Der Herr des Wüstenplaneten - Frank Herbert - E-Book

Der Herr des Wüstenplaneten E-Book

Frank Herbert

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Beschreibung

Die ferne Zukunft: Der Kampf um Arrakis, den Wüstenplaneten, ist beendet, und Paul Atreides, genannt Muad’dib, ist von den Fremen zu ihrem Propheten ernannt worden. Sie folgen ihm bedingungslos in einen Djihad, der wie ein Sturmwind durch die Galaxis fegt. Pauls neues Imperium und seine Machtfülle ruft Neider auf den Plan, die seine Herrschaft brechen wollen. Und so mischen sich unter die Pilger, die nach Arrakis kommen, um den Erlöser zu sehen, Attentäter, menschliche Zeitbomben …

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Seitenzahl: 403

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Das Buch

Die ferne Zukunft: Paul Atreides, genannt Muad’Dib, Sohn des einer Intrige zum Opfer gefallenen Herzogs Leto Atreides, ist in der extrem menschenfeindlichen Wüste von Arrakis, des Wüstenplaneten, in die Schule der Fremen gegangen, der Reiter der gigantischen Sandwürmer. Die Fremen haben ihn als ihren Anführer erkoren, denn er ist der lang erwartete Prophet, der sie in den Dschihad, den Heiligen Krieg, führt. Wie ein Sturmwind fegt Paul durch die Galaxis, pflanzt in einem Siegeszug ohnegleichen sein Banner auf zahllosen von Menschen besiedelten Planeten und errichtet ein neues Imperium. Doch seine Machtfülle ruft Neider und Gegner auf den Plan, die unermüdlich daran arbeiten, Pauls Herrschaft zu brechen. Und so mischen sich unter die Pilgerscharen, die über viele Lichtjahre hinweg nach Arrakis kommen, um diese sagenumwobene Welt zu besuchen, Meuchelmörder, manipulierte Zeitbomben in Menschengestalt …

Mit Der Wüstenplanet schrieb Frank Herbert den berühmtesten und erfolgreichsten Science-Fiction-Roman aller Zeiten. Er wurde von David Lynch spektakulär verfilmt – und derzeit bereitet Starregisseur Denis Villeneuve eine Neuverfilmung vor. Herbert ließ seinem Roman mehrere Fortsetzungen folgen, in denen er seine Weltenschöpfung auf faszinierende Weise ausbaute.

Neu übersetzt von Jacob Schmidt, liegt nun eine großartige Neuausgabe dieses monumentalen Zukunftsepos vor.

Der Autor

Frank Herbert (1922–1986) wurde in Tacoma, Washington geboren. Nach einem Journalismus-Studium arbeitete er unter anderem als Kameramann, Radiomoderator, Dozent und Austerntaucher, bevor 1955 sein Debütroman The Dragon in the Sea zur Fortsetzung in einem Science-Fiction-Magazin veröffentlicht wurde. Der Durchbruch als Schriftsteller gelang ihm schließlich Mitte der 1960er-Jahre mit seinem Roman Der Wüstenplanet, der sowohl mit dem Hugo Award als auch dem Nebula Award ausgezeichnet wurde. Bis heute gilt Der Wüstenplanet zusammen mit den Nachfolgeromanen als einzigartige literarische Weltenschöpfung, die jede Generation von Leserinnen und Lesern neu für sich entdeckt.

Mehr über Frank Herbert und seine Romane auf:

FRANK HERBERT

DER HERR DES

WÜSTENPLANETEN

Roman

Aus dem Amerikanischen von Jakob Schmidt

WILHELM HEYNE VERLAG

Titel der Originalausgabe:

DUNE MESSIAH

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Neuausgabe 03 /2019

Redaktion: Alexander Martin

Copyright © 1969 by Frank Herbert

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Covergestaltung: Das Illustrat, München

Umsetzung E-Book: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-22824-8 V007

www.diezukunft.de

Auszug aus dem Gespräch mit Bronso von Ix in der Todeszelle

Frage:

Was hat Sie zu Ihrer besonderen Herangehensweise an eine Geschichte Muad’Dibs veranlasst?

Antwort:

Warum sollte ich Ihre Fragen beantworten?

Frage:

Weil ich Ihre Worte bewahren werde.

Antwort:

Ah! Der ultimative Anreiz für einen Historiker!

Frage:

Also werden Sie kooperieren?

Antwort:

Warum nicht? Aber Sie werden nie verstehen, was mich zu meiner »Historischen Analyse« inspiriert hat. Nie. Für euch Priester steht zu viel auf dem Spiel, als dass …

Frage:

Versuchen wir es.

Antwort:

Es versuchen? Nun, wie gesagt – warum nicht? Mir war aufgefallen, wie oberflächlich die allgemeine Sicht auf diesen Planeten ist, die von seiner umgangssprachlichen Bezeichnung herrührt: Wüstenplanet. Also nicht Arrakis, sondern Wüstenplanet. Die Geschichtswissenschaft ist besessen von der Vorstellung dieses Planeten als einer Wüste, als Geburtsort der Fremen. Dementsprechend konzentriert sie sich auf die Gebräuche, die aufgrund der Wasserknappheit entstanden sind – und auf den Umstand, dass die Fremen in ihren Destillanzügen, die einen Großteil der von ihnen ausgeschiedenen Feuchtigkeit wiederaufbereiteten, ein halbnomadisches Leben führten.

Frage:

Ist das alles denn nicht wahr?

Antwort:

Tja, oberflächlich betrachtet, schon. Was unter der Oberfläche liegt, können Sie ebenso gut ignorieren, wie … wie Sie versuchen können, sich einen Reim auf meinen Geburtsplaneten Ix zu machen, ohne zu ergründen, dass wir unseren Namen von dem Umstand abgeleitet haben, dass wir der neunte Planet unserer Sonne sind. Nein … nein. Es genügt nicht, den Wüstenplaneten nur als eine Welt wilder Stürme zu betrachten. Es genügt nicht, lediglich über die Bedrohung durch die gigantischen Sandwürmer zu sprechen.

Frage:

Aber beides trägt entscheidend zum arrakischen Charakter bei!

Antwort:

Entscheidend? Natürlich. Aber es führt zu einer Art Monokultur, was den Blick auf diesen Planeten angeht – so wie er auch nur einen Ertrag erbringt, weil er die einzige Quelle für das Gewürz Melange ist.

Frage:

Ah ja. Hören wir uns an, was Sie über das geheiligte Gewürz zu sagen haben.

Antwort:

Ja, geheiligt! Und wie alles Heilige gibt es mit der einen Hand und nimmt es mit der anderen. Das Gewürz verlängert das Leben und ermöglicht es dem Eingeweihten, seine Zukunft vorherzusehen, aber es legt ihm auch die grausamen Fesseln der Sucht an und zeichnet seine Augen, wie Ihre gezeichnet sind: durch und durch blau, ohne Weißes. Ihre Augen, das, womit Sie sehen, werden kontrastlos und erlauben nur noch eine Sichtweise.

Frage:

Derlei ketzerische Aussagen haben Sie in diese Zelle gebracht!

Antwort:

Ihr Priester habt mich in diese Zelle gebracht. Und wie alle Priester habt ihr früh gelernt, die Wahrheit als Ketzerei zu bezeichnen.

Frage:

Sie sind hier, weil Sie zu behaupten gewagt haben, dass Paul Atreides etwas für seine Menschlichkeit Essenzielles verloren hat, bevor er Muad’Dib werden konnte.

Antwort:

Ganz zu schweigen davon, dass er seinen Vater im Harkonnenkrieg verloren hat. Oder vom Tod Duncan Idahos, der sich geopfert hat, damit Paul und Lady Jessica entkommen konnten.

Frage:

Ihr Zynismus wurde registriert.

Antwort:

Zynismus! Das ist zweifellos ein größeres Verbrechen als Ketzerei. Aber Sie müssen wissen, dass ich im Grunde kein Zyniker bin. Ich beobachte und kommentiere lediglich. Als Paul mit seiner schwangeren Mutter in die Wüste geflohen ist, konnte ich bei ihm wahren Edelmut erkennen. Natürlich war sie ihm sowohl eine große Hilfe wie auch eine Bürde.

Frage:

Das Problem mit euch Historikern ist, dass ihr es nie bei etwas belassen könnt. Sie erkennen also wahren Edelmut beim Heiligen Muad’Dib, aber Sie müssen noch eine zynische Anmerkung hinzufügen. Kein Wunder, dass auch die Bene Gesserit Sie verurteilen.

Antwort:

Ihr Priester tut recht daran, gemeinsame Sache mit der Schwesternschaft der Bene Gesserit zu machen. Auch diese können nur überleben, indem sie im Verborgenen handeln. Aber sie können nicht den Umstand verbergen, dass Lady Jessica eine ausgebildete Schülerin der Bene Gesserit war. Sie wissen, dass Jessica ihren Sohn in den Künsten der Schwesternschaft unterwiesen hat. Mein Verbrechen bestand darin, dass ich dieses Phänomen als solches erörtert habe – dass ich ihre mentalen Fähigkeiten und ihre genetische Programmierung problematisiert habe. Es gefällt Ihnen nicht, wenn man darauf hinweist, dass Muad’Dib der erhoffte gefesselte Messias der Schwesternschaft, ihr Kwisatz Haderach, war, bevor er zu Ihrem Propheten wurde.

Frage:

Falls ich noch irgendwelche Zweifel an der Rechtmäßigkeit Ihres Todesurteils gehabt haben sollte, haben Sie sie gerade zerstreut.

Antwort:

Ich kann nur einmal sterben.

Frage:

Es gibt solche Tode und solche.

Antwort:

Passen Sie auf, dass Sie keinen Märtyrer aus mir machen. Ich glaube nicht, dass Muad’Dib … Sagen Sie mir, weiß Muad’Dib, was Sie hier in diesen Verliesen treiben?

Frage:

Wir behelligen die Heilige Familie nicht mit Trivialitäten.

Antwort:

(Lachen) Und dafür hat sich Paul Atreides einen Platz bei den Fremen erkämpft! Dafür hat er gelernt, wie man den Sandwurm kontrolliert und reitet! Es war ein Fehler, Ihre Fragen zu beantworten.

Frage:

Dennoch werde ich mein Versprechen halten und Ihre Worte für die Zukunft bewahren.

Antwort:

Tatsächlich? Dann hören Sie mir jetzt genau zu, Sie degenerierter Fremen, Sie Priester, der keinen Gott außer sich selbst kennt! Es gibt sehr viel, für das Sie sich verantworten müssen. Es war ein Fremen-Ritual, bei dem Paul zum ersten Mal eine große Dosis Melange eingenommen hat, was ihm den Blick auf seine Zukunftsvisionen geöffnet hat. Es war ein Fremen-Ritual, in dem eben jene Melange die ungeborene Alia im Bauch von Lady Jessica aufgeweckt hat. Haben Sie jemals darüber nachgedacht, was es für Alia bedeutete, bei vollem Bewusstsein in dieses Universum hineingeboren zu werden, mit allen Erinnerungen und all dem Wissen ihrer Mutter? Eine schrecklichere Vergewaltigung kann man sich nicht vorstellen.

Frage:

Ohne das geheiligte Gewürz wäre Muad’Dib nicht der Anführer aller Fremen geworden. Und hätte Alia nicht diese heilige Erfahrung gemacht, wäre sie nicht Alia.

Antwort:

Und ohne Ihre blinde Fremen-Grausamkeit wären Sie kein Priester. Ah, ich kenne euch Fremen. Ihr glaubt, dass Muad’Dib zu euch gehört, weil er mit Chani das Bett teilt, weil er die Gebräuche der Fremen angenommen hat. Aber zuerst war er ein Atreides, und eine Schülerin der Bene Gesserit hat ihn ausgebildet. Er verfügte über Fähigkeiten, die euch gänzlich unbekannt waren. Ihr dachtet, er hätte euch eine neue Organisationsform und eine neue Mission gebracht. Er hat euch versprochen, euren Wüstenplaneten in ein wasserreiches Paradies zu verwandeln. Und während er euch mit diesen Zukunftsvisionen geblendet hat, hat er euch eurer Jungfräulichkeit beraubt!

Frage:

Ihre Ketzerei ändert nichts daran, dass die ökologische Umwandlung des Wüstenplaneten plangemäß voranschreitet.

Antwort:

Und die Ketzerei bestand darin, dass ich den Wurzeln dieser Umwandlung nachgespürt und ihre Folgen untersucht habe. Die große Schlacht auf der Ebene von Arrakeen hat dem Universum gezeigt, dass die Fremen die imperialen Sardaukar besiegen konnten – aber was hat sie uns noch gezeigt? Wenn das Sternenreich des Hauses Corrino unter Muad’Dib zu einem Fremen-Reich geworden ist, was ist dann noch aus diesem Imperium geworden? Euer Dschihad hat nur zwölf Jahre gedauert, aber welch eine Lektion hat er uns erteilt! Nun begreift das Imperium, dass Muad’Dibs Ehe mit Prinzessin Irulan ein Schwindel ist!

Frage:

Sie wagen es, Muad’Dib des Schwindels zu bezichtigen!

Antwort:

Sie mögen mich dafür töten, aber Ketzerei ist das nicht. Er hat die Prinzessin zu seiner Konkubine gemacht, nicht zu seiner Gefährtin. Chani, sein kleiner FremenLiebling – sie ist seine Gefährtin. Alle wissen das. Irulan war der Schlüssel zum Thron, weiter nichts.

Frage:

Es ist leicht zu erkennen, warum jene, die sich gegen Muad’Dib verschwören, Ihre »Historische Analyse« zur Mobilisierung verwenden.

Antwort:

Ich werde Sie nicht überzeugen können, das weiß ich. Aber das Argument einer Verschwörung gab es schon vor meiner Analyse. Die zwölf Jahre von Muad’Dibs Dschihad haben es hervorgebracht. Diese zwölf Jahre haben die alten Machteliten vereint und die Verschwörung gegen Muad’Dib entfacht.

Ein so reichhaltiger Mythenschatz umgibt Paul Muad’Dib, den Mentaten-Imperator, und seine Schwester Alia, dass es schwer ist, die wahren Menschen hinter diesen Schleiern zu erkennen. Und doch gab es sie: einen Mann, der unter dem Namen Paul Atreides zur Welt kam, und eine Frau mit dem Namen Alia. Ihr fleischliches Wesen war Raum und Zeit unterworfen. Und auch wenn ihre Orakelkräfte sie den Beschränkungen von Raum und Zeit enthoben, waren ihre Vorfahren Menschen. Sie haben reale Erfahrungen gemacht, die reale Spuren in einem realen Universum hinterlassen haben. Um sie zu verstehen, muss man erkennen, dass ihre Katastrophe die Katastrophe der gesamten Menschheit war. Dieses Werk ist daher nicht Muad’Dib oder seiner Schwester gewidmet, sondern ihren Erben – uns allen.

– Widmung am Tabla-Memorium des Mahdi-Geisterkults (zitiert nach der Abschrift in der Muad’Dib-Konkordanz)

Muad’Dibs Herrschaft brachte mehr Historiker hervor als jede andere Ära der menschlichen Geschichte. Die meisten von ihnen vertraten eifersüchtig und sektiererisch ihre jeweiligen Standpunkte, aber es sagt einiges über die besondere Wirkung dieses Mannes aus, dass er auf so vielen unterschiedlichen Welten eine solche Leidenschaft weckte.

Natürlich waren mit ihm auch alle notwendigen Zutaten für geschichtsträchtige Ereignisse verbunden, in idealer und idealisierter Form. Dieser Mann, der unter dem Namen Paul Atreides in eine alte, große Familie geboren wurde, erhielt von seiner Bene-Gesserit-Mutter die Prana-Bindu-Ausbildung, die ihm eine außerordentliche Kontrolle über seine Muskeln und Nerven verlieh. Darüber hinaus war er auch noch ein Mentat – ein Intellekt, dessen Fähigkeiten jene der von den Ahnen verwendeten Computer übertrafen, die man aus religiösen Gründen geächtet hatte.

Vor allem aber war Muad’Dib der Kwisatz Haderach, den die Schwesternschaft mit ihrem Zuchtprogramm über Tausende von Generationen hinweg hervorbringen wollte.

Der Kwisatz Haderach: der, der »an vielen Orten zugleich sein konnte«, der Prophet, der Mann, durch den die Bene Gesserit die Geschicke der Menschheit ihrer Kontrolle zu unterwerfen hofften – dieser Mann wurde zum Imperator Muad’Dib und ging eine Zweckehe mit einer Tochter des von ihm besiegten Padischah-Imperators ein.

Man stelle sich nur diese Paradoxie vor, das Scheitern, das diesem Moment innewohnt, denn sicherlich haben Sie noch andere Geschichtsbücher gelesen und kennen die oberflächlichen Fakten. Tatsächlich haben Muad’Dibs Fremen den Padischah-Imperator Shaddam IV. bezwungen. Sie haben die Sardaukar-Legionen und die vereinten Kräfte der Großen Häuser niedergeworfen, die Harkonnen-Truppen und die Söldner, die man mit dem Geld des Landsraads gekauft hatte. Muad’Dib hat die Raumgilde in die Knie gezwungen und seine eigene Schwester Alia auf den religiösen Thron gesetzt, von dem die Bene Gesserit geglaubt hatten, das er ihnen gehört.

All das hat er getan – und noch mehr.

Muad’Dibs Qizarat-Missionare überzogen das All mit ihrem Glaubenskrieg, dessen Triebkraft zwar schon nach zwölf Jahren erlahmte, dessen religiöser Kolonialismus jedoch mit Ausnahme eines Bruchteils das gesamte menschliche Universum unter eine Herrschaft brachte.

Das gelang ihm, weil die Eroberung von Arrakis, jener Welt, die meist als der Wüstenplanet bezeichnet wird, ihm das Monopol auf das ultimative Zahlungsmittel des Imperiums verschaffte – das geriatrische Gewürz, die Melange, das Gift, das Leben schenkt.

Hier erkennen wir eine weitere Zutat dieser idealtypischen Geschichte: ein Stoff, dessen psychoaktive Chemie die Zeit entwirrte. Ohne die Melange konnten die Ehrwürdigen Mütter der Schwesternschaft nicht ihre Meisterleistungen der Beobachtung und Menschenkontrolle vollbringen. Ohne die Melange konnten die Steuermänner der Gilde nicht im Raum navigieren. Ohne die Melange wären Milliarden und Abermilliarden Bürger des Imperiums an den Folgen des Entzugs gestorben.

Ohne die Melange konnte Paul Muad’Dib nicht in die Zukunft blicken.

Wir wissen, dass diesem Moment der größten Macht ein Scheitern innewohnte, und die einzig mögliche Lösung dieses Rätsels lautet, dass absolut zutreffende und umfassende Vorhersagen tödlich sind.

Andere Historiker sagen, dass Muad’Dib den Intrigen seiner offensichtlichen Feinde zum Opfer fiel: der Gilde, der Schwesternschaft und den wissenschaftlichen Amoralisten der Bene Tleilax mit ihren heimtückischen Gestalttänzern. Wieder andere Geschichtswerke weisen auf die Spione in Muad’Dibs näherem Umfeld hin. Sie machen viel Aufhebens um das Wüstentarot, durch das Muad’Dibs prophetische Kräfte getrübt wurden. Manche legen dar, wie man Muad’Dib dazu brachte, die Dienste eines Ghola anzunehmen, eines von den Toten Zurückgeholten, den man darauf trainiert hatte, ihn zu vernichten. Aber sie wissen auch, dass es sich bei diesem Ghola um Duncan Idaho handelte, den Atreides-Gefolgsmann, der starb, um das Leben des jungen Paul zu retten.

Und doch zeichnen sie die von Korba dem Panegyriker gelenkte Qizarat-Kabale nach. Schritt für Schritt gehen sie mit uns Korbas Plan durch, Muad’Dib zum Märtyrer zu machen und Chani, der Fremen-Konkubine, die Schuld zuzuschieben.

Aber wie soll das die sich uns darbietenden historischen Tatsachen erklären? Nichts von alledem ist dazu in der Lage. Nur anhand der tödlichen Natur des Prophezeiens können wir das Scheitern einer so gewaltigen und weitblickenden Macht verstehen.

Hoffentlich lernen andere Historiker etwas aus dieser Erkenntnis.

– Aus: »Historische Analyse:

Es gibt keine Trennlinie zwischen Göttern und Menschen; das eine geht unmerklich in das andere über.

– Aussprüche Muad’Dibs

Trotz des mörderischen Charakters der Intrige, die er zu spinnen hoffte, wurde Scytale, der Tleilaxu-Gestalttänzer, immer wieder von einem reuigem Mitgefühl ergriffen.

Es wird mir leidtun, Muad’Dib Tod und Unglück zu bringen, sagte er sich.

Vor seinen Mitverschwörern hielt er dieses Gefühl sorgfältig verborgen. Allerdings verriet es ihm, dass es ihm leichter fiel, sich mit dem Opfer zu identifizieren als mit den Angreifern – was charakteristisch für die Tleilaxu war.

Versonnen schweigend, stand Scytale etwas abseits der anderen. Der Streit über psychische Gifte ging schon eine ganze Weile. Er wurde mit Leidenschaft und Nachdruck geführt, trotzdem aber höflich – auf jene leicht zwanghafte Weise, derer sich die Angehörigen der Großen Schulen befleißigten, wenn es um Themen ging, die mit ihrem jeweiligen Dogma zu tun hatten.

»Kaum meint man, ihn aufgespießt zu haben, erweist er sich schon wieder als unverletzt!«

Das war die alte Ehrwürdige Mutter der Bene Gesserit, Gaius Helen Mohiam, ihre Gastgeberin hier auf Wallach IX. Dieses schwarz gewandete Klappergestell, diese alte Hexe saß links von Scytale in einem Schwebestuhl. Sie hatte die Kapuze ihrer Aba-Robe zurückgeworfen, sodass man ihre ledrigen Wangen und ihr silbergraues Haar sah. Tief in den Höhlen liegende Augen starrten aus einem maskenhaften Schädelgesicht.

Sie verwendeten eine Mirabhasa-Sprache mit geschliffenen, vielgliedrigen Konsonantenfolgen und zusammengezogenen Vokalen – ein Instrument zur Übermittlung feinster emotionaler Nuancen. Edric, der Steuermann der Gilde, antwortete der Ehrwürdigen Mutter mit einer von Hohn umspielten verbalen Verneigung – ein wahres Kunststück in abfälliger Höflichkeit.

Scytale musterte den Abgesandten der Gilde. Edric schwamm nur ein paar Schritte entfernt in einem mit orangefarbenem Gas gefüllten Behälter, der genau in der Mitte des Kuppelsaals stand, den die Bene Gesserit für dieses Treffen hatten errichten lassen. Die Gestalt des Gildenmanns ähnelte einem grotesk gedehnten Menschen mit Schwimmflossen an den Füßen und riesigen Händen, die ebenfalls Schwimmhäute aufwiesen – ein Fisch in einem seltsamen Meer. Aus den Ventilen seines Tanks kamen blass-orangefarbene Wolken, die intensiv nach Melange rochen.

»Wenn wir so weitermachen, fallen wir unserer Dummheit zum Opfer!«

Die Sprecherin war die vierte anwesende Person, das mögliche Mitglied ihres Verschwörerkreises: Prinzessin Irulan, die Ehefrau (aber nicht die Bettgefährtin, wie sich Scytale ins Gedächtnis rief) ihres gemeinsamen Feindes. Sie stand an einem Ecke von Edrics Behälter, eine hochgewachsene, blonde Schönheit in einem prachtvollen Mantel aus blauem Walpelz mit dazu passendem Hut. Goldstecker glitzerten an ihren Ohren. Ihre Haltung war aristokratisch stolz, doch etwas an ihrer in sich vertieften, ebenmäßigen Miene verriet, welche Selbstkontrolle ihr die Bene-Gesserit-Ausbildung ermöglichte.

Scytales Aufmerksamkeit wandte sich von den Feinheiten der Sprache und des Minenspiels ab und den Feinheiten der Örtlichkeit zu. Auf den Hügeln rings um die Kuppel lag schmutziger, halb geschmolzener Schnee, der das Licht der über dem Meridian stehenden blau-weißen Sonne reflektierte.

Warum gerade hier?, fragte sich Scytale. Die Bene Gesserit taten nur selten etwas ohne Grund. Die offene Architektur der Kuppel beispielsweise: Ein konventioneller, stärker einengender Raum hätte beim Gildenmann womöglich zu klaustrophobischem Unbehagen geführt. Seine psychischen Handicaps rührten von seiner Geburt und seinem Leben im freien Raum her, fernab jeder Planetenoberfläche.

Doch diese Räumlichkeiten eigens für Edric zu errichten – wie deutlich das seine Schwäche hervorhob!

Was an diesem Ort, überlegte Scytale, hebt meine Schwächen hervor?

»Haben Sie gar nichts zu sagen, Scytale?«, fragte die Ehrwürdige Mutter unwirsch.

»Sie wollen mich in diesen närrischen Streit hineinziehen?«, erwiderte Scytale. »Nun gut. Wir haben es mit einem potenziellen Messias zu tun. Auf so jemanden führt man keinen Frontalangriff durch. Sein Märtyrertod wäre eine Niederlage für uns.«

Die anderen starrten ihn an.

»Glauben Sie, dass das die einzige Gefahr wäre?«, fragte die Ehrwürdige Mutter mit schnarrender Stimme.

Scytale zuckte mit den Schultern. Er hatte für dieses Treffen eine nichtssagende Erscheinung gewählt: ein heiteres, rundes Gesicht mit vollen Lippen und eine pummelige Gestalt. Und als er nun seine Mitverschwörer betrachtete, wurde ihm bewusst, dass er – womöglich instinktiv – die ideale Wahl getroffen hatte. Er war der Einzige in der Gruppe, der sein körperliches Erscheinungsbild über ein breites Spektrum von Statur und Gesichtszügen variieren konnte. Er war ein menschliches Chamäleon, ein Gestalttänzer, und die Form, die er sich jetzt gegeben hatte, verleitete dazu, ihn nicht für voll zu nehmen.

»Nun?«, bohrte die Ehrwürdige Mutter nach.

»Ich habe die Stille genossen«, sagte Scytale. »Unsere Feindseligkeiten bleiben besser unausgesprochen.«

Die Ehrwürdige Mutter machte einen Schritt zurück, und Scytale sah, dass sie sich ein neues Urteil über ihn bildete. Sie alle waren Produkte einer tief greifenden Prana-Bindu-Ausbildung und zu einem Maß an Muskel- und Nervenkontrolle fähig, das nur wenige Menschen je erreichten. Aber als Gestalttänzer kontrollierte Scytale zusätzlich Muskel- und Nervenverbindungen, die die anderen nicht einmal besaßen, und dazu hatte er ein besonderes Einfühlungsvermögen, den Einblick eines Nachahmers, mit dessen Hilfe er nicht nur das Gesicht, sondern auch die Psyche eines anderen Menschen imitieren konnte.

Scytale ließ der Ehrwürdigen Mutter Zeit, um ihre Neubewertung abzuschließen, dann sagte er: »Gift!« Er sprach das Wort mit jener Atonalität aus, die vermittelte, dass er allein seine geheime Bedeutung verstand.

Der Gildenmann regte sich, und seine wabernde Stimme drang aus der Lautsprecherkugel, die neben Irulan glitzernd um eine Ecke des Tanks kreiste. »Die Rede ist von einem Gift für die Psyche, nicht von einem für den Körper.«

Scytale lachte. Wenn man auf Mirabhasa lachte, konnte man damit seinem Gegner bei lebendigem Leib die Haut abziehen, und er hielt sich nicht zurück.

Irulan lächelte anerkennend, aber in den Augenwinkeln der Ehrwürdigen Mutter war ein Anflug von Verärgerung zu erkennen.

»Hören Sie auf damit!«, krächzte Mohiam.

Scytale hörte auf, aber nun genoss er allseitige Aufmerksamkeit. Edric sah ihn in stummem Zorn an, die Ehrwürdige Mutter in wachsamer Verärgerung, Irulan belustigt, aber auch verwirrt.

»Unser Freund Edric will andeuten, dass zwei Bene-Gesserit-Hexen trotz ihrer höchst subtilen Ausbildung nicht den wahren Nutzen der Täuschung erkannt haben«, sagte Scytale.

Mohiam drehte den Kopf und blickte auf die kalten Hügel ihrer Bene-Gesserit-Heimatwelt. Scytale sah ihr an, dass ihr langsam bewusst wurde, worum es wirklich ging. Das war gut. Bei Irulan allerdings lagen die Dinge anders.

»Sind Sie nun einer von uns, Scytale, oder nicht?«, fragte Edric. Der Gildenmann starrte ihn aus seinen winzigen Nagetieraugen an.

»Hier geht es nicht um meine Loyalitäten«, erwiderte Scytale. Er wandte sich Irulan zu. »Sie fragen sich, warum Sie all diese Parsec gereist sind, Prinzessin? Warum Sie so viel aufs Spiel gesetzt haben?«

Sie nickte zustimmend.

»War es nur, um ein paar Plattitüden mit einem Fischmenschen auszutauschen? Oder um mit einem dicken Tleilaxu-Gestalttänzer zu debattieren?«

Irulan trat von Edrics Tank zurück und schüttelte den Kopf. Offenbar bereitete ihr der üppige Melangeduft Unbehagen.

Edric wählte diesen Moment, um eine Melangepastille einzunehmen. Er aß das Gewürz, atmete es und trank es mit Sicherheit auch, dachte Scytale. Verständlich, denn das Gewürz schärfte die Zukunftssicht des Steuermanns, verlieh ihm die Macht, einen Gilden-Heighliner mit Überlichtgeschwindigkeit durch den Raum zu steuern. Mit der Beobachtungsgabe, die ihm das Gewürz schenkte, fand er jenen Strang der Zukunft, auf dem der Heighliner möglichen Gefahren entging. Nun witterte Edric eine andere Art von Gefahr, doch mit seiner krückenhaften Vorahnung würde er sie vielleicht nicht entdecken.

»Ich glaube, es war ein Fehler, hierherzukommen«, sagte Irulan.

Die Ehrwürdige Mutter drehte sich zu ihr um. Sie öffnete und schloss die Augen wie ein merkwürdiges Reptil.

Scytale wandte seine Aufmerksamkeit von Irulan ab und dem Tank zu, womit er die Prinzessin aufforderte, es ihm nachzutun. Scytale wusste, dass sie in Edric eine abstoßende Erscheinung erblicken würde: sein unverhohlenes Starren, die monströsen Füße und Hände, die sich leicht im Gas bewegten, die orangefarbenen Rauchbänder, die ihn umwirbelten. Sie würde sich fragen, wie es um seine Sexualgewohnheiten stand, und sich vorstellen, wie seltsam es sein musste, sich mit so einem Geschöpf zu paaren. Sogar der Feldgenerator, der für Edric die Schwerelosigkeit des Alls simulierte, trennte ihn jetzt von ihr.

»Prinzessin«, sagte Scytale, »durch Edric kann der Orakelblick Ihres Mannes nicht über bestimmte Ereignisse stolpern, darunter dieses hier … Jedenfalls gehen wir davon aus.«

»Wir gehen davon aus«, wiederholte Irulan.

Die Ehrwürdige Mutter nickte mit geschlossenen Augen. »Das Phänomen der Vorahnung wird selbst von den Eingeweihten kaum verstanden«, sagte sie.

»Ich bin ein vollwertiger Gildennavigator und verfüge über diese Macht«, sagte Edric.

Die Ehrwürdige Mutter öffnete ihre Augen wieder. Jetzt sah sie den Gestalttänzer an. Ihr Blick fixierte ihn mit der für die Bene Gesserit charakteristischen Eindringlichkeit. Sie wägte kleinste Einzelheiten ab.

»Nein, Ehrwürdige Mutter«, murmelte Scytale. »Ich bin nicht so einfältig, wie ich erscheine.«

»Wir verstehen die Kraft des zweiten Gesichts nicht«, sagte Irulan. »Das müssen wir immer in Betracht ziehen. Edric sagt, dass mein Mann nicht sehen, wissen oder vorhersagen kann, was im Einflussbereich eines Navigators geschieht. Aber wie weit erstreckt sich dieser Einflussbereich?«

»Es gibt in unserem Universum Menschen und Dinge, die ich nur anhand ihrer Wirkungen erkenne«, erwiderte Edric, wobei sich seine dünnen Fischlippen kaum voneinander lösten. »Ich weiß, dass sie hier gewesen sind … dort … irgendwo. Wie Wasserbewohner beim Vorbeischwimmen die Strömung aufwühlen, so wühlen Geschöpfe mit der Gabe der Vorahnung die Zeit auf. Ich habe gesehen, wo Ihr Ehemann gewesen ist. Doch ihn selbst oder jene, die seine Ziele und Loyalitäten teilen, habe ich nie gesehen. So verbirgt der Kundige die Seinen.«

»Aber Irulan ist nicht die Ihre«, sagte Scytale und warf der Prinzessin einen Blick zu.

»Wir alle wissen, warum die Verschwörung nur in meiner Anwesenheit fortgeführt werden darf«, sagte Edric.

In dem Stimmmodus, mit dem man eine Maschine beschrieb, sagte Irulan: »Offenbar haben Sie also Ihren Nutzen.«

Jetzt sieht sie ihn als das, was er ist, dachte Scytale. Gut! Laut sagte er: »Die Zukunft ist etwas zu Gestaltendes. Behalten Sie das immer im Kopf, Prinzessin.«

Irulan wandte sich dem Gestalttänzer zu. »Jene, die Pauls Ziele und Loyalitäten teilen«, sagte sie, »darunter auch einige seiner Fremen-Legionäre, tragen dann also seinen Schleier. Ich habe ihn für sie prophezeien sehen, habe gehört, wie sie ihren Mahdi, ihren Muad’Dib, anbeteten.«

Ihr ist der Gedanke gekommen, dass hier über sie Gericht gehalten wird, dachte Scytale. Dass noch ein Urteil aussteht, das ihre Rettung oder ihre Vernichtung bedeuten kann. Sie erkennt jetzt die Falle, die wir ihr gestellt haben.

Für eine Sekunde traf sein Blick auf den der Ehrwürdigen Mutter, und er hatte das merkwürdige Gefühl, dass sie beide gerade den gleichen Gedanken über Irulan hatten. Die Bene Gesserit hatten ihre Prinzessin natürlich instruiert, hatten sie mittels geschickter Lügen vorbereitet. Aber es kam immer der Moment, in dem eine Bene Gesserit auf ihre eigene Ausbildung, ihre eigenen Instinkte vertrauen musste.

»Prinzessin«, sagte Edric, »ich weiß, was Sie vom Imperator am meisten begehren.«

»Wer weiß das nicht?«, fragte Irulan.

»Sie wollen die Mutter der königlichen Dynastie sein«, fuhr Edric fort, als hätte er sie nicht gehört. »Aber wenn Sie sich uns nicht anschließen, wird es nie dazu kommen. Vertrauen Sie meiner Weissagung. Der Imperator hat Sie aus politischen Gründen geheiratet, doch das Bett werden Sie niemals mit ihm teilen.«

»Das Orakel ist also zugleich Voyeur«, sagte Irulan mit höhnischer Stimme.

»Der Imperator ist fester mit seiner Fremen-Konkubine vermählt als mit Ihnen!«, zischte Edric.

»Und doch schenkt sie ihm keinen Erben«, erwiderte Irulan.

»Die Vernunft ist das erste Opfer starker Gefühle«, sagte Scytale leise. Er spürte, wie die Wut in Irulan brodelte, und sah, dass sein Tadel Wirkung zeigte.

»Sie schenkt ihm keinen Erben«, sagte Irulan nun mit sorgfältig kontrollierter Stimme, »weil ich ihr insgeheim ein Verhütungsmittel verabreiche. Ist das die Art von Geständnis, die Sie von mir hören wollten?«

»Das sollte der Imperator wohl besser nicht herausfinden«, sagte Edric lächelnd.

»Meine Lügen liegen schon für ihn bereit«, sagte Irulan. »Er mag die Wahrheit erahnen, aber manche Lügen sind leichter zu glauben als die Wahrheit.«

»Jedenfalls müssen Sie die Entscheidung treffen, Prinzessin«, sagte Scytale. »Aber machen Sie sich klar, was es ist, das Sie beschützt.«

»Paul verhält sich fair mir gegenüber«, erwiderte Irulan. »Ich bin Mitglied seines Rats.«

»Hat er Ihnen in den zwölf Jahren als Prinzessinnenkonkubine auch nur das kleinste bisschen Wärme entgegengebracht?«, fragte Edric.

Irulan schüttelte den Kopf.

Der Gildenmann fuhr fort: »Mit seiner Fremen-Horde hat er Ihren Vater abgesetzt und hat Sie geheiratet, um sich sein Anrecht auf den Thron zu sichern, und doch hat er Sie nie zur Imperatorin gekrönt.«

»Edric appelliert an Ihre Gefühle, um Sie auf unsere Seite zu ziehen, Prinzessin«, sagte Scytale. »Ist das nicht interessant?«

Irulan warf einen Blick auf den Gestalttänzer, sah das unverfrorene Lächeln in seinem Gesicht und hob zur Antwort die Augenbrauen. Scytale merkte ihr an, dass sie sich nun darüber im Klaren war, dass ein Teil ihrer Pläne, eben diese Momente, vor Pauls hellseherischem Blick verborgen bleiben konnten, wenn sie Edrics Einflussbereich wieder verließ. Wenn sie allerdings an ihren Vorbehalten festhielt …

»Haben Sie womöglich den Eindruck, Prinzessin, dass Edric in unserer Verschwörung zu viel Einfluss genießt?«, fragte Scytale.

»Ich habe mich bereits damit einverstanden erklärt, mich bei unseren Beratungen dem besten Urteil unterzuordnen«, sagte der Gildenmann.

»Und wer entscheidet, was das beste Urteil ist?«, fragte Scytale.

Edric sah den Gestalttänzer an. »Wollen Sie, dass die Prinzessin uns wieder verlässt, ohne unseren Plan zu unterstützen?«

»Er will, dass sie wirklich überzeugt ist«, grummelte die Ehrwürdige Mutter. »Zwischen uns darf es keine Täuschung geben.«

Scytale beobachtete weiter Irulan. Die Prinzessin hatte die Hände in den Ärmeln ihres Gewands verborgen und eine entspannte, nachdenkliche Haltung eingenommen. Mit Sicherheit dachte sie über Edrics Köder nach: Eine Herrscherdynastie zu begründen! Und vermutlich fragte sie sich, was die Verschwörer ausgeheckt hatten, um sich vor ihr zu schützen. Es gab viel für sie abzuwägen.

»Scytale«, sagte Irulan schließlich, »es heißt, dass ihr Tleilaxu ein eigenartiges Ehrensystem habt. Eure Opfer müssen immer eine Möglichkeit haben, zu entkommen.«

»Ja«, erwiderte Scytale. »Wenn sie die Möglichkeit finden.«

»Bin ich ein Opfer?«

Scytale brach in lautes Lachen aus.

Die Ehrwürdige Mutter schnaubte.

»Prinzessin«, sagte Edric dann mit sanfter, lockender Stimme, »machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind doch schon eine von uns. Spionieren Sie die Familie des Imperators denn nicht für Ihre Bene-Gesserit-Oberen aus?«

»Paul weiß, dass ich meinen Lehrerinnen Bericht erstatte«, sagte Irulan.

»Aber Sie geben ihnen das Material, mit dem sie Propaganda gegen Ihren Imperator machen können, nicht wahr?«, sagte Edric.

Nicht »unseren« Imperator, bemerkte Scytale. Sondern »Ihren« Imperator. Als Bene Gesserit kann Irulan diesen kleinen Versprecher unmöglich überhören. Er trat näher an den Behälter des Gildenmanns und sagte: »Das alles ist eine Frage der Macht und wie sie eingesetzt werden kann. Wir Tleilaxu glauben, dass es im Universum nur den unstillbaren Hunger der Materie gibt. Dass die Energie das einzig wirklich Feste ist. Und Energie lernt. Hören Sie mir gut zu, Prinzessin: Energie lernt. Das ist es, was wir als Macht bezeichnen.«

»Sie haben mich noch nicht davon überzeugt, dass wir den Imperator besiegen können«, sagte Irulan.

»Wir haben uns noch nicht einmal selbst davon überzeugt«, erwiderte Scytale.

»In welche Richtung wir uns auch wenden«, sagte die Prinzessin, »sehen wir uns mit seiner Macht konfrontiert. Er ist der Kwisatz Haderach, der, der an vielen Orten zugleich sein kann. Er ist der Mahdi, dessen kleinste Laune ein unverrückbarer Befehl für die Qizarat-Missionare ist. Er ist der Mentat, der mit seinem analytischen Verstand die fähigsten Computer der Alten übertrifft. Er ist Muad’Dib, der mit seinen Fremen-Legionen ganze Planeten entvölkert. Er verfügt über hellseherische Kräfte, mit denen er die Zukunft vorhersagen kann. Er weist das genetische Muster auf, nach dem wir Bene Gesserit seit …«

»Wir kennen seine Eigenschaften«, fiel die Ehrwürdige Mutter Irulan ins Wort. »Und wir wissen auch, dass dieses Scheusal, seine Schwester Alia, das gleiche genetische Muster aufweist. Und doch sind sie beide Menschen. Also haben sie Schwächen.«

»Und was sind das für menschliche Schwächen?«, fragte Scytale. »Sollen wir beim religiösen Arm seines Dschihads danach suchen? Lässt sich der Qizarat des Imperators gegen ihn wenden? Was ist mit der zivilen Autorität der Großen Häuser? Ist der Landsraad zu mehr imstande als zu verbalem Getöse?«

»Ich schlage die Merkantile Allianz für Fortschritt und Entwicklung im All vor«, sagte Edric, während er sich in seinem Tank umwandte. »Die MAFEA ist eine Geschäftsorganisation, und Geschäfte macht man dort, wo es Gewinne zu holen gibt.«

»Oder vielleicht die Mutter des Imperators«, sagte Scytale. »Soweit ich es mitbekommen habe, weilt Lady Jessica auf Caladan, befindet sich aber in regelmäßigem Kontakt mit ihrem Sohn.«

»Dieses verräterische Miststück«, sagte Mohiam in einem überraschend gelassenen Ton. »Könnte ich es, so würde ich mich von meinen eigenen Händen lossagen, mit denen ich sie ausgebildet habe.«

»Wir brauchen einen Hebel für unsere Verschwörung«, sagte Scytale.

»Wir sind mehr als nur Verschwörer«, sagte die Ehrwürdige Mutter.

Scytale nickte. »Ah ja! Wir sind energisch, und wir lernen schnell. Das macht uns zur wahren Hoffnung, zur sicheren Rettung der Menschheit.« Er sprach in der Modalform für absolute Gewissheit, was aus dem Mund eines Tleilaxu der größte denkbare Hohn war.

Offenbar verstand nur die Ehrwürdige Mutter seine unterschwellige Botschaft. »Warum?«, fragte sie Scytale.

Bevor der Gestalttänzer antworten konnte, räusperte sich Edric und sagte: »Verzichten wir doch auf den Austausch philosophischer Unsinnigkeiten. Alle Fragen lassen sich auf eine herunterbrechen: Warum gibt es überhaupt irgendetwas? Und jede Entscheidung, sei sie religiöser, geschäftlicher oder politischer Natur, hat diese eine Folgerung: Wer wird die Macht ausüben? Allianzen, Kombinate, Organisationen – sie alle jagen Trugbildern nach, wenn sie nicht auf die Macht hinarbeiten. Alles andere ist sinnlos – was die meisten denkenden Wesen auch früher oder später begreifen.«

Scytale zuckte mit den Schultern, eine Geste, die nur für die Ehrwürdige Mutter bestimmt war. Edric hatte ihre Frage für ihn beantwortet. Dieser salbadernde Narr war ihr größter Schwachpunkt! Um sicherzugehen, dass die Ehrwürdige Mutter das verstand, sagte der Gestalttänzer: »Wenn man dem Lehrer aufmerksam zuhört, wird man früher oder später gebildet.«

Die Ehrwürdige Mutter nickte langsam.

»Prinzessin«, sagte Edric, »treffen Sie Ihre Wahl. Man hat Sie zu einem Werkzeug des Schicksals bestimmt, das denkbar präziseste …«

»Sparen Sie sich Ihr Lob für diejenigen, die sich durch so etwas beeindrucken lassen«, fiel ihm Irulan ins Wort. »Zuvor erwähnten Sie einen Geist, einen Wiedergänger, mit dem wir den Imperator kontaminieren könnten. Erklären Sie mir das.«

»Der Atreides wird sich selbst besiegen!«, frohlockte Edric.

»Hören Sie auf, in Rätseln zu sprechen«, fuhr Irulan ihn an. »Was hat es mit diesem Geist auf sich?«

»Es ist ein sehr ungewöhnlicher Geist. Er hat einen Leib und einen Namen. Der Leib – dabei handelt es sich um den Körper eines bekannten Schwertmeisters namens Duncan Idaho. Der Name …«

»Idaho ist tot. Paul hat seinen Tod häufig in meiner Anwesenheit beklagt. Er hat gesehen, wie Idaho von den Sardaukar meines Vaters getötet wurde.«

»Nun, selbst in der Niederlage haben die Sardaukar Ihres Vaters nichts von ihrer Klugheit verloren. Nehmen wir an, ein Sardaukar Kommandant hat in der Leiche eines von seinen Leuten getöteten Mannes den Schwertmeister erkannt. Was dann? Für solch einen Körper und eine solche Ausbildung gibt es viele Verwendungen … wenn man schnell handelt.«

»Ein Tleilaxu-Ghola«, flüsterte Irulan und warf Scytale einen Blick zu.

Scytale, dem ihre Anspannung nicht entging, brachte seine Fähigkeiten als Gestalttänzer zum Einsatz. Formen flossen ineinander, Fleisch bewegte sich und rutschte an eine neue Position. Im nächsten Augenblick stand ein schlanker Mann vor ihr. Das Gesicht war zwar immer noch eher rund, aber dunkler und mit ebenmäßigeren Zügen. Über den hohen Wangenknochen ruhten Augen mit deutlich erkennbaren doppelten Lidfalten. Das Haar des Mannes war schwarz und zerzaust.

»Ein Ghola, der so aussieht«, sagte Edric und deutete auf Scytale.

»Oder nur ein weiterer Gestalttänzer?«, fragte Irulan.

»Kein Gestalttänzer«, erwiderte der Gildenmann. »Unter längerer Beobachtung riskiert ein Gestalttänzer entlarvt zu werden. Nein. Stellen wir uns vor, dass unser kluger Sardaukar-Kommandant Idahos Leichnam für die Axolotl-Tanks aufbewahren ließ. Warum auch nicht? Diese Leiche barg Fleisch und Nerven eines der besten Schwertkämpfer aller Zeiten, eines Beraters der Atreides, eines militärischen Genies. Was für eine Verschwendung wäre es gewesen, eine solche Ausbildung und solche Fähigkeiten einfach verloren zu geben, wenn man diesen Mann doch als Lehrmeister für die Sardaukar wiederbeleben könnte.«

»Ich habe nicht das leiseste Gerücht von etwas Derartigem gehört, und ich habe immer das Vertrauen meines Vaters genossen«, sagte Irulan.

»Ah, aber Ihr Vater war ein geschlagener Mann, und nur wenige Stunden später hat man Sie an den neuen Imperator verschachert.«

»Ist es also tatsächlich geschehen?«

Mit kaum zu ertragender Selbstgefälligkeit sagte Edric: »Gehen wir davon aus, dass unser kluger Sardaukar-Kommandant Idahos konserviertes Fleisch in dem Wissen, dass Eile geboten war, unverzüglich an die Bene Tleilax schickte. Gehen wir weiter davon aus, dass der Kommandant und seine Männer gestorben sind, bevor sie Ihrem Vater etwas davon mitteilen konnten – der ohnehin nicht viel mit dieser Information hätte anfangen können. Damit wäre nur ein physisches Faktum übrig, ein Stück Fleisch, das man den Tleilaxu geschickt hatte. Und natürlich gab es nur eine Möglichkeit, es ihnen zu schicken, nämlich mit einem Gilden-Heighliner. Wir Gildenleute wissen nun aber von jeder Fracht, die wir transportieren. Und da wir auch von dieser Fracht gewusst hätten, hätten wir es nicht für weise gehalten, diesen Ghola als Geschenk, das eines Imperators würdig ist, zu erwerben?«

»Sie haben es also getan«, sagte Irulan leise.

Scytale, der wieder seine vorherige leicht pummelige Gestalt angenommen hatte, sagte: »Wie unser geschwätziger Freund andeutet, haben wir das.«

»Wie hat man Idaho konditioniert?«, fragte die Prinzessin.

»Idaho?«, sagte Edric und sah dabei den Tleilaxu an. »Kennen Sie einen Idaho, Scytale?«

»Wir haben Ihnen ein Geschöpf namens Hayt verkauft«, erwiderte Scytale.

»Ah, ja … Hayt. Und warum haben Sie ihn uns verkauft?«

»Weil wir schon einmal einen Kwisatz Haderach für uns selbst gezüchtet haben.«

Mit einer raschen Kopfbewegung blickte die Ehrwürdige Mutter zu Scytale auf. »Davon haben Sie uns nichts erzählt!«, zischte sie anklagend.

»Sie haben nicht danach gefragt«, gab Scytale zurück.

»Wie haben Sie Ihren Kwisatz Haderach besiegt?«, fragte Irulan.

»Ein Geschöpf, das sein Leben darauf verwendet, eine bestimmte Repräsentation seines Selbst zu erschaffen, stirbt eher, als zur Antithese dieser Repräsentation zu werden«, sagte Scytale.

»Das verstehe ich nicht«, sagte Edric zögerlich.

»Er hat sich umgebracht«, knurrte Mohiam.

»Folgen Sie mir aufmerksam, Ehrwürdige Mutter«, sagte Scytale und verwendete dabei eine Modalstimme, mit der er zum Ausdruck brachte: Sie sind kein Sexualobjekt, Sie waren niemals ein Sexualobjekt und werden niemals eines sein.

Der Tleilaxu wartete einige Sekunden, um seine unverhohlene Betonung sacken zu lassen. Sie durfte seine Absichten auf keinen Fall falsch deuten. Auf das Verstehen mussten erst Zorn und dann die Erkenntnis folgen, dass er so eine Anschuldigung unmöglich erheben konnte, da er doch ganz genau wusste, was das Zuchtprogramm der Schwesternschaft von ihren Mitgliedern verlangte. Doch seine Worte bargen eine ungeheure Beleidigung, die so gar nicht zu einem Tleilaxu passte.

Rasch versuchte Edric in der Beschwichtigungsmodalität des Mirabhasa die Wogen zu glätten. »Scytale, Sie sagen also, dass Sie uns Hayt verkauft haben, weil Sie unseren Wunsch nach der Art seiner Verwendung teilen.«

»Edric, Sie werden schweigen, bis ich Ihnen die Erlaubnis zum Sprechen erteile«, gab Scytale scharf zurück.

Als der Gildenmann zu einer Erwiderung anhob, blaffte die Ehrwürdige Mutter: »Halten Sie den Mund, Edric!«

Zappelnd vor Empörung zog sich Edric weiter in seinen Tank zurück.

»Diese flüchtigen Emotionen sind bei der Lösung unseres gemeinsamen Problems nicht hilfreich«, sagte Scytale dann. »Sie vernebeln unsere Urteilskraft, weil die einzige in diesem Zusammenhang relevante Emotion die grundlegende Angst ist, die uns zu diesem Treffen veranlasst hat.«

»Das ist uns klar«, sagte Irulan und warf dabei der Ehrwürdigen Mutter einen kurzen Blick zu.

»Sie müssen die gefährliche Beschränkung unseres Schutzschilds erkennen«, fuhr Scytale fort. »Ein Orakel kann nicht zufällig auf etwas stoßen, das es nicht versteht.«

»Sie sind wirklich verschlagen, Scytale«, sagte die Prinzessin.

Sie darf nicht erraten, wie verschlagen, dachte Scytale. Wenn all das hinter uns liegt, dann besitzen wir einen Kwisatz Haderach, den wir kontrollieren können. Und die anderen werden nichts besitzen. »Wir haben mit verschiedenen reinen Essenzen experimentiert«, sagte er. »Mit dem reinen Guten und dem reinen Bösen. Von einem reinen Schurken, dem nichts als die Erzeugung von Schmerz und Schrecken Vergnügen bereitet, kann man sehr viel lernen.«

»Der alte Baron Harkonnen, der Großvater unseres Imperators – war er eine Schöpfung der Tleilaxu?«, fragte Irulan.

»Nein, er stammte nicht von uns«, erwiderte Scytale. »Aber die Natur bringt oft ebenso tödliche Geschöpfe hervor wie wir. Wir erzeugen sie lediglich unter Bedingungen, unter denen wir sie studieren können.«

»Ich lasse mich nicht derart übergehen und behandeln!«, protestierte Edric aus der Tiefe seines Tanks. »Ich, der ich dieses Treffen vor dem Imperator …«

»Sehen Sie?«, unterbrach ihn Scytale. »Wessen bestes Urteil verbirgt uns? Und was für ein Urteil?«

»Ich möchte besprechen, in welcher Weise wir Hayt dem Imperator übergeben«, insistierte Edric. »So, wie ich es verstehe, repräsentiert Hayt die alte Moral, die dem Atreides auf seiner Geburtswelt gelehrt wurde. Er soll es dem Imperator erleichtern, seinen moralischen Charakter zu erweitern und die positiv-negativen Elemente des Lebens und der Religion zu markieren.«

Scytale lächelte und ließ seinen Blick wohlwollend an seinen Mitstreitern entlangwandern. Sie alle entsprachen seinen Erwartungen. Die alte Ehrwürdige Mutter schwang ihre Emotionen wie eine Sense. Irulan war gut für eine Aufgabe ausgebildet worden, bei der sie versagt hatte, eine mangelhafte Schöpfung der Bene Gesserit. Edric war nicht mehr (und nicht weniger) als die Hand des Zauberkünstlers: Er verbarg und lenkte ab.

Nun verfiel der Gildenmann wieder in beleidigtes Schweigen, als die anderen ihn nicht weiter beachteten.

»Habe ich das richtig verstanden, dass dieser Hayt Pauls Psyche vergiften soll?«, fragte Irulan.

»Mehr oder weniger«, sagte Scytale.

»Und was ist mit dem Qizarat?«

»Es braucht nur die winzigste Verlagerung des Schwerpunkts, eines kleinen emotionalen Rucks, um aus Neid Feindschaft zu machen.«

»Und die MAFEA?«

»Die wird sich dorthin wenden, wo es etwas zu verdienen gibt.«

»Was ist mit den anderen Machtgruppen?«

»Die eine schimpft sich Regierung. Die weniger mächtigen werden wir im Namen von Moralität und Fortschritt übernehmen. Unsere Gegner werden an ihren eigenen Verstrickungen zugrunde gehen.«

»Auch Alia?«

»Hayt ist ein Vielzweck-Ghola. Die Schwester des Imperators ist in einem Alter, in dem sie sich leicht durch einen charmanten Vertreter des männlichen Geschlechts ablenken lässt. Seine Männlichkeit und seine Fähigkeiten als Mentat werden sehr anziehend auf sie wirken.«

Mohiam weitete ihre alten Augen vor Überraschung. »Der Ghola ist ein Mentat? Das ist ein gefährliches Manöver.«

»Um zutreffende Vorhersagen zu machen«, sagte Irulan, »braucht ein Mentat zutreffendes Datenmaterial. Was, wenn Paul ihn darum bittet, den Zweck zu bestimmen, den wir mit unserem Geschenk verfolgen?«

»Dann wird Hayt die Wahrheit sagen«, erwiderte Scytale. »Aber das macht keinen Unterschied.«

»Sie lassen also einen Fluchtweg für Paul offen«, sagte Irulan.

»Ein Mentat!«, knurrte Mohiam.

Scytale sah zu der Ehrwürdigen Mutter und erkannte den uralten Hass, der in ihrer Reaktion zum Ausdruck kam. Seit den Tagen von Butlers Dschihad, als man die »Denkmaschinen« beinahe im gesamten Universum ausgelöscht hatte, erregten Computer Misstrauen. Auch die Vorstellung von einem menschlichen Computer war von diesen alten Gefühlen geprägt.

»Mir gefällt Ihr Lächeln nicht«, sagte Mohiam unvermittelt in der Wahrheitsmodalität und starrte Scytale wütend an.

Der Gestalttänzer erwiderte in der gleichen Modalität: »Und mich beschäftigt die Frage, was Ihnen gefällt, nicht besonders. Aber wir müssen zusammenarbeiten. Das ist uns allen klar.« Er warf dem Gildenmann einen Blick zu. »Nicht wahr, Edric?«

»Sie erteilen schmerzhafte Lektionen«, sagte Edric. »Ich nehme an, Sie wollten mir klarmachen, dass ich mich nicht gegen das gemeinsame Urteil meiner Mitverschwörer stellen darf.«

»Sehen Sie, er ist lernfähig«, sagte Scytale.

»Ich sehe auch noch andere Dinge«, sagte Edric. »Die Atreides haben ein Monopol auf das Gewürz. Ohne Gewürz kann ich nicht die Zukunft ergründen. Und die Bene Gesserit verlieren ihren Wahrheitssinn. Wir haben Vorräte, doch die sind begrenzt. Die Melange ist eine mächtige Währung.«

»Unsere Zivilisation hat mehr als nur eine Münze«, sagte Scytale. »Deshalb versagt das Gesetz von Angebot und Nachfrage.«

»Sie beabsichtigen, das Geheimnis zu stehlen«, keuchte Mohiam. »Aber es befindet sich auf einem Planeten, der von seinen verrückten Fremen bewacht wird!«

»Die Fremen sind höflich, wohlerzogen und unwissend«, sagte Scytale. »Sie sind nicht verrückt. Man hat sie dazu ausgebildet, zu glauben, nicht zu wissen. Glaube lässt sich manipulieren. Nur Wissen ist eine Gefahr.«

»Aber wird mir denn etwas bleiben, das als Vater eines Herrschergeschlechts dienen kann?«, fragte Irulan.

Sie alle hörten der Prinzessin ihre Entschlossenheit an, aber nur Edric lächelte darüber.

»Etwas«, sagte Scytale. »Etwas wird bleiben.«

»Das bedeutet das Ende dieses Atreides als herrschender Kraft«, sagte Edric.

»Nun, ich stelle mir vor, dass bereits weniger begabte Hellseher diese Voraussage getroffen haben«, sagte Scytale. »Für sie gilt mektub al mellah, wie die Fremen sagen.«

»Dies wurde mit Salz geschrieben«, übersetzte Irulan.

Und während sie das sagte, erkannte Scytale, was die Bene Gesserit hier für ihn bereitgestellt hatten: eine wunderschöne und intelligente Frau, die niemals ihm gehören würde. Nun ja, dachte er, vielleicht ahme ich sie einmal für jemanden nach.

Alle Zivilisationen haben es mit einer unbewussten Kraft zu tun, die nahezu jede bewusste Absicht des Gemeinwesens blockieren, untergraben oder widerrufen kann.

– Tleilaxu-Theorem (unbewiesen)

Paul setzte sich auf die Bettkante und zog die Wüstenstiefel aus. Sie stanken ranzig vom Schmiermittel für die Pumpen, die von den Hacken angetrieben wurden und den Destillanzug funktionstüchtig hielten. Es war spät. Er hatte den Abendspaziergang ausgedehnt und seinen Lieben damit Sorgen bereitet. Zugegebenermaßen waren diese Spaziergänge gefährlich, doch es handelte sich um eine Art von Gefahr, die er erkennen und auf die er unverzüglich reagieren konnte. Es hatte etwas Verlockendes, nachts unerkannt durch die Straßen von Arrakeen zu laufen.

Er warf die Stiefel in die Ecke unter dem einzigen Leuchtglobus im Zimmer und widmete sich den Verschlusssiegeln des Destillanzugs. Bei allen Göttern der Tiefe, wie müde er war! Aber die Müdigkeit betraf nur seine Muskeln – in seinem Verstand brodelte es. Wann immer er die Leute bei ihrem alltäglichen Treiben beobachtete, beneidete er sie zutiefst. Am Großteil dieses außerhalb der Mauern seiner Festung dahinströmenden Lebens konnte ein Imperator nicht teilhaben, aber … eine öffentliche Straße entlangzugehen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen: Welch ein Privileg! An den bettelnden Pilgern vorbeizulaufen, zu hören, wie ein Fremen einen Ladenbesitzer verfluchte: »Du hast feuchte Hände!« …

Während er seinen Destillanzug abstreifte, brachte die Erinnerung daran Paul zum Lächeln.

Dann stand er nackt und seiner Welt merkwürdig wohlgesonnen da. Der Wüstenplanet war zu einem paradoxen Ort geworden – einer Welt unter Belagerung und doch im Zentrum der Macht gelegen. Er kam zu dem Schluss, dass es das unausweichliche Schicksal der Macht war, belagert zu werden. Er sah auf den grünen Teppichboden hinab, spürte die groben Fasern unter den Fußsohlen.

Der Wüstensand, vom Stratuswind über den Schildwall geweht, lag knöcheltief in den Straßen. Die Füße der Passanten verwirbelten ihn zu Staub, der die Filter der Destillanzüge verstopfte. Noch jetzt konnte Paul diesen Staub riechen, obwohl er sich am Gebläse am Festungseingang gereinigt hatte. Es war ein Geruch voller Wüstenerinnerungen.

Andere Zeiten … andere Gefahren.

Verglichen mit jenen anderen Zeiten, waren die Gefahren bei seinen einsamen Spaziergängen wahrlich gering. Doch wenn er einen Destillanzug überzog, zog er die Wüste über. Dieser Anzug mit all seinen Vorrichtungen zur Wiedergewinnung von Körperflüssigkeit gab seinem Denken eine unterschwellige Richtung, ließ ihn bei seinen Bewegungen in ein Wüstenmuster verfallen. Er wurde zu einem wilden Fremen. Der Anzug war mehr als eine Verkleidung, er machte ihn zu jemandem, der seiner Stadtpersönlichkeit fremd gegenüberstand. Im Destillanzug ließ er alle Sicherheitsbedenken fahren und kleidete sich in seine alten, grausamen Fähigkeiten. Städter und Pilger hielten den Blick gesenkt, wenn sie an ihm vorbeikamen. Sie ließen die wilden Fremen aus gebotener Vorsicht in Frieden. Wenn die Wüste für die Städter ein Gesicht hatte, dann war es ein hinter den Mund- und Nasenfiltern eines Destillanzugs verborgenes Fremen-Gesicht.

Tatsächlich bestand dieser Tage eigentlich nur noch die nicht allzu große Gefahr, dass ihn jemand aus den alten Sietch-Zeiten an seiner Gangart, seinem Geruch oder seinen Augen erkannte. Und selbst dann war die Wahrscheinlichkeit, einem Feind zu begegnen, sehr gering.

Das Rascheln der Türvorhänge und das einfallende Licht rissen Paul aus seinen Gedanken. Chani trat mit einem Platintablett, auf dem das Kaffeegeschirr klirrte, ein. Die zwei gebundenen Leuchtgloben, die ihr folgten, flitzten auf ihre Positionen: Einer ans Kopfende des Bettes, während der andere neben ihr schwebte, um ihr bei ihrer Tätigkeit zu leuchten.

Chanis Bewegungen haftete etwas Altersloses an, eine Aura zerbrechlicher Macht – so in sich ruhend, so verwundbar. Etwas an der Art, mit der sie sich über das Kaffeegeschirr beugte, erinnerte Paul an ihre ersten gemeinsamen Tage. Ihr Gesicht war noch immer dunkel und elfenhaft, als hätten ihr die vielen Jahre nichts anhaben können – nur in den äußeren Winkeln ihrer tiefblauen Augen konnte man bei genauem Hinsehen kleine Falten erkennen: »Sandspuren«, wie die Fremen der Wüste sie nannten.

Dampf stieg aus der Kanne auf, als Chani den Deckel mit dem Griff aus Hagar-Smaragd hob. An der Art, wie sie ihn wieder aufsetzte, erkannte Paul, dass der Kaffee noch nicht fertig war. Die Kanne – silbern, die Form einer schwangeren Frau – war ihm als Ghanima zugefallen, als Trophäe, nachdem er ihren Vorbesitzer im Zweikampf getötet hatte. Jamis, so hatte der Mann geheißen … Jamis. Welch seltsame Art der Unsterblichkeit ihm Jamis’ Tod doch verliehen hatte. Hatte Jamis im Wissen, dass sein Tod unausweichlich war, eben jenes Stück in der Hand gehalten?

Chani platzierte die Tassen. Blaue Scherben, die wie Bittsteller vor der gewaltigen Kanne kauerten. Es waren drei Tassen – eine für jeden Trinkenden und eine für alle Vorbesitzer.

»Gleich ist er so weit«, sagte sie.

Dabei blickte sie Paul an, und er fragte sich, wie er wohl für sie aussah. War er noch immer der exotische Außenweltler, schlank und drahtig, aber im Vergleich zu den Fremen dennoch wasserfett? War er der Usul seines Stammesnamens geblieben, der sie im Fremen-Tau zu sich genommen hatte, während sie durch die Wüste geflohen waren?