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Péter Nádas

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Beschreibung

Die Ende der achtziger Jahre entstandene Dramentrilogie des ungarischen Schriftstellers Péter Nádas ist geprägt von seinen Erfahrungen mit Unterdrückung und Zensur. Die poetische Dichte ihrer theatralischen Bilder hebt die Stücke jedoch über zeitliche, historisch-politische Grenzen hinaus. «Hausputz» ist eine szenische Phantasie über die Gier nach Leben und die Gefahr ihrer Erstickung. In «Begegnung», einem erotischen Opfer-Täter-Text, durchlaufen eine alte Frau und ein junger Mann gemeinsam einen alptraumartigen Erinnerungsprozeß, und in «Beerdigung» versuchen sich «Schauspieler» und «Schauspielerin» über den Särgen ihrer Vergangenheit im freien Spiel von Rollentausch, Darstellung und Selbstbehauptung. Der Band beginnt mit einem fiktiven Interview über Fragen zum Theater, das Nádas mit sich selbst geführt hat, und endet mit Ausschnitten aus seinem Tagebuch über die Uraufführungsproben von «Hausputz».

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Seitenzahl: 266

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Péter Nádas

Ohne Pause

Drei Stücke: Hausputz • Begegnung • Beerdigung

Aus dem Ungarischen von Ilma Rakusa

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Über dieses Buch

Die Ende der achtziger Jahre entstandene Dramentrilogie des ungarischen Schriftstellers Péter Nádas ist geprägt von seinen Erfahrungen mit Unterdrückung und Zensur. Die poetische Dichte ihrer theatralischen Bilder hebt die Stücke jedoch über zeitliche, historisch-politische Grenzen hinaus. «Hausputz» ist eine szenische Phantasie über die Gier nach Leben und die Gefahr ihrer Erstickung. In «Begegnung», einem erotischen Opfer-Täter-Text, durchlaufen eine alte Frau und ein junger Mann gemeinsam einen alptraumartigen Erinnerungsprozeß, und in «Beerdigung» versuchen sich «Schauspieler» und «Schauspielerin» über den Särgen ihrer Vergangenheit im freien Spiel von Rollentausch, Darstellung und Selbstbehauptung. Der Band beginnt mit einem fiktiven Interview über Fragen zum Theater, das Nádas mit sich selbst geführt hat, und endet mit Ausschnitten aus seinem Tagebuch über die Uraufführungsproben von «Hausputz».

Über Péter Nádas

Péter Nádas wurde 1942 in Budapest geboren, erhielt 1991 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur für seinen Roman «Buch der Erinnerung». 1992 wurde er mit dem ungarischen Kossuth-Preis ausgezeichnet, 1995 mit dem Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung. Péter Nádas lebt in Budapest und Gombosszeg.

Inhaltsübersicht

Fragen, Versuch einer AntwortHausputzBegegnungBeerdigungLetzte Seiten eines Probentagebuchs

Fragen, Versuch einer Antwort

Was bedeutet Theater für dich?

Ich weiß es nicht. Etwas Dunkles. Wie das nachmittägliche Aufwachen in der Kindheit. Heißes Dunkel. Und Stille. Auch wenn geredet wird, herrscht Stille. Die Bühnenbretter knarren, die Kleider rascheln, ein Aufschrei, zwei Schwerter stoßen klirrend aneinander, oder zwei Kelche, Brüllen, Seufzen – diese Geräusche sind sehr wichtig. Dunkel und Stille, Wärme und Licht, Geräusche. Und Atmen. Auch das Atmen ist sehr wichtig. Theater bedeutet für mich: Ich sitze in einer atmenden, dunklen Hülle, und im fernen Lichtschein, unter einer riesigen weißen Säule drückt Anna Tökés ihre Hand zuerst an die Brust, dann an den Hals, ihr steifer Körper kippt, wie ein gefällter Baum, nach vorn, sie sagt auch etwas, viel sogar, doch das Ganze besagt lediglich, daß sie jemanden sehr liebt, der sie nicht liebt, weil er eine andere liebt, und der darum wegging und Anna Tökés unter jener Säule zurückließ, und nun beginne auch ich zu atmen wie sie. Ich keuche, obwohl ich mich beherrsche. Das tun auch die andern, die ebenfalls beherrscht sind. Wir keuchen gemeinsam. Obwohl jeder nur seine eigene Lunge benutzt. Es wäre gut, zu wissen, was Theater bedeutet: nicht nur für mich, sondern allgemein. Ist es Massenhysterie in festgelegtem Rahmen? Drückt es das Bedürfnis des Menschen aus, daß man sich in seine persönlichsten Angelegenheiten einmischt, in sein Atmen? Ist es Zusammenatmen, doch ein freiwilliges? Rituelle Unordnung? Konsens der Gefühle, Ordnung? Das eine wie das andere, vielleicht. Aber das ist nur eine Annäherung. Kann ich nochmals von vorne beginnen?

 

Bitte. Wir haben Zeit.

Im Theater ist es womöglich erlaubt, über exhibitionistische Dinge zu reden. Wenn ich auf der Straße gehe, wenn ich reise, schaue ich zwanghaft Gesichter an. Und ich möchte auch die dazugehörigen Körper sehen. Möchte Gesicht und Körper all meiner Reisegefährten mustern. Das Wort Reisegefährte ist zwar zufällig über meine Lippen gekommen, ist aber schillernd, man kann gut mit ihm spielen, denn wir alle, die wir uns in den Straßenbahnen drängen oder durch die Straßen hetzen, sind letzten Endes Zeitgenossen beziehungsweise Reisegefährten in dieser Zeit. Und eben das, eben sie möchte ich sehen und fühlen. Mit meinem Blick taste ich ab, wie sie sind, ob sie gut für mich wären. Wenn sie mir gehörten. Ein flüchtiges Erlebnis, denn so viele Menschen können mir nicht gehören, und was ich im Moment der Betrachtung fühle und denke, vergesse ich sowieso. Dennoch kann ich diesen Zwang, zu schauen und zu vergleichen, durch nichts ersetzen. Obwohl es eine unangenehme Gewohnheit ist. Eine unschickliche. Aber seit die großen Rolltreppen der Budapester Metro in Betrieb sind, sehe ich, daß meine unschickliche Neugier massenhaft und instinktiv ist. Die Hinauffahrenden schauen mit unverhohlener Neugier in die Gesichter der Hinunterfahrenden, und umgekehrt. Und man kann auch feststellen, daß sich von unten besser schauen läßt. Das Gesicht wird nicht von Haar und Stirn verschattet. Diese Rolltreppen sind das beste Volkstheater. Wir können ohne unmittelbare Folgen in fremde Leben hineinblicken. Dabei verrät eine einzelne Körpergeste, ein einzelner Gesichtsausdruck Herkunft, Erziehung und Schicksal kruder, als wenn man versuchte, das gleiche mit Worten zu umschreiben. Es gibt keine Ausnahme und keine Ausflucht. Ein kontrolliertes Gesicht verrät sich ebenso wie ein unkontrolliertes. Trotz aller gesellschaftlichen Regeln sind wir nackt voreinander. Und das Theater ist womöglich nichts anderes als die Wahrnehmung und Demonstration dieser Nacktheit. Es dehnt den Moment der Beobachtung, der Empfindung und der Resonanz auf Stunden aus. Auch Marx war der Auffassung, daß wir Akteure in unserem eigenen Drama seien; Shakespeare aber hielt sogar den Sturm für Theater. Sie haben beide recht; das Theater der Menschen ist die Geschichte, das Theater der Elemente der Sturm, zwischen ihnen aber gibt es im Grunde keine Grenzen, weshalb sie sehr gut zusammenpassen. Auf der Bühne. Denn wenn ein jeder Erlebender und Beobachter ist, wenn alles Theater ist und jeder Akteur, dann muß es einen Ort geben, wo ein paar Menschen so tun, als könnten sie Natur und Geschichte erzeugen, einen Ort, wo wir jeden Abend hingehen können, wenn wir wollen, und uns ansehen können, was wir tun und was mit uns getan wird. Wo sie es uns zeigen. Wo sie uns vorspielen, was wir spielen. Darum ist nicht wichtig, daß das Theater gut ist, sondern daß es ist. Doch der Satz ist umkehrbar. Mag die Existenz des Theaters auch ein qualitätsunabhängiges Grundbedürfnis sein: wenn es denn einen Ort geben muß, an den – wie Jouvet sagt – jeden Abend siebenhundert Leute hingehen, ohne daß jemand sie einlädt, ohne bestimmten Grund und Absprache, dann ist schlechtes Theater Verbrechen und Vertrauensbruch, oder noch mal anders: wenn das Theater schlecht ist, so bedeutet dies, daß die Gesellschaft an einer noch zu diagnostizierenden Krankheit leidet, daß sie womöglich schlecht mit ihren Gefühlen umgeht, daß sie blind, taub und stumm ist, obwohl sie Augen, Mund und Ohren hat, daß sie also, wie ein schlechter Schauspieler, sich nur verstellt. Sie verstellt und verbirgt sich, sie verstummt, sie spielt Theater. Und das kann sehr irreführend sein. Fast glauben wir ihr. Denn das Theater ist die Kunst des als ob, des was wäre, wenn, des was wäre gewesen, wenn. Als wäre ich selbst die von ihrem Liebhaber verlassene Anna Tökés. Was wäre, wenn ich sie verlassen hätte? Was wäre gewesen, wenn ich als Königin, als Maria Lebjadkina, als Meuchelmörder, als Graf Bóni, als Artur oder Edek geboren worden wäre? Das ist keine Heuchelei! Ohne die infantilen Spiele von Vorstellung und Vergleich gibt es keine gesunde Gesellschaft. Natürlich ist auch das nur eine Annäherung.

 

All das gilt auch für die übrigen Künste, etwa für die Literatur.

Ja, aber nicht so! Einmal saß ich bei einem Konzert in der ersten Reihe. Igor Oistrach spielte die große Nummer der Musikvirtuosen, Mendelssohns Violinkonzert in e-Moll. Die Solo-Geige setzt schon im zweiten Takt ein und dominiert das ganze achtundzwanzigminütige Stück. Oistrach ist dicklich. Zuerst begann sein – vollkommen kontrolliertes – Gesicht zu glänzen, dann fielen Schweißtropfen von seiner Stirn. Fielen in seine Augen. Rannen den Nasenrücken hinab, auf sein Kinn und von dort schließlich auf die Geige. Unter den Saiten rann der Schweiß auf sein Handgelenk und tropfte auf den Boden. Ich mußte den Blick abwenden. Es war interessant, doch hatte diese Kraftanstrengung nichts mit der Musik zu tun, die Oistrach spielte. Überhaupt mit keiner Musik. Eine Privatsache, die zu beobachten ich nicht das Recht hatte, und kein Spiel. Was er mir sagen wollte, teilte er mit der Musik, nicht mit seinem Gesicht, mit seinem Körper mit. Und genauso verhält es sich, wenn ich einen Kunstgegenstand betrachte oder ein Buch lese. Mich interessiert nicht, ob der Maler zwischen zwei Pinselstrichen schlief oder Liebe machte, es geht mich nichts an, ob der Schriftsteller zwischen zwei Sätzen seines Dramas über Magenschmerzen klagte oder gähnte. Das sind private Dinge, man muß sie alleine tun, auch die Reaktion auf sie ist entsprechend. Das Theater jedoch kalkuliert nicht nur die körperlichen Gegebenheiten und intimen Fähigkeiten des Schauspielers ein, der seine Rolle spielt, es rechnet auch damit, daß die Manifestation dieser Gegebenheiten und Fähigkeiten von mehreren hundert verschiedenen, doch auf Intimität bedachten, in diese schwarze Hülle gesperrten Menschen wahrgenommen wird. Das Theater ist die einzige wirkliche Gemeinschaftskunst. Die Kunst rituellen Zusammenatmens. Wenn dieses Zusammenatmen nie gelingt, muß man vielleicht überlegen, wieso die Gesellschaft sich nicht stark und gesund genug fühlt, um ihre eigenen Lächerlichkeiten und Schrecken sichtbar zu machen oder sichtbar machen zu lassen. Und wenn sie es nicht tut beziehungsweise nicht zuläßt, wenn die Spielregeln falsch sind, dann ist es nur natürlich, daß sich das Theater lieber taub, blind und stumm stellt – daß es zu seiner Selbsterhaltung Theater spielt. Ich bin fast sicher, daß in einer geistigen Atmosphäre, in der es zur Selbstverständlichkeit gehört, jede Ecke und Kante abzuschleifen, gesunde und ungesunde Extreme abzuschwächen, ja abzuwürgen, gutes Theater nicht gedeihen kann. Vielleicht kann man Gedichte und Romane schreiben oder Bilder malen. Wenn sie gut sind, halten sie stand. Wenn nicht, macht es auch nichts. Doch auf der Bühne kann man nicht mit seichten kleinen Seelenscharmützeln ein Drama ersetzen. Siebenhundert Leute würden da einschlafen. Auch kann man das Theater nicht auf morgen vertagen, denn es wird heute gebraucht. Ebensowenig kann sich das Theater auf die Umstände stützen, denn wir wissen, daß es in seiner Macht steht, akademische und an Selbstverkrampfung leidende Epochen zu sprengen. Es steht in seiner Macht, gegen das zu rebellieren, womit man es erwürgen wollte. In solchen Momenten fallen die Zuschauer ohnmächtig vom Stuhl, werden handgreiflich oder schluchzen in gegenseitiger Umarmung.

 

Vorhin hast du Maria Lebjadkina, Graf Bóni, Artur und Edek erwähnt. Warum gerade sie?

Graf Bóni bezieht sich eher auf die Operette und hat mit einem Kindheitserlebnis von mir zu tun, das gewöhnlich und trivial war, es geschah eine richtige Tragödie, wie sie nur einmal vorkommt; ich saß auf der Veranda, draußen blies der Wind, und obwohl mein Vater sagte, ich dürfe das Radio jetzt nicht einschalten, tat ich es doch; es kam eine Operettenarie, und ich fing zu heulen an, und von da an heulte ich immer. Denkt man einmal genau über diese Fähigkeit zur Empathie nach, über dieses Gefühl, das den Tod mit einer Operette verknüpft, und läßt man sich später durch den eigenen Snobismus nicht beirren, so kann man auch dank Graf Bóni verstehen, was es zu verstehen gibt, selbst wenn man ihn nicht mag. An Maria Lebjadkina dachte ich wegen der Inszenierung der Dämonen in Kaposvár, denn hier fühlte ich mich zum ersten Mal seit Jahren in einem echten Theater, abgesehen von jenen zwei Aufführungen, die meines Erachtens einzigartig waren und zweifellos so lange richtungweisend bleiben werden, bis ich wieder etwas Vergleichbares sehe: Tango im Warschauer Teatr Wspólczesny, im Frühjahr neunzehnhundertachtundsechzig, darauf beziehen sich die Namen Artur und Edek, nämlich auf jenen Augenblick, als schon der honigsüße Tango erklingt und Onkel Eugeniusz in Edeks Armen über Arturs Leichnam hinwegtanzt, der honigsüße Tango dröhnt noch in der Garderobe, dröhnt bis auf die Straße, endlos; der Meuchelmörder aber bezieht sich auf Manfred Wekwerths Inszenierung von Richard III. im Berliner Deutschen Theater, wo Sieger Richmond im letzten Moment eben jene Ordnung übernimmt, die sein Vorgänger hinterlassen hatte, er wird sie ebenso fortführen, weshalb das entsetzte Publikum nicht einmal applaudieren mochte, denn schließlich beklatscht man nicht gern seine eigene Angst, Unsicherheit und Schmach.

Hausputz

Komödie ohne Pause

Personen

KLÁRA

zweiundsechzig Jahre alt

ZSUZSA

zweiunddreißig Jahre alt

JÓSKA

zwanzig Jahre alt

ANDRÁS

zwanzig Jahre alt

 

Commedia perpetua – vielleicht vermag diese Gattungsbezeichnung zu verdeutlichen, wie der Stil einer künftigen Aufführung beschaffen sein sollte.

Es geht nicht nur darum, daß das Spiel durch keine Pause unterbrochen wird, sondern daß in dieser Komödie der Text ausgesprochen musikalisch organisiert ist.

Die Sätze haben einen eigenständigen Rhythmus und bilden eine Grundeinheit, wie in der Musik die Töne und Tonreihen. Dieser Rhythmus wird nicht nur durch den prosaischen Inhalt oder Sinn der Sätze geprägt, sondern auch durch den Stellenwert des Satzes, bzw. der Sätze, in einer größeren Einheit. Das Stück orientiert sich in gewisser Weise an der Oper, es besteht aus Arien, Duetten und Terzetten. Das Wechselspiel dieser größeren Einheiten ergibt die Struktur des Stücks. Letztlich könnte man sogar die Stimmlage der Personen angeben. Klára spricht im Mezzosopran, Zsuzsa im Alt, Jóska im Tenor. Den einzigen wirklich prosaischen Satz sagt András.

Die Art der Aufführung ließe sich mit einem musikalischen Ausdruck charakterisieren: con amore, das heißt, gespielt wird mit einer liebevollen Innigkeit, die nie klar entscheiden läßt, ob ein ausgesprochenes Wort nicht ein verschwiegener Gedanke ist.

Auf der offenen Bühne ein völlig leeres Zimmer. Ein tiefer, hoher, weiter Raum. Alles ist echt, auch was vorläufig noch nicht zu sehen ist. Weil der Hausputz bevorsteht, sind an den Wänden nur Nägel übriggeblieben und die hellen Stellen von Möbeln, Teppichen, Bildern und Bildchen und dem großen Wandspiegel; weiße Flecken auf den verschmutzten Wänden; doch die Nägel sind echt, echt auch der Schmutz, die echten Gegenstände haben hier ihre Spuren hinterlassen, und am Schluß des Stücks werden sie wieder an ihren richtigen Platz gerückt.

Die Farbe der Wände war ursprünglich weiß. Ein vergoldeter Lüster hängt von der Decke.

Etwas zurückgesetzt, parallel zur Rampe, läuft auf halber Höhe quer über die Bühne eine Vorhangstange. Sie ist aus Messing, oxydiert. In den letzten Augenblicken des Spiels wird hier jener riesige, luftige Musselinvorhang angebracht, der dann zugezogen wird, damit sich dahinter in vollem Pomp der keusche Schluß entfaltet und das Spiel zu Ende geht.

In der Wand, in der Bühnenmitte, frontal zum Publikum, eine halboffene Flügeltür, eine Glastür, wie sie in jedem anständigen bürgerlichen Drama vorkommt; dahinter die Halle, in der Halle ist die ganze Zimmereinrichtung zusammengedrängt, so daß zwischen den aufeinandergestapelten Möbeln und Gegenständen nur ein schmaler Weg bleibt.

Es gibt nur Biedermeiermöbel; der Bücherschrank, die Kommode, das Kanapee, der Fauteuil, das Tischchen und der Spiegel sind ausschließlich Biedermeier, nur die unzähligen Nippsachen können aus anderen Epochen stammen, sagen wir von Empire bis Jugendstil; neuere Gegenstände gibt es nicht – außer jenem bräunlichen, genau lebensgroßen Amateurfoto, das einen hübschen jungen Mann im Badekleid zeigt, wie er aus dem Fluß steigt.

Dieses auf Pappe aufgezogene und gerahmte Foto ist noch nicht entfernt worden, es hängt neben der Tür zur Halle; doch wenn es abgehängt und hinausgetragen wird, muß auf der Wand ein schmerzlich weißer Fleck zurückbleiben.

Am Ende des Wegs durch die Halle gibt es eine weitere offenstehende Tür: man sieht ins Vorzimmer; von dort aus geht es zur Küche und ins Badezimmer, und von dort werden alle für den Hausputz erforderlichen Dinge hereingebracht.

Das Zimmer im Vordergrund ist sanft erhellt, man könnte sagen, leicht dämmerig. In der Halle herrscht Halbdunkel, aber im Vorzimmer darf, damit die Perspektive der Wohnung optimal zur Geltung kommt, ein härteres Licht herrschen. Die Quantität und Qualität des Lichts verändert sich im Laufe des Spiels nicht, denn obwohl alles echt ist, vergeht keine Zeit; oder gerade weil alles echt erscheint, vergeht keine Zeit.

In der linken Wand des Zimmers ist eine weitere Tür, kleiner, auch sie steht offen.

 

KLÁRA

kommt durch die linke Tür herein

Wo sind Sie, Zsuzsika? Wo stecken Sie nur?

geht durch die Halle ab

 

Pause

 

ZSUZSA

kommt rasch durch die linke Tür herein, in der Hand einen langstieligen Mop; beginnt aufs Geratewohl, die Spinnweben von der Wand zu entfernen

JÓSKA

kommt durch die Halle, in der Hand einen Eimer Wasser

Sind Sie nicht da? Zsuzsika! Laß diese beschissene Wand.

Hör zu, Zsuzsika! Ich lüge nicht.

ZSUZSA

Duz mich nicht.

JÓSKA

Hab ich Sie geduzt? Glauben Sie mir, die ist verrückt. Nachts kann man sie heimlich beobachten. Wenn der Mond scheint, geht sie in den Garten, aber nicht durch die Tür, sondern durchs Fenster, und tanzt. Heute ist gerade Vollmond. Sogar die Hunde heulen sie an. Sie starrt auf den Mond und tanzt. Kahl. Auf dem Kopf hat sie nur eine Perücke, wenn sie die Perücke nachts auszieht, ist sie völlig kahl. Auch Zähne hat sie keine mehr, nur ein Kunstgebiß. Sie tanzt im Nachthemd. Stellen Sie sich das vor.

ZSUZSA

Wie groß ist das Grundstück?

JÓSKA

Dreitausend Quadratmeter.

ZSUZSA

Eigentum oder Pachtland?

JÓSKA

Weiß ich nicht.

ZSUZSA

Wasch die Tür.

JÓSKA

Sie ist verliebt in mich.

stellt den Eimer ab

Auch diese Hose hab ich von ihr bekommen. Sie tut, als ob ich noch immer ein Kind wäre, als ob sie sich das erlauben könnte. Streichelt mein Gesicht. Fragt, ob ich Geld brauche. Fragt, ob ich gebadet habe, mein Geruch sei zu stark.

 

er faßt das Mädchen von hinten an, berührt sachte ihre Brüste; sie ringen, der Eimer kippt um, das Wasser fließt aus

 

ZSUZSA

Hältst du mich für eine Hure?

gibt dem Jungen eine Ohrfeige

JÓSKA

Sind Sie denn keine?

 

Pause

 

KLÁRA

kommt durch die linke Tür herein

Zsuzsika, meine Liebe, zum Schrubben müßte man im Kessel Wasser heiß machen. Aber ich kann nicht an alles denken. Ich geh lieber aus dem Haus. Jóska wird so lieb sein und das Wasser aufsetzen. Weiß nur nicht, wohin. Vielleicht geh ich zu den Romsauers hinüber. Oder sonstwohin. Hier bin ich nur im Weg. Ich bin erschöpft. Tut, was ihr wollt. Ich bin müde. Ich bin furchtbar müde.

ZSUZSA

entfernt mit dem Mop die Spinnweben von der Wand

Gehen Sie ruhig. Nur reden Sie mich bitte nicht mehr so an.

Besser Zsuzsa. Ich mag die Koseform nicht.

KLÁRA

Was scheuchen Sie diese armen Spinnen auf? Wissen Sie, was Spinnen für interessante Tiere sind?

ZSUZSA

Ich werde jede Spinne töten.

KLÁRA

Wenn ich müßig auf dem Diwan liege, könnte ich ihnen stundenlang zuschauen, wie sie in der Ecke lauern. Meine Augen funktionieren noch gut. Ich sehe alles, genau. Was widersetzen Sie sich mir? Mich stört der Schmutz überhaupt nicht mehr. Was soll dieses ganze Durcheinander? Auch der Schmutz ist schön. Auch das Häßliche ist schön. Wenn Sie einmal alt sind, werden Sie begreifen, daß alles gut ist, was ist. Was soll dieses Wasser? Schlecht ist nur, was nicht ist. Häßlich. Sehr häßlich.

ZSUZSA

Ausgeleert.

JÓSKA

Ich habe den Eimer umgestoßen.

ZSUZSA

Er hat zufällig den Eimer umgestoßen.

JÓSKA

Als ich ihr in den Hals beißen wollte.

ZSUZSA

Das weicht den Dreck auf, und das Schrubben geht leichter. Aber so was dürfen Sie mir nicht sagen, Gnädigste. Wenn Sie sagen, Schmutz sei schön, hat mein Leben keinen Sinn. Ich hasse Schmutz.

KLÁRA

Bitte sagen Sie nicht «Gnädigste». Das klingt so dienstbotenhaft.

ZSUZSA

Jedes einzelne Fitzelchen Dreck erregt meinen Haß. Haare auf dem Diwankissen. Eingetrocknete Zahnpasta am Stiel der Zahnbürste. Staub. Ich hasse das. Ich würde mir am liebsten lange Nägel wachsen lassen. Sie sagen, Dreck sei schön, Gnädigste, weil Sie ihn nicht kennen. In den Küchenecken, unter dem Spültisch. Dort ist er wie Entengrün, zäh und kalt. Hinter dem Henkel der Kochtöpfe aber steinhart. Man muß ihn mit dem Messer wegkratzen. In der Badewanne schlierige Haarbüschel. Auf den Türen fettige Handabdrücke. Die Daunendecken stinken. Man muß sie lüften. In den Fugen des Parketts Staubknäuel. Wer nicht hinsieht, bemerkt es nicht. Ein jeder erzeugt andern Dreck, ein jeder gewöhnt sich an seinen eigenen. Doch der andere Dreck ist genau der gleiche. Ich hatte nur darum so viele Stellen, weil ich immer von vorne beginnen will. Ich muß gut beobachten. Neues hinzulernen.

JÓSKA

Sollte man das Bild von Onkel András nicht herunternehmen?

ZSUZSA

Glauben Sie vielleicht, Gnädigste, ich hätte nicht gleich gesehen, was hier für ein Dreck ist, als ich lächelnd eintrat und die Verlegene spielte? Ich mache es immer so. Das ist mein Trick. Mich kann man nicht täuschen. Ich bewege den Kopf, als wäre ich verlegen, erwecke das nötige Vertrauen und beobachte dann in Ruhe, was für eine Stelle mich hier erwartet. Wer war das?

 

sie nehmen das Bild von der Wand

 

JÓSKA

Tante Kláras Mann.

KLÁRA

Er war nicht mein Mann.

JÓSKA

Meiner Mutter haben Sie’s so erzählt.

KLÁRA

Manchmal darf ich auch lügen.

 

Pause; sie tragen das Bild in Richtung Halle

 

ZSUZSA

Da sehen Sie, Gnädigste, wie ich schamhaft den Kopf neige, dabei betrachte ich den Fuß des Schrankes, das verrät viel. Weist er einen waagerechten Strich auf, heißt das, er wurde beim letzten Saubermachen nicht weggerückt, und die am Werk waren, wußten selbst nicht, was sie wollten, für die ist alles Routine. Bescheiden schlage ich die Augen nieder und prüfe inzwischen die Teppichfransen. Sind sie gekämmt, deutet das auf Sorgfalt hin. Oder ich verfalle plötzlich in Nachdenken und untersuche, ob die Polsterbezüge speckig sind. Denn sind sie sehr speckig, ist mit vielen Gästen zu rechnen.

KLÁRA

Das ist das einzige, was ich vor Ihnen schützen möchte. Es ist mir nur dieses Bild geblieben. Entstanden an jenem Nachmittag, als wir uns in Göd kennenlernten.

ZSUZSA

Ich denke nicht, ich urteile nicht. Ich blicke noch rasch in eine Schublade, schnuppere am Handtuch des Hausherrn, streiche am Stiel des Mops entlang.

KLÁRA

Nicht dorthin, Zsuzsa.

 

sie kehren um, gehen zur Tür links

 

ZSUZSA

Sie sind arglos. Führen einen herum, zeigen alles. Da gäbe es noch dies und jenes, wäre dies zu machen und jenes. Und hier, sehen Sie, ist eine kleine Kammer, da pflegen wir die Würste aufzuhängen. Ich aber flüstere, wenn ich etwas Verdächtiges bemerke, nur: Oh, wie interessant, einen solchen WC-Deckel habe ich noch nie gesehen, und hebe ihn hoch. Und fertig. Schon hab ich’s gesehen. Schon weiß ich es. Sie aber kichern: Der spielen wir noch übel mit. Verrückte sind das.

KLÁRA

Ich gehe. Ich höre gerne zu, wie Sie reden. Wenn ich dabliebe, würde ich selber zu reden beginnen.

 

allein im Zimmer

 

Das will ich nicht. Trotzdem möchte ich dableiben. Denn ginge ich jetzt auf Romsauers Veranda Tee trinken, was ich gerne täte, weil sich ein riesiger Tulpenbaum über die Veranda breitet, müßte ich mein Dienstmädchen allein lassen, Zsuzsa. Ich mag Dienstboten nicht. Wir hatten viele. Sie stahlen. Ich hörte ihnen gerne zu, wenn sie erzählten. So wie Sie erzählen. Für die Herrschaft, mit falscher Stimme. Das ist erniedrigend. Aber auch ich war einmal ein Dienstmädchen. Wollte hören, wie ich mit denen redete. Sie können sich gar nicht vorstellen, was für ein Skandal daraus wurde. Denn das Bild ist nicht an dem Nachmittag entstanden, als wir uns in Göd kennenlernten. Ich ließ mich als Dienstmädchen bei ihnen anstellen. Was machen Sie, Zsuzsa?

 

lange Pause

 

Ich rede. Dabei dürfte ich nicht reden. Seit dreißig Jahren schweige ich, damit jene zehn Jahre, als ich lebte, bis zu meinem Tod ausreichen. Ich kann Sie mit dem Jungen doch nicht allein lassen, Zsuzsa, denn er ist so wie Er, als er aus dem Wasser stieg. Darauf habe ich gewartet. Da sind die Jungen wie Rehkitze. Flaumig und fragil. Bitte erlauben Sie ihm nicht, daß er Ihnen unter den Rock greift.

ZSUZSA

kommt allein zurück

Hier ist alles geruchlos. Auf dem obersten Regal des Küchenschrankes ein paar Teeblätter. Ein trockenes Handtuch. Zuunterst im Mülleimer die Pelle einer Salamischeibe. Auf dem Gewürzregal hundert Gramm schal gewordenes Paprikapulver. Wäre ich nicht am Vormittag gekommen, ich hätte mich täuschen lassen. War Ihnen nicht bange, so? Aber ich komme immer am Vormittag. Auch wenn keine Sonne scheint, bringt das Vormittagslicht jede kleinste Einzelheit zur Geltung.

KLÁRA

In der Nachttischschublade ist die Pistole. Unangetastet, geladen. Kein allzu furchterregendes Ding, ich hab sie für ihn von seiner Mutter gestohlen, sie ist ganz klein, vielleicht funktioniert sie gar nicht mehr. Vielleicht hat sie schon damals nicht funktioniert, denn er konnte sich damit nicht wehren. Es heißt zwar, er hätte einen Schuß abgegeben, das Ziel verfehlt, in den Spiegel geschossen, und sei im selben Augenblick ins Herz getroffen worden. Stellen Sie sich vor, was für ein schöner Tod: er schließt im selben Augenblick die Lider, als der Spiegel klirrend zerbricht. Ich hab sie aus dem Museum zurückgeholt. Wird mir wohl immer genügend Zeit bleiben, um rasch nach ihr zu greifen. Aber es kommt keiner.

ZSUZSA

Der Staub bewahrt die Spuren unbewachter Bewegungen.

KLÁRA

Morgens bin ich vom Diwan aufgestanden und hab mir Tee gekocht.

ZSUZSA

Die Bettwäsche ist unberührt, weil Sie sie aufbewahrt haben, Gnädigste.

KLÁRA

Mittags bin ich vom Diwan aufgestanden und habe eine Scheibe Wintersalami gegessen.

ZSUZSA

Sie haben die Spinnen betrachtet, Gnädigste, und auf der Radioskala sind die Buchstaben vom vielen Drehen ganz verblaßt.

KLÁRA

Nachts bin ich aufgestanden und in den Garten hinausgegangen.

ZSUZSA

Dreimal täglich sind Sie am Tisch vorbei, Gnädigste, und haben dabei jedesmal etwas Staub von der Tischkante gewischt.

KLÁRA

Spürst du auch, wie gut es tut, daß wir uns in die Augen sehen und miteinander reden?

ZSUZSA

Weil wir allein sind.

KLÁRA

Wo bleibt er so lange?

 

Pause

 

ZSUZSA

Vim habe ich nicht viel genommen, weil ich gleich gesehen habe, daß es hier keine Fingerabdrücke gibt. Du hast nie was angefaßt.

KLÁRA

Ich habe ihm dicke, warme, großmaschige Pullover gestrickt, mit den Jahren immer größere.

ZSUZSA

Ich habe Möbelpolitur, Ajax, Sidol und sehr viel Ultra gekauft. Gegen Staub braucht man Ultra. Ich habe alles in ein Heft geschrieben, denn ich hab auch ein Heft gekauft, für zwei fünfzig, ein kariertes. Das Wechselgeld liegt auf dem Küchentisch.

KLÁRA

Ich werde das Geld nicht weglegen. Ich lasse alles offen.

ZSUZSA

Aber ich werde stehlen.

KLÁRA

Um neun standen sie auf, ich ließ das Badewasser einlaufen, um halb zehn setzten sie sich zu Tisch. Im Sommer, wenn das Wetter schön war, mußte ich auf der Terrasse decken. Ich trug eine weiße Batistbluse, Schuhe mit kleinem Absatz, und meine erste Aufgabe bestand darin, die gestreifte Markise an einer Kurbel über die Terrasse herunterzulassen.

ZSUZSA

Ich glaube nicht, daß das stimmt.

KLÁRA

Ich stand im Licht, nichts gehörte mir, das Eisen quietschte, und als der Schatten langsam über die Terrasse glitt, spürte ich lustvoll meine Brüste. Doch manchmal sagten sie, sie wollten im Garten frühstücken. Ich stellte den Tisch im Schatten eines Strauches ins Gras, das noch voll Tau war, sie aber zerbrachen alles, verschmierten das weiße Tischtuch mit Honig, Butter und Marmelade, machten sich naß und schmutzig. Die gnädige Frau liebte Spitzenkleider. Sie waren dick und weiß, manchmal beobachtete ich sie heimlich vom ersten Stock aus. Am Nachmittag blieb ich allein. Der Herr Ministerialrat hatte einen Hodenbruch. Zuerst stahl ich ihr eine Puderdose. Sie bemerkte es nicht. Dann stahl ich ihre lila Seidenschuhe.

ZSUZSA

Ich werde dir nur das stehlen, was du liebst.

KLÁRA

Ich stahl auch Obligationen und Ringe.

ZSUZSA

Ich möchte, daß du mich haßt.

KLÁRA

Ich kann niemanden lieben.

 

der Junge kommt durch die Halle zurück

 

ZSUZSA

Wo ist das Wasser?

JÓSKA

Ich war pissen.

KLÁRA

Hast du das Wasser aufgestellt?

JÓSKA

Ich hab auch geschissen.

ZSUZSA

So kann man nicht putzen.

JÓSKA

Ich bin hungrig.

ZSUZSA

Genug jetzt.

nimmt den Eimer; will ihn dem Jungen geben

Komm.

sie ringen

KLÁRA

Lassen Sie nur, widersetzen Sie sich nicht, Zsuzsa. Er wird schon arbeiten.

JÓSKA

schreit

Ich schlage alles kurz und klein.

schleudert den Eimer in die Halle

Ich zünde das Haus an.

KLÁRA

Lassen Sie sich nicht beirren, Zsuzsa. Ich habe ihm beigebracht, daß er seine Gefühle in einfache Worte faßt und mir jeden Gedanken laut mitteilt. Jetzt ist es soweit. Er kann nichts dafür. Selbstgespräche kann er nur mit mir führen. Seine Eltern sind völlig primitiv, er aber ist intelligent. Er wird Staatsmann oder Philosoph werden. Zeigen wir’s Zsuzsa.

ZSUZSA

Das interessiert mich nicht.

geht durch die Halle, trägt den Eimer hinaus

JÓSKA

In ihrer Gegenwart tu ich’s nicht.

KLÁRA

Du benimmst dich unerhört daneben, Junge. Versucht’s etwas entspannter. Sag nicht, was du denken möchtest. Entspann dich. Sondern was dir wirklich durch den Kopf geht. Hör sorgfältiger hin, sei nicht so verkrampft. Wenn du so daherlügst, wird es nur schlimmer. Fangen wir an. Was möchtest du?

JÓSKA

Du bist widerlich, du bist alt. Du hast keine Haare, du hast keine Zähne. Ich hasse dich.

KLÁRA

Nicht das geht dir durch den Kopf.

JÓSKA

Nicht das geht mir durch den Kopf.

KLÁRA

Du kannst es ruhig aussprechen.

JÓSKA

Ich werde es nicht aussprechen.

KLÁRA

Du bist zu empfindsam geworden.

JÓSKA

Ich will nicht alles versauen.

KLÁRA

So bringst du’s zu nichts.

JÓSKA

Ich will es zu nichts bringen.

KLÁRA

Ich weiß genau, was du möchtest. Du brauchst dich nicht zu übereilen.

JÓSKA

Wieso?

KLÁRA

Komm, wir entspannen uns weiter.

 

sie legen sich rücklings in die Wasserlache, von Kopf bis Fuß, dicht nebeneinander; Pause

 

KLÁRA

Soll ich dir helfen?

 

Zsuzsa kommt durch die linke Tür herein, wirft nacheinander drei Scheuerbürsten auf den Boden und geht durch die Halle ab; Pause

 

JÓSKA

Stör mich nicht.

 

sehr lange Stille

 

KLÁRA

Wegen dieser Frau haben sich unsere Muskeln völlig verkrampft.

JÓSKA

Ich bin nicht da. Ich bin überhaupt nicht da. Ich habe aufgehört zu sein. Ich bin verschwunden. Ich liege auf dem Meeresgrund. Als wäre ich selber Wasser.

KLÁRA

Ich hätte es voraussehen sollen, hätte nicht zulassen dürfen, daß sie damit beginnt.

JÓSKA

Ich bin glatt. Dennoch werde ich leicht bewegt. Es wäre gut, wenn jemand die Pulsader an meinem Handgelenk fühlen würde.

KLÁRA

Du kannst ihr noch entkommen.

JÓSKA

Grau ist das Meer und grau der Himmel. Ich möchte, daß jemand meine Haut ableckt.

KLÁRA

Indem du tust, was du willst.

JÓSKA

Mein Geld ist verbraucht. Es regnet. Nachts bin ich über einen Zaun geklettert und habe mich in einen Strandkorb gelegt. Uber den Strandkorb habe ich meinen Pullover gebreitet, damit das Wasser mir nicht in den Hals fließt. Erst am Morgen bin ich eingeschlafen.

KLÁRA

Das hast du noch nie erzählt.

JÓSKA

Als ich die Augen aufschlage, scheint die Sonne. Das Meer ist glatt, und ich sehe, daß ich in einer Bucht bin. Auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht ragen weiße Felsen über das blaue Meer, gewaltig. Ich habe seit zwei Tagen nichts gegessen, trotzdem will ich dort bleiben. Ich breche auf, um einen Wasserhahn zu suchen.

KLÁRA

Du Armer, ich habe dir nicht genug Geld gegeben.

JÓSKA

Auf den Balkonen des weißen Hotels bewegen sich Menschen unter rotgestreiften Sonnenschirmen. Auf der Terrasse das Klimpern von Frühstücksgeschirr. Neben dem Wasserhahn finde ich in einer Tüte eine braun gewordene Banane. Ich esse sie auf und fülle mir den Magen mit Wasser. Als ich zum Strand zurückkehre, liegt dort ein Junge in der Sonne. Groß, mit brauner, unbehaarter Haut. In gelber Badehose. Sein glatter Bauch hebt und senkt sich gleichmäßig. Er hat mir gegenübergesessen und mich beim Aufwachen beobachtet. Grünäugig. Ich wußte nicht, wo ich war. Der heiße Wind raschelte in den Palmen. Er stand auf, ging zum Wasser, watete hinein und drehte sich um, dann schwamm er zu den Felsen. Als auch ich aus dem Wasser stieg, saß er schon auf dem heißen weißen Stein. Am Horizont fuhren Schiffe vorbei, am Ufer der Bucht leuchteten die Körper wie gleißende Punkte zwischen den Strandkörben. Ich keuchte. Er ergriff meine Hand und ertastete die Pulsader an meinem Gelenk.

KLÁRA

Du träumst phantastisch.

JÓSKA

Als wäre ich das Grau über mir, liege ich in einer Lache in deinem Zimmer. Und als wäre ich das graue Wasser unter mir, wiege ich mich auf dem Meer. Ich habe einen Eimer lauwarmes Wasser umgestoßen.

KLÁRA

Ich liebe dich.

JÓSKA

Hier darf nichts von der Stelle gerückt werden.

KLÁRA

Oh, wie ich deinen Körper begehre.

JÓSKA

Das Reglose ist das Vollkommene.

KLÁRA

Vollkommen ist nur, wer tot ist.

JÓSKA

Reden wir nicht von ihm.

KLÁRA

Zum Lesen benutzte er eine Brille.

JÓSKA

Das kenn ich schon.

KLÁRA

Kleider vertrug er nicht. Ich lachte ihn aus: ein blinder Revolutionär.

setzt sich auf

War ich nicht zu Hause, hockte er in einer Ecke meines Bettes und las. Zsuzsa kennt die Geschichte noch nicht.