DER HEXENFELS - Bill Knox - E-Book

DER HEXENFELS E-Book

Bill Knox

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Der Fischereischutzkreuzer Marlin soll Wahlzettel von einsamen Inseln an der Westküste Schottlands abholen.  Bei seinem Besuch erkennt Webb Carrick, der Erste Offizier der  Marlin , dass auf den Inseln die Angst regiert – Angst vor einer Hexe, die dort angeblich ihre Macht ausübt.  Doch trotz Mord und Sabotage unter den Fischern glaubt Carrick nicht an übernatürliche Kräfte...    Der Roman  DER HEXENFELS  von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1999) erschien erstmals im Jahr 1977; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1979.   Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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BILL KNOX

 

 

Der Hexenfels

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Signum-Verlag

 

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

DER HEXENFELS 

Einführung 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Der Fischereischutzkreuzer Marlin soll Wahlzettel von einsamen Inseln an der Westküste Schottlands abholen.

Bei seinem Besuch erkennt Webb Carrick, der Erste Offizier der Marlin, dass auf den Inseln die Angst regiert – Angst vor einer Hexe, die dort angeblich ihre Macht ausübt. 

Doch trotz Mord und Sabotage unter den Fischern glaubt Carrick nicht an übernatürliche Kräfte...

 

Der Roman Der Hexenfels von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1999) erschien erstmals im Jahr 1977; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1979.  

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

  DER HEXENFELS

 

 

 

 

 

 

  Einführung

 

 

George MacKenzie kam nur langsam wieder zu sich. Übelkeit und Schwindelgefühle wechselten sich ab, und er hatte keine Ahnung, wo er sich befand oder wie er überhaupt dorthin gekommen war. Dann spürte er kalten, rauen und seltsam feuchten Fels unter seinen Fingern. Ganz in der Nähe schlug die Brandung rhythmisch gegen Stein, und die Luft schmeckte nach Salz.

Er bewegte sich zögernd und stöhnte auf, als er merkte, welche Anstrengung ihn das kostete. In diesem Augenblick hörte er einen heiseren Schrei und lautes Flügelschlagen. MacKenzie zwang sich mühsam, die Augen zu öffnen, und hob den Kopf.

Es war Nacht. Eine Wolke hatte sich vor den Mond geschoben, doch MacKenzie konnte im fahlen Licht die Umrisse einer weißen Heringsmöwe erkennen, die ihn in nur wenigen Metern Entfernung umkreiste. Er lag auf einem schwarzen, glitschigen Felsen nahe am Wasser. Irgendwo weiter draußen brannte die Signallampe eines Leuchtturms.

George MacKenzie war ein großer, hagerer Mann mit graumeliertem Haar und lederner Gesichtshaut. Er presste seine Stirn gegen den kühlen Fels, lag ganz ruhig und atmete stoßweise, während langsam die Erinnerung zurückkehrte.

Es war kurz vor Mitternacht gegen Ende der Flut gewesen, als er mit seinem Boot zum Angeln auf den Brannan Sound hinausgefahren war.

Bei Ebbe und ruhiger See angelte es sich am besten, und MacKenzie ging diesem Zeitvertreib am liebsten immer dann nach, wenn er der übrigen Welt den Rücken zukehren wollte, um in Ruhe über ein Problem nachdenken zu können.

In diesem Moment erinnerte er sich wieder, was passiert war, und fröstelte unwillkürlich. Aus der Dunkelheit war plötzlich das andere, größere Boot aufgetaucht und längsseits gegangen. Die beiden Männer waren an Bord gesprungen und hatten Pistolen auf ihn gerichtet. Aus den Augenwinkeln hatte er noch eine schnelle Bewegung wahrgenommen, dann war etwas Haftes, Kantiges auf seinen Kopf niedergesaust, und hatte ihm das Bewusstsein geraubt. Die Stelle an seinem Hinterkopf pochte und tat noch immer weh.

George MacKenzie biss die Zähne zusammen, rappelte sich mühsam hoch und kauerte, sich auf Hände und Knie stützend, auf den Fels. Er fröstelte trotz des dicken, handgestrickten Pullovers, der festen blauen Baumwollhose und der Wollsocken in den bis zum Knöchel abgeschnittenen Gummistiefeln, die er trug.

Neugierig schoss die Möwe im Sturzflug zu ihm herab. Ihre Flügel berührten beinahe sein Gesicht, als sie über ihn hinwegrauschte, und ihr großer, scharfer Schnabel öffnete sich zu einem weiteren heiseren Schrei. MacKenzie schimpfte unterdrückt, richtete sich auf und kam schwankend auf die Beine. Sein Kopf schmerzte, während er sich vorsichtig umsah. Als er entdeckte, warum das Rauschen der Wellen so laut und nah geklungen hatte, packte ihn nackte Angst.

Er stand auf einer flachen, natürlichen Felsplattform, die ständig vom Meer umspült wurde. An manchen Stellen hatte das Wasser kleine Badewannen in die sonst völlig leere, im fahlen Mondlicht glänzende schwarze Steinfläche gewaschen. Die Plattform war an ihrer ausgedehntesten Stelle kaum drei Meter breit. Und der Leuchtturm mit seinem ständig kreisenden Scheinwerfer stand weit entfernt auf einer dunklen Landspitze. Damit war jeder Zweifel ausgeschlossen.

George MacKenzie stand auf dem Hexenfels, dem gefürchtetsten Ort im Brannan Sound. Der Hexenfels war eine schmale Basaltsäule, deren glatte Oberfläche bei Flut etwa zwei Meter unter dem Meeresspiegel lag und die erst bei Halbzeit der Ebbe sichtbar wurde. Der nächste Punkt an Land, der Leuchtturm von Broch Point, war ungefähr sieben Kilometer entfernt.

Plötzlich schweiften George MacKenzies Gedanken ab. Er merkte, dass seine Kleider nur feucht und nicht nass waren. Die Armbanduhr hatte er verloren, aber das Feuerzeug und die Schachtel Zigaretten waren noch da. Dann wurde ihm die Wirklichkeit erneut mit erschreckender Deutlichkeit bewusst.

Großer Gott, ich befinde mich auf dem Hexenfels, dachte er, zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an und überlegte krampfhaft, wann die Flut einsetzen würde.

George MacKenzie kam zu dem Schluss, dass er im günstigsten Fall noch knapp zwei Stunden Zeit hatte.

In diesem Moment hörte er wieder das Flügelschlagen und drehte sich um. Die Möwe hatte sich neben ihm auf dem Plateau niedergelassen und musterte ihn frech und herausfordernd. Als jedoch plötzlich eine größere Welle schäumend an den Fels klatschte und die Plattform überflutete, flog der Vogel hastig wieder auf. MacKenzie fuhr mit der Zunge über die trockenen, vom Salzwasser rissigen Lippen und warf seine Zigarette weg. Sie verglühte zischend und wurde fortgeschwemmt, als das Wasser zurückfloss.

Dann hörte George MacKenzie das gedämpfte Tuckern eines Bootsmotors und erstarrte. Er horchte angestrengt und erkannte schließlich die Umrisse eines Fischkutters in der Dunkelheit. Das Boot näherte sich dem Hexenfels mit ausgeschalteten Lampen. Nur das gleichmäßige, dumpfe Dröhnen des Schiffsmotors verriet das Vorhandensein des Bootes, und schäumendes Kielwasser blitzte kurz im Mondlicht auf, als der Kutter beidrehte und die von der steigenden Flut bedrohte schwarze Felsplattform langsam zu umkreisen begann.

George MacKenzie rief laut um Hilfe und winkte. Als das nichts nützte, zog er hastig sein Feuerzeug aus der Tasche, knipste es an und schwenkte die kleine Flamme über seinem Kopf hin und her.

Der Kutter kam näher an den Fels heran, doch in diesem Augenblick wurde MacKenzie schlagartig klar, was gespielt wurde. Er ließ die Arme sinken und starrte mutlos in die Dunkelheit.

Sie waren zurückgekommen, um ganz sicherzugehen. Ais die Kreise des Kutters plötzlich wieder weiter wurden und die Besatzung den Motor soweit drosselte, dass das Boot gerade noch manövrierfähig war, wusste George MacKenzie, dass er mit seiner Vermutung recht gehabt hatte.

Die nächste und übernächste Welle umspülten bereits schäumend George MacKenzies Knöchel, und er verfluchte die Männer draußen im Boot, die ihn beobachteten und warteten.

Der Kutter zog weiter langsam seine Kreise, während die Flut immer höher stieg. George MacKenzie stand bereits bis zu den Knien im Wasser, und der Hexenfels war völlig überflutet, als MacKenzie endlich einen Entschluss fasste.

Er war ein guter Schwimmer und hatte keine andere Wahl, wenn er nicht einfach stehen bleiben und auf den Tod warten wollte.

George MacKenzie hatte bereits seine Stiefel ausgezogen. Jetzt entledigte er sich seines dicken Wollpullovers, warf ihn ins Wasser und watete durch die Wellen. Als er den Rand der Felssäule erreicht hatte, blieb er stehen und sah, wie das Boot etwas näherkam. Die Mannschaft war wohl neugierig geworden.

»Zur Hölle mit euch da draußen!«, schrie George MacKenzie und begann zu schwimmen.

Bis zur Halbinsel mit dem Leuchtturm waren es sieben Kilometer, die er gegen die Strömung schwimmen musste. Nach zehn Minuten war George MacKenzie müde, nach einer Viertelstunde war er erschöpft. Er kämpfte noch kurze Zeit mit lahmen Schwimmbewegungen gegen die Wellen an. Dann ging er einfach unter.

Der Kutter fuhr langsam näher an die Stelle heran, wo George MacKenzie verschwunden war. Einige Männer rannten an Deck, warfen George MacKenzies kleines Motorboot über Bord, kippten es um und schoben es mit Stangen von der Bordwand des Kutters weg. Dann nahm der Kutter erneut Fahrt auf und drehte ab. Im Osten, hinter dem Leuchtturm von Broch Point graute bereits der Morgen.

Im Wasser sammelte sich ein Schwarm junger Barben, als der leblose, von Zeit zu Zeit von unsichtbarer Strömung hin- und hergerissene Körper in die dunkle Tiefe sank.

Am Meeresboden, dort wo das Seegras wuchs, schlug der Tote kurz auf einen Fels auf. Die Strömung zerrte ungeduldig an ihm, bis sie ihn wieder befreit hatte und ihn rollend und drehend mit sich zog.

Dabei fiel eine Plastikkarte aus der Tasche des Toten, landete weich im Sand und verscheuchte eine Krabbe.

Auf der Plastikkarte stand, dass Constable George MacKenzie ein Beamter der Polizei von Nord-Schottland gewesen war. In der rechten oberen Ecke klebte ein Foto von ihm. Im nächsten Augenblick kroch die Krabbe darüber, und die ersten Sandkörner rollten nach.

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Die fahle Januarsonne schien auf das graue, winterliche Edinburgh, und ein kalter Wind blies von Norden. Der Wetterbericht hatte Schnee vorhergesagt, die Bevölkerung schien Winterschlaf zu halten; nur einige wenige Touristen wanderten durch die Princes Street und erkannten, warum ihre Gruppenreise nach Schottland außerhalb der Saison so billig gewesen war.

Auf dem Calton Hill, wo die Fahnen vor der finsteren Fassade des St. Andrews House im Wind flatterten, war es sogar noch kälter als unten in der Stadt. Das St. Andrews House beherbergte die Regionalregierung von Schottland. Draußen auf dem Parkplatz vor dem großen Gebäude saß der Erste Offizier Webb Carrick vom Kreuzer Marlin von der Fischereischutzpolizei Ihrer Majestät der Königin hinter dem Steuer eines Kombiwagens, hielt die Füße unter den lauwarmen Strom der Standheizung und beobachtete im Rückspiegel die schwere Bronzetür des Haupteingangs.

Sein knochiges, braunes Gesicht verzog sich zu einem anerkennenden Grinsen, als ein Mädchen im Schaffellmantel und kniehohen Lederstiefeln aus der Tür trat, zu einem Wagen lief und einstieg. Dann tauchte hinter ihr eine andere Gestalt im Türrahmen auf. Es war der Mann, auf den Webb Carrick gewartet hatte.

Er war klein, untersetzt, hatte einen Bart und trug einen Dufflecoat, der ihn noch rundlicher erscheinen ließ. Captain James Shannon stapfte zu dem Kombi, schob sich auf den Beifahrersitz und knallte brummend die Tür hinter sich zu.

»Dieser verdammte Bürokratenhaufen«, knurrte er, zog den Kopf zwischen die Schultern und kaute grimmig an seinem Bart. »Wissen Sie, was die da drinnen mir gesagt haben? Pech für euch, aber diesmal seid ihr dran!« Shannon starrte aus dem Fenster des Kombis. »Unsere nächste Patrouille fällt ins Wasser. Wir werden für einen Sonderauftrag abgestellt... und müssen die Laufburschen für andere spielen. Dabei hätte den Job jedes größere Ruderboot genauso erledigen können.«

Carrick hob eine Augenbraue, doch in Anbetracht der Art und Weise, wie Captain Shannon ins Regierungsgebäude gerufen worden war, war er nicht allzu sehr überrascht. Marlin war ein schnelles Patrouillenboot, ein Vierhunderttonner, ausgestattet wie ein kleiner Zerstörer, und lag zurzeit ungefähr siebzig Kilometer von Edinburgh entfernt im Clyde-Hafen Greenock. Seine Crew war nach einem einwöchigen Landurlaub am Morgen wieder an Bord gekommen, und eigentlich hätte das Patrouillenboot am Abend zu den Äußeren Hebriden auslaufen sollen.

Als jedoch die Nachricht von der Regierung eintraf, hatte Captain Shannon alles stehen und liegen lassen müssen. Carrick war von ihm dazu ausgewählt worden, den geliehenen Dienstwagen der Fischereipolizei nach Edinburgh zu chauffieren. Shannon war auf See jeder Situation gewachsen, aber an Land und auf vier Rädern wurde er zum Nervenbündel.

»Was ist das für ein Sonderauftrag?«, erkundigte sich Carrick, als Shannon nicht von selbst darauf zu sprechen kam.

»Wir werden diesmal als Diener der Demokratie eingesetzt«, antwortete Shannon und starrte weiter finster aus dem Fenster. »Im Wahlkreis Lochard finden am Wochenende die Nachwahlen fürs Parlament statt. Zufällig gehört zu diesem Wahlkreis ’ne ganze Menge kleinerer Inseln...«

»Und wir müssen die Wahlurnen transportieren?« Carrick stöhnte bei diesem Gedanken unterdrückt. Es kam manchmal vor, dass die Patrouillenboote der Fischereipolizei mit derartigen Aufgaben betraut wurden. Das bedeutete meistens, dass man sich mit aufgeregten Bürgermeistern, überspannten Parteiführern und dem übrigen Drum und Dran des politischen Zirkus’ auseinandersetzen musste. »Welchen Hafen benutzen wir als Standort, Sir?«

»Feanport... das ist ein kleines Fischerdorf auf dem Festland am äußersten Ende des Brannon Sound.« Shannon warf einen Blick auf seine Uhr, nagte nachdenklich an seiner Unterlippe und fragte dann: »Haben Sie die Sache mit unserer Ersatzteilliste erledigt?«

»Ja, Sir«, erwiderte Carrick. Shannon hatte Probleme mit der Ersatzteilliste vorgeschoben, um Carrick als Fahrer mitnehmen zu können. »Ich bin im Hauptquartier gewesen. Die Angelegenheit ist geklärt.« Carrick machte eine Pause und fuhr dann vorsichtig fort: »Wenn wir hier fertig sind, könnten wir vielleicht noch etwas essen, bevor wir zurückfahren. Ich kenne ein Restaurant...«

»Hier in Edinburgh?«, unterbrach Shannon ihn überrascht. »Mister, dafür habe ich weder die Zeit noch den richtigen Geldbeutel. Ich weiß, was sie hier schon für einen Drink verlangen. Also, fahren Sie los. Wir essen auf der Marlin!«

»Okay«, seufzte Carrick enttäuscht, schaltete die Zündung ein, ließ den Motor an und fuhr rückwärts aus der Parklücke heraus. »Warum haben ausgerechnet wir die Tour mit den Wahlurnen erwischt?«, fragte er dabei.

»Oh, dafür gibt es eine einfache Erklärung«, erwiderte Shannon. »Alle anderen Kapitäne der Fischereischutzpolizei sind auf Tauchstation gegangen, haben Maschinenschäden vorgetäuscht oder einen anderen Vorwand gefunden, um auf See bleiben zu können. Mich hätten die Burschen auch nicht erwischt, wenn wir nicht gerade vom Landurlaub zurückgekommen wären.« Shannon beobachtete nervös den Straßenverkehr. Schließlich lehnte er sich mit einem Seufzer in die Polster zurück. »Sind Sie schon mal in Feanport gewesen?«

Carrick schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf den Verkehr.

»Die Leute in und um Feanport sind unglaubliche Dickschädel.« Shannon hielt den Atem an, als sie einen Lastwagen überholten, und atmete hörbar auf. »Berühmt ist Feanport allerdings wegen was anderem. Sind Sie je einer richtigen Hexe begegnet, Mister?«

»Oh, davon gibt’s genug«, antwortete Carrick. »Blonde,  schwarze, rothaarige... ich nehm’ sie, wie sie kommen.«

»Sehr witzig«, brummte Shannon. »In der Gegend von Feanport lacht allerdings kein Mensch darüber. Dort gibt es eine Frau, die sie die Inselhexe nennen, und die meisten Seeleute und Fischer im Brannan Sound achten peinlich darauf, dass sie ihnen wohlgesonnen ist. Einige bitten sie sogar, zu Beginn der Fangsaison ihre Boote zu weihen.«

»Und wenn die Kandidaten für die Nachwahl auf dieselbe Idee kommen?« warf Carrick mürrisch ein. Er hatte Hunger und war schlecht gelaunt, denn die Fahrt nach Greenock war lang.

»Sie meinen, die Hexe könnte aus Hohlköpfen Politiker machen?«, fragte Shannon und lachte humorlos. »Manchmal habe ich das Gefühl, dass irgendjemand schon auf diesen Trick gekommen ist.« Shannon rutschte noch tiefer in die Polster und schloss die Augen. »Ich versuch’ jetzt zu schlafen. Fahren Sie vorsichtig, Mister. Ich bin dem Pensionsalter schon zu nahe, um noch was zu riskieren.«

Die Wettervorhersage war richtig gewesen. Kurz darauf fielen die ersten Schneeflocken.

 

Am nächsten Tag hatte der Fischereikreuzer Marlin den Clyde bereits weit hinter sich gelassen. Sein schmaler, grauer Bug pflügte sich durch die bewegte See in der Enge von Tiree, einem ungefähr sieben Kilometer breiten, von Felsen gesäumten Kanal zwischen den Inseln Tiree und Coli, durch den man zu den Äußeren Hebriden gelangt.

Es war eine lange und harte Nacht gewesen. Die Marlin war noch am Vorabend bei Flut aus dem Hafen von Greenock ausgelaufen und in einen Schneesturm geraten, der alles um das Schiff herum in wirbelndes Grau getaucht und jede Sicht unmöglich gemacht hatte. Das Schneetreiben hatte bis drei Uhr morgens angehalten. Captain Shannon war ohne Unterbrechung auf der Kommandobrücke geblieben und hatte sich geweigert, vor dem Wetter die Waffen zu strecken. Während die meisten anderen Schiffe in irgendeinem Hafen Schutz gesucht hatten, hatte er die Marlin teils mit untrüglichem Instinkt, teils auch mit Hilfe des Radarsystems auf Kurs gehalten, so dass sie kaum Zeit verloren hatten.

»Er ist ein eigensinniger alter Kauz«, erklärte der Bootsmann William Bell, der den Spitznamen Clapper hatte, bewundernd. Bell, der gerade am Ruder abgelöst worden war, hielt einen Becher dampfend heißen Kaffees in den großen Händen und betrachtete Webb Carrick mit müdem Grinsen. »Du siehst so aus, wie ich mich fühle: erledigt.«

»Keine Einwände.« Carrick gähnte und streckte sich, als die Gischt einer hohen Welle über die, ganze Länge der Marlin spritzte.

Shannon hatte sie erst vor wenigen Minuten auf der Brücke allein gelassen und war in seine Kabine hinuntergegangen. Der Himmel klarte etwas auf, und an Steuerbord war hinter den weißen Gipfeln der Berge von Mull bereits der erste rote Schein der Morgensonne zu sehen.

»Warum hat’s der Alte eigentlich so eilig?«, erkundigte sich Clapper Bell. Der ungefähr einen Meter achtzig große, muskulöse, rothaarige Ire kam breitbeinig auf Carrick zu. »Ist ihm jemand auf die Fersen getreten?«

»So könnte man’s nennen«, stimmte Carrick ihm zu. Clapper Bell und Carrick bildeten das Taucherteam der Marlin. Jeder musste sich auf den anderen unbedingt verlassen können. Das hatte die beiden besonders eng zusammengeschweißt. »Gute Laune wird erst wieder aufkommen, wenn wir diese Wahlurnen eingesammelt haben.«   

»Es wird ihn schon nicht umbringen, wenn er mal ein paar Tage lang den Fährschiffer spielen muss«, bemerkte Bell und strich sich über die Bartstoppeln. »Außerdem gibt’s schlimmere Häfen als Feanport.«     

»Ist dort wenigstens was los?«, wollte Carrick wissen.

»Kaum«, antwortete Bell bedauernd. »Dafür hat MacKenzie, der dortige Polizist, schon gesorgt. Außer Dienst ist MacKenzie allerdings ganz in Ordnung. Ich habe mich mit ihm angefreundet.« Bell unterdrückte ein Gähnen. »In einem Punkt stimme ich mit dem Alten übrigens überein: Politiker sind alle Verbrecher. Und jetzt gehe ich in meine Koje, solange ich noch allein reinfinde.«

Clapper Bell polterte den Niedergang zu den Kabinen hinunter. Der neue Steuermann, ein grobschlächtiger Mann von der Insel Barra, summte leise eine Melodie vor sich hin, als er das Steuer einen Strich breit weiterdrehte. Die Ablösung der Brückenwache versuchte draußen mit Armkreisen und Händeklatschen gegen die eisige Temperatur anzukämpfen, und Carrick war der einzige, der noch von der Nachtwache übrig geblieben war.

Einige schwarze, sich bewegende Punkte an der Küste von Mull erregten Carricks Aufmerksamkeit. Er hob das Fernglas und grunzte zufrieden, als er durch die starken Gläser sah, wer die dunklen Punkte waren - nämlich Wild, das durch die schweren Schneefälle in der Nacht aus den Bergen vertrieben worden war.

»Wie auf einer Kitschpostkarte«, sagte plötzlich eine fröhliche Stimme hinter Carrick. »Donnerwetter, ist das eine Aussicht, Webb!«

»Du kommst spät.« Carrick legte das Fernglas beiseite und musterte den Neuankömmling stirnrunzelnd. Jumbo Wills, der zweite Maat, machte einen ausgeschlafenen, fröhlichen Eindruck, aber Carrick war nicht in Stimmung, das zu würdigen. »Wo zum Teufel bist du solange gewesen?«

»Ich habe mir den Wetterbericht durchgeben lassen.« Wills schien beleidigt. »Schwache Winde, gelegentliche Schauer, mäßig bewegte See... und die Temperatur soll langsam steigen. Also alles in bester Ordnung.«

»Okay.« Carrick seufzte erleichtert. »Wir sind auf Kurs 0-0-9 und du hast das Kommando.«

»0-0-9«, wiederholte Wills gehorsam mit einem Seitenblick auf den Steuermann. »Sonst noch was?«

»Wenn wir die Landspitze von Ardnamurchan umfahren, sollst du dich beim Alten melden«, erklärte Carrick.

»Warum?« Wills Lächeln verschwand endgültig.

»Das musst du ihn schon selbst fragen«, entgegnete Carrick, ohne eine Miene zu verziehen. Jumbo Wills waren auf den Patrouillenfahrten der Marlin schon einige kleinere Ungeschicklichkeiten unterlaufen, und Captain Shannon behandelte den jungen zweiten Maat gern wie einen übermütigen Schuljungen. »Aber warte lieber, bis er in besserer Stimmung ist«, riet ihm Carrick.

Wills wurde rot und setzte sich auf den Kommandostuhl, während die Marlin in der schweren See hin und her schlingerte und die Gischt erneut bis zur Brücke heraufspritzte. Dann sah er Carrick wieder an.

»Ich sollte euch wohl mal an eine Tatsache erinnern, die ihr hier ständig zu vergessen scheint«, erklärte er eisig. »Falls du und der Alte über Bord gehen, habe ich auf der Marlin das Kommando.«

»An dem Tag sollte hier ’ne Kapelle zum Tanz aufspielen«, konterte Carrick ärgerlich. »Genau wie auf der Titanic, kurz bevor sie untergegangen ist.«

Wills biss wütend die Zähne zusammen, während Carrick nach achtern am kleinen Kartenraum vorbei und den Niedergang hinunterlief. Am Fuß der Treppe blieb er stehen und öffnete aus alter Gewohnheit eine Tür zur Leeseite des A-Decks, trat ins Freie und sah sich um.

Selbst dort, wo es verhältnismäßig windgeschützt war, herrschte schneidende Kälte. Trotzdem war die diensthabende Mannschaft der Marlin bereits auf dem Posten und machte die tägliche Routinearbeit. Zwei Matrosen im gelben Ölzeug kontrollierten die Vertäuung der Gerätschaften an Deck. Carrick hörte, wie probeweise der Motor eines Beibootes angelassen wurde und sein Tuckern kurze Zeit das gleichmäßige Dröhnen der schweren Maschinen der Marlin übertönte. Weiter achtern kippte ein anderer Matrose über die Reling den Abfall, der den üblichen Schwarm Möwen anzog.

Obwohl Carrick zum Umfallen müde war, beobachtete er noch einige Minuten lang die Möwen und das Flattern der blauen Fahne mit dem Emblem der Fischereischutzpolizei am Heck der Marlin. Dann zog er sich wieder in das angenehm warme Innere des Schiffes zurück, machte die Tür zu und ging ins Zwischendeck.

 

Andy Shaw, der erste Ingenieur der Marlin, saß allein in der Offiziersmesse und kaute an den Resten seines Frühstücks. Shaw war ein stets brummiger, hagerer Mann Mitte Vierzig. Er hatte für Carrick nur ein kurzes Nicken übrig und wandte sich dann wieder seinem Frühstück zu. Genau wie Carrick hatte er bis zum Morgengrauen Dienst gehabt.

»Kaffee und ein Schinkenbrot«, bestellte Carrick beim Stewart. »Ich nehm’s mit in meine Kabine.« Während Carrick wartete, fragte er Shaw: »Na, wie war’s an Land?«

»Ganz schön... das heißt, soweit ich mich überhaupt erinnern kann«, antwortete Shaw trübselig. »Ich bin immer noch verkatert. Der Dienst gestern Nacht war ’ne verdammte Strapaze.«

Carrick grinste mitfühlend, nahm seinen Becher Kaffee und das Sandwich, ging den schmalen Gang zu seiner Kabine hinunter, trat ein, stieß die Tür mit dem Fuß hinter sich zu, setzte sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf den Rand der Koje und schlang das Sandwich ohne Appetit hinunter.

Webb Carrick war einunddreißig Jahre alt, einen Meter fünfundsiebzig groß und kräftig, hatte die breiten, muskulösen Schultern des professionellen Tauchers, und tat seit zwei Jahren Dienst auf der Marlin. Er hatte bernsteinfarbene Augen, braunes Haar und ein kantiges Gesicht. Sein schmaler, energischer Mund verriet, dass er trotz seiner umgänglichen Art kein Mann war, mit dem man hätte machen können, was man wollte... eine Tatsache, die selbst Captain Shannon hatte akzeptieren müssen.

Die meisten der kleinen Fältchen um die Augen hatte sich Carrick während der vergangenen zwei Jahre erworben, in denen er auf dem Patrouillenboot Marlin die tückische, mit kleinen Inseln übersäte See an der Westküste Schottlands befahren hatte. Er hatte in dieser Zeit als Seemann viel dazugelernt und auch Erfahrungen darin gesammelt, wie man in den Gewässern der millionenschweren Fischerei-Industrie Schottlands Frieden und Gesetz Geltung verschafft.

Die Marlin schlingerte erneute Carrick fluchte unterdrückt, als etwas Kaffee aus dem Becher schwappte. Dann trank er den Becher aus und legte das angebissene Sandwich beiseite, als er merkte, dass er schon beinahe eingeschlafen war.

Während er seine Uniformjacke und den weißen Rollkragenpullover auszog, schleuderte er zugleich seine Gummistiefel in eine Ecke und wusch sich dann am kleinen Waschbecken sein Gesicht. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, entledigte er sich auch der restlichen Kleidungsstücke, warf sich auf die Koje und betrachtete seine Kabine unter halboffenen, schweren Lidern.

Sie war klein und spärlich möbliert, hatte ein Bullauge dicht über der Wasserlinie, und die wenigen persönlichen Dinge, wie Bücher und ein Foto seines letzten Schiffes, eines Öltankers, verrieten den Junggesellen.

Seine Zeit auf dem Öltanker kam Carrick bereits wie ein anderes Leben vor, eines, das geendet hatte, als er mit dem frisch erworbenen Kapitänspatent kein Schiff bekommen hatte, sondern stattdessen auf Grund einer von ihm längst vergessenen Bewerbung ins Fischereiministerium gerufen worden war. Noch am selben Tag war er zum Ersten Offizier unter Captain Shannon ernannt worden, und er hatte die schwarze Ausweiskarte bekommen, die ihn, Webster Carrick, als stellvertretenden Superintendent der Fischereischutzpolizei auswies.

Das war eine Mischung aus Polizist zur See und Regierungsbeamter, beides Funktionen, die von den Fischern am meisten gehasst wurden.

Die Fischer waren gehalten, sich an bestimmte Regeln, Fangkontingente, Schonzeiten und Netzgrößen zu halten, Fischereizonen zu respektieren und moderne EG-Vorschriften zu beachten. Vor der Küste Schottlands fischten die Kutter vieler Nationen, doch gleichgültig, ob es sich um Deutsche, Holländer, Franzosen, Russen oder die einheimischen Schotten handelte, sie hatten alle denselben ausgeprägten Drang nach Unabhängigkeit und lebten nach den gleichen Gesetzen.

Fische bringen Geld, heißt ihre Devise. Allein die schottische Fischereiflotte brachte pro Jahr regelmäßig Fänge im Wert von sechzig Millionen Pfund in die schottischen Häfen.

Davon war ungefähr ein Viertel, wie die Händler vermuteten, illegal gefangen worden. Carrick lehnte sich zurück und horchte auf das gleichmäßige Stampfen der Schiffsmotoren und das Klatschen der Wellen an die Bordwand.

Wie alle Schiffe der Flotte der Fischereischutzpolizei legte die Marlin jährlich im Durchschnitt gut siebzehntausend Seemeilen auf ihren Patrouillenfahrten vom Butt of Lewis ganz im Norden bis zum Solway Firth im Süden zurück.