Der Gottkaiser des Wüstenplaneten - Frank Herbert - E-Book

Der Gottkaiser des Wüstenplaneten E-Book

Frank Herbert

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Beschreibung

Dreieinhalb Jahrtausende sind auf Arrakis vergangen, und die Welt hat sich gewandelt: Der ehemalige Wüstenplanet ist dank technischer Mittel eine grüne Oase geworden. Die einst so stolzen Fremen sind nur noch ein Schatten ihrer selbst, eine Touristenattraktion. Doch es gibt noch ein Stück Vergangenheit auf Arrakis, sorgfältig vor Feuchtigkeit geschützt: die Wüste Sareer. Dort lebt Leto II., der Sohn von Paul Muad’dib. Seit Jahrtausenden vollzieht sein Körper eine Wandlung, geht eine Symbiose mit dem Shai-Hulud ein. Er hat seine Menschlichkeit aufgegeben, um die Menschen zu retten, tritt jetzt als Gott auf und verlangt absolute Unterwerfung. Doch seine Gegner wissen, dass er verletzlich ist – und sie verfügen über die Waffen, um ihn zu vernichten …

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Seitenzahl: 707

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Frank Herberts große WÜSTENPLANET-Saga in sechs Bänden:

Der Wüstenplanet

Der Herr des Wüstenplaneten

Die Kinder des Wüstenplaneten

Der Gottkaiser des Wüstenplaneten

Die Ketzer des Wüstenplaneten

Die Ordensburg des Wüstenplaneten

FRANK HERBERT

DER GOTTKAISER DES

WÜSTEN

PLANETEN

Roman

Aus dem Amerikanischen von Jakob Schmidt

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der Originalausgabe:

GOD EMPEROR OF DUNE

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Neuausgabe 12/2021

Redaktion: Alexander Martin

Copyright © 1981 by Herbert Properties LLC

Copyright © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: DAS ILLUSTRAT, München, unter Verwendung von Motiven von iStockphoto (Sylphe_7, dottedhippo)

Umsetzung E-Book: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-25205-2V003

www.diezukunft.de

Auszug aus der Rede von Hadi Benotto, in der die Entdeckungen bei Dar-es-Balat auf dem Planeten Rakis verkündet wurden:

Es ist mir nicht nur ein Vergnügen, Ihnen heute Morgen die Entdeckung dieses erstaunlichen Lagerraums bekannt zu geben, der unter anderem eine riesige Sammlung von Manuskripten auf ridulianischem Kristallpapier enthält. Ich bin auch stolz, Ihnen schon jetzt darlegen zu können, warum wir diese Funde für authentisch halten und davon überzeugt sind, auf die ursprünglichen Tagebücher von Leto II., dem Gottkaiser, gestoßen zu sein.

Gestatten Sie mir als Erstes, Ihnen den historischen Schatz in Erinnerung zu rufen, der unter der Bezeichnung »Die gestohlenen Tagebücher« bekannt ist, jene uralten Bände, die uns viele Jahrhunderte lang dabei geholfen haben, unsere Vorfahren zu verstehen. Wie Sie alle wissen, wurden die gestohlenen Tagebücher von der Raumgilde entziffert, und derselbe Gildenschlüssel wurde nun auch für die Übersetzung der neu entdeckten Manuskripte verwendet. Nur mit ihm lassen sich diese Texte übersetzen – es ist also anzunehmen, dass die Manuskripte genauso alt sind wie die gestohlenen Tagebücher.

Zweitens: Das ixianische Diktakel, mit dem die Manuskripte erstellt wurden, ist sogar noch älter als der Schlüssel. Dank der gestohlenen Tagebücher wissen wir zweifelsfrei, dass es sich hierbei um die Methode handelte, mit der Leto II. seine historischen Betrachtungen festhielt.

Und drittens: Der Lagerraum selbst hat unserer Überzeugung nach eine ähnlich große Bedeutung wie die entdeckten Manuskripte. Es handelt sich um ein ixianisches Artefakt von so urtümlicher und doch so erstaunlicher Bauweise, dass es die als »Die Zerstreuung« bekannte Epoche in einem neuen Licht erscheinen lassen wird. Erwartungsgemäß war dieser Raum unsichtbar. Er war weit tiefer vergraben, als uns die Mythen und mündlichen Überlieferungen vermuten ließen, und er ahmte durch die Aufnahme und Abgabe von Strahlung die Eigenschaften seiner Umgebung nach, eine mechanische Mimesis, die uns an und für sich nicht überraschte. Überraschend für unsere Techniker war allerdings, dass man diese Mimesis mit den rudimentärsten und primitivsten mechanischen Mitteln bewerkstelligt hat.

Wie ich sehe, sind viele von Ihnen darüber nicht weniger begeistert als wir.

Wir glauben, dass wir es hier mit dem ersten ixianischen Globus zu tun haben, dem Nicht-Raum, aus dem sich alle weiteren Artefakte dieser Art entwickelt haben. Und selbst wenn es sich nicht um das erste Exemplar handelt, dann ist es zumindest eines der ersten, das diesen Prinzipien folgt.

Wir werden Ihre offenkundige Neugier mit einem Rundgang durch den Lagerraum befriedigen, der in Kürze beginnen wird. Ich möchte Sie jetzt schon darum bitten, sich dabei so ruhig wie möglich zu verhalten, da unsere Techniker und andere Spezialisten nach wie vor damit befasst sind, den Geheimnissen des Artefakts auf die Spur zu kommen.

Was mich zu meinem vierten Punkt bringt, bei dem es sich womöglich um die Krönung unserer Entdeckung handelt. Mit Gefühlen, die ich kaum beschreiben kann, präsentiere ich Ihnen einen weiteren Fund, den wir an diesem Ort gemacht haben: eine mündliche Aufzeichnung, die Leto II. mit der Stimme seines Vaters Paul Muad’Dib angefertigt hat. Da sich in den Archiven der Bene Gesserit authentifizierte Sprachaufnahmen des Gottkaisers befinden, haben wir eine Probe unserer Aufzeichnung, die mittels eines uralten Mikroblasensystems erstellt wurde, an die Schwesternschaft übermittelt und sie um einen Abgleich ersucht. Wir hegen keine Zweifel daran, dass sich die Aufzeichnung als echt erweisen wird.

Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit nun also bitte den übersetzten Auszügen zuwenden wollen, die wir zu Beginn verteilt haben. Ich entschuldige mich bei dieser Gelegenheit für ihr enormes Gewicht. Einige von Ihnen habe ich schon darüber scherzen gehört. Wir haben aus einem ganz praktischen Grund gewöhnliches Papier verwendet – aus Sparsamkeit. Die Schriftzeichen in den Originalmanuskripten sind so klein, dass man sie stark vergrößern muss, um sie lesen zu können. Tatsächlich braucht man mehr als vierzig gewöhnliche Bände, um den Inhalt auch nur eines ridulianischen Kristalls wiederzugeben.

Wenn der Projektor dann … ja. Auf dem Schirm zu Ihrer Linken sehen Sie einen Teil einer Originalseite, genauer gesagt der ersten Seite des ersten Bandes. Auf dem Schirm zu Ihrer Rechten sehen Sie unsere Übersetzung. Beachten Sie die textimmanenten Hinweise, die poetische Eitelkeit der Wortwahl und die Bedeutung, die wir aus der Übersetzung ableiten können. Der Stil weist auf eine identifizierbare und konsistente Persönlichkeit hin. Wir sind der Überzeugung, dass dieser Text nur von jemand geschrieben werden konnte, der die Erweiterte Erinnerung unmittelbar erlebt hat. Jemand, der sich bemühte, diese außergewöhnliche Erfahrung früherer Leben so zu vermitteln, dass auch diejenigen sie nachvollziehen können, die nicht über diese Gabe verfügen.

Betrachten Sie nun den eigentlichen Inhalt. Alle internen Bezüge passen zu dem, was über jene Person überliefert ist, die unserer Meinung nach als einzige einen solchen Bericht hätte verfassen können.

An dieser Stelle haben wir noch eine weitere Überraschung für Sie. Ich habe mir erlaubt, den bekannten Dichter Rebeth Vreeb einzuladen, damit er eine kurze Passage aus unserer Übersetzung vorliest. Wir haben nämlich festgestellt, dass die Worte einen anderen Charakter gewinnen, wenn man sie laut liest. Wir möchten diese außergewöhnliche Eigenschaft des Textes nun mit Ihnen teilen.

Begrüßen Sie bitte Rebeth Vreeb!

Aus der Lesung von Rebeth Vreeb:

Ich versichere euch, dass ich das Buch des Schicksals bin.

Fragen sind meine Feinde. Denn meine Fragen explodieren. Antworten flattern empor wie ein aufgeschreckter Vogelschwarm und verdunkeln den Himmel meiner unentrinnbaren Erinnerungen. Eine Antwort ist nie genug.

Welches Farbenspiel aufblitzt, wenn ich das furchtbare Feld meiner Vergangenheit betrete! Ich bin ein Feuersteinsplitter in einer Schachtel. Die Schachtel dreht sich und erzittert. Ich werde im Sturm der Geheimnisse umhergeworfen. Und wenn sich die Schachtel wieder öffnet, kehre ich in dieses Dasein zurück wie ein Fremder in ein urtümliches Land.

Langsam (langsam, sage ich) erinnere ich mich wieder an meinen Namen.

Aber das heißt nicht, dass ich mich selbst kenne.

Die Person meines Namens, dieser Leto, der als Zweiter so genannt wurde, findet andere Stimmen in seinem Kopf, andere Namen, andere Orte. Oh, ich verspreche euch (wie man es mir versprochen hat), dass ich nur auf einen Namen hören werde. Wenn ihr »Leto« sagt, antworte ich. Weil man es duldet, wird es wahr. Und noch aus einem anderen Grund: Ich halte die Fäden in der Hand!

Sie alle gehören mir. Ich muss mir nur ein Thema vorstellen, zum Beispiel »Männer, die durch das Schwert den Tod fanden«, und schon habe ich sie in allen blutigen Einzelheiten vor mir, höre jedes Stöhnen, sehe jedes schmerzverzerrte Gesicht.

Wenn ich »Freuden der Mutterschaft« denke, sind die Wochenbetten mein. Ich sehe ein Babylächeln nach dem anderen, höre das süße Gurren neuer Generationen. Ich erlebe die ersten Schritte der Kleinkinder und habe an den ersten Siegen der Jungen teil. Sie alle purzeln in mir übereinander, bis ich kaum noch etwas anderes wahrnehme als Gleichförmigkeit und Wiederholung.

»Bewahre das alles gut«, ermahne ich mich.

Wer kann den Wert solcher Erfahrungen bestreiten, den Wert des Lernens, dem ich jedem neuen Augenblick beimesse?

Ah, aber das ist die Vergangenheit.

Versteht ihr nicht?

Es ist nur die Vergangenheit!

Heute Morgen wurde ich in einer Jurte am Rande einer Reiterebene geboren, in einem Land auf einem Planeten, der nicht mehr existiert. Morgen werde ich als jemand anderer an einem anderen Ort geboren werden. Wo und als wer habe ich noch nicht entschieden. Aber heute Morgen – ah, dieses Leben! Nachdem meine Augen zu sehen gelernt hatten, blickte ich hinaus in den Sonnenschein und über das niedergetrampelte Gras und sah Menschen, die eifrig ihrem süßen Tagewerk nachgingen. Wo … wo ist nur all dieser Tatendrang hin?

– Die gestohlenen Tagebücher

Die drei Menschen, die im Verbotenen Wald durch die Mondschatten Richtung Norden rannten, waren über beinahe einen halben Kilometer verteilt. Der letzte von ihnen hatte weniger als hundert Meter Vorsprung vor den D-Wölfen, die sie verfolgten. Sie hörten das gierige Kläffen und Japsen, das diese Tiere von sich geben, wenn ihre Beute in Sicht ist.

Da der Erste Mond fast genau über ihnen stand, war es ziemlich hell im Wald, und obwohl sie sich in den höheren Breitengraden von Arrakis befanden, war es nach wie vor warm von der Hitze des Sommertags. Der nächtliche Lufthauch, der aus der Sareer, der Letzten Wüste, herüberwehte, trug den Geruch von Harz und die feuchten Ausdünstungen des Mulchs unter den Füßen der Laufenden mit sich, und ab und an streifte sie eine Brise vom Kynes-Meer jenseits der Sareer und ließ sie Salz- und Fischgerüche erahnen.

Es war eine Laune des Schicksals, dass der letzte der Laufenden Ulot hieß – »Geliebter Nachzügler« in der Sprache der Fremen. Ulot war gedrungen und neigte zur Dickleibigkeit, weshalb er bei der Vorbereitung für ihr Unterfangen besonders auf seine Ernährung geachtet hatte. Aber obwohl er für ihren verzweifelten Lauf abgenommen hatte, war sein Gesicht noch rund, und seine großen braunen Augen wirkten verwundbar.

Ulot war sich darüber im Klaren, dass er nicht mehr sehr lange rennen konnte. Er keuchte und schnaufte, hin und wieder stolperte er. Aber er rief nicht nach seinen Gefährten. Er wusste, dass sie ihm nicht helfen konnten. Sie hatten alle den gleichen Eid geschworen, im Wissen, dass sie nichts zu ihrer Verteidigung besaßen außer den alten Tugenden und die Frementreue. Das war immer noch eine Wahrheit, auch wenn alles, was die Fremen betraf, inzwischen Museumscharakter hatte – die Museumsfremen lernten es auswendig und ahmten es nach.

Es war die Frementreue, die Ulot schweigen ließ, obwohl er wusste, dass er verloren war. Er war eine beispielhafte Verkörperung dieser uralten Eigenschaft, aber auch eine tragische, denn die Läufer hatten dieses Wissen nur aus Büchern und mündlich überlieferten Legenden über die Tugenden ihrer Vorfahren.

Die D-Wölfe liefen dicht hinter Ulot, riesige graue Gestalten, deren Schulterpartien mannshoch über dem Boden aufragten. Voller Jagdeifer sprangen sie in weiten Sätzen dahin und jaulten, die Köpfe erhoben und die Blicke fest auf ihre Beute gerichtet, die ihnen das Mondlicht preisgab.

Ulots linker Fuß verfing sich in einer Wurzel, und er wäre beinahe gestürzt. Das verlieh ihm neue Energie. Er rannte schneller und gewann so etwa eine Wolfslänge Vorsprung, die Fäuste geballt und laut durch den offenen Mund atmend.

Die D-Wölfe liefen nicht schneller. Sie waren silberne Schatten, die durch die lauten grünen Gerüche des Waldes huschten. Sie wussten um ihren Sieg. Es war ein ihnen vertrautes Gefühl.

Wieder strauchelte Ulot. Er fing sich an einem Schössling ab und setzte seinen Lauf keuchend fort. Zitternd begehrten seine Beine gegen die ihnen zugemuteten Anstrengungen auf. Ihm fehlte einfach die Kraft, um erneut zu beschleunigen.

Einer der D-Wölfe, ein großes Weibchen, überholte ihn links und schnitt ihm mit einem Satz den Weg ab. Riesige Fänge rissen an Ulots Schulter und ließen ihn taumeln, aber er fiel nicht. Der durchdringende Geruch von Blut gesellte sich zu den Gerüchen des Waldes. Dann, als ihn ein kleineres Männchen an der rechten Hüfte erwischte, ging Ulot schreiend zu Boden. Das Rudel stürzte sich auf ihn, und seine Schreie verstummten abrupt.

Die D-Wölfe fraßen nicht, sondern nahmen die Jagd gleich wieder auf, suchten den Waldboden mit ihren Nasen ab, witterten in die Luftströmungen und fanden die warmen Spuren der beiden anderen rennenden Menschen.

Der nächste Läufer vor ihnen hieß Kwuteg, ein alter und ehrenhafter Name auf Arrakis aus der Zeit, als man diese Welt noch Wüstenplanet genannt hatte. Einer seiner Vorfahren hatte in Sietch Tabr als Meister der Todesdestillen gedient, aber das war vor über dreitausend Jahren gewesen, eine Vergangenheit, an die nur noch wenige glaubten. Kwuteg, dessen hochgewachsener, schlanker Körper wie geschaffen für das Laufen war, rannte mit weiten Schritten. Sein langes schwarzes Haar flatterte hinter dem Falkengesicht. Wie seine Gefährten trug er einen schwarzen Laufanzug aus fest gewebter Baumwolle, unter dem sich die Bewegung der Pobacken und der sehnigen Schenkel so deutlich abzeichnete wie sein tiefes, gleichmäßiges Atmen. Nur seine für Kwutegs Verhältnisse geringe Geschwindigkeit verriet, dass er sich am rechten Knie verletzt hatte, als er von den menschengemachten Felswänden herabgesprungen war, die die Zitadelle des Gottkaisers in der Sareer umgaben.

Kwuteg hörte Ulots Schreie, die plötzliche Stille, dann das erneute Jagdkläffen der D-Wölfe. Er versuchte, sich nicht vorzustellen, wie ein weiterer seiner Freunde von Letos monströsen Wächtern getötet worden war, aber er konnte seiner Fantasie nicht entrinnen. In Gedanken stieß er einen Fluch auf den Tyrannen aus, er verschwendete jedoch keinen Atem darauf, ihn laut auszusprechen. Er hatte noch die Chance, die Zuflucht am Idaho-Fluss zu erreichen. Kwuteg wusste, was seine Freunde über ihn dachten – sogar Siona. Er war immer als konservativ bekannt gewesen. Schon als Kind hatte er sich seine Kräfte aufgespart, sich seine Reserven eingeteilt, bis es wirklich darauf ankam.

Trotz des verletzten Knies lief er nun schneller. Er wusste, dass der Fluss nahe war. Der Schmerz, ein ununterbrochenes Brennen, hatte mittlerweile sein ganzes Bein und seine Hüfte erfasst. Er kannte die Grenzen seiner Ausdauer. Er wusste auch, dass Siona schon fast am Wasser war. Als schnellste Läuferin trug sie das versiegelte Bündel bei sich, das Bündel mit den Dingen, die sie aus der Festung in der Sareer gestohlen hatten. Während er weiterrannte, fokussierte Kwuteg seine Gedanken darauf.

Rette es, Siona! Verwende es, um ihn zu vernichten!

Dann schoben sich wieder die Geräusche der D-Wölfe in sein Bewusstsein. Sie waren zu nahe. Kwuteg wurde bewusst, dass er ihnen nicht entkommen würde.

Aber Siona muss entkommen!

Er riskierte einen Blick über die Schulter und sah, dass einer der Wölfe gerade dazu ansetzte, ihm von der Seite den Weg abzuschneiden. Er erkannte das Muster ihrer Attacke. Im selben Moment, in dem der Wolf sprang, sprang auch Kwuteg. So brachte er einen Baum zwischen sich und das Rudel. Dann duckte er sich hinter den Wolf, der von der Seite kam, packte mit beiden Händen eines der Hinterbeine und schwang das Tier wie einen Dreschflegel, sodass die anderen Wölfe auseinanderstoben. Als Kwuteg feststellte, dass die Kreatur nicht so schwer war wie erwartet, wirbelte er – fast froh darüber, dass nun etwas Neues geschah – wie ein Derwisch herum und schlug mit seiner lebenden Keule nach den Angreifern, von denen zwei zu Boden gingen, als die Schädel aufeinander krachten. Aber er konnte sich nicht nach allen Seiten absichern. Ein drahtiges Männchen sprang ihm in den Rücken und schleuderte ihn gegen einen Baum, sodass er den Wolf loslassen musste.

»Lauf!«, schrie er.

Das Rudel stürzte sich auf ihn, und Kwutegs Zähne erwischten die Kehle des drahtigen Wolfs. Mit verzweifelter Kraft biss er zu. Wolfsblut spritzte ihm ins Gesicht und in die Augen. Blind rollte er herum und packte dabei einen weiteren Wolf. In diesem wirbelnden, kläffenden Durcheinander wandten sich einige der Tiere gegen ihre verletzten Artgenossen. Doch der Großteil ließ sich nicht von der eigentlichen Beute ablenken. Von beiden Seiten zerrissen Wolfszähne Kwutegs Hals.

Auch Siona hatte Ulots Schrei und die Stille danach wahrgenommen, sowie das Kläffen des Rudels, als es die Verfolgung wieder aufgenommen hatte. Sie hätte explodieren können vor Zorn. Sie hatten Ulot wegen seiner analytischen Fähigkeiten mitgenommen. Anhand nur weniger Teile konnte er ein Ganzes erkennen. Es war Ulot gewesen, der mit gezücktem Vergrößerungsglas die beiden sonderbaren Bände untersucht hatte, die sie zusammen mit den Lageplänen der Zitadelle gefunden hatten.

»Ich glaube, sie sind verschlüsselt«, hatte er gesagt.

Und Radi, armer Radi, der erste von ihnen, der gestorben war … Radi hatte gesagt: »Wir können uns das zusätzliche Gewicht nicht erlauben. Wirf sie weg.«

»Etwas Unwichtiges verbirgt man nicht so gut«, hatte Ulot widersprochen.

»Wir sind wegen der Lagepläne gekommen, und die haben wir«, hatte Kwuteg Radi beigepflichtet. »Diese Dinger sind zu schwer.«

Aber Siona war auf Ulots Seite gewesen. »Ich trage sie.«

Damit war der Streit beendet gewesen.

Armer Ulot.

Sie alle hatten gewusst, dass er der langsamste Läufer in ihrer Gruppe war. Ulot war in den meisten Dingen langsam, aber die Klarheit seines Verstands war unbestreitbar.

Er ist vertrauenswürdig.

Er war vertrauenswürdig.

Siona nutzte die Energie, die ihr der Zorn verlieh, um schneller zu laufen. Bäume peitschten im Mondlicht an ihr vorbei. Sie befand sich in der zeitlosen Leere des Rennens, in der es nichts gab außer den eigenen Bewegungen, außer ihrem Körper, der tat, worauf man ihn konditioniert hatte.

Männer fanden sie schön, wenn sie rannte. Siona wusste das. Ihr langes dunkles Haar war zu einem festen Knoten gebunden, sodass es nicht hinter ihr im Wind flatterte. Sie hatte Kwuteg Dummheit vorgeworfen, als er sich geweigert hatte, es ebenso zu machen.

Wo ist Kwuteg?

Anders als Kwutegs Haar war ihres von jenem tiefen Braun, das zuweilen für Schwarz gehalten wird, aber nicht wirklich schwarz ist. Wie die Gene es manchmal wollten, glich ihr Gesicht dem einer lange toten Vorfahrin: oval, mit einem üppigen Mund und wachsam blickenden Augen über einer kleinen Nase. Ihr Körper war von den Jahren des Rennens hager und sehnig, trotzdem sandte er starke sexuelle Signale aus.

Wo ist Kwuteg?

Das Wolfsrudel war verstummt. Das beunruhigte sie. Die Tiere hatten das Gleiche getan, kurz bevor sie Radi zur Strecke gebracht hatten. Und ebenso bei Setuse.

Sie sagte sich, dass die Stille auch etwas anderes bedeuten konnte. Kwuteg war ebenfalls still … und stark. Seine Verletzung hatte ihm nicht besonders viel ausgemacht.

Jetzt spürte Siona erste Schmerzen in der Brust, die eine Atemnot ankündigten, wie sie bei ihren vielen Trainingsläufen gelernt hatte. Unter dem dünnen, schwarzen Laufanzug rann der Schweiß an ihr herab. Sie hatte sich das Bündel, das wasserdicht verpackt war, um den kostbaren Inhalt auf dem Weg durch den Fluss zu schützen, auf den Rücken geschnallt. Sie dachte an die Lagepläne der Zitadelle, die sich darin befanden.

Wo versteckt Leto nur sein Gewürz?

Es musste sich irgendwo in der Zitadelle befinden. Es gab keine andere Möglichkeit, und in den erbeuteten Lageplänen würden sie bestimmt einen Hinweis darauf finden, wo es gelagert war. Das Melange-Gewürz, nach dem die Bene Gesserit, die Gilde und alle anderen hungerten – das war der Preis, der all die Risiken wert war.

Und die beiden rätselhaften Bände … In einer Hinsicht hatte Kwuteg recht gehabt: Ridulianisches Kristallpapier war schwer. Aber sie teilte Ulots Meinung, dass in diesen verschlüsselten Zeilen etwas Wichtiges verborgen war.

Hinter ihr im Wald erklang das gierige Jagdkläffen der Wölfe.

Renn, Kwuteg! Renn!

Vor ihr zwischen den Bäumen konnte sie schon den breiten, gerodeten Uferstreifen entlang des Idaho-Flusses sehen und erhaschte einen Blick auf das mondbeschienene Wasser.

Renn, Kwuteg!

Sie sehnte sich nach einem Laut, nach irgendeinem Geräusch von ihm. Von den elf Menschen, die losgelaufen waren, waren nur sie beide übrig geblieben. Neun hatten ihr Unterfangen mit dem Leben bezahlt: Radi, Aline, Ulot, Setuse, Inineg, Onemao, Hutye, Memar und Oala. Siona sprach in Gedanken ihre Namen und sandte bei jedem ein stummes Gebet an die alten Götter, nicht an den Tyrannen Leto. Und vor allem betete sie zu Shai-Hulud.

Ich bete zu Shai-Hulud, der im Sand lebt.

Plötzlich war sie aus dem Wald heraus und auf dem Uferstreifen. Direkt vor ihr, hinter einem schmalen Saum aus grobem Kies, lockte das Wasser. Der Sand vor dem öligen Strom glitzerte silbrig im Mondlicht.

Ein lautes Jaulen aus den Bäumen hinter ihr ließ sie beinahe straucheln. Sie hörte Kwutegs Stimme inmitten der Geräusche der Wölfe. Er rief nach ihr, ohne ihren Namen auszusprechen, es war ein Schrei, der in einem Wort zahllose Gespräche umfasste, eine Nachricht von Tod und Leben.

»Lauf!«

Die Laute des Rudels verwandelten sich in ein entsetzliches Gewinsel und Gekläffe, aber von Kwuteg war nichts mehr zu hören. Da wusste sie, was er in den letzten Augenblicken seines Lebens tat.

Er hält sie auf, damit ich entkommen kann.

Ohne länger zu zögern, rannte sie ans Ufer und sprang kopfüber ins Wasser. Erhitzt, wie sie war, traf sie die Kälte des Flusses wie ein Schock, und für einen Moment trieb sie benommen stromabwärts. Dann bekam sie wieder Luft und begann zu schwimmen. Das kostbare Bündel stieß von hinten gegen ihren Kopf.

An diesem Abschnitt war der Idaho-Fluss nicht besonders breit, keine fünfzig Meter. Er beschrieb einen weiten Bogen mit sandigen Einbuchtungen und war von Wurzeln, Schilfdickicht und Gras gesäumt, wo sich das Wasser geweigert hatte, entlang der geraden Bahnen zu fließen, die Letos Baumeister geschaffen hatten. Siona wusste, dass man die D-Wölfe darauf abgerichtet hatte, am Wasser anzuhalten, und das gab ihr Kraft. Man hatte ihrem Revier klare Grenzen gesetzt – auf der einen Seite der Fluss, auf der anderen der Wüstenwall. Trotzdem schwamm Siona die letzten Meter unter Wasser und tauchte im Schatten einer steilen Böschung wieder auf, bevor sie sich umdrehte.

Die Wölfe standen in einer Reihe am Ufer, bis auf einen, der ganz nahe ans Wasser gekommen war. Er beugte sich vor, die Pfoten beinahe im Strom. Siona hörte ihn winseln.

Sie wusste, dass der Wolf sie sah. D-Wölfe waren für ihre scharfen Augen bekannt, unter den Vorfahren von Letos Wächtern waren Spähhunde gewesen, und er züchtete sie aus genau diesem Grund. Siona fragte sich, ob die Wölfe ihre Konditionierung dieses eine Mal überwinden würden. Wenn der eine Wolf ins Wasser sprang, würden ihm die anderen womöglich folgen. Sie hielt den Atem an und spürte ihre tiefe Erschöpfung. Sie waren fast dreißig Kilometer gelaufen, und auf der zweiten Hälfte der Strecke waren die D-Wölfe dicht hinter ihnen gewesen.

Der Wolf am Flussufer jaulte kurz auf, dann sprang er zu seinem Rudel zurück. Auf ein lautloses Signal hin wandten sich die Wölfe ab und liefen in den Wald. Siona wusste, wohin sie unterwegs waren. D-Wölfe durften alles fressen, was sie im Verbotenen Wald zur Strecke brachten. Alle wussten das. Sie waren die Wächter der Sareer.

»Dafür wirst du bezahlen, Leto«, flüsterte sie. Der Klang ihrer Stimme glich dem stillen Rascheln des Wassers im Schilf hinter ihr. »Du wirst für Ulot bezahlen, für Kwuteg und für all die anderen. Du wirst bezahlen.«

Sie schob sich auf den Fluss hinaus und ließ sich von der Strömung treiben, bis ihre Füße den Grund vor einem schmalen Strand ertasteten. Langsam, gebeugt von ihrer Erschöpfung, stieg sie aus dem Wasser und hielt kurz inne, um sich zu vergewissern, dass der Inhalt des Bündels trocken geblieben war. Die Versiegelung war unbeschädigt. Sie betrachtete das Bündel für einen Moment im Mondschein, dann hob sie den Blick zur finsteren Mauer des Waldes auf der anderen Seite des Flusses.

Der Preis wurde entrichtet. Zehn teure Freunde.

Tränen glitzerten in ihren Augen, aber sie war aus dem Holz der alten Fremen geschnitzt und neigte nicht zum Weinen. Ihr Vorstoß über den Fluss, durch den Wald, an dessen Nordrand die Wölfe patrouillierten, durch die Letzte Wüste und schließlich über die Wehranlagen der Zitadelle – all das hatte in ihrem Kopf bereits die Form eines Traums angenommen. Auch die Flucht vor den Wölfen, mit der Siona gerechnet hatte, weil der Weg des Rudels unvermeidlich die Spur der Eindringlinge hatte kreuzen müssen, sodass die Tiere auf der Lauer liegen und sie erwarten würden – auch das ein Traum. Es war Vergangenheit.

Ich bin entkommen.

Sie befestigte das versiegelte Bündel wieder an ihrem Rücken.

Ich habe deine Verteidigungsanlagen durchbrochen, Leto.

Sie musste wieder an die rätselhaften Bände denken. Sie spürte, dass sich in den verschlüsselten Zeilen etwas verbarg, was ihr die Möglichkeit zur Rache eröffnen würde.

Ich werde dich vernichten, Leto!

Nicht: Wir werden dich vernichten! Das war nicht Sionas Weg. Sie würde es selbst tun.

Sie wandte sich um und ging in Richtung der Obsthaine jenseits des Uferstreifens. Während sie ging, wiederholte sie ihren Schwur und ergänzte ihn um die laut ausgesprochene alte Fremenformel, die mit ihrem vollen Namen endete: »Siona Ibn Fuad al-Seyefa Atreides ist diejenige, die dich verflucht, Leto. Du wirst den vollen Preis entrichten!«

Aus der Hadi-Benotto-Übersetzung der Manuskripte, die in Dar-es-Balat gefunden wurden:

Ich wurde vor über dreitausend Standardjahren als Leto Atreides II. geboren – gerechnet von dem Moment an, in dem ich den Druck dieser Worte veranlasse. Mein Vater war Paul Muad’Dib. Meine Mutter war seine Fremengefährtin Chani. Meine Großmutter mütterlicherseits war Faroula, eine von den Fremen geschätzte Kräuterkundige. Meine Großmutter väterlicherseits war Jessica, ein Produkt des Bene-Gesserit-Zuchtprogramms, dessen Ziel es war, einen Mann in die Welt zu bringen, der an den Kräften der Ehrwürdigen Mütter der Schwesternschaft teilhaben konnte. Mein Großvater mütterlicherseits war Liet-Kynes, der Planetologe, der die ökologische Transformation von Arrakis in die Wege geleitet hat. Mein Großvater väterlicherseits war der Atreides, ein Abkömmling des Haus Atreus, dessen Geschlecht sich bis zu den griechischen Ursprüngen zurückverfolgen lässt.

Aber genug dieser Genealogien!

Mein Großvater väterlicherseits starb wie viele gute Griechen bei dem Versuch, seinen Todfeind zur Strecke zu bringen, Baron Vladimir Harkonnen. Sie beide schlafen nun unruhig in meinen Erinnerungen. Auch mein Vater ist unzufrieden. Ich habe getan, wovor er sich gefürchtet hat, und nun muss sein Schatten mit mir die Konsequenzen tragen.

Der Goldene Pfad erfordert es. Was ist der Goldene Pfad?, fragt ihr. Er ist das Überleben der Menschheit, nicht mehr und nicht weniger. Wir, die wir über die Gabe der Vorausschau verfügen, wir, die wir die Fallstricke der menschlichen Zukünfte kennen, tragen seit jeher diese Verantwortung.

Überleben.

Was ihr dabei empfindet, eure Nöte und Freuden, sogar eure Qualen und Verzückungen – darüber machen wir uns nur selten Gedanken. Mein Vater hatte diese Kraft. Bei mir ist sie noch stärker. Wir spähen durch die Schleier der Zeit.

Der Planet Arrakis, von dem aus ich mein viele Galaxien umfassendes Imperium lenke, ist nicht mehr, was er einst war, als man ihn noch den Wüstenplaneten nannte. In jenen Tagen war der ganze Planet eine Wüste. Davon ist nur dieser eine kleine Rest geblieben, meine Sareer. Die riesigen Sandwürmer, die die Gewürz-Melange produzierten, ziehen nicht mehr über den Planeten. Das Gewürz! Der Wüstenplanet war die einzige Quelle der Melange, das machte ihn überhaupt erst erwähnenswert. Was für eine außergewöhnliche Substanz! Keinem Labor ist es je gelungen, sie künstlich zu erzeugen. Es ist das Wertvollste, was die Menschheit jemals entdeckt hat.

Ohne die Melange als Auslöser der linearen Hellsicht der Gildennavigatoren könnten die Menschen die Parsecs des Alls nur im Schneckentempo durchqueren. Ohne die Trancezustände der Melange hätten die Bene Gesserit keine Wahrsagerinnen oder Ehrwürdigen Mütter. Ohne die geriatrischen Eigenschaften der Melange würden die Menschen nach altem Maß leben und sterben und nicht älter als etwa hundert Jahre werden. Jetzt existiert das Gewürz nur noch in den Lagerhäusern der Gilde und der Bene Gesserit – und in meinem gewaltigen Hort, den sie alle begehren. Wie gerne sie ihn plündern würden! Aber sie wagen es nicht. Sie wissen, dass ich alles vernichten würde, bevor ich es ihnen überlasse.

Nein, sie kommen, ihre Hüte in den Händen, und erbitten die Melange von mir. Ich verteile sie als Belohnung und enthalte sie ihnen als Bestrafung vor. Wie sie das hassen.

Das ist meine Macht, sage ich ihnen. Das ist meine Gabe.

Auf diese Weise erzeuge ich den Frieden, den sie über dreitausend Jahre lang genossen haben. Letos Frieden. Es ist eine erzwungene Ruhe, wie sie die Menschheit vor meinem Aufstieg zur Macht nur für jeweils sehr kurze Zeit kannte. Solltet ihr ihn vergessen haben, könnt ihr Letos Frieden nun in meinen Tagebüchern studieren.

Ich habe diesen Bericht im ersten Jahr meiner Zeit als Sachwalter der Menschheit begonnen, in den ersten Qualen meiner Metamorphose, als ich, auch äußerlich, noch zum größten Teil menschlich war. Die Sandforellenhaut, die ich angenommen habe (und der sich mein Vater verweigert hat), die meine Kraft vervielfacht und mich gegen konventionelle Attacken und gegen das Altern immun gemacht hat, diese Haut bedeckte damals noch eine erkennbar menschliche Gestalt: zwei Beine, zwei Arme, ein menschliches Gesicht umgeben von den Pergamentwülsten der Sandforellen.

Ah, dieses Gesicht! Ich habe es immer noch – das einzige Stück menschliche Haut, das ich dem Universum zeige. Mein restliches Fleisch ist von den miteinander verbundenen Körpern jener winzigen Tiefsandvektoren bedeckt, die sich zu großen Sandwürmern entwickeln können.

Und das werden sie … eines Tages.

Oft denke ich über meine letzte Metamorphose nach, die dem Tod gleichen wird. Ich weiß, wie es geschehen wird, aber weder weiß ich wann, noch wer außer mir daran beteiligt sein wird. Das ist das, was ich nicht wissen kann. Ich weiß nur, ob der Goldene Pfad sich fortsetzt oder ob er an ein Ende stößt. Während ich die Aufzeichnung dieser Worte veranlasse, setzt sich der Goldene Pfad fort, und wenigstens damit bin ich zufrieden.

Ich spüre nicht mehr, wie sich mir die Flimmerhärchen der Sandforellen ins Fleisch bohren und das Wasser meines Körpers mit ihren Plazentabarrieren einkapseln. Wir sind nun buchstäblich ein Körper, sie sind meine Haut, und ich bin die Kraft, die das Ganze bewegt – meistens jedenfalls.

Zu dem Zeitpunkt, an dem ich das hier verfasse, könnte man mein Äußeres als abstoßend beschreiben. Man könnte mich als eine Art Vorwurm bezeichnen. Mein Körper ist etwa sieben Meter lang und hat einen Durchmesser von etwa zwei Metern. Er ist größtenteils geriffelt. Mein Atreides-Gesicht befindet sich an einem Ende auf etwa Mannshöhe, mit den Armen und Händen (die noch als menschlich zu erkennen sind) direkt darunter. Meine Beine und Füße haben sich weitgehend zurückgebildet, eigentlich sind es nur noch Flossen, die nach hinten gewandert sind. Insgesamt wiege ich etwa fünf Tonnen (nach alter Rechnung). Ich füge diese Informationen bei, weil ich weiß, dass sie von historischem Interesse sein werden.

Wie ich dieses Gewicht bewege? Meistens mittels des königlichen Wagens, den die Ixianer gefertigt haben. Das schockiert euch? Die Ixianer werden fast noch mehr gefürchtet und gehasst als ich. Dann doch lieber der Teufel, den man kennt. Denn wer weiß schon, was die Ixianer alles herstellen oder erfinden?

Ich weiß es jedenfalls nicht. Nicht alles.

Aber ich empfinde eine gewisse Sympathie für die Ixianer. Sie glauben so fest an ihre Technologie, ihre Wissenschaft, ihre Maschinen. Weil wir glauben (ganz egal, woran), verstehen wir einander, die Ixianer und ich. Sie stellen viele Geräte für mich her und meinen, dass sie sich dadurch meine Dankbarkeit erkaufen. Auch die Worte, die ihr gerade lest, wurden von einem ixianischen Gerät ausgedruckt, einem sogenannten Diktatel. Wenn ich meine Gedanken in einen bestimmten Modus versetze, aktiviert sich das Diktatel. Ich muss nur in diesem Modus denken, dann werden meine Worte auf ridulianisches Kristallpapier von nur einem Molekül Dicke gedruckt. Manchmal bestelle ich zusätzliche Kopien auf weniger haltbarem Material. Zwei Bände dieser Kopien hat mir Siona gestohlen.

Ist sie nicht faszinierend, meine Siona? Wenn ihr einmal versteht, warum sie so wichtig für mich ist, werdet ihr euch vielleicht fragen, ob ich sie wirklich dort im Wald hätte sterben lassen. Zweifelt nicht daran. Der Tod ist eine sehr persönliche Sache, ich stelle mich ihm nur selten in den Weg – und nie, wenn es um jemanden geht, der wie Siona auf die Probe gestellt werden muss. Ich könnte sie jederzeit sterben lassen. Schließlich kann ich innerhalb kurzer Zeit (kurz für meine Begriffe) eine neue Kandidatin produzieren.

Aber sie fasziniert sogar mich. Ich habe sie dort im Wald beobachtet. Mittels meiner ixianischen Geräte habe ich ihrer Flucht zugesehen und mich gefragt, warum ich diesen Vorstoß nicht antizipiert habe. Aber Siona ist … Siona. Deshalb habe ich die Wölfe nicht aufgehalten. Es wäre falsch gewesen. Die D-Wölfe sind die Verlängerung meiner Existenz, und der Zweck meiner Existenz ist es, das größte Raubtier aller Zeiten zu sein.

Der folgende kurze Dialog wird einem Manuskript zugeschrieben, das man als »Welbeck-Fragment« bezeichnet. Es wird vermutet, dass die Autorin Siona Atreides ist. Die beiden Teilnehmer des Dialogs sind Siona selbst sowie ihr Vater Moneo, der (wie uns die Quellen versichern) Haushofmeister und wichtiger Berater Letos II. war. Der Dialog ist auf eine Zeit datiert, als Siona noch jung war und ihr Vater sie in der Fischsprecherinnenschule der Zeremonienstadt Onn besuchte, einem der größten urbanen Zentren des Planeten, den man heute unter dem Namen Rakis kennt. Laut den Identifikationspapieren des Manuskripts besuchte Moneo seine Tochter im Geheimen, um sie davor zu warnen, dass sie ihre Vernichtung riskierte.

SIONA: Wie konntest du so lange in seiner Nähe überleben, Vater? Er tötet die, die ihm nahestehen. Das weiß jeder.

MONEO: Nein! Du irrst dich. Er tötet niemanden.

SIONA: Du musst nicht lügen.

MONEO: Ich meine es ernst. Er tötet niemanden.

SIONA: Und wie erklärst du dir dann all die Toten, von denen jeder weiß?

MONEO: Es ist der Wurm, der tötet. Der Wurm ist Gott. Leto lebt im Busen Gottes, aber er tötet niemanden.

SIONA: Und wie gelingt es dir zu überleben?

MONEO: Ich erkenne den Wurm. Ich sehe den Wurm in Letos Gesicht und in seinen Bewegungen. Ich weiß, wann Shai-Hulud naht.

SIONA: Er ist nicht Shai-Hulud!

MONEO: Nun, so hat man den Wurm zur Zeit der Fremen genannt.

SIONA: Davon habe ich gelesen. Aber er ist nicht der Gott der Wüste.

MONEO: Sei still, dummes Mädchen! Du weißt nichts von diesen Dingen.

SIONA: Ich weiß, dass du ein Feigling bist.

MONEO: Wie wenig du weißt. Du hast nie gestanden, wo ich gestanden habe, und ihm in die Augen gesehen, die Bewegungen seiner Hände beobachtet.

SIONA: Was tust du, wenn der Wurm naht?

MONEO: Dann gehe ich.

SIONA: Das ist klug. Wir wissen von neun Duncan Idahos, die er getötet hat.

MONEO: Ich habe dir doch gesagt, dass er niemanden tötet.

SIONA: Welchen Unterschied macht das? Ob Leto oder der Wurm, sie sind längst zu einem Körper geworden.

MONEO: Aber es sind zwei getrennte Wesenheiten – Leto, der Imperator, und der Wurm, der Gott ist.

SIONA: Du bist verrückt!

MONEO: Vielleicht. Aber ich diene Gott.

Ich bin der leidenschaftlichste Menschenbeobachter, der je gelebt hat. Ich beobachte sie in meinem Inneren, und ich beobachte sie außerhalb von mir. Vergangenheit und Gegenwart überlagern sich in mir. Und während sich die Metamorphose meines Fleisches fortsetzt, widerfährt meinen Sinnen Wunderbares. Es ist, als würde ich alles aus nächster Nähe wahrnehmen. Ich habe ein extrem feines Gehör und scharfe Augen und kann mit meinem Geruchssinn exakte Unterscheidungen treffen. Ich kann Pheromone in einer Konzentration von drei Teilen auf eine Million entdecken und bestimmen. Das weiß ich, ich habe es überprüft. Es gibt nicht viel, was sich vor meinen Sinnen verbergen lässt. Ihr wärt entsetzt, wenn ihr wüsstet, was ich allein anhand von Gerüchen herausfinden kann. Eure Pheromone verraten mir, was ihr gerade tut oder worauf ihr euch innerlich vorbereitet. Und eure Gesten und Körperhaltungen! Ich habe einmal einen halben Tag lang einen alten Mann beobachtet, der in Arrakeen auf einer Bank saß. Er war ein Nachfahre des Naibs Stilgar in fünfter Generation und wusste es nicht einmal. Ich betrachtete seine Nackenlinie, die Hautlappen unter seinem Kinn, die rissigen Lippen, die Feuchtigkeit um seine Nasenlöcher, die Poren hinter seinen Ohren, das feine graue Haar, das unter der Kapuze seines uralten Destillanzugs hervorschaute. Es fiel ihm nicht auf, dass ich ihn beobachtete. Ha! Stilgar hätte es nach einer oder zwei Sekunden bemerkt. Doch dieser alte Mann wartete nur auf jemanden, der nie auftauchte. Schließlich erhob er sich und trottete davon. Nach dem langen Sitzen waren seine Bewegungen steif. Ich wusste, dass ich ihn als Menschen aus Fleisch und Blut nie wiedersehen würde. Er war dem Tod nahe, und sein Wasser würde gewiss verschwendet werden. Aber darauf kam es inzwischen ja nicht mehr an.

– Die gestohlenen Tagebücher

Leto dachte, dass der Ort, an dem er seinen gegenwärtigen Duncan Idaho erwartete, der interessanteste Ort im Universum war. Nach allen menschlichen Maßstäben war es ein gewaltiger Raum, der das Zentrum einer sorgsam angeordneten Reihe von Katakomben unter seiner Zitadelle bildete. Dreißig Meter hohe und zwanzig Meter breite Gewölbe gingen wie Speichen von der Nabe ab, in der er wartete. Sein Wagen stand genau in der Mitte der Nabe, einem unterirdischen Dom, der an seinem höchsten Punkt hundert Meter hoch war und einen Durchmesser von vierhundert Metern hatte.

Leto empfand diese Ausmaße als beruhigend.

Es war früher Nachmittag, doch das einzige Licht in dem Kuppelgewölbe kam von einigen auf Suspensoren treibenden Leuchtgloben, die so eingestellt waren, dass sie einen schwachen, orangefarbenen Schein abgaben. Das Licht reichte nicht weit in die Speichen, aber Letos Erinnerungen sagten ihm, wo genau sich dort alles befand: das Wasser, die Knochen, der Staub seiner Vorfahren und jener Atreides, die auf dem Wüstenplaneten gelebt hatten und dort gestorben waren. Sie alle waren ebenso hier wie einige Behälter Melange, die den Eindruck erwecken sollten, dass es sich dabei um seinen ganzen Hort handelte – sollte es jemals zum Äußersten kommen.

Leto wusste, warum der Duncan kam. Idaho hatte erfahren, dass die Tleilaxu einen neuen Ghola herstellten, einen weiteren Duncan – nach den Maßgaben, die ihnen der Gottkaiser gesandt hatte. Und nun fürchtete dieser Duncan, dass man ihn nach beinahe sechzig Jahren Dienst ersetzen würde. Die moralische Zersetzung der Duncans begann immer mit solchen Vorgängen. Zuvor hatte ein Gildenbotschafter Leto seine Aufwartung gemacht und ihn darüber informiert, dass die Ixianer dem gegenwärtigen Duncan eine Lasgun hatten zukommen lassen.

Leto lachte leise. Die Gilde reagierte weiterhin extrem empfindlich auf alles, was ihre dürftige Versorgung mit dem Gewürz gefährden könnte. Der Umstand, dass Leto die letzte Verbindung zu den Sandwürmern war, die die ursprünglichen Gewürzvorräte erzeugt hatten, machte ihnen große Angst.

Wenn ich weitab vom Wasser sterbe, wird es kein Gewürz mehr geben. Nie wieder.

Das fürchtete die Gilde. Und ihre Buchhalter-Historiker versicherten ihr, dass Leto auf dem größten Melangevorrat des Universums saß – was die Gilde zu einem halbwegs verlässlichen Verbündeten machte.

Während er wartete, machte Leto die Hand- und Fingerübungen, die ihn sein Bene-Gesserit-Erbe gelehrt hatte. Diese Hände waren sein ganzer Stolz. Die langen Finger und die opponierbaren Daumen unter der grauen Sandforellenmembran waren wie Menschenhände einsetzbar. Seine Beine und Füße hingegen hatten sich in mehr oder weniger nutzlose Flossen verwandelt, die eher unpraktisch als peinlich waren. Er konnte kriechen, sich herumrollen und seinen Leib mit erstaunlicher Schnelligkeit nach vorne wuchten, doch manchmal fiel er dabei auf die Flossen, und das tat ziemlich weh.

Warum brauchte der Duncan nur so lange?

Leto stellte sich vor, wie der Mann schwankte, zögerte, wie er aus einem Fenster auf den verschwommenen Horizont der Sareer blickte. Die Luft flimmerte heute vor Hitze. Bevor er in die Krypta hinabgestiegen war, hatte Leto im Südwesten eine Fata Morgana gesehen. Der Hitzespiegel hatte ein Bild gekippt und auf den Sand geworfen: ein Trupp Museumsfremen, die zur Erbauung der Touristen an einem Schausietch vorbeigezogen waren.

Es war immer kühl in der Krypta, und das Licht war immer gedämpft. Die Tunnelspeichen waren dunkle Röhren, die sanft aufwärts und abwärts führten, sodass Leto sie mit seinem Wagen nutzen konnte. Manche Tunnel gingen hinter falschen Wänden noch viele Kilometer weiter – Passagen, die Leto mit ixianischen Werkzeugen für sich selbst geschaffen hatte, verborgene Zugänge, Geheimwege.

Während er über das bevorstehende Gespräch nachdachte, wurde Leto immer nervöser. Das war ein interessantes Gefühl, an dem er sich schon früher erfreut hatte. Leto war sich darüber im Klaren, dass er den gegenwärtigen Duncan durchaus mochte, und er hoffte, dass der Mann das Gespräch überleben würde. Manchmal kam es so. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Duncan eine tödliche Gefahr darstellte, war nicht sehr groß, aber Leto befasste sich nicht mit Wahrscheinlichkeiten. Er hatte einmal versucht, das einem der früheren Duncans zu erklären – hier in diesem Gewölbe.

»Es muss dir merkwürdig vorkommen, dass ich mit meinen Kräften von Glück und Zufall spreche«, hatte Leto gesagt.

Der Duncan war ziemlich wütend gewesen. »Du überlässt nichts dem Zufall. Ich kenne dich!«

»Wie naiv. Der Zufall ist die Natur unseres Universums.«

»Nicht der Zufall. Die Heimtücke. Und du bist der Urheber der Heimtücke!«

»Hervorragend, Duncan. Heimtücke ist etwas zutiefst Vergnügliches. Und unser Umgang damit schärft unsere Kreativität.«

»Du bist nicht einmal mehr ein Mensch!«

Oh, wie wütend dieser Duncan gewesen war.

Der Vorwurf hatte Leto geärgert. Er hatte sich wie ein Sandkorn im Auge angefühlt. Leto klammerte sich mit unbestreitbarer Ernsthaftigkeit an sein einst menschliches Selbst, auch wenn es ihm nicht gelang, mehr als diese leichte Verärgerung aufzubringen.

»Dein Leben wird zu einem Klischee«, hatte er erwidert.

Worauf der Duncan einen kleinen Sprengkörper aus den Falten seiner Uniformrobe gezogen hatte. Welche Überraschung!

Leto liebte Überraschungen, sogar hässliche.

Das hatte ich nicht vorhergesehen! Und das hatte er dem Duncan auch gesagt, der seltsam unentschieden vor ihm gestanden hatte, nun, da ihm eine endgültige Entscheidung abverlangt wurde.

»Das hier könnte dich töten«, hatte der Duncan gesagt.

»Tut mir leid, Duncan. Es wird nur zu einer leichten Verletzung führen, mehr nicht.«

»Aber du hast gesagt, dass du es nicht vorhergesehen hast!« Die Stimme des Duncan hatte einen schrillen Ton angenommen.

»Duncan, Duncan, die absolute Voraussicht kommt für mich dem Tod gleich. Und wie unaussprechlich langweilig der Tod doch ist!«

Im letzten Moment hatte der Duncan versucht, den Sprengkörper zur Seite zu werfen, doch das Material war instabil gewesen und hatte zu früh gezündet. Die Explosion hatte den Duncan getötet. Ah, nun gut – die Tleilaxu hatten immer einen neuen in ihren Axolotl-Tanks.

Einer der über Leto schwebenden Leuchtgloben begann zu blinken. Aufregung erfasste ihn. Moneos Zeichen! Der treue Moneo teilte seinem Gottkaiser mit, dass der Duncan auf dem Weg in die Krypta war.

Im Nordwestbogen der Nabe öffnete sich die Tür zum Menschenaufzug, und der Duncan trat heraus, eine kleine Gestalt in der Ferne, die Leto dennoch in all ihren Einzelheiten wahrnahm. So verriet ihm eine Falte am Ellbogen der Uniform, dass der Mann zuvor das Kinn in die Hand gestützt hatte. Ja, man konnte sogar noch den Handabdruck am Kinn erkennen. Der Geruch des Duncans eilte ihm voraus – der Mann befand sich in einem Adrenalinrausch.

Leto schwieg, während sich der Duncan näherte, und beobachtete alles ganz genau. Der Gang des Duncans war noch immer federnd wie der eines jungen Mannes, trotz der vielen Dienstjahre. Das hatte er der regelmäßigen Einnahme winziger Melangedosen zu verdanken. Der Mann trug die alte Atreides-Uniform mit dem goldenen Falken an der linken Brust. Das war eine interessante Botschaft: »Ich diene der Ehre der alten Atreides!« Sein Haar glich noch immer einer schwarzen Karakul-Mütze, und sein scharf geschnittenes Gesicht mit den hohen Wangenknochen war wie versteinert.

Die Tleilaxu machen wirklich gute Gholas, dachte Leto.

Der Duncan hatte eine dünne Mappe aus dunkelbraun gewebten Fasern in der Hand, die er schon seit vielen Jahren mit sich trug. Üblicherweise enthielt sie die Dokumente, auf deren Grundlage er Bericht erstattete, doch heute war sie von etwas Schwerem ausgebeult.

Die ixianische Lasgun.

Während er ging, hielt Idaho seine Aufmerksamkeit auf Letos Gesicht gerichtet. Dieses Gesicht, das immer noch verstörend dem eines Atreides glich – mit den schmalen Zügen und den vollkommen blauen Augen, deren Blick nervöse Beobachter als beinahe körperlichen Angriff empfanden. Letos Gesicht lag tief in einem grauen Wulst aus Sandforellenhaut, der sich, das wusste Idaho, reflexartig vorstülpen konnte. Kein Augen-, sondern eher ein Gesichtsblinzeln. Innerhalb dieses grauen Rahmens war die Haut rosafarben. Es war schwer, Letos Gesicht nicht als Obszönität zu empfinden – ein verlorener Fetzen Menschlichkeit, der in etwas zutiefst Fremdartigem gefangen war.

Nur sechs Schritte vom königlichen Wagen entfernt hielt Idaho an. Er machte keinen Hehl aus seiner Entschlossenheit, ja, er verschwendete nicht einmal einen Gedanken daran, ob Leto von der Lasgun wusste. Dieses Imperium war zu weit von der Moral der Atreides abgekommen, es war zu einer Dampfwalze geworden, die die Unschuldigen zermalmte. Es musste ein Ende haben.

»Ich bin gekommen, um mit dir über Siona und andere Angelegenheiten zu sprechen«, sagte Idaho. Er rückte die Mappe so zurecht, dass er die Lasgun leichter ziehen konnte.

»Nun gut.« Letos Stimme hatte einen zutiefst gelangweilten Tonfall.

»Siona ist als Einzige entkommen, aber es gibt nach wie vor andere Rebellen, die sie unterstützen.«

»Denkst du, ich wüsste das nicht?«

»Ich kenne deine gefährliche Toleranz für Rebellen. Was ich nicht weiß, ist, was sich in dem Bündel befand, das sie gestohlen hat.«

»Ach das. Sie ist im Besitz der vollständigen Grundrisse der Zitadelle.«

Für einen kurzen Moment war Idaho wieder der Befehlshaber von Letos Wache und zutiefst schockiert über eine solche Sicherheitslücke. »Du hast sie damit entkommen lassen?«

»Nein, das warst du.«

Die Anschuldigung ließ Idaho zurückzucken. Langsam gewann der Meuchelmörder in ihm wieder die Oberhand, jetzt noch entschlossener. »Ist das alles, was sie erbeutet hat?«

»Bei den Plänen befanden sich auch die Kopien zweier Bände meines Tagebuchs. Die hat sie ebenfalls gestohlen.«

Idaho betrachtete Letos ausdrucksloses Gesicht. »Was steht in diesen Bänden? Manchmal bezeichnest du sie als Tagebücher, manchmal nennst du sie Geschichtsbücher.«

»Sie sind ein wenig von beidem. Man könnte sie sogar als Lehrbücher bezeichnen.«

»Macht es dir etwas aus, dass sie diese Bände gestohlen hat?«

Leto gestattete sich ein sanftes Lächeln, das Idaho als Verneinung interpretierte. Dann, als Idaho in die Mappe griff, durchlief eine kurze Woge der Anspannung Letos Körper. Würde er die Waffe oder die Unterlagen hervorholen? Obwohl sein Hauptkörper hitzeresistent war, wusste Leto, dass Teile von ihm für eine Lasgun verwundbar waren, insbesondere sein Gesicht.

Idaho zog einen Bericht aus der Mappe, und noch bevor er daraus vorzulesen begann, nahm Leto die Signale wahr, die der Mann aussandte. Idaho gab ihm keine Informationen – er war auf der Suche nach Antworten. Er wollte eine Rechtfertigung für eine Handlung, zu der er sich bereits entschlossen hatte.

»Wir haben einen Alia-Kult auf Giedi Primus entdeckt«, sagte Idaho.

Leto schwieg, während Idaho die Details referierte. Wie langweilig! Leto ließ seine Gedanken schweifen. Die Verehrer der längst toten Schwester seines Vaters vermochten ihn dieser Tage nur noch selten zu belustigen. Aber die Duncans betrachteten solcherlei Aktivitäten, wie zu erwarten, als eine Art subversive Bedrohung.

Schließlich ließ Idaho den Bericht sinken. Seine Agenten waren gründlich, das ließ sich nicht abstreiten. Langweilig gründlich.

»Das ist nichts weiter als ein Wiederaufleben der Isis«, sagte Leto. »Wenigstens haben meine Priester und Priesterinnen nun etwas zu tun, indem sie diesen Kult und seine Anhänger unterdrücken.«

Idaho schüttelte den Kopf, als reagierte er auf eine innere Stimme. »Die Bene Gesserit wussten von dem Kult.«

Das allerdings interessierte Leto. »Die Schwestern haben mir nie verziehen, dass ich ihnen ihr Zuchtprogramm weggenommen habe.«

»Das hat nichts mit dem Zuchtprogramm zu tun.«

Leto verbarg seine Belustigung. Die Duncans waren immer so empfindlich, wenn es um Züchtung ging, auch wenn manche von ihnen Leto gelegentlich als Zuchthengste dienten. »Ich verstehe. Nun, die Bene Gesserit sind alle mehr als nur ein bisschen wahnsinnig, aber Wahnsinn ist ein chaotisches Reservoir für Überraschungen. Manche Überraschungen sind von Wert.«

»Ich kann nicht erkennen, welchen Wert diese Sache haben soll.«

»Denkst du, die Schwesternschaft steckt hinter diesem Kult?«

»Davon bin ich überzeugt.«

»Erkläre es mir.«

»Sie hatten einen Schrein. Sie nannten ihn ›Schrein des Krismessers‹.«

»Tatsächlich?«

»Und ihre oberste Priesterin hieß ›Bewahrerin von Jessicas Licht‹. Lässt das nicht Schlüsse zu?«

»Wie wunderbar!« Leto machte keinen Hehl aus seiner Erheiterung.

»Was ist daran wunderbar?«

»Sie vereinen meine Großmutter und meine Tante zu einer Göttin.«

Idaho schüttelte verständnislos den Kopf.

Leto gestattete sich ein kurzes Innehalten, nicht länger als ein Blinzeln. Die Großmutter in seinem Inneren hielt nicht viel von diesem Kult auf Giedi Primus; er musste ihre Erinnerungen und ihre Identität zurückdrängen. Dann wandte er sich wieder dem Duncan zu. »Was war deiner Meinung nach Sinn und Zweck dieses Kults?«

»Offensichtlich handelte es sich um eine Religion, die zu deiner in Konkurrenz treten sollte, um deine Autorität zu untergraben.«

»Das ist zu einfach. Die Bene Gesserit mögen vieles sein, aber sie sind nicht simpel gestrickt.«

Idaho wartete auf eine nähere Erklärung.

»Sie wollen mehr Gewürz«, sagte Leto. »Mehr Ehrwürdige Mütter.«

»Also ärgern sie dich so lange, bis du ihnen gibst, wonach sie verlangen?«

»Du enttäuschst mich, Duncan.«

Idaho sah zu Leto auf, der ein Seufzen von sich gab, ein komplizierter Laut, der seiner neuen Gestalt nicht mehr entsprach. Eigentlich waren die Duncans klüger, aber Leto nahm an, dass die verschwörerischen Absichten dieses Exemplars seine Auffassungsgabe vernebelt hatten.

»Sie haben sich Giedi Primus als Zuhause ausgesucht«, sagte Leto. »Was legt das nahe?«

»Giedi Primus war eine Hochburg der Harkonnen, aber das war vor Urzeiten.«

»Deine Schwester ist dort gestorben, ein Opfer der Harkonnen. Die Harkonnen und Giedi Primus sind in deinen Gedanken fest miteinander verknüpft. Warum hast du das nicht eher angesprochen?«

»Ich hielt es für unwichtig.«

Letos Mund bildete eine dünne Linie. Die Erwähnung seiner Schwester hatte den Duncan durcheinandergebracht. Intellektuell wusste der Mann, dass er nur der Letzte in einer langen Reihe fleischlicher Wiederauferstehungen war, die alle aus den Axolotl-Tanks der Tleilaxu gekommen waren. Aber seinen ebenfalls wiederbelebten Erinnerungen konnte er nicht entkommen. Er wusste, dass ihn die Atreides aus der Harkonnen-Knechtschaft befreit hatten.

Und was auch immer ich sonst sein mag, dachte Leto, ich bin nach wie vor ein Atreides.

»Was willst du also damit sagen?«, fragte Idaho.

Leto kam zu dem Schluss, dass er laut werden musste. »Die Harkonnen haben Gewürz gehortet!«, rief er.

Idaho wich einen Schritt zurück.

Mit leiserer Stimme fuhr Leto fort: »Es gibt einen noch unentdeckten Melangehort auf Giedi Primus, und die Schwesternschaft hat versucht, ihn unter dem Deckmantel dieser Pseudoreligion aufzuspüren.«

Idaho war beschämt. Nun, da Leto es ausgesprochen hatte, erschien es offensichtlich. Und ich habe es übersehen, dachte er.

Letos laute Stimme hatte ihn aufgerüttelt und in seine Rolle als Kommandant der königlichen Wache zurückversetzt. Idaho kannte die extrem reduzierte Ökonomie des Imperiums: Zinsen waren nicht gestattet; es wurde bar auf den Tisch bezahlt. Die einzige Währung bestand aus Münzen, die Letos Kapuzengesicht zeigten: den Gottkaiser. Aber die Basis all dessen war das Gewürz, eine Substanz, deren ohnehin schon enormer Wert sich immer mehr steigerte. Ein Mensch konnte den Preis für einen ganzen Planeten in seinem Handgepäck herumtragen.

Kontrolliere die Währung und die Höfe. Den Rest kann der Pöbel haben, dachte Leto. Das hatte Jacob Broom gesagt, und in seinem Kopf hörte Leto den alten Mann lachen. So sehr haben sich die Dinge nicht verändert, Jacob.

Idaho holte tief Luft. »Das Glaubensbüro sollte unverzüglich darüber verständigt werden.«

Leto schwieg weiter. Idaho nahm das als Aufforderung, mit seinem Bericht fortzufahren, doch Leto schenkte ihm nur einen Bruchteil seiner Aufmerksamkeit. Er zeichnete Idahos Worte und Handlungen gewissermaßen nebenbei auf und ließ sie ab und an in den Vordergrund treten, um in Gedanken einen Kommentar abzugeben: Jetzt will er also über die Tleilaxu reden.Das ist gefährliches Terrain für dich, Duncan.

Aber es gab Letos Überlegungen eine neue Richtung.

Die gerissenen Tleilaxu erzeugen meine Duncans nach wie vor aus den Originalzellen. Sie tun etwas, das einem religiösen Verbot unterliegt, und wir alle wissen das. Ich habe die künstliche Manipulation menschlicher Gene untersagt, aber die Tleilaxu haben verstanden, wie sehr ich die Duncans als Befehlshaber meiner Wache schätze. Ich glaube nicht, dass sie ahnen, wie sehr mich das alles amüsiert. Es amüsiert mich, dass nun ein Fluss den Namen Idaho trägt, der dort fließt, wo früher ein Berg war. Diesen Berg gibt es nicht mehr. Wir haben ihn abgetragen, um daraus die hohen Mauern zu errichten, die meine Sareer umgeben.

Natürlich wissen die Tleilaxu, dass ich die Duncans hin und wieder in meinem eigenen Zuchtprogramm verwende. Die Duncans repräsentieren die Stärke des Mischlings – und noch viel mehr. Jedes Feuer muss auch eingehegt werden.

Ich hatte vor, dieses Exemplar mit Siona zu paaren, aber das ist vielleicht nicht mehr möglich.

Ha! Er sagt, dass ich seiner Meinung nach »hart gegen die Tleilaxu durchgreifen« solle. Warum fragt er nicht direkt: »Hast du vor, mich zu ersetzen?«

Ich bin versucht, es ihm zu sagen.

Erneut griff Idahos Hand in die schmale Mappe.

Die Lasgun oder weitere Unterlagen? Weitere Unterlagen.

Dieser Duncan zögert immer noch. Er will sich nicht nur vergewissern, dass ich nichts von seinen Absichten ahne, er will auch weitere »Beweise« dafür, dass ich seiner Loyalität nicht würdig bin. Sein Zögern nimmt kein Ende. Das war schon immer so. Ich habe ihm oft genug gesagt, dass ich meine Kräfte nicht dafür verwenden werde, den Moment vorherzusagen, in dem ich diese uralte Gestalt abstreife. Aber er zweifelt. Er ist seit jeher ein Zweifler.

Dieses riesige Gewölbe schluckt seine Stimme, und wenn ich nicht so empfänglich wäre, würde die feuchte Luft auch die biochemischen Hinweise auf seine Angst überdecken. Ich blende seine Stimme aus meinem unmittelbaren Bewusstsein aus. Wie langweilig dieser Duncan geworden ist! Er berichtet von historischen Geschehnissen – die Geschichte von Sionas Rebellion –, was zweifellos auf persönliche Vorwürfe bezüglich ihrer jüngsten Eskapaden hinauslaufen wird.

»Das ist keine gewöhnliche Rebellion«, sagt er.

Damit verschafft er sich wieder meine Aufmerksamkeit. Dieser Dummkopf! Alle Rebellionen sind gewöhnlich und ultimativ langweilig. Sie alle ahmen dasselbe Muster nach. Ihre treibenden Kräfte sind Adrenalinsucht und die Gier nach persönlicher Macht. Alle Rebellen sind insgeheim Aristokraten. Darum kann ich sie so leicht bekehren.

Warum hören mir die Duncans nie richtig zu, wenn ich ihnen das erkläre? Darüber habe ich mit diesem Duncan doch schon gestritten. Es war eine unserer ersten Konfrontationen, und sie fand genau hier in der Krypta statt.

»Die Kunst des Regierens verlangt, dass man den radikalen Elementen niemals die Initiative überlässt«, sagte er damals.

Wie pedantisch. Radikale tauchen in jeder Generation auf, und man darf nicht versuchen, das zu verhindern. Das meint er mit »ihnen die Initiative überlassen«. Er will sie vernichten, unterdrücken, kontrollieren. Er ist der lebende Beweis dafür, dass es kaum einen Unterschied zwischen polizeilicher und militärischer Denkweise gibt.

Ich sagte ihm: »Man muss Radikale nur fürchten, wenn man versucht, sie zu unterdrücken. Man muss ihnen zeigen, dass man ihre besten Vorschläge umsetzt.«

»Aber sie sind gefährlich. Sie sind gefährlich!« Er glaubt, dass er die Worte wahrer macht, indem er sie wiederholt.

Langsam, Schritt für Schritt, erkläre ich ihm meine Methode, und er erweckt sogar den Anschein zuzuhören.

»Das ist ihre Schwäche, Duncan. Radikale machen sich immer ein zu einfaches Bild von den Dingen – Schwarz und Weiß, Gut und Böse, sie und wir. Dadurch erzeugen sie einen Riss, durch den das Chaos eindringen kann. Die Kunst des Regierens, wie du es nennst, besteht darin, das Chaos zu meistern.«

»Niemand kann mit jeder Überraschung fertig werden.«

»Überraschung? Wer redet von Überraschungen? Chaos und Überraschungen sind nicht das Gleiche. Das Chaos hat vorhersagbare Eigenschaften. Beispielsweise spült es die Ordnung fort und stärkt die extremen Kräfte.«

»Aber ist es nicht das, was die Radikalen wollen? Die Verhältnisse durcheinanderzubringen, damit sie die Macht ergreifen können?«

»Das meinen sie. Aber eigentlich erzeugen sie damit nur neue Extremisten, neue Radikale, und schreiben den gleichen Prozess fort.«

»Was ist mit einem Radikalen, der die Komplexität erkennt und dich auf eine entsprechende Art attackiert?«

»Das ist kein Radikaler. Das ist ein Rivale um die Führung.«

»Aber was macht man dann?«

»Man vereinnahmt diese Leute für sich – oder tötet sie. Das ist die Urform des Kampfes um die Führung.«

»Und was ist mit den Messiasfiguren?«

»Wie meinem Vater, meinst du?«

Diese Frage gefällt dem Duncan nicht. Er weiß, dass ich auf eine ganz eigene Art mein Vater bin, dass ich mit der Stimme und Persönlichkeit meines Vaters sprechen kann, dass meine Erinnerungen präzise, unbeschönigt und unwiderlegbar sind.

Widerstrebend sagt er: »Ja … wenn du so willst.«

»Duncan, ich bin sie alle, deshalb weiß ich es. Es gab nie einen wahrhaft selbstlosen Rebellen, es gab nur Heuchler – und ob wissentliche oder unwissentliche Heuchler läuft auf dasselbe hinaus.«

Das stört ein kleines Hornissennest in meinen Erinnerungen auf. Manche meiner Vorfahren haben den Glauben daran, dass sie allein den Schlüssel zu den Problemen der Menschheit in der Hand hielten, nie aufgegeben. Nun, in dieser Hinsicht gleichen sie mir. Ich fühle mit ihnen, auch wenn ich ihnen den Hinweis nicht ersparen kann, dass ihr Versagen für sich spricht.

Ich bin allerdings gezwungen, sie abzukapseln. Es hat keinen Sinn, bei ihnen zu verweilen. Inzwischen sind sie nicht mehr als aufdringliche Erinnerungen … genau wie dieser Duncan, der mit seiner Lasgun vor mir steht.

Bei den Großen Göttern der Unterwelt! Er hat bemerkt, dass ich weggedämmert bin. Er hat die Lasgun in der Hand und richtet sie auf mein Gesicht.

»Du, Duncan? Hast auch du mich verraten?«

Et tu, Brutus?

Jede Faser von Letos Bewusstsein war nun alarmiert. Er spürte das Zucken seines Körpers. Das Wurmfleisch hatte seinen eigenen Willen.

»Sag mir, Leto«, zischte Idaho, »wie oft muss ich die Treueschuld bezahlen?«

Leto erkannte die dahinterliegende Frage: »Wie viele von mir gab es schon?« Das wollten die Duncans immer wissen. Jeder Duncan fragte das, und keine Antwort hatte je einen von ihnen zufriedengestellt. Sie zweifelten.

Mit seiner traurigsten Muad’Dib-Stimme erwiderte Leto: »Bist du nicht stolz darauf, wie sehr ich dich bewundere? Hast du dich nie gefragt, warum ich dich über Jahrhunderte hinweg als ständigen Gefährten haben will?«

»Weil ich der ultimative Hofnarr bin!«

»Duncan!«

Man konnte sich immer darauf verlassen, dass die Stimme eines wütenden Muad’Dib einen Duncan erschütterte. Obwohl Idaho wusste, dass keine Bene Gesserit die Macht der Stimme jemals so gemeistert hat wie Leto, tanzte er vorhersehbar zu dieser einen Stimme. Die Lasgun zitterte in seiner Hand.

Das genügte. Leto rollte sich von seinem Wagen herunter. Idaho hatte nie zuvor gesehen, wie er das Gefährt auf diese Art verließ, er hatte nicht einmal geahnt, dass so etwas möglich war. Es mussten zwei Voraussetzungen dafür vorliegen: eine reale Bedrohung, die der Wurmkörper wahrnehmen konnte, und dass Leto seinem Körper freien Lauf ließ. Der Rest ging von allein, und Leto war jedes Mal verblüfft darüber, wie schnell es ging.

Seine größte Sorge war die Lasgun. Sie konnte ihm einen üblen Kratzer zufügen, aber niemand wusste etwas Genaues über die Fähigkeit eines Vorwurmkörpers, Hitze standzuhalten.

Leto traf Idaho, und der Strahl der Lasgun wurde abgelenkt. Eine der Flossen, bei denen es sich einmal um Letos Beine und Füße gehandelt hatte, übermittelte seinem Bewusstsein eine Reihe schockierender Gefühlseindrücke. Für einen Moment war da nur Schmerz. Aber der Wurmleib konnte sich nun frei bewegen, und seine Reflexe ließen ihn wild zappeln. Leto hörte Knochen brechen. Die Lasgun wurde aus Idahos zuckender Hand gerissen und schlitterte über den Boden der Krypta.

Leto rollte sich von Idaho herunter und bereitete sich auf einen erneuten Angriff vor, doch dazu gab es keine Veranlassung. Die verletzte Flosse sandte immer noch Schmerzsignale aus. Er spürte, dass ihre Spitze weggebrannt worden war, aber die Sandforellenhaut hatte die Wunde bereits geschlossen, und der Schmerz war nur noch ein unangenehmes Pochen.

Idaho regte sich. Es gab keinen Zweifel, dass er tödlich verletzt war. Sein Brustkorb war eingedrückt. Zu atmen bereitete ihm offensichtlich Qualen, doch er öffnete die Augen und blickte zu Leto auf.

Wie hartnäckig die Sterblichen doch sind!, dachte Leto.

»Siona«, keuchte Idaho.

Dann sah Leto, wie ihn das Leben verließ.

Interessant. Könnte es sein, dass dieser Duncan und Siona … Nein! Dieser Duncan hat nie etwas anderes als aufrichtige Verachtung für Sionas Leichtsinn gezeigt.

Leto kroch zurück auf den königlichen Wagen. Das war sehr knapp gewesen. Duncan hatte offensichtlich auf sein Gehirn gezielt. Leto war sich des Umstands bewusst, dass seine Hände und Füße exponiert und damit verwundbar waren, aber er hatte nie jemanden wissen lassen, dass sich das, was einmal sein Gehirn gewesen war, nicht länger hinter seinem Gesicht befand. Es war nicht einmal mehr ein Gehirn von menschlichen Dimensionen, sondern hatte sich in Bündeln von Nervenknoten über seinen ganzen Körper verteilt. Diese Tatsache hatte er nur seinen Tagebüchern anvertraut.

All diese Landschaften, die ich gesehen habe! Und die Menschen! Die Lange Wanderung der Fremen und vieles mehr, über die Mythen sogar bis zu Terra. All die Lektionen in Astronomie, die Intrigen, die Migrationen, die gehetzten Fluchten, die Schmerzen in Beinen und Lungen beim Rennen durch so viele Nächte auf all diesen kosmischen Lichtpunkten, auf denen wir unsere vergänglichen Habseligkeiten verteidigt haben. Ich sage euch, wir sind ein Wunder, daran lassen meine Erinnerungen keinen Zweifel.

– Die gestohlenen Tagebücher