Der Feind in meinem Ohr - Ana Mack - E-Book

Der Feind in meinem Ohr E-Book

Ana Mack

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Beschreibung

Seit Frühjahr 2006 ist für Ana Mack nichts mehr so, wie es einmal war. Seit jenem Jahr 2006 hat sie einen Feind im Ohr. Untersuchungen und eine Operation ergaben eine fatale Diagnose: Krebs im Ohr. Ana wird aus der Bahn geworfen, hatte sie doch das Leiden, das die Krankheit Krebs nach sich zieht, bei ihrem ersten Ehemann miterlebt. Seit jener Diagnose lebt die Autorin in Angst vor ihrem eigenen Körper und bangt der Frage entgegen, ob sie die Krankheit endlich besiegt hat."Der Feind in meinem Ohr" ist die Leidensgeschichte von Ana Mack, die, mit Rückblicken und Ausblicken versehen, Verständnis für Krebspatienten erzeugen will und Lebenswillen und Mut bei Leidenden verstärken möchte.

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Seitenzahl: 269

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Der Feind in meinem Ohr
Ana Mack
Erschienen im novum pro Verlag
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und -auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
© 2010 novum publishing gmbh
ISBN Printausgabe: 978-3-99003-224-4
ISBN e-book: 978-3-99003-828-4
Lektorat: Mag. Iris Mayr
Gedruckt in der Europäischen Union auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem -Papier.
www.novumpro.com
AUSTRIA · GERMANY · HUNGARY · SPAIN · SWITZERLAND
Vorwort
Dieses Buch ist meinem lieben Mann Hans und meiner lieben Schwester Katja gewidmet.
Ich danke Hans für seine erbrachte Geduld, sein Verständnis und für seine Liebe.
Auch ohne meine Schwester hätte ich das alles nicht durchgestanden.
Sie war und ist für mich immer noch da, wenn ich sie brauche.
Mit besonderer Freude aber trage ich hier meine Dankesschuld an die zahlreichen Ärzte und Bekannten, die mir behilflich gewesen sind, direkt und indirekt im Gespräch oder auf manch andere Art und Weise.
Es waren vor allem:
Doktor Knut Frese, Doktor Martin Kimpel, Doktor Christoph Jaedicke, Doktor Staeb, Doktor Olaf Ebeling, Doktor Berg*, Frau Doktor Piper.
Ich danke Schwester Clarissa, Frau Schenk, Frau Bühler und all den netten Sprechstundenhilfen. Herrn Enderle für seine Geduld.
Meinem Sohn Dominik, der immer noch versucht, mir Deutsch beizubringen.
Seiner Freundin Tanja, nur sie weiß, warum.
Meinem Nachbarn Rolf für das kostenlose Taxi.
Frau Reisen und Frau Schwehr aus Endingen für wunderschöne Blumen.
Meinen lieben Freundinnen Angelika (Geli) und Kerstin für die Treue.
Dieses Buch basiert auf Tatsachen und ist von einer wahren Erfahrung inspiriert.
Irgendwann kam von mir der Impuls, meine Geschichte aufzuschreiben, und meine Ärzte haben mich darin bestärkt. Ich habe in erste Linie geschrieben, um diese schreckliche Krankheit zu begreifen und zu verarbeiten. In meiner Erinnerung ist alles so deutlich verankert, als sei es gestern geschehen. Ich habe nichts vergessen oder verdrängt. Es geht auch nicht, egal, wie ich mich bemühe. Auf diesem Weg hoffe ich, dass ich zumindest teilweise meine Krankheitsgeschichte verarbeiten und loslassen kann, denn vergessen werde ich sie nicht.
In zweiter Linie möchte ich all den Menschen Mut machen, die diese oder eine andere schreckliche Krankheit und womöglich sogar diese seltene Krebsart haben. Vielleicht kann ich dazu beitragen, dass sie nicht verzweifeln, sondern das Beste aus ihrem Leben machen. Ich hoffe, dass sie alle so wunderbaren Ärzten begegnen, wie ich sie gefunden habe, und dass sie jeden Tag kämpfen und niemals aufgeben.
Es soll ganz den Lesern überlassen bleiben, ihre persönliche Botschaft aus diesem Buch zu ziehen.
Es ist mir klar, dass ich das Risiko auf mich nehme, eine ganze Menge Leute vor den Kopf zu stoßen.
Zu ihnen gehören solche, die keinen Wert darauf legen, nachzudenken, was sie einem kranken Menschen mit ihren Handlungen antun.
Ihnen kann ich nur versichern, dass dies keinesfalls meine Absicht ist.
Ich aber glaube, dass mein Vorhaben, dieses Buch zu schreiben, von Wert sein kann, alles ungeschminkt niederzuschreiben, was ich erlebt habe und wie ich damit zurechtkam, das Beste da-raus zu machen.
1. Kapitel
Heute ist ein guter Tag. Es gibt so viele schlechte Tage, dass ich nicht gerne daran denke. An so einem Tag bin ich wie betrunken, auch ohne Alkohol. Ich falle wie ein abgesägter Baum ohne Vorwarnung um. Mein Kopf macht mal mit dem Waschbecken im Bad, mal mit dem Herd in der Küche Bekanntschaft. Aus diesem Kampf trage ich meistens eine Beule am Kopf davon oder ich habe blaue Flecken an Armen oder Beinen. An so einem Tag torkele ich im Haus nach rechts und links. Vor mir ist kein Türrahmen sicher. Ich bin nicht imstande, gerade zu laufen oder mich zu bücken.
Es beginnt alles im September 2005. Es ist nur ein Gefühl, dass mit meinem linken Ohr etwas nicht stimmt. Was soll ich tun? Soll ich zum Arzt oder soll ich nicht? Ich bin hin- und hergerissen. Was ist, wenn sie mich auslachen? Was mache ich, wenn sie mich nicht ernst nehmen? Wenn alle Leute zum Arzt gehen würden, nur, weil sie ein komisches Gefühl haben, dann hätten die Ärzte viel zu tun. Nein, ich warte noch ein paar Tage ab, um zu sehen, ob das ungute Gefühl verschwindet.
Es bleibt so. Ich habe keine andere Wahl, ich muss zum Arzt. Sollen sie mich doch auslachen, ich muss Gewissheit haben, dass ich mir das nur einbilde.
Heute weiß ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Der Arzt sieht erst nichts, er fragt mich, ob ich Schmerzen habe. Nein, die habe ich nicht. Er schaut mich so an, als ob er sagen wolle, alles Einbildung, sonst nichts. Er untersucht mich noch mal, dann sieht er eine Wölbung mit rauer Oberfläche. Das könnte eine Warze sein, meint er, aber ich soll noch zu seinem Schwiegervater kommen, damit er sich das ansehen kann, da er mich kennt und mich seit Jahren behandelt.
Das Ergebnis ist das gleiche. Also beschließen sie, dass ich auf Nummer sicher ins Krankenhaus gehe. Eine gute Klinik sei in Lahr, meinen sie. Das ist siebenundvierzig Kilometer von dort, wo ich wohne, entfernt.
Ich bekomme einen Termin im November zur ersten Untersuchung in der Ambulanz.
Den Tag vergesse ich nicht so schnell. Der erste Arzt sieht nichts, der zweite auch nicht, ich sage aber nicht, dass die Ärzte in Emmendingen doch etwas gesehen haben.
Normalerweise muss ich froh sein, dass sie nichts finden, aber das blöde Gefühl sagt mir, es ist nicht nur Einbildung, irgendwas ist da drinnen nicht in Ordnung. Beide Ärzte schauen noch mal in mein Ohr rein und sagen beide, dass alles in Ordnung sei. Ja, was haben die anderen Ärzte zuvor gesehen, frage ich mich. Ich bleibe sitzen und warte, was weiter geschieht. Es geschieht nichts und ich habe das Gefühl, dass sie warten, dass ich aufstehe, mich verabschiede und gehe.
„Wenn Sie mir das schriftlich geben, dass alles okay ist, verlasse ich den Stuhl. Aber nur dann, wenn Sie hundertprozentig sicher sind, dass in meinem Ohr alles normal ist, stehe ich auf und gehe“, sage ich zu ihnen.
Der eine von beiden Ärzten bittet mich, noch sitzen zu bleiben, und beide verlassen den Raum.
Heute glaube ich, dass sie schon etwas gesehen haben, aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht als bedrohlich eingestuft haben.
Ich warte, was weiter geschieht.
Ich sitze da und warte und warte. Endlich geht die Tür auf, ein Mann mit Glatze betritt den Raum. Er ist ein ernster Mann mit einem gütigen Lächeln. Seine Stimme ist leise und melancholisch. Er hat ein rundes Gesicht und sehr sanfte Augen. Er ist nicht dick, auch nicht schlank, aber das passt zu ihm. Er gibt mir die Hand und stellt sich mir als Doktor Frese vor. Dieser Mensch ist mir sofort sympathisch. Er fragt mich, welche Beschwerden ich habe. Er hört mich an und schaut erst dann in mein Ohr. Na, er sieht sofort, was ich meine.
Es geschehen noch Wunder, denke ich in diesem Moment.
„Das muss operativ entfernt werden“, meint er. Ich bekomme einen Termin, aber erst am siebten Februar. Also gehe ich mit dem guten Gefühl, dass alles wieder in Ordnung sein wird, nach Hause.
In diesen drei Monaten bis zur Operation geht es mir gut und ich habe keine Angst, weil ich weiß, dass Doktor Frese die Operation durchführen wird. Ich habe das Gefühl, dass er der richtige Arzt ist.
2. Kapitel
Morgen gehe ich in die Klinik und natürlich habe ich Angst. Ich bin furchtbar nervös. Seit zwei Tagen habe ich nicht gegessen und nicht geschlafen. Ich rede mir Mut zu und bete zu Gott, dass alles gut geht. Ich habe keine Angst vor der Operation, nur vor der Narkose. Diese Angst habe ich seit der letzten Operation, es liegt schon ein paar Jahre zurück, aber ich weiß noch, dass ich dachte, ich würde am Schlauch, der in meinem Hals steckte, ersticken.
Es ist so weit, ich bin in der Klinik. Es ist halb acht. Ich habe wieder schlecht geschlafen, meine Nerven liegen blank. Ich sitze da ganz allein, weil mein Mann Hans wieder zurückgefahren ist, er muss zur Arbeit. Zuerst die ganzen Formalitäten, dann anmelden und dann gibt mir eine Schwester die Speisekarte. Ich solle für eine Woche Frühstück, Mittag- und Abendessen aussuchen. Da muss ich lachen. Zwei Tage nichts gegessen, mein Magen knurrt und ich soll das nur lesen und ankreuzen. Aber das Lachen ist mir gleich vergangen. Ich habe soeben erfahren, dass auf dieser Station kein Bett für mich frei ist. So sitze ich da im Flur und bin mit den Nerven am Ende.
Es ist halb zwölf. Ich habe sämtliche Untersuchungen überstanden und warte auf ein freies Bett. Muss ich jetzt nach Hause oder kann ich hierbleiben? Ich fange an zu weinen, jetzt ist mir alles zu viel. Eine junge Schwester kommt vorbei und versucht, mich zu beruhigen, und was mache ich, ich schreie sie an: „Drei Monate habt ihr Zeit gehabt, das zu organisieren, und wenn nicht gleich was geschieht, gehe ich nach Hause!“
Sie wird blass und mir tut sie in diesem Moment leid. Sie kann nichts dafür, das weiß ich, es ist ihr Pech, dass sie gerade vorbeigekommen ist. Sie geht wieder. Ich heule weiter. Im Flur ist viel Betrieb und jeder, der vorbeigeht, fragt mich, ob etwas passiert sei. Ich gebe keine Antwort, ich schalte auf stur wie ein kleines Kind.
Die junge Schwester kommt zurück und sagt mir, dass sie einen Platz gefunden habe. Aber nicht auf dieser Station, sondern im dritten Stock. Mir ist das egal, auf welcher Etage, nur weg hier. Also fahre ich vom fünften Stock in den dritten und schaue nicht schlecht. Das ist eine Säuglingsstation. Mit meinen sechsundfünfzig Jahren bin ich wohl zu alt, um ein Baby zu bekommen. Ich habe mir immer drei Kinder gewünscht, zwei Buben und ein Mädchen, aber das hat nicht sollen sein. Aus meiner ersten Ehe habe ich einen Sohn und in zweiter Ehe hat es auch nicht geklappt, sodass es statt drei Kindern nur ein Kind geworden ist.
Habe ich vielleicht etwas falsch verstanden? Nein, die Schwester sagt mir, dass ich richtig verstanden habe und das Zimmer sich auf dieser Station befinde.
Es ist ein Zweibettzimmer, aber ich bin alleine im Raum. Die Untersuchungen gehen weiter – und ich habe gedacht, es sei alles schon erledigt.
Endlich bin ich wieder in meinem Zimmer. Es ist sehr schön, nicht groß, mit einer Wickelkommode, zwei Betten, zwei Nachttischen und einem Tisch mit zwei Stühlen. Es ist kein Fernseher im Zimmer. Es ist klar, die Mamis haben ja keine Zeit zum Fernsehen, die sind mit ihren Babys beschäftigt. Ich sitze da und die Stunden vergehen nicht. Es hilft nichts, ich brauche einen Fernseher, um mich abzulenken. Also miete ich einen am Kiosk. Ich sitze im Zimmer und warte auf das Abendessen. Es gibt ein kleines Käsebrot und Tee. Ich habe keinen Hunger, also trinke ich nur den Tee. Mit Fernsehen funktioniert es nicht, ich kann mich nicht konzentrieren.
Am besten gehe ich eine rauchen. Die Raucher meinen, dass in so einer Situation nur eine Zigarette helfen kann. So laufe ich die Treppe hinunter zum Ausgang, um zu rauchen. Das Laufen tut mir gut.
Da bin ich nicht alleine. Da stehen viele Leute. Neben mir sind zwei junge Frauen und wir kommen ins Gespräch. Die eine hat eine Mandeloperation vor sich und die andere hat Tinnitus und ist hier zur Beobachtung. Sie heißen Nicole und Yvonne. Sie haben ein Zimmer neben mir, weil für sie auch kein Platz auf der HNO-Station frei war. Sie sind ganz nett. Wir unterhalten uns über alles Mögliche und stellen fest, dass wir auf der gleichen Wellenlänge sind. Sie haben auch Langeweile, sie vermissen den Fernseher im Zimmer.
Dass man einen mieten kann, das wissen sie, aber ihnen fehlt das Geld.
So beschließen wir, bei mir im Zimmer Fernsehen zu gucken. An diesem Abend läuft die Sendung „Deutschland sucht den Superstar“. Ich bin so froh, dass ich nicht alleine bin.
Es ist zweiundzwanzig Uhr und die Mädels gehen auf ihr Zimmer und ich mache mich fertig fürs Bett.
So liege ich da und finde keine Ruhe. Auf dieser Station ist es sehr laut. Es ist ein Kommen und Gehen. Babys weinen, die Besucher sind auch sehr laut und die Türen knallen.
Ich stehe wieder auf und laufe die Treppen bis zum siebten Stock hoch und wieder runter bis zum Ausgang. Hoch und runter. Hoch und runter und das siebenmal. Jetzt muss ich aber müde sein, denke ich. So liege ich wieder im Bett. Nein, bei diesem Lärm kann man nicht schlafen.
Was soll ich tun? Ich stehe wieder auf und gehe auf den Flur. Ich laufe hin und her. Die Nachtschwester fragt mich, ob ich eine Schlaftablette brauche. Ich will keine Tablette, ich hasse es, wenn man für jede Kleinigkeit eine Tablette nimmt. Ich nehme die Dinger nur dann, wenn ich solche Schmerzen habe, dass ich sie nicht aushalten kann.
Es sind immer noch viele Besucher da. Ich glaube, dass auf dieser Station vierundzwanzig Stunden Besuchszeit erlaubt ist. Opa, Oma, die künftigen Paten, Verwandte, Freunde, Bekannte. Alle wollen den Nachwuchs sehen.
Inzwischen ist es schon halb zwei und ich bin noch immer auf dem Gang und laufe hin und her.
Die Kinderkrankenschwester erlaubt mir, die Neugeborenen näher anzusehen, und so bin ich im Zimmer mit ihnen und darf sie anschauen.
Oh mein Gott, die sind so süß. Man kriegt wieder Lust, auch ein Baby zu bekommen, aber das Alter spielt da nicht mehr mit. Ich weiß heute noch, wie mein Sohn auf die Welt gekommen ist. Die Schmerzen waren unerträglich, es war eine Sturzgeburt.
Es sind sechs Babys da und so klein, süß und wunderschön. Ich schaue zu, wie die Schwester sie wickelt und mit ihnen spricht.
Eine junge Frau kommt ins Zimmer. Sie ist Hebamme. Ich sage ihr, dass leider keines dieser Babys mir gehört, und so lachen wir darüber.
3. Kapitel
Morgen ist die Operation und ich denke, so schlimm wie die Schmerzen von damals, die ich bei der Geburt meines Sohnes gehabt habe, könne das morgen nicht sein. Auf den Gängen ist wieder Ruhe eingekehrt und ich gehe auf mein Zimmer.
Es ist kurz nach drei Uhr und ich kann immer noch nicht einschlafen.
Es ist eine kurze Nacht, die Schwester kommt ins Zimmer und bringt ein weißes Hemd, das ich anziehen soll, und eine Tablette.
Ich bin nicht fit heute Morgen. Also gehe ich ins Bad, um mich kalt abzuduschen. Schon geht es mir besser und ich lege mich wieder ins Bett. Die Tablette fängt an zu wirken. Ich bin ganz entspannt. Ruhig und müde. Es ist sechs Uhr fünfundzwanzig.
Der Lärm da draußen stört mich auch nicht mehr.
Die zwei jungen Frauen, Yvonne und Nicole, kommen in mein Zimmer, um mir alles Gute zu wünschen. Yvonne fragt mich, ob ich mit ihnen runtergehe, um eine zu rauchen. Es sollte ein Witz sein, sagt sie.
Es geht los. Ich schaue noch mal auf die Uhr, es ist genau zehn Uhr siebenundvierzig. Ich habe gedacht, ich könne bis zum fünften Stock laufen, weil sie dort die OP durchführen. Nein, so geht das nicht, ich muss im Bett bleiben. Wir fahren mit dem Aufzug hoch und die Schwester wundert sich, dass ich nicht müde bin, weil ich die ganze Nacht nicht viel geschlafen habe.
Oben angekommen, wünscht sie mir alles Gute und geht wieder. Ich schaue mich um. Gegenüber befinden sich zwei Türen, die mir riesig vorkommen. Vorbei huschen Wesen von einem anderen Planeten, ganz in Grün. Man sieht nur die Augen.
Auf einmal eine laute Stimme: „Atem holen, Frau Beck! Atmen, atmen.“ Oh mein Gott, was passiert da? Die weibliche Stimme ruft das noch ein paar Mal und dann ist wieder alles ruhig.
Aus einem anderen Raum eine männliche Stimme: „Herr Müller, holen Sie tief Luft! So ist das gut – und atmen, atmen, sehr gut.“
Ich werde nervös. Sterben da drinnen Leute und ich bin die Nächste, die operiert wird?
Ein grünes Männchen kommt vorbei, es ist eine Frau, glaube ich. Zumindest klingt das nach einer weiblichen Stimme. Sie sagt, dass es nicht mehr lange geht und ich gleich drankomme. Sie bemerkt, dass ich ganz aufgeregt bin, und holt eine Spritze. Auf meine Frage, ob die Menschen da drinnen am Sterben sind, lacht sie und versucht, mir zu erklären, was da drinnen vor sich geht. Ich verstehe etwas mit „Schlauch“, „Atmungsmaschine“ und dass keiner im Sterben liegt. Ich muss noch wissen, wie spät es ist, und sie sagt, dass wir es ganz genau elf Uhr zwanzig haben, und dann bin ich weg.
„Na, Frau Mack, sind Sie schon wach? Sie sind aber fit. Sie machen bestimmt viel Sport?“
Ich kann nichts sehen, meine Augen sind geschlossen. Ich berühre sie mit meinen Fingern, aber es sind keine Pflaster darauf. Warum auch, ich bin nicht an den Augen operiert worden, sondern am Ohr.
„Es ist alles gut verlaufen“, sagt die männliche Stimme neben mir und es sei normal, dass meine Augen ein wenig geschwollen seien.
„Ja, ich mache Sport“, sage ich. Immer schon habe ich versucht, mich zu zwingen, etwas zu tun. Ich spiele Tennis in einem Tennisclub und im Winter auch Badminton und ich fahre gern Fahrrad. Ich bin nicht sehr gut darin, aber mir macht das Spaß. Einmal in der Woche fahre ich Mountainbike, da fahre ich schon mal dreißig Kilometer. Er findet das großartig und erzählt, dass auch er schon in der Gegend von Emmendingen gefahren sei und dass er auch viel mit dem Bike unterwegs sei.
Ich rede und rede wie ein Wasserfall, ohne zu wissen, ob er noch da ist oder nicht. Was haben die mir bloß gegeben, dass ich so viel rede? Ich kann mich nicht bremsen. In diesem Moment hätte ich alles erzählt. Egal, was man mich gefragt hätte. Neben mir meldet sich eine Stimme mit der Bemerkung, dass sie auch sehr viel Fahrrad fahre, aber ich lasse sie nicht weiterreden. Jetzt bin ich dran und ich rede und rede. Das Mittel, das sie mir gegeben haben, war doch ein wenig zu stark.
Wieder in meinem Zimmer muss ich feststellen, dass ich nicht mehr allein bin. Im Bett liegt eine junge Frau und schläft. Mir geht es so gut, dass ich aufstehen könnte, aber das darf ich nicht.
Mein Mann kommt zu Besuch und er ist so froh, dass es mir so gut geht und dass die OP so gut verlaufen ist. Er wundert sich, dass von außen nichts zu sehen ist. Keine Wunde, kein Verband. Nichts zu sehen. Er bleibt nicht lange da.
Inzwischen ist meine Bettnachbarin aufgewacht und ich sage, dass ich Ana heiße. Und dass ich mich freue, dass sie da sei, weil es sehr langweilig sei, alleine im Zimmer zu sein.
Bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr hieß ich, egal, ob zu Hause oder in der Schule, Ankica, aber hier in Deutschland kann kein Mensch den Namen richtig aussprechen. Seit etwa drei Jahren habe ich mich daran gewöhnt, den Namen zu nennen, der in meinen Papieren steht. Ich hieß schon Anke, Anita, Anica und die Kinder sagten auch schon „Pizza“ zu mir. Den Namen Ana finde ich nicht schön und ich hasse diesen Namen. Mein Sohn Dominik hat mit etwa sieben Jahren, wenn er nicht seinen Willen durchgesetzt hat, statt „Mami“ sehr oft „Ana“ gesagt. Er hat genau gewusst, dass er mich damit kränkt. All unsere Freunde und Hans’ Familie sagen „Ankica“ und das ist gut so.
Meine Bettnachbarin sagt kein Wort. Ich versuche es noch mal und frage sie, was ihr fehle. Wieder keine Antwort. Vielleicht kann sie mich nicht verstehen oder sie ist womöglich taubstumm? Es klopft an der Tür und ein Mann und ein Junge, etwa sechs Jahre alt, betreten das Zimmer. Sie redet mit ihnen Russisch. Taub-stumm ist sie nicht. Vielleicht versteht sie kein Deutsch und gibt mir deswegen keine Antwort?
Das Abendessen kommt, aber ich habe keinen Hunger. So trinke ich nur den Tee. Meine Nachbarin gibt das Essen ihrem Mann und dem Jungen. Sie hat auch keinen Hunger – oder verzichtet sie darauf, weil die beiden Hunger haben?
Der Junge kommt zu mir und fragt mich, ob ich das Essen nicht möchte und ob er das haben dürfe. Natürlich kann er das haben, ich will es nicht. Nach dem Essen gehen sie nach Hause.
Yvonne und Nicole kommen ins Zimmer und sind auch überrascht, dass ich keine Wunden und auch keine Schmerzen habe.
Beide versuchen auch, mit meiner Bettnachbarin zu reden, aber es kommt auch keine Antwort. Ich erkläre ihnen, dass sie kein Deutsch spricht.
Nachdem sie gegangen sind, schalte ich den Fernseher an.
Ich bin so erschrocken, weil die Stimme neben mir sagt: „Ich will das nicht sehen, ich will das zweite Programm sehen, da läuft die Serie, die ich zu Hause immer sehe.“
Da schaue ich nicht schlecht. Na, schau her, sie spricht nur Deutsch, wenn sie etwas will.
„Nein“, sage ich, „ich will das sehen.“ Normalerweise bin ich nicht so, aber da sie sonst kein Wort mit mir spricht, will ich nicht nach ihrer Pfeife tanzen. Ich hasse die Worte „Ich will“. Hätte sie gesagt: „Ich möchte“, hätte ich vielleicht anders reagiert.
Oder wäre sie schwanger, hätte ich Rücksicht genommen, aber sie kriegt nicht mal ein Baby.
Sie kommt auch von der HNO-Station, für sie war auch kein Platz da oben.
„Den Fernseher habe ich gemietet und ich schaue nicht lange, dann können Sie es umschalten“, sage ich ihr. Damit gibt sie sich nicht zufrieden und klingelt nach der Schwester, um sich über mich zu beschweren. Die Schwester erklärt ihr das Gleiche, was ich auch gesagt habe. „Beteiligen Sie sich an der Miete und dann kann man sich mit Frau Mack auch einigen, welches Programm geschaut wird.“ Das will sie aber auch nicht. Es geht mir nicht um das Geld, aber die Art und Weise, wie sie sich verhält, ärgert mich. Ich gebe wieder mal nach und schalte den Fernseher ins zweite Programm um und schlafe ein.
Ich wache um kurz nach zehn wieder auf. Ich bin richtig fit, als ob ich viele Stunden geschlafen hätte. Dabei waren es nur zwei.
Es ist so weit, ich muss „meine Babys“ besuchen. Ich laufe den Gang hoch und runter. Es ist eine andere Nachtschwester da und sie erlaubt mir nicht, dass ich ins Zimmer gehe, wo die Babys sind. So stehe ich am Fenster und drücke mir die Nase platt. Die Babys sind alle noch da.
Im Zimmer ist eine junge Frau mit ihrem Mann. Letzte Nacht war sie auch mit ihrem Kind da und wir haben miteinander gesprochen. Sie erzählte mir, dass ihr Baby krank sei und wahrscheinlich in eine andere Klinik verlegt werden müsse. Die Frau hält das Kind in den Armen und weint. Sie streichelt das Baby und küsst es immer wieder. Das macht mich auch so traurig, dass ich anfange zu weinen.
Ich bin ein sensibler Mensch. Viele Menschen in meiner Umgebung sagen mir nach, dass ich auf einem hohen Thron sitze, hart zu mir und zu anderen, dass ich gefühllos sei und hochnäsig. Ich muss immer recht haben und wenn ich nicht recht habe, habe ich trotzdem recht. Wenn mich jemand nach meinem Tierkreiszeichen fragt, sage ich ganz stolz: „Ich bin ein Löwe.“ So, als ob dies eine Auszeichnung wäre. Nein, ich bin nah am Wasser gebaut und ich weine sehr oft und sehr gern. Wenn im Fernsehen ein trauriger Film läuft, kullern mir schon mal die Tränen.
Das junge Ehepaar schaut kurz zum Fenster und sieht mich da stehen. Die Frau winkt mir kurz zu und widmet sich wieder ihrem Baby.
Ich lasse sie alleine und mache das Übliche, ich laufe den Gang hoch und runter.
Inzwischen ist es schon halb eins und ich bin immer noch nicht müde.
Wieder in meinem Zimmer stelle ich fest, dass meine Nachbarin auch noch nicht schläft. Ich frage sie, ob sie mit mir den Spätfilm sehen möchte. Keine Antwort. Ich frage sie, ob sie das störe, wenn ich mit den Kopfhörern weiterschaue, und natürlich kriege ich wieder keine Antwort. Ich bin so froh, dass mein Mann daran gedacht hat, die Kopfhörer mitzubringen.
Mit einem lauten „Guten Morgen, gut geschlafen?“ werde ich geweckt. Auf den Ohren habe ich immer noch die Kopfhörer. Die Schwester sagt mir, dass sie im Zimmer gewesen sei und dass sie den Fernseher ausgeschaltet habe, aber da ich so gut geschlafen habe, habe sie mich nicht wecken wollen.
Sie gibt mir eine Thrombosespritze in den Bauch und misst mein Fieber. „Ein wenig hoch.“ Ich habe Hunger und frage sie, wann es Frühstück gebe. Wir haben jetzt erst sechs Uhr fünfzehn und Frühstück gibt es erst um sieben. Es gibt kein Frühstück im Zimmer, sondern im Aufenthaltsraum. Ich muss mich beeilen, dass ich ins Bad komme. Das Badezimmer ist ein kleiner Raum zwischen zwei Zimmern. Es ist fast immer besetzt. Das kann man sehen, wenn eine rote Lampe über der Zimmertüre brennt, und die leuchtet fast immer.
Das Frühstück ist eine große Überraschung. Da ist ein großes Büfett aufgebaut und da ist alles, was das Herz begehrt. Ich komme mir vor wie im Urlaub. Ich nehme ein Brötchen, Butter und Honig und setze mich an einen freien Tisch. Der Kaffee ist nicht nach meinem Geschmack.
Yvonne und Nicole kommen und setzen sich zu mir. Yvonne fragt mich, ob das alles sei, was ich esse, und es wundere sie nicht, dass ich so schlank sei.
Ihr bleibt fast die Spucke weg, als sie hört, dass ich tütenweise Chips, Bonbons und Schokolade esse. Jetzt will sie genau wissen, wie groß und schwer ich bin. Sie meint, mehr als fünfundfünfzig Kilo wiege ich nicht. Ich bin einen Meter zweiundsiebzig groß und wiege seit Jahren sechsundsechzig Kilo. Das glaubt sie mir nicht und will unbedingt wetten. Wer die Wette verliert, muss unten im Café drei Cola bezahlen. Ich sage ihr, dass sie die Wette schon verloren habe, aber sie besteht darauf. Ja, ja, die liebe Yvonne ist sehr neugierig. Sie möchte wissen, wie alt ich sei, wie viele Kinder ich habe und warum ich so braun sei. Ich antworte ihr ganz brav auf alle ihre Fragen. „Ich bin sechsundfünfzig Jahre alt“, sage ich und Yvonne dazu: „Oh, geil!“ „Ich habe einen Sohn und mein Mann hat zwei Söhne“, und Yvonne dazu: „Oh, geil!“ „Und ich bin so braun, weil ich einmal in der Woche ins Solarium gehe“, und sie wieder: „Oh, geil!“
Nicole und ich fangen an zu lachen. Yvonne findet mich eben ganz toll. Meine Figur, obwohl ich drei Kinder geboren habe, meinen Trainingsanzug, meine weißen langen Nägel, sogar meine Hausschuhe. Ja, sie findet alles an mir geil. Sie schätzt mich auf höchstens fünfzig und mir geht das runter wie Öl. Ich sage ihr, dass ich einen Sohn habe und dass er Dominik heißt, und mein Mann habe zwei Söhne. Die heißen Frank und Matthias. Ich nenne bewusst gleich die Namen, weil ich schon die nächste Frage von ihr weiß. Dass mit den drei Söhnen ist für Yvonne ein wenig zu hoch. Ich überlasse es Nicole, ihr das zu erklären, und gehe mir einen Tee holen.
Nicole ist achtzehn Jahre alt, sehr ernst, klug und eine sehr hübsche junge Frau. Yvonne ist sechsundzwanzig und sehr naiv in ihrer Art, aber sehr lieb und anhänglich. Deswegen gebe ich ihr einen tollen Spitznamen: „Schätzelein.“
Am Büfett sehe ich meine Nachbarin und winke ihr zu, damit sie sich zu uns setzt, aber sie ignoriert mich. Macht sich zwei Teller voll und geht wieder ins Zimmer. Sie kommt noch zweimal vorbei und packt die Teller voll und geht wieder. Wir drei schauen uns nur an. Ich weiß, dass sie von mir einen Namen für meine Nachbarin erwarten.
„Wie wäre es mit ‚Hamster‘? Gefällt euch der Name?“
„Das finde ich ganz geil“, sagt Schätzelein und kriegt wieder ihren Lachanfall.
Wieder im Zimmer, sehe ich, wie Hamster alles, was sie geholt hat, in Servietten und Papier verpackt.
Wir kriegen unsere Karteikarte und gehen in den fünften Stock zur Untersuchung. Wir drei sitzen da und Schätzelein blättert in ihrer Karte und liest uns vor, was da drinnen steht.
„Acht Uhr dreißig: Patientin nicht angetroffen in ihrem Zimmer.
Zehn Uhr: Patientin ist nicht auf ihrem Zimmer.
Zwölf Uhr fünfzehn – und da steht wieder das Gleiche.“
„Was steht von gestern drinnen?“, wollen Nicole und ich wissen.
Sie schaut nach und fängt laut an zu lachen. „Da steht nichts anderes wie x-mal der gleiche Satz.“
Ich frage sie, ob sie hier im Krankenhaus einen Hausfreund gefunden habe. Wir wissen ja, dass sie sehr oft runtergeht, um zu rauchen. Die Tür geht auf und ein sehr gut aussehender junger schlanker Arzt mit dunklem Haar fragt uns, was so lustig sei, dass wir so lachen. Natürlich sagen wir ihm nicht, dass wir gelesen haben, was in Schätzeleins Kartei steht. Nicole geht ins Behandlungszimmer hinein. Schätzelein und ich schauen uns nur an und es ist klar, was wir beide denken: „Der Arzt sieht schon verdammt gut aus.“ Der Kommentar von Schätzelein ist: „Oh, geil! Den täte ich nicht von der Bettkante stoßen!“, und sie fängt wieder an laut zu lachen.
Ich bin die Nächste, die zur Untersuchung aufgerufen wird. Der Arzt schaut in mein Ohr und meint, es sei alles in Ordnung. Ich schaue mir den Arzt genau an und muss zugeben, dass er nicht übel aussieht. Was heißt „nicht übel“, er sieht toll aus. Ich frage ihn, wo Doktor Frese sei, und er meint, dass er im OP sei, aber er werde noch mal mit mir sprechen, wie meine OP verlaufen sei.
Nach der Untersuchung fahren wir drei wieder runter und da wartet eine neue Überraschung auf mich. Hamster und ich werden auf Station fünf verlegt, weil sie das Zimmer brauchen. Ich will aber hier nicht weg und so mache ich der Schwester den Vorschlag, dass ich ins Zimmer von Yvonne und Nicole möchte. Eine von uns beiden muss aber verlegt werden und sie hat nichts dagegen, dass ich hierbleibe, wenn die beiden nichts dagegen haben. Natürlich kann ich zu ihnen ins Zimmer umziehen. Und ich bin so froh, dass ich hierbleiben kann, auch wegen der Babys.
Im Zimmer ist es ziemlich eng mit den drei Betten, aber ich bin sehr glücklich, dass ich hierbleiben darf. Das Einzige, was mich stört, ist, dass die Heizung voll aufgedreht ist und alle Fenster geschlossen sind. Dementsprechend sind die Luft und die Wärme im Zimmer.
Ich gehe noch ein paar Mal ins andere Zimmer, um meine Sachen zu holen, und da fragt mich der Hamster, ob ich für sie Duschgel und Shampoo habe. Ich wusste nicht genau, wie lange ich in der Klinik bleiben muss, deswegen habe ich alles doppelt und so gebe ich ihr etwas. Sie sagt noch nicht mal „Bitte“ oder „Danke“, aber das bin ich von ihr gewohnt. Für sie ist es egal, dass sie verlegt wird, weil sie ja mit niemandem spricht, denke ich. Sie spricht nur dann, wenn sie etwas will oder etwas braucht. Ich wünsche ihr alles Gute und das meine ich ganz ehrlich, ohne Zynismus, und gehe wieder in das andere Zimmer.
Ich fühlte mich immer schon zu jungen Menschen eher hingezogen als zu Menschen in meinem Alter, mit ihnen komme ich einfach besser klar.
Unsere Freunde und Bekannten sind alle nicht in unserem Alter, sondern noch relativ jung.
Mein Hausarzt Doktor Jaedicke, der HNO-Arzt Doktor Kimpel, Doktor Ebeling und Doktor Frese sind alle noch junge Ärzte.
Wenn ich an unseren Urlaub denke, waren wir immer umgeben von jungen Menschen, ob am Pool oder im Speisesaal. Liegt das daran, dass ich nicht wahrhaben will, dass meine Jugend vorbei ist, oder daran, dass ich jeden Blödsinn mitmache und alles sage, was ich denke? Junge, schlanke und vor allen Dingen gepflegte Menschen mag ich besonders gern.
Bin ich eigentlich schon alt? Ab wann ist man alt? Mit vierzig, fünfzig oder sechzig?
Die zwei Mädels haben den Fernseher angeschlossen und sind schon dabei, das richtige Programm zu suchen. Ich glaube fast, dass das der Grund ist, warum sie mich in ihrem Zimmer aufgenommen haben. Es ist mir auch egal, ich habe erreicht, was ich wollte.
Schätzelein fragt mich, ob ich einen Namen für den hübschen Arzt ausgesucht habe.
„Na, klar habe ich das, da muss ich nicht lange überlegen. Wie gefällt dir ‚Schönling‘?“
„Das finde ich ganz geil.“