Der junge Reformator Luther - Teil 2 – ab 1518 - Heinrich Boehmer - E-Book

Der junge Reformator Luther - Teil 2 – ab 1518 E-Book

Heinrich Boehmer

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Beschreibung

Dieser Band enthält die Neuauflage eines Klassikers der Luther-Forschung. 1925 erschien dieses Buch im Flamberg-Verlag, Zürich, 1952 bei Koehler & Amelang in Leipzig. Heinrich Boehmers Texte bieten einen hervorragenden Einblick in Martin Luthers Leben, seine Entwicklung und sein Wirken. – Von seiner akademischen Lehrtätigkeit, die Boehmer von Leipzig, wo er sich 1898 habilitierte, über Bonn (1903) und Marburg (1912) wieder nach Leipzig (1915) zurückführte, wirkte begreiflicherweise die an der Heimatuniversität am tiefsten und nachhaltigsten. Wie viele seiner Hörer haben später Einzelheiten und Eindrücke aus seinen Vorlesungen erzählt, als hätten sie sie gestern aufgenommen. Ungewöhnlich groß war darunter der Kreis von Studenten nichttheologischer Fakultäten, die manchmal semesterlang Boehmers Kirchengeschichte hörten, gefesselt durch die erdrückende Fülle seines Wissens, den Mut zum eigenen, oft scharfen Urteil und das in andringendem Ernst und drastischem Witz sich bekundende Temperament. – Da kein Copyright mehr besteht und es dieses Buch nur noch antiquarisch gibt, lege ich es zum Luther-Jubiläumsjahr – wegen des Umfanges der Texte in zwei Teilen – neu auf. - Hier Teil 2 ab 1518. - Aus Rezensionen: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!

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Heinrich Boehmer

Der junge Reformator Luther - Teil 2 – ab 1518

Band 96 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Überleitung von Teil 1 zu Teil 2

Die ersten Denunziationen in Rom

Die Heidelberger Disputation – Abschied von dem alten Erfurt

Wiederanknüpfung mit Eck

Erster Appell an den Papst

Letzte Abrechnung mit Tetzel

Die Eröffnung des kanonischen Prozesses

Das summarische Verfahren wegen notorischer Ketzerei

Vor Cajetan in Augsburg

Friedrich der Weise am Scheidewege

Verhandlungen mit Militz

Annäherung der Humanisten

Die Leipziger Disputation

Wachsende äußere Tätigkeit und innerer Fortschritt

Erster Zusammenstoß mit Georg von Sachsen

Das Programm der neuen Ethik

Die Enthüllung des Geheimnisses der Bosheit

Aufruf zum Kampf gegen den Antichristen und zur Reform der Christenheit

Angriff auf die Grundlagen der mittelalterlichen Weltanschauung

Das Anathema

Das Feuergericht vor dem Elstertor

Worms

In die „Region der Vögel und der Luft“

Nachwort

Die gelbe Buchreihe des neuen Herausgebers

Weitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig bis zu 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 kam mir der Gedanke, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“: Seemannsschicksale.

Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften als Reaktionen zu meinem Buch.

Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage nach dem Buch ermutigten mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben. Inzwischen erhielt ich unzählige positive Kommentare und Rezensionen, etwa: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!

Zu den von mir bevorzugt gelesenen Büchern gehören Auseinandersetzungen mit der Zeitgeschichte und Biographien. Menschen und ihre Geschichte sind immer interessant.

Dieser neue Band 96 enthält die Neuauflage des zweiten Teils eines Klassikers der Luther-Forschung. Mein Jugendfreund schenkte mir das 1952 bei Koehler & Amelang in Leipzig erschienene Buch. Ich las es damals mit großem Interesse. Heinrich Boehmers Texte bieten einen hervorragenden Einblick in Martin Luthers Leben, seine Entwicklung und sein Wirken. Da kein Copyright mehr besteht und es dieses Buch nur noch antiquarisch gibt, lege ich es zum Luther-Jubiläumsjahr – wegen des Umfanges der Texte in zwei Teilen – ergänzt durch weitere Informationen neu auf.

Beim Durcharbeiten der Texte wurde mir wieder die ewige Frage nach der Fähigkeit des Menschen, sich von sich aus zum Guten zu entwickeln bewusst: Aggressivität, Egoismus, Korruption, Kriege – scheinen in der Natur des Menschen angelegt zu sein. Nach Luthers Erkenntnis ist der Mensch „böse von Jugend auf“ – auch Gottes „Bodenpersonal“ in der Kirche – und nur durch Gottes Gnade aus diesem bösen Urwesen zu retten. Aus Dank gegen den gnädigen Gott ist er dann in der Lage, dieses Böse immer wieder neu zu überwinden. Das ist für mich die entscheidende Bedeutung des Christseins.

Hamburg, 2017 Jürgen Ruszkowski

Ruhestands-Arbeitsplatz des Herausgebers

Von hier aus betreibe ich meinen Hobby-Verlag, verpacke und verschicke Bücher und gestalte meine Internet-Websites.

www.maritimbuch.de

https://sites.google.com/site/maritimegelbebuchreihe/band-92-kaiserliche-marine

https://sites.google.com/site/ruszkowskijuergen/

https://sites.google.com/site/ruszkowskijuergen/himmelslotse

Überleitung von Teil 1 zu Teil 2

Der erste Teil über den „jungen Luther“ nach Heinrich Boehmer berichtet über Martins Herkunft, seine erste Jugend, die schulische Vorbildung in Magdeburg und Eisenach, seine ersten Studienjahre, seine Bekehrung und seinen Entschluss Mönch zu werden. Es Folgt dann sein Werdegang als Novize, Mönch und Priester im Schwarzen Kloster zu Erfurt (1505 – 1508), seine Romfahrt um 1511 und seine Jahre im Predigtamt und Beauftragter für die Lectura in Biblia in Wittenberg bis zum Durchbruch seiner reformatorischen Erkenntnisse und seinen Kampf gegen das Ablasswesen – besonders gegen den Ablassprediger Tetzel. Der erste Teil endet mit dem ersten Streit mit Dr. Eck:

…Trotzdem strafte er ihn jetzt in kühl überlegenem Tone als unwissenden, törichten, vermessenen und dreisten Menschen ab, ja verdächtigte ihn indirekt bereits als Hussiten und Ketzer. Er wollte diese „Höllenspeise“ erst geduldig hinunterschlucken. Aber die Freunde zwangen ihn, Eck sogleich privatim, d. h. nur handschriftlich, zu antworten. Er hielt es jedoch für gut, diese Antwort, die sogenannten Asterisci, vorläufig zurückzuhalten und zunächst die seit Wochen schon beabsichtigte volkstümliche Schrift über den Ablass auszuarbeiten. Sie erschien vor Ende März unter dem etwas irreführenden Titel: Sermon von Ablass und Gnade. Sie ist aber kein Sermon, keine Predigt, sondern eine kurze Zusammenfassung seiner inzwischen durch die Arbeit an den Resolutionen erheblich geförderten Studien über die Ablassfrage in zwanzig markigen Thesen. Die Heilige Schrift, stellt er fest, fordert von dem Sünder nur herzliche, wahre Reue sowie den Vorsatz, hinfürder das Kreuz Christi zu tragen und die rechten Werke der Genugtuung zu tun, nämlich erstlich allerlei Werke „der Seelen eigen, als beten, Gottes Wort lesen, bedenken, hören, predigen“, zweitens allerlei Werke, die der Kasteiung des alten Adams dienen sollen, und endlich allerlei Werke der Liebe und Barmherzigkeit gegen den Nächsten. Gott verhängt zwar bisweilen auch über den Sünder allerlei Strafen zeitlicher Art. Aber diese Strafen hat kein Mensch – also auch der Papst nicht – Gewalt, nachzulassen. Der Ablass ist nur Erlass der Kirchenstrafen. „Mein Wille, Bitte und Rat ist, dass niemand mehr Ablass löse, denn er ist weder geboten noch geraten, weder verdienstlich noch ein Werk des Gehorsams, sondern im Gegenteil eine Versuchung, sich dem schuldigen Gehorsam zu entziehen. Ob die armen Seelen durch Ablass aus dem Fegfeuer erlöst werden können, weiß ich nicht und glaube ich nicht. Auch hat die Kirche darüber noch nichts beschlossen. Sicher wirst du jedenfalls gehen, wenn du für sie bittest und sonst wirkest. Dass mich diejenigen, denen diese Wahrheiten an ihrem Verdienst Abbruch tun, einen Ketzer schelten, achte ich nicht groß. Die so handeln, beweisen nur, dass sie finstere Gehirne sind, die Bibel nie gerochen, die Kirchenväter nie gelesen, ihre eigenen Lehrer nie verstanden haben, denn wäre das der Fall, so wüssten sie, dass man niemanden so nennen soll, ehe man ihn gehört und seines Irrtums überführt hat.“

Die Schrift hatte eben die Presse verlassen, als ihm zu seiner Verwunderung gemeldet wurde, der Abt Valentin von Lehnin wünsche ihn zu sprechen. Der Prälat überbrachte ihm ein überaus gnädiges Handschreiben des Bischofs von Brandenburg, in dem derselbe ihn wissen ließ, dass er zwar nichts Irriges, sondern alles „gut katholisch“ in den Resolutionen gefunden habe und das unbedachte und unbescheidene Auftreten der neuen Ablassprediger selber durchaus verdamme. Trotzdem müsse er ihn aber ersuchen, jetzt noch zu schweigen und nichts Neues über die Ablassfrage zu veröffentlichen. Der Abt bestätigte diese Weisung mündlich und fügte noch hinzu: der Bischof wünsche auch, dass der eben erschienene Sermon aus dem Handel gezogen werde. Bruder Martin war über diesen ganz unerwarteten Besuch und die noch weniger erwartete Liebenswürdigkeit des Bischofs so erfreut. dass er sogleich alles versprach, was man von ihm forderte. Auf den Bischof aber machte hinwiederum die kaum erwartete Nachgiebigkeit des seit Monaten schon als Ketzer verschrienen Professors einen so guten Eindruck, dass er ihn noch vor Ostern (4. April) von seinem Versprechen entband, d. h. ausdrücklich ermächtigte, den Sermon weiter ausgehen zu lassen und die Resolutionen endlich in Druck zu geben. Man muss danach doch bekennen, dass Herr Hieronymus Schulze nicht zu den Erleuchteten seines Standes gehörte. Denn dass Luther nicht mehr auf dem Boden der katholischen Kirche stand, das hätte er bei einiger Sachkenntnis und Aufmerksamkeit doch aus dem Sermon und den Resolutionen auf den ersten Blick ersehen müssen. Aber freilich, er war von Haus aus Jurist und nicht Theologe und hatte es wohl nicht für nötig gehalten, die beiden Schriften ordentlich zu studieren, ja vielleicht sie überhaupt gar nicht gelesen. Luther war mit diesem Bescheid natürlich sehr zufrieden und erließ nunmehr, wie es scheint, sogleich in deutscher wie in lateinischer Sprache eine öffentliche Erklärung oder Protestation, in der er sich ausdrücklich zu dem Sermon bekannte und feststellte, dass er weder von seiner Universität noch von seinen weltlichen und geistlichen Obern verdammt sei, sondern nur von etlichen dreisten und eilfertigen Leuten frevelhafterweise als Ketzer verschrien werde. Er bitte, ihn entweder eines Besseren zu belehren oder das Urteil Gottes und seiner Kirche abzuwarten. „Ich bin nicht so frevel (vermessen), dass ich meine Sinne (Meinung) vor allen erhebe (vorziehe), aber auch nicht so vergessen (töricht), Gottes Wort hinter Menschenfabeln setzen zu wollen.“

Danach konnte der Sermon ungehindert seinen Weg weitergehen, und er ging ihn jetzt auch sogleich mit solchem Erfolge, dass der Zweck, den Luther bei seiner Veröffentlichung im Auge gehabt hatte, die Verdrängung der Thesen vom buchhändlerischen Markt, in der Tat erreicht wurde. Während von dem Thesenplakat kein einziges Exemplar des Urdrucks sich erhalten hat, sondern nur drei Exemplare von zwei späteren Nachdrucken, sind von dem Sermon noch Dutzende von Exemplaren sowohl des Urdrucks wie der zwölf in Wittenberg, Leipzig, Augsburg, Nürnberg, Basel im Laufe des Jahres 1518 erschienenen Nachdrucke vorhanden: ein Beweis, wie eifrig die Schrift, insbesondere in dem städtereichen Süden, begehrt und gelesen wurde. Sie ist die erste Schrift Luthers, die in Süd- und Mitteldeutschland auch das „Volk“, d. h. die nicht lateinkundigen Schichten der städtischen und zum Teil wohl auch schon der ländlichen Bevölkerung, erreichte, und sie bewirkte, dass auch die übrigen Schriften, die er in diesen Wochen mit unermüdlicher Feder geschaffen hatte, die kurze Auslegung der zehn Gebote, in derer zum ersten Mal seine neuen religiösen Anschauungen für das Verständnis dieses als Beichtspiegels in der Fastenzeit so viel gebrauchten Katechismusstückes verwertete, der lateinische Sermon über die Buße, in dem er seine neue Auffassung über die Buße kurz darlegte, und der lateinische Sermon über die würdige Vorbereitung zum Abendmahl, fleißig gekauft und gelesen wurden. Der letzte ist besonders denkwürdig, weil er hier zum ersten Mal feststellt nicht der ist recht bereitet für das heilige Mahl, der sich selbst würdig dünkt, weil er seine Todsünden gebeichtet hat, sondern der, der sich ganz unwürdig solcher Gnade dünkt, weil er seine Sünden und Mängel aufs tiefste fühlt und allein in demütigem Vertrauen zu der Zusage Gottes an den Altar herantritt. Die Sitte, vor dem Abendmahl zu beichten, will er deswegen zwar nicht beseitigt wissen, aber er meint doch: die rechte Buße beginnt erst nach der Kommunion, wenn der Mensch die Wohltat Gottes erfahren hat. Dieselben Gedanken hatte er kurz zuvor seinen Zuhörern in der Hebräervorlesung in die Feder diktiert. Er legte also besonderes Gewicht auf sie.

So war er damals schon bemüht, seine neue Anschauung von der Buße auch für die praktische Seelsorge im Beichtstuhl fruchtbar zu machen und auf diesem Gebiete, das ihm einer Reform besonders bedürftig erschien, selber die nötigen Reformen anzubahnen. Aber inzwischen hatte längst der große Kampf um die von ihm vertretene Sache begonnen, der heute noch nicht sein Ende erreicht hat.

Soweit der erste Teil über den „jungen Luther“ nach Heinrich Boehmer. Der zweite Teil folgt hier im Band 96 der gelben Buchreihe. Informationen über das gesamte Leben Martin Luthers nach Wikipedia finden Sie am Schluss des Bandes 95.

Die ersten Denunziationen in Rom

Die Eingabe Luthers an Erzbischof Albrecht vom 31. Oktober 1517 scheint ziemlich lange Zeit gebraucht zu haben, ehe sie in die Hände der magdeburgischen Hofräte zu Kalbe an der Saale gelangte, denn erst am 17. November wurde sie von denselben geöffnet und dann wohl sogleich nach Albrechts mainzischer Residenz Aschaffenburg am Main weiterbefördert. Dort legte sie der Erzbischof etwa Ende November seinen gerade anwesenden „Räten und Verständigen“ und das Hauptstück, die 95 Thesen, auch noch den Juristen und Theologen der Universität Mainz vor. Die Räte empfahlen ihm, den Handel eilends päpstlicher Heiligkeit zuzufertigen, gleichzeitig aber dem vermessenen Mönch jede weitere Kundgebung in der Ablassfrage zu verbieten (processus inhibitorius). Der erste Vorschlag entsprach ganz Albrechts Neigungen. Schon vor dem 13. Dezember ließ er daher die nötigen Mitteilungen an die Kurie ergehen. Am 13. Dezember benachrichtigte er dann die magdeburgischen Hofräte in Kalbe von diesem Schritte und stellte ihnen zugleich anheim, den inzwischen von seinen Aschaffenburger Verständigen entworfenen Processus inhibitorius, den er beilege, durch „Herrn Tetzel Luther intimieren“ (zustellen) zu lassen. Er fügte jedoch hinzu, dass ihm gar nichts daran liege, diesen Handel und die Feindschaft des Augustinerordens auf sich zu laden. Die magdeburgischen Hofräte zogen daraus ganz richtig den Schluss, dass seine Durchlaucht nicht weiter mit der Angelegenheit behelligt zu werden wünsche, und begnügten sich daher damit, die betreffenden Schriftstücke zu den Akten zu nehmen. Der zuständige Vorgesetzte der Mainzer Ablassunternehmung drehte sich also, wie man im 16. Jahrhundert sagte, aus. Er überließ es der Kurie, diese nicht ganz geheure Sache in Ordnung zu bringen. Was aus „Herrn Tetzel“ wurde, war ihm einerlei.

Die Eingabe Albrechts wurde auf dem gewöhnlichen Geschäftswege nach Rom befördert. Sie kann daher kaum lange vor Weihnachten daselbst angelangt sein. Sie bestand in der Hauptsache aus einem Schriftsatz der Mainzer Kanzlei, in dem Luther dem Papste zwar nicht wegen Ketzerei, aber wegen Verbreitung neuer Lehren denunziert wurde. Als Beweisstücke waren bei gelegt „die Artikel“ – was damit gemeint ist, weiß man nicht –, die 95 Thesen und der „Traktat“, d. h. die vor den Thesen von Luther verfasste Abhandlung über den Ablass, die wir auch noch besitzen. Der leitende Minister Leos X., der Kardinal Giuliano de Medici, hielt, wie es scheint, für ausreichend, den vermessenen Mönch durch die oberste Behörde des Augustinerordens verwarnen zu lassen, und schrieb in diesem Sinne am 3. Februar 1518 an den Ordenspromagister Gabriel della Volta genannt Venetus. Was der Promagister hierauf tat, wissen wir nicht. Dass er durch Vermittlung Staupitzens Luther einen förmlichen Widerruf zugemutet und von dem Kapitel der sächsischen Kongregation zu Heidelberg Ende April 1518 die Auslieferung des Missetäters nach Rom gefordert habe, ist eine bloße Vermutung. Sollte er aber wirklich, was jedoch durch Luthers eigene Äußerungen durchaus nicht bestätigt wird, den „vermessenen“ Bruder durch Staupitz verwarnt haben, dann muss die Verwarnung so sanft ausgefallen sein, dass Luther sie gar nicht als einen Versuch, ihn anderen Sinnes zu machen, auffassen konnte.

* * *

https://de.wikipedia.org/wiki/Leo_X.

Leo X. (geboren als Giovanni de’ Medici; * 11. Dezember 1475 in Florenz; † 1. Dezember 1521 in Rom) war vom 11. März 1513 bis zu seinem Tod Papst. In sein Pontifikat fällt der Beginn der Reformation. Ihre Bedeutung hat Leo aber offensichtlich verkannt. Für den Neubau des Petersdoms förderte er den Ablasshandel, was für Martin Luther einer der Anstöße war, seine 95 Thesen am 31. Oktober 1517 an der Schlosskirche zu Wittenberg dem Kirchenvolk mitzuteilen. Für den Papst war das Anliegen Luthers keinen Gedanken wert; im Gegenteil: er verurteilte in der Bulle Exsurge Domine vom 15. Juni 1520 insgesamt 41 Schriften Luthers und exkommunizierte ihn am 3. Januar 1521 mit der Bulle Decet Romanum Pontificem; an den innerkirchlichen Missständen und am Ablasshandel änderte Leo X. jedoch nichts.

Papst Leo X.

Leo X. war wie schon seine Vorgänger samt der Kurie zu viel in die italienische und europäische Politik verstrickt, um sich mit den schon länger laut gewordenen Rufen nach einer Reform an Haupt und Gliedern der Kirche ernsthaft auseinanderzusetzen. Dies liegt zuletzt auch an der Selbsteinschätzung Roms als unanfechtbares Oberhaupt der Kirche.

Das Pontifikat dieses Papstes aber deswegen zu den verhängnisvollsten in der gesamten Papstgeschichte zählen zu wollen, greift zu kurz. Leo mag vielleicht der Auslöser des Thesenanschlags Luthers gewesen sein, keinesfalls aber die Ursache. Die simonistischen und nepotistischen Auswüchse, aber auch die Prunksucht und insgesamt oft wenig gottgefällige Lebensweise der Päpste waren schon seit mehreren Jahrzehnten einer unablässigen Kritik vor allem durch den nichtitalienischen Klerus ausgesetzt. Diese Kritik regte sich lautstark schon in den 1460er Jahren, als Päpste wie Kalixt III. oder Sixtus IV. die bis dahin üblichen Regeln der Dezenz, das heißt Zurückhaltung, Schicklichkeit und Anständigkeit, missachteten. Die Missstände führten immer wieder zum Ruf nach Reformkonzilen – z. B. 1494 unter Papst Alexander VI. –, aber sie verhallten stets ungehört oder wurden von den Amtsträgern geschickt unterlaufen. Sogar eine kuriale Reformkommission war 1497 von Alexander eingesetzt worden, allerdings blieb ihre Arbeit folgenlos.

Gegen allzu umtriebige Päpste gab es auch innerhalb der Kurie Widerstände. Doch waren diese Kardinäle – in den 1490ern etwa Francesco Todeschini Piccolomini, Oliviero Carafa, Giovanni Battista Zena oder Jorge da Costa – erstens eine meist misstrauisch beäugte Minderheit, und zweitens hatte das Konsistorium gegenüber dem Papst lediglich beratende Funktion und keinerlei Entscheidungsgewalt.

Über das Kardinalat (De cardinalatu) heißt eine 1510 erschienene Schrift Paolo Cortesis, des ehemaligen Apostolischen Sekretärs der Kurie unter dem Pontifikat Alexanders. In ihr stellt er die von einem idealen Kardinal zu erwartenden Eigenschaften und Fähigkeiten eindrücklich dar; dass er es dem damals amtierenden Papst – und damit ausgerechnet Julius II. – widmete, kann kaum ein Zufall gewesen sein. Natürlich blieb auch dieses Werk ohne Folgen.

Die Kurie erwies sich zu jenem Zeitpunkt als reformresistent. Das Papsttum pflegte theologischen Vorgängen und besonders Disputen darüber, die außerhalb Italiens stattfanden, wenig Aufmerksamkeit zu widmen bis hin zur vollständigen Ignoranz. Zum einen galt den Römern, die sich gemäß der antiken Tradition, die seit Beginn der Renaissance hoch in Mode stand, noch immer als caput mundi („Haupt der Welt“) sahen, das Heilige Römische Reich respektive Deutschland – wie auch Frankreich – als Land der Barbaren. Zum anderen band die seit dem Fall Konstantinopels am 29. Mai 1453 ständig wachsende Türkengefahr auch die Päpste. So war beispielsweise 1480 die italienische Stadt Otranto vorübergehend von den Türken erobert worden, 1529 standen die Türken vor Wien.

Auch der Ablasshandel und die zahllosen zusätzlich geforderten Abgaben, die für Kreuzzüge oder Kirchenbauten Verwendung finden sollten, riefen bereits lange vor Leo Kritiker auf den Plan. Der Humanist Enea Silvio Piccolomini, der später als Pius II. selbst Papst wurde, sah sich in den 1450er Jahren genötigt, in seiner Schrift De ritu, situ, moribus et conditione Germaniae die „tumben Hinterwäldler“ zu rügen. Er hielt ihnen vor, ihre blühenden geistigen Landschaften und wirtschaftliches Wohlergehen verdankten sie dem befruchtenden Einfluss Italiens und vor allem Roms, sie hätten sich daher auch einer Kritik an angeblicher finanzieller Ausnutzung oder Verschwendungssucht der Päpste zu enthalten, und sollten ihnen lieber Dank und Ehrfurcht erweisen.

Leos Reaktion auf Luther war aus Sicht der Zeit das absolut übliche Vorgehen: Bulle und Bann hatten schon öfter ihre Wirkung getan, der letzte tiefgreifende Reformversuch eines Mönchs war – kaum 20 Jahre vor Luther – schließlich auch erfolgreich auf diese Weise gemeistert worden.

Als Kaiser Maximilian I. 1519 starb, wollte Leo die Wahl Karls I. von Spanien zum König verhindern und den Kurfürsten Friedrich den Weisen zu einer Gegenkandidatur bewegen, indem er anbot, einen ihm genehmen Kandidaten zum Kardinal zu ernennen. Gemeint war höchstwahrscheinlich Martin Luther.

* * *

Inzwischen war aber längst ein Gegner auf den Plan getreten, der entschlossen war, ihn zu vernichten: Johann Tetzel. Im Januar 1518 fand zu Frankfurt an der Oder ein Kapitel der sächsischen Dominikanerprovinz statt, das, wie üblich, durch eine Disputation eingeleitet werden sollte. Die erste Rolle dabei war diesmal Tetzel zugedacht, der denn auch am 20. Januar vor den etwa dreihundert Patres über 106 Thesen disputierte, die ihm, wie es damals meist geschah, ein Professor der Ortsuniversität, der Dr. Konrad Koch genannt Wimpina, gemacht hatte. Sie richteten sich selbstverständlich alle gegen die 95 Thesen Luthers. Bei dieser Demonstration zugunsten des zu den anerkannten Größen der sächsischen Provinz gehörenden Bruders Tetzel ließ man es aber in Frankfurt nicht bewenden. Man erörterte vielmehr auch sehr eingehend die Frage, wie man den unverschämten Wittenberger Ketzer zur Strecke bringen könne, und da man von dem Vorgehen des Mainzer Erzbischofs nichts wusste, so beschloss man endlich, Luther in aller Form wegen Verdachtes der Ketzerei in Rom zu denunzieren. Diese Denunziation wog viel schwerer als die Denunziation des Mainzer Erzbischofs. Denn der bloße Verdacht der Ketzerei genügte schon, um gegen jemanden das kanonische Verfahren wegen Ketzerei einzuleiten, insbesondere aber, wenn diese Denunziation von den sächsischen Dominikanern ausging, denn der nächste Vertraute des Kardinals Medici, Nikolaus von Schönberg, war ein Sachse und Dominikaner. Auch der einflussreichste Theologe der Kurie, der Kardinal Cajetan, war ein Mitglied dieses Ordens, und da er zur Zeit das Generalat bekleidete, besonders interessiert und verpflichtet, jede Verunglimpfung desselben abzuwehren. Wie und wann diese zweite Denunziation nach Rom gelangt ist, wissen wir nicht. Fest steht nur, dass die sächsischen Dominikaner jetzt schon frohlockend auf der Kanzel verkündeten, Luther werde in vierzehn Tagen oder vier Wochen auf dem Scheiterhaufen enden. Auch die Universität Wittenberg suchten sie auf alle Weise in Verruf zu bringen, und selbst Kurfürst Friedrich ließen sie nicht ungeschoren. lm März wagte dann Tetzel einen neuen Vorstoß, indem er von Halle aus einen Buchführer mit Hunderten von Exemplaren seiner Frankfurter Thesen nach Wittenberg schickte, um dort unter der Hand gegen Luther zu wühlen. Die Studenten nahmen aber dem unglücklichen Menschen, als er am 17. März nach Wittenberg kam, seinen ganzen Kram weg und veranstalteten schließlich nachmittags 2 Uhr ein possenhaftes Autodafé, bei dem sie etwa achthundert Exemplare der Schrift dem Feuer überantworteten. Luther war über diesen törichten Streich sehr empört. Er urteilte mit Recht, dass seine Lage dadurch noch gefährlicher geworden sei. Spalatin hatte aber inzwischen schon diese Gefahr und den Schaden, den die Universität durch jede Kränkung der Anhänger „der soliden Theologie“ erleiden werde, dem Kurfürsten so eindringlich vorzustellen gewusst, dass derselbe in eben jenen Tagen Luther und Karlstadt förmlich in seinen Schutz nahm. Trotzdem sah Spalatin es aber sehr ungern, dass Luther jetzt gerade für etliche Wochen Wittenberg verlassen sollte, um an dem Kapitel seiner Kongregation zu Heidelberg teilzunehmen. Wie leicht konnte er unterwegs von den feindlichen Dominikanern aufgehoben und dann auf irgendeine Weise nach Rom geschleppt werden! Spalatin veranlasste daher den Kurfürsten, Staupitz anzuweisen: Luther in Heidelberg ja nicht zu verziehen noch aufzuhalten, sondern ihn so schnell als möglich wieder nach Wittenberg zurückzuschicken, und ließ ihm außerdem eine ganze Anzahl besonders köstlicher Kredenzen (Empfehlungsbriefe) an die kurfürstlichen Beamten und die Fürsten, deren Gebiet er bei der Reise nach Heidelberg passieren musste, mit auf den Weg geben.

Die Heidelberger Disputation – Abschied von dem alten Erfurt

Am 11.April 1518 verließ Luther, wie es die Regel befahl, mit dem Bruder Leonhard Beier als Socius itinerarius Wittenberg. Die Reise ging zunächst über Bitterfeld nach Leipzig und von dort dann über Weißenfels, Saalfeld, Gräfenthal, Judenbach nach Koburg. Hier langten die Wanderer am Abend des 15. April sehr müde an. Noch am selben Abend teilte Luther Spalatin zu dessen großer Befriedigung mit, dass ihn unterwegs niemand behelligt habe. Nur in Weißenfels habe der Ortspfarrer, ein Wittenberger Magister, ihn erkannt und freundlich bewirtet. In Judenbach sei er zufällig dem kurfürstlichen Rat Degenhard Pfeffinger begegnet und habe ihn veranlasst, nicht nur für ihn, sondern auch für seine beiden Begleiter das Mittagessen im Betrage von zehn Groschen zu bezahlen. „Du weißt ja“, fügt er hinzu, „dass ich solche reiche Leute, besonders, wenn sie mir freundlich gesinnt sind, gern ärmer mache. Auch hier soll der Kastner des Kurfürsten, den ich noch nicht gesehen habe, weil er auf die Feste gegangen ist, unbedingt für uns zahlen. Ich habe die Sünde, zu Fuß gegangen zu sein, vollkommen gebüßt und bedarf daher für sie keines Ablasses. Nirgends fanden wir einen Wagen, der uns hätte mitnehmen können. Und so muss ich ununterbrochen weiter contritio, poenitentia, satisfactio (Buße) leisten.“ Am Sonntag Misericordias Domini (18. April) erreichte er endlich, wie er schreibt, Würzburg und gab dort noch am Abend seinen Kredenzbrief bei dem Fürstbischof Lorenz ab. Der Fürst lud ihn alsbald zu sich auf sein hoch über der Stadt thronendes Schloss Marienburg und fand solches Gefallen an ihm, dass er kurz vor seinem Tode (Februar 1519) an den Kurfürsten schrieb, er möge den frommen Mann Dr. Martinus ja nicht wegkommen lassen, da demselben Unrecht geschehe. Er versprach, ihn auch sogleich auf seine Kosten nach Heidelberg weitergeleiten zu lassen. Aber Luther lehnte dies Anerbieten dankend ab. Er hatte im Augustinerkloster, in dem er abgestiegen war, mehrere Ordensbrüder, darunter Johann Lang aus Erfurt, getroffen, mit denen er die Reise zu Wagen fortsetzen konnte.

Am 21. oder 22. April langte er wohlbehalten im Augustinerkloster zu Heidelberg an, und kurz danach, am 25., ward daselbst statutengemäß von Staupitz das Kapitel der Kongregation eröffnet. Wie Staupitz den „Lutherschen Lärm“ beurteilte, zeigt zur Genüge die Tatsache, dass er Luther den ehrenvollen Auftrag erteilt hatte, mit dem Wittenberger Bruder Leonhard Beier als Respondenten in dem großen Saale des Klosters die übliche öffentliche Disputation zu halten und die dazu nötigen Thesen zu liefern. Von dem Ablass ist in diesen Thesen nirgends die Rede. Auch seine neue Anschauung von der Buße berührt Luther darin mit keinem Worte. Sie handeln nur von Erbsünde, Sünde, Gnade, freiem Willen und Glauben, insbesondere aber von der Unfähigkeit des Menschen, aus eigener Vernunft und Kraft das Gute zu wollen. Sie richten sich also, wie die 97 Thesen vom 4. September 1517, vor allem gegen die Ockhamisten, die in der Korona nicht bloß sehr zahlreich, sondern auch rechtlich stattlich vertreten waren. Von den Erfurtern war z. B. sein alter Lehrer Usingen, der 1512 ins dortige Schwarze Kloster eingetreten war, erschienen. Um die Ockhamisten herauszufordern, hatte er auch zwölf philosophische Thesen aufgestellt, in denen er sich speziell gegen die Metaphysik des Aristoteles wandte und Pythagoras, Anaxagoras, Parmenides und vor allem Plato gegen Aristoteles ausspielte. Er empfand sonach damals anscheinend das Bedürfnis, in der Metaphysik ganz von Aristoteles loszukommen. Aber er hat diese Studien später nicht fortgesetzt, sondern es bei diesem einen Versuch bewenden lassen. Die Heidelberger Professoren der Theologie, die sich an der Disputation beteiligten, behandelten ihn, obgleich sie mit seinen Lehren nicht einverstanden waren, freundlich und achtungsvoll. Nur der fünfte und jüngste, Georg Schwarz aus Löwenstein, konnte seinen Unmut nicht verbergen, erregte indessen bloß allgemeines Gelächter, als er einmal zornig ausrief: „Wenn das die Bauern hörten, würden sie Euch steinigen.“ Die jugendlichen Zuhörer aber waren von dem fremden sächsischen Professor geradezu begeistert.

* * *

https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Bucer

Martin Bucer, Stich von Balthasar Jenichen

Martin Bucer (* 11. November 1491 in Schlettstadt; † 1. März 1551 in Cambridge; auch Martin Butzer oder Butscher) gehört zu den bedeutenden Theologen der Reformation und gilt als der Reformator Straßburgs und des Elsass.

Bucer trat mit fünfzehn Jahren als Mönch dem Dominikanerorden bei und immatrikulierte sich 1517 an der Universität Heidelberg. Hier kam es bei der Heidelberger Disputation 1518 zu einer folgenreichen Begegnung mit Martin Luther. Bucer wandte sich der protestantischen Theologie zu und wurde 1521 auf eigenen Wunsch aus dem Dominikanerorden entlassen. Ab Mai 1521 arbeitete er für Pfalzgraf Friedrich II. als Hofkaplan und erhielt 1522 durch Franz von Sickingen eine Pfarrstelle in Landstuhl. Hier heiratete er die ehemalige Nonne Elisabeth Silbereisen und zog mit ihr nach Weißenburg im Elsass. Dort unterstützte er den dortigen Pfarrer Heinrich Moterer bei der Einführung der Reformation und wurde deswegen vom Speyrer Bischof Georg exkommuniziert. 1523 wurde er vom Papst Hadrian VI. gebannt und suchte als Vogelfreier erfolgreich Asyl in der toleranten Reichsstadt Straßburg. Hier wurde er ordiniert und 1524 zum Pfarrer gewählt. An der Seite von Wolfgang Capito und Kaspar Hedio nahm er bald eine führende Stellung im Aufbau des evangelischen Kirchenwesens in der Reichsstadt und im gesamten südwestdeutschen Raum ein.

In den Folgejahren versuchte er zwischen den verschiedenen protestantischen Parteien (Lutheraner, Reformierte, Spiritualisten, Täufer) zu vermitteln. Sein besonderes Augenmerk galt dem Abendmahlsstreit. Bucer nahm 1529 am Marburger Religionsgespräch teil und war einer der Verfasser der Confessio Tetrapolitana, in der vier oberdeutsche Reichsstädte ihr Glaubensverständnis für die Diskussionen auf dem Augsburger Reichstag von 1530 zusammenfassten. 1536 erzielte er nach zähem Ringen einen Konsens mit Martin Luther über das Abendmahlsverständnis, der in der Wittenberger Konkordie fixiert wurde. In den Jahren 1540 und 1541 beteiligte er sich in den Religionsgesprächen in Hagenau, Worms und Regensburg auch an den Versuchen, einen Ausgleich zwischen Katholiken und Protestanten zu erreichen.

Bucer trat in dieser Zeit auch als Organisator der entstehenden evangelischen Landeskirchen auf. So entwarf er 1531 eine Kirchenordnung für die Stadt Ulm, beriet 1534 den württembergischen Herzog Ulrich bei der Einführung der Reformation in Württemberg und verfasste 1539 im Auftrag des hessischen Landgrafen Philipps I. die sogenannte „Ziegenhainer Zuchtordnung“, die die Basis für das reformatorische Kirchenwesen in Hessen wurde. Die Ziegenhainer Zuchtordnung ist heute noch von Bedeutung, da mit ihr unter Einfluss der Täuferbewegung die Konfirmation eingeführt wurde.

Elisabeth Silbereisen, die 13 Kinder gebar, starb 1541 während einer Pestepidemie. Derselben Epidemie fielen auch Wolfgang Capito und mehrere Kinder Bucers zum Opfer. Der einzige gemeinsame Nachkomme, der das Erwachsenenalter erreichte, war der geistig behinderte Sohn Nathanael. Bucer heiratete auf Elisabeths Wunsch hin 1542 Wibrandis Rosenblatt, die dreizehn Jahre jüngere Witwe von Wolfgang Capito und Johannes Oekolampad. Die beiden führten eine harmonische Ehe, der zwei weitere Kinder entsprossen.

1542/1543 lebte Bucer ein Jahr lang in Bonn, um im Auftrag des Erzbischofs von Köln, Hermann V. von Wied, die Reformation des Erzbistums vorzubereiten. In der Wasserburg zu Buschhoven verfasste er mit Philipp Melanchthon zwei Reformationsschriften („Einfaltigs Bedencken“) für den Kölner Erzbischof. Sein schärfster Widersacher in Köln war neben dem Domkapitel der Scholastiker und Rektor der Universität Matthias Aquensis, der auf die Schriften Bucers seinerseits mit fünf Publikationen reagierte. Auch der Kölner Domherr und Chorbischof Christoph von Gleichen trat ihm vehement entgegen. Anschließend kehrte Bucer nach Straßburg zurück. Das Scheitern des Kölner Reformationsversuchs veranlasste ihn, 1545 mit der Gründung einer „christlichen Gemeinschaft“ eine Freiwilligkeitsgemeinde neben den staatskirchlichen Strukturen zu etablieren.

1549 musste er die Stadt verlassen. Grund war sein Widerstand gegen die von Karl V. angeordnete „katholisierende“ Neuordnung des Kirchenwesens, das sogenannte Interim. Eingeladen von Peter Martyr Vermigli emigrierte Bucer nach England, wo er die Regius Professur of Divinity in Cambridge erhielt, deren Entsprechung an der University of Oxford von Martyr besetzt wurde. Dort wurde er im September 1549 zum Doctor theologiae promoviert. Er konnte noch seine Programmschrift De regno Christi abschließen, bevor er nach kurzer schwerer Krankheit 1551 starb. Nach seinem Tod wurde unter Maria Tudor der Katholizismus wieder Staatsreligion. Bucer wurde 1557 exhumiert und als Ketzer zusammen mit seinen Schriften verbrannt. 1560 wurde er durch Elisabeth I. in einem feierlichen Akt der Universität rehabilitiert. Eine Tafel in der Kirche St. Mary in Cambridge erinnert an Bucers Ruhestätte.

* * *

„Wie sehr auch unsere Hauptkämpen sich anstrengten, Luther aus dem Sattel zu heben“, schreibt der Begabteste von ihnen, der junge elsässische Dominikaner Martin Bucer aus Schlettstadt am 1. Mai an seinen Busenfreund Beatus Rhenanus, „so vermochten sie ihm doch nicht einen Fingerbreit abzugewinnen. Wundersam ist seine Anmut beim Respondieren, unvergleichlich seine Langmut beim Zuhören. Sein Scharfsinn erinnert an die Art des Apostels Paulus. Mit ebenso kurzen wie treffenden, aus dem Vorrat der Heiligen Schrift genommenen Antworten reißt er alle zur Bewunderung hin. Tags darauf (26. April) hatte ich eine vertraute Unterredung mit ihm unter vier Augen und teilte danach sein bescheidenes, aber mit köstlichen Gesprächen gewürztes Mahl. Was ich auch fragen mochte, alles wusste er aufs klarste mir auseinanderzusetzen. Mit Erasmus stimmt er ganz überein. Er übertrifft ihn aber, insofern er all das, was jener nur andeutet, frei und offen heraussagt. Oh, könnte ich Dir mehr noch schreiben! Er ist es gewesen, der in Wittenberg der Herrschaft der Scholastik ein Ende gemacht und bewirkt hat, dass dort das Griechische, Hieronymus, Augustin und Paulus öffentlich gelehrt werden.“ Ebenso tief und gewaltig war der Eindruck, den die beiden jungen Schwaben Johann Brenz und Theodor Billican, die gleichfalls nach der Disputation noch eine persönliche Unterredung von ihm begehrten, von dem sächsischen Mönch erhielten. „Wie Christus, als ihn die Juden verwarfen, zu den Heiden ging“, schreibt er selber in dankbarer Erinnerung an diese Jünglinge kurz darauf an Spalatin, „so hoffe ich jetzt zuversichtlich, dass die wahre Theologie Christi, welche jene auf ihre spitzfindigen Meinungen versessenen Greise verwerfen (die Erfurter Ockhamisten), bei der Jugend Aufnahme findet.“ Die Studenten waren aber nicht die einzigen, die ihn in der schönen Neckarstadt willkommen hießen. Auch der jüngere Bruder des Kurfürsten Ludwig V., Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm, der im Sommer 1515 in Wittenberg studiert hatte, und sein ehemaliger Erzieher Jakob Simler, der Freund des berühmten Jakob Wimpfeling, nahmen ihn freundlich auf. Der Prinz lud ihn sogar einmal mit Staupitz und Lang zur Tafel und ließ ihm dann die Kleinodien der kurfürstlichen Kapelle, das Zeughaus und alle anderen Sehenswürdigkeiten des „wahrhaft königlichen Schlosses“ zeigen.

Es versteht sich von selbst, dass er mit den Oberen der Kongregation in diesen Tagen auch über seinen Streit mit Tetzel und Genossen verhandelte. Wenn er im Juni seine Resolutionen durch Staupitz mit einem ehrfurchtsvollen Schreiben an Papst Leo X. schicken ließ, so war das unzweifelhaft eine Folge der Abmachungen, die er mit Staupitz in Heidelberg getroffen hatte. Aber offiziell wurde seine Angelegenheit auf dem Kapitel nicht berührt. Dass er von seinem Amte als Distriktsvikar entbunden wurde, hatte mit dieser Sache nicht das geringste zu tun, sondern geschah einfach deswegen, weil seine Amtszeit abgelaufen war.

Anfang Mai reiste er dann wieder heim, und zwar auf Befehl Staupitzens zu Wagen. Bis Würzburg nahmen ihn die Nürnberger Brüder mit, von Würzburg aus die Erfurter. In Erfurt suchte er dann am Abend des 8. Mai seinen alten Lehrer Jodok Trutvetter auf, hörte aber, dass der alte Herr nicht wohl sei, und bemühte sich daher am 9. Mai brieflich, die schweren Anklagen zu entkräften, die Trutvetter gegen ihn erhoben hatte. In der Folge kam es dann doch noch zu einer Aussprache zwischen ihm und dem immer noch hochverehrten und geliebten Lehrer, die Trutvetter wenigstens zu dem Geständnis bewog, dass er ihn weder widerlegen noch auch seine eigene Ansicht beweisen könne. Mit Usingen hatte er schon unterwegs auf der Fahrt von Würzburg nach Erfurt eifrig theologisiert, aber auch nur erreicht, dass der alte Mann ihn nachdenklich und verwundert anhörte. Noch weniger Erfolg hatte er selbstverständlich bei Leuten wie Johann Nathin. Er hätte, um diesen Widerstand zu überwinden, gern auch in Erfurt öffentlich disputiert. Aber er musste hierauf wegen der in den drei Tagen vor Himmelfahrt stattfindenden Buß- und Betandachten verzichten. So schied er denn am 11. oder 12. Mai von seinen alten Lehrern mit dem Eindruck, dass er von diesen Greisen nichts mehr zu erwarten habe, sondern alle seine Hoffnungen auf die Jugend setzen müsse. Von Trutvetter erhielt er im Juni noch einmal eine fulminante Epistel, die jeden weiteren Verkehr unmöglich machte. Als der längst Kränkelnde zehn Monate später, am 9. Mai 1519, starb, meinte er trauernd, er habe wohl wider seinen Willen sein Ende beschleunigt. So arg habe sich der Greis über die vermessene und verächtliche Behandlung gegrämt, die er nach seiner Ansicht der scholastischen Theologie angetan habe. Usingen und Nathin ließ er noch bis Anfang 1520 gelegentlich durch Lang grüßen. Aber das war nur mehr eine höfliche Gebärde. Tatsächlich hatte er schon seit jenen Maitagen keine Beziehung zu dem Erfurt seiner Jugend mehr. Er wunderte sich daher auch später kaum, dass Usingen und Nathin in ihren alten Tagen noch in die Reihe seiner entschlossensten Feinde eintraten.

Wiederanknüpfung mit Eck

Johann Eck – Kupferstich von Peter Weinher

Etwa am 12. Mai 1518 fuhr er mit den Eislebener Brüdern weiter nach Eisleben und von da dann am 14. Mai auf deren Kosten nach Wittenberg. Am 15. Mai traf er frisch und sogar, wie die Freunde meinten, „habitior et corpulentior“ (dicker), als er es vor vier Wochen verlassen hatte, im Schwarzen Kloster wieder ein. Am 16. Mai früh stand er schon wieder auf der Kanzel der Stadtkirche, um den Wittenbergern eine Predigt über die Wirkung des Bannes zu halten, die in dem Verfahren gegen ihn später eine große Rolle spielen sollte. Am 19. Mai sandte er dann an Eck, der inzwischen wieder mit ihm anzuknüpfen versucht hatte, eine Kopie der längst fertig gestellten Asterisci und benutzte diese Gelegenheit gleich, dem hochmütigen Ingolstädter Professor für sein zweideutiges Verhalten ordentlich den Text zu lesen. Kurz zuvor (9. Mai) hatte Karlstadt, dem er Ecks Obelisci mitgeteilt hatte, ganze 406 Thesen veröffentlicht, in denen er ohne sein Wissen und wider seinen Willen auch Eck scharf angegriffen hatte. Er sah ein, dass Eck diesen Angriff nicht stillschweigend hinnehmen könne, und schrieb ihm das auch, bat ihn jedoch, in Erinnerung daran, dass er die Wittenberger zuerst herausgefordert habe, nicht zu rau mit Karlstadt zu verfahren. Eck nahm diesen Brief gut auf. Der Friede mit ihm schien daher jetzt ganz wiederhergestellt zu sein.

Mehr als dies zur Zeit noch ziemlich harmlose Geplänkel zwischen Ingolstadt und Wittenberg beschäftigten ihn aber die beiden literarischen Arbeiten, mit deren Druck er wohl schon vor seiner Abreise nach Heidelberg begonnen hatte: die lateinische Bearbeitung seiner Predigten über die zehn Gebote und die zweite Ausgabe der Theologia deutsch. Die erste verließ erst am 20. Juli die Presse und wurde sofort zweimal nachgedruckt, die andere kam schon am 4. Juni mit der berühmten Vorrede heraus, die das Werk des alten Frankfurter Gottesmannes bis heute in Kurs erhalten hat, obwohl sie sichtlich von dem Bestreben diktiert ist, den „deutschen Theologen“ als Bundesgenossen der neuen Wittenberger Theologie gegen Tetzel und Genossen auszuspielen, deren Theologie der deutsche Theologe in Wahrheit doch viel nähersteht als der Theologie Luthers. Luther selbst hat das freilich nie recht erkannt, aber von der Bewunderung des deutschen Theologen und Taulers ist er schon 1520 abgekommen. Er hat beide seitdem niemals mehr zitiert und empfohlen.

Erster Appell an den Papst

Zur selben Zeit legte er auch die letzte Hand an das Werk, das er auf Staupitz’ Rat als Beweis für seine Rechtgläubigkeit und löbliche Gesinnung gegen den Heiligen Stuhl Papst Leo X. überreichen sollte: die Resolutionen. Schon am 30. Mai konnte er eine sauber geschriebene Kopie mit einem Begleitbrief an den Papst zu weiterer Beförderung an Staupitz senden. Von diesem Begleitbrief besitzen wir noch ein Blatt seines eigenhändigen Konzeptes, das ein interessantes Licht auf die Stimmung wirft, in der er sich damals befand. Nur deswegen, schreibt er hier, habe er sich an den Papst gewandt, weil er den deutschen Ketzermeistern, d. h. Tetzel und seinen Ordensbrüdern, zeigen wolle, dass er sich nicht vor ihnen fürchte. „Ich weiß, der Mensch kann nichts denken, es werde ihm denn gegeben von oben her. Am allerwenigsten aber kann das der Papst, von dem es ja heißt: das Herz des Königs ist in der Hand Gottes. Daher, Heiliger Vater, lege ich Dir meine Schrift mit allem Vertrauen zu Füßen. Wie immer Deine Entscheidung ausfallen mag, jedenfalls wird sie von Jesus stammen, ohne den Du nichts denken und sprechen kannst. Verurteilst Du mein Buch zum Feuer, so werde ich sagen: Wie es dem Herrn gefallen hat, so ist es geschehen. Befiehlst Du es zu erhalten, so werde ich sagen: Ruhm sei Gott! Ich verliere nichts, wenn es verbrannt, und gewinne nichts, wenn es nicht verbrannt wird. Christus bedarf meiner nicht. Er kann sich auch aus den Steinen Kinder erwecken und die Berge umstürzen, ehe sie es merken. Dieser mein Glaube an meinen Herrn Jesum Christum genügt mir. Er, der Herr, bewahre und leite Dich, nicht nach Deinem oder sonst eines Menschen Wohlgefallen, sondern nach seinem Willen, der allein gut ist und gepriesen sei in Ewigkeit, Amen.“ In der Reinschrift ist der lange Abschnitt über das trotzige Prahlen und Dräuen der deutschen lnquisitoren, d. h. in erster Linie Tetzels, mit dem Namen und der Gewalt des Papstes ganz weggefallen. Statt der Erklärung aber, dass es ihm gleich sei, was der Papst mit seinem Buche mache, heißt es jetzt: „Ich lasse mein Buch zu meiner größeren Sicherheit unter dem Schutze Deines Namens ausgehen, Heiliger Vater, damit alle gutwilligen Leser erkennen können, in welch reiner Gesinnung ich das Wesen der Kirchengewalt zu ergründen versucht habe und welche Ehrfurcht ich der Gewalt der Schlüssel entgegenbringe. Wäre ich so, wie jene mich schildern, so würde der durchlauchtigste Kurfürst Friedrich von Sachsen sicher nicht eine solche Pestbeule an seiner Universität dulden, denn er ist wohl der größte Eiferer für die katholische Wahrheit, den es jetzt gibt. Auch würden dann wohl die höchst scharfsinnigen und überaus fleißigen Männer dieser Universität mich nicht ertragen können; darum, Allerheiligster Vater, werfe ich mich Dir mit allem, was ich bin und habe, zu Füßen: Mache lebendig, töte, rufe, widerrufe, approbiere, verwirf, ganz wie Dir’s beliebt! Ich werde Deine Stimme als die Stimme Christi, der in Dir regiert und redet, anhören. Habe ich den Tod verdient, so werde ich mich nicht sträuben zu sterben. Denn des Herrn ist die Erde und was in ihr ist. Er sei gepriesen in Ewigkeit, Amen.“ Der Schluss des Briefes ist somit bei der Reinschrift von ihm völlig verändert worden. All die für seine Stimmung in diesen Tagen besonders bezeichnenden Wendungen hat er gestrichen und durch einige Sätze im gemeinüblichen Kurialstil ersetzt, so dass der Brief im ganzen aus einem freimütigen Bekenntnis seiner inneren Unabhängigkeit von allen menschlichen Autoritäten nun zu einem Bekenntnis seiner unbedingten Unterwürfigkeit unter die Autorität des Papstes geworden ist. Er hat dabei aber doch einen Satz stehen lassen, der zu dem neuen Schluss passt wie die Faust aufs Auge: „Widerrufen kann ich nicht.“ Dürfen wir ihn ganz allein für diese seinen sonst so frank und frei bekannten Überzeugungen völlig widersprechenden Wendungen verantwortlich machen? Nein! Schon der in dem Entwurf noch gänzlich fehlende Hinweis auf den katholischen Glaubenseifer des Kurfürsten verrät, dass hier die Hand eines Hofmannes mit tätig gewesen ist, der mit dem Kurialstil besser vertraut war als er. Dieser Hofmann kann kaum ein anderer gewesen sein als sein Freund Spalatin, der auch später öfters, meist auf Befehl des Kurfürsten, solche ihm abgeforderte hochoffiziöse Briefe und Erklärungen erst auf den Hofton hat stimmen müssen. Aber dass der Kurfürst diesmal schon die Hand mit im Spiele gehabt habe, ist damit nicht gesagt. Spalatin kann ihm diesen Liebesdienst recht wohl auf eigene Verantwortung und Gefahr getan haben.

Letzte Abrechnung mit Tetzel

Anscheinend an demselben Tage (4. Juni), wo er die Resolutionen an den jetzt unausgesetzt mit dem Drucke seiner Werke beschäftigten Meister Grünenberg ablieferte, flatterten ihm zwei neue Kundgebungen ins Haus, die ihm sofort die Feder wieder in die Hand zwangen: Tetzels fünfzig neue Thesen, die nicht nur ihm, sondern auch dem Kurfürsten ganz unverhüllt mit dem Scheiterhaufen drohten, und die zur selben Zeit von dem gereizten Ketzermeister verfasste Verlegung (Widerlegung) des Sermons von Ablass und Gnade. In ein oder zwei Tagen warf er rasch eine Widerlegung dieser Widerlegung aufs Papier, so dass die neue Schrift schon in der zweiten oder dritten Juniwoche unter dem Titel „Freiheit des Sermons päpstlichen Ablass und Gnade belangend“ erscheinen konnte. Sie fand sofort solch reißenden Absatz, dass Grünenberg sie Anfang Juli bereits in zweiter, stark vermehrter Auflage herausgeben musste. Sachlich enthält sie kaum etwas Neues. Aber der Ton ist ein ganz anderer als in seinen bisherigen Schriften. Er ficht jetzt zum ersten Mal mit der Bauernaxt und „spielt“, wie er selbst sagt, mit dem Gegner, der sich nach seiner Meinung solche Blößen gegeben hat, dass er nicht mehr ganz ernst genommen zu werden verdient. Gleich im Anfang meint er: Dieser „Dichter“ hat anscheinend überflüssig viel Zeit und Papier, weiß aber davon sichtlich keinen besseren Gebrauch zu machen, als die Wahrheit mit unsauberen Worten anzugreifen. „Seine unnötigen leeren Scheltworte befehle ich wie Papierblumen und dürre Blätter dem lieben Wind, der mehr Zeit für so etwas hat als ich. Nur die Ecksteine seines Klettenbaus nehme ich vor.“ „Wenn er so viel tausend scholastische Lehrer anführt, so hat er die bloßen Rechenpfennige doch zu hoch gewertet. Hätte er die Sache recht überlegt, so hätte er nicht viel mehr als drei gefunden, denn die anderen sind doch nur Jaherrn und Nachfolger.“ „Wenn er mich allein übel behandelte, so wollte ich das gern leiden..., aber das ist in keinem Wege zu leiden, dass er die Schrift, unseren Trost, nicht anders behandelt wie die Sau einen Habersack.“ Er und seine Gesellen erdichten uns täglich neue Wörter claves excellentiae, claves auctoritatis, claves ministrabiles, und warum? um schließlich „uns alle Beutel und Kasten leer zu machen und danach die Hölle auf- und den Himmel zuzuschließen“. „Wer Ablass löst, sagen sie, tut besser, als wenn er einem Armen in seiner äußersten Not einen Almosen gibt. Gott erbarme sich, das nennt sich Lehrer des Christenvolkes! Wahrlich, jetzt brauchen wir nicht mehr zu erschrecken, wenn wir hören, wie die Türken unsere Kirchen und das Kreuz Christi schänden. Wir haben bei uns hundertmal ärgere Türken, die uns unser einziges Heiligtum, das Wort Gottes, zunichte machen... Soll ein Christenmensch dem anderen nicht eher helfen als in der äußersten Not, dann ist die christliche Liebe minderwertiger als die Freundschaft unter den Tieren.“ „Ich verwerfe die Scholastiker nicht ganz, denn sie haben das ihrige getan, sondern nur ihre – nicht aus der Schrift geschöpften – Meinungen. Und ich tue das hauptsächlich um der Leute willen, die sie nicht da anführen, wo sie mit der Schrift und Vernunft bewährt sind, sondern da, wo sie am nackendsten und schwächsten sind, in der Materie des Ablasses.“ „Zum Beschluss geht das Wetter über mich und bin da ein Erzketzer, Ketzer, Apostat, Irrlehrer, Frevler usw. ... Wenn solche Leute, die die Bibel nicht kennen und weder lateinisch noch deutsch verstehen, mich so überaus lästerlich schelten, so ist mir zumute, als ob mich ein grober Esel anschreie.“ „Dass er sich aber zum Stock, Wasser und Feuer erbietet, um seine Lehre zu bewähren, kann ich armer Bruder ihm nicht verbieten. Aber mein treuer Rat wäre doch: er erböte sich klüglich zum Rebenwasser und zu dem Feuer, das aus der gebratenen Gans raucht, denn dessen ist er besser gewöhnt... Da sie, obwohl diese Materie nicht den Glauben, die Seligkeit, Not und Gebot anbetrifft, so gottsüchtig und liebessiech sind, auch wegen solcher unnötiger unketzerlicher Sachen Ketzer zu verbrennen, so verzeihe mir, lieber himmlischer Vater, dass ich um alle Ehre, die nicht dein ist, zu Spott zu machen, einmal gegen meine Baaliten auftrotze. Hier bin ich zu Wittenberg, Doktor Martin Luther Augustiner. Ist irgendwo ein Ketzermeister, der sich zutraut, Eisen zu fressen und Felsen zu zerreißen, so möge er wissen, dass er hier sicheres Geleit, offene Tore, freie Herberge und Kost haben wird laut gnädiger Zusage des Kurfürsten von Sachsen.“ „Wenn diese Leute die Schrift lästern und Gott in seinen Worten Lügen strafen, so nennen sie das die Christenheit bessern und ehren. Aber wenn man lehrt, dass es nicht nötig sei, Ablass zu lösen, und es sich nicht gehöre, aus den armen Leuten Geld herauszuschinden, das heißt die Kirche und das Sakrament schmähen und die Christen ärgern. Das sage ich darum, dass man fortan ihre Sprache und das neue Rotwelsch verstehen könne.“ „Seine Thesen, die er sich rühmt, in Frankfurt an der Oder verteidigen zu wollen – Sonne und Mond werden sich billig verwundern über das große Licht ihrer Weisheit –, halte ich größtenteils für richtig, nur müsste überall, wo es heißt: ,Die Christen sind zu lehren’, stehen: ,Die Ablasshändler und Inquisitoren sind zu lehren.’“ Gott helfe der Wahrheit und sonst niemand. Amen! Ich vermesse mich nicht, über die hohen Tannen zu fliegen, zweifle aber auch nicht, dass ich über das dürre Gras kriechen kann.“

Man sieht: Die Sprichwörter, Bilder, komischen Vergleiche und Hyperbeln strömen ihm jetzt, auch wenn er ausnahmsweise einmal deutsch schreibt, schon ungesucht zu. Aber ihm selbst war bei diesem „Spiel“ doch nicht ganz wohl zumute. „Ich habe dabei zu sehr den Freunden nachgegeben“, schreibt er am 10. Juli an seinen Freund und Ordensgenossen Wenzel Link in Nürnberg, „und doch keineswegs ganz ihren Wünschen Genüge getan. Am liebsten ließe ich die Schrift nicht wieder ausgehen.“ In der Tat, die Zeit war zu solchem Spiele schon fast zu ernst geworden. Am selben 10. Juli ließ ihn der Graf Albrecht von Mansfeld wissen, er solle unter keinen Umständen das Weichbild von Wittenberg verlassen, denn einige „Magnaten hätten sich verschworen, ihn abzufangen und entweder zu hängen oder zu ertränken“. Wir wissen nicht, ob etwas an dem Gerücht war. Er selbst glaubte jedenfalls daran. Aber er verlor deswegen nicht den Mut. „Je mehr sie drohen“, schreibt er, „um so größer wird meine Zuversicht. Frau und Kinder, Acker und Haus, Geld und Gut habe ich nicht. Mein Ruf und Name wird schon zerrissen. Das einzige, was noch übrig ist, ist mein schwacher gebrechlicher Leib. Nehmen sie mir den noch, dann lebe ich vielleicht ein oder zwei Stunden weniger. Aber die Seele können sie mir nicht nehmen. Ich singe mit Johann Reuchlin: ,Wer arm ist, kann nichts verlieren’ usw. Ich weiß auch. dass, wer das Wort Christi in die Welt hinausbringen will, wie die Apostel auf alles verzichten und zu jeder Zeit auf den Tod gefasst sein muss. Wäre das nicht der Fall, so wäre es nicht das Wort Christi. Durch den Tod ist es erkauft, durch Märtyrer verkündet und erhalten, durch Märtyrer kann es auch jetzt allein recht bewahrt und weiter überliefert werden!“ So ernst und doch froh und frei war ihm zumute, als er erfuhr, dass Tetzels Drohungen nicht in den Wind geredet waren.

Die Eröffnung des kanonischen Prozesses