Der Fremde und seine große Schuld - Patricia Vandenberg - E-Book

Der Fremde und seine große Schuld E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Dr. Daniel Norden war gerade dabei, dem alten Herrn Becker gut zuzureden, sich endlich mehr Ruhe zu gönnen, als Loni, die Arzthelferin, durch die Sprechanlage rief, er möge doch bitte schnell mal kommen. »Da brennt's mal wieder«, sagte Herr Becker. »Bei mir pressiert es nicht.« Dr. Norden war schon aus der Tür und eilte auf den Behandlungsraum zu. Dort saß eine junge Frau mit sehr blassem Gesicht. Aus ihrer Hand tropfte durch ein Taschentuch Blut. Loni war schon dabei, sterile Verbände zurechtzulegen. Die junge, sehr attraktive Frau hieß Amelie Lohner, und Dr. Norden kannte sie sehr gut. »Was haben wir denn da angestellt?« fragte er. Während er schon die Wunde untersuchte und Loni alles bereitlegte, was er verlangte, brachte Amelie ein klägliches Lächeln zustande. »Ungeschickt läßt grüßen«, murmelte sie. »Das Holz war so verdammt hart. Die Feile ist mir ausgerutscht.« Ihre schöne, zarte Hand sah ziemlich böse aus.

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Dr. Norden Aktuell – 13 –

Der Fremde und seine große Schuld

Patricia Vandenberg

Dr. Daniel Norden war gerade dabei, dem alten Herrn Becker gut zuzureden, sich endlich mehr Ruhe zu gönnen, als Loni, die Arzthelferin, durch die Sprechanlage rief, er möge doch bitte schnell mal kommen.

»Da brennt’s mal wieder«, sagte Herr Becker. »Bei mir pressiert es nicht.«

Dr. Norden war schon aus der Tür und eilte auf den Behandlungsraum zu. Dort saß eine junge Frau mit sehr blassem Gesicht. Aus ihrer Hand tropfte durch ein Taschentuch Blut. Loni war schon dabei, sterile Verbände zurechtzulegen.

Die junge, sehr attraktive Frau hieß Amelie Lohner, und Dr. Norden kannte sie sehr gut.

»Was haben wir denn da angestellt?« fragte er.

Während er schon die Wunde untersuchte und Loni alles bereitlegte, was er verlangte, brachte Amelie ein klägliches Lächeln zustande.

»Ungeschickt läßt grüßen«, murmelte sie. »Das Holz war so verdammt hart. Die Feile ist mir ausgerutscht.«

Ihre schöne, zarte Hand sah ziemlich böse aus. Geschickt klammerte Dr. Norden die beiden klaffenden Wunden. Dann gab er ihr eine Tetanusspritze.

Wehleidig war Amelie nicht, und nun brachte sie auch schon wieder ihr gewohntes reizendes Lächeln zustande, das ihrem herzförmigen, aparten Gesicht einen ganz besonderen Zauber verlieh.

»Tapferes Mädchen«, sagte Dr. Norden anerkennend. Bei ihr konnte er sich das erlauben, ohne mißverstanden zu werden. Sie sahen sich fast täglich, denn Amelie und ihr Bruder Nikolaus Lohner, beide Architekten, hatten Dr. Nordens Haus angebaut, und Amelie besorgte nun mit sehr viel Geschmack die Innenausstattung.

Fee Norden hatte sich mit der klugen und sehr tüchtigen Amelie angefreundet. Ein warmer, herzlicher Kontakt hatte sich zwischen ihnen angebahnt.

Amelie betrachtete ihre Hand und warf Dr. Norden einen schrägen Blick zu. »So was Dummes«, kritisierte sie sich selbst. »Niko wird schön schimpfen.«

Die Geschwister Lohner hingen wie Kletten aneinander, so unterschiedlich sie auch im Wesen waren, denn Nikolaus war ein sehr ruhiger, fast verschlossener Mann, während Amelie ein Temperamentsbündel war.

»Wie ist es denn passiert?« fragte Dr. Norden. Daß es nicht in seinem Haus geschehen sein konnte, wußte er, sonst hätte seine Frau Fee, die ja auch Ärztin war, erste Hilfe geleistet.

»Ich behalte es lieber für mich, sonst kriege ich von Ihnen auch noch Schimpfe«, sagte Amelie.

»Die würde jetzt auch nichts mehr nutzen«, sagte Dr. Norden.

»Na ja, ich wollte Schranktüren in eine Anbauwand einschrauben. Die Steffen hat sich aufgeführt wie eine Verrückte, weil die noch nicht fertig war, und Niko ist unterwegs. Und weil ich keinen passenden Schraubenzieher zur Hand hatte, habe ich die Holzfeile genommen, damit ich nur ja schnell fertig werde. Da haben wir nun die Bescherung. Die Steffen zetert, und Niko wird mir die Leviten lesen.«

»Und Sie haben die Schmerzen«, sagte Daniel Norden. »Sie dürfen jetzt keinesfalls etwas tun mit dieser Hand. Diese ungeduldige Dame muß halt warten.«

»Wenn sie wenigstens eine Dame wäre«, sagte Amelie seufzend. »Nie wieder bauen wir ein Haus mit Eigentumswohnungen. Man hat nur Scherereien. Aber jetzt will ich Sie nicht länger aufhalten. Hoffentlich ist Ihre Frau nicht böse, daß ich erst nachmittags kommen kann.«

»Sie werden heute gar nichts tun, sondern mal Ruhe geben. Es wird noch ganz hübsch weh tun. Aber wenn es zu arg wird, rufen Sie mich an, dann komme ich vorbei und gebe Ihnen eine Spritze.«

Jetzt konnte er ihr nicht gleich noch eine geben, denn Amelie war mit ihrem Wagen gekommen und beharrte auch darauf, allein heimzufahren. Tapfer war sie, und eine Dame war sie auch, wenn sie auch frisch und frei daherredete. Man mußte sie einfach gern haben. Dr. Norden konnte nicht verstehen, daß jemand unfreundlich zu ihr sein konnte. Aber er kannte ja Celia Steffen noch nicht. Allerdings sollte er sie an diesem Tage noch kennenlernen, und wie!

*

Amelie und ihr Bruder Nikolaus stammten aus einer vermögenden Familie. Viele Grundstücke waren seit Generationen im Besitz der Lohners. Die Eltern und die heißgeliebte Großmama hatten sich in einen abgelegenen Vorort zurückgezogen, weil ihnen die Stadt zu laut und verkehrsreich geworden war.

Nahe der Praxis von Dr. Norden hatten Nikolaus und Amelie auf einem der Grundstücke ein Wohnhaus mit acht Wohnungen gebaut, in dem sie auch selbst eine Wohnung und auch ihr Atelier eingerichtet hatten. Sie waren sehr begabte, sehr gesuchte Architekten mit individuellen Ideen. Wahre Künstler, wie auch Daniel und Fee Norden nun aus eigener Erfahrung feststellen konnten, denn

der Anbau ihres Hauses war genial gelöst worden. Jetzt hatten sie einen überdachten Innenhof, in dem die Kinder auch bei Regenwetter spielen konnten, ohne naß zu werden.

Aber auch das Haus mit den Eigentumswohnungen zeichnete sich durch seine wohldurchdachte Bauweise aus. Die Wohnungen waren die Geschwister reißend losgeworden. Sie hatten auch keine Schwierigkeiten mit den Käufern, ausgenommen Celia Steffen, die es ganz besonders eilig mit dem Einzug gehabt hatte und nun ständig herumnörgelte, daß manches noch nicht fertig geworden war. Es war nicht die Schuld der Geschwister Lohner. Die Zulieferfirmen hatten gebummelt. Ärger gab es da immer, aber das waren sie gewohnt. Doch meistens kamen sie mit ihren Käufern blendend zurecht.

Als nun Amelie mit ihrer verbundenen Hand zurückkam, war ihr Bruder schon im Atelier.

»Dich kann man doch nicht ein paar Stunden allein lassen«, sagte er kopfschüttelnd, aber in liebevollbesorgtem Ton. »Was hast du denn wieder angestellt, Amelie? Die Steffen führt sich auf wie eine Wilde. Du sollst doch gar nicht solche Arbeiten machen.«

Behutsam nahm er ihre Hand. »Tschapperl«, sagte er weich. Nur mit ihr sprach er in diesem Ton, sonst hatte seine Stimme immer einen kühlen Klang.

»Dr. Norden hat es gerichtet«, erklärte Amelie lächelnd, obgleich es ihr augenblicklich gar nicht zum Lachen zumute war.

Die Hand schmerzte, aber in erster Linie ärgerte sie sich maßlos, daß sie eine Wohnung gleich an Celia Steffen verkauft hatten, obgleich später noch viel nettere Interessenten gekommen waren. Aber die Flaute auf dem Wohnungsmarkt hatte sie anfangs zu schnellen Entschlüssen gedrängt, was unüberlegt gewesen war, wie sich dann herausstellen sollte.

Lehrgeld mußte jeder zahlen. Es war das erste Haus, das sie ganz in eigener Regie gebaut hatten.

»Sie ist ein Biest«, sagte Amelie. »Bitte, sorge dafür, daß die Schrankwand steht, Niko. Die Frau macht uns fertig.«

»Mich nicht. Und du läßt von so was in Zukunft die Finger. Ist es sehr schlimm?«

»I wo, mach dir nur keine Gedanken. Aber es ist lästig mit dem Verband, und Dr. Norden sagt, daß die Hand ruhen muß. Das hat mir gerade noch gefehlt.«

»Es ist recht so«, sagte Nikolaus. »Eine Zwangspause tut dir gut. Du hast sowieso zuviel gearbeitet in den letzten Wochen. Jonas wird sich freuen, wenn du mal ein bißchen mehr Zeit hast. Er kommt nachher.«

»Warum?« fragte Amelie verwundert.

»Ich habe etwas mit ihm zu besprechen. Übrigens hat mir die Steffen verkündet, daß sie einen Untermieter hereinnimmt.«

»Einen Untermieter? Darauf ist die Wohnung doch gar nicht zugeschnitten«, sagte Amelie bestürzt. »Hat sie doch nicht so viel Geld, wie sie tut?«

»Man kann es ja auch Untermieter nennen«, sagte Nikolaus spöttisch. »Erfahren hätte ich es nicht so schnell, wenn ich nicht zufällig mit ihm zusammengetroffen wäre. Er ist mindestens zwanzig Jahre jünger als sie. Aber sie hat die Wohnung gekauft und kann machen, was sie will. Solange sie mir nicht auf den Wecker fällt und dich in Ruhe läßt, kümmert es mich nicht.«

»Ich bin froh, wenn sie dich in Ruhe läßt«, sagte Amelie, ihren interessanten Bruder nachdenklich betrachtend.

Er war schon ein besonders markanter Mann. Hochgewachsen, mit scharfgeschnittenem Gesicht, blauschwarzem vollem Haar über einer breiten Stirn, dunklen Augen, einer geradezu klassischen Nase, die ihm das Profil einer Michelangelostatue verlieh, und dazu einen sensiblen, sehr ausdrucksvollen Mund, der beim Lächeln wunderschöne, ebenmäßige Zähne freigab.

Doch Nikolaus Lohner lächelte selten. Es war nicht immer so gewesen. Vor fünf Jahren war er ein strahlend glücklicher Mann gewesen, verlobt mit einem entzückenden Mädchen.

Drei Wochen vor der Hochzeit war sie bei einem Lawinenunglück ums Leben gekommen. Bei dem gleichen Unglück war Fee Nordens Stiefschwester Katja verschüttet worden, doch sie konnte gerettet werden. Daher wußten die Nordens Bescheid, was Nikolaus Lohner so still und ernst gemacht hatte.

Als Stiefschwester bezeichnete Fee Katja nicht gern. Sie liebte die Jüngere innig. Als Dr. Cornelius, Fees Vater, der das Sanatorium »Insel der Hoffnung« leitet, Katjas Mutter Anne heiratete, waren sie alle sehr froh gewesen. Katja, die nach diesem schrecklichen Unglück viele Monate durch den Schock gelähmt war, denn sie hatte dabei auch ihren Verlobten verloren, war auf der »Insel der Hoffnung« genesen. Sie hatte dort den Pianisten David Delorme kennengelernt, und nun waren sie längst ein sehr glückliches Ehepaar. Für Katja hatte jener Tag seinen entsetzlichen Schrecken verloren, für Nikolaus Lohner wohl immer noch nicht, denn er war heil davongekommen, während die reizende Terry nicht gerettet werden konnte.

Durch Katja war schließlich vor ein paar Monaten die Verbindung zwischen Lohners und den Nordens hergestellt worden. Katja war auf den Namen Nikolaus Lohner aufmerksam geworden, und wenn auch für sie alles wieder gut geworden war, so hatte sie sich doch daran erinnert, wie verzweifelt Nikolaus damals gewesen war.

Gesprochen wurde von dem Unglück nicht mehr. Fee und Daniel erwähnten nicht, daß sie von dem tragischen Geschehen wußten.

Auch Amelie rührte nicht daran, so innig sie wünschte, wieder einen fröhlichen Bruder zu haben, aber er vergrub sich in seine Arbeit. Doch tiefer und herzlicher konnte eine Verbindung unter Geschwistern gar nicht sein, als es bei ihnen der Fall war.

Deshalb konnte sich Amelie auch noch immer nicht entschließen, ihren treuen Freund, den Rechtsanwalt Dr. Jonas Schubert, zu heiraten.

Der kam gegen elf Uhr und war tief bestürzt, als er Amelies verbundene Hand sah. Natürlich wollte auch er wissen, was und wie es geschehen war, aber sie winkte

ab.

»Vergessen wir es«, sagte sie, aber sie konnte es so schnell doch nicht vergessen, denn nun begann die Hand noch mehr zu schmerzen.

Die beiden Männer vergaßen ihre geschäftliche Besprechung. Mit aller Fürsorge umgaben sie Amelie, aber all ihre Tapferkeit nutzte nichts.

»Dr. Norden hat gesagt, daß er mir eine Spritze geben will, wenn es schlimmer wird«, sagte Amelie kläglich.

»Ich rufe ihn gleich an«, sagte Nikolaus.

»Mein armes Liebes«, sagte Jonas, als Nikolaus zum Telefon griff.

Amelie ließ es sich gefallen, daß er sie in die Arme nahm. Er war der einzige Mann, der bisher in ihrem Leben eine Rolle spielte, und für sie stand es fest, daß es auch nie einen andern geben würde, aber von Heirat wollte sie eben doch noch nichts wissen.

Jetzt tat es ihr wohl, daß er bei ihr war. Sie schmiegte sich in seine Arme.

»Dr. Norden kommt gleich«, sagte Nikolaus. »Du legst dich jetzt hin, Amelie.«

*

Dr. Norden hatte es nicht weit bis zu diesem Haus, das von vielen bewundert wurde. Es war nicht so ein unpersönlicher Betonklotz mit Fensterlöchern. Es war eine Wohnanlage, wie man sie sich geschmackvoller nicht vorstellen konnte.

Dr. Norden stieg aus seinern Wagen, nahm einen Arztkoffer und betrat das Haus. Vor dem Lift traf er mit einer sehr auffallend gekleideten Frau zusammen. Er hatte sie noch nie gesehen und kannte ihren Namen nicht, aber unwillkürlich dachte er, daß es »diese Steffen« sein könnte, von der Amelie gesprochen hatte. Wieso ihm dieser Gedanke kam, hätte er nicht erklären können.

Sie mochte Mitte vierzig sein, hatte rotgefärbtes Haar, glitzernde grüne Augen und einen vollen sinnlichen Mund.

Sie schenkte Daniel einen betörenden Augenaufschlag, als er die Tür des Liftes öffnete.

»Wohnen Sie auch hier?« fragte Celia Steffen mit rauchiger Stimme.

Dr. Daniel Norden war ein blendend aussehender Mann. Das hatten vor ihr schon viele Frauen festgestellt. Allerdings gab es für ihn nur eine Frau, seine Fee. Dessen ungeachtet erlebte er es aber häufig genug, daß ihm mehr oder minder offensichtliches Wohlgefallen entgegengebracht wurde.

Für einen Flirt war er nicht zu haben, für solchen, wie ihn Celia Steffen provozieren wollte, schon gar nicht.

»Nein, ich wohne nicht hier«, erwiderte er kühl.

»Schade«, sagte sie, »zu welchem Stockwerk?«

»Zum fünften.« Was sollte er schon machen? Sie hatte ja ihre Hand auf den Knöpfen.

»Ach, zu den Lohners«, sagte Celia. »Sollten Sie die Absicht haben, eine Wohnung zu kaufen…«

»Die habe ich nicht«, fiel er ihr ins Wort. »Ich bin am Ziel.«

Sie lachte girrend auf. »Da habe ich doch meine Etage verpaßt«, sagte sie.

Daniel stieß die Tür auf und ging mit einem leichten Neigen des Kopfes an ihr vorbei. Er war benommen von dem Duft ihres starken Parfüms. So aufdringliche Gerüche waren ihm zuwider.

Aufdringlich war sie überhaupt. Sie fuhr nicht etwa gleich wieder abwärts.

Nikolaus Lohner stand bereits in der offenen Wohnungstür. »Gut, daß Sie so schnell kommen, Dr. Norden«, sagte er, und das hörte Celia Steffen noch. Dann ließ sie die Tür des Liftes zufallen und fuhr abwärts.

Nikolaus hatte von ihr keine Notiz genommen. Er war viel zu besorgt um seine Schwester, und das sagte er auch.

»Ich dachte mir schon, daß sie Schmerzen bekommt«, meinte Daniel. »Aber vorhin konnte ich ihr keine Spritze geben, da sie ja selbst Autofahren wollte. Jetzt kann sie ruhen.«

Die Injektion war schnell gemacht. Amelie war jetzt ziemlich apathisch. Jonas, der sich nur kurz mit Dr. Norden bekannt gemacht hatte, ihn dabei eifersüchtig musterte, blieb bei ihr.

Daniel gewann sofort einen sehr sympathischen Eindruck von ihm.

»Nun passen Sie aber auf, daß Ihre Schwester sich schont, Herr Lohner«, sagte er zu Nikolaus.

»Worauf Sie sich verlassen können. Macht es Ihnen sehr viel aus, wenn es bei Ihnen nicht vorangeht?«

»Keineswegs. Die Räume brauchen wir nicht so dringend. Meine Frau ist glücklich mit dem schönen Innenhof. Wir sind sehr froh, daß wir an Sie geraten sind. Dieses Haus hier ist auch wunderschön. Schade wäre es, wenn Sie Ärger mit den Bewohnern hätten.«

»Nur mit einer«, brummte Nikolaus. »Frau Steffen hat ja Amelie auch nervös gemacht. Ist die Hand sehr schlimm?«

»Unangenehme Wunden, aber es wird bald besser werden. Ich schaue am Abend nochmals her.«

»Nett von Ihnen. Vielen Dank.« Mit einem festen Händedruck verabschiedeten sie sich.

Amelie war indessen eingeschlafen. Jonas konnte nun mit Nikolaus das Geschäftliche besprechen, aber zuerst erkundigte er sich nach Daniel Norden.

»Hat Amelie was für ihn übrig?« fragte er.

Nikolaus runzelte die Stirn. »Bestimmt nicht, was du vermutest. Norden ist glücklich verheiratet, hat eine reizende Frau und wonnige Kinder. Du weißt doch, daß du der einzige Mann bist, für den Amelie etwas übrig hat.«

»Das glaube ich erst, wenn wir verheiratet sind. Außerdem gibt es dich auch noch, Niko.«

»Ich bin doch ihr Bruder. Auf mich brauchst du wirklich nicht eifersüchtig zu sein.«

»Aber heiraten wird mich Amelie nicht, solange du ein Einzelgänger bist.«

»Das werde ich auch bleiben. Aber um Himmels willen, darauf braucht ihr wirklich keine Rücksicht zu nehmen.«

»Das sag du ihr doch mal. Ich wäre dir sehr dankbar.«

»Ich werde es tun. Bringen wir jetzt schnell diese Angelegenheit hinter uns. Frau Steffen wünscht eine Änderung des Vertrages. Ich habe Amelie davon noch nichts gesagt, aber am liebsten wäre es mir, wenn wir eine Hintertür finden könnten, um ihn rückgängig zu machen.«

Jonas war verwundert, denn er kannte Nikolaus nur als einen äußerst korrekten Partner.

»Aber sie wohnt doch schon hier und hat die Wohnung schon bezahlt, oder?«

»Sie hat zehntausend anbezahlt, den Rest wollte sie nach Fertigstellung zahlen. Damit hatten wir uns einverstanden erklärt, da sie das Geld auf ein Sperrkonto hinterlegt hat. Die Schwierigkeiten mit ihr kamen auch erst nach ihrem Einzug. Nun aber hat sich eine Bank an mich gewandt, von der sie einen Kredit haben will.«

»In welcher Höhe?«

»Wahrscheinlich ziemlich hoch. Das dürfen sie ja nicht sagen. Es handelt sich nur darum, ob dieser Kredit abgesichert werden kann. Aber da ist nichts mehr drin. Es ist alles durchfinanziert. Die monatliche Belastung liegt für sie schon bei über tausend Mark. Heute hat sie mir eröffnet, daß sie einen Untermieter hereinnehmen will.«

»Dagegen wäre nichts einzuwenden«, sagte Jonas nachdenklich.

»Es ist auch ihre Sache. Nun will sie jedoch den Vertrag dahingehend geändert haben, daß dieser Herr Gebhard Miteigentümer der Wohnung werden soll.«

»Du meinst, daß sie in finanziellen Schwierigkeiten ist?«

»Ich blicke nicht durch. Jedenfalls sieht dieser Herr Gebhard, der noch ein junger Bursche ist, nicht so aus, als wäre er zahlungsfähig. Ich habe das so im Gefühl. Ich ärgere mich schon, daß ich die Wohnungen nicht einfach vermietet habe. Irgendwie hätten wir es schon finanziert. Frau Steffen ist genau der Typ, der die anderen Miteigentümer verärgert. Irgendwie habe ich das Gefühl, daß sie da etwas ausgekocht hat, um uns übers Ohr zu hauen.«

»Du meinst, daß sie zahlungsunwillig ist?«

»Sie wird so viel zu bemängeln haben, daß wir ewig kein weiteres Geld von ihr sehen. Ich fürchte, daß ich kein sehr guter Geschäftsmann bin.«

»Die Verträge sind in Ordnung und verbindlich«, sagte Jonas. »Du kannst geltend machen, daß du mit einer Änderung nicht einverstanden bist, solange das Eigenkapital nicht eingebracht ist. Gegen unberechtigte Mängelanzeigen kannst du dich durch ein Gutachten schützen. Ich werde das für dich erledigen, Niko.«

»Gut, daß wir dich haben. Ich werde jetzt dafür sorgen, daß die Einbauten fertiggestellt werden. Wenn wir bloß eine zuverlässige Schreibkraft bekämen, damit nicht alles an Amelie hängenbleibt. Aber damit haben wir einfach kein Glück.«

Jonas wußte, warum das so war, denn jedes weibliche Wesen versuchte mit Nikolaus anzubandeln, und dafür war er nun mal nicht zu haben. Und wenn das zur Kenntnis genommen werden mußte, entschwanden diese Damen sehr schnell. Innerhalb kurzer Zeit hatten sie drei Wechsel gehabt, seit zwei Wochen saßen sie auf dem Trockenen. Jonas gefiel es auch nicht, daß zuviel an Amelie hängenblieb, wenn sie auch immer versichert hatte, daß es ihr nichts ausmache. Er rechnete es Nikolaus aber hoch an, daß er nicht darüber stöhnte, daß nun auch Amelie ausfiel.

»Besorg du die Handwerker«, sagte er zu seinem Freund. »Ich bleibe noch bei Amelie. Ich muß erst um drei wieder in der Kanzlei sein.«