhpurs trug, einen eisgrauen Scheitel, und Gertie, die Älteste und gleichzeitig Toughste der Gruppe, wirkte nach einem Ausritt manchmal erschöpft. Bei der üblichen Sektrunde danach war das jedoch schnell vergessen. Man alberte herum, ging die einzelnen Stationen des Ausritts noch einmal durch, trank auf den schönsten Sport der Welt. Und war gleichzeitig erleichtert, dass wieder mal alles gut gegangen war. Was gar nicht selbstverständlich war. Schließlich war fast jede der erfahrenen Reiterinnen schon mehrere Male aus dem Sattel geschleudert oder von einem Pferd sonst wie verletzt worden. Reiten war nun mal riskant, aber früher hatten die Frauen ihre Unfälle auf die leichte Schulter genommen. Hinkten ein paar Tage oder stiegen mit zusammengebissenen Zähnen wieder in den Sattel, um dann wie gewohnt weiterzumachen. Inzwischen war das anders. Die Unbeschwertheit war irgendwie dahin. Natürlich, wenn der Wind durch die Haare fuhr und Reitlehrer Arnold die Hand hob, um einen Galopp anzukündigen, stieg in Ina das alte Glücksgefühl hoch. Über die Felder fegen, den Duft von Kartoffelfeuern in der Nase, während einem die Erdbrocken um die Ohren flogen und Rebhühner davonrannten, schneller, immer schneller, dabei irgendetwas Sinnloses in den Wind schreien … Vorsicht! Tauchte da in der Ackerfurche nicht ein Hase auf, erschreckte die Pferde? Micha hatte sich in einer solchen Situation den Unterarm gebrochen, dokterte heute noch daran herum. Buckelte die nervöse Heckenrose schon? Arme Steffi, sie war ganz blass, sah sich Hilfe suchend um. Aber unbeeindruckt preschte Arnold weiter. Warum sollte er auch auf die Seniorenriege Rücksicht nehmen? Niemand zwang die älteren Damen, sich auf ein wildes Tier zu setzen. Da gab es sehr viel harmlosere Sportarten wie Badminton oder Nordic Walking. Stretching war auch nicht gefährlich, und wie ein Hündchen im Wasser paddeln noch weniger. Nein, wer reiten wollte, musste das schon einigermaßen couragiert tun. Feiglinge hatten im Sattel nichts zu suchen.

Ina nahm den Zügel ihrer Mimosa kürzer. Feige war sie nicht. Aber auch nicht die Allermutigste. Nicht mal als Dreißigjährige, als sie das erste Mal auf ein Pferd gestiegen war. Hatte sich zwar sofort darauf wohlgefühlt, aber gleich mit lautem Hurra über ein Hindernis zu fegen, so wie andere das taten, war auch damals nicht ihre Sache gewesen. »Gott sei Dank«, wie O. B. meinte. »Denk an dich und auch ein bisschen an mich.« Und später dann vor allem an Clarissa.

Doch wie gesagt, feige war sie nie gewesen. Hatte sich immer bemüht, mit jedem Pferd, das man ihr zuwies, fertig zu werden. Was ihr meistens auch ganz gut gelang. Inzwischen war das anders. Immer öfter hatte Ina ein mulmiges Gefühl, wenn man ihr ein schwieriges Pferd zuwies. (»Der Beweis, dass Arnold Vertrauen zu dir hat. Du musst das als Auszeichnung sehen«, redete ihr Billie zu, die beste und couragierteste Reiterin aus der Gruppe. Kunststück, sie war fünf Jahre jünger als die anderen.) Und auch zu Mimosa hatte Ina nicht mehr das ganz große Vertrauen. Der normalerweise sanfte Schimmel mit den seelenvollen Augen war kürzlich ohne jeden Grund wie ein Berserker durch die Halle gefegt. Ein Schock, der Ina immer noch in den Knochen saß. Eine Halle war von vier festen Wänden eingefasst, irgendwann kam das Pferd zum Halten, aber ein Feld besaß keine Grenzen.

Ina sah sich um. Gleich hinter diesem Feld dehnte sich das nächste aus. Und dann noch eines und noch eines. Danach kam die Autobahn. Ina zuckte zusammen. »Hilfe!«, hätte sie um ein Haar geschrien. Zwei Pferde waren an ihr vorbeigestürmt, was Mimosa erheblich zu stören schien. Sie schüttelte die Mähne, machte einen neckischen Hüpfer zur Seite. Um ein Haar wäre Inas rechter Fuß aus dem Steigbügel geglitten. So ein Mist! Was war dahinten bloß los? Beherrschten Wilhelmina und Gertie ihre Pferde nicht mehr? Zorn stieg in Ina auf, doch gleich darauf schämte sie sich. Nicht gerade die feine Art, andere für ihre eigene Bangigkeit verantwortlich zu machen. Bangigkeit? Nein, es handelte sich um handfeste Angst. Und immer noch stürmte die Horde weiter. Als sie endlich zum Halten kamen, sah Ina um sich herum lauter kalkweiße Gesichter. Wilhelmina biss sich sogar auf die Lippen. Beim Versuch, ihren Braunen in den Griff zu bekommen, hatte sie sich einen Finger verstaucht. Das konnte ein bis zwei Wochen Reitpause bedeuten.

Auffallend still traten sie den Rückweg an. Nur Arnold unterhielt sich angeregt mit seiner Nebenreiterin Billie. Beide rauchten.

»Meinst du, wir springen noch auf der Pfefferminzwiese?«, fragte Wilhelmina leise.

»Ich hoffe, nein.« Ina fühlte mit ihr. Sie kam sich nach der wilden Jagd wie ausgelaugt vor. Dabei wartete heute noch ein schwieriger Artikel auf sie. Und wieder eine dieser endlosen, überflüssigen Besprechungen. »Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Früher …« Sie seufzte.

»Ja, früher waren wir alle ein paar Jahre jünger.« Gertie hatte ja recht, aber Ina passte die Resignation, die in Wilhelminas Stimme lag, trotzdem nicht. Vielleicht traf die ja auf die anderen zu, aber nicht auf sie.

Schließlich war sie noch berufstätig, als Einzige aus der Amazonenrunde, bis auf Billie, die gelegentlich Teilzeit arbeitete, und Steffi, die im Optikergeschäft ihres Mannes aushalf (was beides oft und mit viel Trara diskutiert wurde). Natürlich hatten alle mehr Zeit als Ina, gingen nach dem Reiten gemeinsam noch einen Cappuccino trinken, während sie selbst sich in Windeseile hinter der geöffneten Autotür umzog. Dienstags und donnerstags fiel sie allerdings noch mehr als gewöhnlich gegen ihre geschniegelten Redaktionskolleginnen ab: Da waren das hochrote Gesicht, der Geruch vom Stall und die durch die Reitkappe ruinierte Frisur. Aber vielleicht – Mode & mehr behauptete das wenigstens in den Artikeln – verlieh ihr das Gefühl, sich im Beruf zu verwirklichen, auch eine gewisse Frische und Lebendigkeit, die verjüngte. Hoffte Ina. Ganz sicher war sie nicht.

Schweigend ritten sie weiter. Vorbei an der Pfefferminzwiese mit den fünf leichten bis mittelschweren Hindernissen, auf der – zur Erleichterung der meisten – gerade mit viel Krach Holz abgeladen wurde. Also würden sie nicht springen.

Das nächste Mal war das Wetter schlecht. Mairegen tropfte vom Himmel, also beschloss die Gruppe, in der Halle zu bleiben. Wie Pfeile schossen die Schwalben flach über den mit frischen Sägespänen bestreuten Boden, scharf beäugt von einer der getigerten Stallkatzen. Ihr Bruder balancierte über den Rand der Tribüne. Ina versuchte, ihn vom Pferd aus zu streicheln, reichte aber nicht ganz heran. Vor der Halle schaufelte Janek, der Stallbursche, Sand. Hell schlug die Schaufel gegen die Schubkarre, einmal, zweimal. Cora spitzte die Ohren. Ina klopfte ihr beruhigend den Hals. Auf Cora war sie wirklich gut aufgehoben, sie galt als ein besonders gutartiges Tier. Aber wusste man das wirklich?

Wieder so ein negativer Gedanke, wie er in letzter Zeit immer häufiger auftrat. Das hatte, davon war Ina überzeugt, mit der demütigenden Situation in der Redaktion zu tun. Sollte sie nicht mal einen Psychologen aufsuchen? Aber wer zahlte ihr das? Die Zeitschrift sicher nicht. Die musste ja gutes Geld für die italienischen Büromöbel des neuen Dreigestirns ausgeben. Ina merkte, wie sie sich schon wieder aufregte. Das Schlechteste, was sie vor einer Reitstunde tun konnte. Nein, sie wollte an etwas Schönes denken, an ihre Clarissa zum Beispiel, die bald für ein paar Wochen nach München kommen würde. Leider nicht allein. Gleich nachher wollten sie telefonieren.

Wo blieben die anderen? Heute war die Damengruppe klein, gerade mal vier aus dem harten Kern hatten sich angemeldet. Die anderen waren zu einem Reitkurs nach Ungarn gefahren, so wie fast jedes Jahr um diese Zeit. Ina war nie dabei gewesen. So viel Urlaub hatte sie auch wieder nicht, außerdem wollte sie O. B. nicht allein lassen. Nun ja, ewig würde sie nicht berufstätig sein, gerade bei der angespannten Situation. Gestern hatte Anke Sawitzki zum Beispiel spitzbübisch folgende Geschichte erzählt: »Heute Morgen habe ich zu meinem Mann gesagt: ›Ätsch, in vier Jahren wirst du vierzig!‹ Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie er sich geärgert hat.« Hahaha, höfliches Gelächter. Und niemand kam auf den Gedanken, wie sich Ina dabei fühlen musste.

Da waren sie ja endlich, die Mitreiterinnen. Erzählten unter Gelächter von Edy, dem frechen Rappen, der sich beim Hinausführen losgerissen hatte und munter in Richtung Isar getrabt war. Hätte Dr. Mattys nicht eingegriffen …

Dr. Mattys? Ein Neuer in der Runde. Ina musterte den mittelgroßen Mann, der sich gerade bemühte, den großen Charleston zu erklimmen. Das dauerte seine Zeit. Tat es bei Ina auch, obwohl er ihr nicht oft zugeteilt wurde. Ein Anfängerpferd. Endlich hatte der Reiter es geschafft, setzte sich gerade auf, brachte die Steigbügelriemen auf die richtige Länge.

Dr. Mattys, ein Debütant. Damit würde es eine müde Stunde werden. Ein ungeschriebenes Gesetz lautete: Tempo und Niveau eines Ausritts oder einer Dressurstunde werden von dem schwächsten Reiter bestimmt. Das hätte Ina mit ihrer neuen Ängstlichkeit eigentlich recht sein müssen, aber nein, redete sie sich ein, ich will, ich muss gefordert werden.

Als sie den Neuankömmling bei der ersten Schrittrunde überholte, nickte sie ihm zu. Er reagierte nicht. Unhöflich? Nein, er war voll und ganz mit seinem Charleston beschäftigt. Dabei saß Martin, wie Arnold ihn nannte, für einen Anfänger gar nicht mal schlecht auf dem Pferd. Nur schien ihn das gewaltig anzustrengen, sein Gesicht leuchtete rot wie eine Tomate. Wirkte richtig apart zu dem gekräuselten Kupferhaar und dem currygelben Hemd.

»Könnte fast unser Sohn sein«, flüsterte Wilhelmina ihr zu. »Genauso wie Arnold. Die armen Männer. Hätten bestimmt lieber mit knackigen Mädels zu tun. Aber was wird ihnen geboten? Großmütter.«

»Bin ich noch nicht«, gab Ina zurück. Nein, Clarissa hatte sie bisher nicht zur Großmutter gemacht, war nicht mal verheiratet. Sollte Ina das bedauern? Sie wusste es nicht. Es war Clarissas Entscheidung. Außerdem hatte sich Ina noch nie mit der Großmutterrolle befasst. Mit leichtem Befremden beobachtete sie immer wieder, welche Euphorie ein Enkelkind bei ihren Altersgenossinnen auslöste. Bis zur Grenze der Peinlichkeit. Rührte diese Euphorie daher, dass sich für die Betroffene endlich wieder eine neue Verantwortung auftat? Man spielte wieder eine Rolle, wurde gebraucht, hatte einen neuen Status und – vor allem – Gesprächsstoff. (Mathilde, Inas beste Freundin aus der Volksschule, trug sogar eine Kette mit dem Schriftzug »Ich bin Oma« um den Hals. Ina konnte gar nicht hinsehen.) Aber jedem das Seine. Sie knabberte ja derzeit noch an einer Rolle der ganz speziellen Art: die in die Besenkammer verbannte Redakteurin der ehemals gehobenen Klasse. Damit hatte sie genug zu tun.

Arnold war von seinem neuen Schüler so angetan, dass er sich ordentlich ins Zeug legte.

Und Ina musste neidlos zugeben: Martin stellte sich überraschend geschickt an. Und er besaß Mut. Wie alt mochte er sein? Ende dreißig, schätzte sie. Der Sprache nach schien er aus dem Rheinland zu kommen. Ein fröhlicher Jeck, er lachte auch die ganze Zeit. Ina hatte er immer noch nicht gegrüßt, obwohl sich ihre Wege dauernd kreuzten. Kein Wunder, so wie sie heute aussah. Sie hatte schlecht geschlafen, was sich in dunklen Augenrändern und faltigen Lidern ausdrückte. Vielleicht sollte sie sich dazu durchringen, gleich nach dem Aufstehen Eiswürfel auf die Augen zu legen, fünf Minuten wenigstens. Aber die Eiswürfel aus dem Gefrierfach besaßen scharfe Ecken, einmal hatte sie sich damit fast ins Auge gestochen. Und für eine »wake up«-Augenmaske, wie Dorothy Gruber, die Beauty-Redakteurin, sie im letzten Heft empfahl, fehlte ihr morgens die Zeit.

Zehn Uhr sechsundfünfzig. Der Schlussgalopp. Martin ließ seinen Charleston nach Herzenslust rennen. Das war nicht im Sinne der hohen Reitkunst – der Reiter hat das Tempo seines Pferdes zu bestimmen –, doch Arnold griff nicht ein. Ina, die Cora korrekt am Zügel hatte, passte auf, dass sie dem schnellen Duo nicht in die Quere kam. Zufrieden lächelte sie Wilhelmina zu, machte das Victory-Zeichen. Die Doppelstunde war schön gewesen. Endlich mal wieder ein reiterliches Erfolgserlebnis, das einen wie leer gefegten Kopf zurückließ. Ersetzte jeden Psychiater. Man schwebte wie auf Wolken. Welcher andere Sport sonst brachte das fertig? Das war das Besondere am Reiten. Dankbar beugte sich Ina über Coras schweißnassen Hals, umarmte ihn.

Als sie sich an ihrem alten BMW mithilfe eines Stiefelziehers mühsam von den staubigen Stiefeln zu befreien versuchte – die saßen fest, im wahrsten Sinne des Wortes festgeschweißt –, sah sie Martin mit frisch gekämmtem Haar zu einem englischen Sportwagen gehen. Auf dem Nummernschild stand K, also Köln. Ina machte sich hinter der offenen Autotür klein. Nach einigen höchst schmerzhaften Fersenschlägen gegen den Stiefelzieher war sie endlich befreit und stand in zerschlissenen Socken da und – schlimmer noch – in der Miederhose. Nicht unbedingt ideal für einen jungen Mann mit Geschmack.

Aber ihre Sorge war unbegründet. Der neue Reiter nahm keinerlei Notiz von ihr, als er mit lauter Radiomusik an Ina vorbeibrauste. Das Lächeln auf seinen Lippen galt wahrscheinlich noch Charleston.