Der Fortschritt dieses Sturms - Andreas Malm - E-Book

Der Fortschritt dieses Sturms E-Book

Andreas Malm

0,0

Beschreibung

Das theoretische Grundlagenwerk zur kompromisslosen Klimarevolution In diesem glühend polemischen, analytisch versierten und mit Fakten gesättigten Buch entwickelt Andreas Malm ein bestechendes Argument: In einer sich erwärmenden Welt ist es wichtiger denn je, zwischen dem Natürlichen und dem Sozialen zu unterscheiden. Nur durch die spezifisch menschliche Handlungsfähigkeit wird Widerstand möglich und Veränderung denkbar. Aus vielerlei Perspektiven werden die Veränderungen des Klimas und die Erwärmung der Erde analysiert. Angesichts der Dürren und Ernteausfälle, der Überschwemmungskatastrophen und Stürme ungeahnten Ausmaßes, all der realen Auswirkungen, die die Erderwärmung heute schon zeitigt, erscheinen diese Konzepte jedoch nichtig. Für Andreas Malm ist die Klimabewegung der Maßstab, an dem sich Theorie künftig wird messen lassen müssen. Er ruft auf zum klaren Benennen der Gegner und ihrer politischen Verstrickungen, denn der Handlungsträger der Erderwärmung ist allein der Mensch.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 463

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Andreas Malm

Der Fortschritt dieses Sturms

Natur und Gesellschaft in einer sich erwärmenden Welt

Aus dem Englischen von David Frühauf

Inhalt

Einleitung. Theorie des Erwärmungszustands

1Über den Bau der Natur.Wider den Konstruktionismus

2Über kombinierte Entwicklung.Wider den Hybridismus

3Über das Wirken der Materie.Wider den Neuen Materialismus

4Über Einhörner und Paviane.Für einen Klimarealismus

5Über die Gefahren des Eigentums.Entwurf für die Fahndung nach dem Sturm

6Über den Nutzen der Unterschiede.Lob der Polarisierung

7Über widerspenstige Natur.Ein ökologischer Autonomismusversuch

8Schluss.Ein Schritt zurück, zwei Schritte vor

Dank

Anmerkungen

Register

Schon waren beide Köpfe eins geworden, als zwei Gestalten sich in einer Fratze vereinigt zeigten und drin beide schwanden.

[…]

Das ganze frühre Aussehn war vernichtet: zwei und doch keiner schien, was man jetzt sah; mit dieser Uniform ging er langsam weg.

Dante, im achten Kreis der Hölle (25. Gesang)

Die Natur produziert nicht auf der einen Seite Geld- oder Warenbesitzer und auf der andren bloße Besitzer der eignen Arbeitskräfte. Dies Verhältnis ist kein naturgeschichtliches und ebensowenig ein gesellschaftliches, das allen Geschichtsperioden gemein wäre. Es ist offenbar selbst das Resultat einer vorhergegangenen historischen Entwicklung, das Produkt vieler ökonomischischer Umwälzungen, des Untergangs einer ganzen Reihe älterer Formationen der gesellschaftlichen Produktion.

Karl Marx, Das Kapital. Bd. 1

Der Himmel ist im Wandel.

Tosend nähert sich ein Sturm.

Nebel heult,

Platzregen grollt.

[…]

Die Geldmänner, verschließen die Augenund behaupten,dieses Grollen, das sollenTiefflieger sein.

Kae Tempest, Sollen sie doch Chaos fressen

Einleitung. Theorie des Erwärmungszustands

NIEMALS IN DER HITZE DES MOMENTS

Gibt es noch Zeit in dieser Welt? In einem 2015 in der Zeitschrift New Left Review veröffentlichten Essay formulierte Fredric Jameson von Neuem seinen dreißig Jahre alten Befund der Postmoderne als »Vorherrschaft des Raums über die Zeit«.1 Wir leben nach wie vor in einer Phase, in der es nichts als Gegenwart gibt. Vergangenheit wie Zukunft haben sich in einem fortwährenden Jetzt aufgelöst und halten uns in genau dem Moment gefangen, dessen Verbindungen weder vor noch zurück reichen: Allein die Dimension des Raums erstreckt sich in alle Richtungen, über die nahtlose Oberfläche einer globalisierten Welt, in der durch unzählige Fäden alle mit allen anderen verbunden sind – die Zeit hingegen fließt längst schon nicht mehr. Oder, wie Jameson es ursprünglich in Postmodernism, or The Cultural Logic of Late Capitalism ausdrückte:

Wir bewohnen mittlerweile das Synchrone anstatt des Diachronen, und zumindest empirisch halte ich es für diskutabel, dass unser Alltag, unsere psychische Erfahrung, unsere kulturellen Sprachen heute eher von der Kategorie des Raumes bestimmt werden als – wie in der vorangegangenen Periode der Hochmoderne – von der Kategorie der Zeit.2

Diese Verschiebung der Dimensionen markiert mehr als alles andere den Anbeginn der Postmoderne – und genau an diesem Punkt befinden wir uns nach wie vor.

Der Befund selbst hängt stark von der Ausrottung der Natur ab. Jameson argumentiert in etwa so: In der Neuzeit waren noch vereinzelt Felder der alten Natur zwischen den geschäftigen neuen Zentren von Produktionsstätte und Markt verstreut zu finden. Eine kurze Fahrt brachte die Modernistin stets zurück in das ländliche Dorf, in dem sie geboren worden war; während altertümliche Lebensweisen jedweden Horizont prägten, beschleunigte sich der moderne Modus innerhalb einer an das Natürliche und Unvergängliche geknüpften Landschaft. Es war dieser Kontrast, der die Modernist:innen die Bewegung der Zeit fühlen ließ – vom Alten zum Neuen, in Richtung Zukunft – und ihre Kultur so grundlegend strukturierte. Heute aber mangelt es an dieser Kontrastfigur. Bäuer:innen, Grundeigentümer:innen, Handwerker:innen und Straßenhändler:innen sind aus dem Blickfeld verschwunden, und mit ihnen »ist auch die Natur triumphal ausgemerzt worden«.3 Anstelle von Dörfern gibt es ringsum nur mehr Vorstädte; egal, wie weit die Postmodernistin fährt, sie wird auf Bewohner:innen derselben kulturellen Gegenwart treffen, die dieselben Programme schauen oder – um die Analyse zu aktualisieren –Bilder in denselben Netzwerken posten. Das Neue stellt die einzige Möglichkeit dar, und nach ebendieser Logik verliert es an Bedeutung und Glanz. Anstatt also voranzukommen, scheinen wir auf ewig im automatisierten Markt des unablässig Neuen festzustecken. In diesem Sinne ist die Postmoderne »das, was man hat, wenn der Modernisierungsprozess abgeschlossen ist und die Natur endgültig verschwunden ist«; ohne »die Vorstellung von Natur und dem Natürlichen als einer Art letztgültigem Inhalt oder Referenten« kann es kein Zeitempfinden mehr geben und bleiben wir in den Megastädten gestrandet, worin Glasflächen einander spiegeln, Bilder und Simulacra über Nacht und Tag regieren, wo das freie Spiel der Masken und Rollen ohne irgendeine reale, materielle Substanz pausenlos vonstattengeht.4

Doch ein Sturm bewegt sich längst auf diese Stadt zu.

Die Beschaffenheit von Jamesons Postmoderne gibt sich im Alltagsleben New York Citys zu erkennen, wie es in Ben Lerners bemerkenswertem Roman 22:04 geschildert wird. Erdichtung und äußerer Anschein scheinen jeden Schritt des Protagonisten zu lenken. Er arbeitet an der Fälschung einer Korrespondenz mit renommierten Autor:innen. Eine Freundin bittet ihn, Vater ihres Kindes zu werden, jedoch nicht mittels Geschlechtsverkehr. Vielmehr nimmt er den unwegsameren Prozess auf sich, schaut Pornos, masturbiert und händigt sein Sperma zur künstlichen Befruchtung aus. Ihm schwirrt der Kopf aufgrund einer 24-stündigen Installation mit dem Titel The Clock, einer Montage von Clips aus Tausenden von Filmen, kombiniert zu einer durchgehenden Sequenz, sodass der Einschlag des Blitzes, der in Zurück in die Zukunft um 22:04 Uhr in Szene gesetzt wurde, exakt zum Zeitpunkt der Echtzeit des Publikums abgespielt wird, und immer so weiter, durch Nacht und durch Tag, »den endgültigen Einbruch der fiktiven Zeit in die Echtzeit«5 vorführend.

Und unterdessen befindet sich Lerners New York im Belagerungszustand. Der Roman setzt mit dem Herannahen eines »ungewöhnlich große[n] zyklonische[n] Windsystem[s]« ein und endet mit der kataklystischen Landung des nächsten.

Überall entlang der Küste waren Häuser zerstört und überflutet worden, bald würde ein Stadtviertel in Queens brennen. Rettungskräfte fischten die Leichen derer heraus, die im plötzlich ansteigenden Wasser ertrunken waren; wer wusste, wie viele Obdachlose gestorben waren?

Ein Argument unwiderlegbarer Realität durchdringt die Erzählung und lässt den Protagonisten in einen Strom höchst spürbarer Zeit eintauchen: Er blickt zurück auf »[s]echs Jahre spazieren gehen auf einem sich erwärmenden Planeten«. Als der Union Square »schwer [wird] von Wasser in seinem gasförmigen Zustand, einer für New York untypischen, tropischen Feuchtigkeit, einem ominösen Medium«, wird die gewöhnliche Zeit stillgestellt, und wie »die überwundene Zeit selbst« fällt die Luft »vom Himmel«.6 Der Protagonist versinkt in einer Obsession mit der Zeit, als er über das nachsinnt, was er für den Quell all dieser Stürme hält: den Klimawandel.

Jüngste Bemühungen in »Ereignisattribution« stützen diese Annahme. Jeder einzelne Sturm ist das einmalige Resultat eines chaotischen Gemischs von Wetterkomponenten, jedoch modifiziert die globale Erwärmung die Basis, von der aus diese gebildet werden. »Das Klima verändert sich: Wir haben eine neue Normalität«, lässt ein Forschungsteam wissen: »Die Umwelt, innerhalb derer sich all diese Wetterereignisse ereignen, ist nicht mehr das, was sie einmal war. Alle Stürme sind ausnahmslos verschieden.« Dementsprechend ritt der Supersturm Sandy, der im Oktober 2012 weite Teile New Yorks erschütterte, auf Meeresspiegeln voran, die um etwa 19 Zentimeter erhöht waren, während hohe Meeresoberflächentemperaturen außergewöhnliche Mengen an Wasserdampf als Munition für die Wolken in die Luft beförderten.7 Ähnliche Faktoren verstärkten den Supertaifun Haiyan – der bis dato stärkste je aufgezeichnete und auf Land treffende Sturm –, als er im November 2013 durch die Philippinen fegte, mehr als 6000 Menschen tötete und wochenlang Leichen im Meer auf und ab treiben ließ.8 »Kein singuläres Ereignis lässt sich auf den Klimawandel zurückführen«, lautet ein gebetsmühlenartiger Refrain in den Medien, aber ein Beobachtungs- und Modellierungsschub bekräftigt mittlerweile die weitverbreitete Annahme, dass dieses ganze extreme Wetter ohne einen solchen Wandel nicht eingetreten wäre. Individuelle Ereignisse können sehr wohl dem Temperaturanstieg zugerechnet werden, sogar mit jährlich steigender wissenschaftlicher Genauigkeit. Schon als sich die Erde um gerade mal 0,85 Grad Celsius erwärmt hatte, konnten drei von vier Aufzeichnungen extremer Hitze an Land aus dem allgemeinen Trend abgeleitet werden, und wenn die Temperaturen weiterhin steigen, wird der Klimawandel einen noch größeren Anteil der Kausalität für sich in Anspruch nehmen.9 Er wird geradezu zur universalen Erfahrung: Ein Großteil der menschlichen Bevölkerung ist in den letzten zehn Jahren einem abnormal warmen Wetter ausgesetzt gewesen.10 Doch das von Menschen verursachte Wetter ist niemals ein Produkt der Gegenwart.

Die globale Erwärmung ist das Resultat von Handlungen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben. Jedes CO2-Molekül über dem vorindustriellen Niveau befindet sich in der Atmosphäre, gerade weil die Menschen im Laufe der Zeit Bäume und andere Pflanzen, allem voran aber fossile Brennstoffe verbrannt haben. War der Kohlenstoff zu Beginn noch in der Kohle, waren Öl und Erdgas noch innerhalb der Erdkruste eingeschlossen, wurden diese Reserven schließlich irgendwann entdeckt und erschlossen und die Brennstoffe an die Feuerstellen gekarrt, von wo aus der Kohlenstoff als CO2 freigesetzt wurde. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt beschreibt der Wärmeüberschuss im Erdsystem somit die Summe all dieser historischen Feuer, der kumulativen Emissionen, der aufeinandergeschichteten CO2-Ausstöße: Der Sturm des Klimawandels bezieht seine Kraft streng genommen aus unzähligen Verbrennungen der letzten beiden Jahrhunderte. Wir können niemals in der Hitze des Moments sein, nur in der Hitze der fortwährenden Vergangenheit. Insofern extreme Wetterereignisse von basaler Erwärmung geprägt werden, handelt es sich bei ihnen um das Vermächtnis dessen, was Menschen getan haben, um die jüngsten Triebe einer schädlichen Saat – in der Tat, die Luft geht schwanger mit der Zeit.11

Als Walter Benjamin in der Zwischenkriegszeit die Städte Europas durchstreifte, notierte er flüchtig einen Wegweiser für weitere Untersuchungen: »Über die Doppelbedeutung von ›temps‹ im Französischen«: temps wie Wetter und Zeit.12Höchstwahrscheinlich wurzelt die semantische Überlappung in der ursprünglichen Erfahrung des Jahreszeitenzyklus, der den Arbeitskalender früherer Zeiten vorgab, als Sonne, Wolken, Regen und Schnee den Rhythmus des Jagens, Säens, Erntens und vieler anderer Aktivitäten bestimmten. Auf diese Zeit folgte eine Epoche, in der (einige) Menschen lebten, als wären sie vom Wetter abgeschnitten – »unsere Jahreszeiten«, vermerkt Jameson, »gehören der postnatürlichen und postastronomischen Fernseh- und Medienvielfalt an« –, doch allmählich und zugleich wie aus dem Nichts sickert die ursprüngliche Bedeutung wieder in den Alltag ein.13 Dieses Mal jedoch präsentiert sich das Wetter kaum mehr als etwas, wonach die Uhr zu stellen ist. Es neigt vielmehr dazu, Zeitpläne und Routinen kraft des Gewichts, welches ihm aus der Vergangenheit anhaftet, durcheinanderzuwirbeln. Als solch ein Unwetter [tempest] ist ihm eine verquere, multiple Zeitlichkeit zu eigen, wie sich auch Lerners Protagonist eingestehen muss, als er während eines oktoberlichen Spaziergangs zwanghaft von Tagen »unzeitgemäßer Wärme« berichtet:

Die ungewöhnliche Wärme kam einem sommerlich vor, doch das Licht war eindeutig herbstlich, und die Vermischung der Jahreszeiten spiegelte sich in der Kleidung um sie herum wieder […]: zwei zu einem einzigen Bild zusammengefallene Zeitlichkeiten.14

Noch angemessener mag sein Gefühl sein, »er wäre in der Zeit zurückgereist oder verschiedene Zeiten hätten sich übereinandergelegt, Zeitlichkeiten miteinander verflochten«, denn jedwede Folge des Klimawandels ist, physikalisch betrachtet, eine Kommunikation mit einer menschlichen Vergangenheit.15 Doch greifen die Verbindungen nicht bloß auf Vergangenes zurück. Der Schatten des anthropogenen CO2 wirft sich gleichermaßen auf das Absehbare und erstreckt sich bis hinein in die unergründliche Zukunft. Ein Team höchst prominenter Wissenschaftler:innen, das sich mit diesem speziellen Aspekt beschäftigt, weist darauf hin, dass 2100, das Jahr also, in dem die meisten Szenarien und Projektionen abrupt enden – bis 2100 wird es diesen oder jenen Meeresspiegelanstieg geben, diese oder jene extreme Hitze –, keinen wirklich abschließenden Status innehat. Die weitverbreitete Verwendung dieses Bezugspunkts ergibt sich lediglich aus einer computertechnologischen Panne, insofern die ersten Modelle nicht in der Lage waren, Wissenschaftler:innen weiter als bis zu diesem Datum zu führen. Greifbar und bequem ergibt sich daraus, so das Team, die Illusion, die nun in der Schwebe hängende Zukunft würde relativ kurz sein, ein Kopfschmerz für das 21. Jahrhundert, während das Gros des Temperaturanstiegs und praktisch der ganze, durch beliebig vorhandene kumulative Emissionsmengen produzierte Meeresspiegelzuwachs in Wahrheit – sofern es dem Erdsystem überlassen sein wird, die Konsequenzen abzuarbeiten – mindestens die nächsten 10 000 Jahre fortdauern und die Meere unter Umständen auf eine Höhe von rund 50 Metern über dem heutigen Spiegel angestiegen sein werden. Vieles davon kann nach wie vor vermieden werden. Und ebendiese Möglichkeit überfrachtet unseren gegenwärtigen Moment mit Zeit. »Die nächsten Jahrzehnte«, folgert das Team demgemäß, »bieten ein kurzes Zeitfenster, um den großflächigen und potenziell katastrophalen Klimawandel zu mindern, der länger andauern wird als die gesamte bisherige Geschichte der menschlichen Zivilisation«.16 Eine Ewigkeit wird heute schon beschlossen.

Für jedes Jahr, in dem die vollständige Dekarbonisierung der Weltwirtschaft aufgeschoben wird – gar nicht zu sprechen von all den Jahren, in denen die Emissionen gleichbleibend oder steigend sein werden –, dehnt sich der Schatten der gemachten Erwärmung ein Stück weiter in die Zukunft aus.17 Für jedes solches Jahr werden weitere Auswirkungen unausweichlich. Und es hat schon viele solcher Jahre gegeben. Entsprechend deutete eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten aus den Jahren 2014 und 2015 darauf hin, dass der Hauptabschnitt des Westantarktischen Eisschildes seinen Kipppunkt überschritten habe und auf seine irreversible Schmelze zusteuere, während, noch spektakulärer, ein ebenso großer Gletscher auf dem östlichen Teil des Kontinents – von dem man lange Zeit dachte, er sei sicher vor der Erwärmung – womöglich gleichfalls in Richtung Meer abrutschen wird.18 »Was auch immer wir jetzt tun«, verkündete das populäre Magazin New Scientist wohl etwas überspitzt, »die Meere werden um mindestens fünf Meter steigen«.19 Da Gletscherbewegungen sprichwörtlich langsam sind, hielt die wissenschaftliche Meinung lange an dem Glauben fest, dass es mehrere Jahrtausende dauern würde, bis es zu einem Meeresspiegelanstieg dieser Größenordnung kommt, doch eine der aufsehenerregendsten Publikationen der letzten Jahre argumentiert, dass Eis, welches »mehreren Metern« des Wasserspiegels entspricht, im schlimmsten Fall bereits in diesem Jahrhundert in die Ozeane stürzen könnte, ein Großteil davon während der Lebenszeit vieler junger Menschen, die heute in küstennahen Gebieten wohnen.20 Mit all diesen konstant überarbeiteten und aktualisierten Zahlen versuchen Wissenschaftler:innen, den Ansturm eines Fluchs aus der Vergangenheit oder einer Erbschuld zu versinnbildlichen, dem zu entkommen sich als immer schwieriger erweist. Lerners Protagonist stellt sich die Stadt bald unter Wasser vor.21

Etwas Geschichte ist also doch zurückgekehrt: Die Panik, die der Klimawandel so mühelos hervorruft, ist in Wahrheit eine Panik angesichts der Geschichte, eine Reaktion unsererseits, sobald uns dämmert, was diejenigen uns und unseren Kindern angetan haben, die einst die fossilen Feuer entzündeten, sie um sich greifen ließen und weiterhin anschüren. Und hin und wieder macht die Geschichte dann einen Ausfallschritt in die Gegenwart. Im Dezember 2015, zum Abschluss der COP 21 in Paris, erklärten die Delegierten von 195 Nationen mit großem Trara, dass sie den Temperaturanstieg auf »deutlich unter 2 Grad Celsius im Vergleich zu vorindustriellen Levels« begrenzen wollten und »Anstrengungen unternehmen« würden, ihm bei 1,5 Grad Celsius Einhalt zu gebieten.22 Es war das erste Jahr, in dem die Grenzmarkierung von ein Grad Celsius erreicht wurde.23 Kaum hatten die Führungspersönlichkeiten aufgehört, sich selbst zu ihrem Erfolg zu beglückwünschen, und waren aus Paris in ihre jeweilige Heimat geflogen, als die Erwärmung einen plötzlichen Sprung machte: Im Februar 2016 lag die Durchschnittstemperatur auf der Erde um schätzungsweise 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau – genau dort, wo sie laut der zwei Monate zuvor gemachten Zusage nicht sein sollte.24 Es blieb den Wissenschaftler:innen überlassen, sich um Superlative zur Vermittlung des bizarren Wetters zu kümmern. In der nördlichsten Arktis wurden Anomalien von sechs Grad Celsius festgestellt, was den Eindruck verstärkte, das Klimasystem schlittere geradewegs in jene Hitze, die sich die COP 21 zu verhindern verpflichtet hatte.25 Im Juli 2016 veröffentlichte die Zeitschrift Nature eine Studie, die zu beweisen vorgab, dass beide Pariser Ziele voraussichtlich nicht einzuhalten seien. Ein Teil der von einem CO2-Überschuss in der Atmosphäre erzeugten Wärme werde von den Ozeanen aufgenommen und mehrere Jahrzehnte lang in deren Tiefen gelagert, bevor sie in die Luft freigesetzt werde, und aufgrund dieser zeitlichen Verzögerung sei die vollständige Verwirklichung der Erwärmung entsprechend der CO2-Konzentration vertagt. Bei den gegenwärtigen Levels – selbst wenn kein weiteres CO2 jemals wieder freigesetzt werden würde – ist der Planet, gemäß dieser Studie, bereits »zu einer durchschnittlichen Erwärmung über Land von mehr als 1,5 Grad Celsius« und möglicherweise sogar »mehr als zwei Grad Celsius« verdammt.26 Im November, Dezember und zum ersten Jahrestag des Pariser Abkommens lagen die Temperaturen in der Arktis nicht länger 1,5, zwei oder sechs, sondern schwindelerregende zwanzig Grad höher als normalerweise.27 2016 endete als ein weiteres heißestes Jahr in der Geschichte, mit durchschnittlich 1,3 Grad Celsius über vorindustriellen Levels in der einen Schätzung, 1,1 Grad Celsius in einer anderen. 28 Zweifellos hatte die Welt die Schwelle bereits überschritten, die ein Jahr zuvor in Paris festgelegt worden war. Doch stellte keine dieser Entwicklungen auch nur ansatzweise das Produkt dessen dar, was unmittelbar nach der COP 21 geschah. Die verblüffenden Hitzerekorde des Jahres 2016 waren nicht auf Emissionen zurückzuführen, die in der Zwischenzeit emittiert worden waren, sondern die verspätete Detonation von viel früher verheizten Brennstoffen. Wenn also die Vereinbarungen von Paris derart schnell in den Staub getreten waren, wie es im Moment des Schreibens gerade den Anschein macht, dann war es in Wahrheit wohl tatsächlich die Vergangenheit, die zur Gegenwart in einer Weise aufgeschlossen hatte, die der neuen Normalität entsprechen dürfte: Sobald dieses Buch gedruckt sein wird, werden diese Aufzeichnungen aller Wahrscheinlichkeit nach bereits veraltet sein, und immer so fort.

Weitere Stürme sind demnach also zu erwarten. Auf dem Umschlag von E. Ann Kaplans sorgfältiger Studie Climate Trauma. Foreseeing the Future in Dystopian Film and Fiction starrt eine rothaarige Frau auf ein großes zyklonales System, das am Horizont heranrollt. Bevor sich Kaplan der Flut an apokalyptischen Filmen zuwendet, welche in den letzten Jahren die Bildschirme geschwemmt haben, erzählt sie davon, wie sie selbst in den Hurrikan Sandy geraten sei und dabei, gerade als sie versuchte, über dunkle Treppen in ihr Apartment zurückzukommen, eine Panikattacke erlitten habe. Diese Erfahrung veranlasste sie, das Symptom des »Prätraumas« zu entwickeln – nicht die gängige Posttraumatische Belastungsstörung, bei der Menschen an früheren Wunden leiden, sondern vielmehr »die Angst vor einem künftigen schrecklichen Ereignis ähnlicher Art«. Unsere Kultur als Ganzes, legt Kaplan nahe, entwickle heute ein Prätrauma. Je mehr Film, Fernsehen, Literatur und Journalismus durch die schleichende Erkenntnis beeinflusst seien, dass ein katastrophaler Klimawandel bevorstehe, desto eher stellten die Verbraucher:innen der Populärkultur »eine prätraumatisierte Bevölkerung dar, die mit dem Gefühl einer unsicheren Zukunft und einer unzuverlässigen natürlichen Umwelt lebt«. Der Protagonist des Films, von dem das Bild auf dem Umschlag stammt, hat eine Reihe an Albträumen und heftigen Halluzinationen von Monsterstürmen, versinkt in einer Angstspirale und geht auf seine Freunde los: »Es wird einen Sturm geben, einen wie ihr ihn noch nie erlebt habt, und nicht einer von euch ist darauf vorbereitet.« Insofern dieses wachsende Genre also von der Zukunft besessen ist, dann allein, so Kaplan, aufgrund eines »Bewusstseins für eine traumatische Vergangenheit«, die uns schon von vornherein mit schlechten Karten für die Zukunft ausgestattet hat.29 Diese Vergangenheit, gegen die per Definition nichts mehr unternommen werden kann, ist der Ursprung des künftigen Sturms.

Vergleichen wir das nun mit Jamesons Diagnose der Postmoderne als Zustand des synchronen Raums ohne Zeit und ohne Natur. Innerhalb des Klimawandels herrscht keinerlei Synchronizität. Mehr als je zuvor bewohnen wir das Diachrone, das Diskordante, das Unvollständige: die Hunderte Millionen von Jahren alten fossilen Energieträger, die über die letzten beiden Jahrhunderte gefertigte Massenverbrennung, das extreme Wetter, das sich daraus bereits entwickelt hat, der Weg in eine Zukunft, die unendlich viel extremer sein wird – es sei denn, es wird genau jetzt etwas dagegen unternommen –, der Schweif gegenwärtiger, sich in die Ferne ausdehnender Emissionen … Die Geschichte steht wieder in voller Blüte, und zwar aufgrund einer Natur, die ebenfalls wieder zu sich findet. Zwar befinden wir uns noch in einem sehr frühen Stadium, doch weisen bereits unser Alltag, unsere psychischen Erfahrungen, unsere kulturellen Reaktionen und selbst unsere Politik Anzeichen auf, dass wir von planetarischen Kräften in das Loch der Zeit zurückgesaugt wurden und die Gegenwart sich gleichermaßen in Vergangenem und Zukünftigem aufzulösen beginnt. Die Postmoderne scheint von ihrer Antithese heimgesucht zu werden: Ein Zeit- und Naturzustand erobert immer mehr Raum. Nennen wir das den Erwärmungszustand.

EIN PAAR AUFGABEN FÜR DIE THEORIE

Die Geschichte, die im Erwärmungszustand wiederkehrt, ist nicht von beschwingter modernistischer Art, kein überquellender Strom an Ereignissen, die durch Zweck und Richtung miteinander verbunden sind, und auch alles andere als ein Zug, auf den man aufspringt: Vielmehr ist sie eingefroren. Und genauso wenig kehrt die Natur als jene intakte Vielfalt wieder, wie sie Jameson in den Zwischenräumen der Moderne ausfindig gemacht hat: Eher noch scheint sie zu schmelzen. Nichtsdestotrotz handelt es sich dabei allem Anschein nach um Geschichte sowie um Natur, und es sieht so aus, als ob die Gesellschaft darunter allmählich zu straucheln beginnt, womit noch lange nicht gesagt sein will, der Erwärmungszustand konstituiere eine totale »kulturelle Logik« in Jamesons Sinne. Denn ungeachtet der Climate Fiction (oder Cli-Fi) in Film und Literatur lässt sich argumentieren, dass ein Großteil der Kultur nach wie vor die Tatsachen globaler Erwärmung ignoriert und dass das eigentliche Kennzeichen der Gegenwart die Leugnung ist, die sich von der alltäglichen Unterdrückung des Wissens darüber, was vor sich geht, über die Topografien des sozialen Lebens bis hin zu jenem Mann erstreckt, der im November 2016, gerade als die arktischen Temperaturen alles in den Schatten stellten, die Präsidentschaftswahl in den USA gewann. Was die Politik in den entwickelten kapitalistischen Ländern anbelangt, so wird der Klimawandel völlig von Fragen der Einwanderung und erstarkendem Nationalismus überschattet. Ein paar Worte zu dieser Prioritätenabfolge wollen wir uns für später aufheben. Was jedoch die Palette an kulturellen Ausdrucksformen angeht, wäre es eine schwierige Aufgabe zu zeigen, dass der Klimawandel die Art, wie wir schreiben, kommunizieren, bauen, planen, schauen und imaginieren, dermaßen grundlegend verändert, wie es laut Jameson die Postmoderne getan hat. Denn die postmoderne Blase platzte nicht einfach, als sie mit den steigenden Temperaturen in Berührung kam – im Gegenteil erweist sie sich als äußerst widerstandsfähig und immer weiter aufblasbar.

Das Zeitalter des allgegenwärtigen Bildschirms kann selbstverständlich als die höchste Stufe der Postmoderne betrachtet werden, als ein stetig wachsendes Spiegelkabinett, in dem sich, frei von jeglichem Außen, Schatten, Gedächtnis und jedweder langfristigen Erwartung, beleuchtete Oberflächen gegenseitig reflektieren. Permanente Konnektivität setzt »die kapitalistische Endzeitvision eines Posthistoire« um, schreibt Jonathan Crary in seinem scharfzüngigen Buch 24/7. Schlaflos im Spätkapitalismus: Darin zeigt sich die Vollendung einer homogenen Gegenwart, ein Raum, in dem die Vergangenheit ausgelöscht wurde und alles auf Abruf unverzüglich zugänglich ist. Nicht nur negiert dieser Raum natürliche Rhythmen, etwa das Bedürfnis nach Schlaf; er bietet zugleich ein klösterliches Leben abseits der neuen temps. »Je mehr man sich mit den elektronischen Surrogaten des physischen Selbst identifiziert, desto mehr scheint man seine persönliche Freiheit gegenüber dem planetarisch voranschreitenden Biozid zu beschwören.«30 Das heißt, je mehr man sich in den virtuellen Kokon zurückzieht, desto mehr sondert man sich von den Dingen ab, die in der Natur geschehen. Sollte diese Einschätzung zutreffen, und sollten die elektronischen Immersionstechnologien weiterhin Fortschritte machen, was gewiss zu sein scheint, dann wird der postmoderne Zustand durchaus weiterhin in der Lage sein, sein Territorium zu verteidigen und sogar auszuweiten.

Es fällt schwer, die Plage, die im Sommer 2016 auf die westliche Welt niederging, nicht als mustergültigen Beleg dieses Umstands zu verstehen. Es gab Momente, in denen man keinen Abendspaziergang durch einen Park machen konnte, ohne das Gefühl zu bekommen, dass nahezu jede:r – mit ausdruckslosem Gesicht, den Blick aufs Handy geheftet – umherirrte, auf der Jagd nach einem Ziel, das allein im virtuellen Raum existierte. Wie viele Wanderungen wurden auf diesem sich erwärmenden Planeten nun auf der Suche nach Pokémons unternommen, auch in New York und anderen von steigenden Meeren bedrohten Städten? Selten war der Zustand des digitalen Lebens – eine Sphäre ohne Zeit und ohne Natur – so weit in den öffentlichen Raum vorgedrungen, dass selbst Märsche, Massenanstürme, Zusammenkünfte und andere Formen kollektiver Pseudoaktionen losgetreten wurden, nur aus Freude daran, in der Welt zu sein, ohne tatsächlich an ihr teilzuhaben. Unter dem dichten, an Theodor W. Adorno angelehnten und entsprechend düsteren Titel »Media Moralia. Reflections on Damaged Environments and Digital Life« schreibt Andrew McMurry, dass »die neue Medienökologie hereinplatzt, um die Leere zu füllen, die die alte Natur hinterlassen hat«. Indem er dem »Schlafwandeln« neue Bedeutung verleiht, sei der postmoderne Zustand, Schritt haltend mit der Erwärmung, tiefer als je zuvor in das Denken eingesickert. »Die Außenwelt«, also der Ort, an dem die Erwärmung stattfinde, fährt McMurry fort, »ist mittlerweile zweifelhaft, größtenteils irrelevant und, sofern sie überhaupt noch wahrgenommen wird, nur von fern auszumachen«: Zwischen ihr und uns liegen die undurchdringlichen »Schleier« der digitalen Medien.31 Oder in den Worten von Kae Tempest: »Wir starren auf den Bildschirm / so müssen wir nicht sehen, wie unser Planet stirbt.«32

Doch auch wenn der postmoderne Zustand in seinem digitalen Stadium in der Lage ist, Menschen in vergeistigte Kleidung zu stecken, die sie davor schützt, mit dem Biozid in Kontakt zu geraten, entgeht er dennoch nicht dem Kampf mit einem Furcht einflößenden Gegner. Denn dem Erwärmungszustand steht ein ganzes Set an biogeochemischen und physikalischen Gesetzen zur Seite. Diese tragen dazu bei, dass seine Übergriffe immer häufiger und stärker werden; liegt es schließlich in der Naturgewalt des Prozesses, dass dem Klimawandel die Tendenz eingeschrieben ist, so gut wie alles andere zu verschlimmern und zu überschwemmen. Ob auf einem um sechs Grad Celsius wärmeren Planeten jedoch noch viele Menschen Augmented-Reality-Spiele spielen werden? Und ist nicht gerade die Verleugnung, insbesondere in ihrer unterdrückenden und zwanghaften Ausgestaltung, eine gegensinnige Affirmation, in der sich ausdrückt, dass das Ding, um das es geht, vorhanden ist, und zwar überall, nur knapp unterhalb der Oberfläche, eine beunruhigende Präsenz im kollektiven Unterbewusstsein – womöglich ist die Erderwärmung, um einen weiteren Begriff von Jameson zu verwenden, ein politisches Unbewusstes, das die Kultur schon längst durchzieht. Womöglich sind deren unerträgliche Implikationen an sich bereits genügend Anreiz, um sich in so etwas wie eine erweiterte Realität zu flüchten. Was es auch sein mag – und wir werden auf das Phänomen der Leugnung noch zu sprechen kommen –, sobald der Klimawandel ins Bewusstsein sickert, geht damit die Erkenntnis einher, dass mehr und weitaus Schlimmeres noch folgen wird. Denn letztlich richtet der Erwärmungszustand, gleich der Frau auf dem Cover von Climate Trauma, seinen Blick in Richtung Zukunft. Er wird sich bemerkbar machen. Sollte die Postmoderne also ein Missstand aus Amnesie und Verdrängung sein – als wären Zeit und Natur tatsächlich verschwunden –, dann könnten wir den Erwärmungszustand als die Realisation – im doppelten Wortsinn – einer grundlegenderen Krankheit oder eines Unrechts auf Erden betrachten.

Drei mögliche Verläufe konkurrieren derzeit darum, wie diese Realisation aussehen soll. Erstens: Das business as usual läuft weiterhin Amok, die Ziele 1,5 und zwei Grad Celsius werden verfehlt, die Temperaturen steigen innerhalb dieses Jahrhunderts Richtung drei-, vier-, sechsgradiger Erwärmung, und die materiellen Grundlagen für die menschliche Zivilisation zerfallen nach und nach. Zweitens: Die Fossilwirtschaft wird zerschlagen, vorzugsweise innerhalb weniger Jahrzehnte, die Erwärmung verlangsamt sich und lässt schließlich nach, sodass die Zivilisation weiter voranschreiten kann. Oder drittens: Es kommt zum Geo-Engineering. Zwischen- sowie Mischformen sind denkbar – besonders die Kombinationen aus zwei und drei oder eins und drei –, doch die ungeheuren Kräfte, die im Erdsystem freigesetzt wurden, sowie der langfristige Aufschub ernst gemeinter Schadensminderung schließen einen reibungslosen Ablauf hin zu erneuerter Klimastabilität mittlerweile aus. Der Zeitraum für gemäßigte Resultate und halbe Sachen ist kleiner geworden. Für den Fall, dass der zweite Pfad mit maximaler globaler Entschlossenheit eingeschlagen würde und es dadurch gelänge, die schlimmsten Szenarien zu verhindern, müssten die Transformationen technologischer, ökonomischer, politischer sowie kultureller Art derart umfassend sein, dass dem Klima zumindest für einige Zeit all das, was an menschlichem Leben noch vorhanden wäre, unterzuordnen wäre – zumindest so lange, bis die Klimadestabilisierung zur fernen Erinnerung würde. Genau diese Logik steckt hinter Naomi Kleins »Dies ändert alles«-Theorem, ganz gleich, welcher Realisationsverlauf auch eingeschlagen werden mag.

Selbstverständlich stellt die Erderwärmung nur eine der Facetten des Biozids dar, aber unter all den andauernden Umweltkrisen wohnt gerade ihr eine besondere innere Triebkraft und das Potenzial zur allgemeinen Zerstörung inne. Mit ihrer Angewiesenheit auf vergangene und zukünftige Bezüge widerspricht ihre zeitliche Logik geradewegs der hyperspatialen Postmoderne. Sie repräsentiert die auf die Gesellschaft einprasselnde Geschichte und Natur und färbt dadurch die Wahrnehmung. Eine Theorie für die Gegenwart sollte sich daher auf die Erderwärmung als eine sich entfaltende Tendenz einschießen und lernen, der Spur zu folgen, die dieser Sturm zieht. Sie sollte dem sich abzeichnenden Zustand und den grundlegenden Parametern für das Handeln darin gründlich auf den Zahn fühlen: zunächst etwa, indem sie fragt, was diese Natur ist, die da gerade zurückkehrt? Verdient sie diesen Namen überhaupt noch? Ist sie nicht bereits derart mit Kultur vermengt, dass ebendieser Begriff sich nicht mehr länger für sie eignet? Und wenn es sich tatsächlich noch um Natur handelt, was ist passiert, dass sie diese entsetzliche Gestalt annahm? Wer oder was hat dieses Sturmsystem aufgepeitscht – die Kräfte der Materie, der Menschheit oder irgendein Bindeglied, das die beiden verschmolzen beziehungsweise auseinandergerissen hat? Und auf welchem Weg ist die Geschichte bis in etwas wie das Klima des gesamten Planeten vorgedrungen, das doch einst als überzeitlich galt?

Als großer Vermenger und Eindringling fegt der Klimawandel zwischen den beiden traditionellerweise als »Natur« und »Gesellschaft« bezeichneten Bereichen hin und her. Da trifft es sich ganz gut, dass die zeitgenössische Theorie gerade intensiv mit dieser eskalierenden wechselseitigen Durchdringung beschäftigt ist und am laufenden Band Bücher, Artikel, Sonderausgaben produziert und Konferenzen sowie wissenschaftliche Tagungen aller Art veranstaltet zu einigen entscheidenden allgemeinen Fragen: Was in aller Welt ist dieses Ding namens Natur? In welcher Beziehung steht sie zur Gesellschaft? Wer sind die eigentlich mächtigen Akteur:innen in dem Drama, das die beiden miteinander verwebt; wie knüpft der Mensch an materielle Objekte an; sind es Technologien oder Verhältnisse, die die Fäden in den Händen halten; was konstituiert eine ökologische Krise; was können wir jemals über all diese Dinge wissen? Hierbei lassen sich verschiedene Formen des Konstruktionismus, der Akteur-Netzwerk-Theorie, des Neuen Materialismus, des Posthumanismus, der Metabolischen-Riss-Theorie, des Kapitalismus als Weltökologie und eine Unzahl weiterer konzeptioneller Denkansätze ausmachen, die sich mit der Verwicklung von Gesellschaftlichem und Natürlichem auseinanderzusetzen versuchen. Kann aber eine dieser Formen Orientierung bieten für den Weg, den der Sturm nehmen wird? Dieses Buch macht sich daran, ein paar jener Theorien zu überprüfen, die angesichts des Klimawandels am Kreuzungspunkt Natur/ Gesellschaft zirkulieren.

Nun mag Theorie nicht unbedingt als die dringlichste Unternehmung in einer sich erwärmenden Welt erscheinen. Man wird das Gefühl nicht los, dass die einzig sinnvolle Aufgabe momentan darin besteht, alles andere auf sich beruhen zu lassen und die Verbrennung fossiler Energieträger physisch zu unterbinden, die Luft aus den Reifen zu lassen, die Landebahnen zu blockieren, die Plattformen zu belagern und in die Minen vorzudringen. Tatsächlich liegt der einzige Nutzen von Donald Trumps Wahlsieg darin, dass er die letzten noch verbliebenen Illusionen zerstreut hat, etwas anderes als ein organisierter, kollektiver, militanter Widerstand hätte auch nur ansatzweise eine Chance, die Welt irgendwo anders hin als kopfüber, mit maximaler Geschwindigkeit, in den kataklysmischen Klimawandel hineinzustoßen. Denn gesagt wurde doch schon alles; jetzt ist es Zeit für die Konfrontation. Dieses Buch will keine Argumente zur Beschwichtigung derartiger Impulse liefern. Es wurde jedoch in der Überzeugung geschrieben, dass manche Theorien die Situation verständlicher machen können, während andere das Verständnis trüben. Denn dem Handeln ist weiterhin am besten mithilfe konzeptueller Karten gedient, auf denen die kollidierenden Kräfte mit größtmöglicher Genauigkeit verzeichnet sind, nicht mittels verschwommener Diagramme und diffusem Denken, woran, wie wir sehen werden, keinerlei Mangel herrscht. Theorie kann Teil des Problems sein. Wenn in einer sich erwärmenden Welt alles der Reevaluierung preisgegeben ist, muss das zwangsläufig auch für die Theorie gelten: Auch sie wird zur Rechenschaft gezogen, muss ihre Relevanz beweisen und ihre Beteiligung offenlegen, selbst wenn manche ihrer Produzent:innen sowie Konsument:innen nie in Betracht ziehen würden, sich an einer direkten Aktion gegen fossile Brennstoffe zu beteiligen.

Dieses Buch ist nicht das erste, das zu dieser Auseinandersetzung drängt; wie wir sehen werden, kommen die zu betrachtenden Theorien langsam überein, dass die Frage nach dem Klimawandel ihr gemeinsamer Prüfstein sein wird, eine Frage, die jede Theorie beantworten muss, um sich zu bewähren.33 Daran anschließend erst lassen sich ein paar spezifischere Kriterien aufstellen. Eine adäquate Theorie sollte in der Lage sein, das Problem als ein geschichtliches zu begreifen, als eines, das durch den Wandel der Zeit – die Geburt und fortwährende Expansion der fossilen Ökonomie – aufgekommen ist und in deren Verlauf zu Veränderungen beigetragen hat. Sie sollte den Sinn hinter dem Akt des Ausgrabens und Anzündens fossiler Brennstoffe ausmachen können. Selbst eine innerhalb des kapitalistischen Landesinneren formulierte Theorie sollte nicht zuletzt dem Umstand Rechnung tragen, dass die globale Erwärmung eingangs gerade dort vor Anker geht, wo der Modernisierungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Menschen, denen es an den grundlegendsten Annehmlichkeiten fehlt, die es sich nicht leisten können, sich innerhalb eines Spiegelkabinetts einzurichten, die weiterhin von jener Art Natur leben, die Jameson durch die amerikanischen Städte der 1980er ausgetilgt vorfand, stehen als Erstes in der Schusslinie. Die meisten der aus den steigenden Meeren gefischten Leichen sind die ihren.

Einem Ort wie New York City ist es möglich, sich von einem Sturm zu erholen und den Blick wieder auf die Bildschirme zu richten, wohingegen sich dem Erwärmungszustand auf den Philippinen nur schwerlich die kalte Schulter zeigen lässt. Daher auch die oft vermeldeten Ergebnisse einer Umfrage des Pew Research Center aus dem Jahr 2015: 79 Prozent der Einwohner:innen von Burkina Faso gaben an, hinsichtlich des Klimawandels »sehr besorgt« zu sein, im Vergleich zu lediglich 42 Prozent der Japaner:innen, die sich weitaus größere Sorgen (72 Prozent) hinsichtlich des Islamischen Staats machten.34 Burkina Faso wird in diesem Augenblick vom Klimawandel zerstört, Staub- und Sandstürme – vor Ort als »die roten Winde« bekannt – verschütten, was auf dem von immer unregelmäßigeren Regenfällen verdorrten Land an Nutzpflanzen noch erhalten ist.35 Beharrlich zeigt sich das Motiv größerer Besorgnis in den Entwicklungsländern. Das Bruttoinlandsprodukt korreliert negativ mit diesem Gefühl: Menschen in Ländern wie Brasilien oder Bangladesch neigen in einem viel höheren Maße als ihre Mitmenschen in den USA oder in Großbritannien dazu, das Problem als höchst gravierend einzuschätzen, auch wenn das Unbehagen im Land selbst wiederum bestimmt genauso stratifiziert ist.36 Der Erwärmungszustand als eine doppelte Realisation stellt sich zunächst innerhalb jener Massen ein, die ohnehin über kein nennenswertes Eigentum verfügen und überwiegend an den Peripherien der kapitalistischen Weltwirtschaft zu finden sind. Es handelt sich um eine Binsenweisheit, dass die menschliche Verfassung sich in ihrer konzentriertesten und verhängnisvollsten Form innerhalb der Massen ausdrückt: Gerade deshalb sollte jede Theoretisierung ihre Antennen auf sie ausrichten. Ein Ereignis wie Hurrikan Sandy ist deshalb so bedeutsam, weil es das Signal bis vor die eigene Haustür übermittelt.

Was, außer bloße Verzweiflung, kann dann aber durch eine Theorie für den Erwärmungszustand überhaupt angeregt werden? Anders ausgedrückt: Wenn sowohl die 1,5-Grad-Celsiusals auch die 2-Grad-Celsius-Leitplanken durchbrochen worden sind, sollten wir nicht einfach zu dem Schluss kommen, dass der Sturm unkontrollierbar wütet und wir genauso gut Däumchen drehen könnten? Nein. Zuallererst sollten wir den Schluss daraus ziehen, dass der Bau eines neuen Kohlekraftwerks oder der fortgesetzte Betrieb eines alten, all die Ölbohrungen, der Ausbau eines Flughafens oder die Planung einer Autobahn mittlerweile eine irrationale Gewalttat darstellen. Vieles spricht dafür, dass es sich bei der großflächigen Verbrennung fossiler Energieträger seit jeher um Gewalt gehandelt hat, fügt sie anderen Menschen und Arten schließlich Schaden zu, und dass sie, seitdem die klimawissenschaftlichen Grundlagen weitgehend bekannt sind, jedweder Vernunft zuwiderläuft. Sobald aber die Temperaturen um 1,5 Grad Celsius gestiegen sind oder ein Meeresspiegelanstieg von mehreren Metern in das Erdsystem geschleust worden ist, ist das nie gekannte, wahnwitzige Aggressionsmaß der Verbrennungen schlicht nicht mehr zu leugnen. Fiel die Auflehnung gegen fossile Brennstoffe bisher eher dürftig aus, so sollte sie nun erbittert betrieben werden: Selbst nach all dem gebt ihr nicht auf. Der Kampf besteht darin, die Verluste zu minimieren und die Überlebenschance zu maximieren. Was damit ganz konkret zu erreichen sein wird? Zu dieser Frage werden wir gegen Ende nur ein paar sehr kurze und vorläufige Überlegungen anstellen können. Vorerst aber wollen wir von der Prämisse ausgehen, dass jede sich mit dem Erwärmungszustand befassende Theorie den Kampf um Klimastabilisierung – mit der Zerstörung der Fossilwirtschaft als dem notwendigen ersten Schritt – als ihren praktischen, wenn auch nur ideellen Bezugspunkt festzusetzen hat. Denn erst dadurch wird der Weg frei sein für Handlungen und Widerstand.

KOHLEFUND AUF LABUAN

Um nun aber die Gegenwart zu theoretisieren, bedarf es eines Bilds der auf ihr lastenden Vergangenheit.

Im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts setzte das Britische Imperium Dampfschiffe ein, um seine Gebietshoheit weiter auszudehnen und die Aneignung von Ressourcen aus der ganzen Welt zu beschleunigen. Diese Schiffe benötigten Kohle. Daher wurden Akteure der kaiserlichen Maschinerie – Offiziere, Ingenieure, Kaufleute – angewiesen, überall dort nach Kohleflözen Ausschau zu halten, wo sie auf Land treffen würden, etwa auf Borneo, wo 1837 ein Missionar auf ein paar Ausstriche stieß. Seine Entdeckung löste einen Ansturm auf das schwarze Gold dieser weit abgelegenen, jedoch geradewegs auf der Strecke zwischen Indien und China liegenden Insel aus, die das Potenzial zum Treibstoffdepot für Dampfboote barg, die nun die Küsten ebenjener Länder frequentierten. Die Reserven, die die größte Neugier entfachten, befanden sich auf einer kleinen Insel namens Labuan. Vor der nördlichen Spitze Borneos als besonders gut geeigneter Anlaufhafen gelegen, war Labuan von üppigen Tropenwäldern bedeckt, inmitten derer sich dicke Kohleadern fanden.37

Der Kapitänleutnant der Royal Navy, der die Expedition leitete, stellte die Szene später in einer Lithografie dar. Darauf sind zwei schwächliche weiße Männer abgebildet, die auf ein Kohleflöz deuten, das zwischen hohen Bäumen und einem Fluss hervorragt. Der Mann in der rechten Ecke trägt die Uniform eines Offiziers der Royal Navy: Er repräsentiert die Militärmacht, mit der das Empire in diesem Dschungel gelandet war. In einer eigentümlich aufrechten Haltung, den Blick in Richtung des Offiziers gewandt, gestikuliert der andere Mann an der Fundstelle ungestüm und enthusiastisch; höchstwahrscheinlich malt er sich die Kohle als Quelle des Glücks aus, ein Material, das sein Unternehmen gewinnen und an Dampfschiffe verkaufen kann, nicht zuletzt an die von der Navy betriebenen.38 Die Szene strahlt freudige Erregung aus, begleitet von einem Gefühl der Überlegenheit und des Anspruchs auf Eigentum. Sie erfasst jenen Moment, in dem ausländische Küsten integriert wurden in die fossile Ökonomie – bei der es sich um eine eindeutig britische Erfindung handelt, die am einfachsten als eine Ökonomie des selbsterhaltenden Wachstums definiert werden kann, die auf dem zunehmenden Verbrauch fossiler Brennstoffe und damit einhergehend auf einem anhaltenden Wachstum der CO2-Emissionen beruht.39 Nie zuvor war die Kohle von Labuan mit derartigen Bestrebungen in Verbindung gebracht worden. Die einheimische Bevölkerung wusste zwar von diesem Rohstoff, hatte ihn aber weitgehend unberührt gelassen: Erst mit der Landung der Briten wurde die Kohle in einen Kreislauf eingegliedert, der sich durch ihre Verbrennung immer weiter auszudehnen begann.

Am Anfang ruhten die Brennstoffe still und starr in der Erde; dann trat jemand ins Bild und begann, sie in der Hoffnung auf Profit und Macht abzubauen. In dieser Hinsicht liefert die Lithografie ein Urbild* der Fossilwirtschaft. Es ist, wenn man so will, das Bild des Sündenfalls (und abwärts, gleich einem Sturz in einen Erdschacht hinein, verläuft auch die Bewegung dieser Wirtschaft). Die unzähligen Wiederholungen eines solchen Aktes während der letzten beiden Jahrhunderte prägen die bezwungene Zeit, die jetzt vom Himmel herabregnet. Wie aber lässt sich dieser Prozess verstehen?

* Deutsch im Original (Anm. d. Ü.).

1

Über den Bau der Natur. Wider den Konstruktivismus

EIN GEHÖRIGER FALL VON MISERABLEM HISTORISCHEM TIMING

In Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima stößt Naomi Klein auf ein »miserable[s] historische[s] Timing«: Gerade als das Ausmaß der globalen Erwärmung Wissenschaftler:innen aufschrecken ließ und deren Forderung nach einem drastischen Kurswechsel lauter zu werden begann, verabschiedeten die unter neoliberalem Einfluss stehenden Regierungen die Idee, in den sich selbst regulierenden Markt einzugreifen.1 Dem lässt sich ein weiterer Fall zeitlicher Übereinstimmung zur Seite stellen: Gerade als die Biosphäre anfing, Feuer zu fangen, zog sich die Gesellschaftstheorie immer weiter vor der verstaubten Materie in die ungetrübte Luft ihrer textlichen Welten zurück. Die Einleitung zu einer dem Klimawandel gewidmeten Ausgabe von Theory, Culture and Society verzeichnet daher ein jähes Erwachen: »Die Welt der Kultur und Virtualität hat ihresgleichen gefunden. Die materielle Welt spielt allem Anschein nach doch eine Rolle und kann ›zurückbeißen‹.«2 Eine im Cultural turn verstrickte Gesellschaftstheorie war dem Wandel des Klimas allzu lange schon mit der Weigerung begegnet, dessen Realität außerhalb des Diskurses anzuerkennen – ganz zu schweigen davon einzugreifen –, und erwies sich somit als nicht weniger unvorbereitet als die Regierungen. Kein Wunder also, dass sie die Augen auch weiterhin verschlossen halten wollte.

Als sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bereits der 400-ppm-Marke näherte, machten sich postmoderne Philosoph:innen gerade für die Ansicht stark, Historiker:innen täten wenig mehr, als Bilder der Vergangenheit zu erfinden. Die wirkliche Vergangenheit, so behauptete etwa Keith Jenkins, »findet nicht tatsächlich, sondern lediglich rhetorisch Eingang in die Geschichtsschreibung«. Sobald die Historikerin vorgebe, Ereignisse zu vermitteln, tue sie nichts anderes, als eine leidenschaftliche, mit ein paar handverlesenen Daten verzierte Rede zu halten. Alle Interpretationen der Vergangenheit seien »fabriziert«, »erfunden«, »metaphorisch«, »selbstreferenziell« – ohne Grundlage außerhalb ihrer selbst – und folglich gleichermaßen valide. Der einzige Grund für die Bevorzugung einer Deutung vor einer anderen liege im persönlichen Geschmack.3 In seiner bereits klassischen Widerlegung einer solchen Geschichtsschreibung, Fakten und Fiktionen. Über die Grundlagen historischer Erkenntnis, führt Richard J. Evans Auschwitz als ein unanfechtbares Exempel an; mutatis mutandis können wir erwarten, von der globalen Erwärmung ähnlich Gebrauch zu machen. Um Evans zu paraphrasieren: Die globale Erwärmung ist kein Diskurs. Sie als Text anzusehen bedeutet, das Leid, das sie hervorbringt, zu verharmlosen. Die erhöhten Temperaturen sind keine rhetorische Figur. Die Erderwärmung an sich ist bereits eine Tragödie und lässt sich weder als Komödie noch als Posse ansehen. Wenn das nun für die globale Erwärmung gilt, dann muss es aber auch für andere Aspekte der Vergangenheit gelten, für andere Ereignisse, Institutionen und Menschen, jedenfalls in einem gewissen Grad.4

Eine unumstößliche Prämisse postmoderner Geschichtsphilosophie lautet: Die Vergangenheit liegt ein für alle Mal hinter uns und lässt sich für die sensuelle Wahrnehmung nicht mehr wiedergewinnen. Historiker:innen haben lediglich Zugang zu Scherben und Fragmenten, die nur rein zufällig den Flammen der Zeit entkommen sind, und ihre Darstellungen der Vergangenheit können nicht für bare Münze genommen werden. Betrachten wir an dieser Stelle noch einmal das Bild der beiden Briten im Regenwald von Labuan. Wie können wir darauf vertrauen, dass die abgebildete Szene, die angeblich irgendwann einmal in der Realität stattgefunden haben soll, korrekt wiedergibt, was einst vorgefallen ist? Aus dieser skeptischen Haltung heraus – das Handwerkszeug der Historiker:innen, wie oftmals betont wurde – ziehen Postmodernist:innen den exzentrischen Schluss, dass Dokumente wie jenes Bild keineswegs als Schlüsselloch in die tatsächliche Vergangenheit dienen, schließlich seien sie durchdrungen von der Macht eines Diskurses, der die Sicht blockiere. Und gewiss, das Bild wird von einer ganzen Reihe diskursiver Konstrukte überlagert: In jungfräulicher Natur nehmen sich weiße Männer heraus, was ihnen zusteht, und beschreiten, gewillt das Chaos zu bändigen, den Pfad des Fortschritts, den »die Wilden« vernachlässigt haben. Gleichzeitig aber scheint es, als beruhe das Bild doch auf einem materiellen Substrat. Zumal wir allen Grund zu der Annahme haben, dass es sich nicht nur auf andere Bilder – von Männern, Natur, Fortschritt, Herrschaft – bezieht, sondern ebenso auf eine tatsächliche Identifizierung der Kohleflöze auf Labuan durch Repräsentanten des Britischen Imperiums.5 Einen dieser Gründe bildet die Erderwärmung selbst. Wenn die Temperatur der Erde steigt, muss es daran liegen, dass sich in der Vergangenheit unzählige Szenen wie jene im labuanischen Wald abgespielt haben, denn: »Die Ursachen realer Wirkungen können nicht unwirklich sein.«6 Die derzeitige Erwärmung legt nahe, dass sich weder Kommandanten der Royal Navy noch neuzeitliche Historiker:innen all die Berge an Beweisen über die vergangenen Verbrennungen fossiler Energieträger ausgedacht haben können. Im Gegenteil – die fossile Ökonomie muss schon lange Zeit vorhanden gewesen sein, bevor sie als historische Entität, unabhängig jeglicher Vorstellungen von ihr, in Erscheinung getreten ist, andernfalls würden wir nicht auf diesem sich erwärmenden Planeten leben. Eine generalisierte Verleugnung der wirklichen Vergangenheit würde bloß sicherstellen, dass sich die Geschichte dieser Wirtschaft nicht oder lediglich als frei flottierende Fiktion schreiben ließe, was uns schwerlich von Nutzen sein dürfte.

So wie die globale Erwärmung lediglich ein weiterer, besonders dringlicher Grund ist, mit dem neoliberalen politischen Paradigma zu brechen, so scheint sie auch nur ein weiterer Nagel im Sarg des Antirealismus zu sein. Denn postmoderne Verleugnung lässt sich schwer totkriegen. Ein Großteil der Gesellschaftstheorie bestreitet nach wie vor nicht nur die Faktizität der Vergangenheit, sondern auch jene der Natur. In dem Buch Making Sense of Nature. Representation, Politics and Democracy etwa, das Forschungsarbeiten mehrerer Jahrzehnte zusammenfasst, schließt sich Noel Castree zunächst der sachlichen Definition an, Natur sei das, was der menschlichen Handlungsmacht vorausgehe und selbst dann noch Bestand habe – wenn auch in veränderter Form –, wenn sich menschliche Akteur:innen an ihr zu schaffen gemacht hätten,7 nur um im nächsten Schritt dazu überzugehen, die Verwerfung ihrer Existenz vehement einzufordern. Da es nämlich dermaßen viele Weisen gebe, über Natur nachzudenken, dermaßen viele verschiedene ihr zugeschriebene Bedeutungen, dermaßen viele einflussreiche »epistemische Gemeinschaften« – einschließlich Geograf:innen wie Castree selbst –, die mit der Repräsentation der Natur ihren Lebensunterhalt verdienten, eine dermaßen lange Tradition, Menschen mittels fadenscheiniger Bezugnahmen auf sie zu regieren, könne Natur letztlich »nicht ›dort draußen‹ existieren (oder ›hier drinnen‹, in uns), darauf wartend, verstanden zu werden«, losgelöst von einem Bewusstsein, bereit, erfahren zu werden. »Dementsprechend halte ich ›Natur‹ für eine besonders wirkmächtige Fiktion.« Oder: »Natur existiert nur, solange wir kollektiv an ihre Existenz glauben« – sie »ist eine Illusion«, »allein das, wofür wir sie halten« – oder schlichtweg: »Es gibt keine Natur«.8 Ihre Wirk lichkeit beziehe sie allein aus ihrer Macht als Ausdruck des Diskurses.

In einer seiner ausgedehnten Fallstudien liest Castree die Broschüren eines Holzunternehmens sowie solche der Umweltschützer:innen, die in den 1980ern gegen die Pläne ebenjenes Unternehmens ankämpften, den Wald von Clayoquot Sound in British-Columbia zu fällen. Erstere schilderten den Wald als eine Ressource, die es zu ernten, Letztere als einen geschützten Lebensraum für Tiere, den es um seiner selbst willen zu verteidigen galt. Ob ihn dabei eine der beiden Seiten adäquater als die andere in Worte gefasst hat? Unmöglich zu sagen. Es gebe schließlich keine »bereits ontologisch vorhandene Entität, die auf verschiedene Weisen neu dargestellt werden konnte«, keine »›äußerliche Natur‹«, keinen Wald an sich vor seiner Beschreibung. Die Frage, ob Clayoquot Sound ein seltenes Ökosystem sei, habe demnach keinerlei Relevanz.9 Jegliche Natur werde innerhalb der sozialen Welt konstruiert, und der eine Handlungsstrang sei genauso fiktiv wie der andere. Man gelange nicht hinter die Filter aus Ideen, hinter Affekte oder Projekte, um Stämme und Moose so zu berühren oder so zu riechen, wie sie wirklich sind.

Was aber heißt das für die globale Erwärmung? Castree bleibt seiner Linie hier treu: »Globaler Klimawandel ist eine Idee« – Hervorhebung im Original – »und nicht bloß eine Reihe an ›realen biophysikalischen Prozessen‹, die sich ungeachtet unserer Repräsentationen davon ereignen.«10 Sprich: Die Erderwärmung verfügt über den ontologischen Status einer Idee. Wenn also die Dörfer in einem Tal Pakistans von einem Hochwasser weggeschwemmt werden, eine Population der Monarchfalter kollabiert oder Städten in Kolumbien aufgrund extremer Dürre das Wasser ausgeht, handelt es sich nicht um einen realen biophysikalischen Prozess, sondern um eine Idee, die Wirkung zeigt. Um den Klimawandel aufzuhalten, müsste diese Idee also lediglich verworfen werden. Vielleicht könnten wir sie sogar einfach gegen globale Abkühlung eintauschen. Wenn wir Castree beim Wort nehmen – Klimawandel stellt keinen Prozess innerhalb der biophysikalischen Realität dar, der ungeachtet unserer Vorstellungen davon stattfindet, sondern eine Erfindung des menschlichen Bewusstseins: Nichts anderes ist Natur –, gelangt man zwangsläufig zu diesen Schlussfolgerungen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass er sich dafür starkmachen würde, was nahelegt, dass sein Argument schlicht wenig Sinn ergibt und er einer banalen Form des epistemischen Trugschlusses, des »epistemic fallacy«, aufsitzt, der besagt: Gerade weil wir durch Messungen und Vergleiche, durch Konzepte und Ableitungen Kenntnis von der globalen Erwärmung erhalten, sind es diese Dinge, aus denen sie sich zusammensetzt.11 Sollten wir nicht in der Lage sein, diesen Trugschluss zu verwerfen und zu bekräftigen, dass es auf Labuan tatsächlich Natur gab – nicht im Sinne einer Idee, sondern einer objektiven, außerdiskursiven Realität –, in der die Briten Kohle zur ebenfalls in der Natur stattfindenden Verbrennung fanden, was gleichermaßen reale Konsequenzen in der Zukunft nach sich zog, wären wir in einem schwerwiegenden methodischen Nachteil. Denn um dieses historische Phänomen zu verstehen, bedarf es augenscheinlich eines Realismus der Vergangenheit als auch eines Realismus der Natur.

Nun ist Castree bei Weitem nicht der Erste, der die Ansicht vertritt, Natur sei eine Fiktion. Im Jahr 1992, während der Blütezeit der Postmoderne, verkündete Donna Haraway, Natur sei »eine machtvolle diskursive Konstruktion«. Sie sei »eine Trope. Sie ist Figur, Konstruktion, Artefakt, Bewegung, Verschiebung. Die Natur kann nicht vor ihrer Konstruktion existieren«, ebenso wenig wie Organismen oder Körper, die erst diskursiv entstünden.12 Dieser Gedanke bildete einen Eckpfeiler des Postmodernismus und hält sich – zumindest unter gewissen Akademiker:innen – selbst heute noch beharrlich. So behauptet Paul Wapner etwa in dem Buch Living through the End of Nature. The Future of American Environmentalism, Natur sei »keine selbst erhaltende Entität«, sondern »eine kontextualisierte Vorstellung«, »eine ideelle Leinwand«, »eine Projektion kultureller Übereinkünfte«, »eine soziale Konstruktion« – eine Anschauung, die er für gleichermaßen »solipsistisch« wie »zwingend« hält.13 Wir werden noch über viele solcher Fälle stolpern.

Dass eine derart weltfremde Doktrin im Zeitalter der globalen Erwärmung Bestand haben kann, muss als bemerkenswert erachtet werden. Umso mehr, als sie sich verheerenden Gegenargumenten ausgesetzt sieht.14 Der Umstand, dass alle möglichen Ideen über die Natur in dem und um das menschliche Bewusstsein herumwirbeln, rechtfertigt jedoch noch lange nicht den Schluss, diese ließen sich nicht von ihrem Gegenstand unterscheiden: Als Angelegenheit sind Naturkonzeptionen selbstverständlich kulturell bedingt, doch heißt dies nicht, dass der Referent infolgedessen gleichermaßen konstituiert wird. Zehn Hirten können ganz unterschiedliche Porträts derselben Ziege zeichnen, was nicht zur Folge hat, dass die Ziege ein Gemälde ist. Wenn drei Wanderinnen mit voneinander abweichenden Eindrücken einen Berg hinuntersteigen – erstere fand es einen mühelosen Ausflug; die zweite ist hochschwanger und schaffte es nur mit großem Aufwand; die dritte ist vor allem von der Neuartigkeit des Schnees überwältigt –, schließen wir daraus nicht, dass sie drei verschiedene Berge erklommen haben müssen. Wir sind der Meinung, es handle sich um einen einzigen Berg, und dieser besitzt bestimmte Eigenschaften wie Höhe, Steigungsgrad und Schneedeckenmächtigkeit, die an sich existieren, unabhängig davon, wie sie von den Wanderinnen wahrgenommen wurden. Als menschliche Wesen können wir nicht sagen, was ein Sturm ist, ohne Sprache zu verwenden, aber das heißt nicht, dass der Sturm eine linguistische Entität ist oder aus Sprechakten besteht.15

Im Grunde handelt es sich um eine ziemlich banale Auffassung, Naturvorstellungen seien Produkte des sozialen Lebens – ist das doch schließlich bei allen Vorstellungen der Fall –, während die Behauptung, Natur entspräche diesen Vorstellungen und verändere sich ihnen gemäß, äußerst rätselhaft anmutet. Denn damit würde beispielsweise ausgesagt werden, dass die Sonne sich einst um die Erde gedreht und dann den Platz mit ihr getauscht hätte. Entweder der tatsächlich existierende Wald ist reich an wild lebenden Tieren oder nicht; entweder erwärmt sich die Biosphäre, oder sie tut es nicht – wie wir Wildtiere und Erwärmung auffassen, ist jedoch eine ganz andere Frage. Was Castree und andere ihm Gleichgesinnte vertreten, ist eine Form des Konstruktionismus der Natur. Obwohl diese der arglosen Erkenntnis entspringen dürfte, dass wir denken und sprechen, sobald wir über Natur denken und sprechen, versteigt sie sich zu der Behauptung, die Natur würde dadurch überhaupt erst konstruiert, käme durch unsere Vorstellungen in die Welt, und darüber hinaus existierte schlicht keine andere Natur.16 Es handelt sich um einen Konstruktionismus der idealistischen, neu-kantischen, eindeutig postmodernen Sorte.17

Dieser Konstruktionismus scheint jedoch außerstande, zu jener Art von Theorie zu inspirieren, die wir so dringend benötigen. Schließlich steigen die Temperaturen nicht, weil Menschen über Kohle nachgedacht oder sich mentale Bilder von Autobahnen ausgemalt haben: Dadurch kommt es nicht zur Umweltzerstörung. »Kurzum«, um es mit der bemerkenswerten Formulierung Kate Sopers zu sagen, »es ist nicht die Sprache, die ein Loch in ihrer Ozonschicht hat«, kein Text, der sich aufheizt, »und das ›reale‹ Ding wird selbst dann noch verschmutzt und abgetragen werden, wenn wir unsere dekonstruktivistischen Erkenntnisse auf der Ebene des Signifikanten immer weiter verfeinern« – worauf manch Gesellschaftstheorie, sogar wenn sie vorgibt, sich eigentlich mit der Natur zu befassen, nach wie vor geradezu versessen scheint.18 Wie aber würde eine alternative Sicht auf die Natur aussehen? In What Is Nature? Culture, Politics and the Non-Human – mit Abstand die geistreichste Auseinandersetzung mit dieser Frage, die je geschrieben wurde – gibt Soper folgende Antwort: Natur nennt man

jene materiellen Strukturen und Prozesse, die unabhängig von menschlicher Aktivität bestehen (in dem Sinne, dass sie kein von Menschenhand geschaffenes Produkt sind), deren Stärken und kausalen Kräfte die notwendigen Bedingungen jeglicher menschlicher Praxis sind und die darüber entscheiden, welche mögliche Gestalt diese annehmen kann.19

Diese Definition verdient es, erneut gelesen und im Gedächtnis behalten zu werden. Viele andere wurden vorgeschlagen – einige davon werden wir weiter unten eingehender betrachten –, aber wir wollen diese realistische Definition als diejenige behandeln, die bestmöglich einfängt, was wir uns unter dem von uns als Natur bezeichneten Bereich vorstellen. Allein die Existenz dieses so definierten Bereichs ist jedoch bereits heftig umstritten.

DIE PRODUKTION DER NATUR?

Können wir tatsächlich sagen, dass das Klima des Planeten Erde – als eine der wesentlichen Komponenten der Natur – von menschlichen Aktivitäten unabhängig ist, das heißt: nicht von Menschenhand geschaffen? Ist es mittlerweile nicht genau umgekehrt? Dies scheint zumindest für die Theorie »der Produktion der Natur« zu gelten. Von Neil Smith in Uneven Development. Nature, Capital, and the Production of Space dargelegt, besagt sie, dass Natur alles andere als unabhängig sei; in einem lang vergangenen, vormenschlichen Nebel mochte das womöglich sogar noch der Fall gewesen sein, aber mittlerweile sei das eindeutig vorbei. Heutzutage sei die Natur durch und durch gemacht, von innen her und in ihrer Gesamtheit, da die Kräfte des Kapitals die Materie gemäß ihrer jeweiligen Logik umstrukturierten und umarbeiteten. Wann aber die urzeitliche Natur einer solch beeindruckenden sozialen Macht gewichen sein soll? Smith bleibt in diesem Punkt vage. An manchen Stellen wirkt es, als würde er sich dafür aussprechen, dass die Produktion der Natur tatsächlich ein kapitalismusspezifisches Phänomen sei; an anderen deutet er wiederum ein sehr viel früheres Datum menschlicher Vereinnahmung an. Nicht-produzierte Natur erlösche, wo immer eine Spezies Fuß gefasst habe: »Menschen haben jedwede Natur hervorgebracht, die ihnen zugänglich wurde« – nicht erst in den letzten Jahrhunderten, sondern schon seitdem sie sich in Höhlen zusammengerottet und Wälder nach Essen durforstet hätten.20 Der Zweck der Theorie scheint hier nicht darin zu bestehen, eine historische Verschiebung nachzuvollziehen, als vielmehr in dem Versuch, das Natürliche mit dem Sozialen in eins fallen zu lassen, ungeachtet der Daten und Epochen, gewissermaßen a priori. Smith deklariert geradezu »eine gesellschaftliche Priorität der Natur; Natur ist nichts, wenn nicht sozial«.21 Noel Castree, der sich als Geograf oft für Smiths Theorie starkgemacht hat, erklärt, dass diese »beabsichtigt, der Vorstellung einer unabhängigen, nicht-sozialen Natur entgegenzuwirken«, und pocht auf die Vermischung von Gesellschaft und Natur »seit Anbeginn«.22

Worin genau bestehen nun die analytischen Vorteile dieses Schritts? In der Erstausgabe seines 1984 erschienenen Klassikers erwähnt Smith noch den anthropogenen Klimawandel als ein Beispiel für die Produktion von Natur, aber im Nachwort der dritten Auflage von 2008 hat er etwas ganz anderes darüber zu sagen: Wir können nicht wissen, in welchem Maße sich das Klima aufgrund menschlicher Aktivitäten verändert.23 Allein der Versuch würde bereits die irrige Trennung voraussetzen:

Die Bemühung, zwischen dem gesellschaftlichen und dem natürlichen Anteil zu unterscheiden, stellt nicht bloß eine müßige Diskussion dar, sondern entspringt auch einer närrischen Philosophie: Sie belässt die Kluft zwischen Natur und Gesellschaft unangetastet – Natur in der einen Ecke, Gesellschaft in der anderen –, genau jenes Schibboleth modernen westlichen Denkens also, das »die Produktion der Natur«-These zu zerschlagen angetreten war.24