Der grüne Palast - Peggy Hohmann - E-Book

Der grüne Palast E-Book

Peggy Hohmann

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Beschreibung

Eine Geschichte von Freiheit und Liebe Wien, 1816: Gräfin Lazansky wird beauftragt, Erzherzogin Leopoldine nach Brasilien zu begleiten. Vor ihnen liegt eine aufregende und zugleich beschwerliche Reise ans andere Ende der Welt. Die junge Gräfin ist wenig erfreut, dass auch Fürst Metternich mit von der Partie ist. Der kluge politische Kopf gilt am Hof als skrupelloser Schürzenjäger. Er war es auch, der die Hochzeit mit dem portugiesischen Thronfolger für Leopoldine eingefädelt hat. Was die Frauen nicht ahnen: Seine Beschreibungen des fernen Paradieses erweisen sich als eine große Lüge.

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Das Buch

Gräfin Lazansky an ihre Schwester

Verzeih, dass ich so lange nichts von mir hören ließ, aber ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht! Die Tage sind zu kurz, um all das zu arrangieren und zu bedenken, was getan werden muss. An oberster Stelle steht allerdings, dass ich meine kleine Erzherzogin beruhigen muss, sie ist immer noch außer sich. Ich muss sie auf ihre neue Aufgabe als Ehefrau einstimmen, was mir sehr schwerfällt. Wie soll ich ihr Positives über die Ehe berichten? Jetzt versuche ich mich zu erinnern, was ich Angenehmes und Romantisches in Romanen gelesen habe. Romane sind ja ein geradezu überbordendes Reservoir an wunderbar seltsamen Geschichten über die Liebe. Welcher Narr glaubt dies alles?

À bientôt, meine Liebe, Anna Christina

Die Autorin

Peggy Hohmann, promovierte Fachärztin für Radiologie, lebt und arbeitet in Berlin. Ihre Leidenschaft ist die Literatur- und Kulturgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, bisher hat sie Drehbücher und Theaterstücke verfasst. Der grüne Palast ist ihr erster Roman.

PEGGY HOHMANN

DER GRÜNEPALAST

ROMAN

List Taschenbuch

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ISBN 978-3-8437-1478-5

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017Karten: © Peter Palm, BerlinUmschlaggestaltung: Sabine KwaukaTitelabbildung: Motive von shutterstockHibiskusblüte: shutterstock / PimVögel: shutterstock / diana pryadieva; shutterstock / eva_maskBlattdekor: shutterstock / Woodhouse;shutterstock / vecstock.com

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Die hier erzählte Geschichte ist frei erfunden. Sie ist jedoch inspiriert von den historischen Ereignissen um das Leben der Erzherzogin Leopoldine von Österreich.

ERSTER TEIL

ERSTER BRIEF

Fürst von Metternich an den Marquis von Marialva

Verehrter Marquis, aber freilich werden Sie Walzer tanzen müssen! Man wird Sie mit vorgehaltener Pistole dazu zwingen! Die Damen hier am Hof kennen diesbezüglich kein Erbarmen. Aber nur Mut, lieber Marquis, die Vorzüge dieses Tanzes werden sich Ihnen schnell erschließen. Kein anderer Tanz vermag uns dem weiblichen Geschlecht näherzubringen als dieser wilde Dreivierteltakt. Man ist bei uns in Wien geradezu besessen davon. Eine Manie!

Nun aber zu Ihrer Bitte, die ich mit diesem Brief gerne erfülle. Sie wünschen ein Porträt der Erzherzogin Leopoldine, eine Beschreibung ihres Wesens, ihrer Vorzüge, ja sogar ihrer Abgründe! Ich werde mich um Objektivität bemühen, gestehe aber, dass ich nicht auf sehr vertrautem Fuße mit dem Kinde bin.

Das Porträt, das ich diesem Schreiben beifüge, ist von unserem Hofporträtisten angefertigt. Ich halte ihn leider für so unbegabt, dass mir sein Name entfallen ist. Überraschenderweise sind ihm aber die kornblumenblauen Augen der Erzherzogin gut gelungen. Nun, en nature ist Erzherzogin Leopoldine blasser, die Stirn höher. Neben ihren wirklich bemerkenswerten Augen hat die Natur sie mit einer weizenblonden Lockenpracht versehen, die, wenn Sonne auf das Haar fällt, wie eine Corona ihr Gesicht umrahmt. In einem solchen Moment wirkt Kaiserliche Hoheit geradezu wie aus einer anderen Welt! Ganz entzückend. Da in Brasilien die Sonne ohne Unterlass vom Himmel brennt, sehr passend, finden Sie nicht?

Ich bin sicher, Dom Pedro wird vom Charme der Erzherzogin hingerissen sein. Würde ich Kaiserliche Hoheit als hübsch bezeichnen, fragen Sie. Nun, wie sagt man so treffend, all dies liegt im Auge des Betrachters, nicht wahr? Was erwarten wir von einer Heirat Dom Pedros mit der Erzherzogin? Wir erwarten eine feste Bindung zwischen Portugal und Österreich. Ob sich zwischen den beiden noch mehr entwickelt, möge Gott entscheiden. Ich versichere Ihnen aber, dass die Jugend der Erzherzogin und ihr Charme ganz entschieden zum Erfolg unserer Mission beitragen werden! Zudem besitzt Erzherzogin Leopoldine eine gute Portion Intelligenz, recht ungewöhnlich für eine junge Frau ihres Alters. Wobei dies zugleich Vorzug und Nachteil sein kann. Zumal sich in ihren mädchenhaften Liebreiz bisweilen eine Beharrlichkeit mischt, die mich erstaunt. In guten Momenten würde ich diesen Zug als Stamina bezeichnen, in schlechten als Dickkopf. Bedauerlicherweise weist sie verschiedene Talente auf, sie ist sehr musikalisch, versessen aufs Klavierspielen und zudem noch an den Naturwissenschaften interessiert. Ich hoffe dennoch auf das Beste.

Ich werde in den nächsten Tagen eine Unterredung mit dem Kaiser avisieren und ihm behutsam unseren Plan vorstellen.

Werden Sie wie geplant nach Wien reisen? Ich schlage vor, dass wir Ihren Aufenthalt nicht öffentlich machen. Auch dem Kaiser gegenüber nicht. Seine Majestät neigt sehr zur Familie – bisweilen so sehr, dass man ihn für einen Bürgerlichen halten kann! –, er könnte seine Tochter zu früh in unseren Plan einweihen. Nicht auszudenken, wenn die Erzherzogin Wind bekommen und den Vater um Aufschub bitten würde, bis der portugiesische Thronfolger wieder aus dem brasilianischen Exil nach Europa zurückgekehrt ist!

Österreich und Portugal, was für eine Allianz! Wie Sie schreiben, ist Dom Pedro ein gutaussehender, charmanter und gebildeter junger Mann, der obendrein die Musik beherrscht, was für die Erzherzogin ein Geschenk wäre. Allerdings, verzeihen Sie mir diese Offenheit, was mich misstrauen lässt, ist Ihre Beschreibung eines nahezu makellosen Charakters. Ich glaube nicht an Gott, noch weniger an das Gute im Menschen. Also, lieber Marquis, freiheraus! Wie steht es um den Charakter Dom Pedros?!

Lassen Sie mich wissen, wann Sie in Wien einzutreffen gedenken. Ich kenne ein entzückendes Kaffeehaus, das ich Ihnen unbedingt zeigen muss. Dort gibt es eine göttliche Schokoladentorte!

Metternich

Wien, 1816

Nachschrift: Vergessen Sie nicht, dass hier bei uns im Winter andere Witterungsverhältnisse herrschen als bei Ihnen in Lissabon! Sie werden frieren, Sie Armer! Ich lasse Vorkehrungen treffen, dass Ihr Apartment gut geheizt ist.

Auch werde ich mich bemühen, die mir von Ihnen damals in Paris erwiesene Freundlichkeit zu erwidern, und Sie mit einer sehr charmanten kleinen Wienerin bekannt machen …

ZWEITER BRIEF

Erzherzogin Leopoldine von Österreich an Marie-Louise, Herzogin von Parma

Du ahnst ja nicht, wie sehr ich mich seit deiner Abreise langweile! Hättest du nicht wenigstens bleiben können, bis wir wieder nach Wien reisen? Diese faden Tage zwischen Weihnachten und Neujahr ziehen sich hin. Fast beneide ich Papa, dass er wegen der Regierungsgeschäfte wieder in der Hofburg sein muss.

Es hat endlich aufgehört zu schneien. Der Himmel ist milchig blau mit rosa-goldenen Streifen. Jetzt gleicht der Park einem glitzernden Märchenwald. Die Bäume sind dick mit Schnee beladen, und unser kleiner Pavillon, in dem wir so oft im Sommer saßen, lässt sich in all dem strahlenden Weiß vom Fenster nicht mehr ausmachen. Kurz nach Weihnachten ist der See endlich zugefroren. Wenn du noch da wärest, könnten wir jetzt zusammen Schlittschuh laufen!

Geht es dir gut in Italien? Hast du es ernst gemeint, als du sagtest, du vermisst Napoleon? Ich kann es nicht glauben, dass du deinen Ehemann doch noch liebgewonnen hast! Mir wollen nur böse Worte einfallen für meinen Schwager, diesen, diesen … Ich bin froh, dass … nein, das darf ich nicht sagen, wo du doch unter seiner Abwesenheit leidest. Aber gewiss vermisst du ihn nicht so sehr wie ich dich!

Seitdem du weg bist, vergeht kein Tag, an dem der Vater nicht Andeutungen macht – ich glaube, er sucht einen Ehemann für mich. Gräfin Lazansky meint, es sei höchste Zeit, mit neunzehn Jahren sei sie schon Witwe gewesen, ich noch nicht einmal verheiratet! In einem schwachen Moment, gestern Abend am Kamin, hat sie von ihrem Mann erzählt, na ja, eigentlich nur von seinem Ende. Wie du weißt, neigt sie nicht zu ausschweifenden Erzählungen. Sie sagte ohne erkennbare Gemütsregung: »Als mein Mann starb, war es auch so bitterkalt. Er wurde nur vierunddreißig Jahre und drei Monate. Ein lächerlicher, völlig überflüssiger Reitunfall.« Mehr nicht. Sie seufzte, stand auf und sagte: »Ich hole Kaiserlicher Hoheit eine heiße Schokolade.«

Spricht sie nicht darüber, weil es sie schmerzt oder weil es ihr gleichgültig ist? Ach, Marie, was ist die Liebe, über die alle sprechen oder schweigen? Wenn ich jetzt verheiratet werde, erwartet man von mir auch, dass ich liebe? Und wenn ich das nicht vermag? Ich liebe dich und den Papa. Und mein Klavier! Ach, wenn ich doch Pianistin werden dürfte! Dies wünsche ich mir mehr als jede Ehe. Ich gestehe dir jetzt ein Geheimnis und bitte dich herzlichst, dass du es als solches bewahrst: Frau von Freytag hat mir versprochen, mich zu unterrichten! Zusätzlich zu den Stunden bei Eduard von Bankendorf (der seit deiner Abreise all seinen Charme verloren hat). Ist das nicht wunderbar?! Ich werde dann jeden Tag Klavier spielen!

Ach, im Übrigen hat unsere liebe Cousine Elisabeth ihren Besuch angekündigt, das verspricht Abwechslung! Sechs Monate haben wir uns nicht gesehen. Damals schien sie mir sehr glücklich, sie konnte gar nicht aufhören, von ihrem Ferdinand zu sprechen! Wie glücklich muss sie jetzt erst sein, da sie seine Frau geworden ist. Ich kann es kaum erwarten, mehr von ihr und ihren Flitterwochen zu erfahren. Natürlich werde ich dir en détail berichten. Ich wünschte, du wärest hier, Marie!

Schreib so bald und so viel du kannst!

Leopoldine

Laxenburg

DRITTER BRIEF

Gräfin Lazansky an ihre Schwester Caroline

Du sagst, ich solle die winterliche Ruhe in Laxenburg genießen. Du weißt nicht, wovon du sprichst! Das Einzige, was ich dieser Welteinsamkeit abgewinnen kann, ist, dass man nicht dauernd Monsieur M. über den Weg läuft. Der Fürst zieht die Stadt vor, wohl nicht nur, weil seine feinen Kalbslederstiefel dort weniger durchnässt werden als hier in den mannshohen Schneewehen. Es ist wie in einem Alptraum, in dem man laufen möchte, aber nicht von der Stelle kommt. Der Schnee scheint mir ein Sinnbild meiner Lage zu sein. Was gäbe ich für einen Abend im Theater! Hier dilettieren die kaiserlichen Kinder mit kleinen Balletten und Schauspielen. Teils entzückend, teils entsetzlich, wenn das Fehlen von Talent so offensichtlich wird. Allerdings, ich gestehe, werde auch ich in diese Aufführungen eingebunden. Ich betrachte es als meine erzieherische Aufgabe, vor allem den Mädchen ein paar schauspielerische Fähigkeiten beizubringen, ist dies doch etwas, was sie in ihrem späteren Leben mit Sicherheit brauchen werden. Wobei es für mich nach wie vor unbegreiflich ist, dass Marie-Louise in ihrer Ehe mit Napoleon keinerlei Heuchelei brauchte, um ihm gefällig zu sein. Ihr fehlt das Raffinierte ja bis heute. Vielleicht entsteht der Eindruck aber auch durch das Träge in ihrer Erscheinung. Jedenfalls lasse ich keinen Augenblick ungenutzt, vor allem Leopoldine in die weiblichen Strategien einzuweihen, Schicksalsschläge wie die Ehe zu meistern. Aber auch ihr Charakter entbehrt – wenn auch auf andere Weise als bei Marie-Louise – der Verstellung und des Getues.

Du weißt, wie sehr ich Leopoldine zugetan bin, und so bete ich, dass, falls die Gerüchte über eine bevorstehende Verlobung stimmen, der Kaiser ihr einen guten Ehemann auswählt. Ihr und Österreich. Würde der Kaiser allein entscheiden, wäre mir nicht bange, aber Monsieur M. ist wahrscheinlich mit der Aufgabe betraut. Ich traue ihm nicht über den Weg! Jedes Mal, wenn er bei den Kaiserlichen Hoheiten vorstellig wird, ist er von einem überwältigenden Charme. Selbst Jakob, der widerborstigste aller Hunde, wirft sich, sobald M. den Raum betritt, auf den Rücken, streckt alle viere gen Himmel und wartet ergeben darauf, dass Monsieur sich herablässt und ihm den Bauch krault. Jedes Mal stelle ich mir vor, wie alle Anwesenden sich ebenfalls auf den Rücken werfen und … ha! Stattdessen besinne ich mich, wie böse ich ihm bin, weil er meine Marie an Napoleon verkauft hat – ja verkauft! –, und setze eine eisige Miene auf. Das bleibt ihm natürlich nicht verborgen, und während er sich aufreizend tief über meine Hand beugt, raunt mir dieser Flegel ein »Bonsoir, meine schöne Eiskönigin« zu!

Jetzt ist es meine Aufgabe, neben dem Schauspiel, dafür zu sorgen, dass Leopoldine sich von Vanillekipferln und Schokoladentorten fernhält. Sie neigt zum Dicklichen. Vor der Ehe muss die Taille stimmen, was danach geschieht, ist gleichgültig.

Du hast die Milder in der Oper gehört? Wie ich dich beneide! Was muss ich stattdessen über mich ergehen lassen? Schlittenfahrten! Bei dieser Kälte! Und noch vor dem Frühstück! Dieser ungesunde Drang nach frischer Luft. Na, habe die Ehre! Allein die Vorstellung, in der schneidenden Kälte in muffig-feuchte Pelzdecken eingehüllt in einem Schlitten zu sitzen, nur um sich das öde Weiß da draußen anzusehen, lässt mich krank werden. Und wenn sich dann noch die Pferde verweigern, weil es ihnen zu kalt ist, und sie sich nicht vom Fleck bewegen, geschweige denn in einen Trab fallen wollen, kann sich so ein kurzer Ausflug ins Unendliche dehnen. Das ist nichts für mich. Ich brauche die Oper und das Theater! Hoffentlich bleibt diese Weihnachtszeit auf Schloss Laxenburg eine Ausnahme. Wie kann man freiwillig auf die Annehmlichkeiten der Stadt verzichten?

Liebste Caroline, vergiss deine Schwester nicht in der eisigen Einöde! Schreibe schnell!

Anna Christina

Laxenburg

VIERTER BRIEF

Marie-Louise, Herzogin von Parma, an Erzherzogin Leopoldine von Österreich

Meine kleine Poldl, hüte dich vor romantischen Sentimentalitäten über die Liebe und die Ehe! Je weniger du erwartest, desto üppiger wirst du belohnt werden. Nicht jeder Mann, dessen Charakter von der Welt als grob und schlecht bezeichnet wird, stellt sich nachher auch als Grobian heraus. Wer von uns beiden hätte sich je vorstellen können, dass Napoleon mir ein zärtlicher und aufmerksamer Ehemann wurde, nachdem wir ihn jahrelang als Ungeheuer, Teufel und korsischen Ziegenhirten verdammt haben? Andererseits können sich Männer, die einem mit schneidiger Figur und schmeichelnder Stimme den Hof machen, als Langweiler oder dummer Tropf entpuppen. Du fragst nach der Liebe. Was soll ich dir antworten? Es gibt wahrscheinlich so viele Arten zu lieben, wie es Menschen gibt. Und was wir als Liebe empfinden, mag ein anderer nur als Mitleid betrachten oder als unsinnige Leidenschaft. Vielleicht ist auch die bloße Abwesenheit von Abneigung und Widerwille schon Liebe? Ich weiß es nicht. Der Vater wird Sorge dafür tragen, dass du nicht unglücklich wirst – ich weiß, dass dies nicht gleichbedeutend mit glücklich sein ist. Vertrau auf Gott.

Was um aller Welt ist in dich gefahren, dass du dem Vater deine Stunden bei Frau von Freytag verschweigst? Manchmal zweifele ich an deinem Verstand. Und wie kann sich die Freytag unterstehen, Seine Majestät zu hintergehen? Und wozu soll Das-den-lieben-langen-Tag-auf-die-Tasten-Hämmern gut sein? Haben wir nicht phantastische Musiker, die Papa jeden Tag zu uns bitten kann, damit sie für uns spielen? Mein Gott, wozu sich selbst mühen.

Mach dir das Leben doch nicht schwer, es ist alles viel einfacher, wenn man sich nicht auflehnt und seine Kraft im Widerstand vergeudet. Schau, Poldl, der Vater wird dir einen Mann bestimmen. Du wirst eine Ehe eingehen, die den Status Österreichs in der Welt festigen und verbessern wird. Vaters Entscheidung wird ohne jeden Zweifel zum Nutzen aller sein. Hat er je gegen dich entschieden? Also vertraue – und hoffe nur wenig auf ein persönliches Glück, dann wirst du nicht enttäuscht werden. Und ist nicht die Tatsache, dass Elisabeth ihren Ferdinand heiraten durfte, ein gutes Zeichen auch für deine Zukunft? Wenn man sich nichts ersehnt, ist alles viel leichter.

Ich hätte nie gedacht, dass in Italien der Winter auch so garstig ist! Neulich hat es sogar ein wenig geschneit. Nein, nicht nur garstig, unerträglich ist er, da die Italiener mit dem Kaminholz geizen. Dabei frieren und bibbern sie genauso wie wir. Sobald sich nur ein Hauch eines Sonnenstrahls zeigt, verlagern sie ihren Salon auf den Hof oder die Terrasse und richten ihre Köpfe nach der Sonne aus wie ein Feld von Sonnenblumen.

Ich besuche fast täglich einen Salon oder eine Soiree, jeder will mich kennenlernen. Man gibt sich viel Mühe, mich gut zu unterhalten. Leider bin ich nicht so sprachbegabt wie du, trotzdem übe ich brav jeden Tag Italienisch. Erst hatte ich eine Lehrerin, eine freundliche, korpulente Person mit Augen schwarz wie die Nacht. Leider war sie oft kränkelnd, so dass ich von einer Lektion zur nächsten schon wieder alles vergessen hatte. Statt ihrer kommt jetzt der Comte Leonardo zu mir, ein Römer mit, du wirst es nicht glauben, blitzblauen Augen und strohblonden Haaren! Als ich ihn das erste Mal sah, habe ich ihm ganz beglückt gesagt, er sähe genauso aus wie meine Schwester. Er war zutiefst beleidigt, dass ich ihn für weibisch hielte. Es hat mich eine Viertelstunde und viele Komplimente gekostet, bis er mir verziehen hatte. Es ist schon amüsant, dass die italienischen Männer lieber Komplimente hören, als selbst welche zu machen. Sie sollten bei Herrn von Bankendorf in die Schule gehen. Nie habe ich so viele Komplimente bekommen wie in einer Musikstunde bei ihm! Nur leider nicht für mein Spiel. Grüße ihn bitte nicht von mir, da er sonst leidet. Hingegen ich ihn schon vergessen habe.

Und Elisabeth hat ihren Ferdinand geheiratet? Das ist ganz wunderbar. Sie ist einfach entzückend, ich gönne ihr das Glück von Herzen! Ich kenne niemanden, der einfühlsamer ist als sie. Und immer ist sie guter Stimmung. Hatten wir nicht gesagt, Ferdinand wäre für sie wie geschaffen, die perfekte Ergänzung! Umarme sie von mir und sage ihr, dass sie jederzeit, jederzeit!, in Parma willkommen ist. Ich kann kaum erwarten, was du mir über sie zu berichten hast. Jetzt wirst du mich wieder oberflächlich schelten, aber schreib mir sofort, hörst du, was für ein Kleid sie trägt, was für einen Hut. Sie lässt alle ihre Kleider in Paris fertigen. Ihr Geschmack ist vorbildhaft, selbst für mich!

ML

Parma

FÜNFTER BRIEF

Marquis von Marialva an Fürst von Metternich

Verehrter Fürst, Sie bestehen darauf, den wahren Charakter Dom Pedros zu erfahren. Sei’s drum. Dabei hoffe ich, dass das, was ich Ihnen zu sagen habe, keinen allzu großen Einfluss auf unsere bereits so weit gediehenen Verhandlungen haben wird. Bei all dem, was ich über den portugiesischen Kronprinzen zu sagen habe, mögen Sie bitte bedenken, dass ich ihn in den letzten zehn Jahren, also seitdem die königliche Familie 1807 in Rio de Janeiro Zuflucht vor Napoleon gesucht hat, nicht mehr gesehen habe. Damals war er neun Jahre alt. Was ich heute zu berichten weiß, habe ich von meinen Leuten am Hof in Rio. Da ich ihre Integrität damals in Lissabon zu schätzen gelernt habe und sie höchst zuverlässig sind, bin ich sicher, dass ich sie als Informanten heranziehen darf.

Fast schäme ich mich, dies zu schreiben, aber der junge Mann ist nicht sehr beliebt. Seine Erziehung ist seit der Ankunft in Rio vernachlässigt worden. Seine Anlagen waren günstig, aber die Sitten in Brasilien sind locker, zu locker für einen heranreifenden jungen Mann. Dom Pedro gilt als jähzornig und egoistisch, teilweise neigt er wohl auch zu cholerischen Anfällen. Andererseits ist er hochmusikalisch, versteht zu rechnen und hat einen wachen Verstand. Anders als die Erzherzogin interessiert er sich mehr für Pferde als für Bücher. Aber das ist wohl für einen Mann nicht ungewöhnlich, lieber Fürst, nicht wahr? Ach nein, Sie sind sowohl ein Mann des Wortes als auch ein vorzüglicher Reiter – mit Ihnen kann sich niemand so recht messen! Wie Sie sehen, ist meine Bewunderung für Sie seit unserer letzten Begegnung in Paris noch gewachsen.

Ich bin sicher, dass sich der, nun ja, ungeschliffene Charakter Dom Pedros durch die Verbindung mit einer klugen und gebildeten Person, wie es die Erzherzogin Leopoldine zu sein scheint, ins Gegenteil verwandeln wird. Wir wissen doch, dass unter der liebevollen Ägide einer Frau die Männer zu Großem heranwachsen können. Beide sind jung und formbar, ich vertraue vollkommen auf eine natürliche und günstige Entwicklung.

Lieber Fürst, ich plane meine Reise nach Wien, sobald die Wege wieder mehr aus Sand als aus Schlamm bestehen, also wahrscheinlich in zwei Wochen. Bis dahin werde ich mich auch mit Seiner Majestät König Dom João über die notwendigen Geschenke – ich denke an Gold und Edelsteine – für Seine Majestät Kaiser Franz geeinigt haben.

Da diese Korrespondenz zwischen uns einzig unserer eigenen Kontrolle unterliegt, fühle ich mich verpflichtet, Ihnen, lieber Fürst, in aller Ehrlichkeit anzuvertrauen, dass Portugals Finanzen äußerst knapp sind. Wir sind aber gewiss, dass sich dieser Zustand durch die Eingliederung Brasiliens in das Königreich Portugal bald ändern wird. Brasilien scheint über geradezu unerhörte Bodenschätze zu verfügen. Sie sehen, die geplante Allianz wird uns allen von großem Nutzen sein!

Ich werde Ihnen bei meinem Besuch auch etwas von Ihrem heißgeliebten Kaffee mitbringen. In Portugal spöttelt man, die Wiener seien dem Kaffee mehr ergeben als ihren Frauen.

Ergebenst

Marialva

Lissabon

Nachschrift: Ich bin Ihrer Empfehlung gefolgt und übe mich fast täglich im Walzertanzen. Mein Lehrer hat mich gestern mit einem Kompliment entzückt, er meint, ich habe Talent!

SECHSTER BRIEF

Kaiser Franz I. von Österreich an Fürst von Metternich

Ich vermisse Nachricht, wie weit Ihre diplomatischen Excursionen bezüglich möglicher Ehekandidaten gediehen sind! Erwarte Sie morgen um neun Uhr. Pünktlich.

F

SIEBENTER BRIEF

Erzherzogin Leopoldine von Österreich an Marie-Louise, Herzogin von Parma

Eigentlich bin ich dir böse über deinen Brief. Nichts als Ermahnung und Schelte. Du bist ja strenger mit mir als die Gräfin! Ich musste deine Zeilen geradezu nach liebevollen Worten absuchen. Aber ich bin nicht nachtragend, dazu ist meine Laune viel zu gut, denn wir sind wieder in Wien! Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue! Mehr noch als ich ist die Gräfin aus dem Häuschen über die Rückkehr in die – wie sie sagt – Zivilisation.

Gleich gestern Abend waren wir in der Oper! Die Milder hat gesungen. Das Publikum war so enthusiastisch, du musst die Bravorufe und das Getrampel bis nach Italien gehört haben! Einige waren kurz vor der Ohnmacht. Die Milder ist besser, als es die Musik hergibt. Selbst langweilige Arien werden durch ihre Kunst großartig. Sie hat die Lady Anna in Die Neger gesungen. Ich weiß, Salieri ist nicht Mozart, aber wen kümmert es, wenn die Milder singt.

Ein Teil des Chors stellte die sogenannten Neger dar. Alles schwarz geschminkt, Gesichter, Arme, Beine. Kurios! Man sagt, Neger seien Menschen, deren Haut schwarz wie die Nacht ist. Ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen! Kommen sie schon so zur Welt?

Ach, unser Metternich war übrigens auch im Publikum. Das fand die Gräfin natürlich gar nicht angenehm. Sie hasst ihn, sagt sie. Nachdem er in unserer Loge seine Honneurs gemacht hatte und wie immer ihre Hand sehr lange in der seinen hielt – die Arme würde sie ihm am liebsten gar nicht zum Kuss reichen, aber das geht nun einmal nicht –, verfolgte sie mit dem Opernglas jede seiner Bewegungen. Er war – welch Seltenheit! – nicht in Begleitung einer Dame, weder seiner Ehefrau noch der Madame de S., sondern eines Herrn. Leider hat er ihn uns nicht vorgestellt. Ein ziemlich fescher Mann mit tiefdunklen Locken, bestimmt zehn Jahre jünger als M. Er sah fremdländisch aus, war aber nach unserer Mode gekleidet. Selbst die Gräfin hatte ihn noch nie gesehen, dabei kennt sie doch jede Persönlichkeit von Bedeutung.

Es war ein herrlicher Abend, den mir die gute Annony um Mitternacht noch durch einen mit warmen Äpfeln gefüllten Palatschinken versüßt hat. Ich bin sehr zufrieden zu Bett gegangen.

Heute früh weht ein warmer, unangenehmer Wind, der den Schnee zum Schmelzen bringen wird. Papa meint, dies sei nur ein Intermezzo, die große Kälte käme noch.

Marie, bitte schimpfe nicht mit mir, dass ich so gerne musiziere! Wahrscheinlich ist es für dich schwierig nachzuvollziehen, was mir die Musik bedeutet. Wenn ich nicht spielen darf, ist es, als dürfe ich nicht atmen. Alles, was du über die Ehe und die Liebe geschrieben hast, mag so sein. Aber ich weiß nichts davon und kann es mir auch nicht vorstellen. Einzig die Musik macht Eindruck auf mich. (Die eine liebt eben Kleider, die andere Musik. Nein, das ist nicht fein von mir, das zu schreiben! Ich wünsche mir nur so sehr, dass du mich verstehst.) Trotz allem bin ich furchtbar nervös, wenn ich daran denke, dass der Vater eine Heirat für mich plant. Wünsche mir Glück, liebste Marie, wünsche mir Glück!

Mille baci (du siehst, ich lerne das Italienische für dich mit)

Leopoldine

Wien

Nachschrift: Morgen kommt Elisabeth. Sie bleibt nur ein paar Tage. Ich hatte gehofft, sie bliebe den ganzen Monat. Sie schrieb nur kurz, als Ehefrau könne sie nicht mehr nach eigenem Gusto über ihre Zeit verfügen.

ACHTER BRIEF

Fürst von Metternich an den Marquis von Marialva

Was für ein Abend! Ich habe unseren Opernbesuch sehr genossen, mein lieber Marquis! Nicht nur wegen Ihrer überaus amüsanten Compagnie, sondern auch, weil ich Ihre Haltung in wichtigen politischen Ansichten teile. So ist das Gespräch mit Ihnen leicht wie mit einem Freund.

Wie Sie schon gestern Abend trefflich bemerkten, steckt in Salieri nicht nur ein vorzüglicher Komponist, sondern auch ein Politiker. Wie subtil er mit seiner Oper für die Abschaffung der Sklaverei plädiert! Ein Thema im Übrigen, von dem ich nicht weiß, wie ich es Seiner Majestät nahebringen soll. Er war zwar, wie auch ich, zutiefst beeindruckt, wie König Dom João sich und sein Königreich durch den Rückzug ins brasilianische Exil erfolgreich dem Zugriff Napoleons entzogen hat. Ich weiß, dass Kaiser Franz Dom João für seinen klugen Schachzug allertiefsten Respekt zollt. Ich fürchte nur, die Tatsache, dass die Sklaverei in Brasilien immer noch als gottgegebene Fügung betrachtet wird, wird nicht seinen Beifall finden. Gibt es irgendeine Bestrebung, die Sklaverei abzuschaffen? Dann könnte ich mir vorstellen, dass Seine Majestät der Idee einer Zusammenführung des Hauses Habsburg mit dem Hause Bragança weniger ablehnend gegenüberstehen würde, als jetzt zu befürchten steht.

Wichtiger als alles andere ist jedoch: Wie fanden Sie denn nun Erzherzogin Leopoldine? Ich konnte Sie leider nicht vorstellen, hätte dies doch die Geheimhaltung unseres Planes zunichtegemacht. Ich hätte natürlich nie einen Opernbesuch vorgeschlagen, wenn ich gewusst hätte, dass die Kaiserlichen Hoheiten schon aus Laxenburg zurückgekehrt sind! Aber ich denke, wir haben das Beste aus der Situation gemacht. Nur Obersthofmeisterin Gräfin Lazansky, deren Obhut die kaiserlichen Kinder unterstellt sind, ist bestimmt misstrauisch geworden. Sie ist immer misstrauisch. Ihr habe ich es auch zu verdanken, dass mir das Datum der Rückkehr der Kaiserlichen Hoheiten aus Laxenburg vorenthalten wurde. Wie mir meine Mitarbeiter der Geheimpolizei mitteilten, hat sie Ihre Schritte gestern Abend mit Argusaugen beobachtet. Die Herren haben es aber, wie immer, geschickt verstanden, dass man Ihren Weg nicht weiter als bis zum Ausgang der Oper verfolgen konnte.

Alles Weitere en face – ich schicke Ihnen die Kalesche um elf Uhr in die Goldschmiedgasse.

Metternich

Wien

Nachschrift: Die Diskretion verbietet mir die Nachfrage, ob Mademoiselle B. Ihnen Wien gezeigt hat, ganz so wie Sie es gewünscht haben. So hoffe ich still, dass alles zu Ihrer vollkommenen Zufriedenheit war.

Sind Ihre Räumlichkeiten warm genug?

NEUNTER BRIEF

Erzherzogin Leopoldine von Österreich an Marie-Louise, Herzogin von Parma

Habe heute gar keine Zeit, dir Bericht zu erstatten, da mein Tag ganz mit einem Besuch bei Monsieur R. ausgefüllt sein wird. Ja, Monsieur R. darf, obwohl er Franzose ist, jetzt endlich auch für uns arbeiten! Es wurde Zeit, denn die Damen der Gesellschaft sind durch ihn fast besser gekleidet als wir! Nicht, dass ich etwas gegen Hofschneider Endenich hätte, aber was er als chic bezeichnet, trifft sich nicht mit meinem Geschmack. Der liebe Vater hat sich als sehr großzügig erwiesen und mir gestattet, eine neue – französische! – Kollektion an Kleidern und Hüten auszusuchen. Er sagt, weil ich so traurig bin, dass du fort bist. Ach, er ist so gut zu mir. Jetzt komme ich mir ganz schlecht vor, dass ich ihm noch nichts von meinen Stunden bei Frau von Freytag erzählt habe. À propos, ich habe Herrn von Bankendorf nicht von dir gegrüßt. Er wird immer blasser. Ich verspreche dir, dass ich noch diese Woche mit Papa rede! Ich muss jetzt schließen, die Gräfin wartet auf mich.

Leopoldine

Wien

ZEHNTER BRIEF

Gräfin Lazansky an ihre Schwester Caroline

Heilige Einfalt! Leopoldine glaubt doch wirklich, dass ihr Vater sie mit einer Kollektion vom feinsten französischen Couturier, den Wien je gesehen hat, verwöhnt, weil sie auf die Gesellschaft ihrer Schwester verzichten muss! Ich muss sehr an mich halten, mich nicht zu verplappern. Aber ich weiß ja selbst nichts Genaues. Mir ist nur vollkommen klar, dass eine Verlobung Leopoldines in greifbare Nähe rückt. Nur mit wem? Annony hat mir berichtet, dass einer der Diener gehört haben will, dass Friedrich August, du weißt, der Neffe des Königs von Sachsen, vor ein paar Wochen beim Kaiser hat vorfühlen lassen, ob man sich eine Verbindung vorstellen könne. Dies erscheint mir recht schlüssig, ist das sächsische Königshaus doch nicht nur mit der kaiserlichen Familie verwandt, sondern auch freundschaftlich verbunden. Wäre es nicht wunderbar, Leopoldine nicht so fern und bei Menschen zu wissen, die ihr wohlgesonnen sind? Aber die Sprache! Nun, Leopoldine kann Französisch, Deutsch und Italienisch, sie ist begabt, sie würde auch Sächsisch lernen. Und sollte ich sie begleiten, so wäre ich endlich in deiner Nähe, liebste Schwester! Ich fühle mich hier bisweilen etwas einsam. Seit dem Tod der Kaiserin habe ich keinen Gesprächspartner mehr, der meine Interessen teilt. Die Kinder respektieren mich, sind mir auch zugeneigt, aber das genügt nicht, um ein einsames Herz zufriedenzustellen. Auch wenn ich meinen Mann nicht vermisse, so vermisse ich doch die Idee eines Ehemannes. Du hast recht, solange ich in Diensten des Kaisers stehe, wird sich an meiner Situation nichts ändern. Aber ich dürste nach Veränderung! Nach einem Leben ohne Hof, endlosen Galas, Scharaden und Schlittenfahrten!

Also will ich hoffen, dass das Geschwätz der Dienerschaft auch hier mal wieder mehr als ein Körnchen Wahrheit enthält und sich irgendetwas ändert. Auch für mich.

Falls es meine Kräfte nachher noch erlauben, werde ich dir heute weiteren Bericht erstatten. Solche Unternehmungen sind mit Leopoldine ziemlich anstrengend, da sie sich so schwer entscheiden kann (Marie-Louise ist da weniger heikel, sie würde einfach alle Stoffe nehmen). Ich bin sehr gespannt, was Monsieur R. zu bieten hat.

À bientôt, meine Liebe

Anna Christina

Wien

ELFTER BRIEF

Marquis von Marialva an Fürst von Metternich

Lieber Fürst, wir haben uns irgendwie verpasst. Ich habe zwei Stunden auf Sie gewartet. Ich bin sicher, dass dringende Geschäfte Sie behindert haben. Seien Sie versichert, dass mir zwar Ihre Gesellschaft fehlte, ich mich aber dennoch sehr gut unterhalten fühlte. Ihre Kalesche kam pünktlich um elf Uhr und hat mich ins Milani gebracht. Dank Ihres eloquenten Dieners bin ich nicht nur dem Schneematsch und der schwer erträglichen feuchten Kälte entgangen, sondern auch gleich über den neuesten Kaffeehaustratsch unterrichtet worden! Nun weiß ich also, dass man im Taroni zwar das köstlichste Gefrorene serviert, besonders das Schokoladengefrorene soll unübertrefflich sein, dafür aber im Milani auch Damen verkehren dürfen. Jetzt verstehe ich, weshalb Ihre Wahl auf das Milani fiel. Dank an Signore Milani, dass er sich nicht vor dem – charmanten – Skandal fürchtete, es als einziger Kaffeehausbesitzer Wiens zu wagen, sein Haus auch für das zarte Geschlecht zu öffnen.

Schon auf der Straße schlug mir der betörende Geruch frischen Kaffees entgegen, was für eine appetitanregende Einladung! Da noch immer reichlich Schnee liegt, sieht das Haus in seinem gewagten Grün wie ein Pistazieneis mit Schlagobers aus. Natürlich habe ich die von Ihnen empfohlene Schokoladentorte bestellt. Zu diesem Genuss gesellte sich der Blick in eine überaus angenehme Runde: nur gutgekleidete Menschen, die Stil und Solidität ausstrahlten. Dies scheint noch ein Hort der höheren Gesellschaft zu sein. Ich habe gehört, dass es etliche Kaffeehäuser gibt, in denen auch niedere Stände verkehrten. Gefährlich. Solche Lokalitäten können leicht Orte konspirativer Treffen für Menschen mit republikanischer Gesinnung werden. Auch wenn die Französische Revolution mittlerweile über zwanzig Jahre her ist, erfüllt mich der republikanische Gedanke immer noch mit Grauen. Ich weiß, Sie teilen meine Ansicht. Andererseits, und auch hier bin ich mir Ihrer Zustimmung sicher, haben wir genau dieser Revolution den tiefgreifenden Wandel der Mode zu verdanken, die uns nun mit einem Meer an Dekolletés verwöhnt und mehr Busen zeigt, als wir jemals zu wünschen gewagt hätten. Und das bei dieser Kälte! Ich weiß nicht, ob man mehr um die Gesundheit der Damen oder um unseren Verstand fürchten muss. Mir scheint, die Mode ist die natürliche Grenze, an der der Hass gegen Frankreich endet.

Nun bin ich in mein Appartement zurückgekehrt, das im Übrigen genau die richtige Temperatur hat, und warte auf Nachricht von Ihnen. Ich halte den Abend für Sie frei.

Verehrung

Marialva

Wien

Mademoiselle B. ist bezaubernd.

ZWÖLFTER BRIEF

Erzherzogin Leopoldine von Österreich an Marie-Louise, Herzogin von Parma

Ich bin völlig erschöpft! Trotzdem will ich, wie versprochen, dich an unserem Ausflug teilhaben lassen: Das Geschäft Monsieur R.s liegt am Kohlmarkt, also habe ich die Gräfin überredet, zu Fuß zu gehen. Und das bei dem Wetter, feucht und kalt und sehr ungemütlich. Du kannst dir ihre Begeisterung vorstellen. Aber ich habe mich nach all den Tagen im Haus wie befreit gefühlt. Monsieurs Etablissement liegt direkt gegenüber vom Milani. Ich habe die arme Gräfin regelrecht über die Straße gezwungen, weil ich unbedingt ins Kaffeehaus schauen wollte. Diese Auslagen! Maronenküchlein, Schokoladentorte, Baisers, Mandelbiskuits, es ist zum Verrücktwerden! Ich hätte alles gegeben, um dort hineinzugehen und ein Stück Torte zu essen. Madame Lazansky war entsetzt. Dabei sind Damen dort erlaubt! Sie aber meint, es wäre auf Arreststrafe verboten, dass ein Mitglied der kaiserlichen Familie seinen Fuß in ein Kaffeehaus setzt. Ach, ich würde es zu gerne! Und wenn es nur ein einziges Mal wäre! Es sah so einladend und gemütlich aus. Im Übrigen hat sich auch die Gräfin die Nase an den Scheiben plattgedrückt, ha!

Aber eigentlich wollte ich dir von Monsieur R. erzählen. Er war sehr aufgeregt über unseren Besuch, und nach kurzer Zeit hatte sich eine Traube Neugieriger vor seinem Laden versammelt, so dass ein Offizier die Tür verschließen musste.

Was für ein Laden! Kostbares überwiegt natürlich bei Monsieur das Gewöhnliche. Er führt die edelsten Stoffe: weiches Kaschmir und edlen Samt, delikat bestickten Seidentüll, feinsten Batist, zartes Linnen und Musselin. Ein Traum! Wir haben über drei Stunden damit verbracht, zu schauen und anzuprobieren. Es war wie im Märchenland. Wirst du mich necken, dass ich nun endlich auch der Mode verfallen bin? Necke mich nur, wenn du mich la prossima volta siehst, werde ich die eleganteste Frau Wiens sein! Selbst die Gräfin, die sich für Mode so viel interessiert wie eine Katze für die Oper, war ganz aus dem Häuschen. Sie sah in einigen dieser zarten Stoffe ganz jung aus, dabei ist sie schon fast dreißig! Heute erschien sie mir auf einmal ausgesprochen schön.

Annony bringt mir gerade gesüßte Milch. Sie grüßt und küsst dich!

Leopoldine

Wien

DREIZEHNTER BRIEF

Gräfin Lazansky an ihre Schwester Caroline

M. verfolgt mich. Oder besser, ich ihn. Jetzt sehe ich den Fürsten schon an Orten, wo er nicht ist, gar nicht sein kann.

Wir sind gestern zu Monsieur R. gegangen. Zu Fuß! Die Erzherzogin hat darauf bestanden. Kaum bin ich den ungesunden Schlittenfahrten auf dem Lande entkommen, zwingt man mich durch den Matsch. Nun gut, das Geschäft liegt nicht weit von der Hofburg. Kurz vor dem Geschäft zerrt mich Leopoldine über die Straße zum Milani. Diese Naschsucht! Und nun all diese Köstlichkeiten direkt vor unserer Nase. Aber denke, nicht nur, dass sie am liebsten sofort eine dieser Leckereien verspeisen möchte, nein, sie möchte in das Kaffeehaus gehen! Manchmal glaube ich, sie ist verrückt. Was kann sie nur daran finden, sich mit dem einfachen Volk gemeinmachen zu wollen. Also entspinnt sich ein kurzer Disput, den ich mit der Androhung schlimmster Strafen durch den Kaiser beende, da sehe ich im Kaffeehaus diesen jungen Mann aus der Oper wieder. Von dem ich dir schrieb, dieser Ausländer. Sofort denke ich, dass auch der Fürst irgendwo zu sehen sein muss, konnte ihn aber nirgends entdecken. Zu merkwürdig, der Mann scheint ein Gast M.s zu sein. Und M. würde, egal für wie unangenehm ich ihn erachte, niemals einen Gast sich selbst überlassen.

Plötzlich spüre ich Blicke in meinem Rücken, drehe mich um und kann gerade noch die Fußspitze eines Stiefels entdecken, dessen Besitzer sich in eine Kutsche fallen lässt. Ich bin absolut überzeugt davon, dass es sich dabei um eine handgefertigte Pariser Stiefelspitze gehandelt hat. Kalbsleder! M. war also da und wollte ins Kaffeehaus. Als er mich sah, ließ er von seinem Vorhaben ab. Was soll das bedeuten?

Ich muss mich erst sammeln, deshalb nur kurz: Der Laden von Monsieur R. ist adorable!

Anna Christina

Wien

VIERZEHNTER BRIEF

Fürst von Metternich an den Marquis von Marialva

Lieber Marquis, ich bin untröstlich, dass ich Sie warten ließ! Aber Sie werden gleich verstehen, dass dies unumgänglich war. Just in dem Augenblick, als meine Kutsche vor dem Milani hielt, steht Gräfin Lazansky vor mir! In Begleitung der Erzherzogin Leopoldine. Die Damen verharrten vor dem Kaffeehaus und schmachteten die Kuchen an. Ich habe mich, so schnell es ging, verdrückt und Sie Ihrem Schicksal überlassen. Da Sie nichts über ein Rencontre berichten, nehme ich an, dass die Gräfin auf einen Besuch verzichtet hat. Eigentlich eine überaus angenehme Erscheinung, die Lazansky, intelligent, ein wenig kühl, wahrscheinlich mit Feuer in intimen Momenten … Was sie besonders reizvoll macht, ist, dass sie sich ihrer blendenden Schönheit überhaupt nicht bewusst ist. Ach, Marquis, ein Leben lang muss ich mich wehren, damit mir meine Leidenschaft für das schöne Geschlecht nicht zum Fallstrick wird. Die Ehe schützt einen nicht, denn die Menschen heiraten, um Kinder zu haben, nicht aber, um das Verlangen des Herzens zu stillen. Schon wieder ein Geständnis an Sie, mein Freund.

Seien Sie versichert, dass unser Geheimdienst in Wien exzellent funktioniert und wir natürlich auch die Besucher der Kaffeehäuser hinsichtlich ihrer politischen Gesinnung kontrollieren. Ich wage zu behaupten, dass wir die Republikaner im Griff haben, ohne dass diese uns je bemerken. Die Monarchie ist und bleibt die Grundlage eines gesunden Staates.

Ich erlaube mir, Sie noch heute Abend aufzusuchen, da ich morgen in der Früh den Kaiser sehen werde.

Metternich

FÜNFZEHNTER BRIEF

Erzherzogin Leopoldine von Österreich an Marie-Louise, Herzogin von Parma

Marie, ich bin ganz desolat! Ich weiß gar nicht, wie ich es dir schreiben soll. Elisabeth war endlich da und ist schon wieder weg. Also, vorgestern hat es wieder zu schneien angefangen (Papa hatte recht). Am Abend lag der Schnee so hoch, dass es kaum ein Durchkommen gab und wir uns schon damit abgefunden hatten, dass Elisabeth es wohl nicht bis Wien schaffen würde.

Als ich mich gerade für die Nacht fertig gemacht hatte, kam Annony hereingestürzt und berichtete, dass Elisabeth angekommen sei. Ich bin ihr gleich entgegengeeilt. Sie war nach der langen Fahrt völlig erschöpft und deshalb froh, dass wir uns bereits zu Bett begeben wollten. Sie wollte nicht mal mehr etwas essen (sie sieht sehr schmal aus). Eine glückliche Braut hatte ich mir anders vorgestellt, aber nun gut, die lange Reise, zwei Monate quer durch Europa, erst London, dann Rom und schlussendlich Paris. Ich dachte, vielleicht fehlt mir zu einem treffenden Urteil über die zu erwartende Glückseligkeit einer Braut der Vergleich. Auch wunderte ich mich, dass ihr Ferdinand sie nicht begleitet, wo sie doch geschrieben hatte, dass er sie kaum aus den Augen lasse. Ich hatte mich schon auf ihn gefreut.

Der erste Schock traf mich gestern Morgen, als ich die Treppe zum Frühstück hinunterlief und ein Diener vor mir herging, den ich nicht kannte. Als er sich umdrehte, bin ich fast in Ohnmacht gefallen: ein Mohr! Das Gesicht, der Hals, die Hände, alles, was nicht von seiner Kleidung bedeckt war, war schwarz! Ganz wie in der Oper! Ich war sehr verlegen und bin vor lauter Schreck ganz rot geworden. Der Junge lächelte mir freundlich zu und sagte in makellosem Wienerisch: »Guten Morgen, Hoheit.«

Elisabeth klärte mich auf, dass dies ihr Kammerdiener Felix sei, den ihr Vater ihr zur Hochzeit geschenkt hat. Er ist entzückend und spricht genauso gut Deutsch wie Portugiesisch.

Das war der erste Schreck an diesem Tag. Der zweite folgte nach dem Frühstück. Kaum waren wir allein, fing Elisabeth herzzerreißend an zu weinen. Sie stammelte immer nur: »Mein armer Ferdinand, mein armer Ferdinand!« »Was ist mit Ferdinand?«, ich fürchtete das Schlimmste. Aber es ist noch schlimmer als das Schlimmste! Marie, sie hat Ferdinand nicht heiraten dürfen! Ihr Vater hat den Antrag Ferdinands ausgeschlagen, weil er nicht vermögend genug sei. Ist das nicht grausam? Stattdessen musste sie Herzog von Andernach ehelichen. Er ist schon vierzig Jahre alt, sie ist erst siebzehn, stell dir vor! Elisabeth konnte nichts Gutes über ihn sagen. Er ist grob und ungebildet. Ihm mangelt es in jeder Hinsicht an Charakter. Aber er besitzt Ländereien in der Wachau und in Italien, drei Palais in Wien, zwei in Florenz, eine große Kunstsammlung und jede Menge Fuhrwerk. Er ist also reich. Das Ärgste aber für Elisabeth ist, dass es in seinem Haus keine Bücher gibt! Als ihre Bücherkisten ankamen, hat er sie in den Keller stellen lassen. Bücher! In den Keller! Sie schluchzte: »Du ahnst ja nicht, wie sich mein Leben verändert hat. Er ist so schrecklich langweilig. Wenn ich ins Theater will, sagt er, das bringe ihm nichts. Will ich tanzen, dann bringt es ihn um!« Als ich, um sie abzulenken, fragte, wie denn ihre Reise gewesen sei und wie es ihr in Paris gefallen habe, erwiderte sie empört: »Paris? Mein werter Mann hat entschieden, dass man sich zwar aus Prestigegründen fremde Städte anschauen muss, aber eigentlich ist ihm das Reisen zu anstrengend. Vor allem eine aufregende Stadt wie Paris. Er zieht Spaziergänge auf dem Lande vor. Ach, ich habe so eine Sehnsucht nach Ferdinand!« Darauf brach sie erneut in Tränen aus. Ich wusste keinen Rat, wie ich sie trösten konnte, mir war selbst ganz elend. Dass ein Vater so gegen seine Tochter handeln kann. Papa würde sich niemals zu einer solch unglücklichen Entscheidung hinreißen lassen.

Was soll ich Elisabeth nur sagen, Marie? Es kann doch nicht ihr Leben sein, darauf zu warten, dass ihr Mann möglichst bald stirbt. Wobei dies das Einzige ist, worauf sie hoffen kann. Oh, Gott, was schreib ich? Daran erkennst du, wie durcheinander ich bin.

Gestern Mittag ist sie schon wieder auf und davon. In die Wachau, wo sie bis auf ihren Ehemann keinen Menschen kennt. Und nicht einmal ein Buch zur Hand!

Leopoldine

Wien

Nachschrift: Siehst du, jetzt habe ich vergessen, ihre Garderobe zu beschreiben. Ich kann sie dir nicht schildern, in ihrem Kummer erschien sie mir so blass, so durchsichtig, dass ich mich beim besten Willen nicht an ihre Kleider erinnern kann. Ist das nicht schrecklich?

SECHZEHNTER BRIEF

Kaiser Franz I. von Österreich an Fürst von Metternich

Habe über Ihre Vorschläge nachgedacht und erteile Ihnen mein Placet. Beginnen Sie mit den Verhandlungen. Und holen Sie Informationen zu den Bodenschätzen in Brasilien ein.

Und danke herzlichst für diesen wirklich außergewöhnlichen Kaffee. Wo haben Sie den nur aufgetrieben? Ah, über Ihre geheimen Kanäle weiß nicht mal der Kaiser Bescheid! Sie sind ein Schlingel, Fürst!

F

SIEBZEHNTER BRIEF

Gräfin Lazansky an ihre Schwester Caroline

Neuigkeiten über Neuigkeiten! Man hat M. schon wieder mit dem Ausländer gesehen! Sie scheinen recht vertraut miteinander. Konkurrenz für Madame de S.? Ha! Ich möchte zu gerne wissen, was alle Welt nur an M. findet. Nun gut, er schaut sehr gut aus. Eine attraktive Erscheinung. Groß, schlank, stets überaus geschmackvoll gekleidet (in sichtbar teures Tuch), gerade Haltung, kurze helle Locken. Seine leicht hervorstehenden Augen verraten Intelligenz. Wenn ich ihn nur nicht so schrecklich fände!

Es wird nichts mit Friedrich August und Leopoldine. Zuerst war ich erleichtert, er ist zwar ein Verwandter, aber viel zu dick. Und das Sächsisch bleibt uns erspart. Aber nun sehe ich auf absehbare Zeit keine Möglichkeit, zu dir zu kommen. Gestern habe ich dann höchst erstaunt zur Kenntnis nehmen müssen – Seine Majestät hat es mir persönlich gesagt –, dass stattdessen Erzherzogin Caroline nach Sachsen heiraten wird.

Es ist gut, dass Leopoldine vorerst an keine Ehe denken muss, denn sie hat neulich einen recht großen Schock verdauen müssen. Ihre Cousine Elisabeth war zu Gast, eine wirklich entzückende, feine Person, und hat von ihrem Pech berichtet, nicht dem Mann ihres Herzens angetraut worden zu sein, sondern einem älteren Mann, irgendeinem Herzog – ich habe den Namen noch nie gehört, er kann nicht bedeutend sein! Nun ist Elisabeth nur noch ein Häufchen Elend, ganz schmal und am Leben verzweifelt. Ich kann sie nur zu gut verstehen.

Das Erste, was uns Frauen die ersehnte Freiheit schenkt, zu tun, was wir wollen (solange wir es diskret und am besten fern der Heimat tun), ist das Witwentum. Ich bin meinem Mann noch heute dankbar, dass er darauf bestand, an einem Tag, wo die Felder zu einem vereisten See gefroren waren, unbedingt reiten zu müssen. Das war in seinem ganzen dummen Leben seine einzig kluge Tat. Das Zweite ist die Fähigkeit, sich von Sehnsüchten frei zu halten. Leidenschaft ja, aber keine Herzensleidenschaft. Hat man das erreicht, ist man ein freier Mensch. Ich bin zwar frei, aber mir mangelt es wiederum an Gelegenheiten, hélas!

Auf jeden Fall spricht meine Erzherzogin seitdem nur noch davon, nie heiraten zu wollen und lieber Pianistin zu werden. Ich verzweifele an meiner Aufgabe, sie an ihre Pflichten erinnern zu müssen.

Es wird auch hier endlich Frühling, der letzte Schnee ist dahin, die Luft duftet nach warmen Tagen. Ich habe mir bei Monsieur R. ein neues Frühlingskleid – ganz à la mode – bestellt, ein zartgelber Baumwollstoff, mit grünen, kaum erahnbaren Schmetterlingen bestickt. Ganz entzückend.

Kommst du diesen Sommer endlich nach Wien? Sonst sehen wir uns nie!

Anna Christina

Wien

ACHTZEHNTER BRIEF

Erzherzogin Leopoldine von Österreich an Marie-Louise, Herzogin von Parma

Keine Zeile von dir! Seit drei Wochen kein Brief! Das kann, das darf nicht sein! Schreib mir, liebste Marie!

Leopoldine

Wien

NEUNZEHNTER BRIEF

Fürst von Metternich an den Marquis von Marialva

Seine Majestät war sehr angetan, und es hat keinerlei rhetorischer Finessen bedurft, um ihn von einer österreichisch-portugiesischen Allianz zu überzeugen. Fast habe ich bedauert, dass es so leicht war. Aber der Kaiser mag keine langwierigen Beratungen, er verbringt seine Zeit lieber mit seiner Familie. So bleibt mir freie Hand …

Seine Majestät hat nicht nach der Sklaverei gefragt. Ich hielt es für opportun, ihn nicht auf diese Krux hinzuweisen. Hätte ich es getan, wäre ich Gefahr gelaufen, ihm das Gefühl zu geben, er sei schlecht unterrichtet. Und dann hätte ich mir gar den Vorwurf gefallen lassen müssen, ich wäre verantwortlich für diese fehlende Information. Also habe ich ausführlich über den Reichtum Brasiliens und das politische Geschick Dom Joãos referiert und dass eine Verbindung Österreichs mit Portugal für beide Seiten von großem Vorteil sei. Endlich hätte Portugal einen sicheren Partner in Europa. Und Österreich könnte Portugal in der schwierigen Phase der Zusammenführung der brasilianischen Provinzen zu einer starken Macht unterstützen. Er schien begeistert und schlug selbst Erzherzogin Leopoldine als passende Kandidatin vor. Gott sei Dank hatten wir die sächsische Frage schon vorher gelöst!

Lassen Sie uns dennoch hoffen, dass Dom João sich des Problems der Sklaverei in naher Zukunft annimmt. Wir können jetzt in Ruhe die Details erarbeiten und vor allem der Erzherzogin Appetit auf ihre Aufgabe machen. Ich bin überzeugt, dass Sie sie mit Ihrem Charme und der Ihnen eigenen Feinfühligkeit für die brasilianische Sache begeistern werden! Nutzen Sie ihre Neugier auf ferne Länder! Ich werde Sie nun so schnell als möglich miteinander bekannt machen.

Madame de S. lässt Sie fragen, ob Sie ihr die Ehre geben, am nächsten Samstag zu ihrer Soiree zu erscheinen. Sagen Sie ja! Es ist dort immer höchst amüsant.

Metternich

Wien

Nachschrift: Irgendjemand sollte den Mundkoch Seiner Majestät in der richtigen Kaffeezubereitung unterweisen! Das Gebräu, das mir der Kaiser servieren ließ, war so stark, dass mir das Kaffeepulver wie Mehl auf der Zunge klebte. Seine Majestät scheint an die Dosis gewöhnt zu sein. Ich hingegen habe in der Nacht kein Auge zugetan.

ZWANZIGSTER BRIEF

Marie-Louise, Herzogin von Parma, an Erzherzogin Leopoldine von Österreich

Meine liebste Poldl, verzeih, dass ich so lange nicht geschrieben habe, aber ich war ein wenig unpässlich und hatte so gar keine Kraft. Zudem gab es einen heftigen Wetterumschwung, eben waren es noch wenige Grade über null und dann von einem Tag auf den anderen fast zwanzig Grad! Dabei sehr schwül, so dass jede Bewegung eine Zumutung war.

Ich habe mich in meinem kleinen Herzogtum gut eingelebt und führe mein Leben fort, wenn auch in bescheidenerem Rahmen als in Paris. Die Gegend ist wunderschön, deshalb werde ich, sobald ich wieder zu Kräften gekommen bin, Reisen nach Mantua, Bologna und vielleicht auch Venedig unternehmen. Ich sollte dies bald tun, da im Sommer die Hitze hier unerträglich sein muss, so dass man sich nicht mehr aus dem Haus rührt.

Ach, arme Elisabeth! Das hat sie nicht verdient, aber ihr Vater wird sich schon gewissenhaft mit dem Besitz – oder Nicht-Besitz – Ferdinands beschäftigt haben. Ich bin sicher, er hat so entschieden, weil er erkennen musste, dass Ferdinands Vermögen nicht ausreicht. Er liebt seine Tochter, also möchte er sie gut versorgt wissen. Sie wird sich an ihren Mann gewöhnen. Das braucht Zeit, vor allem, weil ihre Gefühle für Ferdinand noch so lebendig sind. Warum sollte sie dem Herzog den Tod wünschen? Wäre es nicht einfacher, sich zu gegebener Zeit, verzeih mir meine Offenheit, einen Liebhaber zuzulegen? Die Ehe ist eine Sache, die Liebe – oder was immer man dafür hält – eine andere. Ich weiß, dass dies jetzt kein Trost für unsere Freundin ist. Mein einziger Rat ist: Ablenkung! Vergnügen!

Wie kannst du vergessen, ihre Garderobe zu beschreiben? Und was hast du dir bei Monsieur R. bestellt? Kannst du mir ein paar Muster und Stoffproben schicken lassen?

Du schreibst keine Zeile davon, ob du den Papa über deine Klavierstunden in Kenntnis gesetzt hast. Oder hast du das Spielen aufgegeben?

Ich umarme dich, Kleines!

ML

Parma

EINUNDZWANZIGSTER BRIEF

Fürst von Metternich an Kaiser Franz I. von Österreich

Ich freue mich über die Nachricht, dass die Herzogin Marie-Louise von Parma ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht hat. Gleichzeitig darf ich Ihrer Majestät versichern, dass es mir gelungen ist, die junge Mutter davon zu überzeugen, dass es für den Gemütszustand ihrer Schwester Leopoldine das Gesündeste ist, wenn sie nichts über die Umstände der Geburt und Vaterschaft weiß. Die Herzogin hat sich, wie immer, als überaus verständig gezeigt.

Ich habe mir erlaubt, Signore M., einen begabten parmesischen Maler, zu beauftragen, ein Bildnis des Kindes anzufertigen und Ihrer Majestät zu senden.

Der Marquis von Marialva bittet, Ihnen seine Aufwartung machen zu dürfen.

Hochachtungsvoll

Metternich

Wien

ZWEIUNDZWANZIGSTER BRIEF

Kaiser Franz I. von Österreich an Fürst von Metternich

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