KRIMIS IN SCHWARZ-WEISS - FRÜHJAHR 2023 - Bill Knox - E-Book

KRIMIS IN SCHWARZ-WEISS - FRÜHJAHR 2023 E-Book

Bill Knox

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Beschreibung

John Russell fuhr in zuversichtlicher Stimmung nach Glasgow. Er hatte den Ronaldsons erklärt, geschäftlich in der Stadt zu tun zu haben, und er hatte sich auch tatsächlich im Central Hotel ein Zimmer für die Nacht genommen. Am Morgen würde er dann nach Dunoon und zur KAKADU zurückfahren. An einem heißen Sommertag wird in einem Friseursalon in London Mrs. Lotus-Smith tot in ihrer Kabine aufgefunden. Sie ist offensichtlich durch einen elektrischen Schlag ums Leben gekommen. Aber warum hat der Mörder ihr eine Schere in die Brust gestoßen? Warum wurde rote Farbe über ihre blonden Haare geschüttet? Ein einziger Telefonanruf, und der Industrielle Charles Holm ist erledigt. Am anderen Ende der Leitung meldet sich Della, seine totgeglaubte erste Frau! Linnet Restorick und ihr Mann Simon kommen als Sommergäste in das Haus SCHWANENSEE – auf einer Insel an der englischen Westküste. Doch das idyllische Eiland und das düstere Haus verwandeln sich bald in eine Hölle aus Intrigen und Mord... Der Sammelband KRIMIS IN SCHWARZ-WEISS - FRÜHJAHR 2023 enthält die Romane AUF VERSCHNEITEN STRASSEN von Bill Knox, DIE FARBE DES TODES von Dulcie Gray, DER ZWEITE TOD DER MRS. HOLM von Edgar Bohle und ERINNERUNGEN AN DAS REICH TSCHAIKOWSKIS von Christian Dörge.

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BILL KNOX/DULCIE GRAY/

EDGAR BOHLE/CHRISTIAN DÖRGE

 

 

KRIMIS IN SCHWARZ-WEISS-

FRÜHJAHR 2023

 

 

 

 

Vier Romane in einem Band

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

1. AUF VERSCHNEITEN STRASSEN von BILL KNOX 

2. DIE FARBE DES TODES von DULCIE GRAY 

3. DER ZWEITE TOD DER MRS. HOLM von EDGAR BOHLE 

4. ERINNERUNGEN AN DAS REICH TSCHAIKOWSKIS von CHRISTIAN DÖRGE 

Impressum

 

Copyright © by Authors/Signum-Verlag.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.

Übersetzungen: Heinz Otto, Luisa Döbritz, Tony Westermayr

und Christian Dörge.

Originaltitel: The Cuckatoo Crime/Died In The Red/The Wife Who Died Twice.

Umschlag: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

 

Das Buch

 

 

John Russell fuhr in zuversichtlicher Stimmung nach Glasgow. Er hatte den Ronaldsons erklärt, geschäftlich in der Stadt zu tun zu haben, und er hatte sich auch tatsächlich im Central Hotel ein Zimmer für die Nacht genommen. Am Morgen würde er dann nach Dunoon und zur Kakadu zurückfahren.

 

An einem heißen Sommertag wird in einem Friseursalon in London Mrs. Lotus-Smith tot in ihrer Kabine aufgefunden. Sie ist offensichtlich durch einen elektrischen Schlag ums Leben gekommen. Aber warum hat der Mörder ihr eine Schere in die Brust gestoßen? Warum wurde rote Farbe über ihre blonden Haare geschüttet?

 

Ein einziger Telefonanruf, und der Industrielle Charles Holm ist erledigt. Am anderen Ende der Leitung meldet sich Della, seine totgeglaubte erste Frau!

 

Linnet Restorick und ihr Mann Simon kommen als Sommergäste in das Haus Schwanensee – auf einer Insel an der englischen Westküste. Doch das idyllische Eiland und das düstere Haus verwandeln sich bald in eine Hölle aus Intrigen und Mord...

 

Der Sammelband Krimis in Schwarz-Weiß - Frühjahr 2023 enthält die Romane Auf verschneiten Straßen von Bill Knox, Die Farbe des Todes von Dulcie Gray, Der zweite Tod der Mrs. Holm von Edgar Bohle und Erinnerungen an das Reich Tschaikowskis von Christian Dörge. 

  1. AUF VERSCHNEITEN STRASSEN von BILL KNOX

(The Cuckatoo Crime)

 

 

 

Erstes Kapitel

 

 

Nur ein leichtes Holpern und die vorbeihuschenden Lichter der Landebahnbefeuerung waren für die Passagiere des Stratokreuzers die Anzeichen dafür, dass die Maschine auf der Rollbahn von Gander in Neufundland aufgesetzt hatte. Majestätisch rollte das Flugzeug über die Betonpiste zum Empfangsgebäude, während das Motorengeräusch in ein helles Singen überging.

Wenige Sekunden später führte die Stewardess die Passagiere hinüber in das Flughafenrestaurant, wo eine Mahlzeit auf sie wartete. Mechaniker und Tankwarte standen bereit, um sich während der kurzen Zwischenlandung der Maschine anzunehmen. In kleinen Gruppen strömten die Reisenden, die sich noch vor wenigen Stunden, bei ihrem Start in New York, völlig fremd gewesen waren, in die zentralgeheizte Halle. Die kalte Dunkelheit der Nacht hatte sie erschauern lassen.

Ein großer schlanker Mann ohne Hut, den schweren braunen Mantel lässig über die Schultern geworfen, polierte mit dem Taschentuch seine beschlagene randlose Brille. Sein sonnengebräuntes Gesicht mit dem gepflegten Bärtchen verriet deutlich Verwirrung, als er kurzsichtig auf seine Armbanduhr starrte. Langsam drehte er sich zu dem Arm in Arm hinter ihm drein schlendernden Paar um.

»Muss man die Uhr jetzt anderthalb Stunden vor- oder zurückstellen?«, fragte er. »Ich habe schon wieder vergessen, was uns die Stewardess gesagt hat.«     

»Vor«, erwiderte Dwyatt Ronaldson grinsend. »Aber ich verliere auf diesen Flügen jedes Zeitgefühl. Ich richte mich nur nach meinem Magen, das ist der sicherste Zeitmesser - stimmt’«, Liebling?« Er lächelte die neben ihm gehende Frau an, die sich tief in ihren kostbaren Nerzmantel gehüllt hatte.

»Leider wahr, Liebling«, stimmte sie zu. »Ehe wir uns aber ans Frühstück machen, oder was immer man uns hier servieren mag, vergiss nicht, dass du Diät halten musst!«

»Vielen Dank«, sagte der Fremde. »Ihnen mag es vielleicht albern erscheinen, aber eine genau gehende Uhr ist für mich eine Lebensnotwendigkeit. Wahrscheinlich eine von diesen Eigenschaften, die Sie als Amerikaner zu dem Schluss verleiten, dass alle Engländer einen Spleen haben. Nun...« Er zögerte. »...nochmals meinen Dank. Ich will mal sehen, was es hier für Zeitschriften gibt.«

Er setzte die Brille auf und ging davon.

»Netter Mensch«, bemerkte Ronaldson. »Schön, Julia, dann hol diesen vermaledeiten Diätzettel heraus und lass uns gehen.«

Sie schlenderten durch die große Halle des Flughafengebäudes. Ronaldson, eine schwere Gestalt mit einem runden Gesicht, trug einen hellgrauen Anzug, einen grauen Hut und einen schwarzen Mantel mit Gürtel. Seine Frau war schlank und brünett. Ihre hübschen Beine steckten in mit weißem Pelz besetzten Stiefelchen. An ihrer linken Hand trug sie außer einem schlichten Goldreif einen Ring, an dem drei Brillanten funkelten. Sie gaben ihre Mäntel an der Garderobe ab und wurden von einer kanadischen Kellnerin zu einem Tisch geführt. Das Mädchen reichte ihnen die Speisekarte und wartete auf die Bestellung.

»Überlass das mal mir, mein Lieber«, sagte Julia lächelnd. »Wir nehmen etwas Leichtes.«

»Da ist man nicht einmal ein ganzes Jahr verheiratet, und schon wird man von seiner Frau herumkommandiert, als hätte man eine zehnjährige Ehe hinter sich«, brummte der Amerikaner resigniert. »Wie wär’s denn mit Tomatensaft und - nun, vielleicht könnte ich noch ein kleines Steak haben?«

»Hm.« Julia schüttelte energisch den Kopf. »Porridge, Toast und Kaffee. Das genügt vollkommen.«

Die Kellnerin notierte die Bestellung und blieb dann zögernd stehen.

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte sie errötend. »Sind Sie nicht die Schauspielerin Julia Martin? Ich habe Sie vor ein paar Jahren in Montreal gesehen, als ich im Urlaub drüben war. Wir sollen zwar die Fluggäste nicht behelligen - aber ich muss Ihnen sagen, dass ich ganz einfach begeistert von Ihnen war.«

»Ex-Schauspielerin«, korrigierte Julia lächelnd. »Jetzt bin ich nichts anderes als eine hausbackene Ehefrau, meine Liebe. Immerhin vielen Dank für Ihr reizendes Kompliment. Und nun bringen Sie uns schnell etwas zu essen. Ich habe gewaltigen Hunger, und im Augenblick brauche ich mir keine Sorgen um meine Figur zu machen.«

Die Ronaldsons. waren mit ihrem Frühstück beschäftigt, als der Fremde mit zwei Zeitschriften in der Hand das Restaurant betrat. Er machte eine knappe Verbeugung vor dem Ehepaar und ging weiter zum nächsten Tisch.

»Na, haben Sie Ihren Lesestoff bekommen?«, rief ihm der Amerikaner zu. »Sagen Sie, haben Sie da etwa das Yachtsmans Monthly? Sind Sie an Booten interessiert?«

Der Fremde nickte. »Ja. Allerdings ist mein Interesse daran mehr oder weniger akademisch.«

»Dwyatt«, warf Julia ein. »Du kannst doch den Herrn nicht wie einen armen Sünder da stehen lassen. Wollen Sie sich nicht zu uns setzen, Mr...?«

»Russell«, stellte sich der neue Bekannte vor. »John Russell.«

»Dwyatt Ronaldson. Und dies ist Julia, meine Frau«, sagte der Amerikaner und machte eine einladende Geste. »Setzen Sie sich, dann können wir uns über Boote unterhalten.«

»Wenn es Ihre Gattin nicht langweilt, sehr gern«, erwiderte John Russell mit strahlendem Lächeln. »Fräulein, würden Sie mir, bitte, Rührei mit Schinken, Tee und Toast bringen?«

»Seit ich mit Dwyatt verheiratet bin, habe ich mich an seine Leidenschaft für Boote gewöhnt«, meinte Julia seufzend. »Lassen Sie sich also nicht stören - ich esse inzwischen. Unsere Maschine bleibt ja nicht den ganzen Tag hier. Oder ist es jetzt Nacht, Mr. Russell?«

»Der Tag beginnt gerade, Mrs. Ronaldson«, erwiderte Russell. »So viel habe ich inzwischen von Ihrem Gatten gelernt.«

Die beiden Männer unterhielten sich noch immer über Boote, als ihr Flug über den Lautsprecher aufgerufen wurde.

»Setzen Sie sich doch zu uns, bei uns ist noch ein Platz frei«, lud Ronaldson den neuen Bekannten ein. »Wir könnten dann unser Gespräch fortsetzen. Was meinst du, Julia?«

»Von mir aus gern«, entgegnete seine Frau. »Aber übertreibe es bitte nicht, Darling. Sonst werde ich noch seekrank.«

Nachdem man die Maschine bestiegen und sich angeschnallt hatte, nahm Ronaldson das Gespräch wieder auf.

»Ich sagte Ihnen bereits, dass ich eine große Yacht besitze. Die Kakadu ist ein Prachtschiff, ein hochseefester Fünfhunderttonner. Ich habe sie vor drei Jahren von einem Engländer gekauft, der die Unterhaltskosten nicht länger bestreiten konnte - dank Ihrer Steuergesetzgebung, nebenbei gesagt. Die Yacht wurde kurz vor dem Krieg im Clyde gebaut, und gegenwärtig wird dort die Maschinenanlage überholt. Aber was Sie vor allem interessieren wird - ich habe auf der Yacht ein schnittiges Sechsmeterboot. Sie glauben nicht, wie großartig es sich damit segeln lässt. Ich musste erst noch ein größeres Geschäft abschließen und konnte mich nicht eher frei machen. Jetzt fliegen wir zunächst nach London, ich habe dort ebenfalls noch geschäftlich zu tun, leider! Aber anschließend geht es nach Norden. Die Überholung der Kakadu muss jetzt beendet sein, und in den allernächsten Tagen wird sie ihren Liegeplatz an der Küste wieder einnehmen. Dort wollen wir an Bord gehen.

Sie müssen wissen, mein Großvater war der jüngste Sohn des Clan-Oberhauptes der Ronaldsons. Der letzte des anderen Zweigs, ein alter Knabe hoch in den Achtzig, starb vor einigen Jahren. Dank dieser Tatsache bin ich zum Chef des Clans avanciert, ob Sie es glauben oder nicht. Auf unserer Reise schlagen wir also gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Wir fahren zu der Clan-Versammlung nach Schottland - es handelt sich um eine Jubiläumsversammlung; vor genau zweihundertfünfzig Jahren ist nämlich der Ronaldson-Clan entstanden. Anschließend machen wir eine vierwöchige Kreuzfahrt durchs Mittelmeer. Und außerdem habe ich noch - wie gesagt - in London Geschäfte zu erledigen.«

Er schwieg, als die Motoren auf volle Touren gingen und die Maschine laut donnernd die Betonpiste entlangrollte. Immer schneller glitt die Maschine dahin, dann ein leichtes Erbeben, und der Riesenvogel erhob sich in die Luft. Rasch gewann er an Höhe, und als die Motoren schließlich ihr gleichmäßiges Lied sangen und die Passagiere die Sicherheitsgurte gelöst hatten, nahm Ronaldson das Gespräch wieder auf.

»Ich bin aus der Konservenbranche, müssen Sie wissen - Ron-Konserven. Wir verkaufen mehr Dosen im Jahr, als es überhaupt Büchsenöffner gibt.«

»Du wirst langweilig, mein Lieber«, warf seine Frau schläfrig ein. »Du hast Mr. Russell überhaupt noch nicht zu Wort kommen lassen. In welcher Branche sind Sie denn tätig, Mr. Russell? Hoffentlich stört es meinen teuren Gatten nicht, wenn ich mich danach erkundige.«

»Import-Export, Mrs. Ronaldson. Meine Agentur ist für rund ein halbes Dutzend Firmen tätig«, erwiderte Russel und fügte mit einer wegwerfenden Geste hinzu: »Alles kleinere Unternehmen. Darum war ich in New York, ich verhandelte mit einigen Kunden und orientierte mich über die Möglichkeiten des amerikanischen Marktes. Wir brauchen in England Dollars, wie Sie wissen.«

»Soweit ich unterrichtet bin, ist England ja recht gut ins Geschäft gekommen«, meinte Julia. »Besonders in den Warenhäusern findet man auffallend viele britische Erzeugnisse. Wenn ich nur an diese entzückenden Pullis denke...«

»Na, diese entzückenden Pullis sind für Vogelscheuchen gut«, prustete ihr Mann los. »Du weißt schon, was ich meine, Darling.«

»Allerdings«, erwiderte Julia, »aber warte nur, mein Lieber. Du wirst selbst wie eine Vogelscheuche aussehen, wenn du deinen Kilt anziehst. Er trägt nämlich einen Kilt, Mr. Russell. Sein Clan hat ein ganz entzückendes Muster.«

Die Unterhaltung drehte sich um dies und das, um Boote, um allgemeine Themen, und erneut um Boote, während die Stewardess Drinks und Zeitschriften anbot, Süßigkeiten, Zigaretten, und schließlich Kissen und Decken brachte. Das Licht verlöschte - nur einige schwache Birnen brannten -, und die Passagiere fielen erneut in Schlaf, während das Flugzeug sich mit gleichbleibendem Dröhnen seinen Weg hoch über dem Atlantik bahnte.

 

Natürlich regnete es, als die Maschine auf dem Londoner Flughafen landete. Als die Passagiere die Gangway hinabstiegen, schien mindestens einer von ihnen zu bedauern, dass der Flug zu Ende war.

»Ich habe mich sehr gefreut, Sie und Ihren Gatten kennengelernt zu haben, Mrs. Ronaldson«, sagte John Russell. »Ich hoffe nur, dass Sie unsere Fachsimpelei über Boote nicht zu sehr gelangweilt hat. Aber wenn man eine Leidenschaft für den Wassersport

»Aber ich bitte Sie«, unterbrach Julia ihn lachend. »Es hätte gar nicht netter sein können. Tja, und nun sind wir wieder einmal in England. Komisch, wenn man sich überlegt, dass wir hier Ausländer sind.«

»Amerikaner sind in England immer willkommen, und besonders hübsche Amerikanerinnen«, erwiderte Russell galant. »Ich muss mich nun leider verabschieden, aber vielleicht begegnen wir uns irgendwie wieder, Mr. Ronaldson

»Aber klar!«, entgegnete Ronaldson herzlich. »Und ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass mein Vorname Dwyatt ist. Ich habe einige Wochen geschäftlich in London zu tun. Wir wohnen im Selwyn. Ein ruhiges Haus, man kriegt dort sogar Eiswasser, und Zentralheizung ist auch vorhanden. Auf unserem Konsulat nennt man es Klein-Amerika. Raffen Sie uns doch gelegentlich an. Wir könnten dann mal zusammen essen gehen.«

Die zwei Männer schüttelten sich die Hände, und mit einer Verbeugung vor Julia wandte sich Russell ab und ging zur Zollabfertigung...

»Weißt du, Dwy, wenn er die Brille abnehmen würde, könnte er sämtliche Stars in Hollywood in den Schatten stellen«, meinte Julia, während sie ihm nachsah. »Aber du brauchst deshalb nicht eifersüchtig zu werden, Darling. Mr. Cornedbeef ist nach wie vor mein ein und alles.«

»Nun mal Schluss, Julia!«, protestierte ihr Mann. Dann fügte er hinzu: »Er ist tatsächlich ein netter Mensch. Ein großer Bootsnarr. Ich erzählte ihm von unserem Segelboot auf der Kakadu. Er scheint eine ganze Menge davon zu verstehen - nach seinem Reden zu schließen.«

Als sich Mr. John Russell einige Minuten später außer Sichtweite befand, schien er jedoch kein Interesse mehr an Booten zu haben. Nachdem er die Zollabfertigung hinter sich gebracht hatte, zog er die Yachtzeitschriften aus der Manteltasche und beförderte sie in den erstbesten Papierkorb. Dann stellte er Aktentasche und Koffer auf dem dicken Teppich der Halle ab und betrat eine Telefonzelle. »Harry? Hier Russell. Bin gerade angekommen.«    

»Hat alles geklappt?« Die Stimme am anderen Ende des Drahtes klang ängstlich.

»Hätte nicht besser klappen können. Du hast keine Vorstellung, wie naiv diese Yankees sind. Du kannst also mit den weiteren Vorbereitungen beginnen. Ich werde unsere Freunde jetzt vierzehn Tage in Ruhe lassen und dann den Hauptangriff starten. Ruf mich morgen im Büro an und unterrichte mich, wie die Dinge stehen. Übermorgen fährst du am besten nach Norden.«

Russell legte den Hörer auf, trat in die Halle und ergriff sein Gepäck. Er pfiff ein Lied vor sich hin, das verdächtig nach einem Seemannslied klang.

Für die lange Fahrt zu dem Bürohaus im Temple nahm er ein Taxi. Das Gebäude lag in der Nähe der Themse. Am Haupteingang befand sich unter den vielen Firmenschildern auch eins mit der Inschrift Handelsagentur Russell. Er bezahlte das Taxi und erwiderte forsch den Gruß des Portiers. Dann lief er die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, wandte sich nach rechts und öffnete die Tür zur Handelsagentur Russell. Drei Stenotypistinnen hämmerten auf ihren Schreibmaschinen, und ein älterer Angestellter erhob sich hinter seinem Schreibtisch neben einem glühenden Heizofen.

»Willkommen, Mr. Russell! Hatten Sie eine gute Reise?«

»Ausgezeichnet, Lloyd. Kommen Sie doch gleich mit.«

Russell öffnete die Tür zu seinem Privatbüro und warf die Aktentasche auf den großen Eichenschreibtisch.

»Na, wie stehen die Dinge?«

»Leider ziemlich ruhig im Augenblick, Sir. Mit der letzten Lieferung von Haushaltsartikeln nach Portugal gibt es einige Schwierigkeiten. Der Hersteller kann den Termin nicht enthalten, und unsere Agenten in Portugal dringen auf Lieferung.«

»Machen Sie Dampf hinter die Sache, Lloyd. Machen Sie dem Hersteller klar, dass dies unser letzter Auftrag war, wenn wir das Zeug nicht sofort bekommen. Ich fahre jetzt nach Hause. Will mich etwas ausruhen, und dann habe ich auch noch ein paar Akten durchzusehen - das Resultat der Reise.«

»Neue Aufträge, Sir? Wir könnten sie brauchen!«

»Ein paar«, erwiderte Russell. »Aber ich habe einige wichtige Kontakte angeknüpft, die sich schon in naher Zukunft bezahlt machen werden.«

»Dann hat sich Ihre Reise also gelohnt?«, fragte der Angestellte interessiert.

»Sehr«, erwiderte Russell lächelnd. »Und das ist noch zu milde ausgedrückt.«

 

Summendes Stimmengewirr, hin und her eilende Kellner, dezente Beleuchtung und amüsante Wandgemälde gaben dem Restaurant seine eigene Note.

Die Ronaldsons saßen in einer Nische und genossen einen zarten Rostbraten, als sie eine hochgewachsene Gestalt bemerkten.

»Nun schau mal, Julia, wer da kommt!«, sagte der Amerikaner.

John Russell, in dunkelgrauem Anzug, weißem Hemd und mit einer weinroten Krawatte, verbeugte sich lächelnd.

»Ich wollte gerade essen«, sagte er. »Da entdeckte ich Sie und musste natürlich herüberkommen.«

»Wunderbar!« Der Amerikaner strahlte. »Noch gestern sprach ich mit Julia über Sie. Die letzten zehn Tage waren ziemlich hektisch für mich, müssen Sie wissen. Aber ich hatte immer gehofft, dass wir uns noch einmal begegnen würden.«

»Boote und immer wieder Boote!«, seufzte seine Frau. »Setzen Sie sich, mein Freund. Wenn Sie warten wollen, bis Dwyatt einfällt, was sich gehört, können Sie alt und grau werden.«

»Vielen Dank!« Russell setzte sich auf den Stuhl, den ihm ein Kellner zurechtgerückt hatte. »Ich hatte ebenfalls viel, zu tun in den letzten Tagen. Aber übermorgen ist Schluss damit! Ich mache Ferien. Einmal richtig ausspannen - keine Briefe, kein Telefon, keine Konferenzen!«

»Das freut mich für Sie, Mr. Russell... äh... John. Ich habe endlich meinen Mann so weit gebracht, dass er das gleiche tut. Unsere Yacht ist überholt und wartet in Schottland auf uns. Morgen fahren wir hinauf.«

»Großartig«, sagte Russell. »Dann ist dies also Ihr letzter Abend in London? Hören Sie - wenn Sie nichts anderes vorhaben -, wollen wir ihn nicht gemeinsam verbringen? Wir könnten ins Varieté gehen und in ein paar Clubs, die ich kenne. Was halten Sie davon, Mrs. Ronaldson?«   

»Was meine Person anbetrifft - einverstanden! Aber nennen Sie mich doch Julia! Und was meinst du, Dwy?«

»Ich könnte mir nichts Netteres denken, Darling. Aber zunächst sollten Sie Ihr Menü bestellen, John. Der Kellner lungert schon die ganze Zeit um den Tisch herum.«

 

Zum Abendessen traf man sich in einem kleinen Restaurant im Westend. Anschließend führte Russell seine Gäste in eine Operette, die erst seit zwei Wochen aufgeführt wurde, so dass es ein Kunst. stück gewesen sein musste, dafür noch Karten zu beschaffen. Julia, in einem austernfarbenem Brokatkleid und einer schweren Perlenkette, verfolgte die Aufführung mit dem kritischen Blick der ehemaligen Schauspielerin. Sie war des Lobes voll. Anschließend besuchte man noch ein Nachtkabarett, speiste in einem verqualmten Nachtclub und unternahm schließlich noch in John Russells großer Jaguar-Limousine eine Fahrt durch die nächtliche Stadt.

»Wie ruhig es hier ist, wie sauber und gepflegt die Straßen«, meinte Julia, als der Wagen durch die fast ausgestorbenen Vorstädte glitt. »Auf diese Weise habe ich noch nie einen Abend beschlossen. Und ich muss sagen - es war einer meiner schönsten Abende überhaupt.«

»Ich bedaure sehr, dass wir uns wahrscheinlich nie wiedersehen werden«, erwiderte Russell mit einem Seufzer. »Sie reisen morgen ab, und ich verlasse London ebenfalls, um Urlaub zu machen. Nach menschlichem Ermessen werden sich unsere Wege nie wieder kreuzen.«

»Wohin fahren Sie denn eigentlich, John?«, fragte Ronaldson.

Haben Sie schon feste Pläne?«

»Nein, eigentlich nicht. Ich werde mit dem Wagen durch Cornwall streifen. Im Vorfrühling ist es dort wunderschön.«

»Ach, zum Teufel mit Cornwall! Sie kommen zu uns auf die Kakadu!« Der Amerikaner machte eine Handbewegung, um den Protest, den er zu erwarten schien, abzuwehren. »Auf der Yacht stehen eine ganze Menge Kabinen leer. Wir haben nur ein paar Freunde an Bord. Bedenken Sie doch, wie wir zusammen segeln könnten!« Er schlug sich begeistert auf die Knie.

»Eine gute Idee!«, unterstützte ihn seine Frau. »Sie kommen zu uns, John. Wir würden uns sehr freuen, Sie bei uns zu haben.«

»Aber... aber gewiss würde ich Ihre Einladung sehr gern annehmen, es ist wirklich zu liebenswürdig...« Russell ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen.

»Kein Aber! Es ist also abgemacht«, erklärte der Amerikaner fest. »Heute haben wir Dienstag... wir erwarten Sie also am Samstag auf der Kakadu. Dann werden Sie einmal schottisch-amerikanische Gastfreundschaft kennenlernen, mein Lieber!«

»Und Dwy im Kilt! Diese Gelegenheit können Sie sich unmöglich entgehen lassen«, rief Julia lachend.

Russell kapitulierte mit einem Lächeln. Kurze Zeit später setzte er das Ehepaar vor seinem Hotel ab. Einen letzten Drink lehnte er mit dem Hinweis ab, er müsse am Morgen zeitig im Büro sein. Dann fuhr er nach Hause.

Nachdem er den Jaguar unter einer Straßenlampe geparkt hätte, stürmte er die Treppe hinauf, warf die Zimmertür hinter sich zu und griff zum Telefonhörer.

»Bitte ein Gespräch nach Glasgow«, sagte er zu dem Mädchen vom Fernamt. »Clydeside sechs acht vier drei.«

Es dauerte nicht allzu lange, bis sich eine verschlafene Stimme meldete - Harrys Stimme.

»Harry, die Sache klappt. Das Wochenende verbringe, ich auf der Yacht.«

Ein zufriedenes Brummen war die Antwort.

»Bist du mit den Vorbereitungen fertig, Harry? Gut! Dann hole die Jungen zusammen, Ende der Woche - genau wie geplant. Es hat geklappt, Harry, und der Rest ist einfach.«

Er legte den Hörer auf und schenkte sich einen großen Whisky ein. Dann trat er vor den Spiegel und hob das Glas.

»Auf die Kakadu!«, prostete er sich zu.

 

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Der Windhund, der in Harringay aus Box 4 hervorschoss, hätte aller Voraussicht nach gewinnen müssen. Kein zweiter Hund schien an ihn heranzukommen. Aber er gewann nicht. Ein armselig wirkender Schecke ging eine ganze Länge vor ihm durchs Ziel. Verdrossen zerriss Con McBride seinen Toto-Zettel und studierte das Feld des nächsten Rennens.

Ein schwarzes, sehr temperamentvolles Tier, das schnell wie der Wind sein konnte, erregte sein Wohlgefallen. Doch als sich plötzlich Jacko Bright einen Weg durch die Menge bahnte und auf ihn zukam, hatte er den Hund sofort vergessen. Jacko nickte ihm kurz zu und ließ einen Umschlag in seine Hand gleiten. McBride riss ihn auf.

Der Inhalt bestand aus fünfundzwanzig Pfund in Fünfpfundnoten, einer Eisenbahnfahrkarte und einem Zettel mit der Aufschrift von Harry. McBride zog die Brauen hoch und blickte Jacko schweigend an. Dann nickte er.

»Ich habe einen Wagen draußen«, sagte der kleine Londoner. »Komm.«

Er bahnte sich wiederum einen Weg durch die Menge, die fiebernd auf den nächsten Start wartete. McBride folgte ihm ohne Protest. Seit Wochen hatte er auf diese Nachricht gewartet. Aber er hatte nicht gewusst, dass Jacko den Boten spielen würde. Ein gutes Zeichen, dachte er. Denn obwohl Jacko körperlich reichlich klein ausgefallen war, besaß er doch die besten Beziehungen. Er war Spezialist für Autos - speziell für die Autos anderer Leute. Er verstand es auch, fast jedem Streifenwagen ein Schnippchen zu schlagen, das hatte er schon mehr als einmal bewiesen. Trotz seiner Londoner Mundart konnte er auch kultiviert sprechen und sich sehr gut benehmen. Diese Fertigkeiten hatte er sich angeeignet, als er lange Jahre Mechaniker bei der Rennmannschaft einer großen Autofirma gewesen war. Er wurde als wertvoller Mitarbeiter von jeder Verbrecherbande willkommen geheißen. Auf seinem Gebiet war er ein Fachmann wie Con, der die Kunst des Geldschrankknackens aus dem Effeff beherrschte. Sie hatten bereits zusammen in Dartmoor gesessen, und wenn auch kein absolutes Vertrauen zwischen ihnen bestand, so hatte doch jeder vor dem Können des anderen die größte Hochachtung.

Als sie sich aus der Menge gelöst hatten, konnten sie schneller ausschreiten. Jacko - klein, adrett, ein Mann in mittleren Jahren. McBride - groß und dunkel. McBride war Ire. Seine Familie, stammte aus Dublin, war aber schon seit drei Generationen in England ansässig. Als sie den Ausgang des Rennplatzes hinter sich gelassen hatten, fragte der Geldschrankknacker leise: »Was ist nun eigentlich los, Jacko? Wer ist der Boss?«

»Ich erzähle dir alles, wenn wir im Wagen sitzen. Er steht gleich hier unten an der Straße. Der Boss ist keiner von den Großen, aber wer er auch sein mag - ein Amateur ist er bestimmt nicht.«

»Wagen, sagtest du? Geklaut...?«

»Aber nein«, wehrte Jacko lächelnd ab, als sie sich dem schwarzen Ford näherten. »Er gehört zu unserer Ausrüstung, sollte man eher sagen.« Er wühlte in den Taschen. »Ich habe ihn abgeschlossen. Man kann nie wissen, was für Gesindel sich hier herumtreibt.«

Grinsend schloss er die Tür auf, setzte sich hinter das Steuerrad und öffnete die andere Tür. McBride stieg ein.      

»Erzähle!«, sagte er.

»Ich weiß lediglich, dass es sich um eine Sache in der Gegend von Glasgow handelt. Man sagte mir, dass du orientiert bist und mitmachen willst.«

»Orientiert ist gut!«, stöhnte McBride. »So’n Dicker, der sich Harry nannte - seinen vollen Namen wollte er partout nicht sagen hat mich in einer Kneipe angesprochen. Am nächsten Morgen erschien er in meiner Wohnung und stellte lauter Fragen, obwohl er die Antworten bereits zu wissen schien. Er drückte mir eine Zwanzigpfundnote in die Hand und erklärte, es sei ein Safe zu knacken. Als Anteil hat er mir fünftausend versprochen. Aber ansonsten ist er nicht mit der Sprache herausgerückt. Ich würde Nachricht erhalten, sagte er. Wenn er mir nicht den Zwanziger gegeben hätte, würde ich sagen, der Kerl ist verrückt.«

»Du wirst ihn wiedertreffen«, sagte Jacko. »Er war auch bei mir, aber er ist nicht der Boss. Frag mich nicht, wer nun eigentlich der Boss ist - ich weiß es nämlich auch nicht. Wir werden ihn in Schottland kennenlernen. Harry hat mich heute Morgen angerufen. Den Brief für dich ließ er bereits vor zehn Tagen bei mir, aber er wollte mir nicht sagen, für wen er bestimmt sei. Das erfuhr ich erst heute Morgen. Seit seinem Anruf habe ich fieberhaft nach dir gesucht.« Und zum Dank bist du so kurz angebunden, hätte er am liebsten hinzugefügt. Er erinnerte sich jedoch an die leichte Erregbarkeit seines Gefährten und schwieg lieber.

»Ich fahre morgen hinauf«, fügte er hinzu. »Die Schlüssel für den Wagen hatte ich zusammen mit dem Brief an dich erhalten, aber erst heute Morgen erfuhr ich, dass sie zu dem Ford gehören. Er stand in einer Garage in Finchley.

Also - ich nehme den Wagen, und du fährst mit der Eisenbahn. Für den Zug ab Euston nach Glasgow morgen Abend um einundzwanzig Uhr zehn ist auf den Namen Thomas Bertram ein Schlafwagenplatz reserviert. In Glasgow steigst du um in den Zug nach Gourock - das liegt am Clyde, ungefähr eine Stunde entfernt. Dort treffen wir uns. Frage mich nicht, warum wir nicht zusammen im Wagen fahren. Der Boss will es so.«

»Aber was für ein Job ist es nun eigentlich?«, bohrte McBride weiter und fuhr sich nachdenklich über das Kinn. »Bei meinen Vorstrafen komme ich nämlich das nächste Mal in Sicherungsverwahrung. Und vierzehn Jahre lang Tüten kleben - vielen Dank! Du verstehst, dass ich mich darum nicht mit dem erstbesten Idioten einlassen kann. Natürlich reizt mich das Geld, aber zunächst muss ich genauer Bescheid wissen, ehe ich mit der Arbeit beginne.« Er runzelte missmutig die Stirn.

»Nun mal sachte, Con«, versuchte ihn Jacko zu beruhigen. »Ich weiß nicht mehr und nicht weniger als du - nämlich, dass wir ein kleines Vermögen machen werden. Ich vermute, dass es sich um Juwelen handelt. Das Ding wird von innen heraus gedreht. Der Dicke ist derjenige, der die Juwelen wegschafft, und er schwört, dass alles bis in die letzte Kleinigkeit durchgeplant ist.«

»Ja, er hat mir gesagt, dass bereits eine Menge Geld in die Sache gesteckt worden ist«, gab McBride zu. »Und die Anteile, die er versprochen hat, lohnen ja auch ein Risiko. Aber warum diese Geheimniskrämerei? Ich sage dir, Jacko, etwas gefällt mir an der Geschichte nicht. Ich bin kein Angsthase, aber ich bin jetzt vierunddreißig und habe mich bis heute nicht zum Narren halten lassen.«

»Wir wollen abwarten, Con«, meinte Jacko geduldig. »Wir haben im Moment noch nichts zu verlieren. Wir können uns die Sache ruhig mal ansehen.«

Auf McBrides Stirn waren die nachdenklichen Falten nicht verschwunden. Aber er erhob keine Einwendungen mehr und zündete sich eine Zigarette an. Jacko ließ den Motor anspringen.

»Ich werde dich ein paar Straßen vor deiner Wohnung absetzen«, erklärte er. »Nur, um sicherzugehen. Und mach dir keine Sorgen wegen deines Werkzeuges. Ist alles bereits vorhanden.«

 

Kurz bevor der kalte Märzmorgen zu dämmern begann, fuhr der Schlafwagenzug in Glasgow ein. Aber erst eine Stunde später verließen die meisten Reisenden die warmen Abteile. Unter ihnen ein müder McBride, der fast die ganze vierhundert Meilen lange Strecke geschlafen hatte. Er frühstückte in aller Ruhe im Bahnhofshotel, kaufte sich ein paar Zeitungen, um die von ihm heißgeliebten Bildergeschichten zu betrachten, und ging schließlich in den Waschraum.

Nachdem er sich gewaschen und rasiert hatte, fühlte er sich frisch und munter. Am Fahrkartenschalter kaufte er sich eine Fahrkarte nach Gourock und bummelte noch ein wenig umher, bis zwanzig Minuten später der Zug nach dem Städtchen am Clyde abfuhr.

Der Zug zuckelte gemütlich nach Gourock, während McBride immer nervöser wurde und eine Zigarette nach der anderen rauchte.

In Gourock angekommen, nahm er seinen Koffer aus dem Gepäcknetz und sprang aus dem Zug, ehe er noch richtig hielt. Mit festem Schritt marschierte er durch die Sperre.

Jacko...? Er blieb stehen, als er seinen Kumpanen nicht entdecken konnte. Vielleicht wartete er draußen vor dem Bahnhofsgebäude? Als er auf die Straße trat, fuhr der schwarze Ford eben vor. Jacko war nur um wenige Sekunden zu spät gekommen.

Der kleine Engländer trug einen eleganten Sportanzug und machte ganz den Eindruck eines wohlhabenden Geschäftsmannes, der sich für einen Tag von allen beruflichen Pflichten gelöst hat. Genau das war auch beabsichtigt.

McBride winkte ihm zu und ging hinüber. Als er die Wagentür öffnete, strömte ihm wohltuende Wärme entgegen. Jacko hatte die Heizung aufgedreht, und aus dem Autoradio erklangen einschmeichelnde Melodien. Kaum war Con eingestiegen, glitt der Wagen auch schon leise schnurrend davon.

»Na, da bist du ja«, eröffnete Jacko das Gespräch. »Nette Fahrt gehabt?«

»Es war lausig«, erwiderte McBride. »Aber reden wir nicht davon. Was geht also hier vor?«

»Ich glaube, du wirst deine Fragen beantwortet kriegen, Con. Der Boss will uns sprechen. Ich habe ihn bereits kennengelernt. Er ist vor ein paar Stunden eingetroffen.« Sie hatten die Innenstadt bereits passiert, und Jacko fügte hinzu: »Wir haben nicht weit zu fahren. Höchstens noch drei Minuten.«

»Und wie ist er?«, fragte McBride neugierig. »Hast du sonst noch etwas erfahren? Um was es eigentlich geht?«

»Mir scheint die Sache okay, Con. Was den Job anbelangt, so meinte der Boss, dass er nur noch auf dich warte... Ah, da sind wir ja schon!« Der Wagen hatte ein paar Einfamilienhäuschen am Stadtrand erreicht und hielt dicht hinter einem grauen Jaguar, der vor einem weißen Haus parkte.

»Unser gemütliches Heim«, stellte Jacko mit einer großartigen Handbewegung vor. »Eigens für diese besondere Gelegenheit gemietet. Den Mieter kennst du bereits.«

Sie gingen den mit Steinplatten belegten Weg entlang. Noch ehe sie die blaue Haustür erreicht hatten, öffnete sie sich. Harry Vogt, ein Mann Ende Fünfzig, mit beginnender Glatze, die mit Zigarettenasche bestreute Weste geöffnet, so dass man die Krawatte über das runde Bäuchlein hängen sehen konnte, bot ihnen ein herzliches Willkommen.

»Tritt ein, Con«, sagte er mit dröhnender Stimme. »Jetzt ist unsere Gesellschaft komplett. Tut mir leid, dass ich dich neulich so ausgequetscht habe, aber das gehörte nun mal dazu.«

Er führte die beiden in das kleine Wohnzimmer, wo bereits drei Männer saßen. Der eine erhob sich. Ehemaliger Offizier, dachte Con und musterte den teuren Maßanzug, das gepflegte Bärtchen und das glatt zurückgekämmte dunkle Haar. Dunkelblaue Augen blickten ihn durch eine randlose Brille prüfend an.

»Willkommen, Mr. McBride«, sagte der Unbekannte herzlich und reichte ihm die Hand.

Con blickte die offensichtlich das Befehlen gewohnte Persönlichkeit misstrauisch an, schüttelte die dargebotene Hand und setzte sich auf den angebotenen Stuhl.

»Eine Runde Whisky«, befahl der hochgewachsene Mann. Als Harry sich mit Tablett und Gläsern zu beschäftigen begann, fuhr er, diesmal allerdings in kühl geschäftlichem Ton, fort: »Zunächst wollen wir uns bekannt machen. Ich habe unseren Freunden bereits von Ihnen erzählt, Con. Jacko kennen Sie bereits. Was meine Person anbelangt - ich heiße Russell. John Russell. Sie werden also in meinem Geschäft Teilhaber.«

Er hob die Hand, als Con eine Einwendung machen wollte.

»Sie machen mit, Con. Wenn Sie erst gehört haben, um was es sich handelt, werden Sie keine Sekunde zögern. Also hören Sie zu. Ich bin Direktor einer Handelsagentur. Das ist nicht nur so dahingesagt - es stimmt tatsächlich. Sie würden erstaunt sein, wenn Sie wüssten, welches Einkommen ich damit erziele. Aber zunächst muss ich Sie noch mit unseren zwei anderen Freunden bekannt machen. Drüben auf dem Sofa - das ist Mr. McKellar. Er hat einen scheußlichen Geschmack in bezug auf Schlipse und wird von seinen Freunden Flick genannt. Er ist unser starker Mann und auch Experte mit dem Schnappmesser. Die Narbe über seinem Auge stammt von einer Flasche, die ihm ein guter Freund über den Schädel geschlagen hat.«

Flick, ein zäher junger Bursche, mochte etwas über zwanzig sein. Er hatte eine schlanke, drahtige Figur und ein auffallend weißes Gesicht. Er nickte Con mürrisch zu und betrachtete weiter seine nikotinverfärbten Finger.

»Neben Flick - das ist Dan Travers«, fuhr Russell fort. »Er ist unser Seemann. Eine wichtige Persönlichkeit. Im Krieg war er sogar ein Held, soviel ich weiß. Maat auf ’nem Kanonenboot. Als er nach dem Krieg wieder als Fischer arbeitete, bekam er wiederholt Schwierigkeiten mit den Zollbehörden - es hing mit Zigaretten aus Irland zusammen.«

Con McBride lächelte dem Seemann pflichtschuldig zu - einem untersetzten, kräftigen Mann, der bequem zurückgelehnt dasaß und die Hände in den Hosentaschen vergraben hatte.

Harry brachte die gefüllten Gläser. Russell nahm eins vom Tablett.

»Vielen Dank, Harry«, sagte er. Dann wandte er sich wieder Con McBride zu. »Harry Vogt haben Sie ja auch schon kennengelernt. Er ist Experte für Juwelen. Seine Arbeitgeber waren immer sehr böse, wenn sie merkten, dass er Muster an sich genommen hatte.

Harry hat bereits für mich gearbeitet. Es gehörte zu seiner Aufgabe, Kontakt mit euch aufzunehmen. Dank seiner Hilfe war es leicht, die richtigen Kandidaten für das Unternehmen auszusuchen.« Er blickte sich langsam um. »Jeder von uns hat eine ganz bestimmte Aufgabe zu erledigen. Außer Harry weiß niemand von euch, um was es geht. Also trinken wir. Und dann werden Harry und ich euch alles erklären.«

Russell und Harry Vogt traten an den Tisch und entfalteten eine Karte, die Harry aus einer Kommode geholt hatte. Als die übrigen mit den Gläsern in der Hand hinzukamen, erklärte Russell: »Dies ist eine Karte des Firth of Clyde.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf Gourock, das auf der anderen Seite der Mündung lag. »Hier ist der Firth nur zwei bis drei Meilen breit, und fast genau auf der anderen Seite...« Sein Zeigefinger fuhr weiter. »...liegt Dunoon, ein Seebad, und gleich oberhalb diese Bucht mit dem Namen Holy Loch. Wie lange würde man Ihrer Meinung nach brauchen, Dan, um mit einem starken Motorboot da hinüberzukommen?«

»Von hier ungefähr dreißig Minuten«, brummte der Seemann. »Hängt natürlich vom Wetter und den Gezeiten ab.«

»So habe ich auch kalkuliert. Im Holy Loch liegt im Augenblick, eine große Yacht, die Kakadu. Schon mal von ihr gehört?«

Harry lächelte, als die vier die Köpfe schüttelten.

»Vielleicht sagt euch aber der Name Dwyatt Ronaldson etwas? Oder Julia Martin?«

Jacko schnappte nach Luft. »Aber klar! Julia Martin - das ist doch diese Schauspielerin vom Broadway. Sie hat kostbare Juwelen. Aber da besteht nicht die geringste Chance, an sie heranzukommen. Als sie vor drei Jahren in London war, habe ich es schon einmal zusammen mit einer Bande versucht. Das Landhaus, in dem sie wohnte, war Tag und Nacht bewacht, und im Garten waren ein paar bissige Hunde, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Wir gaben es auf. Wenn Sie in der Richtung etwas vorhaben, kann ich nur dringend abraten. Sie werden überhaupt nicht in ihre Nähe kommen.«

»In diesem Punkt irren Sie sich, Jacko«, erwiderte Russell lächelnd. »Julia Martin ist mit Dwyatt Ronaldson verheiratet, der zufällig ein paar Millionen besitzt. Ronaldson ist nebenbei der Chef des Ronaldson-Clans. Dieses Jahr feiern die Herrschaften ein wichtiges Jubiläum. Darum liegt seine schöne Yacht da drüben - direkt vor unserer Nase. Er und seine Frau befinden sich an Bord. Es handelt sich um eine Yacht mit Dieselmotoren, von fünfhundert Tonnen. Auf ihr wird ein großer Empfang gegeben werden.«

»Und seine Frau bringt den ganzen Juwelenkram mit, um vor ihren schottischen Verwandten ordentlich anzugeben«, fügte Jacko sarkastisch hinzu.

»So ist es. Ich habe von Freunden gehört, dass Julia Ronaldson Juwelen im Werte von ungefähr siebzigtausend Pfund bei sich trägt. Sie hatte große Mühe, die Versicherungsgesellschaft zu überreden, diesem Ausflug zuzustimmen. Die Juwelen wurden während des Transportes streng bewacht - aber dies nur nebenbei. Den Höhepunkt der Festlichkeiten bildet ein großer Ball des Clans, der in genau fünf Tagen in Dunoon stattfindet. Die Polizei überwacht natürlich diese Veranstaltung, und auch von der Versicherung werden Detektive anwesend sein, wenn Mrs. Ronaldson ihren Schmuck zur Schau stellt. Die Sicherungsmaßnahmen in der Nacht zuvor auf der Yacht sind allerdings eine andere Sache.«

»Wir fahren hinüber, Flick hält die Gesellschaft in Schach, und wir nehmen den Schmuck der Dame einfach von ihrem Nachttisch«, sagte McBride ironisch.

»Nun mal langsam, Con«, warnte Russell. »Ich verstehe Ihr Misstrauen, aber dieser Ton gefällt mir nicht. Ich habe eine Menge Geld in die Sache gesteckt, um die nötigen Informationen zu beschaffen und alles gründlich vorzubereiten.«

Russells milder Tonfall beruhigte McBride. Russell war absichtlich nicht aufgebraust, weil McBride der wichtigste Mann bei dem Unternehmen war und zu diesem Zeitpunkt unmöglich ersetzt werden konnte. Aber als er jetzt fortfuhr, wurde seine Stimme doch um eine Nuance schärfer.

»Ich möchte darum bitten, dass man mir in Ruhe zuhört. Wenn Ihnen mein Plan nicht gefällt, Con, wenn Sie etwas Besseres zu bieten haben, dann lassen Sie es mich hören. Aber vergessen Sie nicht, dass es für Sie fünftausend zu verdienen gibt. Natürlich ist die Sache mit Risiken verbunden - aber welches große Geschäft ist ohne Risiko? Ich beanspruche für mich die Hälfte der Beute - aber dafür trage ich die Unkosten. Und die sind nicht gerade gering.« Er blickte McBride fest an. »Also wollen Sie jetzt zuhören? Oder soll Jacko Sie zum Bahnhof bringen? In einer halben Stunde geht ein Zug nach London.«

»Schießen Sie los«, brummte der Safeknacker.

Russell nickte. »Schön! Zunächst einmal - ich gehöre im Augenblick zu dem Dutzend Gäste, das sich an Bord der Kakadu befindet. Wie ich an diese Einladung gekommen bin, spielt im Moment keine Rolle. Ich will euch nur so viel sagen, dass ich eigens deswegen eine Reise in die Vereinigten Staaten unternommen uns mir zwei Monate lang alles Wissenswerte über Yachten und Segelboote eingepaukt habe. Ich verstehe mich mit den Ronaldsons glänzend. Wenn das Ding gedreht ist, werde ich an Bord bleiben und Mr. Ronaldson beistehen. Keine Angst - ich habe kein Vorstrafenregister, und ich habe auch nicht die Absicht, eine Dummheit zu machen. Es hat mich eine Menge Geld gekostet, mir Zutritt an Bord zu verschaffen, das könnt ihr mir glauben. Auch die für uns wichtigen Informationen - der Plan des Schiffes, die Gewohnheiten der Besatzung und der Ronaldsons - haben eine Stange Geld gekostet.« Er bückte sich und zog aus seiner Aktentasche ein Bündel Blätter. »Die Juwelen sind in dem einzigen Safe an Bord aufbewahrt. In einem kleinen Salon hinter den Kapitänsräumen auf dem Brückendeck. Es ist Ronaldsons Privatsalon, der stets verschlossen ist, wenn er sich nicht darin aufhält. Das Türschloss wird keine Schwierigkeiten machen, es ist ein ganz einfaches Schloss. Wir können uns darauf verlassen, dass sich die Juwelen in dem Safe befinden, da die Versicherung es zur Bedingung gemacht hat, dass sie dort aufbewahrt werden, wenn Julia Ronaldson sie nicht gerade trägt.

Noch einmal der Safe. Er ist klein, aber stabil. Fabrikat Gall. Hier beginnt Ihre Arbeit, Con. Er muss geknackt werden. Das muss so geräuschlos wie möglich vor sich gehen, und Sie müssen gleich beim ersten Mal Erfolg haben. Wir können es uns nicht leisten, dass die Leute aufgeweckt werden, sonst haben wir keine Chance, ungeschoren davonzukommen. Mit dem Kapitän müssen wir allerdings rechnen, da er die Räume nebenan bewohnt. Notfalls müssen wir ihn für eine Weile zum Schweigen bringen.«

»Und wie gelange ich an Bord? Was ist mit der Mannschaft? Ich vermute, dass in der Nacht ein Wachgänger aufpasst.«

»Ein Mann«, erwiderte Russell. »Um den kümmere ich mich. Ich gebe ihm eins über den Kopf, dann wird er uns für die nächsten Stunden in Ruhe lassen. Anschließend werfe ich eine Strickleiter über die Bordwand und gehe in meine Kabine zurück. Dan Travers wird euch mit einem Boot zur Yacht bringen. Ihr werdet von hier aus den Firth überqueren und gegen vier Uhr morgens ankommen. Flick und Jacko fahren mit. Jackos Aufgabe wird es sein, die beiden an Bord befindlichen Motorboote untauglich zu machen, damit keine Chance besteht, dass man euch verfolgen kann. Flicks Aufgabe besteht darin, sich um den Kapitän zu kümmern und um jeden anderen, der euch bei der Arbeit stören sollte.«

Jetzt protestierte Dan Travers. »Und wo bekommen wir ein Boot her? Man kann doch nicht einfach ein Boot klauen, so wie man ein Auto klaut. Außerdem wird es gewaltigen Krach machen, wenn man mitten in der Nacht mit einem Motorboot angebraust kommt.«

»Ich pflichte Ihnen in beiden Punkten bei, aber auch in dieser Hinsicht ist in jeder Weise Vorsorge getroffen. Vor etwa drei Monaten hat ein Mr. Johnston ein altes, aber ungemein schnelles Zwölfmeterboot gekauft. Es liegt an einem Pier ganz in der Nähe und ist fahrbereit. Dieser Mr. Johnston befindet sich im Augenblick bei Freunden in London und weiß von gar nichts. Es wird ein schwerer Schock für ihn sein, wenn er hört, dass sein Boot gestohlen worden ist. Dan wird so nahe, wie es bei dem Motorengeräusch möglich ist, an die Kakadu heranfahren. Dann steigt ihr in ein kleines Schlauchboot über. Wenn der Job erledigt ist, kommt das Motorboot zur Yacht und holt euch ab - dann geht es mit Volldampf weg.« Russells Finger glitt über die Karte. »Im Schutz der Dunkelheit fahrt ihr den Firth hinauf. Ihr verlasst das Boot an diesem Punkt.« Er tippte auf eine Landzunge, die ich viele Meilen vom Ankerplatz entfernt befand. »Hier wartet Harry mit dem Ford auf euch. Jacko übernimmt das Steuer. Ihr fahrt nordwärts in die Berge. Jacko setzt Con, Dan und Flick ab und fährt mit Harry weiter in nordöstlicher Richtung nach Aberdeen. Dort läuft um elf Uhr ein holländischer Frachter aus. Es sind zweihundert Meilen zu fahren, aber. Jacko kann das schaffen. Der Kapitän des Schiffes hat eine nette Summe bekommen und wird Harry ungesehen an Bord und in Holland auf die gleiche Weise von Bord schmuggeln.«

»Ich habe eine Menge Verbindungen in Holland«, warf Harry, der ehemalige Juwelier ein. »Ich kenne mich im Juwelenhandel aus. Innerhalb weniger Tage habe ich die Steine so verändert, dass sie selbst der Eigentümer nicht wiedererkennt. Anschließend verkaufe ich sie zum Höchstpreis und komme zurück.«

»Hm, und was wird aus uns? Was machen wir, wenn die Polente inzwischen munter geworden ist?« McKellar, die Schlägertype, hatte zum ersten Mal seinen Mund aufgetan. Eine steile Falte stand auf seiner Stirn und ließ die Narbe deutlich hervortreten. »Harry wird schön im trockenen sitzen, aber wir?«

Er brach plötzlich ab, als sei ihm dieser Ausbruch peinlich, und zündete sich an der Kippe seiner alten eine neue Zigarette an.

»Die Frage ist berechtigt«, ergriff Russell das Wort. »Ich wollte ohnehin gerade darauf zu sprechen kommen. Sie, Con und der Seemann werden in einem kleinen Häuschen abgesetzt, das ich in einer völlig einsamen Gegend gemietet habe. Meilenweit ist dort kein Mensch anzutreffen. Sie können beruhigt dort unterschlüpfen. Jacko wird zu Ihnen stoßen, sobald er kann. Natürlich ist die Gegend dort still wie ein Grab, aber es gibt eine Menge Schnaps, reichlich zu essen, und auch für Bücher und Radio ist gesorgt. Fernsehen ist allerdings nicht möglich.« Er lächelte. »Aber ihr könnt ja zum Zeitvertreib pokern. Schließlich werdet ihr euch hohe Einsätze leisten können.«

Russell beglückwünschte sich dazu, wie leicht er jede Opposition aus dem Weg zu räumen verstand. Aber schon im nächsten Augenblick kam eine schwere Breitseite.

»Und was ist mit Ihnen, Mr. Russell? Was machen Sie in der Zeit, in der wir uns verkriechen? Wer könnte Sie daran hindern, ebenfalls nach Holland zu fahren und dort mit Freund Harry die Beute zu teilen?« McBride lehnte an der Wand, das leere Glas in der Hand. Er hörte, wie jemand tief Luft holte - es gab also noch jemand, dem der gleiche Gedanke gekommen war.

»Ich muss natürlich auf der Yacht bleiben, Con. Zumindest die ersten Tage, bis die vorläufigen Ermittlungen der Polizei vorüber sind. Später treffe ich mich dann mit euch. Ihr müsst begreifen, dass ich nicht sofort weglaufen kann. Das würde Verdacht erregen.« Russell blickte McBride fest an. »Welche Sicherheit ich euch bieten kann? Ich fürchte, lediglich mein Wort. Aber ich werde nicht durchbrennen. War Larry Finch nicht ein Freund von Ihnen, Con?«

Der Geldschrankknacker blickte betroffen auf. »Ja, vor einem Jahr wurde er von einem Bus überfahren und getötet.«

»Und seine Frau? Seine Kinder?«

McBride nickte. »Maisy sehe ich ab und zu.«

»Dann werden Sie auch wissen, dass sie keine Not leidet. Sie bekam das Geld für den Job, den ihr Mann zuletzt erledigt hatte. Es handelte sich da um einen Tresor in einer Bank in Hammersmith. Larry hat für mich gearbeitet, Con. Ich habe seine Witwe nicht im Stich gelassen. Und nun nehmen Sie Larrys Platz bei mir ein. Von Larry erfuhr ich überhaupt erst von Ihnen. Ihr müsst euch folgendes merken: Ich werde jeden übers Ohr hauen, wenn es in meine Pläne passt, jeden! Aber nicht die Leute, die für mich arbeiten.« Jede Spur von Misstrauen war aus McBrides Gesicht gewichen. »Dann bin ich dabei! Was Sie mir eben erzählt haben - davon wissen kaum ein Dutzend Leute. Ich vertraue Ihnen.«

Nach wenigen Sekunden des Zögerns kam auch die gemurmelte Zustimmung der anderen.

Russells Gesicht hellte sich merklich auf.

»Dann können wir uns also jetzt den Einzelheiten zuwenden. Ich habe hier die Pläne der Yacht und einen genauen Zeitplan. Alles ist bis in die letzte Einzelheit ausgearbeitet. Die ganze Angelegenheit wird lautlos und glatt erledigt werden, und in einem Monat können wir alle die Sonne Monte Carlos genießen,«

»Mir genügt Blackpool«, brummte Flick. »Sagen Sie mir, wen ich zusammenschlagen muss und wann, und der Fall ist für mich erledigt.«

»Sagen Sie mir lieber erst mal, wie es um den Safe steht«, mischte McBride sich ein. »Kombinationsschloss, oder wird er mit einem Schlüssel geöffnet?«

»Schlüssel«, erwiderte Russell.

Der Geldschrankknacker nickte zufrieden. »Das vereinfacht die Sache. Ein Kombinationsschloss macht nämlich erhebliche Schwierigkeiten. Man muss die Wählscheibe mit dem Stemmeisen herauswuchten und die darunterliegende Spindel freilegen, dann muss man etwas Suppe - Nitroglyzerin - nehmen, um die Spindel herauszusprengen, und anschließend braucht man noch einmal Nitroglyzerin, um das Schloss aufzusprengen. Wird der Safe jedoch mit einem Schlüssel geöffnet, kann man sofort das Schloss heraussprengen.«

»Es muss gleich beim ersten Versuch klappen«, mahnte Russell. »Kann man das geräuschlos machen?«

»Das bereitet mir noch Kopfzerbrechen«, gab McBride zu. »In einem Haus würde ich einen Geldschrank sprengen, ohne die Leute im Nebenzimmer aufzuwecken. Aber auf einem Schiff...! Es könnte möglicherweise so klingen, als ob jemand mit einem Hammer auf einen Gong schlüge. Aber Moment - wie ist der Safe denn befestigt? Ist er in der Wand verankert? Und wissen Sie genau, dass es sich um ein Gall-Fabrikat handelt?«

»Ich habe ihn selbst gesehen«, erwiderte Russell. »Ronaldson hat mich ein paarmal zu einem Drink in sein privates Reich eingeladen. Der Safe steht auf einem Sockel, der mit dem Deck verschraubt ist. Warum?«

»Kann man an die Rückwand gelangen?«

Russell dachte einen Augenblick nach. »Ja, das dürfte möglich sein. Er steht allerdings ziemlich dicht an der Wand.«

»Dann habe ich eine bessere Idee. Vielleicht lässt sie sich durchführen. Können Sie mir eine Gipsschere besorgen? Sie wissen schon, diese Dinger, mit denen man im Krankenhaus Gipsverbände aufschneidet.«

Russell nickte verblüfft.            

»Gut. Ich habe es zwar schon lange nicht mehr versucht, aber ich habe auf diese Art schon zwei leichtere Safes geöffnet. Man bohrt in die Rückwand ein Loch, schiebt die Schere ein and kann nun die Rückwand aufreißen. Es ist erstaunlich, wie leicht man dickes Metall auf diese Weise entzwei bekommt, außerdem ist das dabei entstehende Geräusch minimal. Natürlich dauert es etwas länger als die andere Methode, und wenn es mit der Schere nicht klappt, muss ich auf jeden Fall sprengen. Aber ein Versuch würde sich meines Erachtens bestimmt lohnen.«

»Sie bekommen Ihre Schere«, versprach Russell. »Die einzige Person, die sich in der Nähe befinden wird, ist der Kapitän. Falls er aufwachen sollte, kümmert sich Flick um ihn. Schnell und leise, verstanden, Flick? Und jetzt wollen wir uns noch einmal den Zeitplan ansehen. Jeder muss genau wissen, was er zu tun hat. Und den Plan der Yacht werdet ihr euch so gründlich einprägen, dass ihr euch in stockdunkler Nacht dort zurechtfinden könnt.«

Die sechs Männer drängten sich jetzt um den Tisch und schwatzten wie Schulbuben durcheinander. Die Nervenanspannung hatte sich gelöst. Gewiss, es gab Risiken - mehr als genug. Aber immerhin schienen die Chancen gut ausgewogen, und mehr verlangten sie nicht.

Selten wohl waren sie derart intensiv gedrillt worden wie hier. Und als alles restlos klar schien, examinierte Russell jeden einzelnen erbarmungslos.

»Eins haben Sie noch nicht berücksichtigt«, gab Dan Travers zu bedenken. »Das Wetter! Was soll werden, wenn die See rau ist? Um diese Jahreszeit ist das Wetter nicht besonders günstig. Wenn Sturm aufkommt?«

»Das gehört zu den Risiken, die wir eingehen müssen«, meinte Russell achselzuckend. »Wir haben abnehmenden Mond, es wird also ziemlich dunkel sein. Wenn der Himmel bedeckt ist oder es gar regnet - umso besser!«

»Als ich das letzte Mal im Urlaub in Dunoon war, hat es überhaupt nicht aufgehört zu regnen«, brummte McKellar. »Ich bin kein guter Seemann. Wer soll eigentlich dieses Schlauchboot paddeln?«

»Sie und Jacko«, erwiderte Russell lächelnd. »Wenn die See zu grob ist, müssen wir das Unternehmen abblasen und auf eine andere Nacht verschieben. Unsere Chancen würden damit aber beträchtlich sinken. Der Ball findet bereits in fünf Tagen statt. Am günstigsten ist die Nacht davor. Wenn es da nicht klappen sollte, bleiben uns nur noch die wenigen Tage, bis die Ronaldsons in Richtung Mittelmeer abdampfen.«

Gegen zehn Uhr verabschiedete Russell sich. Als er sich schon zum Gehen gewandt hatte, blieb er noch einmal stehen und zog die Brieftasche heraus. Er entnahm ihr einen zusammengefalteten Zeitungsausschnitt.    

»Seht euch das gut an«, sagte er zu den Zurückbleibenden. »Es wird euch bestimmt nicht schaden, den Schmuck einmal in aller Ruhe zu betrachten. Eine Beschreibung steht darunter.«

Er winkte noch einmal zurück und ging hinaus zu seinem Jaguar. Wenige Sekunden später sprang der Motor an, und der Wagen glitt mit sanftem Surren davon.

Con hatte der großen schlanken Gestalt in dem schweren Mantel nachgeschaut. Als er sich umblickte, fand er Jacko neben sich.

»Na, was hältst du davon?«, fragte der kleine Chauffeur. »Scheint in Ordnung zu sein, wie? Aber ein komischer Kauz ist er trotzdem.«

»Es dürfte klappen, Jacko. Ich hoffe nur, dass alle Daten seines Planes stimmen. Ich habe aber den Eindruck, dass er sehr gründlich ist. Komm, wir wollen sehen, ob der dicke Harry noch einen Drink herausrückt. Und dann will ich mich aufs Ohr hauen. In der Bahn habe ich kaum ein Auge zugemacht.

Er blickte auf den Zeitungsausschnitt in Jackos Hand. »Gib mal her, wie sieht das Zeug denn aus?«

Er pfiff durch die Zähne, als er den Artikel gelesen und das Bild betrachtet hatte.

»Dieses Kollier und die Ringe! Und wie ihr das Zeug steht! Es würde mir nichts ausmachen, sie auch gleich mitzunehmen!«

 

John Russell fuhr in zuversichtlicher Stimmung nach Glasgow. Er hatte den Ronaldsons erklärt, geschäftlich in der Stadt zu tun zu haben, und er hatte sich auch tatsächlich im Central Hotel ein Zimmer für die Nacht genommen. Am Morgen würde er dann nach Dunoon und zur Kakadu zurückfahren.

McBrides Idee, statt Nitroglyzerin eine Gipsschere zu nehmen, war gut. Trotzdem war Russell entschlossen, notfalls den Safe sprengen zu lassen, gleichgültig, wieviel Lärm es machen würde. Und wenn nötig, würde er helfen, seinen Mitarbeitern gewaltsam einen Weg zurück von der Yacht zu bahnen.

Er spürte den harten Druck der Pistole, die über seinem Hemd im Schulterhalfter steckte. Russell hatte noch nie einen Zivilisten umgebracht - das war bisher nie nötig gewesen. Gewiss, im Kriege hatte er Menschen getötet, aber er hatte schon bald herausgefunden, dass es viel amüsanter war, überflüssiges Heeresgut an die hungernde Bevölkerung der befreiten Gebiete zu verscheuern. Wenn er Flick McKellar eine Waffe überließ, würde der vielleicht aus purem Vergnügen herumballern.

Ein Geschäftsmann wie ich, dachte Russell, darf Gewalt nur dann anwenden, wenn es sich lohnt. Wenn ich den auf Wache befindlichen Matrosen niederschlage, so schaut ein Profit für mich heraus. Auch der Kapitän muss wahrscheinlich mundtot gemacht werden. Und damit muss Schluss sein! Aber um sicherzugehen, mag es vielleicht ganz zweckmäßig sein, noch eine zweite Pistole in Reserve zu haben. Jacko...? Ja, der wäre der richtige Mann dafür. Er hat einen kühlen Kopf und ist Berufsverbrecher.

Am nächsten Morgen würde er Harry von seinem Entschluss in Kenntnis setzen. Damit war für Russell dieses Problem erledigt, und er fuhr in blendender Laune die fünfundzwanzig Meilen nach Glasgow hinüber.

 

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Das Leben an Bord der Luxusjacht Kakadu war wundervoll. Der achtundvierzig Meter lange stählerne Rumpf der Yacht barg jeden Komfort, den Geld und der beschränkte Raum bieten konnten. Die Kabinen waren mit Klimaanlagen und dicken Teppichen ausgestattet. Es gab einen gemütlichen Salon, ganz in Hellgrün gehalten, mit bequemen Sesseln und Sitzbänken. Daneben lag der Gesellschaftsraum, in dem man fernsehen oder sich Filme vorführen lassen konnte.

Im Speisesaal war der große Eichentisch für zwölf Personen gedeckt. In der Kombüse waren die beiden Köche und zwei Stewards noch mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt. Abgesehen von den frischen Lieferungen, die heute im Laufe des Tages vom Land gekommen waren, standen ihnen die mit allen erdenklichen Delikatessen gefüllten Vorratsräume zur Verfügung. In einem großen Behälter lagerten die köstlichsten Weine.

John Russell hatte sich in seiner Kabine frischgemacht. Jetzt nahm er ein weißes, gestärktes Oberhemd aus dem Nussbaumschrank. Er zog das graue Wollhemd aus, das er tagsüber getragen hatte, und schloss den elektrischen Rasierapparat an. Ohne Eile begann er sich vor dem Spiegel zu rasieren. Vorsichtig fuhr er an seinem gepflegten Bärtchen entlang und beobachtete, wie die schwarzen Stoppeln an seinem Kinn verschwanden.

Vor dem Bullauge waren die blauen Vorhänge zugezogen. Sie sperrten die Dunkelheit aus, die nur von dem regelmäßig aufblitzenden Strahl des Leuchtturms von Cloch unterbrochen wurde. Jenseits des Wassers, auf der anderen Seite des Firth, blinkten ein paar erleuchtete Fenster herüber.

Als Russell den Rasierapparat ausschaltete, spürte er das leichte Schaukeln des Schiffes, und seine Stimmung stieg. Das kaum wahrnehmbare sanfte Wiegen bewies, dass die See ruhig war. Wenn das Wetter nur einige Stunden anhielt, war bereits ein wichtiger Teil seines Unternehmens als geglückt anzusehen.

Russell schlüpfte in das frische Hemd, wählte eine Krawatte aus und band mit geschickten Fingern einen perfekten Knoten.

Er hatte nicht immer blütenweiße Hemden getragen. An die Schulzeit erinnerte er sich noch gern. Sein Vater, ein Architekt, war stolz auf die Ordnungsliebe und Gründlichkeit seines Sohnes gewesen. Als Russell jedoch während seiner Universitätsjahre neben dieser Ordnungsliebe auch noch die Vorliebe bewies, die Unterschrift eines Freundes auf Schecks nachzuahmen, hatte sein Vater den Schaden ersetzt lind dafür gesorgt, dass die Sache vertuscht wurde. Als sich ein Jahr später die Geschichte wiederholte, bezahlte der Vater zwar noch einmal den Schaden, händigte dem Sohn jedoch hundert Pfund aus, mit dem Hinweis, dass er nun nichts weiter von ihm zu erwarten habe, und warf ihn in hohem Bogen hinaus.

Die nächsten drei Jahre waren übel gewesen. Russell hatte es zwar immer fertiggebracht, nicht mit dem Gefängnis Bekanntschaft zu machen - vermutlich dank seiner Gewohnheit, seine Machenschaften stets bis in die letzte Kleinigkeit zu durchdenken. Er musste jedoch in billigen Pensionen leben, besaß nur einen einzigen Anzug, und sein Mantel befand sich meistens im Pfandhaus. Dann kam der zweite Weltkrieg und veränderte seine Situation grundlegend.

Als er eingezogen wurde, erwies sich die gesammelte Erfahrung als sehr nützlich. Er verbrachte einige Zeit im Nahen Osten, gab ein kurzes Zwischenspiel in der Cyrenaica und fand schließlich einen schönen, ruhigen Druckposten in einem Depot in der Suezkanalzone. Inzwischen hatte er längst gelernt, wie man bequem in die eigene Tasche wirtschaften kann, und sein neuer Posten gab ihm Gelegenheit, in größerem Stil zu operieren. Bevor er infolge einer Lagerrevision ins Ersatzbataillon nach England versetzt würde, hatte er bereits mit Benzin, Autoreifen und Radioersatzteilen ein kleines Vermögen gemacht, das noch bedeutend größer hätte sein können, wenn er nicht so oft zu einer Vergnügungstour nach Kairo gefahren wäre.

Als die Invasion begann, bestand großer Mangel an Offizieren. Russell, zum Captain befördert, sah sich schon bald wiederum als Herr über Nachschubgüter aller Art. Als er schließlich aus der Armee entlassen wurde, war aus dem armen Habenichts ein solider Bürger mit einem netten Bankkonto geworden.

Er eröffnete seine Handelsagentur. Nicht alle Geschäfte, die er mit seinen Freunden aus dem Krieg in Europa tätigte, waren der Industrie- und Handelskammer bekannt. Eines Abends traf er Harry Vogt wieder. Vogt hatte Russell in Ägypten mit Begeisterung bei seinen Machenschaften unterstützt. Zu dem Zeitpunkt, da sie sich wiederbegegneten, suchte Harry Vogt gerade einen Komplizen bei einer kleineren Juwelenschiebung. Russell stieg in das Geschäft ein und weitete es noch beträchtlich aus. Von diesem Augenblick an war die Handelsagentur nur noch eine Tarnung für allerlei ungesetzliche Machenschaften, die vom Versicherungsbetrug über Schwarzmarktgeschäfte bis zum Raubüberfall reichten.

Gearbeitet wurde immer nach dem gleichen Schema: Der Coup war wohlüberlegt, wurde sorgfältig geplant und mit größtem Geschick durchgeführt, und dann folgte, bevor das nächste Unternehmen gestartet wurde, eine lange Pause. In diesen Pausen frönte Russell seiner Vorliebe für ein luxuriöses Leben.

Heute Nacht sollte der größte Coup seines Lebens über die Bühne gehen. Russell presste die Stirn gegen das kühle Glas des Bullauges und starrte hinaus in die schwarze Nacht. Irgendwo drüben, jenseits des Wassers, warteten jetzt Harry, Con McBride und die anderen. Diese letzten Stunden vor dem Losschlagen würden ihnen mehr als lang erscheinen.

Russell wandte sich vom Bullauge ab und schlüpfte in sein Jackett, als das Telefon leise summte. Er nahm den Elfenbeinhörer ab.

»John...? Hier Dwyatt. Wie wäre es mit einem Drink vor dem Dinner? Ich bin in meinem Privatsalon. Möchte Ihnen mal was ganz Besonderes zeigen.«

»Ich bin gleich bei Ihnen«, sagte Russell erfreut. Jetzt würde er Gelegenheit haben, noch einen letzten Blick auf den Safe zu werfen, bevor McBride sich seiner mit geschickten Händen annahm.

Er verließ seine Kabine und schritt den breiten Gang entlang. Fröhlich winkte er einem älteren Herrn zu, der gerade seine Kabine betreten wollte. Nicholas Malahne, ein amerikanischer Theaterregisseur und alter Freund von Julia Ronaldson, gehörte zu den acht Gästen, die zusammen mit Russell, den Ronaldsons und dem Kapitän die Tischrunde bilden würden.

Russell stieg die Treppe hinauf auf Deck und öffnete, einer plötzlichen Eingebung folgend, die Windfangtür zu seiner Rechten. Als er hinaus ins Freie trat, erschauerte er in der bitterkalten Nachtluft, die in scharfem Gegensatz zu den zentralgeheizten Innenräumen der Yacht stand. Die Kakadu lag ruhig vor Anker, etwa eine Viertelmeile vom Land entfernt. Die Lichter von Dunoon und den verschiedenen Küstendörfern glitzerten durch die Dunkelheit, der Himmel war schwarz und voller tiefhängender Wolken. Heute Nacht würde der Mond sicher nicht zum Vorschein kommen.

Russell ging zurück in die Wärme, schloss die Tür und schritt die nächste Treppe hinauf. Er befand sich jetzt auf dem höchsten Deck des Schiffes, nur die Kommandobrücke lag noch darüber. Er klopfte an die Tür vor sich. Sie war, wie die ganze Einrichtung der Yacht, aus Nussbaum. Sofort wurde die Tür einen Spalt geöffnet, und ein verlegen wirkendes Gesicht blickte heraus.

»Sie sind es, John - gut. Bitte kommen Sie schnell herein.«

Kaum war Russell im Salon, als auch schon die Tür hinter ihm geschlossen wurde.

»Erlösen Sie mich aus meiner Ungewissheit«, bat der Amerikaner. »Wie sehe ich aus?«

Ronaldson trug ein giftgrünes Tweedjackett und einen kurzen Kilt, der um seine schneeweißen Knie hing.

»Die Sachen sind erst heute Nachmittag gekommen«, gestand der verlegene Chef des Clans. »Ich trage dieses vermaledeite Zeug heute zum ersten Mal in meinem Leben. Julia bekam fast einen hysterischen Anfall, als sie mich eben sah. Ich habe mich hier eingeschlossen und mir Mut angetrunken, um mich endlich jemandem zu zeigen. Aber es durfte kein Schotte sein, falls irgendetwas falsch ist. Meine eigenen Angehörigen könnte der Schlag treffen. Aber Sie sind Engländer - also neutral. Was halten Sie davon?«

»Toll - ganz toll!«, sagte Russell. »Nur der Sporran muss meines Erachtens vorn getragen werden.« Die verzierte Tasche aus Seeotternfell hing traurig an der Seite.

»Ja, ich weiß, aber so-ist es viel bequemer«, erwiderte der Amerikaner. »Ehe ich mich öffentlich zeige, werde ich ihn nach vorn rücken. Fällt Ihnen sonst noch was auf?«

»Nicht, dass ich wüsste«, erklärte sein Gast. »Aber schieben Sie es bitte nicht mir in die Schuhe, wenn Sie vielleicht trotzdem ein Sakrileg begehen.«