Der Geruch von Licht - Bettina Wohlert - E-Book

Der Geruch von Licht E-Book

Bettina Wohlert

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Beschreibung

Mari ist jung und lebenslustig und lässt sich nicht unterkriegen, obwohl sich das Leben gerade für sie oft genug quer gestellt hat. Auf einem Gehörlosenkongress trifft sie Nick, den Mann mit den unglaublich blauen Augen, den zum Drin-Versinken blauen Augen. Und einem Lächeln, bei dem die Sonne aufgeht und bei dem Mari erst dann bemerkt, dass offenbar seit Ewigkeiten Nacht um sie herum war. Wären da nicht noch Rupert und Frank. Und wenn sie nicht ein paar Geheimnisse hätte, die keiner wissen soll.  

Aber auch Nick hat so seine Heimlichkeiten und erzählt nicht alles.

 

Ein Roman über die große Liebe, über Vertrauen, Verlust und die kleineren und größeren Gemeinheiten, die das Leben so bereithält.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Bettina Wohlert

Der Geruch von Licht

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Vorblatt Vorwort und 1. Kapitel

 

 

Der Geruch von Licht

von

Bettina Wohlert

 

 

Inhalt:

 

Mari ist jung und lebenslustig und lässt sich nicht unterkriegen, obwohl sich das Leben gerade für sie oft genug quer gestellt hat. Eines Tages trifft sie Nick, den Mann mit den unglaublich blauen Augen, den zum drin Versinken blauen Augen. Und einem Lächeln, bei dem die Sonne aufgeht und Mari dann erst bemerkt, dass es seit Ewigkeiten Nacht um sie herum war. Wenn da nicht noch Rupert und Frank wären. Und wenn sie nicht ein paar Geheimnisse hätte, die sie auf keinen Fall jemand anvertrauen darf.

Aber auch Nick hat so seine Geheimnisse und erzählt nicht alles.

 

Ein Roman über die große Liebe, über Vertrauen, Verlust und die kleineren und größeren Gemeinheiten des Lebens.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bettina Wohlert, Jahrgang 1965, lebt mit ihren beiden Söhnen in Berlin. Hauptberuflich arbeitet sie als Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellte. Viele Jahre schon schreibt sie Kurzgeschichten und kleine Theaterstücke, die in Gottesdiensten für kirchenferne Besucher aufgeführt worden sind, sowie Krippenspiele der moderneren Art. Ihr erster Roman „Das Sonnenmal“ erschien 2013 und wurde mit großer Begeisterung aufgenommen.

 

Bisher erschienen:

Das Sonnenmal - 2013

Fünf-Wort-Geschichten – 2014

 

Alle Bücher als eBooks auf Amazon und als Taschenbuch im Online-Shop https://supr.com/online-shop-bettina-wohlert/buecher/das-sonnenmal-taschenbuch/

 

 

 

Der Geruch von Licht

 

von

 

Bettina Wohlert

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © by Bettina Wohlert 2015

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen außerhalb der Nutzung auf einem

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Umschlaggestaltung unter Verwendung eines Bildes von „Bowie15“ über 123RF - Bilderservice

 

 

 

 

So eine Art Vorwort

 

Zum besseren Verständnis vorweg:

Da einige Personen in diesem Buch gehörlos sind, machen sie sich durch Gebärden verständlich. Sie sind in der wörtlichen Rede mit einfachen Anführungszeichen › ‹ gekennzeichnet, um sie von dem laut gesprochenen Wort » « unterscheiden zu können.

Ich habe diese Gebärden in gedrucktem Wort in korrekter Grammatik geschrieben, um das Lesen leichter zu machen.

DGS – Deutsche Gebärdensprache – kennt konjugierte Verben, Artikel und ausformulierte Sätze nicht. Ist etwas z.B. gestern geschehen, gibt die erste Gebärde – ein Winken über die Schulter – an, dass vergangen ist, was folgend mitgeteilt wird.

Der Satz „Ich bin gestern Rad gefahren“ wäre also: ›vergangen‹ ›ich‹ ›Fahrrad‹. (Wie viel Spaß dieser Ausflug gemacht hat, würde man an dem Gesichtsausdruck des Erzählenden sehen, freudestrahlend oder genervt, je nachdem).

Gehörlose verstricken sich üblicherweise nicht in langen Sätzen mit kompliziertem Aufbau, helfen ihrem Gegenüber aber durchaus mit synchronen Lippenbewegungen zu den Wörtern, die sie meinen, auf die Sprünge. Je eingespielter ein Team ist, umso weniger Gebärden sind nötig, damit man sich versteht. Weshalb sie gerne auf Gebärdendolmetscher zurückgreifen, die sie gut kennen.

 

 

»Nein Robin, lass das jetzt stehen, wir müssen doch los.« Martina Bienert seufzte. Wenn die Kinder doch bloß mal hören wollten. Aber je nervöser sie wurde, umso störrischer wurden ihre Söhne. Zum wiederholten Male sah die junge Frau gehetzt auf ihre Armbanduhr und bückte sich dann, um ihrem zappeligen zweijährigen Sohn zum Stillsitzen zu bewegen, während sie ihm die Schuhe anzog.

»Halt doch bitte mal still.« Genervt warf sie sich den langen geflochtenen Zopf über die Schulter und griff nach dem zweiten Schuh.

»Wohin, Mama?« Mit seinen großen, fast schwarzen Augen fixierte der kleine Junge seine Mutter, einen Daumen im Mund, den anderen an seinem Ohrläppchen.

»Weißt du doch. Frank holt euch gleich ab und ihr macht drei Tage Ferien bei ihm und Tante Elschen und Onkel Albert auf dem Hof oben.«

»Und was machst du?«, fragte Christopher. Er saß auf der schmalen Treppe ein paar Stufen über seinem kleinen Bruder.

»Hase, fragt mich doch nicht immer das Gleiche. Das hab ich dir doch schon fünf Mal erklärt.«

Martina warf sich den Zopf ungeduldig erneut über die Schulter und begann, Robins Arme in die Jeansjacke zu fädeln.

»Du darfst Zug fahren«, maulte Christopher.

»Ich muss arbeiten!«, stellte sie richtig. »Und komm nur mit dem Zug dorthin.«

Draußen knirschten Autoreifen auf dem Kies, gleichzeitig ertönte ein lautes Hupen.

»Los, kommt, beeilt euch. Frank ist schon da!« Auffordernd sah sie zu dem größeren Jungen hinüber, der den Kampf mit den Klettverschlüssen seiner Schuhe alleine ausgefochten hatte.

»Christopher, du hast Entenfüße. Tausch die Schuhe aus!«

»Guten Morgen, Lotti-Karotti!«

Hinter ihr erschien ein großer, breitschultriger Mann in der Haustür und begrüßte sie fröhlich, indem er an ihrem roten Zopf zog.

»Hab ich es mir doch fast gedacht! Wieder mal nicht fertig.«

»Halt ja den Mund«, maulte Martina. »Glaub ja nicht, dass es schneller geht, wenn du jetzt noch drängelst.«

»Sicher nicht.« Frank Wille grinste sie breit an, tauschte mit zwei raschen Griffen die Schuhe an den Füßen des Vierjährigen und griff nach der fertig gepackten Reisetasche neben der Tür, während er gleichzeitig Christopher vor sich her zum Geländewagen dirigierte.

»Los, Cowboy, rein mit dir!«

»Fra-hank, Fra-hank«, brüllte der kleinere der beiden Jungen hinter ihm. »Ich auch!«

»Na klar, du auch! Ohne dich geht doch gar nichts.« Er hob Robin mit Schwung in den Kindersitz auf der Rückbank und half ihm beim Anschnallen.

»Endlich fertig, du Schnarchnase?« Er wandte sich zu Martina um.

»Ich bin schon lange fertig! Es sind zwei kleine Kinder, die mich aufhalten!«

»Oh, der Verrat an deinen Söhnen ist bitter und schwer zu verkraften in frühester Kindheit...« Mit einer theatralischen Geste griff sich Frank an die Brust.

»Verschone mich mit deinen humorigen Weisheiten am frühen Morgen.« Martina ließ sich stöhnend auf den Beifahrersitz fallen, grinste Frank dabei aber breit an.

»Danke, dass du mich fährst.«

»Immer zu Ihren Diensten, Madam.«

Frank gab Gas und fuhr langsam aus der Einfahrt des Philharmonikerhäusls, dem kleinen Gästehaus vom Rabengut in Liefering. Es war nicht weit bis zum Salzburger Hauptbahnhof, aber die Strecke würde um diese Uhrzeit gnadenlos verstopft sein, vor allem die Hauptverbindung über die Lehener Brücke.

»Warum können wir nicht mitkommen mit dir?«, wollte Christopher wissen.

»Das hab ich dir doch schon gestern erklärt. Ich muss...«

»... arbeiten. Und das ist zu langweilig für uns. Und dann machen wir nur Blödsinn und das nervt dich. Das ist blöd.«

»Jeder muss arbeiten, um Geld zu verdienen. Das weißt auch du.«

»Aber er hat recht«, mischte sich Frank ein. »Claudia kann wirklich froh sein, dass du für sie einspringst.«

»Hör mal«, warf Martina aufgebracht ein, »das ist wohl das Mindeste, wenn ihre Mutter seit zwei Tagen im Krankenhaus ist.«

»Vorher hat Rupert dich auch nicht gefragt. Und wenn ihm dein Wohl so am Herzen liegen würde, wie er immer tut…«

»Sag mal! Du weißt doch, das Gehörlose ihre festen Dolmetscher haben. Und Rupert hat nun mal Claudia.«

»Außer sein Schwesterherz kann nicht. Dann greift er auf dich zurück!«

»Genau. So funktioniert das.«

»Du bist aber nicht zweite Wahl!«

»Natürlich! Wir sind alle bei irgendjemandem zweite Wahl oder noch weniger. So ist das Leben.«

Frank zog es vor zu schweigen. Es war absolut unnötig, Martina auch noch zu sagen, dass sie bei Marco, ihrem Exmann, offenbar in die Kategorie noch weniger gefallen war.

»Holt Rupert dich ab?«

»Nein, wir treffen uns erst im Hotel. Er muss sich um ein paar Gäste kümmern. Wo fährst du eigentlich hin? Du musst nach rechts zum Bahnhof!« Sie deutete in die entgegengesetzte Richtung, hinüber zur Salzburger Altstadt.

»Lass mich fahren, wie ich will. Hauptsache, du bekommst deinen Zug.«

Konzentriert fädelte Frank den Wagen in den zähfließenden Verkehr ein. Martina zog es vor, den Rest des Weges schweigend zurückzulegen. Es war immer besser, Frank nicht noch mehr zu reizen und schon gar nicht damit, dass sie ihm sagte, wie er fahren solle.

Am Bahnhof sprang sie hastig aus dem Wagen und verabschiedete sich von ihren Söhnen. Auch Frank bekam seine obligatorische Umarmung und einen liebevollen Kuss.

»Kleines, hast du alles? Brille? Geld? Bahnticket? Hotelbuchung? Kongressunterlagen? Dein Armband?«

»Impfbuch, Allergiepass, Handy für Kontrollanrufe«, äffte Martina ihn nach, »alles dabei.«

»Das Armband?« wiederholte Frank und sah sie mit einer hochgezogenen Braue an. Martina rollte mit den Augen, zog den Ärmel ihrer Jacke etwas hoch und klimperte mit dem Sammelarmband in seine Richtung.

»Natürlich! Kümmere dich einfach um deinen Kram, ja? Ich komm auch ganz alleine ohne dich klar.«

»Ruf an, wenn du da bist!« Frank grinste ihr breit hinterher. Sie würde natürlich nicht anrufen. Sie rief nie an. Aber sie würde sich darüber ärgern, dass er es gesagt hatte und das war völlig ausreichend.

 

~~~

 

Martina ließ sich aufatmend auf den Sitz im Zug plumpsen. Jetzt blieb nur noch, von Salzburg so schnell wie möglich nach München zu kommen. Hoffentlich hatte der Zug keine Verspätung. Es gab einfach Tage, da ging alles schief und genau so ein Tag schien es zu sein. Zu guter Letzt hatte sie die Kinder vorhin mit ihrer Ungeduld so nervös gemacht, dass sie sich bockbeinig wie die Esel verweigert hatten und überhaupt nichts mehr geklappt hatte. Seufzend griff sie nach den Konferenzunterlagen, die Claudia ihr gestern Abend noch vorbei gebracht hatte.

»Martina Bienert, du bist die beste Freundin, die ich habe. Das ist wirklich toll, dass du das für mich machst«, hatte sie gesagt. »Rupert hat fast die Krise bekommen, weil er sich schon mit einem Ersatzdolmetscher gesehen hatte, dem er jeden Satz hätte dreimal sagen müssen. Du weißt ja, wie er ist, bei ihm bricht in solchen Situationen ja immer das mittlere Chaos aus. Nie im Leben hätte er einen fremden Dolmetscher so fit machen können. Und ich kann jetzt einfach nicht fahren, wo Mama im Krankenhaus ist.«

Martina hatte alle Hände voll zu tun gehabt, ihre Freundin zu beruhigen und zu trösten. Eigentlich war es doch selbstverständlich, dass sie für Claudia einsprang, fand sie. Außerdem hatte Claudia recht. Rupert hätte mit Sicherheit auf die Schnelle nicht so leicht einen Ersatzdolmetscher gefunden. Und schon gar keinen, der ihm recht gewesen wäre. Rupert war sehr eigen mit den Ansprüchen an einen Dolmetscher. Umso glücklicher war er, dass Martina zugesagt hatte, Claudias Part zu übernehmen.

»Ihr versteht euch immer noch blind«, hatte Claudia gesagt.

Und genau da war das Problem, fand Martina. Rupert hatte ihr nie wirklich verziehen, dass sie seinen Antrag abgelehnt hatte und stattdessen Marco geheiratet hatte. Und Rupert würde auch in den nächsten Tagen keine Gelegenheit auslassen, ihr das wieder und wieder unter die Nase zu reiben.

 

Sie seufzte einmal tief auf, dann zog sie ihren Laptop aus der Tasche und öffnete das Bilderverzeichnis. An und für sich war es ein Witz, fand sie, dass Gehörlose Dolmetscher für die Verständigung untereinander brauchten. Aber fast jedes Land hatte im Laufe der Zeit eine eigene Gebärdensprache entwickelt und daher gab es die üblichen Verständigungsschwierigkeiten, wenn Menschen verschiedener Sprachen aufeinander trafen. Wenn wie bei den Amerikanern viel über ein Fingeralphabet buchstabiert wurde, setzte das voraus, dass das Gegenüber nicht nur Gebärden verstehen konnte, sondern dazu noch Englisch. Selbst Deutsche und Österreicher gebärdeten anders. Und genau an diesem Punkt kam sie ins Spiel. Sie konnte drei Gebärdensprachen. Sie war eine Art Joker. Claudia war schon seit Kindergartentagen ihre beste Freundin und die ersten Gebärden hatte sie wie nichts von ihr und Rupert gelernt. Als aus dem schlaksigen Jungen ein gutaussehender junger Mann geworden war, der ihr schöne Augen gemacht hatte, hatte sie wie selbstverständlich mehr und mehr Gebärden von ihm gelernt, gelernt, seine Körpersprache zu lesen und vor allem, mit ziemlicher Genauigkeit zu ahnen, was er ausdrücken wollte. Sie verstanden sich mit einem Mindestmaß an Gebärden. Sie verstanden sich viel zu gut, fand Martina. Er konnte in ihr lesen, wie in einem offenen Buch. Und manchmal war ihr das einfach zuviel.

Rupert war inzwischen Dozent an der Gallaudet Universität für Gehörlose in Washington. Er hatte ihr viel von den amerikanischen Gebärden beigebracht, aber da sie in den letzten fünf Jahren ohne praktische Anwendung aus der Übung gekommen war, musste sie ihr Gebärdenvokabular wieder auffrischen. Konzentriert begann sie einige Gebärden von den Bildern nachzuformen, während sie die englischen Worte lautlos vor sich hin murmelte. Sie war ihm dankbar, dass er sich die Mühe gemacht hatte, für sie eine Art Wörterbuch mit den ausgefalleneren amerikanischen Gebärden anzulegen. Sie würde noch bis zum nächsten Vormittag Zeit haben, sich wieder fit zu machen.

 

~~~

 

Im Foyer vor dem Veranstaltungssaal blieb Martina einen Augenblick unschlüssig stehen. Um sie herum war ein unglaubliches Gewühl von Menschen. Am Vorabend noch hatte sie Rupert eine SMS geschickt, der sich für die Dauer des Kongresses bei Claudia häuslich eingerichtet hatte. Eigentlich hätte ja auch Martina dort schlafen sollen, aber sie hatte es vorgezogen, direkt im Tagungshotel zu wohnen. Hieß es doch zum einen, dass sie nicht jeden Tag zweimal den Weg durch die ganze Stadt machen musste. Außerdem hatte Rupert dadurch auch mehr Platz. Von früher wusste Martina nur zu genau, dass Rupert innerhalb kürzester Zeit eine unglaubliche Unordnung mit dem von ihm seiner Meinung nach unbedingt benötigen Krimskrams veranstalten konnte. Und es war bestimmt nicht besser geworden, seit er an der Universität unterrichtete und sich mehr denn je wie ein zerstreuter Professor benahm.

Dazu kam, dass nichts schlimmer wäre, als Rupert Tag und Nacht auf der Pelle sitzen zu müssen. Er würde ihr ständig die eine Frage stellen, die sie nicht mehr hören konnte, und von der er meinte, es wäre so lustig, es wieder und wieder zu tun. Es war eindeutig besser, wenn sie räumlich getrennt waren.

Sie reckte den Hals und sah sich suchend um. Es war ihr schleierhaft, wie Ruppert sie in diesem Gewühl finden wollte. Er würde nicht nach ihr rufen. Es war dazu nicht besonders hilfreich, dass sie wegen ihrer geringen Größe in der Menge leicht zu übersehen war, weil so ziemlich alle anderen sie lässig überragten. Ihr würde nichts anderes übrigbleiben, als in der Nähe des Saaleingangs zu warten, bis sich das Foyer etwas geleert hatte.

Als sich eine Hand auf ihre Schulter legte, fuhr sie herum. Hinter ihr stand ein schlaksiger dunkelhaariger Mann und grinste sie fröhlich an.

›Hallo, Nett dich auch in natura und nicht nur beim Skypen auf dem Bildschirm zu sehen.‹

›Hallo, Rupert!‹ Sie lächelte. ›Wie hast du mich in dem Gewühl gefunden?‹

Statt einer Antwort griff Rupert nach ihrem Zopf und grinste nur vielsagend. Martina rollte mit den Augen. Seine Geste war so deutlich, als ob er es laut gesagt hätte. Mit dieser Haarfarbe konnte sie einfach nicht übersehen werden. Wieder einmal verwünschte sie das leuchtende Rot ihrer Haare. Warum sie als einzige ihrer Familie mit dieser Plage geschlagen war, war ihr unverständlich.

›Wie geht’s eurer Mutter?‹

›Besser, danke. Sie ist froh, dass Claudia bei ihr sein kann. Danke, dass du eingesprungen bist.‹

›War doch selbstverständlich.‹ Martina winkte ab. Allerdings hatte sie auch wieder Franks Lästereien im Ohr.

»Claudia hat genau gewusst, dass sie dich nur zu fragen braucht und dein Helfersyndrom wieder anspringt. Und unser gemeinsames Wochenende, das wir so lange geplant haben, fällt einfach so ins Wasser«, hatte er gemault.

»Wen hätte sie denn sonst fragen sollen?«, hatte Martina eingeworfen. »Außerdem kann ich das Geld gut gebrauchen.«

Das war endlich das Argument gewesen, das Frank zum Schweigen gebracht hatte. Wahrscheinlich würde er aus Trotz alleine mit den Jungs die Wanderung machen, vermutete sie.

»Warum tust du es nur immer wieder?«, hatte Frank gefragt. »Wenn er dir auf die Nerven geht und dich wieder fragt, schickst du ihn endgültig in die Wüste, klar?!« Er hatte sie so aufgebracht angesehen, dass sie diese Aufforderung einfach nur brav abgenickt hatte, damit er endlich Ruhe gab.

Rupert ging ihr nicht auf die Nerven. Ihr ging nur die eine Frage auf die Nerven, die er nur zu gerne stereotyp wiederholte. Sie hoffte inständig, dass er sich wenigstens während der Konferenz zusammennehmen würde.

Rupert dirigierte sie an den vielen Menschen vorbei zum Eingang zur Bühne.

›Hast du das Skript gelesen? Weißt du, was du sagen sollst?‹

Rupert sprang kopfüber in das Berufliche und Martina ließ sich sofort mitziehen. Er brauchte sie voll konzentriert und professionell, da würde es ihr nicht helfen, wenn sie über Frank nachdachte oder über die alten Zeiten mit Rupert. Sie würde ihm die nächsten Tage die Vorträge anderer übersetzen und seine Dolmetscherin in den verschiedenen Seminaren sein.

 

~~~

 

›Was jetzt?‹ Es war Mittag geworden, und Martina war selten so erleichtert über eine Pause gewesen. Sie sah Rupert fragend an.

›Ich habe vorhin einen Kommilitonen von der Uni getroffen. Wir haben uns zum Essen verabredet. Dachte, du kommst einfach mit.‹

›Ja. Gut.‹

Rupert griff nach ihrem Arm und zog sie über die Straße zu einem italienischen Restaurant. Zielstrebig steuerte er einen Tisch in der hinteren Ecke an, an dem bereits zwei Männer saßen und angeregt gestikulierten. Der eine trug seine dunkelblonden Haare kurzgeschnitten und blinzelte Martina fröhlich aus grauen Augen an, als Rupert ihn als Ethan vorstellte. Er erhob sich zu wahrer hünenhafter Größe, als er aufstand, um ihr die Hand zu geben.

›Das‹, grinste Rupert fröhlich in die Runde, ›ist Martina, die hübscheste Dolmetscherin, die ich kenne, und das ist Ethans Bruder.‹ Martina war bei Ruperts Gesten so rot geworden, dass sie ihren dunkelroten Haaren Konkurrenz machte. Befangen lächelte sie Ethan an und setzte sich rasch, als Rupert ihr einen Stuhl hinschob.

›Sorry, ich hab deinen Namen vergessen.‹ Rupert lächelte das Gegenüber von Ethan entschuldigend an, während er mit den Schultern zuckte.

›Ich bin Nick.‹ Seine Hände formten die Worte, ohne dabei seinen Blick von Martina abzuwenden.

Während des gesamten Vortrages vorhin war sein Blick schon immer wieder zu ihr hinüber gewandert, obwohl er ihre Gebärden nicht verstehen konnte. Sie war sehr konzentriert gewesen, als sie die amerikanischen Gebärden in deutsche übertragen hatte. Eigentlich schade, hatte Nick bedauert, dass aus diesem hübschen geschwungenen Mund kein Ton herauskam. Aber immerhin lächelte dieser Mund ihn im Moment auf ziemlich umwerfende Art an. Aus ihrem Zopf hatten sich einzelne Strähnen gelöst und ringelten sich vor ihren Ohren. Nick gab Rupert unumwunden und uneingeschränkt recht. Das war eindeutig und wahrhaftig die hübscheste Dolmetscherin, die es gab.

Entschuldigend hob sie die Hände.

›Ich hab den Namen leider nicht verstanden.‹

›Oh, ja natürlich.‹ Nick zuckte zusammen. Wie immer hatte er, um seinen Namen zu buchstabieren, das britische Fingeralphabet benutzt. Rasch buchstabierte er noch einmal mit den amerikanischen Zeichen. Er schenkte ihr eines seiner strahlendsten Lächeln, die er auf Lager hatte. Wenn sich die Gebärden ihrer Sprachen stärker unterschieden, würde er die ganze Zeit Ethan als Dolmetscher brauchen, der alles in amerikanische Gebärden übersetzte, oder er würde buchstabieren müssen, was jeglichen Gesprächsfluss hemmen würde.

›Das war die britische Variante, oder?‹ Ihre goldbraunen Augen sahen ihn interessiert an.

›Ja, britisch.‹ Er nickte hastig.

›Ich wollte schon immer mal jemanden kennenlernen, der mich in diese Kunstfertigkeit einweist.‹

›Soll ich?‹ Nick warf ihr einen fragenden Blick zu. Als sie nickte, sprang er auf.

›Gleich wieder da‹, machte seine Hand. Martina sah ihm interessiert hinterher. Er war schmaler und auch ein Stück kleiner als sein Bruder. Im Gegensatz zu Ethan hatte er dunkle wellige Haare, die er so lang trug, dass sie ihm in den Augen hingen und er sie ständig zurückstreichen musste. Die Augen waren ihr sofort aufgefallen. Sie waren so unwahrscheinlich blau, dass sie ständig hinsehen musste.

Mit einem jungenhaften Grinsen, das von seinem Bart beinahe verdeckt wurde, kehrte Nick zurück und schwenkte triumphierend einen Kugelschreiber, als er sich neben ihr niederließ.

›Also, die Hand ist folgendermaßen eingeteilt… darf ich?‹ Er hielt den Stift fragend hoch. Als Martina nickte, begann Nick, ihr das Alphabet auf die Hand zu malen. Er hatte unglaublich schmale sensible Hände, fand Martina, während sie ihm dabei zusah, wie er schrieb.

›Alles klar?‹ Er warf ihr ein kurzes strahlendes Lächeln zu, das ziemlich schnell wieder verschwand. Schade, dachte sie, dass immer die niedlichsten Kerle irgendein Handicap hatten. Entweder waren sie verheiratet, hatten so blöde Angewohnheiten wie Rauchen oder Drogen, waren schwul oder sonst was. Nun, Nick war ganz niedlich. Nein, entschied sie, er ist schlichtweg süß. Schade nur, dass sie solche Verständigungsschwierigkeiten hatten.

›Was machst du in England?‹ fragte sie.

›Ab und zu arbeite ich tatsächlich.‹

›Als was?‹

›Alles mögliche. Mal hier, mal dort.‹

›Haben Gehörlose es in England auch so schwer?‹

›Ich denke schon.‹ Pause. Und wieder so ein schüchternes Grinsen. Er verhielt sich ganz anders als andere Gehörlose, die Martina kannte. Meistens waren diese so glücklich, wenn sie jemand verstand, dass sie ohne Punkt und Komma redeten. Es blieb kaum Zeit zum Essen, weil die Hände ständig beschäftigt waren. Nick dagegen machte lange Pausen. Als ob er nicht wüsste, was er sagen sollte.

 

Rupert tippte Martina an. ›Du wirst dir was zu Essen bestellen müssen, wenn du nicht verhungern willst.‹ Er hielt ihr auffordernd die Karte hin.

›Ich nehm den Salat mit Thunfisch.‹ Martina deutete auf die entsprechende Stelle in der Karte. ›Entschuldigt mich bitte.‹ Sie stand mit einem raschen Lächeln auf und verschwand in Richtung Toilette.

Als sie wiederkam, hatten die Männer schon bestellt.

Für den Rest des Essens folge Martina den Händen von Rupert und Ethan und warf nur ab und zu eine kurze Bemerkung ein. Rupert fiel ihre Schweigsamkeit auf.

›Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns langsam zurückziehen. Die junge Dame hier hat noch einen anstrengenden Nachmittag vor sich.‹

Mit einem zustimmenden Nicken wurden sie von den beiden Brüdern entlassen. Nick sah dem leuchtend roten Zopf noch einen Moment hinterher.

›Na, Bruderherz, heute kein Glück bei den Frauen?‹ Ethans Gesten unterbrachten Nicks Gedanken.

›Nein, leider nicht. Schade, dass sie nicht hören kann.‹

›Die Kleine? Ja, aber nur schade für dich! Ist recht niedlich. Aber zu Hause wird dich ja dann Kate trösten.‹

›Ja, welch ein Trost.‹ Nick reckte den Hals, um noch einen letzten Blick auf Martina zu erhaschen.

›Wenn Kate deinen Gesichtsausdruck gerade gesehen hätte, gäb das wieder Tote!‹

›Sie weiß ja nicht, was ich dir gesagt habe. Und du wirst ihr das nicht sagen können.‹ Nick dachte nur einen kurzen Augenblick an Kate. Einerseits ärgerte er sich darüber, dass sie sich in den zwölf Jahren, die sie zusammen waren, immer wieder geweigert hatte, die Gebärdensprache zu lernen. Andererseits gab sie Nick und Ethan damit die Möglichkeit in ihrem Beisein Dinge zu bereden, die sie nicht hören sollte. Kate war im Moment in Los Angeles, weil ihre wichtigen Termine angeblich unaufschiebbar waren. Aber Nick wusste genau, dass sie es einfach unsäglich langweilig fand, von so einer großen Anzahl Gehörloser umgeben zu sein, die sie vielleicht nicht ausreichend beachten würden. Nick genoss es, dass Ethan ihn als Dolmetscher zu dieser Konferenz mitgenommen hatte, und er auf diese Art Los Angeles vermeiden konnte. Die Partys, auf die Kate ihn immer mitschleifte, waren einfach schon deshalb unerträglich, weil alle Gäste sich gegenseitig ständig beweisen mussten, wie wichtig sie waren. Als Ethan ihn gefragt hatte, ob er nicht zu der Tagung mitkommen wollte, weil er ohnehin schon in München sei, hatte er sofort zugesagt. Nick fuhr sich mit der Hand übers Kinn, während sein Blick über die Köpfe irrte, in der Hoffnung, doch noch einen Blick auf den roten Zopf zu erhaschen. Ethans Blick blieb an Nicks Bart hängen. Er hob die Hand und schnippte kurz vor Nicks Augen, bis dieser ihn wieder ansah.

›Irgendwie stört mich das Ding. Ich kann kaum sehen, was du sagst.‹

›Ist aber für die Tarnung sehr gut. Was meinst du, wäre hier los, wenn die mich erkennen würden? Ist schon besser so, auch wenn es höllisch juckt.‹

›Wenigstens hast du die alberne Sonnenbrille endlich abgemacht.‹

›Ja. War zu dunkel.‹

›Los, komm, lass uns noch ein bisschen um die Häuser ziehen. Ich brauch dich zum Frauenaufreißen. Sonst geht es mir wie dir und das Objekt meiner Begierde versteht mich nicht.‹ Mit einem breiten Grinsen zog Ethan seinen Bruder hoch.

 

~~~

 

›Jetzt schau nicht so enttäuscht, bloß weil dieses rothaarige Mädchen heute nicht zu sehen war!‹ Ethan verpasste seinem Bruder einen Puff in die Rippen. Ihm war Nicks betrübter Gesichtsausdruck darüber, dass Martina nicht in einem der Gesprächsrunden und Seminare aufgetaucht war, nicht entgangen. Seine Dolmetscherkünste waren an diesem Tag gar nicht gefragt gewesen, weil der deutsche Vortrag in amerikanische Gebärden übertragen worden war, die Ethan selber verstand. Und so hatte er mit Kopfhörern gesessen und der englischen Übersetzung zugehört.

›Hast du Lust auf eine Party?‹

›Party?‹ echoten Nicks Hände lustlos.

›Rupert hat die Truppe von der Gallaudet mobil gemacht, zumindest die, die hier sind. Los, gib dir einen Ruck.‹

Wie groß war eigentlich die Chance, dass auch Martina auf der Party auftauchte, fragte sich Nick. Wenn er sich bloß erinnern könnte, ob sie gesagt hatte, auch auf der Uni gewesen zu sein. Er nickte unbestimmt, als Ethans Hände nochmals fragten, ob er mitkommen würde.

 

 

Mit einem tiefen Seufzer nahm Martina das Headset vom Kopf und einen großen Schluck aus dem Wasserglas. Es war ungleich anstrengender aus Ruperts spartanischen Gebärden druckreife Sätze zu formulieren, selbst wenn sie den Vortrag kannte, als ihm Gehörtes zu übersetzen. Rupert schaffte es einfach nicht, sich an sein eigenes Skript zu halten. Und so hatte sie den ganzen Vormittag vor einem Monitor gesessen, auf Ruperts Hände und Gesten gestarrt und gehofft, dass sie seinen Gedankensprüngen schnell genug folgen konnte, während sie gleichzeitig simultan laut übersetzt hatte. Sie trank das Glas aus. Wenn sie sich beeilte, dann konnte sie ziemlich früh bei Claudia sein. Es würde dann noch genug Zeit bleiben, um lange und ausgiebig miteinander quatschen zu können, bevor sie ins Hotel zurück musste, um für die Abreise zu packen.

 

~~~

 

»Oh, Martina! Du bist ja schon da. Ich hab die ganze Zeit versucht, dich auf dem Handy zu erreichen.« Claudia zog Martina aufgeregt in den Hausflur.

»Wieso? Was gab’s denn Wichtiges? Ich hab das Ding vorhin ausgeschaltet und wohl vergessen, es wieder anzumachen.« Sie griff in die Handtasche und warf einen kritischen Blick auf das Display, dann schaltete sie das Telefon ein. Sollte sie Franks Kontrollanruf verpasst haben, wäre das nicht weiter dramatisch. Christopher und Robin verpasst zu haben, wäre viel schlimmer. Ein kleines Symbol auf dem Display zeigte ihr mehrere entgangene Anrufe an.

»Rupert hat mir eine Party seiner Uni-Clique angehängt. Ich wollte dich anrufen, weil ich weiß, dass Partys eigentlich nicht dein Ding sind. Wir hätten unseren Kaffeeklatsch auf morgen verschieben können.«

Martina sah Claudia enttäuscht an. Sie hatte sich auf einen Plauderabend mit ihrer Freundin gefreut und nun sollte ausgerechnet bei Claudia gleich das Leben toben. Aber den weiten Weg mit der S-Bahn gleich wieder zum Hotel zurück zu machen, dazu hatte sie eigentlich auch keine Lust.

»Überlass die Männer doch sich selber. Die brauchen uns doch gar nicht«, schlug sie schließlich vor.

Claudia grinste. »Rupert wird schon sehen, was er davon hat, wenn er einfach alle zu mir einlädt. Wird er sich mal um alles selber kümmern dürfen.«

 

Das Haus von Claudia und Bruno füllte sich rasch, obwohl es alles andere als klein war. Es dauerte nicht lange und überall saßen Leute herum, die wild in der Luft herumfuchtelten. Rupert hatte Martina keine Chance gelassen, sich aus der Affäre zu ziehen und mit Claudia zu verschwinden. Und so saß sie jetzt eingekeilt zwischen ihm und einem seiner Kommilitonen auf der Couch und hielt sich an ihrem Glas fest.

 

Nick bemühte sich, nicht zu auffällig zu dem rothaarigen Mädchen auf der gegenüberliegenden Seite hinüberzusehen. Ihre Hände tanzten durch die Luft, als ob sie sich nach einer Melodie bewegten, die nur sie hören konnte, und zu der ihr Armband mit den vielen bunten Bändern und Anhängern klingelte und klapperte.

›Na, deine Eroberung von gestern wieder entdeckt?‹ Ethan stieß seinem Bruder in die Rippen.

›Ja.‹ Nick versuchte, möglichst unbeteiligt zu gucken.

›Sehr schönes Kleid, das sie da anhat, man kann ihre Figur richtig gut sehen!‹ Ethan hob seine Hände zu einer anerkennenden Geste in Brusthöhe.

›Hör auf! Sie kann dich verstehen!‹ Verzweifelt versuchte Nick, seinen Bruder so herumzuziehen, dass Martina keinen direkten Blick auf seine Hände hatte.

›Das ist der Nachteil, wenn man jemanden kennenlernt, der uns versteht. Es gibt keine Geheimsprache mehr zwischen uns.‹ Ethan grinste spitzbübisch.

 

›Hallo, schön dich wiederzusehen. Umwerfendes Kleid.‹ Nick blieb wie zufällig neben Martina stehen, als sie sich endlich von Rupert und seinem Freund losreißen konnte und in das angrenzende Zimmer flüchtete.

›Oh, hi. Das hab ich doch vorhin schon mal gesehen?‹ Sie hob die Hände in Brusthöhe zu einer eindeutigen Geste. Trotz Ethans Frechheit lächelte sie ihn hinreißend an, fand er.

›Mein Bruder… war wohl etwas …‹ Nick kratze sich am Kopf.

›Direkt?‹ beendete Martina den Satz für ihn.

›Ja. Tut mir leid.‹

›Schon gut, das Kleid war Claudias Idee. Sie meinte, ich müsse mich für die Party netter zurechtmachen. Ich finde das Kleid auch ziemlich umwerfend. Wenn ich nicht aufpasse, wirft es mich um, weil der Rock so eng ist und ich keine großen Schritte machen kann.‹

Ihr verschmitztes Grinsen warf ihn beinahe um.

›Warst du auch auf der Uni in Washington?‹ fragte sie rasch, als eine Gesprächspause eintrat.

›Nein. Du?‹

Martina schüttelte den Kopf. Das Gespräch drohte erneut einzuschlafen.

Nick fiel nichts Unverfängliches mehr ein. Er dachte an das Verbot seines Bruders, außerhalb Englands nie über das Wetter zu reden.

›Willst du noch was zu trinken?‹ Er lächelte erleichtert über die rettende Idee.

›Ja, gerne.‹

›Warte hier. Nicht weglaufen. Ich bin in zwei Sekunden wieder da.‹

 

›Das ging aber schnell. Aber ich kann nicht mehr viel reden, wenn ich eine Hand voll habe.‹ Martina klemmte sich das schmale Glas unter den Arm, als sie die Gebärden machte.

›Wir könnten uns einen Tisch suchen.‹

In einer ruhigeren Ecke ließen sich beide nieder.

›Was machst du?‹ Schon wieder so eine banale Frage, fand Nick. Vor allem so unnötig. Er sah sie seit zwei Tagen wie ein Schatten neben Rupert stehen und hin und her übersetzen. Aber bis er zu den spannenden Fragen käme, würden drei Wochen vergehen.

›Ich bin im Recyclinggeschäft.‹

›Das ist bestimmt sehr interessant.‹ Was soll man auch bloß anderes zu so einer Arbeit sagen, ging ihm durch den Kopf. Recycling hieß doch nichts anderes, als Müll zu sammeln und zu sortieren. Vermutlich saß sie in irgendeinem Büro und organisierte die Fahrpläne der Müllautos. Aber offenbar war sie nicht die Vollzeitdolmetscherin von diesem Rupert und damit dessen ständige Begleiterin. Der besitzergreifende Blick von diesem Professor, als er sie gestern in dem Restaurant vorgestellt hatte, war ihm absolut nicht entgangen,.

›Wahnsinnig spannend.‹ Martina lächelte ironisch und Nick fühlte sich ertappt, weil seine Gedanken abgeschweift waren. Er brauchte die volle Konzentration auf ihre Gebärden, die so anders waren, als die, die er gewohnt war.

›Hier in München?‹,

›Nein, in Salzburg.‹ Sie fährt nicht zurück nach Amerika, jubelte er innerlich. Salzburg war nicht weit von München, gegen Washington war das wie ein Vorort von München.

›Ich war schon mal in Salzburg. Ich hab da Jedermann gesehen. Nett da.‹

Hinter ihnen begann das Telefon zu klingeln. Martina sah rasch auf. Von Claudia und Bruno war weit und breit nichts zu sehen und es war auch nicht zu erwarten, dass bei dem Geräuschpegel, den selbst Gehörlose veranstalten konnten, diese das Klingeln überhaupt hören würden.

›Moment mal‹, sagte ihre Hand, als sie zum Hörer griff.

Sie wechselte einige Worte mit dem Anrufer, bevor sie das Telefon zu Claudia hinüber trug, die sie endlich in dem Gewühl entdeckt hatte. Als sie zu Nick zurückkam, sahen sie die veilchenblauen Augen fassungslos an.

›Ist was?‹ signalisierte ihre Hand, während sie ihn abwartend ansah. Er war nicht an der Gallaudet Universität gewesen. Aber würde er trotzdem zu der Gruppe Gehörloser gehören, die sich als eigene Subkultur sah, und sich gegen die Bezeichnung behindert oder gehandicapt wehrte? Zu denen, die sie als Hörende einfach nur schon deshalb ablehnen würde, weil sie damit nicht zu ihnen gehörte? Sie wäre enttäuscht, wenn es so wäre.

Nick klappte den Mund wieder zu. Fragend ließ er seinen Finger vor dem Ohr kreisen.

»Du bist gar nicht taub?« fragte er laut. Martina sah ihn verblüfft an.

»Nein…«, sagte sie langsam, dann lachte sie laut los. »Du kannst hören? Meine Güte, sind wir blöd!«

»Oh, das ist wohl wahr.« Nick grinste Martina breit an.

Sooft er jemanden getroffen hatte, der amerikanisches Englisch von sich gab, war er davon gar nicht angetan gewesen. Für seine britischen Ohren klang es ziemlich ordinär, vor allem, wenn Frauen mit diesem breiten Südstaatenakzent sprachen. Martinas Akzent unterschied sich nur geringfügig von dem, was er vor dem heutigen Abend für vulgäres, undamenhaftes Amerikanisch gehalten hatte. Seit fünf Sekunden hielt er es für den niedlichsten und bezauberndsten Akzent, den er je gehört hatte.

»Wirklich blöd von mir. Ich hätte mir ja fast denken können, dass eine Dolmetscherin nicht gehörlos sein kann. Warum bin ich bloß nicht gleich auf die Idee gekommen? Wir hätten uns viel Verständigungsschwierigkeiten ersparen können.«

Nick klappte seinen Mund entsetzt wieder zu, als er merkte, dass er begann, wie ein Idiot ohne Ende zu quasseln, seit er ungehindert sprechen konnte.

»Hallo, ihr Süßen.« Claudia kam mit dem Telefon zurück. »Na, hast du dir den begehrtesten Junggesellen geangelt, der heute hier ist?«

»Was, wie?« Martina sah irritiert zu ihr auf.

»Sag bloß, du weißt nicht…« Claudia brach ab, als sie Nicks Kopfschütteln hinter Martinas Rücken sah. »Na, ich geb zu, dass der Bart ziemlich gut ist. Aber na ja… viel Spaß noch, ihr zwei.« Claudia verschwand mit einem anzüglichen Grinsen im Nebenzimmer. Martina drehte sich mit einem entschuldigenden Lächeln um, aber Nick wurde gerade von Ethan in eine andere Ecke gezogen. Alles was sie noch bekam, war ein Schulterzucken, begleitet von einem Lächeln, dass sie bestimmt nicht einschlafen lassen würde. Wie können Erwachsene noch so kindisch sein und Herzklopfen bekommen, weil sie angelächelt werden? Martina schüttelte innerlich entsetzt den Kopf über so viel Idiotie. Sie würde ihn sowieso nie wieder sehen. Er würde mit seinem Bruder nach England zurückkehren und sie würde einen Teufel tun, und ausgerechnet Rupert fragen, ob er eine Kontaktadresse hätte.

 

 

›Wir hatten gar keine Zeit, uns in Ruhe zu unterhalten.‹ Wie aus dem Boden gewachsen stand Rupert vor Martina, die einen kurzen Moment auf der Terrasse Ruhe gesucht hatte.

›Wenn du das gewollt hättest, hättest du keine Party veranstalten dürfen.‹ Mit einer Geste des übertriebenen Bedauerns breitete sie ihre Hände aus. Zum Glück waren viel zu viel Leute um sie herum, was Rupert hoffentlich davon abhalten würde, das ewig alte Thema zwischen ihnen wieder aufzukochen.

Mit einem theatralischen Gesichtsausdruck kniete Rupert sich hin. Sie hatte sich geirrt, eindeutig.

›Heirate mich‹, machten seine Hände.

›Wenn du nicht sofort aufstehst, schreie ich laut los.‹

›Ich würde es nicht hören!‹ Er grinste sie fröhlich an.

›Steh sofort auf! Die anderen gucken schon!‹

›Ich nehme das als ein Nein?‹

›Natürlich Nein! Warum fragst du mich das immer wieder?‹ Sie sah ihn verzweifelt an, während sie sich bemühte, ihn am Ellbogen ziehend zum Aufstehen zu bewegen.

›Du könntest deine Meinung geändert haben. Hast du ja schon mal.‹ Er klopfte sich die Knie ab, dann knuffte er sie freundschaftlich an die Schulter.

›Hey, guck nicht so!‹

›Das ist nicht lustig!‹

›Doch, das ist lustig!‹ Rupert hob sie hoch, schwenkte sie einmal im Kreis und gab ihr einen herzhaften Kuss. Als er sie endlich wieder absetzte und sie festen Boden unter den Füßen hatte, stieß Martina ihn ein Stück von sich.

›Rupert, bitte… wie oft soll ich mich noch entschuldigen? Wann lässt du das endlich sein?‹

»Nie, ich werde es nie sein lassen. Das macht viel zu viel Spaß! Was zum Trinken?‹ Er hob die Hand in einer charakteristischen Geste an den Mund, grinste sie fröhlich an und verschwand in Richtung Küche. Martina fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Hatte sie tatsächlich gerade noch gedacht, die vielen Leute auf der Party würden Rupert von solch einer Aktion abhalten? Sie starrte verärgert auf die Spuren der Wimperntusche auf ihrer Handfläche.

»Oh, du guckst aber böse. Alles in Ordnung?« Claudia sah sie fragend an, als sie auf die Terrasse trat.

»Ja, alles okay, nur erledigt. War ein anstrengender Tag.«

»Hat Rupert sich benommen? Oder waren die zwei Tage mit ihm schlimm?« Claudia sah sie mitfühlend an.

»Wenn du wissen willst, ob er mich wie immer alle Stunde wieder gefragt hat, ob ich ihn heiraten will, nein. Aber gerade eben.«

»Das würde allerdings deine finstere Miene erklären. Macht er das immer noch? Das tut mir wirklich leid. Wenn ich gewusst hätte, dass er dich nur ärgern will, hätte ich dich nicht gebeten, für mich einzuspringen. Er hat extra nach dir gefragt.«

»Warte! Er hat extra nach mir gefragt?« Martina sah Claudia mit offenem Mund an.

»Scheint, dass er sich immer noch Hoffnungen macht. Obwohl ich ja dachte, er hätte in Washington endlich eine Frau gefunden, die seinen Ansprüchen gerecht wird.«

»Die ihm die Leviten liest, hoffentlich«, murmelte Martina.

»Seit du ihm damals den Laufpass gegeben hast, ist ja keine mehr gut genug gewesen.«

»Jetzt fang du nicht auch noch damit an. Das ist doch mindestens acht Jahre her! Ich hab ihn ja lieb, aber es reicht nicht zum Heiraten. Ich will ihn einfach nicht anlügen.«

»Versteh ich doch. Ist ja auch bestimmt die richtige Entscheidung gewesen.«

»Es ist immer noch die richtige Entscheidung. Wenn er das doch nur einsehen würde…« Martina seufzte tief. »Komm, ich helf dir ein bisschen in der Küche.« Sie hakte sich bei Claudia ein und ging mit ihr zur Küche.

 

Nick stand im Garten und hob langsam sein Glas. Schluck für Schluck trank er es bedächtig leer. Er hatte zwar kaum eine Geste verstanden, die die beiden da vor ihm ausgetauscht hatten, vor dem erleuchteten Fenster als Silhouetten bis weit in den Garten sichtbar. Aber den Kniefall hatte er offenbar richtig interpretiert. Zu seiner Schande musste er gestehen, dass er unendlich froh war, dass Martina Rupert auf die Füße gezerrt hatte und ihm offenbar die falsche Antwort gegeben hatte. Zumindest wurde aus dem Haus kein großes Hallo laut und es knallten auch keine Sektkorken. Er würde noch weiterhin träumen können von einem rothaarigen Mädchen mit einem Haufen Sommersprossen auf der Nase. Und was er alles unternehmen würde, um Rupert aus dem Rennen zu werfen, weil der Kerl überhaupt nicht danach ausgesehen hatte, als ob er aufgeben würde oder Martinas Nein akzeptiert hätte.

 

~~~

 

Martina riskierte einen raschen Blick auf Christopher und Robin, dann lehnte sie sich wieder zurück und genoss die spätherbstlichen Sonnenstrahlen mit geschlossenen Augen. Frank war vor einer Stunde mit den beiden Jungen im Hotel aufgetaucht, um sie abzuholen, hatte sie aber einfach in den nächsten Biergarten verfrachtet, weil er einem Kumpel noch etwas vorbeibringen wollte. Martina war es recht gewesen. Nichts war langweiliger als bei Franks Freunden in einer dunklen Wohnung herumzuhocken und deren endlosem Palaver über Traktoren, Bienenzucht und klassischer Musik zuzuhören. Da zog sie es eindeutig vor, in der Sonne zu sitzen, die Füße hochzulegen und die Kinder in der Gegend herumlaufen zu lassen. Da sie es nie geschafft hatte, ihren Jungs beizubringen, was das Wort leise bedeutet, konnte sie sie im Moment sogar mit geschlossenen Augen anhand ihres Geschreis lokalisieren.

Sie öffnete die Augen erst, als ein Schatten auf ihr Gesicht fiel. Vor ihr stand Ethan und feixte sie fröhlich an.

›So ein Zufall, dass wir uns noch einmal treffen‹, sagten seine Hände. Zufall? Martina musste unwillkürlich lachen. Das war eindeutig die Untertreibung des Jahrhunderts. Der Biergarten lag genau gegenüber des Konferenzhotels und war geradezu überlaufen von den Teilnehmern, die sich angesichts des sonnigen Tages noch nicht zu einer Heimfahrt entschließen konnten.

›Setz dich‹, bedeuteten ihre Hände, während sie rasch die Füße vom Stuhl nahm und in ihre Schuhe schlüpfte.

›Dein Bruder schon abgereist?‹ fragte sie mit einem möglichst beiläufigen Gesichtsausdruck.

»Nein, der ist hier!« Hinter ihr tauchte Nick auf, der sie freudestrahlend anlächelte, als sie bei seinen Worten herumfuhr. Martina hier zwischen den vielen Menschen zu treffen, war ein Glücksfall, fand er. So konnte er noch einmal mit ihr reden, statt sie nur von Ferne auf dem Podium neben Rupert bei ihrer Arbeit zu sehen. Sein Lächeln wurde breiter.

»Konntet ihr euch auch angesichts des Wetters nicht entschließen, schon abzureisen?« Endlich nahm sie die Sonnenbrille ab, so dass er ihre goldbraunen Augen sehen konnte.

»Ich hab noch ein paar Termine und Ethan hat noch eine Woche Urlaub«, erklärte Nick. Die Plätze neben ihnen füllten sich, so dass sie etwas zur Seite rutschten. Ethan musterte seine neue Tischnachbarin mit Interesse und war bald darauf in eine angeregt gestikulierende Unterhaltung vertieft. Wieder einmal fragte sich Nick im Stillen, wie Ethan es immer anstellte, bei allen Frauen sofort im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Klar, sein kleiner Bruder war groß und hatte so breite Schultern wie ein Bodybuilder, während er sich immer wieder darüber ärgerte, dass er den feingliedrigen Knochenbau seiner Mutter geerbt hatte und schon in der Schule die Mädchen nicht einfach durch Körpergröße hatte beeindrucken können. Kaum eine war bereit gewesen mit ihm, dem schmalen Handtuch auszugehen. Spargeltarzan hatten sie ihn genannt und er hatte damals den Umstand verflucht, mit sechzehn noch immer die gefühlte Größe eines Kleinkindes gehabt zu haben. Er war irgendwann dann doch noch ein Stück gewachsen, ein ziemliches Stück sogar, aber dennoch betrachtete er den gewaltigen Körperbau seines Bruders gelegentlich mit Neid. Damit er nicht mehr so schmächtig aussah, musste er seit Jahren einiges an Zeit in den Fitnessstudios lassen, aber er hatte überhaupt nicht die Absicht, diese Besuche über das absolute Minimum hinaus auszudehnen.

Sein Blick wanderte zurück zu Martina. Sie hatte sich wieder mit geschlossenen Augen zurückgelehnt und hielt ihr Gesicht in die Sonne. Der dicke Zopf hing ihr über die rechte Schulter und in der goldenen Herbstsonne funkelten ihre Haare in allen Rottönen.

»Ist es in München im Oktober immer so warm?« Blöder Hund! Du sollst doch nicht über das Wetter reden!Aber besser du sagst etwas über das Wetter als gar nichts mehr. Nick fuhr sich verlegen durch die Haare.

»Nein. Das ist vermutlich auch der Grund, warum alle draußen sitzen.« Martina blinzelte ihn gegen die Sonne an.

Laut heulend lief Robin suchend zwischen den Tischen herum. Als er an ihr vorbeilaufen wollte, weil er sie offenbar vor Tränen gar nicht sah, streckte sie den Arm aus und zog sich den Jungen auf den Schoß.

»Was ist los? Hingefallen?«, murmelte sie leise tröstend. Sie pustete mehrmals auf die Hand und das Knie, die ihr hingehalten wurden.

»Komm, noch einmal Nase putzen.«

Kaum war das Taschentuch in der Hosentasche seiner Latzhose verschwunden, als sich Robin auch schon wieder von ihrem Schoß herunterzappelte. Martina drehte sich um und sah sich zwei Augen gegenüber, die sie verblüfft anguckten. Unwillkürlich ärgerte sie sich darüber. Es gab so viele alleinerziehende Mütter, dass es ein Unding war, wenn Männer überrascht waren, dass Frauen Kinder hatten.

»Du kannst gut mit Kindern umgehen.« Nick nickte ihr anerkennend zu. »Wahrscheinlich hat der Kleine zwischen den vielen Menschen hier seine Mutter nicht gefunden.«

Martina zog die Augenbrauen zusammen. Daher wehte also der Wind. Nick war offensichtlich gar nicht auf die Idee gekommen, dass es ihr Kind sein könnte. Kämpferisch schob sie das Kinn vor.

»Er hat seine Mutter durchaus in dem Gewühl hier gefunden.«

Nick sah sich nur kurz irritiert um. »Aber er ist doch gleich wieder zum Spielen gegangen.«

»Seine Mutter hat ihn getröstet, die Schmerzen weggepustet und ihm die Nase geputzt.« Aufmerksam sah sie ihn an. Es konnte doch fast nicht sein, dass er es immer noch nicht begriff. Da endlich blitzte die Erkenntnis in seinen Augen auf.

»Du bist die Mutter?« Er konnte nichts gegen seinen vermutlich ziemlich dämlichen Gesichtsausdruck tun. Sie ist doch kaum alt genug, um Autofahren zu dürfen und der Junge war mindestens zwei Jahre alt.Thema wechseln! Unbedingt Thema wechseln, signalisierte sein Gehirn, aber es war schon zu spät. Aufgebracht sah sie ihn an.

»Ja, das war mein Sohn. Und ich habe sogar noch einen von der Sorte. Dieses andere laut schreiende Ungeheuer dahinten gehört auch noch dazu. Ja, ich war verheiratet. Ja, ich bin geschieden. Und ja, die Kinder sind bei mir geblieben. Die Lösung für Männer, die sich noch nicht reif genug für die Verantwortung fühlen.« Ihre Stimme klang gereizt. Na klasse, jetzt zick hier ordentlich rum, dann brauchst du dich nicht mehr zu wundern, wenn er sich gleich umdreht, rief sich Martina selbst zur Ordnung.

Nick machte ein betroffenes Gesicht. »Tut mit leid.«

»So ein Gesichtsausdruck sollte einem aber auch wirklich leid tun.«

»Sollte es.« Er nickte hastig, dann versuchte er es mit einem kleinen schüchternen Lächeln, das sich langsam von einem Mundwinkel über das ganze Gesicht ausbreitete. Es schien zu klappen, ihre Gesichtszüge entspannten sich etwas. Dann lächelte sie kurz zurück.

»Entschuldige«, sagte sie. »Aber es ärgert mich immer wieder, dass es zwar so viele Scheidungen gibt und so viele alleinerziehende Mütter, aber die meisten Männer völlig überrascht sind, wenn die Frauen, die sie kennenlernen, Kinder haben.«

»Ich war eigentlich nur deshalb überrascht, weil du eher als große Schwester durchgehen würdest.« Nick zuckte unter seinen eigenen Worten zusammen. Na super, ein blöderes Klischee ist dir wohl nicht eingefallen. Manchmal bist du doch genau der Idiot, für den ich dich halte, wenn ich morgens in den Spiegel sehe, schoss ihm durch den Kopf.

»Ich bin ein Idiot«, sagte er schnell. »Entschuldige bitte.«

»Selbsteinsicht ist der erste Schritt zur Besserung.« Noch während Martina ihn mit einem vorsichtigen Lächeln bedachte, legte sich von hinten eine Hand auf ihre Schulter.

»Hi, Kleines. Wir können dann.« Frank nickte grüßend in die Runde, während seine Finger auf ihrer Schulter ungeduldig trommelten. Martina trank ihr Glas mit einem großen Schluck aus, dann stand sie auf.

»Servus, und gute Heimfahrt. Wann auch immer.« Sie nickte Ethan und Nick noch einmal zu.

Dieser Mann legte genauso besitzergreifend wie Rupert den Arm um ihre Schultern, fand Nick, als sie die Jungs im Spiel unterbrachen und dann zu viert zum Parkplatz gingen. Es war völlig unnötig, diese traute Zweisamkeit derart öffentlich zu demonstrieren. Ihm hatte das Aufleuchten auf ihrem Gesicht gereicht. Ein Mann, über dessen Auftauchen sie sich gefreut hatte. Er seufzte. Auch wenn dieser Kerl mit seinem rötlichem Vollbart und dem blondem Pferdeschwanz aussah wie ein Wikinger, dass sich das Haar in weichen Wellen auf seinen Schultern ringelte, machte dieses ganze extra coole Gehabe völlig zunichte, fand er. Seiner Erfahrung nach standen Frauen viel eher auf den gepflegten Mann von Welt, etwas lässiger als ein Banker, aber durchaus fähig, auch im Smoking eine gute Figur zu machen ohne verkleidet auszusehen.

›Nett. Nein, das wäre untertrieben. Niedlich, sehr niedlich.‹ Ethan machte eine anerkennende Handbewegung.

Nick rollte nur mit den Augen. Sie hat einen Freund. Mist! Mist! Mist, war alles was er denken konnte. Deshalb hat sie Rupert gestern den Korb gegeben. Das Leben machte es einem wirklich nicht leicht, fand Nick. Zwei Konkurrenten. Als ob es nicht schon schwer genug wäre, Martina überhaupt auf sich aufmerksam zu machen.

 

»Ist die Dame jetzt soweit?« Frank sah zu Martina hinüber, die in ihrer Handtasche wühlte.

»Einen Moment noch, ich glaub, ich hab die Sonnenbrille liegengelassen.« Sie sprang aus dem Wagen.

Auf halben Weg kam ihr Nick entgegen und hielt die Brille hoch. Ein strahlendes Lächeln war sein Lohn und schon war sie wieder auf dem Rückweg. Er ärgerte sich darüber, da er viel lieber ihre Handynummer gehabt hätte. Aber du Blödmann hast es einfach nicht geschafft, sie danach zu fragen, beschimpfte er sich selber. Manchmal war der Zwang zur Vorsicht doch ein Kreuz, fand er. Wieso war das Leben in Filmen immer so einfach? Die romantischen Helden hatten immer die richtigen Worte auf der Zunge. Drehbuchautor müsste man sein, dachte er, und du hastzur richtigen Zeit immer die richtigen Sprüche.

 

»Schön, dass du dich doch noch loseisen konntest.« Frank trommelte schon wieder mit den Fingern, dieses Mal auf dem Lenkrad. »Endlich fertig?«

»Natürlich, ja klar, du kannst losfahren. War nur die Brille holen.«

»Ich dachte schon, du hast vergessen, ihm deine Telefonnummer zu geben.«

»Sag mal, Frankie, kann es sein, dass du eifersüchtig bist?« Martina funkelte ihn fröhlich an, während sie versuchte, seinem freundschaftlichen Klaps auszuweichen.

»Hör auf mit dem Unsinn und pass lieber auf, wo du hinfährst, sonst fahr ich.«

»Davor bewahre mich Gott!« Frank steckte nun seinerseits einen Knuff in die Rippen ein, behielt aber beide Hände am Steuer. Martina drehte das Autoradio auf und begann laut mitzusingen.

»Rupert färbt ab, oder? Wir sind nicht taub und wollen es nicht werden. Mach die Musik um Himmels Willen leiser!«

Meckerkopf, formten Martinas Lippen, aber sie drehte die Lautstärke etwas zurück, da sie sich seine zukünftigen Chauffeurdienste nicht verscherzen wollte. Sie lehnte sich zurück, genoss den Fahrtwind vom offenen Fenster und sah vor ihrem inneren Auge ein strahlendes Lächeln mit Augen, die so blau waren wie der Föhnhimmel draußen. Sie hätte einiges dafür gegeben, dass statt Rupert Nick gestern Nacht mit ihr auf der Terrasse gestanden hätte. Dieser höfliche Engländer hätte sich bestimmt nicht zu so einer peinlichen Szene hinreißen lassen. Sie mussten wie auf dem Präsentierteller ausgesehen haben, vor dem hellen Fenster. Sie hoffe nur, dass Nick von Ruperts Showeinlage nichts mitbekommen hatte. Sonst dachte er noch, sie sei in festen Händen.

2.

Nick starrte auf die lange Reihe Zahlen auf der kleinen Visitenkarte. Unter Martinas Namen stand Gebärdendolmetscherin. Und dann nur die Telefonnummer. Eine kleine Karte aus offenbar handgeschöpftem Papier, zart gelb-beige mit einem roten Gitter zwischen den Papierlagen in einer Ecke. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er meinen, dass es ein Stück von diesen Plastiknetzen war, in denen im Supermarkt Obst verpackt war. Aber wer würde so etwas in eine solch sorgfältige Handarbeit geraten lassen? Auf der Rückseite der Karte war eine Werbeanzeige für einen kleinen Laden, ein stilisiertes altmodisches Schaufenster. Was immer die Neu-Macherei reparierte, die Werbeanzeige gab es nicht preis, fand Nick.

Er starrte wieder auf die Nummer auf der Vorderseite. Als er vorhin Ethan auf Rupert angesetzt hatte, hatte er endlich einem inneren Drängen nachgegeben, das ihm zusetzte, seit er Martina das erste Mal gesehen hatte. Und diese Telefonnummer war das Ergebnis. Er bräuchte eigentlich nur anzurufen. Eigentlich. Genau da lag der Hase im Pfeffer. Er legte das Kärtchen aus der Hand, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke über seinem Bett. So wie er es schon viele Stunden in der letzten Woche gemacht hatte. In der Woche, die seit der Konferenz vergangen war und in der er Martina nicht mehr wiedergesehen hatte. Was völlig klar war, weil sie in Salzburg wohnte und er immer noch hier in München herumhing. Salzburg ist nicht weit von München. Ruf sie an, verabrede dich mit ihr und fahr hin. Nick seufzte. Wenn es doch bloß so einfach wäre, wie es sich anhörte. Seit er sie neben Rupert in dem kleinen italienischen Restaurant gesehen hatte, war nichts mehr so wie vorher. Mit einem Donnerhall hatte der Blitz eingeschlagen. Sein Herzschlag hatte sekundenlang ausgesetzt und er war völlig überrascht gewesen, dass es niemand bemerkt hatte. Und als sie dann auch noch auf Ruperts Party gewesen war, war dies das Sahnehäubchen gewesen.

Er kam sich sagenhaft blöd vor, wie ein verliebter Teenager und nicht wie ein erwachsener Mann von fünfunddreißig Jahren. Bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen er Martina getroffen hatte, war von seiner üblichen souveränen Art, die er sonst bei dem Umgang mit Frauen, die ihn anhimmelten, an den Tag legte, nichts mehr zu spüren gewesen. Er hatte nur stammelnden Blödsinn von sich gegeben und war von einem Fettnäpfchen in das nächste gestolpert. Und trotzdem hatte sie sich mit ihm unterhalten, hatte sogar nach ihm gefragt, als sie im Biergarten gesessen hatten. Sie mag dich. Nick schloss die Augen. Das war es ja gerade. Wie hatte Ruperts Schwester es so schön auf der Party formuliert? Englands begehrtester Junggeselle. Frauen jeden Alters waren hinter ihm her und hielten sich nur mühsam zurück, weil er seit über zehn Jahren eine feste Freundin hatte. Oder scherten sich einen Dreck darum und machten ihm trotzdem eindeutige Angebote.

Wenn Martina ihn erkannt hatte, hatte sie es nicht gezeigt. Sie hatte ihn behandelt, wie jeden x-beliebigen Mann, den sie zwar nett fand, aber… Aber?Aber nichts weiter!Und wenn sie ihn nicht erkannt hatte? Genau das war der springende Punkt. Wenn er die Wahrheit sagte, würde sich ihr Verhalten schlagartig ändern. Das war schon immer so gewesen. In den letzten Jahren hatte er sowenig Leute getroffen, die ihn wie einen normalen Menschen behandelt hatten, dass er sie leicht an einer Hand abzählen konnte.

Stundenlang hatte er in den letzten Tagen kontroverse Diskussionen mit sich selber geführt. Hatte angeführt, dass er mit Catherine bereits so lange zusammen war, dass es schon fast eine Verlobung war, dass alle Welt nur auf eine Hochzeit wartete. Dass er fast fünfzehn Jahre älter war als dieses Mädchen. Er hatte unzählige Gründe vorgebracht, hatte endlos mit sich selbst argumentiert und lamentiert, hatte versucht, auf seinen Verstand zu hören und war daran gescheitert, weil die Stimme der logischen Argumente leiser war als das Herzklopfen, das er bekam, wenn er nur an Martina dachte.

Es hatte ihn erwischt, eiskalt erwischt. Er hatte sich Hals über Kopf in ein Mädchen verliebt, das er nur ein paar Mal gesehen hatte und kaum kannte. Und es war wie eine Sucht, eine Droge, ein Sog. Er konnte nichts dagegen tun und eigentlich wollte er auch nichts dagegen tun. Alles was er wollte, war diesen Rotschopf wiederzusehen. Er hatte schon tausendmal im Geiste durchgespielt, wie er das Gespräch führen würde, wenn er sie endlich anrief, wenn er sie wiedersah und behutsam die Katze aus dem Sack lassen würde.

Er sprang auf. Er würde auf der Stelle nach Salzburg fahren. Es war ihm völlig klar, dass es der totale Blödsinn war. So klein war Salzburg auch wieder nicht, dass es auch nur die geringste Chance gab, Martina irgendwo zufällig zu treffen. Auf der Karte stand nur diese eine Telefonnummer, keine Adresse. Aber er wäre der erste Verliebte, der logisch dachte oder sinnvolle Handlungen ausführte und vor allem, nicht tausend Ausreden produzierte, nur um dort sein zu können, wo das Objekt seiner Begierde war. Salzburg war allemal besser, als in München in dem Hotelzimmer rumzuhängen und darauf zu warten, dass die Verträge fertig würden. Catherine war immer noch in Los Angeles und in London war das Wetter derartig mies, dass er überhaupt keine Lust hatte, nach Hause zu fahren, zumal dort auch nur ein leeres Haus auf ihn wartete. Vielleicht würde er ja in Salzburg den Mut aufbringen, sie anzurufen. Oder ihm würde klar werden, dass es überhaupt keinen Sinn hatte, Martina in irgendetwas hineinzuziehen.

 

~~~

 

»Mama, dein Handy klingelt.«

»Lass es klingeln. Netter Versuch. Aber du wirst trotzdem drei Minuten deine Zähne putzen und ich werde hier solange daneben stehen, bis du fertig bist.«

»Es ist vielleicht wichtig…« Unlustig fuhrwerkte sich Christopher mit der Zahnbürste im Mund herum.

»Da ist eine Mailbox dran, keine Sorge. Putz!«

Zwei Jahre lang hatte sie mit Christopher Abend für Abend über die Notwendigkeit von geputzten Zähnen diskutiert, ihm immer wieder einen Vortrag darüber gehalten, warum man manchmal etwas tun musste, auch wenn es keinen Spaß machte, bis sie gemerkt hatte, dass er diese Diskussion bereits als wichtigen Teil des langwierigen Zu-Bett-Geh-Rituals betrachtete. Sie war bestimmt keine strenge Mutter, aber es gab Dinge, die waren ihr einfach wichtig und die würde sie auch ohne weitere Diskussionen durchsetzen. Mach ihm eine einfache und klare Ansage, hatte Frank gesagt. Du bist seine Mutter. Er sollte dir verdammt noch mal einfach nur schon deshalb gehorchen! Sie hielt nichts von Kindererziehung, die auf Gehorsam ausgelegt war. Es war ihr wichtig, dass die Jungs auch verstanden, warum sie ihre Entscheidungen traf. Aber Frank hatte in dem einen Punkt recht. Sie würde sich nicht mehr nur aus Spaß am Zeitschinden in fruchtlose Diskussionen mit einem Vierjährigen einlassen.

»Putz weiter!«

 

Eine Stunde später waren die beiden Jungs im Bett und Martina nahm ihre Tasse mit in die Küche. Sie sah auf das Display ihres Handys. Unbekannt. Na super, dachte Martina. Wieder jemand, der seine Rufnummer unterdrückte. Wie soll man solche Leute zurückrufen? Machen die sich jemals Gedanken darüber? Rasch wählte sie die Mailbox an.

»Hi, ich bin’s«, tönte es leise auf Englisch. »Schade, dass du nicht da bist… äh… hm… sorry, ich hasse diese Dinger… ich versuch es später noch mal.«

Martina seufzte. Zu ärgerlich. Das wäre ein Anruf gewesen, den sie gerne entgegengenommen hätte. Meist gab ihr die Mailbox die Chance, unangenehme Anrufe erst einmal seelisch vorzubereiten, bevor sie zurückrief. Vor allem, wenn wieder jemand aus dem Kindergarten anrief, um sich darüber zu beklagen, dass die Jungs viel zu lebhaft wären und wieder einmal etwas zu Bruch gegangen war, weil sie herumgetobt hatten.

Lieber Gott, bitte lass ihn noch einmal anrufen. Martina schickte ein kurzes Stoßgebet zum Himmel. Lass mich doch einmal einen interessanten Mann kennenlernen.

Das Handy klingelte in ihrer Hand. Nur einmal, so schnell war sie dran.

»Hi, ich bin’s noch mal.« Nicks Stimme klang ihr gedämpft ins Ohr.

»Hi.« Sie strahlte, auch wenn sie genau wusste, dass er es nicht sehen konnte. Das war bestimmt die schnellste Gebetserhörung der Welt, dachte sie.

»Äh, … ist das okay, das ich anrufe?«

»Ja. Ja, ja. Aber woher hast du meine Nummer?«

»Oh, das war eigentlich ganz einfach. Ich musste Ethan nur mit leichter Gewaltanwendung zwingen, Rupert zu bestechen.«

Martina lachte leise.

»Ich ruf eigentlich nur an, um zu fragen … ob du vielleicht … natürlich nur, wenn du willst …ich wollte fragen….«

»Zu schade, dass ich deine Hände nicht sehen kann. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der sogar mit seinen Händen stottert.« Sie lachte immer noch.

»Ich wollte nur fragen, ob wir uns vielleicht einmal treffen könnten?«

»Ja, das wäre nett.« Martina hatte schlagartig einen Anfall von Herzrasen.

»Ich habe ein hübsches kleines Restaurant gesehen in Salzburg, St. Peter Stiftskeller oder so ähnlich.«

Martina grinste, als sie hörte, wie Nick bei den deutschen Wörtern stockte.

»Woher kennst du ein Restaurant in Salzburg?« Hatte er gerade wirklich gesehen gesagt, fragte sich Martina.

»Ich bin heute daran vorbeigelaufen.«

»Du bist in Salzburg?«

»Ja.« Martina konnte sein strahlendes Lächeln regelrecht hören.

»Wie wäre es mit morgen Abend? Bekommst du so kurzfristig einen Babysitter?«

Martina hob anerkennend die Augenbrauen, auch wenn er sie nicht sehen konnte. Das war der erste Mann, den sie kennenlernte, der sich Gedanken um einen Babysitter machte.

»Ich könnte meine Cousine fragen.«

»Gut, dass es Cousinen gibt.« Er lachte leise. »Wäre acht Uhr okay?«

»Ja, großartig.«

»Gute Nacht.«

»Bis morgen.«

Martina grinste ihr Handy noch einige Zeit debil an, bevor sie sich zur Ordnung rief und es auf den Tisch legte. Ja, doch, freute sie sich, das könnte ein sehr netter Abend werden.

 

~~~

 

Martina stand vor dem großen Spiegel in Hannas Schlafzimmer und drehte sich vorsichtig hin und her. Sie überlegte, ob das Kleid für ein normales Essengehen nicht doch etwas zu auffällig war. Über einem kurzen Rock schmiegte sich der schwarze Stoff an ihre Taille. Hanna hielt ihr eine Kette hin.

»Hier, ich glaube, die passt ganz gut dazu.«

Martina sah auf die Perlen in Hannas Hand.

»Nein, ich glaube, das ist nicht ganz mein Stil. Viel zu erwachsen. Dein Kleines Schwarzes ist ja schon fast grenzwertig.«

Hanna lachte sie aus. »Viel zu erwachsen für eine Mutter von zwei Kindern? Kommt hin.«

»Hanna, bitte!« Martina drehte sich vorsichtig um und sah über ihre Schulter in den Spiegel zurück. »Meinst du nicht, dass es etwas zu overdressed ist?«

»Nein, absolut nicht. Ein kleines Schwarzes passt immer. Es gibt Situationen, da kannst selbst du nicht in Jeans oder Baumwollrock gehen. Und der Stiftskeller gehört eindeutig schon mal nicht in die Jeans-Kategorie.« Hanna legte die Perlenkette wieder in die schmale Schachtel zurück.

Mit geübten Fingern drehte Martina ihre Haare zu einem lockeren Knoten im Nacken auf und steckte ihn fest. Vorsichtig zupfte sie vor den Ohren zwei Strähnen heraus.

»So, fertig!« Sie drehte sich noch einmal demonstrativ für Hanna hin und her.