Der eigene Tod - Péter Nádas - E-Book

Der eigene Tod E-Book

Péter Nádas

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Beschreibung

Der Autor des ‹Buch der Erinnerungen› schreibt in diesem schmalen Band über die letzten Dinge: «Jetzt also trete ich ab, das war tatsächlich mein Gedanke. Ich wusste, wenn ich diese Grenze zwischen Dunkelheit und Licht überschreite, gibt es kein Zurück mehr.» Péter Nádas beschreibt in diesem ebenso klugen wie berührenden Buch, wie er auf offener Straße einen Herzinfarkt erleidet und für kurze Zeit auf der Schwelle zwischen Leben und Tod steht. Nach dreieinhalb Sekunden ins Leben zurückgeholt, erzählt der Dichter die Wahrnehmung eines Grenzgängers: den Schmerz ebenso wie kuriose Beobachtungen. Eine Erzählung von Ungeheuerlichem und zugleich Alltäglichem.

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Seitenzahl: 59

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Péter Nádas

Der eigene Tod

Aus dem Ungarischen von Heinrich Eisterer

Über dieses Buch

«Jetzt also trete ich ab, das war tatsächlich mein Gedanke. Ich wusste, wenn ich diese Grenze zwischen Dunkelheit und Licht überschreite, gibt es kein Zurück mehr.»

 

Péter Nádas erleidet auf offener Straße einen Herzinfarkt. Für kurze Zeit, Sekunden nur, steht er auf der Schwelle zwischen Leben und Tod. Ins Leben zurückgeholt, erzählt der Dichter die Wahrnehmung eines Grenzgängers: den Schmerz ebenso wie kuriose Beobachtungen. Eine Erzählung von Ungeheuerlichem und zugleich Alltäglichem.

 

«‹Der eigene Tod› ist ein großes Buch, leicht zu lesen und kaum auszuschöpfen.» (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

 

«Ein Stück erzählender Philosophie von großer Ernsthaftigkeit.» (Süddeutsche Zeitung)

Vita

Péter Nádas, 1942 in Budapest geboren, ist Fotograf und Schriftsteller. Bis 1977 verhinderte die ungarische Zensur das Erscheinen seines ersten Romans «Ende eines Familienromans» (dt. 1979). Sein «Buch der Erinnerung» (dt. 1991) erhielt zahlreiche internationale Literaturpreise. Zuletzt erschienen der große Roman «Parallelgeschichten» und seine Memoiren eines Erzählers: «Aufleuchtende Details».

Unter anderem wurde Nádas mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur (1991), dem Kossuth-Preis (1992), dem Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung (1995) und dem Franz-Kafka-Literaturpreis (2003) ausgezeichnet. 2014 wurde ihm der Würth-Preis für Europäische Literatur verliehen. Péter Nádas lebt in Budapest und Gombosszeg.

Der eigene Tod

Schon beim Erwachen merkte ich, dass nichts so war, wie es sein sollte, doch ich hatte in der Stadt viel zu tun, ich ging los. In diesen Tagen war es übergangslos warm geworden, ein regelrechter Sommereinbruch.

 

 

Prächtiges Wetter, redete ich mir zu, doch mein Körper sträubte sich. Wann immer möglich, wechselte ich auf die schattige Seite der Straße.

 

 

Zu Zeiten plötzlicher Wetterumschwünge heulen die Sirenen der Rettungswagen in jeder Großstadt unaufhörlich. Sowie der Ton der einen im Verkehrsgewühl erstirbt, nähert sich von anderer Seite gellend die nächste.

 

 

Ich verstand nicht, was vor sich ging.

 

 

Wenig später stand ich mit einer jungen Frau auf der Terrasse des Café Gerbaud, wo alle Plätze unter den weißen Sonnenschirmen besetzt waren. In der verfrühten Wärme hatten sich die Blätter der Platanen noch nicht entfaltet.

In diese rohe Mittagssonne könnte ich mich jetzt nicht setzen, das fühlte ich immerhin. Doch im Inneren des Cafés wäre es im dicken Rauch auch nicht besser gewesen. Die junge Frau wollte unbedingt in die Sonne. Wie sollte ich ihr begreiflich machen, dass mir nirgends wohl wäre, mit niemandem. Mit Widerwillen beobachtete ich, wie sie ihre von der Sonne bis in die Poren durchleuchtete, milchweiße Haut zur Schau stellte. Unterdessen spielte ich natürlich meine eigene Lebensrolle, den verständnisvollen und aufmerksamen Mann, obwohl ich mich unter den Strahlen der Sonne immer sonderbarer fühlte. Als könnte ich nicht richtig anwesend sein, weil ich immer unkontrollierbar woandershin rutschte. Ich soll eine Erklärung unterschreiben, die sie in meinem Namen aufgesetzt hat. Das Schriftstück blieb lange zwischen Kuchenteller und Mineralwasser auf dem Marmortisch liegen. Als wolle sie keinen Augenblick auf den Genuss der Sonne verzichten, erläuterte sie es mit geschlossenen Augen.

Sie präsentierte ihre blau bemalten, schamlos zitternden Lider.

Ich musste weiter, der Zahnarzt wartete. Während er in meinem Mund arbeitete, brach mir der Schweiß aus.

 

 

Zuerst trocknete ich mir nur die Stirn, womit ich ihn bei der Arbeit störte. Bevor er mit Bohrer und Spiegel in meinen noch weiter aufgerissenen Mund zurückkehrte und meine Zunge erneut zur Seite drückte, wies er mich an, den Mund weiter aufzumachen. Beim zweiten Mal musste ich mir schon Gesicht, Hals und Nacken abwischen, und seine Aufforderung klang noch strenger. Er konnte doch sehen, dass es noch weiter auf nicht ging. Dabei gab ich mir wirklich Mühe, mit dem ganzen Körper überließ ich mich dem Zahnarztstuhl. Trotzdem waren unter dem Latz, der mir um den Hals hing, Hemd und Hose klitschnass, ich konnte spüren, wie mir das Wasser die Beine hinabperlte. Ich sah, dass ihm vor kaum bezähmbarer Gereiztheit Tröpfchen auf der Oberlippe standen.

Und es nahm kein Ende.

Er bat seine Assistentin, eine ältere, gehetzt dreinblickende Frau, mich abzutrocknen.

Nicht nur die Stirn, ich bitte Sie, wies er sie gereizt zurecht. Ich sage doch, nicht nur die Stirn.

Ich muss erbärmlich ausgesehen haben, als ich schließlich aufstand. In solchen Situationen blickt man dem anderen höflich ins Gesicht und sonst nirgendwohin. Ich aber floh geradezu vor ihnen, hinaus aus der Praxis, das Treppenhaus tat dann gut, es war stumm und eiskalt. Ich stand in der offenen Korridortüre des fünften Stocks und wartete, bis mein aschgraues Seidenhemd einigermaßen trocken war.

 

 

Die kläffenden Höllenhunde wünschen, dass ich den Mund halte, dass ich nicht davon erzähle.

 

 

Außer dem Morgenkaffee und dem Mineralwasser vom Gerbaud hatte ich nichts im Magen, trotzdem stieg ein heftiger Brechreiz in mir hoch. Möglicherweise eine Nikotinvergiftung, dachte ich. Das darf ich vielleicht erzählen. In den letzten Wochen war ich außerstande gewesen, so wenig zu rauchen, dass es nicht zu viel gewesen wäre.

 

 

Ein paar Bücher in einem nahe gelegenen Hotel abgeben. Druckfahnen abholen, die bis zum nächsten Morgen korrigiert zurückgebracht werden müssen. Eine Hand am Haltegriff, las ich stehend in der Straßenbahn.

 

 

Sie bellen und jaulen aus Leibeskräften, damit ich die passenden Sätze nicht finde.

 

 

Der Mittwochnachmittag war schon weit fortgeschritten, als mir beim Aussteigen aus einer anderen Straßenbahn der Gedanke kam, dass ich alles Weitere telefonisch absagen sollte. Ohne größere Schwierigkeiten überquerte ich die Fahrbahn, doch auf dem Gehsteig ging es in dem irren Licht einfach nicht mehr. Als wären meine Knie und Knöchel zu weich zum Gehen.

Man hat keine blasse Ahnung, was im eigenen Organismus vor sich geht. Wieso kann ich nicht weitergehen, ich verstehe das nicht, ich bin doch nicht ohnmächtig. Man muss sich damit abfinden, es ist einfach nicht zu erklären. Am besten so tun, als wäre alles in schönster Ordnung. Anerzogenen Handlungsmustern folgen und die Realität des eigenen Zustandes leidenschaftlich leugnen. Unterdessen kritisch unter den möglichen Ursachen wählen. Alles ist zu komplex. Das Problem ist, dass mir heiß ist und ich schwitze. Dass ich unfähig bin, äußere und innere Komplikationen zu entwirren. Es gibt Ursachen, die so peinigend sind, dass man sie nach den Regeln des inneren Monologs nicht einmal vor sich selbst anzudeuten wagt, darum sind auch die ursächlichen Zusammenhänge nicht durchschaubar. In letzter Zeit habe ich zu viel gearbeitet, sagt man, ich bin angespannt, sagt man, ich bin erschöpft. Oder schwitzt man nicht deshalb, fragt man sich, weil man wieder von allem und allen angeekelt ist. Man flüchtet sich hinter Ausdrücke, die auch andere gebrauchen und die einem schon zum Hals heraushängen.

 

 

Ohne die Erinnerung der Seele ist der Körper nicht zu verstehen.

 

 

Vor dem Hotel Gellért blieb ich stehen, und so komisch es auch klingt, meine physische Kraft reichte nicht aus, die sanfte Steigung des Gehsteigs zu bewältigen.

Man ist natürlich erfreut, mit welchen zweifelhaften Überraschungen der Körper aufwartet, bewundert sich auch gleich selbst, zu welchen Sensationen man im letzten Moment des Lebens doch imstande ist. Der Schmerz hatte eine unbekannte Intensität. Ich hoffte aufrichtig, nicht aus Überraschung vor aller Augen zusammenzuklappen. Mir kam auch der Gedanke, dass mich eventuell der Hunger geschwächt haben könnte.