Der Hufschmied und sein Dandy - Rose Lee Wayne - E-Book

Der Hufschmied und sein Dandy E-Book

Rose Lee Wayne

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Duke benimmt sich ganz und gar unadelig und der dandyhafte Sohn eines Earls rümpft über ihn die Nase. Aber was sich neckt, das liebt sich - oder?

Der verarmte William, Duke of Rosehurst, arbeitet als Stallmeister und Hufschmied für einen reichen Bürgerlichen und wird deshalb in Adelskreisen gemieden. Vom Standesdünkel der feinen Gesellschaft angewidert, ignoriert er die Briefe des Earls of Brook, dessen Lieblingsstute Carlotta dringend die Hilfe eines Pferdespezialisten benötigt. Brook schickt daraufhin seinen jüngsten Sohn Bennet als Vermittler nach Rosehurst Castle. Als Dandy und Feingeist hat Bennet Mühe, mit Williams bodenständiger Art zurechtzukommen. Die Blicke, die sich die Männer zuwerfen, sind feurig und verlangend. Wenn sie sich nur nicht ständig angiften und provozieren würden, sobald sie miteinander reden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Rose Lee Wayne

Der Hufschmied und sein Dandy

Illustrierte Ausgabe

Gestaltung des Covers:Norma Banzi Illustrationen:Norma Banzi Bildquellen:DepositphotosSims 4

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Social Media

Impressum

Inhalt

In dieser Regency Gay-Romance benimmt sich ein Duke ganz und gar unadelig und der dandyhafte Sohn eines Earls rümpft über ihn die Nase. Aber was sich neckt, das lieb sich – oder?

Eins

Müde reckte sich der junge Lord Bennet Brook im Sattel seiner Stute Moon und wedelte mit dem Hut sanft eine Biene fort, die um ihn herumschwirrte. Moons Schweif schlug in rhythmischen Abständen gegen seine Reitstiefel und Bennet seufzte. Er hätte doch besser die Kutsche nehmen sollen, in der ihm sein Leibdiener mit dem Gepäck folgte. Jetzt trat er womöglich mit staubigen Stiefeln vor den Amerikaner, David Beckham – ein reicher Bürgerlicher, der das Schloss eines Herzogs gemietet hatte. Wie peinlich für den Duke! Kein Wunder, dass der Duke of Rosehurst seit Jahren nicht mehr in London gesehen worden war. Niemand von Rang und Namen lud ihn noch zu einem Ball ein, oder wenigstens zu einer Soiree. Sein Stammhaus gegen einen monatlichen Obolus einem niederen Emporkömmling zu überlassen, der so weit unter dem eigenen Stand rangierte – skandalös!

Ein leichter Wind fuhr Bennet durch die kurzen, gewellten, blonden Haare. Weiße Blütenblätter der Apfelbäume, die den Weg säumten, fielen wie Schnee auf ihn herab. Ein Lächeln umspielte seine sinnlichen Lippen und für einen Moment fühlte er sich frei und unbeschwert wie in seiner frühen Kindheit, als er mit seinen Geschwistern in den Gärten des heimatlichen Landsitzes hatte herumtoben dürfen. Gleich darauf klopfte er die Blätter von sich ab. Einen modebewussten Gentleman zierte es nicht, wenn seine Reitkleidung damit verunstaltet wurde. Bennet setzte den Hut wieder auf und straffte sanft Moons Zügel, die daraufhin schnaubte, als wolle sie ihm bedeuten, dass sie noch mehr von dem saftigen Gras am Wegesrand zu fressen gedachte, aber ihm zuliebe darauf verzichtete. Bennet schnalzte mit der Zunge und Moon zuckelte im Schritttempo los. Sein Allerwertester schmerzte schon genug von der langen Reise aus Brook Manor und Bennet war deshalb froh über Moons geschmeidige Bewegungen. Er hatte Rosehurst noch nie einen Besuch abgestattet und fragte sich, ob das Anwesen einen Rosengarten besaß, nach dem das Schloss benannt worden war. Wenn man die vielen Apfelbäume in Betracht zog, müsste der Landsitz eher Applehurst heißen. Freilich hörte sich Duke of Rosehurst nobler an als Duke of Applehurst. Ein unziemliches Kichern entrang sich Bennets Kehle. Er ließ dem Impuls freien Lauf, da nur Moon Zeugin des Fauxpas‘ wurde. Als hätte sie seine Gedanken vernommen, schnaubte sie und Bennet tätschelte ihr den Hals. „Du bekommst gleich etwas zu saufen, meine Allerbeste.“

Bennet ritt noch etwa eine Viertelstunde, bis die gewundene Straße endete und den Blick auf Rosehurst Castle und den davor liegenden, gepflegten Gärten freigab. Am Gemäuer rankten jedenfalls keine Rosen, stellte Bennet fest.

„Also doch Applehurst“, sagte er amüsiert zu Moon, die nunmehr zu traben begann, als schnupperte sie schon ihr Heu. Vielleicht lagerte die Küche auch noch ein paar Körbe Äpfel aus dem Vorjahr im Keller und es gelang ihm, heimlich einen zu stibitzen, um Moon für den Ritt zu danken. Ein weiteres Viertelstündchen später erreichte Bennet den imposanten Vordereingang des Schlosses. Dort erwarteten ihn bereits der Butler und ein Stallbursche, als hätte jemand nach ihm Ausschau gehalten und die beiden benachrichtigt, damit sie Bennet angemessen empfingen. Bedachte man, dass er rechtzeitig den Tag seiner Ankunft brieflich angekündigt hatte, gehörte es allerdings auch zum Mindestmaß an Gastlichkeit.

„Lord Bennet Brook, nehme ich an?“, erkundigte sich der Butler mit einer leichten Verbeugung, nachdem Bennet vom Pferd gestiegen war und dem Stallburschen die Zügel überreicht hatte.

„Gib ihr gleich etwas zu trinken, Bursche, und reib sie gut ab. Ihr Name ist übrigens Moon.“

Der Knecht nuschelte ein Wort, das nach Zustimmung klang, und schlenderte mit dem Pferd von dannen. Bennet sah ihm prüfend hinterher, ob er sich Moon gegenüber achtlos oder ruppig verhielt, aber als er ihr liebevoll über den Hals strich und ihr ins Ohr flüsterte, wusste Bennet sein Lieblingspferd in guten Händen. Freilich war Duke William of Rosehurst in ganz England als Mann bekannt, der sich wie kaum ein anderer darauf verstand, das Wesen der Pferde zu interpretieren und für seine Pferdezucht zu nutzen. So einer duldete sicher nur fähiges Personal in der Nähe der Tiere. Das mochte auch der Grund sein, weshalb der Stallbursche, der einige Jahre älter als Bennet zu sein schien, vergleichsweise gute Kleidung trug und ihm die Unterwürfigkeit fehlte, die Bennet von dem Gesinde auf Brook Manor gewohnt war. Selbstbewusstes Personal – Du lieber Himmel; Bennet fragte sich, mit was er auf Rosehurst Castle noch alles konfrontiert wurde.

Zu schade, dass der Duke of Rosehurst nun selbst keine Pferde mehr besaß und sie an David Beckham hatte verkaufen müssen. Für diesen stellte er nunmehr sein Geschick als Stall- und Zuchtmeister zur Verfügung. Höflicherweise wurde in der Gesellschaft nicht diskutiert, dass er dafür wahrscheinlich ein Entgelt bezog. Herzöge investierten vielleicht in Wertpapiere oder Fabriken und ließen ihre Ländereien von Pächtern bewirtschaften. Aber sich vorzustellen, ein so hochwohlgeborener Gentleman könnte arbeiten – skandalös!

Steif und kerzengerade stehend blickte der Butler Bennet an und wartete sichtlich auf dessen Antwort. Also nickte ihm Bennet knapp zu.

„Willkommen auf Rosehurst Castle, Lord Bennet. Ich bin Gavin. Ich vermute, Ihr möchtet Euch erst frisch machen, bevor Mr. Beckham Euch empfängt?“

„Sie nehmen richtig an, Gavin. Bitte schicken Sie mir einen Diener, der mir zur Hand geht, bis mein eigener Mann eintrifft.“

„Selbstverständlich, Lord Brook.“

Die Suite, in die Bennet geführt wurde, stellte ihn zufrieden und das Wasser im Krug war erfreulicherweise erwärmt. Bennet entledigte sich der Reitjacke, streifte das Hemd und die Krawatte ab und wusch sich Hände, Gesicht und Oberkörper. Derweil schlüpfte ein Diener in den Raum, sammelte die abgelegten Kleidungsstücke auf und entfernte sich wieder. Auf dem Waschtisch fand Bennet ein duftendes Körperpuder und rieb davon etwas unter seine Achseln. Ein Kamm bot ihm die Möglichkeit, sich die Apfelblüten aus den Haaren zu entfernen und seine Frisur zu richten. Mit dem Handtuch um den Hals stellte er sich an eines der bodenlangen Fenster und schaute in den gepflegten Garten. Das Anwesen war eine Zierde, die Suite lichtdurchflutet und mit erlesenen Möbeln eingerichtet. Bedauerlicherweise zierte es nicht mehr einen hochwohlgeborenen Duke, sondern einen in die amerikanischen Kolonien ausgewandert Bürgerlichen, der dort ein Vermögen gemacht hatte und auf seine alten Tage nach England zurückgekehrt war. Es wurde sogar geflüstert, dass David Beckham ein Jude sei, aber da er regelmäßig den Gottesdienst der örtlichen Church of England besuchte, hielt Bennet das für ein Gerücht.

Der Diener kehrte mit den Kleidungsstücken über dem Arm zurück, die er vom Staub befreit hatte. Gegen den Schweiß der Reise im Hemd konnte Bennet derzeit nichts tun, aber der Diener hatte ein Lavendelwasser darauf gesprüht, wofür ihm Bennet mit einem knappen Nicken dankte. Mit dessen Unterstützung kleidete sich Bennet wieder an und während er sich sorgsam die seidene Krawatte um den Hals schlang, kniete sich der Diener vor ihn hin und wienerte ihm mit einem Lappen über die Reitstiefel. So erschöpft er vom Ritt auch war, bemerkte er doch das anziehende Antlitz des Mannes. Bennets Körper reagierte mit einem verräterischen Ziehen in den Lenden und er hoffte, dass der Diener den Ausrutscher höflich ignorierte.

Der jedoch schaute zu ihm hoch und ihm genau ins Gesicht – der Unverschämte! Funkelten seine Augen belustigt?

„Wünscht Ihr, dass ich Eure Hose noch mit einer Bürste abstaube, Mylord?“

Der freche Kerl ließ seine Hand beiläufig über die Innenseite von Bennets Schenkel nach oben fahren, hielt aber inne, bevor er einen intimeren Teil berührte.

„Ich wünsche es nicht“, meinte Bennet.

„Schade!“, wisperte der Vorwitzige und erhob sich so, dass seine Nase fast das streifte, was sich gerade so ungezogen und deutlich in der engen Reithose wölbte.

„Vielen Dank, du darfst dich jetzt entfernen!“

„Jederzeit zu Diensten, Mylord.“

Unbehaglich sah Bennet dem Mann nach, der zur Tür schlenderte und dabei mit den Hüften eine Winzigkeit zu provokant wippte. Als er endlich alleine im Raum war, strich er sich mit gespreizten Fingern durch die Haare und vernichtete so seine vorangegangen Bemühungen mit dem Kamm. Zu leicht wurde ein Gentleman mit speziellen erotischen Interessen das Opfer von erpresserischen Bediensteten. Er schämte sich seines Appetits auf Männer nicht, blieb aber stets vorsichtig bei der Auswahl derer, mit denen er intim wurde. Seine Liebhaber suchte er sich in erlesenen Kreisen, also hochwohlgeborene Mannsbilder, denen ihr Ruf genauso am Herzen lag, wie ihm der seine – Gentlemen, die aus ihrem Beisammensein lediglich sinnliche Vorteile ziehen wollten und keine finanziellen. Apropos Finanzen! Mit ihnen war es bei Bennet schlecht bestellt, seit ihm sein Vater die Bezüge gekürzt hatte. Einen dandyhaften Nichtsnutz hatte der Earl seinen Sohn geschimpft, der sein Geld in den Spielhallen und für modischen Schnickschnack verschwendete. Dabei gab Bennet kaum mehr Geld aus als seine Freunde.

Bennet seufzte. Gelang es ihm, den Duke dafür zu gewinnen, Vaters Lieblingspferd Carlotta zu behandeln, die sich seit einem verhängnisvollen Unfall nicht mehr reiten ließ, würde der Earl of Brook seinem Sohn wieder den vollen Zinsbetrag aus dessen Fondsvermögen zukommen lassen. Dass der Earl of Brook den Duke of Rosehurst vor Jahren dazu gezwungen hatte, den Familienschmuck zu verkaufen, weil er ihm keinen weiteren Zahlungsaufschub hatte gewähren wollen, trug indes wenig dazu bei, dass Bennet dem Gespräch mit dem Duke hoffnungsfroh und optimistisch entgegensah. Sofern dieser ihn überhaupt empfing. Mr. Beckham hatte in seinem letzten Schreiben allerdings versichert, dass der Duke derzeit auf Rosehurst weilte. Heimlich nannte Bennet ihn bei sich auch den schweigenden William, da dieser unhöflicherweise auf keinen der Briefe des Earls geantwortet hatte.

„Du mit deinem Engelsgesicht wirst ihn schon erweichen, Sohn“, hatte der Earl Bennet mit auf den Weg gegeben und ihm somit den Grund dafür kundgetan, weshalb er ausgerechnet seinen Jüngsten auf die heikle Mission schickte. In David Beckham hatten sie einen verständnisvollen Mann gefunden, der freundlicherweise die Bereitschaft signalisierte, zwischen den Parteien zu vermitteln. Beckham betrachtete die Sache vielleicht als Kurzweil, mit der er sich die Langeweile zu vertreiben gedachte. Oder er hoffte, durch die Gefälligkeit für den Earl von diesem zu einer Veranstaltung eingeladen zu werden, die ansonsten Personen mit Rang und Namen vorbehalten war. Ein Neureicher am Dinnertisch des Earls wäre freilich ein Novum, wenn auch kein gänzlich abwegiges. Für seine Pferde nahm der Earl auch einen Kratzer in seinem sonst makellosen Ruf in Kauf. Mit etwas Fantasie ließ sich ein möglicher Besuch von Mr. Beckham auf einer Feierlichkeit der Brooks den Persönlichkeiten von Einfluss, die den Ton angaben, schon ausreichend nachvollziehbar präsentieren und so ein Skandal vermeiden. Bennets ältester Bruder Gervais würde amüsiert sagen, dass ein bisschen Gerede das Salz in der Suppe darstellte und die Damen und Herren endlich wieder ein spannendes Thema hatten, über das sie miteinander hinter vorgehaltener Hand wisperten. Ihm, dem Kriegsheld, verzieh die Gesellschaft freilich auch den einen oder anderen Ausrutscher, da sie sein schlechtes Benehmen mit den Schmerzen entschuldigten, die er in seinem schlimmen Bein verspürte.

Ein letztes Mal strich sich Bennet über die Reitjacke, musterte den Glanz seiner Stiefel und trat aus der Suite in den Flur, wo der Diener auf ihn wartete.

„Mr. Beckham erwartet Euch zum Tee, Mylord.“

Zwei

Im Salon erhob sich Mr. Beckham von der cremefarbenen Récamiere, auf der er ruhte, als Bennet dort hineingeführt wurde. In der Hand hielt er ein Buch, das er auf einen runden, polierten Beistelltisch aus dunklem Edelholz ablegte. Ein herzliches Lächeln erhellte das markante Gesicht des Gastgebers. Bennet musterte Beckham mit Erstaunen, hatte er doch angenommen, einem sehr viel älteren Mann zu begegnen. Ohne die zahlreichen silbernen Strähnen, die das schwarze Haar durchzogen, und ohne die altmodische Kniebundhose, die Beckham trug, hätte Bennet sein Gegenüber vielleicht auf dreißig geschätzt. Heutzutage trug man doch nur noch auf Bällen oder förmlichen Abendveranstaltungen derartige Beinkleider. Beckham sah ja fast so aus, als hätte er sich am Kleiderschrank von Bennets Vater bedient. Innerlich schüttelte Bennet den Kopf. Allerdings musste er Beckham zugutehalten, dass dessen Garderobe hervorragend saß und aus erleseneren Stoffen gefertigt worden war, wie Bennet mit Kennerblick erkannte. Außerdem roch er angenehmer, stellte Bennet fest, als er sich dem Mann näherte – nicht nach Mottenkugeln wie der Earl, sondern nach frisch gewaschener Wäsche und einem herben Duftwasser, welches seine stattliche Erscheinung noch unterstrich.

„Mein lieber Lord Brook! Ich freue mich, Sie endlich einmal in meinem Haus willkommen heißen zu dürfen. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Anreise?“

Bennet zuckte innerlich zusammen, weil ein Bürgerlicher ihn lediglich siezte und ihm das für den Adel übliche Euch verweigerte. Freilich galt ein solches Benehmen mittlerweile als modern und er wurde immer häufiger damit konfrontiert. Vielleicht war es in Amerika sogar ganz normal und Mr. Beckham sah darin keinen Verstoß gegen die Etikette. Als Bittsteller schluckte man bedauerlicherweise die eine oder andere bittere Pille. Also schüttelte Bennet entschlossen seine Irritation darüber ab und verneigte sich leicht, so, als wolle er einen Mann von Adel begrüßen. Beckhams straffe Haltung und beeindruckende Körpergröße ließen kein geringeres Verhalten zu. Offensichtlich verstand sich Beckham doch einigermaßen auf Umgangsformen, denn er erwiderte die Geste förmlich korrekt.

„Lassen Sie uns den Tee am Fenster einnehmen. Meine Augen sind leider nicht mehr die besten und ich pflege meine geschätzten Gäste anzusehen, wenn ich mich mit ihnen unterhalte.“ Mit einer einladenden Bewegung seines Arms zeigte Beckham zu einem Tischlein, das aus demselben Holz gefertigt zu sein schien wie jenes, welches bei der Récamiere stand. Mit seiner überwiegend cremefarbenen Einrichtung und den weiß gestrichenen Wänden, ja selbst die Vertäfelung war weiß lackiert, wirkte der Raum fast schon ein wenig zu hell auf Bennet, der von Zuhause einen sehr viel dunkleren Einrichtungsstil gewöhnt war.

„Wie Sie wünschen, Mr. Beckham.“

„Nennen Sie mich Beckham oder Becks!“

„Becks?“

„Mein Spitzname auf Pembroke“, entgegnete Beckham und fast stolperte Bennet auf dem Weg zum Fenster vor Überraschung. Mr. David Beckham, ein Bürgerlicher, hatte auf dem ehrwürdigen College Pembroke in Cambridge studiert? Wie er es wohl geschafft hatte, dort ohne Rang und Namen einen Studienplatz zu ergattern? Beckham schien Bennets Gedankengänge zu ahnen, denn er bemerkte mit sichtlichem Amüsement in der Stimme: „Ich genoss als Sohn der Kurtisane eines Manns von Einfluss dessen Protektion, wenngleich er sich niemals offiziell zu mir bekannt hat. An Bildung und Geldzuwendungen fehlte es mir nie, gleichwohl an Anerkennung in den noblen Kreisen, von einigen engen Freunden einmal abgesehen. Nach der Universität entschloss ich mich, mein Glück in Übersee zu suchen. Ich hatte ein gutes Leben in den Kolonien, bis mich das Heimweh zurück nach England führte. Lord Rosehurst war so freundlich, mir sein Schloss zu vermieten. Sein Onkel Edward gehörte übrigens zu meinen Studienfreunden.“ Ein betrübter Schatten huschte über Beckhams Gesicht und man sah ihm nun sein wirkliches Alter an, weil seine zahlreichen Fältchen auffällig zu Tage traten. Solange er sein strahlendes Lächeln trug, das einen verzauberte, übersah man die Spuren der Jahre bei ihm unbewusst.

„Ich bin froh, dass ich ihm die Freundschaft, die er mir in unserer gemeinsamen Studienzeit hat angedeihen lassen, jetzt damit vergelten darf, dass ich Lord William in seiner misslichen Lage ein wenig unter die Arme greife.“

„Wie feinfühlig und generös von Ihnen, Mr. ... äh ... Becks. Ach - und nennen Sie mich bitte Lord Bennet. Mylord klingt immer so distanziert.“

„Sehr gerne, Lord Bennet.“

Die Männer ließen sich auf den mit Seide bezogenen Polstern der Stühle nieder und wie auf Stichwort erschien der Butler in Begleitung eines Dienstmädchens. Leise und zügig servierten sie den Tee und einen Apfelkuchen. Derweil erkundigte sich Becks nach den Einzelheiten der Reise und Bennet wollte wissen, ob Rosehurst eigene Bienenstöcke unterhielt – wegen der vielen Apfelbäume, deren Blüten ja irgendwie befruchtet werden mussten. Ganz und gar nicht, weil Bennet eine Schwäche für Honig hegte.

Der Kuchen mundete vorzüglich, der Tee war besser als der, der auf Brook Manor serviert wurde. Bennet lobte die Bewirtung enthusiastisch und hielt den Zeitpunkt jetzt für richtig, den Apfel für Moon zu organisieren. Sich an seine Mutter erinnernd, die fuchsteufelswild wurde, wenn einer der Hausgäste einfach so in die Küche spazierte, um herrisch etwas aus der Vorratskammer zu fordern, wollte Bennet lieber höflich danach fragen.

„Darf ich mir eine Spende aus der Küche erbitten?“

„Aber natürlich, mein junger Freund.“

Bennet stutzte für einen Moment ob der von Becks leichthin dahergesagten Bezeichnung Freund, entschied aber bei sich, dass er sich damit arrangieren konnte, da, wie er nunmehr vermutete, in Mr. Beckham adeliges Blut floss. Bennets Vater, der Earl of Brook, hätte sie wahrscheinlich aufgrund der allzu saloppen Art gegenüber einem Hochwohlgeborenen deutlich und mit einer verbalen Rüge missbilligt. Immerhin war Bennet auf das Wohlwollen von Beckham angewiesen. Da legte er besser nicht jedes Wort auf die Goldwaage.

„Ich getrachte, meiner treuen Stute Moon einen Apfel für den Ritt hierher zu spendieren und hoffe, dass mir Ihre Küche mit einem solchen auszuhelfen vermag.“

„Aber natürlich. Das ist eine bezaubernde Idee. Vielleicht treffen Sie bei den Ställen auf William. In einer weniger förmlichen Umgebung reagiert er möglicherweise aufgeschlossener auf Ihr Anliegen. Welchen Aufgaben wollte er sich doch heute gleich widmen? Lassen Sie mich nachdenken. Ach ja, Sie finden ihn wahrscheinlich in der Schmiede.“

„Die Schmiede im Dorf?“, wunderte sich Bennet und runzelte die Stirn, weil er nach seiner langen Anreise wenig Lust hatte, noch ins Dorf zu marschieren. Allzu weit entfernt lag es nicht, vielleicht eine knappe Stunde Fußweg. Auf dem Weg zu Rosehurst Castle hatte er es passiert. Ein Edelmann schlurfte allerdings nicht wie ein Gemeiner zu Fuß in die nächste Ortschaft und sein Derrière hatte heute schon genug vom Sattel zu spüren bekommen. Außerdem benötigte Moon Ruhe. Gerade überlegte Bennet eine höfliche Ausrede, weshalb er doch lieber auf Rosehurst blieb, statt Lord William sofort zu treffen, als Becks ihm beruhigend die Hand tätschelte.

„Nein, nein, keine Sorge, Lord Bennet. Niemals würde ich einen Gast am Anreisetag zu einem weiteren Ausritt animieren. Wir besitzen eine eigene kleine Schmiede, die eingerichtet wurde, damit der Hufschmied hier sein Handwerk verrichtet und wir die Pferde nicht extra zu ihm bringen müssen.“

„Wie ungewöhnlich“, murmelte Bennet.

Becks lächelte, hob die Klingel vom Tisch und läutete. Kurze Zeit später traf der Butler ein und fragte nach seinem Begehr.

xxx

Derselbe Bedienstete wie zuvor geleitete Bennet zu den Stallungen. Auf dem Weg dorthin sah Bennet gerade seinen Leibdiener Jon die beiden Braunen zügeln, die vor das Fuhrwerk mit dem Gepäck gespannt waren. Dem Himmel sei Dank, dass es eingetroffen war und Bennet zum Abendessen frische Kleidung zur Verfügung stand.

Ungefragt begann der Diener über die Gärten des Anwesens zu referieren. Da der Weg zu den Stallungen dadurch kurzweiliger wurde, ließ Bennet ihn reden und gebot ihm keinen Einhalt. Fast lag ihm auf der Zunge, den attraktiven Frechling nach dessen Namen zu fragen, was den aber wahrscheinlich bewogen hätte, sich in seiner vorwitzigen Art bestätigt zu sehen. Besser, er ließ erst einmal Jon das delikate Terrain erkunden. Jon hatte ein Gespür dafür, wer von der Dienerschaft eine Klatschbase war und wer sich der Diskretion befleißigte. Jon und Bennet standen auf freundschaftlichem Fuße, soweit das zwischen einem Noblen und einem Gemeinen möglich war. So wusste Jon, in welchen Betten sich Bennet gerne wälzte und welche Gesellschaft er darin bevorzugte. Wenn sich in den Sommermonaten auf dem Land keine Gelegenheit für ein Schäferstündchen ergab, half Jon seinem Herrn auch schon mal im Bade mit der Hand aus. Ansonsten pflegten die beiden Männer allerdings ein voneinander unabhängiges Liebesleben, auch wenn Jon Bennet gelegentlich flüsterte, wen er sich jeweils zum Pimpern angelacht hatte. Auf Jon verließ sich Bennet in allen Lebenslagen.

Das unverwechselbare Geräusch eines Schmiedehammers lenkte Bennets Aufmerksamkeit zurück auf sein derzeitiges Vorhaben. Er folgte dem Klirren und roch sofort einen strengen Duft nach Ruß, Pferdeschweiß und verbranntem Huf, der ihn normalerweise das Weite hätte suchen lassen. Der Diener, der ihn begleitete, verbeugte sich formvollendet und wies überflüssigerweise in Richtung der Schmiede. Bennet musterte derweil ungeniert die drei Gestalten neben dem kleinen Gebäude. Ein hochgewachsener Kerl mit schulterlangen, schwarzen Haaren, bekleidet mit ledernen Chaps und einer dazu passenden Schürze schlug mit dem Hammer gekonnt auf ein glühendes Hufeisen ein. Der zweite, ein älterer Mann, dessen rechter Arm in einer Schlinge ruhte, beobachtete die Arbeit des anderen mit Argusaugen. Der dritte striegelte einen Rappen, als wolle er ihn beruhigen. Bennet erkannte ihn als den Stallburschen, der sich um Moon gekümmert hatte.

„Bursche! Ich suche den Duke of Rosehurst. Weilt er in der Nähe und wenn ja, wo finde ich ihn?“

Zunächst reagierte das maulfaule Mannsbild nicht. Dann drehte er sich zum Schmied, der jetzt aufgehört hatte, das Hufeisen zu formen, und fragte ihn etwas in einer Sprache, die Bennet nach kurzer Überlegung dem Gälischen zuordnete. Nicht, dass er auch nur einen Deut davon verstand. Aber er hatte auf dem College einige Schotten unter seinen Studienkameraden gehabt. Von dem Rätsel abgelenkt, was ein schottischer Stallknecht in Kent zu suchen hatte, fiel Bennet zunächst nicht auf, dass ihm die Frage nicht beantwortet worden war. Was sich diese Leute erdreisteten! Empörend!

Der Rappe tänzelte jetzt nervös hin und her, weil der Schmied sich ihm näherte. Daraufhin nahm der Stallbursche das Blatt eines Baumes, strich es mit etwas Honig ein und klebte es dem Pferd kurzerhand auf die Nase. Verblüfft stellte Bennet fest, wie es sich fast augenblicklich beruhigte und der Schmied sich ihm problemlos nähern konnte. Bennet nahm sich vor, die gesamte Prozedur des Beschlagens zu beobachten und zu ergründen, ob die Leute hier noch andere sanfte Tricks in der Tasche hatten, mit denen man ein Problempferd zur Raison brachte.

Der ältere Mann gab dem jüngeren gelegentlich Anweisungen, als ob es sich um Meister und Geselle handelte. Zwischendurch hörte Bennet Moon in ihrer Box wiehern und schlenderte dorthin, um sie mit der verdienten Belohnung zu verwöhnen. Da er einen ganzen Korb erhalten hatte, ließ er die restlichen Äpfel in der Futterkammer stehen, falls das Stallpersonal dafür Verwendung hatte.

Zurück im Hof sah er, wie nun der Stallbursche das frisch beschlagene Pferd über den Hof führte. Der Meister klopfte seinem Gesellen auf die Schulter und sprach ihm ein Lob aus, so schien es. Die genauen Worte vernahm Bennet allerdings nicht, weil er zu weit entfernt stand. Der Schmied zupfte eigenhändig das Blatt von der Nase des Rappen, wischte sanft mit einem feuchten Tuch darüber und gab ihm einen kräftigen Kuss darauf. Oh, von den Lippen des starken und muskulösen Kerls würde sich Bennet auch gerne küssen lassen, schoss es ihm durch den Kopf, bevor er sich selbst ermahnte, dass er sich grundsätzlich nicht mit einem Gemeinen einließ. Bei diesem hier erwog er allerdings, eine Ausnahme zu machen. Freilich würdigte ihn der Muskelberg keines Blickes. Lässig streifte er die Lederschürze ab, entledigte sich der Chaps und stand nun mit nacktem Oberkörper da. Bennet fiel die Kinnlade herunter, als er einen Wassereimer schnappte und sich über den Kopf goss. Freude schöner Götterfunken! Das Wasser perlte an samtener Haut herab und durchnässte die enge Reithose des Mannes. Nun schmiegte sich der Stoff an dessen Gemächt und in seiner Fantasie fiel Bennet auf die Knie, um der Fülle zu huldigen, die das verräterische feuchte Tuch den Augen der Umstehenden preisgab.

Der Schmied schnappte sich ein weißes Leinenhemd von einer Ablage, wischte sich damit über das Gesicht und schritt direkt auf Bennet zu, dessen Herz begann, wie verrückt zu schlagen. Dunkle Augen nahmen die blauen von Bennet gefangen. Mit einer beiläufigen Geste tippte der göttliche Hephaistos gegen Bennets Kinn, dessen Mund sich daraufhin schloss. Seine Schulter streifte die von Bennet nur ganz leicht und doch durchfuhr diesen ein Schauer der Lust.

In Gälisch gerufene Worte, die vom Ton her deutlich anzüglich klangen, rissen Bennet aus der Erstarrung. Der Schmied lachte dreckig und machte in Richtung des Stallburschen eine unanständige Geste mit der Hand, die Bennet die Schamesröte in die Wangen trieb.

„Was erdreistet ihr Pack euch?“, grollte er, doch seiner Stimme fehlte bedauerlicherweise die nötige Härte. „Ich werde mich beim Duke of Rosehurst über das impertinente Benehmen beschweren.“

Ein dröhnendes Lachen seitens des Fortschlendernden folgte und es erboste und erregte Bennet gleichermaßen. Dieses tiefe und wohlklingende Timbre fühlte sich an wie dunkler Samt oder schwerer Rotwein – berauschend sinnlich.

„Wohin, zum Teufel, hat sich nur mein Diener verdünnisiert?“, schimpfte Bennet und machte sich schließlich alleine auf den Weg ins Schloss. Leider – oder zum Glück – war der Schmied nirgends mehr zu sehen. Irgendwo schien er abgebogen zu sein. So schockierend leicht bekleidet wollte er doch nicht ins Dorf zurückkehren? Verflixt noch einmal! Jetzt erschauerte Bennet schon wieder und das Bild des Mannes, was sich ihm regelrecht eingebrannt hatte, rief erneut eine unwillkommene Härte hervor. Ein Gentleman legte mehr Selbstbeherrschung an den Tag. Er geiferte nicht nach muskulösen, verschwitzten Handwerkern, die stanken, ein gälisches Kauderwelsch sprachen und keine Manieren hatten. Bennet straffte die Brust und befleißigte sich nun einer schnelleren Gangart. Die Anstrengung half ihm hoffentlich über die unziemliche Reaktion seines Körpers hinweg.

Drei

In seinem gemütlichen Cottage aus Backsteinen hörte William bereits, wie das heiße Wasser aus dem Kessel in die Badewanne strömte. Den Luxus eines Badezimmers verdankte er der Umsicht Davids, der darauf bestanden hatte, es im Zuge der Renovierungsarbeiten im Haupthaus auch in das Cottage einbauen zu lassen, das mit zwei Stockwerken zum Glück ausreichend Platz dafür bot. In vielerlei Hinsicht lebte William jetzt komfortabler als zu der Zeit, da seine Familie noch selbst Vermögen besessen hatte. David zeigte sich ungeheuer großzügig. Er berief sich hierbei auf seine enge Freundschaft zu Onkel Edward, der bei der Verwaltung der Familienfinanzen den falschen Leuten vertraut hatte. Der warmherzige Edward, dessen Verlust William noch immer betrauerte, hatte das Geld stets mit offenen Händen ausgegeben, für William, für sich und seine Freunde, ja sogar für die Bediensteten.

Wie einsam es um einen herum werden konnte, zeigte sich, als die finanzielle Not des Dukes of Rosehurst durch eine Indiskretion offenbar geworden war. Wenige Freunde hatten daraufhin die wertvollen Zuwendungen zurückgegeben, ohne darauf angesprochen worden zu sein, um William zu entlasten. Die meisten anderen antworteten aber nicht einmal mehr auf Briefe. Am Ende musste William den Familienschmuck verkaufen, um die Schulden von Edward bei dem Earl of Brook zu begleichen.

Apropos Brook! Der Earl befand sich auf dem Holzweg, wenn er glaubte, dass er bloß seinen schnuckeligen Jüngsten zu schicken brauchte, um William dafür zu erwärmen, nach Brook Manor zu reisen, um dort eine verängstigte Stute zu behandeln. Sollte der Alte sie in Zukunft auf der Weide stehen oder aus ihr Salami machen lassen. Das interessierte William nicht. Oder noch besser – William kaufte ihm Carlotta für einen Spottpreis ab, weil sie in ihrer derzeitigen Verfassung so gut wie wertlos war und sich nicht einmal mehr als Zuchtstute eignete, weil sie den Hengst wegbiss. Unter Williams fähigen Händen würde sich das natürlich schnell wieder ändern. Wenn er sich die richtigen Argumente einfallen ließ, machte David bestimmt Geld dafür locker. David war fast so großzügig wie Edward zu seinen Lebzeiten, nur besaß er bei der Verwaltung und Mehrung seines Vermögens ein viel geschickteres Händchen. Längst hatte William herausgefunden, weshalb sich David so sehr für die Rosehursts interessierte. Um allerdings auch nach außen hin die Form zu wahren, mietete David das Schloss. So zerrissen sich die Leute nur das Maul darüber, dass der Duke of Rosehurst seinen Stammsitz an einen Bürgerlichen vermietete und nicht ...

„Mylord! Ihr lauft ja schon wieder halbnackt durch die Gegend“, unterbrach Hugo, Williams Kammerdiener und Privatsekretär in Personalunion, empört schnaubend dessen Gedankengänge.

„Es ist mein Land und ich laufe darauf herum, wie es mir gefällt!“

„Aber wenn Master Beckham Freunde empfängt? Lord Bennet Brook weilt gerade auf Rosehurst!“

„Es ist mir scheißegal, was der verzogene, jüngste Sohn eines Earls von mir denkt, Hugo!“

Der Diener rollte mit den Augen. „Ab ins Bad mit Euch, sonst wird das Wasser kalt. Soll ich Euch noch den Rücken massieren? Ihr betätigt Euch schließlich nicht jeden Tag als Hufschmied und Eure Muskeln werden es mir danken.“

Ohne die forsche Art von Hugo zu kommentieren oder zu kritisieren, ließ sich William aus der Kleidung helfen und setzte sich ins angenehm temperierte Badewasser. Eine Weile ließ Hugo seinen Herrn einweichen und las ihm derweil aus dem Roman vor, den zu kennen unbedingt zum Allgemeinwissen eines Dukes gehörte – so meinte jedenfalls Hugo, den William sich auch gut als Buchhändler vorstellen konnte, so sehr liebte jener die Literatur. Nach dem Ende des Kapitels krempelte Hugo die Ärmel hoch, seifte William gründlich, aber ohne erotische Hintergedanken ein und massierte ihm den Rücken. William tauchte unter, um sich abzuspülen.

Demonstrativ faltete Hugo das Handtuch auf. Obwohl William gerne noch eine Weile im Wasser gesessen hätte, erhob er sich und ließ sich einhüllen. Geschwind schlüpfte daraufhin Hugo aus seiner Kleidung und ließ sich nunmehr selbst in die Wanne gleiten, bevor das Wasser ganz erkaltete, während sich William die Fingernägel reinigte. Ihr Arrangement mochte befremdlich wirken, hatte aber seine Wurzeln in ihrer Kindheit, als das Kindermädchen sie nach dem Spielen oft beide in den Zuber getaucht und abgeschrubbt hatte. Sie wollte sich die Arbeit erleichtern und steckte Hugo, ihren Sohn, einfach mit ins Wasser des kleinen Lords. Aus miteinander baden wurde später nacheinander baden. Da Williams Vater die innige Freundschaft zwischen den zwei Jungen irgendwann als nicht standesgemäß missbilligt hatte, war Hugo als Halbwüchsiger zu Williams Großeltern mütterlicherseits nach Schottland geschickt worden. Als William sich für das College einen Diener aussuchen durfte, kam ihm sofort Hugo in den Sinn, und die vom Stand her so unterschiedlichen Freunde fanden wieder zueinander.

William strich sich über die Bartstoppeln und betrachtete sich im Spiegel.

„Seift Euch schon einmal das Gesicht ein, ich rasiere Euch gleich“, sagte Hugo, das Kommando in der Stimme kaum verhohlen.

„Kein Bedarf!“, lehnte William unwirsch ab.

„Du willst doch nicht zum Abendessen mit dem Sohn deines Feindes schlampig zurechtgemacht erscheinen?“ Mit blitzenden Augen starrte Hugo seinen Herrn an, während er innehielt, sich abzutrocknen. Oh, wenn Hugo in das ungezwungene Du zurückfiel, war nicht gut mit ihm Kirschen essen. Auf eine ermüdende Diskussion ließ William es nicht ankommen. Daher begann er, den Rasierpinsel in das bereitgestellte Wassergefäß zu tauchen und dann an der Rasierseife aufzuschäumen. Als Hugo wieder ordentlich bekleidet war, schritt er bei William zur Tat.

„Wenn ich dich nicht hätte, Hugo ...“

„Würden Eure Lordschaft ständig als Hufschmied arbeiten und nach dessen Art gekleidet herumlaufen.“

„Hufschmied ist ein ehrenwerter Beruf!“, wandte William ein.

„Für einen Gemeinen, nicht für einen Duke! Ich bin jetzt noch verblüfft, wie Ihr Euren armen Onkel Edward damals dazu überredet habt, euch einen Sommer lang bei unserem schottischen Hufschmied in den Lowlands das Nötigste beibringen zu lassen. Wie war die Begründung doch gleich? Ach ja: Damit Euer Pferd, solltet Ihr eines Tages in den Krieg ziehen müssen, die erforderliche Hufpflege erhält, falls der Schmied des Regiments vom Feind getötet wird.“

„Ja, das haben Callum und ich gewitzt durchgedacht, bevor ich mit der Angelegenheit zu Onkel Edward gegangen bin. Und darf ich dich erinnern, mein Freund, dass du mit zu den Verschwörern gehörtest und noch einige Argumente hinzugeliefert hast?“

Hugo schnaubte missbilligend. „Damals ahnte ich auch noch nicht, dass du eines Tages praktisch jedes deiner Pferde selbst beschlägst.“

„Unter Aufsicht des hiesigen Schmieds oder eines seiner Gesellen. Dein Standesdünkel ist übrigens größer als meiner.“

„Einer von uns beiden muss ja dafür sorgen, dass du dich hin und wieder wie ein Duke benimmst und kleidest.“ Hugo grinste William über den Spiegel hinweg an. „Und nun sei still, sonst schneide ich dich versehentlich noch mit dem Rasiermesser.“

xxx

Auf den lästigen und gleichzeitig irritierend anziehenden Diener verzichtete Bennet bald, da er den Weg von seiner Suite zu den Salons des Schlosses mittlerweile selbst fand. Das Esszimmer lag bestimmt nicht weit davon entfernt. Außerdem bot die farbliche Gestaltung der Wände einen untrüglichen Fingerzeig. Beckham bewohnte einen frisch renovierten Flügel des Schlosses, in dem die Wände und die Vertäfelung hell gestrichen oder mit freundlicher Blumentapete übergezogen worden waren. Auf die ebenso hell bespannten Polster der Sitzgelegenheiten hätte Bennets Mutter wahrscheinlich Decken breiten lassen, um sie vor Flecken zu schützen. Im hiesigen Haushalt sah er keine entsprechenden Schutzmaßnahmen. Die Räume wirkten deshalb sehr stilvoll und elegant, obwohl man an den frischen Blumenarrangements und den herumliegenden Büchern mit den Lesezeichen bemerkte, dass sie bewohnt wurden.

Bennets Suite lag dagegen im alten Teil des Hauses. Es roch in ihr noch nach frischer Farbe. Offenbar hatte Mr. Beckham sie extra für Bennet streichen und mit neu aufgepolsterten Möbeln einrichten lassen. Trat man allerdings in den Flur, umgab einen der Muff vieler Jahre, in denen Rauch und Politur ihre Spuren an den dunklen Wänden und den knarrenden Dielen des Fußbodens hinterlassen hatten. Bevor sich Beckham des Schlosses angenommen hatte, mussten die Kamine schlecht gezogen haben, so dass sich der Rauch mehr im Haus verteilt hatte, als nach außen geleitet zu werden.

Potpourris mit Blüten sollten diesen Geruch offenbar aus den alten Fluren vertreiben, doch er haftete hartnäckig im Gemäuer und ließ sich nicht vollständig unterbinden, obgleich Bennets Nase in anderen Schlössern schon mit sehr viel intensiveren Zeugnissen schlecht konstruierter Kamine konfrontiert worden war.

Der Diener wartete vor der Tür und verbeugte sich, als Bennet aus seiner Suite trat.

„Ich finde den Weg auch selbst. Du darfst dich entfernen.“

Zögernd blickte der Mann Bennet an und dieser fragte daraufhin: „Ist es mir nicht gestattet, mich alleine im Haus zu bewegen? Sollst du mich bewachen oder weshalb bist du noch nicht weg?“

Bennets Ton klang vielleicht etwas zu harsch dabei, denn ein verletzter Ausdruck erschien auf dem Gesicht des Mannes.

---ENDE DER LESEPROBE---