Der gefrorene Ozean - Peter Lemke - E-Book

Der gefrorene Ozean E-Book

Peter Lemke

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Beschreibung

Im Winter ist das Südpolarmeer fast vollständig von Eis bedeckt. Kein Schiff wagt sich dann in diese Gegend. Der FS POLARSTERN, dem Forschungseisbrecher des Alfred-Wegener-Instituts, gelang die Überwinterung in der Antarktis. Heftige Schneestürme, tagelanges Driften mit den Eisschollen und eisige Minusgrade - das Buch nimmt Sie mit auf eine atemberaubende Expedition, zeigt die Schönheit des gefrorenen Ozeans und gibt einen tiefen Einblick in die Polarforschung.

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Bildnachweis Umschlag: Titel – Matthias Krüger,
Rückseite – Stefan Hendricks, Mario Hoppmann, SvN
Bilder, Karten und Grafiken siehe Bildnachweis S. 240
Ein NAVIGARE-Buch mit Unterstützung des Alfred-Wegener-Instituts,
Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und der Reederei F. Laeisz GmbH
Ein Gesamtverzeichnis der lieferbaren Titel schicken wir Ihnen gerne zu.
Bitte senden Sie eine E-Mail mit Ihrer Adresse an: [email protected]
Sie finden uns auch im Internet unter: www.koehler-books.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
eISBN 978-3-7822-1155-0
ISBN 978-3-7822-1210-6
Koehlers Verlagsgesellschaft, Hamburg
© 2014 by Maximilian Verlag, Hamburg
Prolog
Kurs 210 Grad – Von Kapstadt aus ins Eis
Pfannkucheneis – soweit das Auge reicht
Gefangen im Eis
Hilfe, unsere Messfelder brechen auseinander
Arbeiten auf dem Eis und im Labor
Notfall mitten im Weddellmeer
Zurück ins Eis
Aufbruch in die Heimat
Polarmeere – Wissen kompakt
Einführung – Warum all das?
Das Klima der Erde
Polarmeere
Meereis – »Wolken des Ozeans«
Eisdrift
Zukunft der Polarmeere
Anhang
Forschungsinstitute
Dank
Bildnachweis

Prolog

Der gefrorene Ozean – er ist nur schwer zugänglich, vor allem im Winter. Das Weddellmeer ist zu dieser Jahreszeit fast vollständig mit Eis bedeckt, und auch ein Forschungseisbrecher wie POLARSTERN muss dann manchmal der Natur Respekt erweisen und still mit den Eisschollen driften. Eine Winterexpedition in die Antarktis ist selten und immer eine besondere Herausforderung, dennoch brauchen wir gerade aus der stürmischen, eisigen und dunklen Jahreszeit Daten und Proben, um die vielfältigen Prozesse in diesem Teil des Weltozeans und ihre Auswirkungen auf unser Klima besser zu verstehen, denn die Polarmeere spielen eine Schlüsselrolle im weltweiten Klimageschehen.
Das Klima der Erde wird ganz entscheidend vom Temperaturgegensatz zwischen den Polargebieten und den Tropen gestaltet, weil diese Temperaturunterschiede die globalen Windsysteme und Ozeanströmungen steuern. Gegenwärtig ist die Arktis eine der vom Klimawandel am stärksten betroffenen Regionen. Die Temperaturen steigen doppelt so schnell wie im globalen Mittel, und das Meereis zieht sich deutlich zurück, mit drastischen Konsequenzen für das Ökosystem und die Küstenbewohner am Nordpolarmeer. Auch die Antarktische Halbinsel hat sich stark erwärmt. Als Folge sind große Schelfeisgebiete zerfallen, sodass einige Gletscher, die diese Schelfeisgebiete gespeist haben, nun schneller fließen und mehr Eisberge ins Meer schicken. Dadurch steigt der Meeresspiegel zusätzlich an. Die Westantarktis verliert gegenwärtig deutlich mehr Eis durch Gletscherabflüsse als früher, während der große Eisschild über der Ostantarktis noch stabil erscheint.
Als ich 1989 das erste Mal in die Antarktis fuhr, war von diesen Veränderungen noch wenig zu spüren. Ich hatte als Theoretiker stochastische Energiebilanzmodelle für das Klimasystem entwickelt, Beobachtungen der Meereisausdehnung analysiert, die Wechselwirkung von Atmosphäre, Meereis und Ozean untersucht und Modelle für das Wachstum und die Bewegung des Meereises verbessert. Ich wusste daher einiges über die Rolle, die das Meereis im Klimasystem spielt. Physikalisch war das Meereis kein Geheimnis mehr für mich, aber ich hatte es nie in natura erlebt, hatte nie seine physikalischen Eigenschaften gesehen, gehört oder gefühlt. Was mich auf der ersten Expedition ins Weddellmeer am stärksten beeindruckt hat, war die komplexe Struktur der Meereisdecke: Schollen unterschiedlicher Größe, Form und Dicke, mit sehr variabler Schneeauflage und durchzogen von Presseisrücken, die auch die Lebensgeschichte einer jeden Eisscholle dokumentieren. Ich dachte, so etwas wird man nie in ein Modell packen können. Ich war überwältigt von der Vielfalt und Schönheit der Natur. Was ich sah und wahrnahm – unsere Wahrnehmung geht ja immer über das reine Sehen hinaus –, war mehr, als wir je verstehen können. Inzwischen haben wir auf unseren Expeditionen wichtige Daten und Proben gewonnen, mit denen wir unsere Modelle laufend optimiert und das Wissen über die Polarmeere deutlich erweitert haben.
Für unsere Fahrt 2013 von Kapstadt zum antarktischen Kontinent, dann nach Nordwesten zur Spitze der Antarktischen Halbinsel und weiter Richtung Punta Arenas, wählten wir eine Route, die wir zuletzt vor 21 Jahren im antarktischen Winter gefahren sind. Heftige Schneestürme, schwere Eisfahrt, die Dunkelheit der Polarnacht und Temperaturen von bis zu –30 °C erwarteten uns auf der Südhalbkugel, während bei uns daheim der schönste Sommer war. 49 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 13 Ländern machten sich am 8. Juni 2013 gemeinsam mit den 44 Männern und Frauen der Schiffsbesatzung auf den Weg ins Eis. Es war keine leichte Fahrt, sie hat aber unsere Erkenntnis um ein Vielfaches erweitert.
Über neun Wochen waren wir auf der POLARSTERN unterwegs, um dem gefrorenen Ozean seine Geheimnisse zu entlocken. Dieses Schiff, während unserer Fahrt unter der versierten Führung von Kapitän Uwe Pahl, hat uns einmal mehr von seiner Einzigartigkeit, seinen hervorragenden Eigenschaften auch in dicken und dicht gepackten Treibeisfeldern sowie seinem ausgesprochen guten Seegangsverhalten im Sturm mehr als überzeugt. Eine Winterexpedition im Südpolarmeer wird durch einen Forschungseisbrecher wie POLARSTERN erst möglich. Auch der aufwendige Geräteeinsatz für die wissenschaftlichen Arbeiten sowie die Forschung auf den Eisschollen ist nur im Zusammenspiel mit den hoch spezialisierten Seeleuten der Reederei F. Laeisz erfolgreich zu bewältigen.
Mit diesem Buch möchten wir einen Einblick in die Polarforschung geben, aber auch die Schönheit des gefrorenen Ozeans zeigen. Im Reportageteil des Buches nehmen wir die Leser mit auf eine der seltenen Winterexpeditionen in die Antarktis. Rückblicke erinnern an frühere Expeditionen. Wer noch tiefer in das Thema einsteigen möchte, findet im Wissensteil »Polarmeere – Wissen kompakt« grundlegende Informationen über das Klimasystem unseres Planeten und die Rolle, die die Ozeane darin spielen, insbesondere die Polarmeere.
Peter Lemke

Kurs 210 Grad Von Kapstadt aus ins Eis

Den Roaring Forties geht die Puste aus +++ Polarfront überquert +++ Erster Eisberg mit Pinguinkolonie backbord +++ Eisige Luft aus Südost +++ Die Bordwetterwarte kündigt Temperaturen unter –25 °C an +++ Zwei Buckelwale ziehen an uns vorüber
Der südafrikanische Agent empfiehlt das »Panama Jack«. Eigentlich nur eine Bretterbude im Hafen, aber das Essen sei dort exzellent. Jonni Jonas, Peter Grewe und all die anderen POLARSTERN-Kapitäne seien dort gewesen, bevor sie zu ihrer Fahrt in den Süden aufbrachen oder nach wochenlanger Eisfahrt wieder in Kapstadt festmachten. Als Zeichen der Freundschaft und engen Verbundenheit der deutschen POLARSTERN-Fahrer mit der Kapmetropole hänge auch eine Flagge des Eisbrechers an der Wand des Lokals.
Für ein Essen unter der POLARSTERN-Flagge fehlt uns die Zeit. Wir werden sie in den nächsten neun Wochen ohnehin oft heftig genug im Wind wehen sehen, denn das Südpolarmeer gilt als das stürmischste aller Weltmeere. Schon der Weg ins Eis führt durch die berüchtigtsten Sturmgebiete unseres Planeten. Die Roaring Forties, Furious Fifties und Screaming Sixties erwarten uns. Weitgehend ungehindert von Landmassen fegen hier Winde aus westlicher Richtung um den Planeten, laufen unerbittlich zu Sturmstärke auf, toben häufig als Orkan über den Ozean – hoher Seegang garantiert. Auf der 1992er Winterexpedition, deren Route wir nach 21 Jahren erstmals wieder im antarktischen Winter fahren wollen, hielt ein Orkantief Schiffsbesatzung und Wissenschaftler mehrere Tage lang in Atem. Bei Windstärke 11 bis 12 und Wellenhöhen von über 20 Metern musste POLARSTERN beidrehen, um wieder in eine stabile Lage zu kommen. Also den Bug in den Wind und langsame Fahrt voraus, etwa 100 Seemeilen kam das Schiff damals vom eigentlichen Kurs ab.
Wir hoffen für unsere Fahrt auf günstigere Winde. Noch zwei Tage bis Expeditionsstart. POLARSTERN liegt im Hafen und wird für den antarktischen Winter gerüstet. 70 Tonnen Proviant und Ausrüstung, 12 Tonnen Stückgut und 8,5 Tonnen Gefahrengut müssen geladen werden. Im Notfall könnten wir mehrere Monate im Eis überwintern. Kapitän Uwe Pahl ist jedoch zuversichtlich, dass dieser Notfall auch auf unserer Fahrt nicht eintreten wird. Er weiß allerdings sehr wohl, dass Winterexpeditionen in der Antarktis immer eine besondere Herausforderung sind. Die doppelte Querung des Weddellmeeres von Nord nach Süd zum antarktischen Kontinent und von dort nach Nordwest zur Spitze der Antarktischen Halbinsel ist im Winter bisher nur zweimal erfolgreich gelungen: 1992 ebenfalls in der Polarnacht im Juni und Juli sowie 1989 im September und Oktober. Beide Expeditionen wurden von POLARSTERN unternommen. Kein anderes Schiff hat bis heute solch eine Expedition durchgeführt.
Erstes Treffen an Bord: Kapitän und Fahrtleiter gehen die Vorbereitungen für die Expedition durch. Alle Reparatur- und Ladungsarbeiten liegen gut im Zeitplan. »Auslaufen werden wir aber nicht vor 18 Uhr. Wenn wir mit dem Bunkern noch nicht fertig sein sollten, erst gegen 20 Uhr«, sagt Pahl und macht damit unsere Hoffnung, beim Auslaufen den Tafelberg noch in seiner ganzen Pracht zu sehen, zunichte. So nutzen wir die verbleibende Zeit an Land, um den Tafelberg bei Tageslicht zu erkunden.
Polarstern liegt im Hafen und wird für den antarktischen Winter gerüstet.
Für den Fußweg vom Tal auf das Felsplateau, das sich majestätisch über Kapstadt erhebt, bräuchten wir einige Stunden. Wir entscheiden uns für die Seilbahn, die uns in wenigen Minuten auf das Wahrzeichen der Stadt bringt. Oben angekommen bietet sich eine atemberaubende Aussicht. Das Panorama erstreckt sich von der Table Bay bis hin zur False Bay. Mehrere Hundert Meter tief fallen die Steilwände nach Norden und Osten ab. Im Westen stürzen die Klippen fast senkrecht ins Meer. Der 1.086 Meter hohe Tafelberg ist etwa 430 Millionen Jahre alt und gehört zu den ältesten Bergketten der Welt. Er besteht hauptsächlich aus Sandstein, der auf einem Granit-Schiefer-Unterbau liegt. Erosionen durch Wind und Wasser haben dem Berg seine heutige Form gegeben. Durch Spalten und Risse ist Wasser in das Innere eingedrungen und hat dabei die größten Sandsteinhöhlen der Welt geschaffen.
Kapitän Uwe Pahl und Fahrtleiter Peter Lemke besprechen den Zeitplan.
Von einem der Aussichtspunkte beobachten wir das Treiben im Hafen. Wie ein Spielzeugschiffchen liegt POLARSTERN an der Kaimauer. Doch natürlich wissen wir, wie viel Kraft dieses einzigartige Schiff hat. Der doppelwandige Eisbrecher ist eines der leistungsfähigsten Polarforschungsschiffe der Welt.
Bevor wir endgültig an Bord gehen, noch ein kurzer Abstecher zum »Kap der Guten Hoffnung«. 45 Kilometer südlich von Kapstadt erstreckt sich die bizarre und unendlich weit erscheinende Felsenlandschaft. Wir steigen auf das steile Kliff. Im Jahr 1488 entdeckte der portugiesische Seefahrer Bartolomeu Diaz als erster Europäer das Kap und nannte es »Cabo Tormentoso« – »Kap der Stürme«, denn mit seinen beiden Karavellen war er hier in einen heftigen Sturm geraten.
Die tosende Brandung lässt an diesem sonnigen Nachmittag nur erahnen, welche Kraft das Meer hier entfachen kann. Seeleute fürchteten das oft im Nebel verhüllte und sturmanfällige Kap. Die Felsen ragen weit ins Meer hinein und sind bei Flut fast vollständig verborgen. Viele Schiffe zerschellten an den heimtückischen Klippen. 3.000 Wracks sollen hier auf dem Meeresgrund liegen. Doch wer in früheren Zeiten das Kap erfolgreich umrundet hatte, war guter Hoffnung, weil er glaubte, das Schlimmste auf dem Seeweg nach Indien bewältigt zu haben. Die eigentliche Südspitze Afrikas, das Kap Agulhas, wartet jedoch mit ähnlichen Gefahren auf die Seeleute. Südlich von hier am Schelfabhang fließt der Agulhasstrom aus dem Indischen Ozean einige 100 Kilometer nach Westen in den Atlantik, bevor er eine abrupte Kehrtwendung vollzieht. Der Agulhasstrom ist von Wirbelströmungen begleitet, die an der Küste eine ostwärts gerichtete Komponente aufweisen, auf der sich früher Schiffe gerne nach Indien tragen ließen. Sie kamen dabei aber den Klippen an der Küste sehr nahe. Dieses komplexe Muster der Meeresströmungen am Treffpunkt zweier Ozeane erzeugt oft einen enorm hohen Wellengang, sodass die Gewässer mit den Felsen und Riffen rund um das Kap noch heute als gefährlich gelten.
Am »Kap der Guten Hoffnung« lassen wir vor Expeditionsstart unsere Gedanken Richtung Süden treiben.
Während wir über die Gefahren der alten Seeleute reden und uns vorstellen, wie es gewesen sein muss, in einem der hölzernen Boote den Naturgewalten hier ausgesetzt zu sein, steigen wir zum Felsstrand hinunter. Ein Hinweisschild weist die Koordinaten des Kaps auf: »18° 28’ 26’’ East, 34° 21’ 25’’ South« steht in gelber Schrift auf den braunen Holzlatten. Wir blicken auf die Wellen und lassen unsere Gedanken nach Süden treiben, in die eisigen Gefilde, die in den nächsten zwei Monaten unser Zuhause sein werden. Am »Kap der Guten Hoffnung« mit uns und dem Meer allein, in einem intensiven Gespräch ohne Worte. Ein erstes Ankommen nach Jahren der Planung.
Vor sieben Jahren, auf der letzten Winterexpedition im September und Oktober 2006, wurde die Idee zu unserer nun anstehenden Fahrt geboren. Damals waren wir im nordwestlichen Weddellmeer an der Antarktischen Halbinsel unterwegs und wollten das Erwachen des Ökosystems am Ende des Winters untersuchen. Wir kamen ein wenig zu spät, denn zu unserer Überraschung war das Leben im Meereis bereits voll erwacht, trotz der tiefen, mittwinterlichen Temperaturen. Mit der Kälte kommen die Lebewesen im gefrorenen Ozean gut zurecht, im Laufe der Evolution haben sie einen effektiven Gefrierschutz entwickelt. Was sie aber, wie fast alle Organismen zum Leben brauchen, ist Licht, und das während unserer Fahrt 2006 schon vorhandene Tageslicht, genügte offensichtlich, um die Fotosynthese anzuregen. Deswegen entschieden wir, bei der nächsten Winterexpedition auf jeden Fall früher, also noch in der Polarnacht, soweit wie möglich nach Süden in das Meereis zu fahren, um dann nach Norden hin mit der aufgehenden Sonne das Leben im Eis aufzuspüren.
Im großen Nasslabor stapelt sich unsere Ausrüstung. Solange das Schiff ruhig im Hafen liegt, werden die Labore eingeräumt.
Nach einigen internen Besprechungen wurde im Herbst 2009 ein Fahrtantrag für 50 Wissenschaftler gestellt. Anfang 2010 bekam er eine positive Bewertung, und es hieß für die Logistikabteilung des Alfred-Wegener-Instituts, unsere Winterexpedition in die POLARSTERN-Langzeitplanung einzubauen. Für den Zeitraum vom 8. Juni bis 12. August 2013 war die Fahrt schließlich terminiert. Die detaillierten Vorbereitungen gingen etwa ein Jahr vor Expeditionsbeginn in die heiße Phase: Welche Arbeitsgruppen brauchen wir an Bord? Welche Wissenschaftler von welchen Instituten sollen teilnehmen? Müssen Messgeräte neu beschafft werden? Welche Genehmigungen müssen in den jeweiligen Hoheitsgewässern der verschiedenen Staaten beantragt werden, und welche Forschungsarbeiten bedürfen hinsichtlich des Antarktisvertrages einer zusätzlichen Genehmigung durch das Umweltbundesamt?
Die Vorbereitungen einer jeden Expedition sind umfangreich und nur im Zusammenspiel von Wissenschaft, Logistik und der Reederei zu bewältigen. Die Reederei F. Laeisz, die sich aus der reichen Historie der »Flying-P-Line« seit 190 Jahren dynamisch entwickelt, ist seit 18 Jahren auch in der Forschungsschifffahrt tätig. Gerade durch ihre Arbeit in der Arktis und Antarktis, die enge Zusammenarbeit mit der Wissenschaft bei jeder POLARSTERN-Expedition sowie der Ver- und Entsorgung von Forschungsstationen, u. a. Neumayer und Kohnen, ist der Reederei die besondere Verantwortung in den Polargebieten sehr wichtig. Über Jahre hat sie hochspezialisierte Crews aus äußerst erfahrenen Seeleuten für den Forschungseisbrecher zusammengestellt, denn die Eisfahrt ist immer eine besondere Herausforderung.
Der Kapitän Thomas Wunderlich auf der Brücke. Die Einsätze in der Antarktis und Arktis sind in Fahrtabschnitte unterteilt, und die Kapitäne wechseln sich ab. Die Winterexpedition stand unter der Führung von Kapitän Uwe Pahl, der das Schiff in Kapstadt von Kapitän Stefan Schwarze übernommen hatte. Kapitän Wunderlich führte Polarstern auf dem zehnten Fahrtabschnitt zurück nach Bremerhaven.
»Trotz aller modernen Technik steht man als Kapitän eines Forschungseisbrechers manchmal auf der Brücke und muss nach ganz ›alter Schule‹ navigieren. Die Drift des Eises berechnen, die Windbewegungen gegenrechnen. Mit dem Fernglas ›Eisblink‹ am Horizont ausmachen, um zu erkennen, wo der feste Eisrand beginnt oder wo isolierte Treibeisfelder die Fahrt behindern könnten. Das Schiff nicht in Ridges steuern, diese gefährlichen Packeisrücken, die selbst POLARSTERN in die Zange nehmen und für unbestimmte Zeit im Eis festhalten können. Bei aller Ausrüstung bleibt das eine Aufgabe, die ohne Erfahrung kaum zu bewerkstelligen ist«, so Thomas Wunderlich, einer der drei Kapitäne, die für die Reederei F. Laeisz POLARSTERN durch das Eismeer steuern. Es sei immer wieder eine Herausforderung und auch ein Abenteuer, das Schiff durch mächtige Eisfelder und vorbei an gewaltigen Eisbergen zu lotsen, sagt Wunderlich. Zu erleben, wie es sich aufbäumt, mit aller Kraft die Schollen hinauffährt und mit seinem Gewicht versucht, dem Eis das Genick zu brechen: Rammeisfahrt mit nur langsamem Vorankommen, manchmal nur eine Seemeile in vier Stunden. Eisfahrt – das heißt Geduld, Bedacht, Respekt und braucht Geschick.
Der Zweite Offizier Felix Lauber am Hauptfahrstand auf der Brücke.
In der Nacht kommen die letzten Teilnehmer unserer Expedition in Kapstadt an. 49 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 13 Ländern werden sich gemeinsam mit den 44 Männern und Frauen der Schiffsbesatzung auf den Weg ins Eis machen. Die südafrikanische Agentur, die alle Abwicklungen vor Ort übernimmt, holt uns mit Kleinbussen ab. Die Fahrt vom Stadtzentrum in den Hafen ist kurz, der Aufenthalt im Immigration Office leider umso länger. Fast eine Stunde stehen wir in einem kargen Raum, während ein Beamter hinter einer Glasscheibe unsere Pässe prüft. Nach der zeitaufwendigen Prozedur sind es nur noch wenige Minuten Busfahrt zum Liegeplatz der POLARSTERN. Mit schwerem Gepäck geht es die steile Gangway hoch – endlich an Bord.
Unsere Pässe geben wir sofort wieder ab. Der Funkoffizier Georg »Schorsch« Koch nimmt sie in Empfang, um sie bis zum Ende der Fahrt zu bewahren, denn dann muss er die Papiere für die Ausreise in Südamerika fertig machen. An das Ende der Fahrt möchten wir natürlich noch nicht denken. 65 Tage und Nächte auf See und über 5.000 Seemeilen quer durch das fast vollständig mit Eis bedeckte Weddellmeer liegen vor uns. Vorfreude beim Auspacken und Einrichten. Jeder sucht die ihm zugeteilte Kammer. Anders als auf Passagierschiffen heißt es auf Forschungsschiffen tatsächlich Kammer und nicht Kajüte oder Kabine. Die Kammern sind zweckmäßig, zwei Betten, ein Schreibtisch, schmale Schränke und ein Kühlschrank. Zwei viereckige Bullaugen geben den Blick auf das Meer frei. Bis auf wenige Ausnahmen teilen sich immer zwei Wissenschaftler eine Kammer – Leben und Arbeiten auf beengtem Raum, Privatleben unmöglich.
Noch liegt POLARSTERN ruhig im Hafen. Von Deck aus bietet sich die Aussicht auf den Tafelberg.
Solange POLARSTERN ruhig im Hafen liegt, nutzen wir den Tag für das Verstauen der Ausrüstung und das Einrichten der Labore. Die erste Nacht auf See könnte unruhig werden, bei Seegang muss alles gut festgezurrt sein.
Alukisten, Kartons, Bojen, Schneemasten – noch stapelt sich unsere Ausrüstung und das Labormaterial im großen Nasslabor des Schiffes bis fast unter die Decke. Der Arbeitsgang ist vollgestellt. »POLARSTERN ist so beladen wie schon lange nicht mehr«, sagt Ladungsoffizier Felix Lauber. Sechs Container müssen unter seiner Regie so aus- und umgeräumt werden, dass die Wissenschaftler an Geräte und Material kommen, um die Labore einzurichten und zusätzliche Messgeräte an Bord zu installieren. Für den Fahrtleiter heißt das, im allgemeinen Chaos den Überblick behalten und die Laborräume so verteilen, dass alle Wünsche der Wissenschaftler berücksichtigt werden.
Zwischendurch noch schnell in den Systemraum auf dem F-Deck. Er ist für alle die erste Anlaufstelle, um während der Zeit auf dem Schiff einen Kontakt zur Außenwelt aufzubauen. Systemmanager Andreas Winter, von allen nur kurz »Sysman« genannt, prüft die mitgebrachten Computer, Festplatten und USB-Sticks auf Viren. Erst danach bekommt jeder seine schiffsinterne E-Mail-Adresse. Die »Nabelschnur« in die Heimat ist aber sehr dünn, da private E-Mails nur kleine Datenmengen umfassen dürfen, damit das Bordsystem nicht überlastet wird.
Die Ausräum- und Umpackarbeiten werden am frühen Abend durch die Ankunft des Lotsenbootes unterbrochen. Wir stehen an Deck und blicken ein letztes Mal auf Kapstadt. Das Postschiff nach St. Helena zieht im Hafen noch an uns vorbei, dann können wir auslaufen. Der Lotse, bei unserem Manöver eine junge, resolute und sehr freundliche Südafrikanerin, geht um 18.24 Uhr von Bord. Die Sonne ist bereits untergegangen. Den Tafelberg sehen wir nur noch als dunkle Silhouette, während POLARSTERN langsam Fahrt aufnimmt. Die Küstenlinie Südafrikas funkelt in Tausenden von Lichtern durch die Nacht.
Ein letzter Blick auf Kapstadt während wir auslaufen. Land werden wir in den nächsten neun Wochen nicht mehr sehen.
Sonntag, unser erster Morgen auf See. T-Shirt-Wetter, strahlender Sonnenschein und ein tiefblaues Meer, auf dem sich weiße Schaumkronen leicht kräuseln, kaum Seegang, milde 14 °C. Kapitän Uwe Pahl und seine Offiziere begrüßen die Wissenschaftler und geben eine erste Einweisung für das Leben und die Arbeit an Bord. Dann der Generalalarm: Sieben kurze und ein langer Signalton schallen aus den Bordlautsprechern. Jetzt heißt es schnell sein, die Rettungsweste aus der Kammer holen und rasch aufs Helideck. Sicherheitsoffizier Igor Hering hatte zuvor schon darauf hingewiesen, dass feste Schuhe und warme Kleidung Pflicht seien. So stehen wir bei schönstem Sonnenschein dick verpackt mit Mütze, Handschuhen, warmer Jacke und Rettungsweste auf dem Deck – für den Ernstfall gut gerüstet – und haben die obligatorische Sicherheitsübung absolviert.
Wissenschaftler und Crew bringen den Kranzwasserschöpfer vom Arbeitsdeck aus. Im Windenleitstand verfolgen Matthias Krüger (l.), Friedrich Richter (r.) und Bordelektroniker Werner Dimmler (M.) die Messungen.
Die Bordwetterwarte sagt Windstärken von 6 bis 7 und Wellenhöhen von bis zu 3,5 Metern voraus – gute Bedingungen für einen reibungslosen Ablauf der geplanten Forschungsarbeiten. Bis zur ersten Messstation auf 55° Süd sind es noch etwa vier Tage. Mit Hochdruck wird am Umbau des Kranzwasserschöpfers mit der CTD-Sonde gearbeitet. Sie misst u. a. Temperatur und Salzgehalt des Wassers. Sensoren, die vor unserer Fahrt noch beim Hersteller in den USA neu kalibriert wurden, müssen an Bord eingebaut werden.
Bevor wir mit dem eigentlichen Arbeitsprogramm beginnen, steht eine erste CTD-Teststation an. Aus verschiedenen Tiefen bringt der Kranzwasserschöpfer pro Flasche zwölf Liter Wasser aus dem Südpolarmeer an Bord. Während des Einsatzes bauen sich die Daten der CTD-Sonde in verschiedenfarbigen Linien auf einem Computerbildschirm im Windenleitstand auf. Matthias Krüger verfolgt die feinen Linien und freut sich: »Perfekt, die neuen Sensoren arbeiten hervorragend.« Der junge Wissenschaftler vom Kieler GEOMAR studiert Ozeanografie, und obwohl er gerade erst seinen Bachelor gemacht hat, leitet er das CTD-Team. Gemeinsam mit Johannes Sutter, Doktorand am Alfred-Wegener-Institut, und Friedrich Richter, Masterstudent der Meteorologie an der Universität Hamburg, ist er zuständig für den Einsatz des Kranzwasserschöpfers mit der CTD-Sonde. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, denn das Weddellmeer gehört zu den wichtigsten Gebieten, in denen ozeanisches Tiefen- und Bodenwasser erzeugt wird. Die Daten sind begehrt. Über die Wassermassenbildung im Winter ist bisher nur wenig bekannt. Seit über 20 Jahren wird hier im Sommer gemessen, nun können auf unserer Fahrt erstmals seit 1992 wieder Daten während der Wintermonate gewonnen werden. Anhand der Temperatur- und Salzgehaltsprofile wollen wir überprüfen, ob sich der Ozean auch in großen Tiefen weiter erwärmt. Daher liegt der Schwerpunkt der ozeanografischen Arbeiten auf zwei hydrografischen Schnitten entlang des Greenwich-Meridians und quer durch den Weddellwirbel.
Im Abstand von 60 Seemeilen wird das Schiff für eine Station stoppen, und das bedeutet für Matthias Krüger und sein Team, dass der Wecker auch schon mal nachts um 3 Uhr klingelt. Gemeinsam mit der Crew auf dem Arbeitsdeck und im ständigen Kontakt mit dem wachhabenden Offizier auf der Brücke wird der Kranzwasserschöpfer routiniert ausgebracht. Bei einer Wassertiefe von etwa 4.000 Metern dauert die »Reise« zum Meeresboden und zurück im Regelfall gut drei Stunden. Doch bei unserer Teststation ist plötzlich alles anders. Laut Karte sollte der Ozean hier 3.000 bis 4.000 Meter tief sein. Wir messen aber eindeutig nur 1.620 Meter und haben offensichtlich einen noch unbekannten Seamount entdeckt.
Kranzwasserschöpfer im Wasser und wieder an Bord: Expeditionsteilnehmerin Anna Granfors füllt das Meerwasser in Probenflaschen ab.
Auf der ersten regulären CTD-Station, mit der unser ozeanografisches Messprogramm beginnt, stimmen die gemessenen Wassertiefen mit der Karte überein, und alles läuft nach Plan. Dennoch bekommt die Station für alle eine besondere Bedeutung. Fahrtleiter Peter Lemke widmet sie seinem langjährigen Freund und Kollegen Eberhard Fahrbach, der nach schwerer Krankheit vor unserer Expedition verstorben ist. Eberhard Fahrbachs Seele ist eng mit diesem Schnitt verbunden. Er hatte Mitte der 1980er-Jahre die Idee, auf dem Greenwich-Meridian und auf dem Querschnitt durch das Weddellmeer vom Kontinent zur Spitze der Halbinsel die Eigenschaften des Ozeans zu messen und damit die Änderung der Wassermassen in einem entscheidenden Gebiet des Weltozeans zu dokumentieren. Nach einer kurzen Gedenkminute bringen wir den Kranzwasserschöpfer in die Tiefen des Ozeans aus.
Das Meer ist weiterhin sehr ruhig. Den Roaring Forties, den »brüllenden Vierzigern«, scheint die Puste ausgegangen zu sein. Jeden Morgen treffen sich die sieben Arbeitsgruppen um 9 Uhr zum wissenschaftlichen Meeting im »Kinosaal« des Schiffes. Jeder stellt seine Arbeit kurz vor, der Fahrtleiter erläutert die Stationsplanung, und die Bordwetterwarte, mit einem Wettertechniker und einem Meteorologen des Deutschen Wetterdienstes besetzt, gibt den täglichen Wetterbericht. Der ist u. a. wichtig, um abzuschätzen, ob unsere Hubschrauber zu Messflügen starten können. Seit unserer Abfahrt in Südafrika sind die Temperaturen von 15 °C auf 1 °C gefallen. Minusgrade kündigen sich mit deutlich kälterer Luft an. Unser Wettermann sagt Schnee und Nachtfrost voraus. Die Seesäcke mit der Polarkleidung, die vorab aufs Schiff gesendet wurden, stehen zur Abholung im Geräteraum bereit.
Transit ins Arbeitsgebiet. Noch ist die See ruhig und kein Eis in Sicht.
Wir nähern uns dem Polarkreis. Das Tageslicht nimmt zusehends ab. Die Besprechung auf der Brücke, zu der sich Kapitän, Offiziere und Fahrtleiter jeden Morgen noch vor dem Frühstück um 7 Uhr für eine kurze Planung des Tages treffen, findet nach einer Woche auf See bereits im Dunkeln statt. Die Sonne geht erst um 8.45 Uhr auf und bereits sechseinhalb Stunden später, um 15.13 Uhr, wieder unter. Unsere Uhren an Bord sind auf den Universal Time Code eingestellt und werden erst nach dem Ende der Forschungsarbeiten auf dem Transit nach Punta Arenas schrittweise auf die chilenische Zeitzone angepasst.
Wettertechniker Hartmut Sonnabend vom Deutschen Wetterdienst lässt einen Wetterballon starten.
Die wenigen Sonnenstunden genießen wir an Deck für kurze Momente zwischen der Arbeit. »In der Polarnacht werden wir die Sonne für einige Wochen überhaupt nicht mehr sehen. Solange sie noch da ist, muss man das ausnutzen«, sagt Sandra Schwegmann, die gerade auf dem Helideck sitzt und in die Sonnenstrahlen blinzelt. Die promovierte Physikerin leitet die Meereisgruppe. Vor zwei Jahren war sie das erste Mal mit POLARSTERN im Südpolarmeer – damals war allerdings Sommer. Ausdehnung, Dicke, Drift und Volumen des Meereises kann sie nun erstmals im antarktischen Winter untersuchen.
Im Moment heißt es aber noch warten, Geräte testen, Arbeitsabläufe und Einsätze planen. Sobald wir das Meereis erreicht haben, kommt als Erstes MAiSIE zum Einsatz. Die Abkürzung steht für »Multi-Sensor Airborne Sea Ice Explorer«, ein sogenannter EM-Bird. Dieser »elektromagnetische Vogel« sieht aus wie ein Torpedo und wird an einem 20 Meter langen Datenübertragungskabel in einer Höhe von zehn bis 15 Metern vom Hubschrauber über die Eisoberfläche geschleppt. So können wir über längere Strecken von bis zu 90 Meilen die Dicke des Meereises messen, denn das Gerät liefert mit elektromagnetischen Feldern zehnmal pro Sekunde einen Eisdickenmesswert.
Für den Fang kleiner Ruderfußkrebse bereitet Meeresbiologin Caroline Hauer das Multinetz vor.
Mit vereinten Kräften wird das Multinetz auf dem Arbeitsdeck für den Einsatz im Ozean vorbereitet und ausgesetzt.
Viele Arbeiten werden die Meereisphysiker aber erst auf den Eisschollen durchführen können. Die Dicke des Meereises wird dann u. a. mit einem Messgerät bestimmt, das mit dem 80 Kilogramm schweren EM-Bird verwandt, aber sehr viel kleiner und handlicher ist und somit in einem Schlitten über die Eisscholle gezogen werden kann. Noch ist aber kein Eis in Sicht, und auch unsere Bojen, mit denen wir die Entwicklung des Meereises erfassen wollen, müssen auf ihren Einsatz warten.
Derweil sind die Biologen mit dem Multinetz mitten im Arbeitseinsatz. Sie wollen die Überwinterungsstrategien der Copepoden erforschen. Die kleinen, nur millimetergroßen Ruderfußkrebse fangen sie mit einem Gerät, an dem neun, manchmal nur fünf feinmaschige Netze mit Auffangtrichtern angebracht sind. Dieses Multinetz wird vom Arbeitsdeck aus in das Südpolarmeer ausgebracht und erfasst Zooplankton in unterschiedlichen Wassertiefen. An einigen Stationen kommt das sehr viel kleinere Bongonetz zum Einsatz, mit dem die winzigen Tiere ebenfalls schonend gefangen werden können. An Bord werden die Fänge sortiert und im Labor untersucht.
Nur leichter Seegang: Die Wellen brechen sich an der Bordwand und fluten das Arbeitsdeck.
Am zweiten Sonntag auf See ein kurzer Rundgang vom windigen Peildeck hinab zum Arbeitsdeck. Die Wellen brechen sich an der Bordwand und fluten das Deck. Gegen Mittag ziehen zwei Buckelwale am Schiff vorüber – eine Mutter mit ihrem Kalb. Bei 57° 12,9’ S, 0° 0,3’ W sehen wir abends den ersten Eisberg, auf seiner Kuppe stehen Dutzende von Pinguinen. Der Südostwind bringt eisige Luft. Wir haben die Polarfront überquert. Für den Wochenbeginn sagt der Bordmeteorologe Temperaturen von unter –25 °C voraus. In etwa drei Tagen werden wir endlich die Eisgrenze erreichen.

Rückblick Antarktis-Expedition 21.05.– 05.08.1992 Logbuch Peter Lemke

Norddeutsches Schmuddelwetter beim Auslaufen. Der Tafelberg verhüllt seine eindrucksvolle Schönheit in dichten Wolken. Nebelbänke ziehen die Küste entlang. Kapstadts Lichter verschwinden langsam am Horizont. Wir dampfen nach Südwesten auf unsere erste Teststation zu. In der Nacht nimmt die Dünung stark zu. POLARSTERN macht mit zwei Maschinen nur fünf bis sechs Knoten.
Am nächsten Morgen testen wir die CTD-Rosette, mit der Salzgehalt und Temperatur des Ozeans gemessen und Wasserproben aus verschiedenen Tiefen genommen werden. Der Stationsbetrieb spielt sich in den nächsten Tagen ein. Der erste Teil dieses Fahrtabschnitts steht ganz im Zeichen der Ozeanografen. Sie versuchen, auf dem Schnitt von Kapstadt zur Antarktis die Wärme- und Salzgehaltsstruktur des Ozeans und die Verteilung der Spuren- und Nährstoffe zu erkunden. Dieses Projekt ist ein Teil des internationalen World Ocean Circulation Experiments (WOCE), mit dem man versucht, die Wirkungsweise des Ozeans, der Wärme in den Tropen aufnimmt und in den Polargebieten abgibt, besser zu verstehen und die Rolle dieser »Wärmemaschine« im Klimageschehen zu bestimmen. Die Wärmeabgabe in den Polargebieten hängt entscheidend von der Bedeckung des Ozeans mit Meereis ab. Daher gehört der zweite Teil unserer Expedition den Meereisuntersuchungen, an denen Fernerkundler, Meteorologen und Geophysiker beteiligt sind. Begleitet wird dieses Programm von biologischen und chemischen Projekten.