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Beschreibung

Nach dem Erfolg seiner dritten vollendeten Oper "Rienzi" wandte sich Wagner der Vertonung eines Stoffes zu, dem er Jahre zuvor in Heinrich Heines "Schnabelewopski"-Fragment begegnet war. Zum ersten Mal ist im "Fliegenden Holländer" einen Thematik umgesetzt, die bestimmend für Wagners Schaffen bis hin zu seinem letzten Musikdrama "Parsifal" war: der Erlösungsgedanke. Der "Holländer" ist zugleich der erste Schritt des Komponisten von der Nummernoper zum durchkomponierten Musikdrama. Dieses Buch enthält neben dem Textbuch einführende Kommentare von Kurt Pahlen. Er begleitet das musikalische und das äußere wie innere dramatische Geschehen der Oper mit Hinweisen zu kompositorischer Struktur und Sinnzusammenhang. Eine kurze Inhaltsangabe und ein Abriss der Entstehungsgeschichte stellen das Werk in einen Zusammenhang mit dem Gesamtschaffen des Komponisten und seiner Biographie und bieten eine umfassende, reich illustrierte Einführung.

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Richard Wagner
Der fliegende Holländer
Nach dem Erfolg seiner dritten vollendeten Oper Rienzi wandte sich Wagner der Vertonung eines Stoffes zu, dem er Jahre zuvor in Heinrich Heines Schnabelewopski-Fragment begegnet war. Zum ersten Mal ist im Fliegenden Holländer eine Thematik umgesetzt, die bestimmend für Wagners Schaffen bis hin zu seinem letzten Musik drama Parsifal war: der Erlösungsgedanke. Der Holländer ist zugleich der erste Schritt des Komponisten von der Nummernoper zum durchkomponierten Musikdrama.
Richard Wagner
Der fliegende Holländer
TextbuchEinführung und Kommentarvon Kurt Pahlenunter Mitarbeit von Rosmarie König
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Bestellnummer SDP 42
ISBN 978-3-7957-9188-9
Originalausgabe August  1979
©
    2014 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz
Alle Rechte vorbehalten
www.schott-music.com
www.schott-buch.de
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung kopiert und in ein Netzwerk gestellt werden. Das gilt auch für Intranets von Schulen oder sonstigen Bildungseinrichtungen.
Inhalt
7     Zur Aufführung
9     Textbuch mit Erläuterungen zu Musik und Handlung
108     Kurze Inhaltsangabe
120     Zur Geschichte der Oper Der fliegende Holländer
154 Der fliegende Holländer in Schlagworten
161    Wagner zur Charakterisierung der Personen
im Fliegenden Holländer
164    Wagner über den Fliegenden Holländer –
zehn Jahre nach der Uraufführung
166     Kurze Biographie Richard Wagners
182     Die Bühnenwerke Richard Wagners
Richard Wagner– während seines Pariser Aufenthalts (1840–42) –von seinem Freund Ernst Benedikt Kietz in einerBleistiftzeichnung festgehalten(Original im Haus »Wahnfried«, Bayreuth)
Zur Aufführung
TITEL
Der fliegende Holländer
BEZEICHNUNG
Romantische Oper in drei Aufzügen
TEXT UND MUSIK
Richard Wagner
URAUFFÜHRUNG
Dresden, 2. Januar 1843
PERSONENVERZEICHNIS
Daland, Besitzer und Kapitän eines Schiffes. . . . Baß
Senta, seine Tochter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sopran
Erik, ein Jäger, ihr Verlobter . . . . . . . . . . . . . . . . Tenor
Mary, Sentas Amme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mezzosopran
Der Steuermann auf Dalands Schiff. . . . . . . . . . . Tenor
Der »Fliegende Holländer«. . . . . . . . . . . . . . . . . . Bariton oder
Baß-Bariton
Matrosenchöre des norwegischen Schiffes sowie (unsichtbar) des Gespensterschiffs des Holländers. Frauen und Mädchen des Ortes.
SCHAUPLÄTZE
Der erste Akt in einer einsamen Meeresbucht an der norwegischen Küste. Der zweite Akt im Saal des Hauses Dalands in einem norwegischen Fischerdorf. Der dritteAkt im kleinen Hafen dieser Ortschaft.
ZEITANGABE
Zeit der Legende vom »Fliegenden Holländer« und Fantasie
7
ZUR AUFFÜHRUNG
ORCHESTERBESETZUNG
Piccolo, 2 Flöten, 2 Oboen (2. auch Englisch-Horn), 2 Klarinetten, 2 Fagotte; 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Baßtuba; ein Paar Pauken, verschiedenes Schlagzeug; Harfe; Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabaß
Ferner Bühnenmusik: 3 Piccolo, 6 Hörner, Tamtam, Windmaschine
SPIELDAUER
Ungefähr 2½ Stunden
8
Textbuchmit Erläuterungenzu Musik und Handlung
9
ERLÄUTERUNGEN
Eine gewaltige Meeressinfonie. Sturm und Wetter jagen vorüber, die Wogen schlagen mit weißer Gischt hoch übereinander, bilden Abgründe, um dann wieder zu schwindelnden Höhen aufzusteigen. Die aufgewühlten Elemente spiegeln sich im beinahe wilden Tremolo der Streicher wieder. (Sie bilden übrigens die gleiche »hohle Quinte«, mit der Wagners Lieblingswerk, Beethovens »Neunte Sinfonie«, einsetzt.) Chromatische Harmoniefortschrei-tungen erhöhen noch die Spannung.Wie eine düstere Fanfare schmettert das Motiv des fliegenden Holländers in die brausenden Klänge des aufgepeitschtenOzeans:
(1)
Nur langsam und nach zahlreichen Höhepunkten des vollen Orchesters scheint der Sturm sich zu beruhigen, wie aus immer weiterer Ferneertönt das Motiv des Holländers.Nach einer Atempause erklingt (nun Andante, nach dem anfänglichen Allegro con brio, aber den Grundrhythmus des sechsteiligenTaktes beibehaltend) das weiche »Erlösungsmotiv«:
(2)
10
11
OUVERTÜRE
OUVERTÜRE
ERLÄUTERUNGEN
Es ist eng der Gestalt Sentas beigeordnet und wird einen wesentlichen
Bestandteil ihrer »Ballade« bilden.
Es wird in ein drittes Motiv aufgelöst:
(3)
das die Chromatik der Sekunde in die Melodie zieht, unheimlichen Charakter aufweist, aber auch im Spinnlied Verwendung findet und mit ebenfalls chromatischen Rückungen der  Harmonie
unterstrichen wird.
Dann geht es mit dem Holländermotiv in den immer neu angefachten Sturm zurück, in den auch das Seemannslied (vergl. Nr. 23)
verwoben wird.
Aus allen diesen Motiven gespeist, ersteht in voller Größe und Wucht die Meeressinfonie, von der eingangs gesprochen wurde.
12
13
1. AUFZUG
ERSTER AUFZUG
Nr. 1. Introduktion1
(Steiles Felsenufer. Das Meer nimmt den größten Teil der Bühne ein; weite Aussicht auf dasselbe. Die Felsen im Vordergrund bilden auf beiden Seiten Schluchten, aus denen die Echos antworten. – Finsteres Wetter; heftiger Sturm; zwischen den Felsen selbst verliert der Wind, den man in offener See die Wogen peitschen sieht, seine Macht; nur von Zeit zu Zeit scheint das Heulen des Sturms  hereinzudringen.  – Das Schiff Dalands  hat  soeben
1
Das Originallibretto Wagners verzeichnet diese Einteilungen nicht. Wir bringensie aber in unserem Text des besseren Verständnisses wegen.
ERLÄUTERUNGEN
Die (vorwiegend einstimmigen) Rufe der Matrosen, die Wagner jenen nachbildete, die er von der Mannschaft des Seglers während seiner stürmischen Meerfahrt gehört hatte, werden in zweifachem Echo von den Felswänden zurückgeworfen, während das Orchester den langsam ablaufenden Sturm malt. Zwei Motive werden eingeführt, die später deutlich mit dem »Volk« in Verbindung gebracht werden, den Seeleuten und den Dorfmädchen. Das erste
zeigt den charakteristischen Sekundschritt:
(4)
er wurde schon im Motiv Nr. 3 eingeführt.
Das zweite, ebenfalls sehr plastisch (durch ein seltenes Nonen-
Intervall), drückt freudige Matrosenstimmung aus:
(Notenbeispiel, S. 16)
14
15
1. AUFZUG
dicht am Ufer Anker geworfen; die Mannschaft ist in geräuschvoller Arbeit beschäftigt, die Segel aufzustreichen, Taue auszuwerfen usw. Daland ist ans Land gegangen; er steigt auf einen Felsen und
sucht landeinwärts die Gegend zu erkennen.)
Matrosen (während der Arbeit):
Johohe! Hallajo! Hohoha! Hallojo!
Ho! Ha! Ha! Ja! Hallajo! Hallaha! Hallahoja!1
1
In der Komposition erscheinen die Matrosenrufe leicht verändert, vor allem inbezug auf die Vokale.
ERLÄUTERUNGEN
(5)
Dalands Auftritt zeigt den selbstsicheren, einfachen Seemann, enttäuscht über das (glimpflich abgegangene) Mißgeschick, den Heimathafen nicht mehr an diesem Abend erreicht zu haben, aber
dennoch ruhig und vertrauensvoll.
Alle gehen schlafen …
der Steuermann erbietet sich zur Wache.
16
17
1. AUFZUG
Daland (kommt vom Felsen herab):
Kein Zweifel! Sieben Meilen fort
trieb uns der Sturm vom sichren Port.
So nah dem Ziel nach langer Fahrt,
war mir der Streich noch aufgespart!
(Der Steuermann ruft vom Schiffe her)
Steuermann (durch die hohlen Hände):
Ho! Kapitän!
Daland:
Am Bord bei euch – wie steht’s?
Steuermann:
Gut, Kapitän! Wir haben sich’ren Grund.
Daland:
Sandwike ist’s, genau kenn ich die Bucht.
Verwünscht! Schon sah am Ufer ich mein Haus,
Senta, mein Kind, glaubt ich schon zu umarmen: –
da bläst es aus dem Teufelsloch heraus …
Wer baut auf Wind, baut auf Satans Erbarmen!
Was hilft’s? Geduld! Der Sturm läßt nach;
wenn so er tobte, währt’s nicht lang.
(Er geht am Bord des Schiffes.)
He, Bursche! Lange wart ihr wach, –
zur Ruhe denn! Mir ist nicht bang.
(Die Matrosen steigen in den Schiffsraum hinab.)
Nun, Steuermann, die Wache nimmst du wohl für mich?
Gefahr ist nicht, doch gut ist’s, wenn du wachst.
Steuermann:
Seid außer Sorg! Schlaft ruhig, Kapitän!
(Daland geht in die Kajüte.)
ERLÄUTERUNGEN
Immer leiser wird des Windes Wehen, in das Bewußtsein des schläfrigen Steuermanns klingen noch Motivreste hinein. Dann ermannt er sich, um nicht einzuschlafen, und intoniert, mit anfangs spärlicher  Orchesterbegleitung,  sein  melodiöses,  sehnsüchtiges
Lied an das ferne Mädchen:
(6)
Nach der ersten Strophe malt das Orchester den Anprall einer schweren Woge, dann kämpft der Steuermann mit schwächer werdendem Erfolg gegen den Schlaf. Das Orchester deutet immer wieder  die beruhigenden Motive Nr. 4  und Nr. 5 an, in denen so
etwas wie Heimat und Geborgenheit mitschwingt.
Die Phrasen der zweiten Strophe des Liedes folgen in immer größeren
Abständen, immer müder, bis er vollends einschläft.
18
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1. AUFZUG
(Der Sturm hat sich gelegt; nur in abgesetzten Pausen dringen gemilderte Windstöße in die Schlucht. Auf offener See türmen sich die Wogen. Der Steuermann macht die Schiffsrunde; von Müdigkeit überfallen setzt er sich dann am Steuerruder nieder. Er gähnt.
– Er schüttelt sich auf, als ihm der Schlaf kommt.)
Steuermann:
Mit Gewitter und Sturm aus fernem Meer –
mein Mädel, bin dir nah!
Über turmhohe Flut vom Süden her –
mein Mädel, ich bin da!
Mein Mädel, wenn nicht Südwind wär,
ich nimmer wohl käm zu dir;
ach, lieber Südwind, blas noch mehr!
Mein Mädel verlangt nach mir.
Hohoja! Hallohoho! Jollohohoho! Heho!1
(Eine große Woge naht dem Schiff und rüttelt es heftig. – Der Steuermann fährt auf; er sieht nach, ob das Schiff Schaden genommen habe. Beruhigt setzt er sich wieder am Steuer nieder.
Der Schlaf kommt ihn immer mehr an. – Er gähnt.)
Von des Südens Gestad, aus weitem Land –
ich hab an dich gedacht!
Durch Gewitter und Meer vom Mohrenstrand –
hab dir was mitgebracht.
Mein Mädel, preis den Südwind hoch,
ich bring dir ein gülden Band!
Ach, lieber Südwind, blase doch!
Mein Mädel hätt gern den Tand.
Hoho! Je! Hollaho!
(Er schläft völlig ein; das Meer wird von neuem unruhiger. –
1   In der Komposition sind die Rufe zum Teil leicht verändert.
ERLÄUTERUNGEN
Großartig, wie diese von jetzt leiserem Wellengang untermalte nächtliche, fast geruhsame Stimmung nun aufgepeitscht wird. Unter neuerlichem Ausbruch der Elemente jagt das Gespensterschiff des Fliegenden Holländers blitzschnell daher. Streichertremolo und das wild dreinfahrende Blech mit dem Holländer- und Sturmmotiv
(vergl. Nr. 1).
Dann wird es wieder still. Schlaftrunken erwacht der Steuermann,  summt nach dem Matrosenmotiv noch eine Phrase seinesLiedes, bemerkt nichts und schläft weiter.
Mit seinem nun eigenartig beruhigten Motiv ist der Holländer an Land gegangen und beginnt in dumpfer, lastender Stimmung seinen gewaltigen Monolog: Langsam ausdrucksvolle Deklamation, von
kurzen Orchestereinwürfen unterbrochen:
(7)
Sein Gesang sammelt sich zu melodischen Gebilden, die Orchesterbegleitung wird immer erregter. Mit ersten stimmlichen Höhe-
20
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1. AUFZUG
Das Schiff des Fliegenden Holländers, mit schwarzen Masten und blutroten Segeln, zeigt sich in der Ferne, und naht sich mit großer Schnelle der Küste. Es legt auf der dem norwegischen Schiffe entgegengesetzten Seite an. Mit einem furchtbaren Krach sinkt der
Anker an der Kette in den Grund.)
(Der Steuermann fährt auf und sieht nach dem Steuer; überzeugt,
daß nichts geschehen, setzt er sich wieder.)
Mein Mädel, wenn nicht Südwind wär …
(Er schläft von neuem ein.)
(Stumm und ohne ferneres Geräusch zieht die gespenstische Mannschaft
des Holländers die Segel auf usw.)
(Der Holländer geht ans Land, er trägt schwarze spanische
Tracht.)
Nr. 2 Arie
Holländer:
Die Frist ist um, … und abermals verstrichen
sind sieben Jahr … voll Überdruß wirft mich
das Meer ans Land … Ha! Stolzer Ozean!
In kurzer Frist sollst du mich wieder tragen!
Dein Trotz ist beugsam, doch ewig meine Qual.
Das Heil, das auf dem Land ich suche, nie
werd ich es finden! Euch, des Weltmeers Fluten
bleib ich getreu – bis eure letzte Welle
sich bricht – und euer letztes Naß versiegt!
Wie oft in Meeres tiefsten Schlund
stürzt ich voll Sehnsucht mich hinab:
ERLÄUTERUNGEN
punkten schildert der Holländer seine nie erfüllte Sehnsucht nach
dem Tode, seine Herausforderungen des Schicksals.
Dann beruhigt sich das bis dahin trotzig aufbegehrende Orchester. In einem – gewissermaßen dritten, neuen, lyrischen – Teil des großen Monologs bricht des Verdammten Sehnsucht ergreifend durch:
(8)
Um so dramatischer wirkt die verzweifelte Enttäuschung, mit der die hoffnungsvollere Stimmung des Holländers wieder in das wildesteLeid umschlägt.Der letzte Teil des Monologs ist nur noch der Untergangsstimmung geweiht: dem Eingehen in das Nichts, dem Weltenuntergang, der auch dem zutiefst Verdammten endlich Erlösungbringen muß.
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23
1. AUFZUG
doch ach! Den Tod, ich fand ihn nicht!
Da, wo der Schiffe furchtbar Grab,
trieb mein Schiff ich zum Klippengrund:
doch ach! mein Grab, es schloß sich nicht!
Verhöhnend droht ich dem Piraten,
im wilden Kampfe hofft ich Tod:
»Hier« – rief ich – »zeige deine Taten!
Von Schätzen voll ist Schiff und Boot!« –
Doch ach! Des Meers barbar’scher Sohn
schlägt bang das Kreuz und flieht davon …
Wie oft in Meeres tiefsten Grund
stürzt ich voll Sehnsucht mich hinab!
Da, wo der Schiffe furchtbar Grab,
trieb mein Schiff ich zum Klippengrund:
Nirgends ein Grab! Niemals der Tod!
Dies der Verdammnis Schreckgebot.
Dich frage ich, gepries’ner Engel Gottes,
der meines Heils Bedingung mir gewann!
War ich Unsel’ger Spielwerk deines Spottes,
als die Erlösung du mir zeigtest an?
Vergebne Hoffnung! Furchtbar eitler Wahn!
Um ew’ge Treu auf Erden – ist’s getan!
Nur eine Hoffnung soll mir bleiben,
nur eine unerschüttert stehn: –
so lang der Erde Keim auch treiben,
so muß sie doch zugrunde gehn.
ERLÄUTERUNGEN
Besonders eindrucksvoll die Phrase: »Wann alle Toten …« mit dem zur Unisonobegleitung zurückgenommenen, pianissimo begleitenden Orchester; auffallend das prominente Quarten-Quinten-Intervall, das das Holländermotiv bildet und hier sehnsüchtig-lyrisch
zitiert wird:
(9)
Gespenstisch antwortet der unsichtbare Männerchor der holländischen
Matrosen auf die letzte Phrase seines Kapitäns.
Plötzlich wird die Musik wieder »irdisch«, freundlicher.
Daland weckt seinen Steuermann,
der verwirrt sein Liebeslied weitersingen will.
24
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1. AUFZUG
Tag des Gerichtes! Jüngster Tag!
Wann brichst du an in meine Nacht?
Wann dröhnt er, der Vernichtungs-Schlag,
mit dem die Welt zusammenkracht?
Wann alle Toten auferstehn,
dann werde ich in Nichts vergehn!
Ihr Welten, endet euren Lauf!
Ew’ge Vernichtung, nimm mich auf!
(Der Holländer lehnt sich mit verschränkten Armen, dumpf in
sich gekehrt, an einer Felsenwand.)
Chor der Mannschaft des Holländers – im Schiffsraum –
unsichtbar:
Ew’ge Vernichtung, nimm uns auf!
Nr. 3 Szene, Duett und Chor
(Daland kommt aus der Kajüte; er sieht sich nach dem Wind um
und erblickt das fremde Schiff.)
Daland (sich nach dem Steuermann umsehend):
He! Holla! Steuermann!
Steuermann (sich schlaftrunken halb aufrichtend):
’s ist nichts; ’s ist nichts!
Ach, lieber Südwind, blas noch mehr! –
mein Mädel …
Daland (den Steuermann aufrüttelnd):
Du siehst nichts? Gelt, du wachtest brav, mein Bursch!
Dort liegt ein Schiff … wie lange schliefst du schon?
ERLÄUTERUNGEN
Nach Seemannsbrauch, in sehr klaren (Oktav-)Intervallen, ruft Daland
den Holländer an, der einsam am Strande steht.
Dessen Antwort, die langsam und gewichtig beginnt, geht eine kurze, ausdrucksvolle Orchesterphrase voraus, die die Stimmung
bedeutungsvoll ins Unirdische, Geheimnisvolle rückt:
(10)
Dann entwickelt sich ein Duett, in dem der Holländer sich offenkundig bemüht, auf Dalands Gedankenwelt und Tonsprache einzugehen, das Orchester aber mit dem Motiv Nr. 10 andeutet, daß
er aus einer anderen, geheimnisumwitterten Welt kommt.
26
27
1. AUFZUG
Steuermann (rasch auffahrend):
Zum Teufel auch! Verzeiht mir, Kapitän!
(Er setzt schnell das Sprachrohr an und ruft über Bord.)
Wer da?
(Lange Pause)
Wer da?
(Lange Pause)
Daland:
Es scheint, sie sind gerad so faul als wir.
Steuermann (wie vorher):
Gebt Antwort! Schiff und Flagge?
Daland (erblickt den Holländer am Lande):
Laß ab! Mich dünkt, ich seh den Kapitän!
(den Holländer anrufend)
He! Holla! Seemann! Nenne dich! Wes Landes?
(Langes Stillschweigen)
Holländer (ohne seine Stellung zu verlassen):
Weit komm ich her … Verwehrt bei Sturm und Wetter
ihr mir den Ankerplatz?
Daland:
Behüt es Gott!
Gastfreundschaft kennt der Seemann!
(an das Land gehend)
ERLÄUTERUNGEN
28
29
1. AUFZUG
Wer bist du?
Holländer:
Holländer.
Daland:
Gott zum Gruß! So trieb auch dich
der Sturm an diesen nackten Felsenstrand?
Mir ging’s nicht besser … wenig Meilen nur
von hier ist meine Heimat, fast erreicht
mußt ich aufs neu mich von ihr wenden. Sag,
woher kommst du? Hast Schaden du genommen?
Holländer:
Mein Schiff ist fest … es leidet keinen Schaden
(mit Ausdruck, aber ohne Leidenschaft)
Durch Sturm und bösen Wind verschlagen,
irr auf den Wassern ich umher;
wie lange? weiß ich kaum zu sagen,
schon zähl ich nicht die Jahre mehr.
Unmöglich dünkt mich’s, daß ich nenne
die Länder alle, die ich fand: –
das eine nur, nach dem ich brenne,
ich find es nicht – mein Heimatland!
Vergönne mir auf kurze Frist dein Haus,
und deine Freundschaft soll dich nicht gereun!
Mit Schätzen aller Gegenden und Zonen
ist reich mein Schiff beladen; willst du handeln,
so sollst du sicher deines Vorteils sein!
Daland:
Wie wunderbar! Soll deinem Wort ich glauben?
Ein Unstern, scheint’s, hat dich bis jetzt verfolgt: –
um dir zu frommen, biet ich, was ich kann …
Doch darf ich fragen … was dein Schiff enthält?
(Der Holländer gibt der Wache seines Schiffes ein Zeichen, auf
welches man von demselben eine Kiste an das Land bringt.)
Holländer:
Die seltensten der Schätze sollst du sehn;
kostbare Perlen, edelstes Gestein.
Blick hin, und überzeuge dich vom Werte
des Preises, den ich für ein gastlich Dach dir biete!
ERLÄUTERUNGEN
Immer wieder stehen neben »irdischen« Stellen – wie jenen Daland besonders interessierenden der reichen Schätze des
Holländerschiffs –
andere, ins Tragische gewendete des fremden Seemanns, sooft er
auf seine Heimatlosigkeit und Einsamkeit anspielt.
Von hier an vereinen sich die beiden Stimmen in einem als traditionell zu bezeichnenden Duett, das fast noch den Charakter eines »deutschen Singspiels« trägt (und das Wagner in späteren
Jahren nicht mehr geschrieben hätte):
(11)
30
31
1. AUFZUG
Daland (voll Erstaunen den Inhalt der Kiste übersehend):
Wie! Ist’s möglich! Diese Schätze!
Wer ist so reich, den Preis dafür zu bieten!
Holländer:
Den Preis? Soeben hab ich ihn genannt:
dies für das Obdach einer einz’gen Nacht!
Doch, was du siehst, ist nur der kleinste Teil
von dem, was meines Schiffes Raum verschließt …
Was frommt der Schatz? Ich habe weder Weib noch Kind –
und meine Heimat find ich nie!
All meinen Reichtum biet ich dir, wenn bei
den Deinen du mir neue Heimat gibst!
Daland:
Was muß ich hören!
Holländer:
Hast du eine Tochter?
Daland:
Fürwahr, ein treues Kind!
Holländer:
Sie sei mein Weib! –
Daland (freudig betroffen):
Wie? Hört ich recht? Meine Tochter sein Weib!
Er selbst spricht aus den Gedanken!
Fast fürcht ich, wenn unentschlossen ich bleib,
er müßt im Vorsatze wanken.
Wüßt ich, ob ich wach oder träume!
Kann ein Eidam willkommener sein?
Ein Tor! – wenn das Glück ich versäume!
Voll Entzücken schlage ich ein.
Holländer:
Ach, ohne Weib, ohne Kind bin ich,
nichts fesselt mich an die Erde!
Rastlos verfolgte das Schicksal mich,
ERLÄUTERUNGEN
So geht das ausgedehnte Duett der beiden tiefen Stimmen seinem Ende zu, mit den ernsteren Gedanken des Holländers, der neue Hoffnung schöpft, und den oft reichlich trivialen des schatzgierigen Daland, der vor allem den »reichen Eidam« (Schwiegersohn)
sieht.
32
33
1. AUFZUG
die Qual nur war mir Gefährte.
Nie werd ich die Heimat erreichen:
zu was frommt mir der Güter Gewinn?
Läßt du zu dem Bund dich erweichen,
oh! so nimm meine Schätze dahin!1
Daland:
Wohl, Fremdling, hab ich eine schöne Tochter,
mit treuer Kinderlieb2 ergeben mir;
sie ist mein Stolz, das Höchste meiner Güter, –
mein Trost im Unglück, meine Freud im Glück!
Holländer:
Dem Vater stets bewahr sie ihre Liebe!
Ihm treu – wird sie auch treu dem Gatten sein.
Daland:
Du gibst Juwelen, unschätzbare Perlen: –
das höchste Kleinod doch, – ein treues Weib …
Holländer:
Du gibst es mir?
Daland:
Ich gebe dir mein Wort!
Mich rührt dein Los; – freigiebig, wie du bist,
zeigst Edelmut und hohen Sinn du mir …
den Eidam wünscht ich so, – und wär dein Gut
auch nicht so reich, wählt ich doch keinen andren!
Holländer:
Hab Dank! Werd ich die Tochter heut noch sehn?
Daland:
Der nächste günst’ge Wind bringt uns nach Haus;
du sollst sie sehn – und wenn sie dir gefällt …
Holländer:
So ist sie mein … Wird sie mein Engel sein?
Wenn aus der Qualen Schreckgewalten
die Sehnsucht nach dem Heil mich treibt,
ist mir’s erlaubt, mich festzuhalten
an einer Hoffnung, dir mir bleibt?
1   Im Originallibretto fehlen diese Verse des Holländers.
2   in der Komposition: Kindeslieb
ERLÄUTERUNGEN
Die Jubelrufe des Steuermanns und der Matrosen, die das Umschlagen des Windes begrüßen, schaffen eine – auch musikalisch
– neue Situation. Freudige Aufbruchsstimmung.
Das Sekundmotiv (vergl. Nr. 3 bzw. Nr. 4) erklingt in voller Stärke, von chromatisch aufsteigenden Baßfiguren in steter Spannung gehalten. Das verzweifelte Weh des Holländers geht in der Vorfreude auf den Heimathafen – der es auch für ihn, nicht nur für Daland zu werden verspricht – beinahe unter – außer, man wollte aus der hartnäckigen Chromatik (gegenüber der melodiösen wie
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1. AUFZUG
Daland:
Gepriesen seid, des Sturms Gewalten,
die ihr an diesen Strand mich triebt!
Fürwahr, bloß brauch1 ich festzuhalten,
was sich so schön von selbst mir gibt.
Die ihn an diese Küste brachten,
ihr Winde, sollt gesegnet sein!
Ha, wonach alle Väter trachten,
ein reicher Eidam, er ist mein!
Holländer:
Darf ich in jenem Wahn noch schmachten,
daß sich ein Engel mir erweicht?
Der Qualen, die mein Haupt umnachten,
ersehntes Ziel hätt ich erreicht?
Ach! ohne Hoffnung, wie ich bin,
gab ich mich doch der Hoffnung hin!
Daland:
Ja! dem Mann mit Gut und hohem Sinn
gab froh ich Haus und Tochter hin.
(Das Wetter hat sich völlig aufgeklärt, – der Wind ist umge-
schlagen.)
Steuermann (am Bord):
Südwind! Südwind!
Ach! lieber Südwind, blas noch mehr!
Matrosen (die Mütze schwenkend):
Halloho! Hohoho! Halloho! Halloho!
Halloho! Ho! Ho! Ho!
Daland:
Du siehst, das Glück ist günstig dir,
der Wind ist gut, die See in Ruh.
Sogleich die Anker lichten wir,
und segeln schnell der Heimat zu.
Holländer:
Darf ich dich bitten so segelst du voran; –
der Wind ist frisch, doch meine Mannschaft müd;
ich gönn ihr kurze Ruh – und folge dann.
1  in der Komposition: hab
ERLÄUTERUNGEN
harmonischen Diatonik Dalands) das dramatische Schicksal des
Holländers heraushören.