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Der Herzog ist mit seinen knapp 20 Jahren eine der ranghöchsten adligen Figuren aus der Zeit des Wiener Kongresses. In die hermetische Abgeschiedenheit des Wiener Kaiserhofes dringt der Sohn seines Lehrers ein. Es entwickelt sich eine aus verschiedensten Gründen verbotene Liebesbeziehung, die, so kurz sie auch dauert, wunderschön ist, aber traurig endet. Eine tragische Liebesgeschichte vor authentischem historischem Hintergrund.
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Seitenzahl: 921
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Günter Tolar
DER HERZOG
Historienroman
Allen Menschen gewidmet, die ich in der Zeit, als ich das Buch geschrieben habe verlor. Es waren 18 Jahre – und sehr viele gute Freunde.
Geschrieben 1989 – 2007
KAPITEL 0
Die Geschichte beginnt so schrecklich trivial. Anfangs der 1980er-Jahre wurde in Wien wieder einmal ein Palais von seinen Vorbesitzern geräumt zwecks gewinnbringender Veräußerung, vermutlich an einen russischen Financier. Bei solchen Aktionen wird natürlich alles Mögliche gefunden, besonders Dachböden sind ein potentieller Fundort längst verschollener Kostbarkeiten. Aber nicht alles, was man da findet, ist auch wirklich gleich als kostbar oder gar wertvoll erkennbar. Unter anderem fand sich da ein mit einer groben gelblichen, ziemlich faserigen Hanfschnur zusammen gebundener Packen von 19 recht dicken, unterschiedlich großen Heften. Genau genommen waren es keine Hefte, sondern grob geheftetes Papier. Die Schnur war mit einer Masche zu gebunden, konnte also leicht geöffnet werden. Die 19 Hefte waren voll beschrieben in einer kleinen und auf den ersten Blick ziemlich unfertig wirkenden Handschrift. Das sei es wohl ein Tagebuch, meinte der Finder, ein Angestellter der professionellen Räumungsfirma. Die Frau, die bei der Räumung dabei war, um vielleicht doch die eine oder die andere Kostbarkeit zu retten, sah sich das Tagebuch kurz an, stellte fest, dass ad hoc nicht einmal genau erkennbar war, von wem und wann es geschrieben worden war – und gab es frei zur Entsorgung. Ein Freund des Autors (oder Herausgebers) dieses Buches ist ein sehr eifriger und neugieriger Nachlass-Stöberer. Er nahm jedenfalls diesen Packen von 19 Heften an sich. Er tat dies mit voller Erlaubnis aller zuständigen Personen und Stellen. Man händigte ihm das Konvolut aus mit der Bemerkung: „Zum Anschauen, und wenn es nichts ist, schmeiß es weg.“
Der Autor hat sich’s angeschaut und kam bald aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Unsere Situation ist nun so einfach, wie sie nur sein kann - und so kompliziert, wie sie nur sein kann.
Das Einfache:
Ein Graf Joseph Moritz von Dietrichstein hat ein Tagebuch hinterlassen. Das Bemerkenswerte an diesem Tagebuch ist, dass wir einen sehr persönlichen Blick auf die ersten 30 Jahre des 19. Jahrhunderts bekommen. Noch bemerkenswerter aber ist, dass das Tagebuch hauptsächlich die Freundschaft und schließlich Beziehung des Joseph Moritz zu einer Figur von höchster politischer Brisanz erzählt: Zum Herzog von Reichstadt.
Das Komplizierte:
Joseph Moritz von Dietrichstein ist eine historisch völlig bedeutungslose Figur, er muss also mehr oder weniger mühsam erklärt werden, damit verständlich wird, wie er überhaupt mit dem Herzog von Reichstadt in einen so engen Kontakt kommen konnte.
Der Herzog von Reichstadt war immerhin eine der hierarchisch und, wenn man das Wort verwenden will, blutmäßig höchstrangig angesiedelte Person, die die Geschichte jemals zu bieten hatte. Eigentlich hieß er Napoléon François Charles Joseph Bonaparte, als (nie als solcher amtierender) Kaiser der Franzosen trug er den Namen Napoleon II. Er war der einzige Sohn Napoleons I. und der Kaiserin Marie Louise. Und diese Marie Louise war immerhin die Tochter des österreichischen Kaisers Franz des I. Der (spätere) Herzog wurde am 20. März 1811 in Paris geboren und noch am Tag seiner Geburt zum ‚König von Rom’ ausgerufen. Napoleon I. ernannte nach seiner Abdankung 1814 seinen Sohn zum Nachfolger. Marie Louise ging mit dem damals dreijährigen ‚jungen Napoleon’ zurück an den Hof ihres Vaters nach Österreich. Am 28. Juni 1815, zehn Tage nach der Schlacht von Waterloo, wurde der Herzog in Abwesenheit von treuen Bonapartisten als Napoleon II. zum Kaiser der Franzosen ausgerufen, aber nach weniger als einer Woche offiziell wieder abgesetzt. 1818 erhielt er das böhmische Herzogtum Reichstadt. 1830, nach dem Sturz König Karls X., hatte der nunmehrige Herzog zwar die Volljährigkeit erreicht, war aber bereits zu stark an Tuberkulose erkrankt, als dass er noch um die Thronfolge hätte kämpfen können. Der Herzog starb am 22. Juli 1832 in Schönbrunn. Sein Nachfolger als Familienoberhaupt der Bonapartes wurde sein Vetter Napoleon III.
Die Frage, die aber unser vorliegendes Vorhaben betrifft, lautet:
Wie kam der unbedeutende Joseph Moritz von Dietrichstein überhaupt zum Herzog von Reichstadt?
Das ist leicht erklärbar. Sein Vater Fürst Moritz Joseph Johann von Dietrichstein-Proskau-Leslie war als Erzieher für den gesamten ‚Bildungsgang’ des Herzogs von Reichstadt bis 1832 zuständig. Vater Dietrichstein war, als er den Herzog ‚übernahm’, vierzig Jahre alt, Generalstabsoffizier, Diplomat, Freund Beethovens und Schuberts, später – nach dem Tod des Herzogs - auch Hofmusikrat und Direktor der beiden Hoftheater.
Seinem ganzen Naturell nach war Dietrichstein als Lehrer und Erzieher mit der Pedanterie ausgestattet, wie sie von ihm verlangt wurde und wie sie Bedingung war für seine Stellung als Erzieher des Königs von Rom und späteren Herzogs von Reichstadt. Metternich selbst traf im Auftrag des Kaisers die Auswahl und hatte zuerst den Grafen Vecchioli vorgesehen. Des Herzogs Mutter Marie Louise und der Kaiser selbst entschieden aber für Dietrichstein. Weil Dietrichstein nicht seine Wahl war, mutmaßt man, dass Metternich die Bedingung der ‚äußersten Pedanterie’ stellte und nicht anstand, für jeden Fehler, den der Zögling machte, den Erzieher zur Verantwortung zu ziehen. Denn eines war klar: Der Zögling machte schon von seiner Herkunft her keine Fehler. Des Erziehers Pedanterie musste also nicht nur eine höchst flexible, sondern auch eine vorauseilende sein. Er musste alle Fehler, Launen, Streiche, Aktionen und Reaktionen des ihm anvertrauten königlichen Blutes vorausahnend abfangen. Dazu musste er gute Gründe vorweisen können, denn der Herzog begann sehr bald zu fragen, warum dies erlaubt und dies nicht erlaubt sei.
Der Herzog hatte aufgrund seiner historisch bedingten Isolation nur wenige Ansprechpartner. Dazu kam, dass er sehr bald bemerkte, dem Grafen Dietrichstein hierarchisch um einiges überlegen zu sein. Er fragte daher ungestüm und forderte die Antworten gleichsam als ein ihm zustehendes Recht, er sah es als Pflicht des Gefragten, nun gefälligst zu antworten.
Wir finden das alles in dem Tagebuch seines Sohnes Joseph Moritz, den 19 mehr oder weniger großen Heften, aus den Spinnweben des alten Dachbodens eines alten Wiener Palais gerettet.
Wir haben es dabei mit zwei ‚Kategorien’ von Tagebuch zu tun. Das eine ist das begleitende Tagebuch, in dem also das Erlebte mehr oder weniger tagtäglich aufgezeichnet wurde. Als zweite ‚Kategorie’ haben wir den Bericht ‚Was vorher geschah’ vor uns liegen. Joseph Moritz begann im Jahr 1831, dem Jahr, in dem er seinen 30. Geburtstag beging und ein Jahr vor dem Tod des Herzogs, alles Bisherige aufzuarbeiten.
In den ersten 2 Kapiteln werden wir vorerst aus dem echten Tagebuch zitieren, um dem geneigten Leser die Möglichkeit zu bieten, sich einzulesen. Ab dem 4. Kapitel beginnt dann die komplette Aufarbeitung der vorangegangenen Jahre durch Joseph Moritz von Dietrichstein.
Alle Einteilungen, die wir hier schildern, sind nicht etwa das Ergebnis von Mutmaßungen oder Spekulationen, sondern entstammen samt und sonders den Notizen des Menschen, der uns jetzt durch zwei Leben führen wird: Sein eigenes und das des Herzogs von Reichstadt.
KAPITEL 1
„Er fragt und fragt“, klagte Vater heute wieder, und das Abendmahl wollte ihm so gar nicht munden. „Er treibt den Foresti schier zur Verzweiflung!"
Der frühere Hauptmann Johann Baptist Foresti war der zweite Lehrer des Herzogs und wurde erster, als der vorherige erste Lehrer Matthäus von Collin im Jahr 1824 gestorben war. Der ‚Franz’ im Folgenden ist übrigens der Herzog von Reichstadt.
„Was will er denn wissen?", erlaubte ich mir zu fragen, wohl wissend, daß der Franz mit purer Absicht so viel fragte und seine Lehrer gerne transpirieren sah.
Vater fuhr auf: „Frag’ Er jetzt nicht auch noch! Ich möcht’ wenigstens daheim einmal nicht dauernd gefragt werden!“
Dann vertiefte er sich doch in die Suppe, die Haut an der Oberfläche wieder, wie er’s immer tut, über den Löffel ziehend, daß es mir ekelte.
Ich muß dem Franz sagen, er soll ihn nicht so quälen, dem Vater schmeckt die Suppe nicht mehr.
Dabei hatte Vater Dietrichstein eine wunderschöne Möglichkeit, sich abzureagieren, seine Musik. Joseph Moritz hat ihn diesbezüglich sehr bewundert.
Es war wundersam, wie er das Thema, das ihn seit einigen Tagen verfolgt hat, oder das vielmehr er seit einigen Tagen verfolgt hat, heute in eine ganz neue Form brachte. Und wieder eigentlich in keine neue Form, sondern in die endgültige. Wie er vor allem ein Seitenthema fand, in so direktem Wege, als wäre es schon seit dem ersten Tage des Auftauchens des Hauptthemas vorhanden gewesen und mußte jetzt nur noch gespielt werden. Ich habe in Florenz halbfertige Statuen des Meisters Michelangelo gesehen. Die halb aus dem Marmor herausgehauenen Figuren geben einem das Gefühl, als wären sie schon immer in dem Stein drinnen gewesen, völlig fertig, der Meister half jetzt nur, sie zu befreien. Und es sah aus, als würden die Figuren selbst fest mithelfen. Sie wirkten, so halb im Stein, so halb aus dem Stein, als wollten sie mit Kraft, ja mit Gewalt dem Künstler in die Hand arbeiten. So wirkte das Thema auf mich, als es mein Vater aus seiner dunklen Vorhandenheit hervorzauberte. Er schrieb es sogleich auf und verwahrte die Noten in seinem Geheimarchiv. Nur ich weiß, daß dort nichts Geheimes zu finden ist, als seine gesammelte Musik.
Einiges aus dem 'Geheimarchiv' wurde später, als Dietrichstein sich beruflich ganz der Musik widmete, aufgeführt. Joseph Moritz aber dürfte die Aufführungen der Werke seines Vaters nicht mehr erlebt haben.
Habe heut’ dem Franz (zur Erinnerung: Franz ist der Herzog) von diesem wundersamen Erlebnis erzählt, woh1 wissend, daß die Kunst nicht das ist, womit er sein Leben zu erfüllen gedenkt.
Seine Antwort aber überraschte mich: „Siehst du, Jomo“, -
‚Jomo‘ ist die vertrauliche Abkürzung von ‚Joseph Moritz‘, die nur der Herzog verwendete, wie, das erfahren wir noch – „da ist etwas entstanden. Und immer sind es die Väter, die etwas entstehen lassen. Deiner und meiner. Meine Musik sind die Schlachtenpläne meines Vaters.“
Dann wollte er läuten, tat es aber nicht, sondern winkte mich in das Bibliothekszimmer. Unter der Türe wartete er auf mich, legte seinen Arm um meine Schulter, drückte sie mit der Hand, preßte mich impulsiv an sich, nur so nebenbei, denn sein Augenmerk war schon auf den Tisch gerichtet, auf den wir zustrebten. Ich spürte dennoch mit vibrierender Aufmerksamkeit seinen schmalen Körper, die Magerkeit, die Härte des Brustkorbes, die Rippen. Ganz im Gegensatz zu der Wärme, die in seiner Bewegung lag und der Wärme, die sein harter, zarter Körper ausstrahlte. Er ist nur ein wenig größer als ich, wirkt aber mit seinen 1 Meter 90 doch wie ein Riese.
Franz wies auf den Tisch, auf dem Pläne ausgebreitet waren, umgeben von ausführlichen Beschreibungen von den verschiedensten Händen. Auf all das deutete er mit großer Geste: „Ich höre Austerlitz, ein faszinierendes Stück Kunst. Genauer geordnet, als je eine deiner Symphonien es sein kann.“
Ich wagte das zu bezweifeln und meinte, das sei doch immerhin Krieg. In Falle Austerlitz' sogar ein stattgefundener Krieg, mit vielen wirklichen Toten.
„Jomo“, belehrte er mich, „jede Änderung in dieser Welt wird durch Krieg vorbereitet. Im nachfolgenden Frieden wird dann das festgeschrieben, was der Krieg entschieden hat. Das Neue, mein lieber Jomo, kommt aus dem Krieg. Der Krieg besteht aus Schlachten. Schlachten muß man gewinnen, wenn man das Nachfolgende mitbestimmen will.“
„Aber dein Vater, Franz“, wollte ich einwenden, wußte aber nicht so recht, ob ich in meiner Freiheit so weit gehen durfte, ihn darauf hinzuweisen, daß Napoleon doch allerhand, und zuletzt alles, verloren hatte und somit auch die Schuld an der jetzigen Situation des Herzogs trug.
„Ich weiß“, unterbrach mich Franz, obwohl ich selber gar nicht weitergeredet hätte, „mein Vater hat zu viel gewollt. Die Geschichte wird ihn zum Größenwahnsinnigen oder zum Großen, ja Größten machen. Die Geschichte wird erst einmal aufgeschrieben, dann bewertet, du weißt."
Ob Joseph Moritz diese weitschauende Aussage des Herzogs wirklich verstand, gibt er uns nicht preis. Seine Beschreibung widmete sich stets mehr dem Menschlichen zwischen den Beiden. So gelingt es Joseph Moritz im folgenden Absatz sehr schnell, die Schilderung des sachlichen Gespräches in den Bereich des dabei Gefühlten hinüber gleiten zu lassen.
„Er war zu genial.“
Franz lächelte jetzt.
Und er wiederholte: „Er war genial.“
Er sagte es mit der Pedanterie, die mich an meinen Vater erinnerte. Es war seiner feinen Aufmerksamkeit für die Sprache nicht entgangen, daß man zwar genial sein konnte, aber nicht genialer und nicht zu genial.
Im Lächeln seufzte er wie unter schwerer innerer Last.
„Sein Wollen, sein Können, reichten aus für zwei, für mehrere Leben.“
Dann hielt er inne. Ich sah von der Seite, daß eine Träne über seine rechte Wange lief. So nahe waren seine Empfindungen beisammen, eben hat er noch gelächelt, und schon hat ihn die Liebe zu seinem Vater, den er nie gekannt hat, berührt. Franz sah mich an, wollte sprechen, konnte nicht gleich, hielt still, um sich zu fassen.
Es war eine Zeit, in der Männer, Jünglinge, sich nicht schämten, auch einmal zu weinen. Wie viele „heiße Tränen“ wurden in der Zeit der Romantik auch von Männern vergossen…
Ich kann nicht, wie Vater mein Empfinden in Musik fassen. Ich kann nicht Fassung erringen durch die Kunst. Ich kann nicht dichten, was ich wahrhaftig empfinde, ich schreibe es nieder, aber es bringt mir keine Fassung. Collin dichtete Empfundenes. So viel, wie der dichtet, kann er gar nie empfunden haben. Welch ein Überfluß aber doch! Mein Vater atmet tief ein, geht in sich, und macht Ordnung in allem, worin er lebt, auch in dem, was er empfindet. Da wird dann Musik draus. Wie aber soll aus meinen Tränen, die den Polster tränken, Musik werden? Oder ein Kunstwerk? Wie kann ich Tränen formen?
Eine schwere Last von Empfindungen, zu deren Ordnung ihm, wie er meinte, die Gabe fehlte - und er litt unter dem vermeintlichen Wissen, seiner Empfindungen nie Herr werden zu können. Er schrieb auf, was er erlebte und brachte es in eine Fassung, die ihm selber fehlte. Denn es war der tödliche Irrtum des Joseph Moritz, nicht zu erkennen, dass das, was er da schrieb, die Fassung war, die er suchte.
Bald aber hatte Franz wieder sein Innerstes beruhigt und sagte leise: „Schreib’ ein Musikstück, Jomo. Mach’ ein Gedicht. Du kannst das. Ich beneide dich. Denn ich -“, er hielt noch einmal inne, sodaß ich erkannte, daß hier die Wurzel seines augenblicklichen Schmerzes lag, „- ich werde wohl nie eine Schlacht schlagen.“
Damit umarmte er mich und legte seinen Kopf an meine Schulter; ein heftiges Schluchzen schüttelte ihn. Ich konnte nicht anders, ich weinte ebenfalls, ihn fest an mich drückend. Den armen, mageren, sinnlosen Thronfolger auf niemandes Thron.
Einer erkannte den anderen genau, aber keiner erkannte sich selber. Beide waren sie Söhne von Vätern, die ihren Kindern keine Chance ließen, der Herzog in der historischen Vollkommenheit Napoleons, die abschließend und für alle Nachkommen tödlich war, Joseph Moritz durch vorgelebtes wohlgeordnetes, vollkommenes Innen- und Außenleben eines kompletten Vaters. Zwei empfindsame junge Männer waren sie, denen niemand half, ihr Leben zu bewältigen. Es waren ihnen nur die Handgriffe beigebracht worden, die man tätigen musste, wenn die Äußerlichkeiten des Tagesablaufes eine Handlung verlangten. In sich hatte jeder der beiden seine eigene Traurigkeit. Die eigenen Gedanken fanden keinen anderen gemeinsamen Ausdruck, als die Traurigkeit. Diese Traurigkeit, die dann bewusst und quälend fühlbar wurde, wenn die Verlassenheit des Einzelnen ihre kalten Ringe um sie legte.
Franz löste sich, wischte eine Träne aus seinem Gesicht, lächelte, als er meine Tränen sah, wischte sie mit der anderen Hand zart aus meinem Antlitz, dann sagte er: „Wir zwei. Was soll aus uns werden?“
Ich verließ Franzens Gemächer auf dem gewohnten Weg, ging nach Hause, suchte in der Bibliothek meines Vaters nach einem Dichter, der mir eine Form oder eine Sprache vorzugeben imstande war. Ich habe schon so oft gesucht und wie jedes Mal fand ich auch diesmal keinen. Also verschreibe ich mich dir, meinem Tagebuch.
Man hätte dem Joseph Moritz sagen müssen, dass Gedichte vielleicht gar nicht diese Aussagekraft gehabt hätten, wie sie sein Tagebuch bietet. Joseph Moritz wusste wirklich nicht, was für ein guter Schreiber er war, als er dieses sein Tagebuch schrieb. Niemand hat es zu seinen Lebzeiten gelesen, wer also hätte es ihm sagen können?
Joseph Moritz schreibt, er habe die Gemächer des Herzogs auf dem ‚gewohnten Weg‘ verlassen. Wir kennen die Gemächer des Herzogs, aber wir wissen nur sehr ungefähr, wo Joseph Moritz auf der Straße landete, wenn er den Herzog verließ. Wir kennen aber überhaupt nicht den Weg, den er innerhalb der Hofburg genommen hat. Er wird wohl immer ein Geheimnis bleiben, blieb er doch auch dem Erzieher, den Lehrern, ja sogar Metternich und seinem Wachapparat verborgen. Nicht einmal ein historisch wirklich gebildeter und gut informierter Museumsführer war in der Lage, diesen Geheimweg zu rekonstruieren.
Ich war um einige Minuten später als sonst in Franzens Gemächer geeilt. Der *** war nicht zur Minute da. Franz war zutiefst beunruhigt.
Wer dieser *** ist, erfahren wir noch, wer allerdings dahinter verborgen ist, erfahren wie von Joseph Moritz selber nie. Wir können es aber ahnen. Doch davon später.
„Wenn sie dich erwischen, dann...“
„... Gnade uns Gott“, vollendete ich.
„Gnade dir Gott“, wies er mit dem Finger auf mich, mit tiefer Unruhe und bleichem Antlitz.
„Aber wer weiß“, und er hielt inne, nachdenklich vor sich hinschauend, „ein dichtes Netz kann auch schützen.“
Dieser zusammenfassende Einblick in das Tagebuch des Joseph Moritz von Dietrichstein sollte uns ein wenig die Methodik zeigen. Die Vertiefung folgt erst, wenn wir chronologisch vorgehen.
KAPITEL 2
Joseph Moritz wurde aus beruflichen Gründen oft auf Reisen geschickt. Die wirtschaftliche Expansion drängte nach Süden, sehr zum Gefallen des Joseph Moritz, der viel lieber nach Süden als nach Norden reiste. Wenn ihn eine Reise gar noch in ein Land führte, in dem Kunst zu sehen war, war die Unannehmlichkeit der langwierigen Anreise und der oft sehr langweiligen Handelsgespräche mehr als aufgehoben.
Am schönsten ist die Kunst dort, wo sie gemacht wird. Und am allerschönsten ist sie, wenn sie so beschaffen ist, daß sie nur dort und nirgends anders gemacht werden kann.
Joseph Moritz führte selbstverständlich auch auf diesen Reisen sein Tagebuch.
So stand ich auf der Piazza della Signoria vor dem Palazzo Vecchio in Florenz. Die vielen schönen Menschen. Die vielen schönen Statuen. Nackt. Hier denke ich innig an dich, Franz, der du dies hoffentlich niemals lesen wirst. Ich halte Zwiesprache mit dir angesichts der vielen Schönheit, die sich hier so unverhüllt zeigt. Freiheit, die nichts Wildes, nichts Ungezogenes und nichts Verbotenes hat. Freiheit, die so herrlich erlaubt ist. Die Freiheit, die wir beide, Franz, nicht haben.
Ich erröte bei dem Gedanken, daß du dies jemals lesen würdest.
Und doch...
Der Herzog wusste allerdings von der Existenz dieses Tagebuches.
Im Spätherbst 1829 finden wir eine Notiz, die das bestätigt.
„Joseph Moritz“, mahnte mich der Franz heute - er nennt mich immer beim ganzen Namen, wenn er besonders scherzhaft oder besonders ernst sein will - „du hast die letzte Zeit wohl mehr mit deinem Tagebuch gesprochen als mit mir.“
Dieses Gespräch fand statt zu einer Zeit, in der der Kontakt zwischen den Beiden abgerissen und eben wieder in Gang gekommen war.
Ich bin erschrocken.
„Woher weißt du?“, fragte ich.
„Du selbst hast es mir erzählt“, lächelte er und strich mir mein Haar aus der Stirn, das ich französisch nach vorne trug.
„Wann habe ich dir das erzählt?“
Ich kann mich wirklich nicht erinnern.
Er aber lachte jetzt fast: „Soeben hast du es mir erzählt. Du hast mir nicht widersprochen!“
Die Röte schoß mir ins Gesicht, ich stieß ihn weg von mir. Er aber zog mich wieder zu sich heran, drückte mein ihm zugewandtes Ohr fest an seinen Mund und flüsterte: „Du bist der Mensch für ein Tagebuch. Du hast zu viele Gedanken, die man nicht aussprechen kann und zu viele Geschichten, die du niemand erzählen kannst. Habe ich recht?“
Anstelle einer Antwort drückte ich ihn so fest an mich, daß mein Herz zerspringen wollte vor lauter Klopfen. Aber ich wußte schon, es wird nicht zerspringen, nicht wenn es vor Freude klopft.
Im Kommenden finden wir sehr überraschend die Situation geschildert, in der sich die Beiden bei dem Gespräch befanden.
Mit einmal aber löste sich der Franz von mir, verließ unser Lager, wandte sich, kaum draußen, zu mir um und antwortet meinem wohl staunenden Blick: „Man muß aufhören können. Eine Tugend, die mein Vater nicht hatte.“
Schnell und geübt im Ankleiden war er sogleich wieder ganz Herzog im Privatgemach.
So blieb mir die beschämende Rolle, mich vor dem Franz nun meinerseits zu restaurieren. Er sah mir dabei so frech lachend zu, daß ich mich abwenden mußte, um nicht vor Scham zu vergehen. Wenn ich mich nach meinen Beinkleidern bücken mußte, wurde mein Ansatz zu einem Bäuchlein allzu deutlich sichtbar. Ich wendete mich also genau so weit ab, bis ich die Sicherheit wähnte, daß er meinen wunden Punkt jetzt nicht mehr sähe.
„Auch schön“, klang es da hinter mir mit höchst vergnügter Stimme.
Ich blickte hinter mich und sah eben noch, wie der Herzog von Reichstadt meinem Hinteren eine Grimasse zuschnitt.
Joseph Moritz hat mehrmals in seinem Tagebuch gebeten, ihn durch die Preisgabe, also Veröffentlichung, allzu intimer Details nicht bloßzustellen. Es wird da immer wieder die Doppelseitigkeit von Joseph Moritz‘ innerer Einstellung zu seinen Notizen sichtbar. Einerseits ist das Tagebuch für niemandes Lektüre bestimmt. Andrerseits drängt es den Verfasser, sich so mitzuteilen, dass ein anderer ihn versteht. Und wer anders sollte das denn sein, als ein späterer Leser?
Der Franz aber, der ‚dies nie lesen‘ würde, bekam in Florenz einiges ‚mitgeteilt‘, voll aus dem sicheren Wissen heraus, dass er dies wirklich nie lesen würde. Er war auch so, er hat dieses Tagebuch nie gelesen. Zu viel Tod auf einmal verhinderte dies.
Wir sind noch immer in Florenz.
Ich kann ja sein, wo ich will, überall bist du mir gegenwärtig. Alles, was ich denke, denke ich durch deine Gedanken hindurch. So dachte ich an dich, Franz, beim Anblick des wunderschönen David, den Michelangelo vielleicht auch nach einem Vorbild gestaltet hat. Nach einem lebenden Vorbild, meine ich. Ich bin aber der festen Überzeugung, daß es ein so schönes Vorbild gar nicht gibt. Ein lebendes. Auch nicht gegeben hat. Das Gesicht vielleicht. Ich möchte damit nicht sagen, daß Davids Gesicht nicht schön sei, aber es hat so etwas Unheroisches, Privates, so gar nicht Nacktes. Da schaut einer, die Stirne runzelnd, auf den wunderschönen, schon fertigen nackten Körper einer Statue, deren Kopf noch nicht herausgehauen ist, und fragt: „Da soll mein Kopf drauf? Na schön!“
Michelangelo hat genau den Augenblick festgehalten, festgemeisselt und auf Davids Körper gesetzt. Das Kunstwerk, das genau den Abstand in sich birgt, der sich in einer Frage ausdrückt: „Mein Kopf auf diesen herrlichen Körper? Na schön!“
Anmaßung und Resignation.
Es sind ja deine Worte, Franz, die David da zu mir spricht. Und du bist es auch, der da vor mir steht. Nicht leiblich und auch nicht in Marmor, sondern dem ganzen Wesen nach. Die Vollendung, der Zweifel, die Ironie, der Humor, das Lächeln, die Gleichgültigkeit der Nacktheit... und alles in und aus meiner Liebe zu dir.
Anlässlich eines gemeinsamen Museumsbesuches hat Joseph Moritz dem Herzog von diesen seinen Empfindungen beim Anblick des David in Florenz erzählt. Es ist dies übrigens die einzige Erwähnung eines gemeinsamen kulturellen ‚Ausganges‘.
Die Replik des Herzogs zeigt seine wesentlich weniger von Ästhetik getragene Einstellung der Kunst und dem in ihr Dargestellten gegenüber.
... Franz fügte dem von mir als Florentinische Empfindung vorsichtig geschilderten Gedankenbild seinen eigenen Anhang hinzu: „Stell dir vor, ich, nackt auf diesem Sockel, mit meiner Gestalt und meinem langen - du weißt schon - in Florenz. Ich weiß nicht, ob die Leute mehr oder weniger hinschauen würden.“
Dann wies Franz auf eine nackte Männerstatue, die in einer Nische stand, und flüsterte: „Die Pimmel der Statuen sind alle so kurz und so fest."
Er dachte nach und fügte dann ganz ernst hinzu: „Das liegt wohl am Marmor. Der ist kalt. Und kalt zieht zusammen!“
Bei den letzten Worten stieß er mich unmerklich vertraulich an.
Ich war nicht wenig echauffiert ob der Kühnheit des Franz, so Intimes so keck in der Öffentlichkeit herauszusagen. Ich erinnerte mich aber auch der manchmal sehr mangelhaften Beheizung der Gemächer des Franz.
Diese Unterhaltung führten wir so, daß es für die anderen nach einem angeregten künstlerischen Diskurs aussehen mußte; zwei Schritte hinter uns war nämlich der Foresti; der war allerdings höchst unaufmerksam und auch gar nicht sonderlich angetan von den ausgestellten Kunstwerken, die der Franz zu besichtigen gewünscht hatte.
Es war uns halt eine Lust, öffentlich zu tändeln und niemand sieht’s.
Joseph Moritz und der Herzog trafen einander also auch manchmal offiziell und öffentlich. Es mag ihnen eine diebische Freude gemacht haben, ganz nahe an der möglichen Entdeckung ihres ‚Geheimnisses‘ zu wandeln, zu spielen, zu ‚tändeln’.
Der Herzog von Reichstadt hatte, trotz der strengen Etikette, die das Leben des Sohnes von Napoleon und Enkels Franz des I., einer hochnotpeinlichen Figur von historischer Brisanz, unterliegen musste, auch ein Privatissimum. Es wäre jetzt abgeschmackt, mit moralistisch gerunzelter Stirn die Frage zu stellen, warum sich dieses Privatissimum justament zwischen zwei Männern begab. Wie hätte die Sache denn ausgesehen, wenn anstelle des Joseph Moritz ein Mädchen gewesen wäre? Sie hätte gar nicht, wie Joseph Moritz, zehn Jahre älter als der Herzog sein müssen. Ein ‚aufgeflogenes‘ Verhältnis des Herzogs mit einer Frau, wäre einer Katastrophe gleichgekommen. Eine Männerfreundschaft hingegen war normal. Man könnte vielleicht fragen, warum niemand bemerkt hat, dass das mehr war als eine Männerfreundschaft. Damals hat niemand gefragt. Und wenn? Metternich allein hätte die Größe der ‚Katastrophe‘ festgelegt. Der Kaiser wäre vielleicht damit befasst worden; er hätte wahrscheinlich abgewunken. Skandale, die geheim bleiben, sind keine Skandale. Der junge Dietrichstein? Ein netter, begabter, tüchtiger junger Herr. Wenn der Herzog schon Gesellschaft pflegte, von der niemand wusste, dann hätte es schlechtere sein können. Der Kaiser hätte vielleicht zu höherer Aufmerksamkeit gemahnt - und hätte die Dinge laufen lassen. Die Zusammenkünfte der beiden wären dann wohl dem offiziellen Terminkalender des Herzogs einverleibt worden, hätten also das Flair des Geheimen, Privaten, Intimen verloren. Denn es waren ja die im Kalender des Herzogs vorgeschriebenen Mußestunden, in denen das Privatissimum stattfand, geheim, unter Umgehung der Wache, umgeben von dem, vom Herzog selbst zitierten, ‚Netz, das auch schützt‘.
Anders mochte die Situation auf Joseph Moritz‘ Seite aussehen. Seine Liebe zum Herzog ist sehr tief gegangen, jedenfalls tiefer, als es zwischen Männern üblich ist. Seine Liebe entspringt aus dem Romantischen, jenem Teil der Psyche also, der das Blut in Wallung bringt, zum Sieden, der Gedanken abschaltet und Körper zu einander zieht. Joseph Moritz entwickelte allerdings sehr bald auch ein, man würde heute sagen, von Sex gesteuertes Verhalten. Sex, der einmal dem rein Körperlichen diente und auch von dort gefordert wurde, und der, allerdings nur mit dem Herzog, aus der Liebe kam.
Seine eigene Rolle schildert Joseph Moritz in seinem Tagebuch mit immer mehr Offenheit, die bald jedwede Selbstschonung fallen ließ. Wie es allerdings mit dem Herzog wirklich stand, können wir nur versuchen, aus den Schilderungen des Joseph Moritz geschmackvoll und möglichst gerecht zu deuten. Wir haben, was diesen Teil des Lebens des Herzogs von Reichstadt betrifft, keine andere Quelle, als das Tagebuch des Joseph Moritz von Dietrichstein. Und der war, die vorigen Zitate haben es schon gezeigt, offensichtlich auch ein Dichter. Oft ohne es zu wissen, oft aber auch, weil er es so wollte. Er überlässt es unserer Auslegung, wo die Wirklichkeit aufhört und die Dichtung anfängt. Wenn er uns überhaupt Hinweise gibt, dann in begleitenden Worten, nie aber in der Schilderung eines Vorganges.
Der Dichter manifestiert sich ganz deutlich in der weiteren Schilderung aus Florenz.
Es mag ja vielleicht auch der rote Wein sein, dem ich hier in erhöhtem Maße zuspreche und der mich auf solche Gedanken bringt. Ich will aber nicht sagen, daß es nur der Wein sei, der mich an dich denken läßt, Franz. Ich weiß, daß du mich jetzt fragen würdest: „Denkst du immer nur dann an mich, wenn du trinkst?“
Aber vielleicht hättest du diese Frage gar nicht gestellt. Vielleicht ist es dir ganz und gar gleichgültig, ob ich an dich denke, oder nicht. Wahrscheinlich wäre es dir lieber, wenn deine Mutter mehr an dich dächte. Oder daß dein Vater noch lebte, daß er an dich denken könnte. Aber so, ohne Vater, ohne Mutter, wohin geht denn deine Liebe? Zu mir?
Du hast recht. Es mag wirklich der Wein sein, der meine Tränen und mein Denken auf solche Wege lenkt.
Napoleon ist tot, die Mutter Marie Louise regiert in Parma und treibt es dort mit dem Grafen Neipperg. Wir werden das alles noch breitest erfahren.
KAPITEL 3
Im Jahr 1831, dem Jahr, in dem Joseph Moritz seinen dreißigsten Geburtstag beging, begann er, sein Tagebuch zu ergänzen, die Zeit ‚vorher’, nachzutragen. Die Notwendigkeit hierfür hat er sich sehr genau überlegt.
Der Franz spricht immer wieder von Flucht; nicht nur zu mir, sondern auch zu anderen. Und ich sage ihm immer wieder, daß das gefährlich sei. Spreche ich aber von Gefahr, scheint er mich sogleich zu fragen: wo ist sie, die Gefahr, sag mir, wo, damit ich mich ihr stellen kann. Mir scheint, er meint, daß sein Leben viel eindrucksvoller wäre, hätte er mehr Gefahren zu bestehen. Aber ich sage immer wieder, ob er nicht meine, daß es gefährlich sei, auch mit anderen als mit mir über seine Pläne zu sprechen. Heute hat er ganz vergnügt abgewinkt: „Gefahr! Verantwortung ist immer Gefahr!“
Ich vermag ihm nicht immer mit dem gleichen Feuer zu folgen, mit dem er von seinen Plänen zu sprechen pflegt. Derzeit bewundert er sehr die Polen, deren Krone er gerne angenommen hätte: „Jomo, die Vorstellung, an der Spitze der Polen zu marschieren, beherrscht mich mehr als alles andere. Ich würde freudig mich in Polen krönen lassen...“. Falls da ein Verführer wäre, würde Franz sicher seine Schritte in diese Richtung lenken. Aber da ist kein Verführer. Und der Franz ist traurig.
Prokesch-Osten -
- wir lernen ihn später noch näher kennen -
- sagte es sehr genau: „Die Krone Frankreichs ist ja nun in schwer erreichbare Ferne gerückt, aber die Länder Griechenland, Italien, Belgien oder eben Polen brauchten nur zu winken und der Herzog würde hinreisen oder hinfliehen, um sich an die Spitze des Landes stellen zu lassen.“
Aber es ertönte kein ernsthafter Ruf. Den Joseph Moritz hat es übrigens sehr geschmerzt, dass der Herzog mit ihm kaum über seine politischen Ansichten und Absichten sprach.
Wenn der Franz so seinen Träumen nachhängt, ist er mir fremd. Da ist er nicht mein geliebter Freund, sondern ein Herrscher ohne Krone und ohne Hoffnung. Ein Mensch, der sich für Höheres, für Besseres bestimmt fühlt; für Höheres, das ihm, so meint er und so will es auch die Historie, von der Geburt an bestimmt ist. Aber die Entwicklung der Zeiten nimmt auf seine Geburtsrechte keine Rücksicht.
Vater macht sich oft seine Gedanken: „Armer Teufel! Dazu geboren, um nichts zu werden. Nichts. Wofür ihn erziehen? Sie sollten ihn lieber leben lassen!“
Dann wandte er sich mir zu und Ärger kam in sein Gesicht: „Ich sollte sowas nicht vor Ihm schwatzhaftem Buben sagen!“
Vater hält mich für einen schwatzhaften Buben.
Das Höchste, was mir der Franz zubilligt ist, daß er heute gesagt hat: „Warte nur, Jomo, mit dir will ich nur das Heitere erleben, laß mich den Ernst mit denen erörtern, die ich nicht schätze und nicht mit denen, die ich liebe.“
Ist gar nicht wahr, das hat er nicht gesagt. Aber sein Blick, und es war ja nur ein Blick, den er mir zuwarf und den er mit keinem Wort ergänzte, ihn somit meiner Übersetzung überließ, dieser Blick sagte mir... aber vielleicht ist es auch gar nicht wahr.
Ich bin viel allein gelassen. Aber es kann mich nur einer allein lassen, der Franz. Niemand außer ihm fehlt mir.
Damals, in dieser Einsamkeit, fasste Joseph Moritz den Entschluss, das Bisherige aufzuarbeiten, sein Tagebuch um die ‚Zeit davor’ zu ergänzen.
Ich hatte heute Zeit und Muße. Das Wetter war so, wie ich es am meisten verabscheue, es war ohne Farben, grau und überschattet von dem Geräusch, das ich hasse, dem Geräusch des Regens. So blätterte ich zum ersten Male in meinem Tagebuch. Ich fand mich selber in vergangenen Zeiten. Und wenn mir der Franz schon nicht persönlich seine Anwesenheit schenkt, so rief ich ihn mir wenigstens mit Hilfe meiner Notizen. Dabei komme ich nicht umhin, festzustellen, daß mein Tagebuch im Lauf der Zeit immer mehr zu einem Buch über den Franz wird. Über mich und den Franz; über den Franz und mich.
Aber wie hat es angefangen? Das Tagebuch ist unvollständig, sind doch die Jahre, in denen ich noch kein Tagebuch führte, nicht enthalten, obwohl ich damals den Franz schon gekannt habe. Kurzum, ich habe mich heute entschlossen, diese Zeit nachzutragen, in meinen Erinnerungen zu kramen und mich an die Jahre mit Franz zu erinnern, als es dieses ‚Franzensbuch’ noch nicht gab.
Der Schriftduktus zeigt uns eine Pause an, die Joseph Moritz eingelegt hat.
Da sitze ich nun seit über einer Stunde mit gezückter Feder und weiß nicht, wo beginnen. Es ist mir nämlich nicht möglich, heute, nachher, so zu tun, als würde ich es damals schreiben, als ich es erlebte. Ich kann nicht so tun, als kennte ich den Franz noch nicht so wie heute. Ich kann nicht so tun, als wäre der Franz jetzt der kleine Bub, als den ich ihn kennengelernt habe. Ich kann nicht so tun. Ich, der Franz, wir beide, unser Leben war damals mit uns im Wachsen. Das IST nicht mehr, das WAR alles. Verstehst du das?
Joseph Moritz ist hier zweifellos an die Grenzen dessen geraten, was er für Dichtung oder Dichtkunst hielt. Hier bemerken wir aber auch das völlig verstellte Bild, das er von sich selber hatte. Niemand hat damals von ihm verlangt, das, was er erlebt hat, wie Heutiges zu erzählen. Einfach niederzuschreiben, was er empfand, war dem Joseph Moritz offenbar zu wenig; das war nicht des Dichters Werk, zu empfinden und das zu notieren. Beim Dichter musste seiner Ansicht nach auch ein gewisses Maß an Umformung, an Verformung, an Neuformung stattfinden, ob sie nun passte, sich aufdrängte, sich so ergab - oder nicht. Und wenn sie sich schon nicht aufdrängte, weil sie halt nicht passte und sich daher auch nicht ergab, dann musste man den ‚Stoff’ eben zwingen. Und genau dieses ‚Zwingen’ meinte Joseph Moritz nicht zu vermögen. Er hätte lügen müssen. Er hätte das tun müssen, was allerdings viele Schriftsteller tun, die Selbsterlebtes einfach in eine so genannt überhöhte und damit künstlerische Form umgießen, und damit Kunst vorgaukeln, Dichtkunst vorgaukeln, indem sie lügen und Selbsterlebtes zum Einfall umbilden.
So ergibt sich ein für Joseph Moritz trauriger Schluss: Er hätte nur die richtigen Gesprächspartner haben müssen; dann wäre er vielleicht kein Dichter, aber seiner selbst sicher geworden. Er hätte eben geschrieben, nicht als Dichter und nicht für eine Nachwelt, sondern einfach deshalb, weil es seine Art war, sich mitzuteilen, indem er es niederschrieb und beim Schreiben noch einmal durchdachte, noch einmal erlebte, nocheinmal durchlitt, sich noch einmal freute.
‚Verstehst du das?’, war die letzte Eintragung. An ihr knüpft Joseph Moritz nach einer Pause, die möglicherweise sogar ein paar Tage gedauert haben konnte, an.
Wer sollte mich denn verstehen? Wen habe ich denn da angesprochen? Wen habe ich da angefleht? Meine Mutter? Mutter! Mein Respekt verbietet mir, mehr zu sagen. Meinen Vater? Mein Vater! Er ist schon nicht glücklich mit mir, wie er mich kennt. Lernte er gar noch die Winkel an mir kennen, die ich verheimlichen muß, was wäre denn gar dann?
Ich muß mir einen anderen Platz zur Aufbewahrung meines Tagebuches suchen. Oder nicht alles schreiben. Aber ich schreibe sowieso nicht alles. Das, was ich schreibe, errettet mich vor dem Tode des inneren Erstickens. Oder vor einem anderen baldigen Tode.
Einem Freund geben? Das Tagebuch. Einem Freund? Franz, ja, der hat Freunde. Freunde, denen er vertrauen könnte, daß er ihnen ein Tagebuch wie meines hier anvertrauen dürfte? Dem Franz sind viele treu. Treu ergeben. Stehen zu ihm, nein, sind ihm ergeben. Der Kaiser ist sein Freund, sein verläßlichster. Ihm kann ich zweifellos nicht mein Tagebuch zur Aufbewahrung übergeben. Kaiserin Karolina Augusta? Sie liebt den Franz, sagt auch heute noch ‚Fränzchen’ zu ihm. Sie ist die einzige, die sich ihm gegenüber Herzlichkeiten herausnehmen darf. Sie ist auch die einzige, deren Herzlichkeiten gegen den Franz mir keinen Stich ins Herz versetzen.
Was tun?
Ich möchte alles vom Franz erzählen, alles von früher, als ob er da säße. So säße, wie er sitzt, wenn wir allein sind: Den mageren Oberkörper etwas eingesunken, leicht nach vorne gebeugt, die langen Beine gegrätscht von sich gestreckt, mit dem linken Arm auf die Lehne des Sessels gestützt, die rechte Hand auf dem rechten Oberschenkel, knapp in der Beuge, ausruhend, mich aufmerksam betrachtend, beim Zuhören hin und wieder nickend und, wie so oft, nicht ganz bei der Sache.
Dann frage ich ihn: „Franz, hörst du mir zu?“
Und er antwortet so wunderbar lächelnd: „Jomo, es ist zu viel. Nicht nur, WAS du erzählst, ist schön, sondern auch, WIE du es erzählst.“
Dann wird mir heiß, ich spüre mich erröten, er aber lächelt weiter: „Soll ich dir nun zuhören oder zuschauen? Bei dir kann ich nur eines!“
Dann schließt er die Augen. Jetzt kann ich nicht mehr erzählen, denn wenn Franz die Augen schließt, ist er nicht mehr da. Also bitte ich ihn, die Augen zu öffnen. Er tut's und blickt so verschlafen, als wäre er eben aufgewacht. Aufgewacht nach einer Nacht. Es ist Morgen.
Es ist Nachmittag. Ich beschreibe ihn mir, weil ich ihn nicht habe. Was weiß ich, was er tut?
Joseph Moritz ist in Gedanken versunken. Dieses Grübeln, das ihn in den Jahren 1830 und 1831 immer wieder befiel, begann seinem Vater Sorgen zu machen. Schwermut, Neigung zum totalen Versinken, sich zeitweise selbst nicht finden, so erzählte es der Vater dem Doktor Johann Peter Franck. Franck behandelte sowohl den Herzog, als auch Metternichs Sohn Viktor. Auf Vaters Bitten untersuchte er Joseph Moritz einmal, stellte aber keine Krankheitssymptome fest. Damals musste man schon seine Lunge heraushusten, damit der Arzt einen nicht auf einen nicht vorhandenen Ausschlag behandelte, wie es der Doktor Malfatti so lange Zeit beim Herzog tat, bis Doktor Franck endlich die wahre Krankheit erkannte. Da war alles schon zu spät.
„Ein romantisches Gemüt“, attestierte er dem Joseph Moritz. „Hang zu Schwärmerei, Anfälligkeit für mitteltiefe Melancholie“, das waren die näheren Erläuterungen. ‚Mitteltief’, das klang nicht nach Selbstmordgefahr. „Viel gehen in frischer Luft“, war die Therapieanweisung, die Franck dem Grafen Dietrichstein für seinen Sohn mitgab. Franck hat diese Diagnose sogar in seinem Patientenbuch festgehalten. Ein schräges Kreuz am Rande der Eintragung, mehr schon ein X, kennzeichnete den Fall Joseph Moritz von Dietrichstein als harmlos und erledigt.
Heute ist der Franz auf Inspektion zu seinem Regiment gefahren.
Das schreibt Joseph Moritz als einzige Eintragung eines Tages Ende Jänner 1831.
Der Schrift nach folgt der nächste Satz um einiges später.
Heute beginne ich, die Vor-Tagebuch-Zeit aufzuarbeiten. Ich habe Zeit. Der Franz ist bei seinen Kameraden. Ich bin ja kein Kamerad.
KAPITEL 4
Joseph Moritz wusste nicht, wo und wie er mit seinem Bericht „Was vorher war“ beginnen sollte. Er brauchte für seine Überlegungen sogar einige Tage lang. Das WAS und WIE hatte ihn ja schon in einer früheren Eintragung gequält. Je mehr er sich jedoch seinem Vorhaben zu nähern vermeinte, desto mehr Unsicherheiten tauchten ihm auf.
Das Wochenende war kalt und klirrend. Wir gingen kaum aus dem Hause. Mein Vater, der auch in seinen Dienst gehen muß, wenn der Franz nicht da ist, schimpfte wie ein Rohrspatz, zumal sich Metternich noch kaum jemals um die Anwesenheit des Erziehungsstabes des Herzogs gekümmert hatte. Aber just gestern hat er vorbeischauen lassen, wie der Adjutant es ausgedrückt hatte.
„Nicht der Herzog hat mit Ihnen zu studieren, sondern Sie alle haben in Permanenz den Herzog zu studieren!“, so ließ Metternich freilich ohne gegebenen Anlaß, wie ausdrücklich betont wurde, ausrichten.
Mein Vater fluchte, wie ich ihn noch nie gehört habe.
Unser Haus ist bei der strengen Kälte nur sehr schwer zu beheizen. Wirklich warm ist es nur in der Küche, an deren großem Tisch wir auch unsere Mahlzeiten derzeit einzunehmen pflegen. Mäßig warm ist es noch im großen Salon, wo sich die Familie aufhält. Die eigenen Zimmer aufzusuchen ist nur möglich, wenn man sich dort gleich zu Bette begibt. So sind alle mißmutig und beäugen, mangels eigener Tätigkeit, jeder den anderen, wie auf der Suche nach Zerstreuung durch den anderen.
Ich lese ein wenig von Collin. Nicht von Franzens Lehrer. Der dichtet zwar auch. Versucht es halt. Wie ich. Nein, ich lese von seinem Bruder, der - seiner Verbreitung nach - sehr wohl sich zum Berufstand der Dichter zählen darf. Aber ich weiß nicht, was ich da alles gelesen habe. Ich habe leere Worte, aneinandergereihte Buchstaben eingesogen. Und irgendwo im Gehirne verloren, noch bevor ich sie verstanden habe. Wie soll ich da einen Gedanken fassen? Und wenn ich einen fasse, wie ihn niederschreiben? Ich habe so meine Gedanken, gewiß. Aber sie verflüchtigen sich wieder. Wenn ich’s nicht niederschreibe, hält es nicht. Und mir erscheint es qualvoll, daß es sicherlich die besten Gedanken sind, die ich so nicht niederschreibe.
Jetzt sitze ich in meinem Zimmer; es wird kalt und kälter. Ich werde gleich zu Bette gehen. Keiner der Gedanken des Tages ist da. Keiner zum Niederschreiben. So beschreibe ich meine Zeit ohne Gedanken. Vielleicht dann, wenn ich im Bette liege, wenn mein Körper auftaut und sich in jedem Glied füllt mit meinem Denken und Fühlen. An den Franz wohl. Ganz ohne Probleme. An den Franz. Nur schnell einschlafen.
Klamm sind die Schriftzüge. Joseph Moritz ist schlafen gegangen. Die nächste Eintragung spricht vom nächsten Tag.
Plötzlich hab’ ich’s: soll ich berichten ab der Zeit, in der der Franz lebt? Soll ich auch die Zeit vorher erzählen? Habe ich denn gelebt, bevor es den Franz gab? Doch, ich habe gelebt. Zehn Jahre lang. Und dann noch vier Jahre lang, bis ich den Franz zum ersten Male erblicken durfte. So werde ich dem Franz alles das erzählen, was ich seit seiner Geburt erlebt habe.
Ich habe gesagt, ich hab’s. Ich weiß, WAS ich erzählen werde, und ich weiß, WEM ich es erzählen werde. Und da der Franz es nie lesen wird, ist jeder, der es einmal liest, der Franz. Also niemand.
So beginne ich:
Ich weiß noch, daß es Ende März des Jahres 1811 war, als wir erfuhren, daß am 20. März, morgens um neun Uhr und fünfzehn Minuten die Glocken von Notre Dame in Paris und die Glocken aller Kirchen der Stadt mit voller Stärke dröhnten. Ein Kanonenschuß zerriß die Luft. Alle wußten, einundzwanzig Schüsse würden die Geburt einer Tochter des Franzosenkaisers Napoleon und seiner Gemahlin Marie Luise verkünden. Erzherzogin Marie Luise, deiner Mutter, Franz, die ein Jahr zuvor in der Wiener Augustinerkirche per procura mit deinem Vater vermählt wurde. Fünf Tage nach dieser getrennten Hochzeit wurde Ihre Kaiserliche Hoheit an der österreichischen Grenze an Frankreich übergeben, um in das Ehebett Napoleons geführt zu werden.
Franz schlägt die Hände vor das Gesicht. Ich weiß, die Nennung der Mutter verschafft ihm Pein. Denn mittlerweile, wenn ich dies niederschreibe, weiß er schon alles über sie. Und der Vater ist tot.
„Franz, ich will dich nicht quälen. Franz!“
Er löst langsam seine Hände vom Gesicht. Ich bin mir nicht sicher, ob er geweint hat. Schatten verhüllen eine genaue Sicht in sein Antlitz.
„Sprich weiter“, sagt er fast ohne Ton.
Alle in Paris, die jetzt die Kanonenschüsse zählen, wissen, wenn es über einundzwanzig hinausgeht, dann ist er geboren, der Thronfolger, der sofort mit seiner Geburt König von Rom wird. Nun Franz, es waren mehr als einundzwanzig Schüsse es waren die einhundertein Schüsse. Und sie galten dir. Deiner Geburt. Der Geburt des Königs von Rom. Sohn des geliebten Vaters, den er, so sagte er mir, persönlich nicht in seiner Erinnerung hat. Der König von Rom ist er nun auch nicht mehr.
„Franz“, frage ich zögernd, „soll ich weitererzählen?“
Franz ist blaß, aber er bittet fast: „Sprich weiter.“
Dann erfaßt ihn ein Zorn, er schlägt mit der Faust auf die Lehne seines Sessels - man hört nichts, denn die Lehne ist gepolstert - und er zischt: „Sprich weiter. Erzähl mir vom Entstehen einer Leere.“
„Einer Leere?“, frage ich erstaunt und nicht verstehend.
„Meines Lebens“, sagt er so, als wollte er sich verbessern.
Ich wollte nicht verstehen, weil ich gerade dabei war, mich in meine eigene Geschichte zu versenken, uns so vertiefte ich mich wieder in die Erinnerung.
Es war das Jahr, in dem unsere Familie viel Geld verlor. Mein Vater schimpfte irgendwas von „unfähiger Finanzverwaltung“ und „da schmeißen sie das Geld hinaus für alles mögliche und wir dürfen zahlen“. Unsere Bankozettel, Geld aus bedrucktem Papier, waren immer wertloser geworden. In jenem Jahr mußten wir sie umtauschen gegen - ich glaube - Einlösungsscheine. Neues Papier, das keinen Wert hatte. Meine Mutter fragte damals ängstlich: „Aber unser Silber, das bleibt doch was wert, Herr Vater?“
Der Vater zischte, blickte sich um, daß ihn nur ja niemand hörte, dann maßregelte er meine Mutter: „Geh’ sie doch gleich auf die Gass’n und erzähl’ sie’s einem jeden.“
Erst später erfuhr ich, daß mein Vater das gleiche getan hatte, das viele damals taten. wenn sie’s hatten: er hatte Silbergeld gehortet, in einer Truhe im Keller.
Nun, uns hat’s ja nicht so sehr getroffen, wir haben ja unsere Güter. Aber es soll viel Elend gegeben haben draußen, wo die Leute wohnen. Nicht nur, weil das Geld weniger geworden war, sondern weil für die, die kaufen mußten, auch noch alles teurer wurde.
„Arme Leut‘“, sagte mein Vater, „an die denkt keiner!“
Meine Mutter aber war nicht weiter unruhig: „Die Polizei paßt schon auf, daß uns nichts g’schieht! Gell?“
„Die Polizei“, antwortete mein Vater, „das sind ja auch keine armen Leut’. Da schaut schon der Metternich drauf.“
Vom Metternich war damals überhaupt viel die Rede.
Ich hatte den Franz vergessen: „Verzeih’, ich will deinem Wohltäter nichts nachsagen. Aber laß’ mich dennoch, soweit es geht, bei der Wahrheit bleiben.“
Franz staunt: „Meinst du, Jomo, ich erzähl’ ihm vielleicht was?“
Ich bin verwirrt: „Ich weiß nicht. Mußt du nicht? Muß einer wie du nicht? Muß ich jetzt schweigen?“
Der Franz lacht: „Ich will es nicht auf die Probe ankommen lassen, wer wem gegenüber was muß!“
Ich fühle mich plötzlich ohne eigenen Willen. Ich brauche einen Befehl. Aus mir selber kommt keiner. Franz ist mir im Augenblick fremd. „Metternich oder ich“, das sind beinahe gotteslästerliche Reden.
Jetzt seufzt er, blickt mich an, dreht sein Gesicht ganz aus dem Schatten heraus, und sagt herausfordernd: „Na?“
Ich weiß plötzlich so vieles nicht. Wir haben im selben Jahr das „Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch“ bekommen. Aber es hat auch nichts genützt, als der Hornbostel, der Seidenfabrikant, den selbstwebenden Webstuhl erfunden und auch gleich in Betrieb genommen hat. Früher hat er für jeden Webstuhl einen Weber gebraucht, für Tag und Nacht also zwei. Jetzt treibt ein Schwungrad gleich acht Webstühle an und er braucht nur noch drei Leute für die acht Webstühle.
Ja, und der Heinrich von Collin, der Dichter, der Bruder von deinem Lehrer Matthäus von Collin, der ist damals gestorben.
Ein Schatten von Trauer zieht über Franzens Gesicht, denn auch der Matthäus von Collin, sein Lehrer, ist im November 1824 gestorben.
Ich aber beschließe jetzt, die Schatten auf dem Franz nicht mehr zu berücksichtigen, indem ich jedesmal auf sie einzugehen versuchte.
Ich vertiefte mich wieder in die Vergangenheit. Der Schikaneder ist gestorben, 1812 glaube ich. „Er hat alles verjuxt!“, spottete mein Vater. „Schulden machen und dann wahnsinnig werden“, das war sein Urteil über Schikaneders Leben.
„Hat er wirklich so gedacht?“, fragt der Franz. „Ich möchte über meinen Erzieher nicht solches hören, wenn es nicht ganz exakt der Wahrheit entspricht, Jomo. Denk’ nach! Hat dein Vater das gesagt?“
Es war nicht der Funken von Verlegenheit, der mich etwa jetzt befallen hätte. Wußte ich doch, daß mein Vater Mozart über alles schätzte und liebte und der festen Meinung war, daß Schikaneder den Mozart schamlos ausgenutzt hatte und viel Geld hatte, während Mozart an manchen Tagen nicht wußte, wie weiterleben. Und der Mozart wäre nun einmal der gewesen, dem aller Reichtum zu gönnen war, nicht der Schikaneder, dieser Opportunist schlechthin, der sich ein Genie zu Diensten machte.
Franz lacht: „Liebe und Ungerechtigkeit, wie nahe liegen sie doch zusammen!“
„Ja“, antworte ich ereifert, „weil die Liebe zu dem einen so viel Liebe zu anderen ausschließt. Ausschließen muß. Liebe ist an einen - darf ich so sagen - festen Gegenstand gebunden. Und der wiederum frißt alle Liebe auf. Alle Liebe!“
„Schon gut, schon gut“, beschwichtigt mich Franz, „ich weiß schon.“
Jetzt wird sein Ton zarter, sein Blick allerdings erreicht mich aus dem Schatten, in den er sein Antlitz zurückgezogen hat: „Ich weiß schon, Jomo.“
Joseph Moritz hat dies nicht alles in einem Zuge geschrieben. Dem Schriftduktus nach dürfte es sich über einige Tage, mindestens sechs oder sieben, hingezogen haben.
An der Stelle, an der wir jetzt halten, ist die Unterbrechung allerdings besonders auffällig, da sie von starker Emotion getragen scheint. Er hat hier aufgehört. weil er einerseits von seinem Gefühl übermannt worden war, andrerseits aber mit dem Kopf gegen eine Wand gerannt war, wie er vermeinte.
Ich habe ein Stück des bisherigen gelesen. Ich hätte es nicht tun sollen. Alles, was ich bisher über früher geschrieben habe, beweist doch nur, daß ich es dem Franz gar nicht so erzählen kann, wie es war. Er korrigiert mich während des Schreibens. Er sucht aus, was wichtig und was unwichtig ist. Er läßt gar keinen anderen Satz zu, als den, der ihm nahegeht, der seine Empfindungen anspricht, der ihn interessiert.
Was bin ich für ein Dichter!
Ich versuch’s halt weiter.
Die vielen Baustellen, die wir heute in unserem Wien haben, rühren auch aus der Zeit deines ersten Lebensjahres. Dein lieber Vater Napoleon - das ‚lieber’ bezieht sich auf die Bezeichnung, die wir ihm damals gaben, als er uns 1809 zum zweiten Male heimsuchte - hatte die Burgbastei sprengen lassen. Ein paar Jahre lang wurde überlegt, ob man die Mauer wieder aufbauen solle oder nicht. Dann aber entschied man sich höchsten Ortes, die Innenstadt an der Stelle zu vergrößern, die Mauern also nicht mehr aufzubauen. Seither haben wir dort eine Baustelle. Sie haben einen Park angelegt, das Äußere Burgtor errichtet. Und wie sie aus dem Paradeplatz den Äußeren Burgplatz gemacht haben, da hat man in unseren Kreisen schon etwas gestöhnt, war doch die ‚Ochsenmühle’ plötzlich verschwunden.“
Franz lacht: „Ochsenmühle? Was ist denn das?“
„Das ist nicht mehr“, antworte ich, „das war eben. Das war der Korso. Und weil dort nicht viel Platz war, mußten wir immer im Kreis gehen. Und von dieser ‚Im Kreis Geherei’ hat unser Korso den Namen ‚Ochsenmühle’ gehabt. Du weißt, diese Mühlen, die von Ochsen angetrieben werden, die immer im Kreis gehen.“
„Kein schöner Name, alles Ochsen?“, lächelt Franz.
Keiner dachte daran, ein Ochse zu sein, wenn er dorthin ging, um sich sehen zu lassen, obwohl er daheim sagte, er ginge jetzt auf die ‚Ochsenmühle’. Ein Jahr später ist dann der Eipeldauer gestorben. Er war, pardon, vor allem durch deinen Vater, als Schreiber nationaler, patriotischer Schriften sehr beliebt. Ja, und der Schubert ist irgendwie aufgetaucht. Seine erste Symphonie wurde uraufgeführt. Ich war mit dem Vater dort, frag’ mich nicht, Franz, wie’s war, ich kann mich nicht mehr erinnern. Mein Vater aber verkündete mir damals seherisch: „Den Namen wird man sich merken müssen!“
„Auch schon tot“, murmelt der Franz.
Ja, jetzt, da ich dies schreibe, ist er schon drei Jahre tot.
„Einunddreißig Jahre ist er geworden“, sinniert der Franz. „Ich bin zwanzig. Und du dreißig!“
Der Franz sieht mich groß an: „Dreißig, Jomo!“
Ich lache: „Ich kann noch nicht sterben, ich habe noch nicht eine einzige Symphonie geschrieben!“
„Wirst du je sowas Bedeutendes schreiben?“, fragt plötzlich ganz ernst der Franz; dann fügt er leise hinzu: „Ich wohl nicht. Bei mir müßt’ es schon eine Schlacht sein. Eine Schlacht wie eine Symphonie!“
Napoleon, Cäsar, Hannibal, das sind Franzens Künstler.
Dann rafft sich der Franz auf: „Mein Vater, der hat euch damals ganz schön zugesetzt, oder?“
Ich zögere mit meiner Antwort. „Es war Krieg. Ja, in Leipzig haben wir Napoleon besiegt.“
„Wir“, gibt sich Franz plötzlich aufgebracht, als wäre er der Verteidiger seines Vaters in einem Prozess, „das waren immerhin Österreich, Preussen und Russland. Sie alle hat’s gebraucht... Dennoch“, träumt er jetzt, „eine herrliche Schlacht, ich habe sie in allen Einzelheiten studiert.“
Eine herrliche Schlacht, denke ich für mich. Allein fast fünfzehntausend Österreicher blieben im Felde. Insgesamt fünfunddreißigtausend Tote und Verwundete auf Seiten der Franzosen, die Verbündeten verlieren noch mehr.
Ach, denke ich mir, was soll denn das bedeuten. Dem Franz das alles vorrechnen, nur weil er seinen Vater bewundert und liebt? Ich spüre eine Entfernung zwischen Franz und mir. Seine Überlegungen sind dynastisch, staatsmännisch, ich scheine da doch mehr mich dem Volke verbunden zu fühlen. Aber ich will diese Entfernung nicht, also erzähle ich weiter, in der Hoffnung, die kleine Kluft, vor der ich solche Angst habe, zu schließen.
Hier hat Joseph Moritz wieder abgebrochen. Er verstrickte sich beim Versuch, das Bisherige aufzuarbeiten, zum ersten Mal in einen Konflikt mit dem Herzog. Vergessen wir nicht, der Herzog war immer noch auf Inspektion. Es war immer noch Ende Jänner 1831, vielleicht schon Anfang Februar. Joseph Moritz nannte sein Schriftwerk zwar ein Tagebuch, vergaß allerdings meistens die Datierung, so, als wollte er eigentlich einen Roman, eine fortlaufende Geschichte schreiben. Jedenfalls brachte ihn die Beschäftigung mit dem, was vor dem Herzog von Reichstadt mit ihm, Joseph Moritz, war, in gedanklichen Widerstreit mit dem Herzog. Aber was geschehen war, war nun einmal geschehen. Die damalige Realität vertrug sich nicht immer mit der heutigen Realität. Ihm gegenüber saß der Sohn Napoleons, der Sohn des Mannes, der letzten Endes mehr oder weniger das ganze Leben des Joseph Moritz und seiner Familie bestimmte.
Joseph Moritz hat da aber einen rigorosen Entschluss gefasst:
Ich werde mich ab jetzt kürzer fassen.
So schreibt er schon am nächsten Tag.
Gestern habe ich mich wohl verrannt. Ich habe deinen Einwänden und Bemerkungen mehr Gewicht geschenkt, als meiner eigenen Erzählung. Und um diese allein soll es hier ja gehen.
Verzeih mir, Franz, wenn ich dich also jetzt zum Schweigen verurteile. Wie ich allerdings auskommen werde, ohne mir deine liebe Stimme wenigstens vorzustellen, indem ich ihr in meinem jetzigen Geschreibe einige Worte zu sagen gebe, weiß ich nicht. Laß es mich versuchen. Ich weiß allerdings jetzt schon, wenn ich etwas versuche, daß mir das nie gelingt.
Ich bin ja schon bei dem Jahr angelangt, in dem - ich darf gar nicht sagen - eine glückliche Fügung es schickte, daß du nach Wien kamst.
„Warum darfst du das nicht sagen?“, mischt sich der Franz trotz meines Flehens ein. „Daß wir beide einander kennen, ist das keine glückliche Fügung?“
Dann seufzte er und - eben hatte er mich noch im Licht so klar angesehen - zieht sein Antlitz in den Schatten zurück, aus dem er leise spricht: „Vielleicht die glücklichste Fügung meines gesamten Schicksals, wer weiß?“
Ich schüttle verzweifelt den Kopf, weiß nicht, freue ich mich oder ärgere ich mich, mache also verbissen weiter.
Immerhin mußte dein Vater erst einmal abdanken und wurde auf das Fürstentum Elba geschickt. Der Bourbone Ludwig XVIII. hat den Thron Frankreichs wieder. Und deine Mutter Marie Louise kommt mit dir nach Wien zurück.
„Mit mir im Gepäck“, lächelt Franz zynisch, „denn ich war ihr sicher schon damals eine Last.“
Drei Jahre warst du damals alt, du kannst also noch keine große Last gewesen sein. Jetzt gebe ich mich zynisch.
Dann fällt mir aber ein, wie unser Kaiser, nachdem er den Frieden von Paris ausgehandelt hatte, am 16. Juni 1814 nach Wien zurückgekehrt ist.
„Ich weiß“, stöhnt Franz leise, „da kann ich mich gerade noch erinnern, daß ich da auch herumstehen habe müssen!“
Jetzt äußert er sich ganz aus der ihm zustehenden Sicht von oben her: „Was soll denn da Besond’res dran sein?“
Joseph Moritz scheint durch diese Äußerung in Verwirrung zu geraten. Immerhin hat ihm das ganze Rückkehr-Zeremoniell offensichtlich sehr gut gefallen. Durch des Herzogs herablassendes Wesen fühlt er sich in die Reihe der Plebs versetz, der Leute, denen so Etwas halt gefällt!
Was willst du? Ganz Wien hat aufgeatmet. Rund eineinhalb Jahrzehnte waren wir außenpolitisch und militärisch bedroht. Und jetzt schien endlich Ruhe, Beruhigung in Sicht. Was willst du? Einem Volk verwehren, daß es feiert? Der Kaiser wurde im Triumph empfangen.
Jetzt kennt er kein Taktgefühl mehr dem Sohn des Mannes gegenüber, dessen Untergang ganz Wien feiert.
Auf das Glacis vor dem Kärntnertor haben sie einen wunderschönen Triumphbogen hingestellt. Aber man hat es dem Kaiser auch angesehen, daß er was Gutes mitbringt. Seine dunklere, gesunde Gesichtsfarbe ist ihm gut angestanden. Meine Mutter stellte fest, daß die knappere, modisch wattierte Pariser Uniform seiner Gestalt eine Fülle und Eleganz gaben, die man sonst an ihm keineswegs gewohnt war. Und mein Vater stellte fest, daß - im Gegensatz zu seinem Äußeren - sein Wesen wohltuend gleichgeblieben sei: dieselbe Leutseligkeit, derselbe mit der tiefgefühlten Freude rückhaltende Ernst, dasselbe Gemisch von Würde und Bescheidenheit in seinen Zügen...
Weit und breit keine Zwischenrede mehr vom Herzog. Joseph Moritz konnte ihn vergessen und berichten, wie es ihm und nur ihm ums Herz war. Und gleich wurde sein Stil freier und flüssiger, wenn er sich der immerwährenden Kontrolle des Herzogs entzogen hat.
Und am Abend ist die ganze Stadt festlich beleuchtet. Ich erinnere mich da besonders an die Beleuchtung des Odescalchi’schen Palastes; er war überirdisch schön beleuchtet. Als würde er nicht fest gemauert auf dem Boden stehen, sondern schweben; nicht hoch, sondern gerade so, daß es den Boden nicht berührt und sich vielleicht gar schmutzig machen könnte.
Ach Gott, ich weiß so viele Einzelheiten gar nicht mehr; eines jagte das andere. Den Kongress haben sie veranstaltet, wo sie das Chaos, das Napoleon hinterlassen hat, neu regeln wollten. Bälle hat es gegeben, Militärfeste und Militärparaden, eine wunderschöne Schlittenfahrt, wo sie alle aus der Stadt nach Schönbrunn hinaus gefahren sind. Mein Vater mußte damals mit und regte sich fürchterlich über die Verschwendung auf. Zurückgekommen ist er mit einem recht starken Schnupfen. Mutter hat damals zu ihm gesagt: „Siehst du, das kommt von der dauernden Schimpferei. Hättst dir lieber was Warmes angezogen!“
Mein Vater antwortete nicht. Er antwortete meiner Mutter nie vor uns allen, wenn er ihr etwas Ernsthaftes zu sagen hatte. Und er hatte ihr sicherlich etwas Ernsthaftes zu sagen nach dieser respektlosen Bemerkung.
Am 5. März, ich glaube, 1815 war es -
„Ja“, sagt der Herzog.
Ich erschrecke. Der Herzog. Ganz so sieht er mich jetzt an. Der Herzog. Nicht der Franz. Der Herzog. Der zutiefst getroffene Sohn Napoleons. Ja, kommt mir in den Sinn, du schaust eben der Geschichte in das Gesicht. Ich sehe nur die Geschichte, ich habe den Menschen dahinter vergessen.
„Ja“, hat er gesagt.
Also 1815. Er wird es wohl wissen: Am 5. März. Ich weiß es noch genau, weil mein Vater am selben Tag zürnend sagte: „Und ich soll der Erzieher von seinem Buben werden. Das hat sich wohl jetzt!“
Am 1. März war nämlich Napoleon aus Elba zurückgekehrt. Alle waren sie durcheinander; auch der lustige Kongress ging nicht so recht weiter.
Mein Vater aber sagte damals: „Hat auch sein Gutes, jetzt müssen sie wenigstens zusammenhalten, weil sie einen Feind haben, vor dem sie sich alle fürchten!“
Aber dann kam ja gottlob bald Waterloo und der Spuk war endgültig vorbei.
„Eine grandiose Schlacht“, sagt Franz leise.
Für den, der Schlachten liebt, vielleicht ja. Ich erschrecke. Der Franz liebt Schlachten. Er muß Schlachten lieben. Er ist zum Staatenlenker erzogen. Ein Staatenlenker muß Kriege führen.
Aber Joseph Moritz sieht seinem Franz offenbar nicht in die Augen. Selbsterlebtes ist eben nicht Geschichte. Für ihn ist Napoleon ein Feind. Und der Herzog ist sein Freund, dem er alles erzählt. Was schert den Joseph Moritz eine verloren gegangene Dynastie? So halten auch seine auftauchenden Bedenken nur ganz kurze Zeit, dann geht er in ungewohnter Konsequenz seiner selbst gestellten Aufgabe des Erzählens nach. Hätte er sich nur selbst zuschauen können, er wäre sicher stolz auf sich gewesen. So aber sieht er gar nichts. Nicht sich selbst und nicht den anderen in seiner armseligen Situation.
Einer war übrigens damals sehr unglücklich; das war der Erzherzog Johann. Er hat sich nicht gerade Freunde gemacht, wie er verkündet hat: „Es ist ein jämmerlicher Handel mit Ländern und Menschen! Napoleon haben wir und seinem System geflucht, und mit Recht; er hat die Menschen herabgewürdigt, und eben jene Fürsten, die dagegen kämpfen, treten in seine Fußstapfen.“
„Das hat er gesagt?“, fragt leise der Franz.
Ich weiß, der Franz verehrt den Erzherzog sehr. Spricht manchmal mit ihm, ist angetan von seinen Ideen. Weiß nicht recht, der Franz, ob er auf seinem dynastischen Standpunkt bestehen soll, oder ob er rückhaltslos die Ideen des Erzherzogs für gut befinden soll. Rückhaltslos, das war es. Es ging nur rückhaltslos. Denn einen Kompromiss ließen die Ideen des Erzherzogs nicht zu.