Prinz Louis Ferdinand und die Frauen - Renate Fabel - E-Book

Prinz Louis Ferdinand und die Frauen E-Book

Renate Fabel

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»Der Abgott schöner Frauen, blauäugig, blond, verwegen, und in der jungen Hand den alten Preußendegen – Prinz Louis Ferdinand.« Theodor Fontane »Der Abgott schöner Frauen, blauäugig, blond, verwegen, und in der jungen Hand den alten Preußendegen – Prinz Louis Ferdinand.« Theodor Fontane) In der Thronfolge stand er ziemlich weit hinten – er war ein Neffe von Friedrich dem Großen - und um seine königliche Abkunft rankten sich viele Gerüchte. Es hieß, seine Mutter, die Markgräfin Anna Elisabeth, habe sich von einem stattlichen Adjutanten ihres etwas grämlichen Gemahls schwängern lassen. Aber sogar die Kaiserin Maria Theresia gratuliert zur Geburt des kleinen "Prinzen von Preußen", und so erscheint er von Anfang als ein Glückskind. Mit seinem aufgeweckten Betragen erfreut er den König, aber sein lockerer Lebenswandel behindert seine Karriere. Mit sechzehn wird er Hauptmann in einem wenig bedeutenden Regiment – und zum ersten Mal Vater. Denn die Gunst der Frauen – auch der adeligen – ist ihm gewiss. Seine Schwester Luise macht sich oft genug Sorgen um ihn. Frühzeitig ist der Prinz überzeugt, dass es mit Frankreich zum großen Konflikt kommen wird. Er nimmt am Feldzug des Herzogs von Braunschweig gegen die französische Republik teil, wird 1793 bei Mainz verwundet und lässt sich "zur schönen Madame de Contades" nach Mannheim bringen. Die Verwundung trägt ihm die Ernennung zum Generalmajor und einen Besuch Goethes ein. Sein Ruhm beginnt sich zu verbreiten. Dann kommt das Jahr 1806. Napoleon hat Österreich niedergeworfen und stürzt sich auf Preußen. Am 10. Oktober, vier Tage vor der entscheidenden preußischen Niederlage von Jena-Auerstedt fällt Prinz Louis Ferdinand in einem Vorhutgefecht am Ufer der Saale.

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Seitenzahl: 333

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Renate Fabel

Prinz Louis Ferdinand und die Frauen

Deutscher Taschenbuch Verlag

Originalausgabe 2006© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, MünchenDas Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Rechtlicher Hinweis §44 UrhG: Wir behalten uns eine Nutzung der von uns veröffentlichten Werke für Text und Data Mining im Sinne von §44 UrhG ausdrücklich vor.eBook ISBN 978-3-423-40500-3 (epub)ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-24538-8Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de

Inhaltsübersicht

Eine Liebe fürs Leben

Mutter, Schwester, Tante

Stille Tage in Friedrichsfelde

Musikalisches Tafelkonfekt

Bälle und anderes Amüsement

»Une malheureuse enfant« und andere Liebschaften

Schöne Emigrantinnen

Und noch mehr Französinnen

Lauter Prinzessinnen

Wankelmütige Azelie

Eine aussichtsreiche Partie

Damen der Berliner Salons

Mit spitzer Zunge

In Rahels Dachstube

Ein ganz und gar bürgerliches Mädchen

Flotte Tage in Magdeburg

Nirgendwo ist Schricke

Pauline, ach, Pauline

Viele Verehrer und eine große Liebe

Zwischen zwei Frauen

Das Leipziger Mißverständnis

Sommer am Fluß

Die Weiße Frau

Letzte Zerstreuungen

Verhängnisvolle Begegnung

Der Unvergessene

Das Leben geht weiter

Wiedersehen in Berlin

Benutzte Literatur (Auswahl)

Zeittafel

»Kein Mensch ist jemals in irgend einer Weise persönlich bedeutend und groß gewesen, ohne starke Sinnlichkeit; diese ist gleichsam das Lebensfeuer, welches alle anderen Eigenschaften des Geistes und Gemütes beweglich erhält.«

(Karl August Varnhagen von Ense)

Sechs Fuß hoch aufgeschossen,

Ein Kriegsgott anzuschauen,

Der Liebling der Genossen,

Der Abgott schöner Fraun,

Blauäugig, blond, verwegen,

Und in der jungen Hand

Den alten Preußendegen –

Prinz Louis Ferdinand.

(Theodor Fontane)

Eine Liebe fürs Leben

Das Heldengedicht stand in meinem Lesebuch, gedruckt auf billigem, rauhem Papier. Das war so gegen 1950.Ich ging im thüringischen Rudolstadt, wohin es uns bei Kriegsende verschlagen hatte, in die Schule. Eigentlich war ich ja in Berlin geboren. Aber jetzt hatten wir uns eben notgedrungen im von den Russen besetzten Rudolstadt eingerichtet, hofften – wenigstens meine Eltern – irgendwann auf einen Sprung in den goldenen Westen. Meine Schwester und ich dagegen fühlten uns in der ehemaligen Residenzstadt, nur einen Katzenhüpfer von Weimar entfernt, ungeheuer wohl.

Wir rutschten auf sogenannten Käsehitschen den Schloßberg herunter, spielten rund um die Lutherkirche Verstecken mit bescheidenen Flüchtlingskindern und selbstbewußten einheimischen Sprößlingen – es gab damals durchaus Klassenunterschiede – bis zum Einbruch der Dunkelheit und noch darüber hinaus. Marianne und ich sangen und tanzten mehr schlecht als recht im Landestheater, und – wir lasen. Lasen in jeder freien Minute, bis uns der Kopf brummte. In unserer romantischen Glasveranda, unter dem Birnbaum im Garten (»Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland...«), gegen den wir uns als gerade mal geduldete »Evakuierte« eigentlich nicht lehnen durften, und natürlich im Bett. Wir lasen sämtliche durchaus nicht immer für Zehnjährige geeigneten Romane aus der Stadtbibliothek, Krimis, die meine Mutter wer weiß wo auftrieb, und natürlich unsere Lesebücher hinauf und herunter. Für Gedichte beziehungsweise Balladen besaß ich ein besonderes Faible. »Belsazar« und »Die Füße im Feuer« waren meine Lieblingsgedichte, und »Die alte Waschfrau« (»Du siehst geschäftig bei den Linnen die Alte dort im weißen Haar, die rüstigste der Wäscherinnen«) konnte ich so schnell herunterrasseln, daß es meiner immer ein bißchen nervösen Mutter schwindelte.

Und dann stieß ich auf »Prinz Louis Ferdinand«. Es ist ein langes Gedicht, aber ich begnügte mich mit der ersten Strophe. Der Rest war mir zu militärisch, und die Liebe zum Reiten habe ich erst später entdeckt. »Blauäugig, blond, verwegen, und in der jungen Hand den alten Preußendegen...« Preußendegen, ja, das war es. Dabei fühlte ich mich so richtig als Preußin, was ich ja nach Meinung meiner pedantischen Schwester (sie war in Berlin nur getauft) nicht war. Sächsin wäre, wenn man die Vorfahren beider Elternteile betrachtet, angeblich richtiger gewesen.

Nein, ich war eine zehnjährige Preußin, und ich verliebte mich in den blonden Preußenprinzen, der – soviel hatte ich begriffen – viel zu jung und in voller Schönheit gefallen war. Louis Ferdinand – mein Märchenprinz. Meinen ersten Sohn wollte ich nach ihm benennen, wenn die Leute daraus auch sicher Ferdi oder gar Ferdl (mein Vater peilte München als nächsten Wohnort an) machen würden. Ich stellte ihn mir mit seinen wehenden Locken, den blitzenden Augen vor, ich schwärmte für ihn, ich träumte von ihm. Und dann vergaß ich ihn, denn ein kastanienäugiger Schauspieler aus dem Landestheater hatte mich angelächelt. Er sprach schwäbisch, und ich fand das wundervoll.

Aber dann, viele Jahrzehnte später, erwachte sie neu, meine preußische Liebe. Wir, das heißt mein (bayerischer) Mann und ich, fuhren mit dem Auto nach Rudolstadt, um meine ehemaligen Mitschüler aus der Alleeschule zu treffen. Während ich, aufgeregt wie meine Mutter, chauffierte, wies mein Mann kurz nach Saalfeld mit seiner Zigarette nach rechts und sagte: »Da ist er gefallen, dein Preußenprinz.«

»Was?« gab ich zerstreut zurück, denn gerade hatte mich ein Lastwagen mit Saalfelder Nummer angehupt. Die Wessifrau fuhr dem Ossi wohl zu zögerlich.

»Ja, Louis Ferdinand. Siehst du das Denkmal? Wir haben als Kinder von Franken aus einen Ferienausflug hierher gemacht. Ich erinnere mich genau.«

Erst später kam ich auf das Thema zurück. »Warum hab ich nicht anhalten dürfen?« beschwerte ich mich. »Das hätte mich doch interessiert.«

»Weil du wieder einmal überfordert warst.« Die prompte Antwort.

Bei unserer nächsten Rudolstädter Fahrt zwang ich mich, nicht mehr überfordert zu sein, das heißt, sämtliche Huperei und Dränglerei auf der überfüllten Landstraße zu ignorieren, und auch einen Blick nach rechts zu werfen. Und noch ein Jahr später brachte ich es sogar fertig, das Auto unvorschriftsmäßig zu parken und mir das Denkmal in sämtlichen Einzelheiten anzusehen. Es zeigte zu meinem Bedauern keine Büste des schönen, wilden Prinzen, sondern ähnelte mehr einem antiken Grabmal mit darin integrierter ebenfalls antiker Götterfigur. Die Inschrift lautet:

Hier fiel kämpfend für sein Vaterland

PRINZ LUDWIG V.PREUßEN

am X.October MDCCCVI

Warum Ludwig und nicht Louis Ferdinand? Und warum das Ganze so nüchtern? Er war doch der bevorzugte Neffe Friedrichs des Großen gewesen, ein unerschrockener Held, ein glänzender Geist, dazu ein Liebling der Frauen. Welche Erinnerungsstätte haben die ihm eigentlich gegeben? Nur ihr Herz oder genauso Briefe und Tagebuchaufzeichnungen? Von einer Sekunde zur anderen flammte meine alte Liebe wieder auf, und das mit meiner aktuellen, sehr lebendigen und eifrig paffenden an der Seite. Ich mußte mehr wissen über diesen Mann.

Noch am gleichen Nachmittag war ich auf der Heidecksburg, dem ehemaligen Residenzschloß in Rudolstadt, wo Louis Ferdinand die Nacht vor seiner tödlichen Verwundung verbrachte. Im sogenannten grünen Saal, mit einem Klavier neben dem Diwan, auf dem er, der Virtuose, bis zum Morgen wie verrückt gespielt haben soll. Dann hat ihn die Landesfürstin, eine besonders liebevolle Dame, voller Wehmut verabschiedet, als ahne sie sein Schicksal. Die letzte Frau, deren Hand er hielt. Das ist zweihundert Jahre her. Und wer waren all die anderen Frauen, die er geliebt, betrogen, verlassen, glücklich, unglücklich gemacht, jedenfalls mit Sicherheit nicht kalt gelassen hat?

Während der bemühte Schloßführer nur für mich ein herrliches, von Louis Ferdinand komponiertes Klavierkonzert durch den Festsaal rauschen ließ, schloß ich die Augen, fühlte mich dem Preußenprinz ganz nahe. Er war nach eigener Aussage fast ein Leben lang unglücklich gewesen, wußte ich inzwischen. Weil seine Eltern ihn nicht liebten, weil er in Schulden fast erstickte, weil der so Hochbegabte niemals eine seinen Fähigkeiten entsprechende Aufgabe fand, weil er sein geliebtes Preußen an Napoleon verloren sah. Und – noch einmal – was war mit den Frauen? In dieser Sekunde, als das Konzert mit einem genialen Schlußakkord zu Ende ging, beschloß ich, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen und mich dabei so nahe wie möglich an die Wahrheit zu halten. Ein abenteuerliches Unterfangen.

Hat Louis Ferdinand viel geliebt? Ja, er hat. Wie sein Adjutant Karl von Nostitz – voilà das erste Zitat, es werden noch viele folgen – notiert: »Man hat viel von des Prinzen verliebten Abenteuern erzählt. Auch hierin war er von den gewöhnlichen Söhnen der Erde verschieden und ein Titan. Er wahrte den Adel der Empfindung neben aller Frivolität in den Ausbrüchen des Temperaments. Leichtsinnig in der Liebe wie ein alter französischer Mousquetaire, konnte er auch für ein reineres höheres Verhältnis glühen.« Da hört man von französischen Emigrantinnen, einer polnischen Fürstin, einer niederländischen Adeligen, braven Berliner Bürgermädchen, Prinzessinnen aus der weit verzweigten Verwandtschaft, aber da gibt es vor allem die zwei großen Lieben seines tragisch kurzen Lebens: Henriette Fromme und Pauline Wiesel.

Doch es muß nicht immer ein erotisches Verhältnis sein. Gerade in seiner Jugend wurde Louis Ferdinand von drei Frauen aus der engsten Familie geprägt, auf kühl distanzierte wie auch auf sehr liebevolle Weise. Wahrscheinlich haben Mutter und Schwester, wie das meistens so ist, die Grundlage für sein späteres Verhalten gegenüber der Weiblichkeit gelegt. Und wenn ihn auch Neider und Intriganten – gegen die hatte der schöne Preußenprinz sein Leben lang zu kämpfen – einen verlorenen Menschen nannten, verteidigt ihn abermals Karl von Nostitz: »War aber der verloren, der bei Weibern, beim Zechen und in allem wilden Jubel der Jugend sich selbst nie verliert, der immer bleibt, was er ist?« Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

Mutter, Schwester, Tante

Als an einem besonders schönen Septembertag im Jahr 1755Prinz Ferdinand (1730–1813), der jüngste und mit Sicherheit unbedeutendste Bruder von Friedrich dem Großen, die bildhübsche Markgräfin Anna Elisabeth Luise von Brandenburg-Schwedt (1738–1820) heiratet, ist das dem König nur recht. Zwar ist die Markgräfin Ferdinands leibliche Nichte, doch stört das den kinderlosen König nicht sehr. Er hofft, daß aus dieser Verbindung eine »ganze Völkerschaft hervorgehe«, wie er seiner Schwester Wilhelmine in einem Brief mitteilt. Vor allem männliche Nachkommen kann das Haus Hohenzollern wegen der hohen Kindersterblichkeit gut gebrauchen.

Ferdinand, der als einziger der Geschwister nach eigener Wahl heiraten darf (in alle anderen Eheschließungen mischte sich der König, nicht immer zur Freude seiner Brüder und Schwestern, kräftig ein, ja, befahl sie oft sogar, denn schließlich ging es um Preußens Zukunft), ist von seiner acht Jahre jüngeren und ausgesprochen bezaubernden Braut hoch entzückt. Während seiner ganzen Ehe läßt er sie nicht aus den Augen, folgt ihr auf Schritt und Tritt. »Verliebt in seine Prinzessin, ist er ohne Frage eifersüchtig auf sie und das verleiht ihm sein zerstreutes Aussehen, in dem die Fremden Dummheit sehen«, schreibt Graf Lehndorff, Kammerherr der Königin Elisabeth Christine, in sein Tagebuch. Und an anderer Stelle: »Am glücklichsten erscheinen Prinz Ferdinand und seine Gemahlin, sie bieten ein Bild wahrer Seligkeit dar.«

Dem Haus Brandenburg-Schwedt, einer Nebenlinie des Hauses Hohenzollern, eilt der Ruf voraus, erotisch sehr aktiv zu sein (was den König wohl dazu veranlaßt, auf viele Neffen und Nichten zu hoffen). Anna Elisabeths Vater jedenfalls, Markgraf Friedrich Wilhelm, macht diesem Kompliment alle Ehre. Er gilt als großer Schürzenjäger, trägt sicher nicht zu Unrecht den Beinamen der »tolle Markgraf«. Seine Frau hat es nicht leicht mit ihrem aufbrausenden Mann.

Einige Male, wenn seine Zornesausbrüche und außerehelichen Abenteuer zu heftig wurden, war sie sogar an den Hof ihres Königs geflüchtet. So muß es für die Tochter fast eine Erleichterung gewesen sein, den eher temperamentlosen, durch viele Krankheiten von Jugend an geschwächten Prinzen Ferdinand zu heiraten. Wie eine Mutter kümmert sie sich um ihn, wickelt ihn fürsorglich in Mäntel und Decken, paßt auf, daß er sich nicht immer wieder neu erkältet. Und sie ist es auch, die ihn dazu überredet, seine aktive militärische Laufbahn aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig zu beenden. Anna Elisabeth Luise will den geliebten Mann bei sich zu Hause haben.

Doch der vom König und sicher auch von dem jungen Ehepaar gewünschte Kindersegen stellt sich nicht so schnell ein. Erst sechs Jahre nach der Hochzeit kommt der erste Nachwuchs auf die Welt, eine kränkliche Tochter namens Friederike, die nur zwölf Jahre alt wird. Inzwischen ist Ferdinand mit Familie und Hofstaat von Schloß Charlottenburg in das damals noch weit außerhalb von Berlin liegende Schloß Friedrichsfelde übergesiedelt, wo er versucht, die glanzvolle Hofhaltung seines bewunderten älteren Bruders Heinrich in Rheinsberg nachzuahmen. 16000Reichstaler zahlt er für das Lustschloß mit prachtvollem Tanzsaal, Nebengebäuden, Gärten und Weinbergen, das Theodor Fontane einmal das »Charlottenburg des Ostens« genannt hat. Ein prachtvolles Anwesen, aber auch zugig und feucht. Man hat die Wassergräben längs der Auffahrtsallee zu dicht an das Gebäude herangezogen. Nicht gerade ideal für das ewig kränkelnde Familienoberhaupt. Trotzdem besteht der Prinz pedantisch darauf, die Sommermonate hier zu verbringen, hält sich mit Brunnenkuren »über Wasser«, bis der gesamte Ferdinand-Clan dann pünktlich am 1.Dezember in den (viel gemütlicheren) Berliner Wintersitz am Wilhelmsplatz zurückkehrt. Mag sich die ruhige Lage und frische Landluft positiv auf die junge Frau ausgewirkt haben oder was auch immer – jedenfalls wird es nach acht weiteren Jahren (Anna Elisabeth Luise ist bereits einunddreißig) mit der »Völkerschaft« endlich wahr. 1769 kommt Friedrich Heinrich auf die Welt, ein Jahr darauf Luise, dann Heinrich, 1772Friedrich Ludwig Christian, der später, weil es in der kronprinzlichen Familie ebenfalls einen Ludwig gibt, Louis Ferdinand genannt wird, danach Paul und 1779 schließlich das letzte der sieben, August. Doch nur vier der Kinder überleben.

Hat schon das ungewöhnlich lange Warten auf den Kindersegen für viel Klatsch und die verschiedensten Vermutungen gesorgt (vielleicht sind die Ehepartner doch zu eng miteinander verwandt), so wirken die nun plötzlich fast jedes Jahr eintreffenden Geburten auch wiederum sehr verdächtig. Man tuschelt kräftig bei Hof. Immerhin ist Prinz Ferdinand, der offizielle Vater, alles andere als ein kraftstrotzender Mann. Dauernd muß er wegen seines inzwischen schon chronischen Brustleidens behandelt werden, auch seine Laune wird von Jahr zu Jahr griesgrämiger, dazu kommt die fast pathologische Eifersucht. Ist er wirklich der Erzeuger aller sieben Kinder?

Die größten Zweifel tauchen bei der Geburt von Louis Ferdinand auf. Ein so prachtvoller, strahlender und ausgesprochen kräftiger Junge – unmöglich, sich den schwächlichen Prinz Ferdinand als Vater vorzustellen. Da kommt schon eher der Adjutant des Prinzen, der junge Carl Graf von Schmettau (1743–1806), in Frage, der – pikantes Detail – gleichzeitig engster Vertrauter der Prinzessin ist. Nur Vertrauter? Genaues weiß man nicht, aber die Gerüchteküche zwischen Schloß Charlottenburg und Friedrichsfelde brodelt. Andererseits bleibt Schmettau der ganzen Familie bis zu seinem Tod in der Schlacht von Auerstedt (wenige Tage nach dem Tod Louis Ferdinands) eng verbunden. Als er sich einmal bei der Jagd durch Ungeschicklichkeit selbst schwer verwundet, sind alle in heller Aufregung. Wäre das auch der Fall gewesen, hätte Prinz Ferdinand nur den leisesten Schatten eines Verdachts gehabt?

Dann wieder munkelt man, Karl Wilhelm Ferdinand (1735–1806), Herzog von Braunschweig, sei womöglich der Vater von Louis Ferdinand. Natürlich hat auch der »prince charmant« später von den Gerüchten erfahren. So gibt es eine Notiz von Karl August Varnhagen von Ense, Ehemann der legendären Salondame Rahel Levin: »Der Prinz wollte nicht, daß Schmettau sein Vater sei, sondern der Herzog von Braunschweig. Aber mit Schmettau soll er die größte Ähnlichkeit gehabt haben.« Und an anderer Stelle: »Der Prinz Louis Ferdinand, der Prinz August und die Prinzessin Luise sind ganz unbezweifelt nicht die Kinder des Prinzen Ferdinand, sondern des Generals von Schmettau, der von dem Prinzen Ferdinand, unter Mitwissen Friedrichs des Großen, dazu auserwählt worden war, ihm Nachkommenschaft zu geben. Dem Prinzen Louis Ferdinand geben manche den Herzog von Braunschweig zum Vater, doch sagen andere, die Prinzessin habe von beiden, die ihr vorgeschlagen wurden, den Grafen Schmettau gewählt. Die regierende Familie bedurfte damals männlichen Zuwachses...«

Schmettau hatte dem König jedes Mal die Niederkunft der Prinzessin zu melden, und dieser sagte dem Boten die doppeldeutigen Worte: »›Ich dank’ Ihm für seine Mühe.‹ Das letzte Mal aber fügte er hinzu: ›Jetzt ist es genug‹, und wurde so gut verstanden, daß keine neue Meldung mehr nötig wurde.« (Varnhagen von Ense) Und noch ein Hinweis auf den Adjutanten: War der alte Fritz, was allerdings ganz selten vorkam, schlecht auf die Kinder seines Bruders zu sprechen, lästerte er schon mal: »Cette maudite race de Schmettau.« Zu Schmettau hat Louis dann auch, wie sein späterer Adjutant von Nostitz in Magdeburg beobachtet, »aus Gewöhnung und Wahl ein besonderes Vertrauen«.

Die Taufe des »sunnyboy« Louis Ferdinand erfolgt in großem Stil. Alle Königshäuser Europas werden über das Ereignis informiert. Aus dem Ausland gratulieren Katharina II. von Rußland, Ludwig XV. von Frankreich, Georg III. von England, Gustav III. von Schweden, Karl III. von Spanien und – ganz besonders herzlich – die österreichische Kaiserin Maria Theresia, selbst vielfache Mutter und ganz nebenbei auch alte Erzfeindin des preußischen Königs (»der böse alte Mann«). »Wünsche zugleich aufrichtigst«, schrieb die Kaiserin, »daß der neu gebohrene Prinz zu Euer Maj. vollkommenstem Trost und Zufriedenheit, im besten Wohlstand erwachsen, und in einem so beglückten als langwierigen Lebens-Lauf sich eben erhalten möge...«

Friedrich der Große (1712–1786) ist der Taufpate. Bei der Festlichkeit, zu der er in allerbester Laune erscheint, trifft er nach langer Pause wieder einmal mit seiner Frau, Königin Elisabeth Christine, zusammen. Dabei fallen die berühmten Worte: »Madame sind korpulenter geworden.« Auch sonst nimmt sich der eigenwillige Regent gewisse königliche Freiheiten heraus. Als seiner Meinung nach der Hofprediger Johann Peltre bei der Taufe, die gegen Mittag stattfindet, viel zu lange redet, läßt er den Täufling kurzerhand hinaustragen, um endlich an der festlichen Tafel Platz nehmen zu können, an der er sich glänzend unterhält. So geht der Knabe trockenen Hauptes aus seiner Taufe hervor.

Diesen Fauxpas korrigiert der König ein paar Jahre später, als nämlich Louis Ferdinands jüngster Bruder, August, getauft wird. »Dies Unrecht muß ich heute wiedergutmachen.« Mit diesen Worten gießt er dem erstaunten, inzwischen siebenjährigen Louis Ferdinand den ganzen Rest des Taufwassers über den blonden Lockenkopf. Der aufgeweckte Prinz pariert mit einer ebenso originellen wie wohlerzogenen Antwort, die dem König sehr gefällt. Von da an gilt Louis Ferdinand als sein Lieblingsneffe.

Stille Tage in Friedrichsfelde

Von wenigen Festlichkeiten abgesehen, verlaufen die Tage in Friedrichsfelde für die Kinder immer im gleichen Trott. Dabei ist der Fürstensitz gerade für Kinder ein Paradies mit seinem großen Park, zu dem ein Labyrinth, eine Fasanerie, eine Einsiedelei, Grotten, Tempel und später auch eine »Rousseau-Insel« gehören, außerdem gibt es Kavalier- und Damenhäuser, Ställe und das heute noch erhaltene, westlich des Schlosses gelegene Gebäude der Schloßküche. Besucher kommen nur selten, und wenn, sind es langweilige Offizierswitwen und gelangweilte Adlige, die auf benachbarten Gütern leben. Kinder tauchen so gut wie gar nicht auf. Gottseidank hat Louis Ferdinand wenigstens seine Schwester Luise und den Bruder Heinrich als enge Verbündete. Der jüngste, August, ist noch zu klein, um mitzuspielen, außerdem wird er von der Mutter so vorgezogen und verwöhnt, daß die anderen heftig darunter leiden. Um so mehr schließen sich die drei Großen zusammen. Ein unzertrennliches Trio.

Luise, die von ihrem Vater sehr geliebte Älteste, und ihr ein Jahr jüngerer Bruder Heinrich sehen sich sehr ähnlich, wobei Luise in ihren Erinnerungen darauf besteht, daß er der viel hübschere (wenn auch ängstlichere) war. Trotzdem ist die Ähnlichkeit so frappierend, daß sich die Mutter ein paarmal den Spaß macht, beiden Kindern Uniformen anzuziehen und sie auf Posten vor die Tür des Vaters zu stellen. Der muß dann raten, wer die Tochter ist.

Eine der wenigen originellen Episoden aus der Kindheit der Fürstenkinder. Sonst haben die drei nicht viel zu lachen. Mit Elternliebe werden sie – außer Luise von ihrem Vater, was wiederum der Mutter nicht paßt – schon gar nicht verwöhnt. Das liegt vor allem an der Zeit, in der besonders in aristokratischen Kreisen ein distanziertes Verhältnis zwischen Eltern und Kindern völlig normal ist. (So wußte der Soldatenkönig, Louis Ferdinands Großvater, wenn er schon mal mit seinen zahlreichen Söhnen und Töchtern zusammen war, nie, worüber er sich mit ihnen unterhalten sollte. Da kam er mit seinen »langen Kerls« schon besser zurecht.) Die Kinder haben vor allem zu gehorchen und den Eltern Ehre und Freude zu machen. Gefühle kommen, von Ausnahmen abgesehen, erst an zweiter oder noch späterer Stelle. Für die Erziehung und eventuelle Schwärmereien sind die Gouvernanten und Hauslehrer zuständig (die ihnen – die Schwärmereien und andere Gefühlsduseleien – gefälligst auszutreiben haben), vielleicht auch, wenn es sich gerade so ergibt, eine gute Freundin der Mutter oder ein unverheiratetes Familienmitglied. Übertriebene Zärtlichkeit oder gar Sentimentalität sind im strengen preußischen Erziehungskodex nicht vorgesehen.

Was nun die Kinder von Prinz Ferdinand betrifft, so ist ihre Mutter keine überschwengliche Frau. Das hat vielleicht mit der ständigen Sorge um ihren kränklichen Mann zu tun, auch kommt sie lange nicht über den Tod der ersten Tochter hinweg, jedenfalls erfahren die Nächstgeborenen nicht viel Liebe. Als zum Beispiel Luise geboren wird, hat Anna Elisabeth sehr auf einen Sohn gehofft. Der– Heinrich – kommt zwar ein Jahr später auf die Welt, aber er ist ihr zu schüchtern und ängstlich, und der nächste Sohn, Louis Ferdinand, »everybody’s darling« mit seiner natürlichen Liebenswürdigkeit, seiner Tollkühnheit und dem unwiderstehlichen Charme, ist ihr fast unheimlich. So hat ein preußischer Prinz nicht zu sein.

Während sein Vater berühmt für seinen Geiz ist – selbst die kleinste Ausgabe wird in einem Haushaltsbuch vermerkt–, besitzt der Sohn, um nur ein Beispiel zu nennen, überhaupt kein Verhältnis zum Geld. Das macht der Prinzessin große Sorgen, sie zwingt sich, ihm gegenüber besonders streng zu sein. Und doch muß sie immer wieder erfahren, daß er armen Soldatenfrauen Geld zusteckt oder die Wachen vom Schloß mit warmem Essen aus der Schloßküche versorgt. Als man ihm sagt, daß seine Kinderfrau weggeschickt werden soll, bekniet er seine Mutter, auch weiterhin für sie zu sorgen. Frau Tilling selbst tröstet er: »Und wenn das, was du erhältst, nicht ausreicht, so komm nur des Abends und klopfe an mein Fenster. Da will ich dir immer mein Taschengeld hinausreichen.«

Enfant terrible. Ein – für die damalige Zeit – viel zu großes Herz. Was seine Mutter veranlaßt, noch schärfer gegen ihn vorzugehen. Kurzentschlossen verbietet sie dem Dienstpersonal, irgend etwas von ihrem Sohn anzunehmen. Aber der weiß sich zu helfen. Als ein Wachsoldat verlegen ablehnt, sich Brot und ein Stück Braten zustecken zu lassen, denkt der kleine Prinz kurz nach. Dann meint er: »Er soll es auch nicht nehmen, ich stecke es Ihm in seine Patronentasche, dann sieht Er es nicht und hat es nicht genommen!«

Louis ist sich keiner Schuld bewußt. Schon als kleiner Knirps sieht er seinen Rang als Prinz als etwas Zufälliges an, ohne deshalb seine natürliche Würde aufzugeben. Als ihn die Mutter dann immer knapper hält, fängt er einfach an, sich Geld zu leihen, nicht etwa für sich, nein, um damit anderen zu helfen. Eine »Unsitte«, die ihm zur zweiten Natur wird und ihn später noch in größte Schwierigkeiten stürzen soll. Aber Louis Ferdinand kann nicht anders, er ist einfach so. »Ich wünsche wohl, einst jährlich eine Million zu meiner Disposition zu haben«, sagt er als Zehnjähriger zu einem Freund, »um alles um mich her recht glücklich und sorgenlos zu wissen.«

Er versteht nicht, warum die Eltern ihn ablehnen. Immer wieder versucht er, sich bei ihnen beliebt zu machen, zeigt ihnen, wie sehr er sie verehrt, schreibt die zärtlichsten und unterwürfigsten Briefe an beide, doch das Verhältnis, besonders zu seiner Mutter, bleibt bis zu seinem Tod kühl. Die Tragik: Er ist der falsche Sohn für das Prinzenpaar oder – sie sind die falschen Eltern für diesen, wie es scheint, Liebling der Götter. Die seltenen unbeschwerten Stunden, die er mit seiner Mutter in Friedrichsfelde verbringt, sind die gemeinsamen, genau festgelegten Spaziergänge vor dem Tee (hinterher spielt die Prinzessin Karten), während der Vater dann gegen Abend mit seinen Kindern durch die Felder streift, was – so notiert später die Tochter – ihm sogar ein gewisses Vergnügen bereitet. Die einzigen Male, bei denen »die Befangenheit, die sonst im Verkehr mit unseren Eltern vorherrschte, fast vollständig verschwand«.

Dabei kann Anna Elisabeth Luise Kindern gegenüber durchaus Gefühle zeigen. Als 1779 ihr Jüngster, August, zur Welt kommt, ist seine Mutter von Anfang an ganz vernarrt in ihn. Von jetzt an dreht sich alles um das Nesthäkchen. So erwartet die Mutter, daß sich auch die Geschwister unentwegt um den kleinen August kümmern, wozu die nun überhaupt keine Lust haben. Luise erinnert sich fast zornig: »August war das Lieblingskind meiner Mutter. Sie... beschäftigte sich unausgesetzt mit ihm und verwöhnte ihn grenzenlos. Jeder, der meiner Mutter gefallen wollte, schmeichelte ihm, und so konnte es nicht ausbleiben, daß er bald eigensinnig und unartig wurde. Die Sonntage, an denen wir hingerufen wurden, um mit ihm zu spielen und ihn zu amüsieren, waren eine wahre Strafe. Da man uns ständig tadelte... faßten wir eine förmliche Abneigung gegen August und die Ungerechtigkeiten, deren Opfer wir nur zu oft waren, wurden sicherlich zur Veranlassung unseren späteren Unduldsamkeit gegen diesen Bruder.« Besagte Sonntage enden meistens mit Tränen.

Aber da gibt es, speziell für die Tochter, noch eine andere Konkurrenz. Anna Elisabeth Luise ist keine besonders charakterfeste Frau, läßt sich gerade von ihren Geschlechtsgenossinnen leicht beeinflussen. »Meine Mutter ließ sich in der Heftigkeit leicht zu allzu lebhaften Ausbrüchen hinreißen, war aber nicht mit Bewußtsein oder Absicht hart«, versucht Luise später zu analysieren. »Sie hatte ein gutes Herz, und wenn sie jemand unrecht tat, so geschah es fast immer unter dem Einfluß von Personen, denen sie nur zu leicht volles Vertrauen entgegenbrachte.«

So eine Person ist die Freundin der Prinzessin, Frau von Katt, die sich später mit dem alten Domherrn von Bredow verheiratet, der die Prinzengeschwister wie aus einer perversen Lust heraus schlecht behandelt. Schlimmer noch ist Luises Gouvernante, Frau von Bielfeld. Die hat eine Tochter, Lisette, mit der sich Luise überhaupt nicht versteht. Die Kleine ist ihr zu vorlaut und zu frech. Als die Bielfeld dann überraschend stirbt, wird Lisette im Schloß aufgenommen und von der Prinzessin nach Strich und Faden verwöhnt. Luise und ihre beiden Brüder können sich nur wundern. Trotzdem versuchen sie immer wieder, Entschuldigungen für die kalte Haltung der Mutter ihnen gegenüber zu finden.

»Fräulein von Keller hatte mir unvorsichtigerweise von gewissen Verkehrtheiten erzählt, die man meiner Mutter vorwarf«, erinnert sich die Tochter. »Hätte Fräulein von Keller gewußt, in welchem Grade die Erziehung meiner Mutter vernachlässigt worden war, wie man sie, die schöne, lebenslustige, unerfahrene, von gefährlicher Gesellschaft umgebene Prinzessin, ohne ihr irgendwelche Hilfsmittel gegen den Müßiggang zu bieten, in ihrem sechzehnten Jahre mit meinem Vater vermählt hatte, der aus Liebe und Nachgiebigkeit seinerseits noch fortfuhr, sie zu verwöhnen, so würde ich sicherlich, weit davon entfernt, sie mit verwerflicher Strenge zu beurteilen, die guten Eigenschaften zu schätzen gewußt haben, die meine Mutter sich trotz aller ihrer Jugend bedrohenden Gefahren erhalten hatte. Dann würde sie mich mehr geliebt haben, und mir wären dadurch ohne Zweifel jene schmerzlichen Momente erspart geblieben, deren Einfluß sich auf mein ganzes Leben erstreckt hat.« Was genauso auf Heinrich und am allermeisten auf Louis Ferdinand zutrifft.

Um so mehr schließen sich die drei Geschwister zusammen. Sie lieben sich heiß und innig, leiden, wenn man sie trennt. »Heinrich war schön, gut und liebevoll«, schwärmt Luise. »Der ungestüme, ausgelassene, dabei aber zartfühlende Louis neckt ihn gern... Louis war so liebenswürdig, so amüsant und voller Tollheiten, daß es für uns ohne ihn kein Vergnügen gab. Unser Glück und Frohsinn beruhte auf unserer gegenseitigen Zuneigung.«

So freuen sie sich auch gemeinsam, wenn einer von ihnen vom König gelobt oder sonstwie ausgezeichnet wird. Louis Ferdinand, der strahlendste im Trio, erlebt das einige Male. Als er im Alter von knapp vier zum ersten Mal öffentlich als Prinz auftritt – das war bei der Hochzeit von Großfürst Paul von Rußland, dem späteren Zar Paul I.–, stellt er sich zu seinem Onkel Friedrich, der sich mit einem durch den Türkenkrieg bekannt gewordenen russischen Feldmarschall unterhält, deutet auf dessen Säbel und fragt: »Ist das der Säbel, womit du die Türken geschlagen hast?«

Der König ist so begeistert von seinem aufgeweckten Neffen, daß er ihm ein Jahr später erlaubt, die preußische Armeeuniform mit Portepee zu tragen. Aber auch Luise steht hoch in seiner Gunst. So neckt er sie einmal: »Und du, Kleine – wann denkst du dich denn zu verheiraten?« Worauf sie ohne nachzudenken antwortet: »Wann Euer Majestät befehlen.« Einer der seltenen Momente, in denen sogar die Mutter stolz auf ihre Tochter ist.

Quasi als Belohnung nimmt sie Luise, als sie das nächste Mal zur Tafel des Königs befohlen wird, als Begleitung mit. Dabei achtet sie ausnahmsweise auf die Kleidung der Ältesten, was sonst immer – zu Luises Schrecken, er hat einen so altmodischen Geschmack! – der Vater übernimmt, hält sie dazu an, sich hübsch schminken zu lassen. Der König liebt keine blassen Gesichter!

Zu Louis Ferdinands großem Kummer wird die Schwester getrennt von den Brüdern erzogen und auch unterrichtet. Während sich besagte Frau Bielfeld um Luise kümmert, werden die beiden Prinzen dem Geheimrat Bärmann anvertraut. Der Hofmeister, ein sanftmütiger Hypochonder, fühlt sich Louis Ferdinand überhaupt nicht gewachsen. Das geht so weit, daß Bärmann jedesmal ein lautes Stoßgebet ausruft (»Gott verleihe mir Kraft!«), bevor er den Unterrichtsraum betritt. Immer wieder bringt ihn der wißbegierige Prinz durch neugierige Fragen in Verlegenheit, verblüfft Bärmann zwar durch seine schnelle Auffassungsgabe, stellt aber andererseits alles, was der ihm beibringen will, zunächst mal in Frage.

Blinder Gehorsam, preußische Tugend Nummer eins, existiert für den Prinzen nicht. Kompromißlos geht er allen Dingen auf den Grund. Andererseits läßt er sich dann auch, wenn er sieht, daß er sich geirrt hat, auf der Stelle überzeugen, entschuldigt sich.

Nach zwei Jahren wird der erschöpfte Bärmann von Professor Großheim abgelöst. Der unterrichtet – und zwar diesmal alle drei Prinzenkinder – in Geschichte, Geografie, Rechnen, Grammatik, Naturgeschichte und »Moral«. Louis interessiert sich außerdem stark für Militärwissenschaft. Zwischen Lehrer und Schülern entwickelt sich fast ein Freundschaftsverhältnis. Dem Professor macht es Spaß, auch außerhalb des Unterrichts viel Zeit mit den Kindern zu verbringen. Stundenlang spielen sie zusammen im Schloß und in den Parkanlagen, außerdem trainiert er die jungen Prinzen in Laufen, Reiten und Fechten.

Nichts gegen die beiden Erzieher, die bestimmt ihr Bestes gegeben haben, aber besonders der aufgeweckte Louis Ferdinand hätte eine viel gründlichere Ausbildung verdient. Wäre sein Charakter nur ein bißchen fester und seine Erziehung sehr viel sorgfältiger gewesen, hätte er alle Voraussetzungen für einen großen Feldherrn gehabt. Aber der Prinz mit seiner extrem ungestümen Natur wird in seiner Jugend nicht streng genug herangenommen. Keiner versucht es wirklich, ihn zu bändigen, Einfluß auf ihn zu nehmen. Was allein der Fehler der Eltern ist. Sie sind einem so außergewöhnlichen Sohn schlicht und einfach nicht gewachsen. Kein Wunder, daß sich die Mutterliebe der Anna Elisabeth Luise deshalb vor allem auf den eher mittelmäßigen August konzentriert. Louis Ferdinand ist ihr, um es salopp auszudrücken, ein paar Nummern zu groß.

Sogar als die Prinzessin viel später erfährt, daß ihr Sohn in einem Gefecht gegen die Franzosen gefallen ist, nimmt sie das gefaßt, ja, fast unbeteiligt hin. Viel größer ist die Sorge um August. Besorgt examiniert sie Luise, die sich über den Tod des geliebten Bruders nicht beruhigen kann und immer wieder in Tränen ausbricht: »Warum weinst du? Du hast gewiß etwas gehört. Etwas Trauriges über August?!« Und der Vater erklärt, der Sohn habe sich den Krieg und seinen Tod selbst zuzuschreiben.

Musikalisches Tafelkonfekt

Aber Louis Ferdinand genießt ja nicht nur das Wohlwollen von Friedrich dem Großen, er hat auch noch eine Tante, die sich sehr für ihn interessiert, mehr jedenfalls als seine Mutter. Anna Amalie ist die Lieblingsschwester des Königs (»er freute sich gern an ihrer witzigen und geistvollen Unterhaltung«), außerdem die einzige, die ihm gelegentlich ihre Meinung zu sagen wagt und seinen Befehlen nicht immer gehorcht. Eine widerspenstige und auch sehr widersprüchliche Frau.

Eingegangen in die preußische Geschichte ist Amalia durch ihre turbulente Liebesgeschichte mit dem wilden Friedrich Freiherrn von der Trenck. Eine Reihe von Novellen und auch Filme haben sich, mehr oder weniger gelungen, mit dem Thema beschäftigt. Ob die Love-Story wirklich so dramatisch abgelaufen ist – Eifersucht des Königs auf den schneidigen Offizier, von ihm erzwungene Trennung des Liebespaars, Trencks jahrelange Haft auf der Festung Glatz, wohin ihm die Prinzessin Geld und Briefbotschaften schickt, seine abenteuerliche Flucht und spätere Heirat mit der Tochter eines Bürgermeisters, schließlich sein Tod durch die Guillotine – ist nicht in allen Punkten bewiesen, basiert allein auf den Erinnerungen Trencks, die damals zum Bestseller avancierten. Das Werk erschien in mehr als ein Dutzend Auflagen, war erfolgreicher noch als »Casanovas Memoiren«, wurde in alle wichtigen Sprachen übersetzt. Sogar Goethe hat sie 1787 gelesen und notiert: »Es ist interessant genug, und lassen sich Reflexionen genug darüber machen.«

Trenck stellt es in seinem Buch so hin, als hätte ihn Friedrich II. nur wegen seiner Affäre mit der Schwester gefangen genommen und unter grausamsten Bedingungen auf der Festung dahinvegetieren lassen. Ein handschriftlicher Zusatz auf der Kabinettsorder des Königs vom 28.Juni 1745 dagegen enthüllt den eigentlichen Grund: »Gardez bien étroitement ce drôle-là; il a voulu devenir pandour auprès de son oncle.«

Was bestätigt, daß der preußische von der Trenck wegen seines Briefwechsels mit seinem österreichischen Cousin, den Pandurenoberst Franz von der Trenck, arretiert und des Hochverrats beschuldigt wurde. Anna Amalia hat damit überhaupt nichts zu tun. Aber der phantasiebegabte Abenteurer macht andere Andeutungen.

Kennengelernt haben will er, wie er schreibt, die Prinzessin im Berliner Schloß bei der Hochzeit ihrer Schwester Luise Ulrike mit dem späteren schwedischen König. »Ich hatte dabei als Offzier der Garde die Ehrenwache, auch das Glück, die königliche Braut bis nach Stettin zu eskortieren. Bei diesem Beilager, wo das Gedränge im Saal zum Erstaunen war und ich die Inspektion hatte, wurde mir selbst als wachhaltendem Offizier der hintere Teil der rotsamtenen Überweste mit der reichen Krepinarbeit von einem Spitzbuben weggeschnitten und zugleich meine Uhr gestohlen. Das verursachte ein scherzendes Gespött mit dem gestutzten wachhabenden Offizier. Und eine große Dame sagte mir bei vorteilhafter Gelegenheit, sie würde mich über meinen Verlust beruhigen. Der Ausdruck war mit einem Blick begleitet, den ich gern verstand, und innerhalb weniger Tage war ich der glücklichste Mann von Berlin.«

Trenck verschweigt den Namen der »großen Dame«, nennt sie immer nur »Freundin und Wohltäterin« oder »Gegenstand meines Herzens«. Erst im dritten Band seiner Memoiren deutet er an, daß es sich dabei um die jüngste Schwester des Königs gehandelt habe. Doch vieles spricht dagegen. Wahr ist allerdings, daß Trenck, der nach seiner abenteuerlichen Flucht ein zweites Mal eingesperrt wurde, Bittgesuche an die Königin und auch an Prinzessin Amalia richtete. Auch drei der sogenannten Trenckbecher– Becher aus Zinn, die der Gefangene in seiner Zelle mit Nägeln und ähnlichem gravierte – schickte er an sie. Davon erhält einer den Text: »Bahne mir die rechte Straße, Die zu Friedrichs Großmut führt...« Diese Becher sowie eine Reihe von Gedichten, die er der Prinzessin widmete, brachten sie immerhin dazu, dafür zu sorgen, daß Trenck Licht in sein Verlies bekam. Später übernahm sie dann auch die Patenschaft für Trencks zweite Tochter, Karoline Amalie (!), aber solch großzügige Gesten waren damals in aristokratischen Kreisen nichts Außergewöhnliches. Trenck behauptet dann noch, »seine Wohltäterin« viel später wiedergesehen und von ihr das Versprechen einer größeren Geldsumme für seine Familie erhalten zu haben, aber Zeugen dafür gibt es nicht. Amalia selbst konnte dazu nichts mehr sagen, denn sie starb fünf Tage nach dieser Behauptung, und in ihrem Nachlaß befand sich kein entsprechendes Legat. Überhaupt hat sich die Prinzessin mit keinem Wort jemals über diese wahre oder zumindest glänzend erfundene Liebesgeschichte geäußert.

Ein gewisser Dieudonné Thiebault, Professor an der Ritterakademie in Berlin, dafür um so mehr. Er behauptet, Friedrich von der Trenck persönlich kennengelernt zu haben. »Wir hatten nämlich in Paris eine lange Unterredung miteinander, wenige Jahre bevor er als eines der vielen unschuldigen Opfer der blutdürstigen Revolutions-Wüteriche das Schafott bestieg.« Thiebault ist davon überzeugt, daß es eine Affäre zwischen Anna Amalia und Trenck gegeben hat, Trenck soll ihm das persönlich bestätigt haben. Nach seiner These ist die Prinzessin an der Inhaftierung Trencks, für die sie sich schuldig hielt, innerlich zerbrochen.

Geheiratet hat sie jedenfalls nie. Sehr ungewöhnlich in einer Zeit, wo Preußens Heiratspolitik eine so wichtige Rolle für den Staat spielte, der noch keineswegs zu den europäischen Großmächten zählte. Verwandtschaftliche Beziehungen zu allen wichtigen Königshäusern sicherten die Grenzen, waren der beste Schutz vor überraschenden Angriffen. Und Amalia war in ihrer Jugend ziemlich hübsch, wenn auch nicht sehr groß und eher rundlich. So schwärmt der Kammerherr Heinrich von Lehndorff von ihr: »Unter hundert Personen würde man sie immer herauserkennen und ihre königliche Abstammung anmerken. Ihre Augen sind von hinreißender Schönheit, was sie mit ihrer ganzen erlauchten Familie gemein hat, ihr Mund ist klein und verleiht ihr beim Sprechen eine unendliche Anmut...« Und der Oberzeremonienmeister des königlichen Hofes, Karl Ludwig Freiherr von Poellnitz, vermerkt in seinem Tagebuch: »Die Damen machten nach beendigter Toilette zuerst dem Prinzen und der Prinzessin von Preußen und dann der Prinzessin Amalie ihre Aufwartung. Die letztere befand sich in ihrem Boudoir beim Flötespielen, bekleidet mit einem Corset von weißer Seide und einem weißen Rocke, der mit natürlichen Blumen in Silber bestickt war. Sie sollte eben zu einem Porträt auf einer Meißener Porzellan-Untertasse sitzen.«

Allerdings sagte man der »dicken Lily«, wie sie auch genannt wurde, einen launischen Charakter nach. Am Hof gab es nicht wenige Personen, die Angst vor Amalias Spott und ihrer beißenden Ironie hatten, man hielt sie für hochmütig und auch hinterhältig.

Hat es deshalb mit einer Heirat nicht geklappt? Wie Chronisten berichten, war eigentlich sie und nicht ihre Schwester Ulrike als Gemahlin für den Herzog von Holstein, künftiger König von Schweden, vorgesehen. Doch dafür hätte Anna Amalia vom calvinistischen zum lutherischen Glauben übertreten müssen, und das brachte sie angeblich nicht übers Herz. Als der Stockholmer Gesandte dann Ulrike den offiziellen Antrag überreichte – Amalia mit den rotgeweinten Augen und dem absichtlich häßlichen Kleid schreckte ihn ab–, dämmerte ihr, was sie da leichtfertig verspielt hatte, und sie mimt die Beleidigte. Später im Herbst 1753 ist noch einmal kurz von einer kleinen Romanze mit einem Baron Glaubnitz die Rede, sonst taucht kein weiterer Mann in ihrer Biografie auf. Bis eben auf den legendären Trenck.

Friedrich mit seinem Faible für die kleine Schwester hat mit ihr, wenn schon partout keine Heirat zustande kommt, etwas anderes vor. Sie soll Äbtissin von Quedlinburg werden. Irgendwie muß sie ja versorgt werden.

Ein Großteil der Familie atmet auf. Endlich ist man die inzwischen penetrant altjüngferlich und immer bissiger werdende Schwester und Tante los. Aber schon zehn Tage nach der ehrenvollen Ernennung schreibt von Lehndorff enttäuscht: »Die Prinzessin Amalie wird nicht eher in Quedlinburg Wohnung nehmen, als bis sie ihre Schulden im Betrage von 30.000Talern, die der König vorgestreckt hat, bezahlt hat.« Schulden, die sie hauptsächlich beim Spiel gemacht hat.

Wie sich Anna Amalia auch immer mit ihrem Bruder geeinigt hat, ein Dreivierteljahr später kommt es in Quedlinburg zur feierlichen Inthronisation. König Friedrich hat, quasi als Aussteuer, der Schwester einen eigenen Hof, also Hofdamen, Hofmeisterin und Hofkavalier, zur Verfügung gestellt. Er ist wohl auch froh, sie nicht dauernd in seiner Nähe zu haben, stichelt sie doch mit Vorliebe gegen seine Frau, die Königin.

Doch nach einigen Festivitäten und Besichtigungstouren in und um Quedlinburg reist die neuernannte Äbtissin schnell wieder ab. Jetzt hat sie ihren Titel, der ihr ein schönes Ansehen verleiht, außerdem die nicht weniger schönen Einkünfte aus dem Stift, leben will sie weiterhin in Berlin. Rasch gelingt es ihr, sich dort unentbehrlich zu machen, zum wichtigsten Bindeglied innerhalb der Familie zu werden. Bei Tante Amalia laufen die meisten Fäden zusammen, liefen es eigentlich immer schon. Sie war es, die die Trauerfeierlichkeiten beim Tod ihrer Mutter Sophie Dorothee (zu der sie nie ein besonders gutes Verhältnis hatte) organisierte und ein Jahr später dann genauso bei ihrem Bruder August Wilhelm, obwohl der ihr Hausverbot erteilt hatte. Die intrigante Jungfer ist nicht überall beliebt. Um so mehr versucht sie jetzt, sich Ferdinand, dem jüngsten Bruder, anzunähern.

Zunächst hat der nichts dagegen. Aber als sie sich dann, als er 1771 wieder und diesmal besonders schwer krank wird, mit Sack und Pack in Friedrichsfelde einquartiert und ihm seinen baldigen Tod prophezeit, wird es ihm doch zuviel. Er beschwört seine Frau, ihm die Schwester vom Hals zu schaffen. Trotzdem bleibt Amalia mit den Ferdinands in engem Kontakt. Und wenn sich auch ihr Charakter als immer unberechenbarer erweist – für die Kinder wird sie bald zur wichtigen Bezugsperson, besonders für Louis Ferdinand.

Der aufgeweckte Junge ist ihr Lieblingsneffe. Mit einem einzigen scharfen Blick aus ihren leider gar nicht mehr hinreißend schönen, sondern inzwischen stark hervorquellenden Augen erkennt sie seine musikalische Begabung, die ihre eigene und die des großen Friedrich weit in den Schatten stellt. Wäre Tante Amalia nicht gewesen, hätte der Prinz vielleicht niemals so viele herrliche Kompositionen geschaffen.