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Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. E-Book 1: Die Jugendliebe E-Book 2: Das wandelbare Herz E-Book 3: Das Mädchen von nebenan E-Book 4: Ein anderer trug seinen Namen E-Book 5: Es begann auf einem Kongress E-Book 6: Das Mädchen aus Schweden E-Book 7: Angst um den kleinen Bobby E-Book 8: Es begann auf einem Kongress E-Book 9: Der Brief des unbekannten Vaters E-Book 10: Verjährte Schuld E-Book 11: Die Sekretärin E-Book 12: Vergiß die bösen Träume E-Book 13: Eine Frau sucht ihren Namen E-Book 14: Ein Herz voller Liebe E-Book 15: Vergiss, was geschehen ist E-Book 16: Was geschah mit Jasmin? E-Book 17: Es gibt immer einen Ausweg E-Book 18: Romanze unter südlichem Himmel E-Book 19: Doch die Liebe ist kein Spiel E-Book 20: Romina - ein Mädchen mit Herz E-Book 21: Ein Herz lässt sich nicht zwingen E-Book 22: Ein Tag voller Tränen E-Book 23: Alles fing so harmlos an E-Book 24: So einfach ist das Leben nicht E-Book 25: Mit einer Lüge leben? E-Book 26: Fast zerstörte er ihr Leben E-Book 27: Als das Leid dich traf E-Book 28: Der Hilferuf einer Mutter E-Book 29: Es war wie ein Wunder E-Book 30: Keine Hochzeit mit Diana? E-Book 31: Ein Kind veränderte ihr Leben E-Book 32: Die heimliche Liebe E-Book 33: Julia und der Unbekannte E-Book 34: So schön kann das Leben sein E-Book 35: Ein unvergessenes Gesicht E-Book 36: Das Abenteuer, das Liebe heißt E-Book 37: Es war kein Zufall E-Book 38: Gerettetes Leben E-Book 39: Dann wusste sie, was Liebe ist E-Book 40: Ein Mann kam aus Amerika E-Book 41: Grenzenlose Mutterliebe E-Book 42: Ein Mann und sein Geheimnis E-Book 43: Ein schönes Mädchen in Gefahr E-Book 44: … doch sie vergaß die Liebe E-Book 45: Vergessen konnte ich dich nie E-Book 46: … doch ihr Herz weinte E-Book 47: Er fand seine große Liebe E-Book 48: Dann kam der Rivale E-Book 49: Vergessene Tränen E-Book 50: Seit ich dich gefunden habe
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Seitenzahl: 6783
Veröffentlichungsjahr: 2021
Die Jugendliebe
Das wandelbare Herz
Das Mädchen von nebenan
Ein anderer trug seinen Namen
Es begann auf einem Kongress
Das Mädchen aus Schweden
Angst um den kleinen Bobby
Es begann auf einem Kongress
Der Brief des unbekannten Vaters
Verjährte Schuld
Die Sekretärin
Vergiß die bösen Träume
Eine Frau sucht ihren Namen
Ein Herz voller Liebe
Vergiss, was geschehen ist
Was geschah mit Jasmin?
Es gibt immer einen Ausweg
Romanze unter südlichem Himmel
Doch die Liebe ist kein Spiel
Romina - ein Mädchen mit Herz
Ein Herz lässt sich nicht zwingen
Ein Tag voller Tränen
Alles fing so harmlos an
So einfach ist das Leben nicht
Mit einer Lüge leben?
Fast zerstörte er ihr Leben
Als das Leid dich traf
Der Hilferuf einer Mutter
Es war wie ein Wunder
Keine Hochzeit mit Diana?
Ein Kind veränderte ihr Leben
Die heimliche Liebe
Julia und der Unbekannte
So schön kann das Leben sein
Ein unvergessenes Gesicht
Das Abenteuer, das Liebe heißt
Es war kein Zufall
Gerettetes Leben
Dann wusste sie, was Liebe ist
Ein Mann kam aus Amerika
Grenzenlose Mutterliebe
Ein Mann und sein Geheimnis
Ein schönes Mädchen in Gefahr
… doch sie vergaß die Liebe
Vergessen konnte ich dich nie
… doch ihr Herz weinte
Er fand seine große Liebe
Dann kam der Rivale
Vergessene Tränen
Seit ich dich gefunden habe
Mit flammenden Augen sah Sabine Petersen ihren Vater an. »Und ich sage dir nochmals, dass ich nicht mitfahre, wenn du diese blöde Ziege mitnimmst!«, stieß sie wütend hervor.
Dr. Helmut Petersen war blass geworden. »Mäßige dich, Sabine«, sagte er streng, aber doch bemüht, sie nicht noch mehr zu reizen. Sabine war fünfzehn und anscheinend in einer schwierigen Entwicklungsphase, doch bisher hatte Helmut Petersen nicht einsehen wollen, dass diese eingesetzt hatte, als Irene Matthei zum ersten Mal in sein Haus gekommen war.
Bisher hatte Sabine auch nur stummen Widerstand geleistet, Irene einfach ignoriert, und er hatte gehofft, dass sie zugänglicher werden würde, aber dieser Ausbruch besagte das Gegenteil.
»Wir werden uns mal ganz ernsthaft und auch in aller Ruhe unterhalten«, sagte er nun. »Ich muss jetzt weg.«
Sabine kniff die Augen zusammen. »Eil nur, eil nur«, höhnte sie, »wenn sie pfeift, musst du springen.«
»Ich habe eine wichtige Besprechung«, entgegnete er unwillig, und er ärgerte sich wegen dieser Rechtfertigung. Aber Sabine war sein einziges Kind, und er liebte seine Tochter. Bis vor einigen Monaten hatten sie sich ja auch prächtig verstanden, eben bis zu dem Tag, als die attraktive Irene Matthei in sein Leben getreten war.
Sabine blickte ihrem Vater grimmig nach, aber als sein Wagen davongefahren war, kamen ihr die Tränen.
Wenig später läutete es, Finni, die Haushälterin, kam aus der Küche.
»Lass nur, Finni, ich mache schon auf«, sagte Sabine. »Es wird Thomas sein. Er wollte mich zum Tennis abholen.«
Vor sich hin murmelnd ging Finni wieder in die Küche zurück. Es passte ihr nicht, dass der Thomas jetzt so oft kam. Er war siebzehn und ein rechter Bruder Leichtfuß. Es passte ihr erst recht nicht, dass Sabine sich zu ihm aufs Mofa schwang, und überhaupt hatte Finni in letzter Zeit so manches in diesem Haus auszusetzen, in dem sie nun bereits seit zwölf Jahren für Sabine und Herrn Petersen Ordnung sorgte.
Aber nun konnte sie erleichtert sein, denn es war nicht Thomas, der geläutet hatte, sondern Dr. Rolf Petersen, Helmut Petersens jüngerer Bruder, und er wurde von Sabine freudig begrüßt.
»Wo kommst du denn her, Rölfchen?«, fragte das Mädchen. Den Onkel hatte sie sich immer geschenkt, und der Kosename, mit dem sie ihn bedachte, verriet, wie gern sie ihn hatte.
»Von der Behnisch-Klinik, Binni«, erwiderte er. »Ich habe einen Patienten hingebracht.«
»Höchstpersönlich?«, staunte sie.
»Es pressierte.« Rolf sagte nicht, dass es sich um eine Patientin handelte, die ihm höchstpersönlich sehr am Herzen lag.
Er wusste sehr gut, wie aggressiv Sabine neuerdings auf Damenbekanntschaft in der engen Verwandtschaft reagierte.
»Ist Helmut nicht da?«, fragte er.
»Nein, er enteilte zu seiner Kichererbse«, erwiderte sie spöttisch.
»Wieso Kichererbse?«, fragte Rolf verblüfft.
»Hast du sie noch nicht kichern gehört? Allein diese Stimme macht mich rasend. Da stehen einem doch die Haare zu Berge, aber Paps scheint nicht nur blind zu sein sondern auch taub.«
»Nun übertreib mal nicht, Binni. Sie ist doch sehr attraktiv.«
»Oh, ihr Männer«, sagte sie verächtlich, »sie kann nicht mal richtig lachen, sonst fällt ihr die Schminke in Stücken herunter.«
Er musste lachen. »Du bist eine Ulknudel, Binni«, sagte er.
»Mir ist aber gar nicht ulkig, Rölfchen. Wenn Paps sie heiratet, haue ich ab. Und nach Griechenland fahre ich bestimmt nicht mit, wenn sie dabei ist.«
»Und wo willst du die Ferien verbringen?«
»Vielleicht bei dir?«, fragte sie stockend.
»Binni, das geht nicht! Ich bin doch beruflich eingespannt bis zum Gehtnichtmehr.«
»Ich kann dir doch in der Praxis helfen«, sagte sie störrisch.
»Das wären schöne Ferien. Lass uns mal in Ruhe darüber reden. Ich werde auch mit meinem Bruder darüber sprechen.«
»Liebe Güte, der ist doch von seiner Irene so chloroformiert, dass sein ganzer Verstand im Eimer ist.«
Er überlegte kurz. Dann blickte er auf seine Armbanduhr. »Wie wär’s, wenn wir schick zum Essen gehen? Ich muss nachher sowieso noch mal in die Klinik, und morgen habe ich keine Sprechstunde. Eigentlich wollte ich fragen, ob ihr ein Bett für mich habt.«
»Spaßvogel, das weißt du doch!«
»Gut, dann gehen Ulknudel und Spaßvogel essen«, scherzte sie. Sabine himmelte ihn an. »Schade, dass du mein Onkel bist. Dich würde ich auf der Stelle heiraten«, seufzte sie.
»Damit lass dir mal noch ein paar Jährchen Zeit, Binni, und denk auch dran, dass ich nicht mehr der Jüngste bin.«
Finchen war zufrieden, als sie gingen, obgleich sie auch ein Essen hätte anbieten können, aber sie hoffte, dass Rolf dem Mädchen mal ordentlich ins Gewissen reden würde, aber auch seinem Bruder, denn mit Irene Matthei hatte auch sie nichts im Sinn. Sie begriff auch nicht, dass so ein gescheiter Mann, der noch dazu Rechtsanwalt war, auf so ein Getue hereinfallen konnte.
*
Rolf hatte die richtige Art, mit seiner Nichte umzugehen. Er behandelte sie nicht als kleines Mädchen, sondern gab ihr das Gefühl, ernst genommen zu werden, und er nahm sie auch ernst.
»Wie wird denn heuer das Zeugnis, junge Dame?«, fragte er beiläufig.
»Bestimmt gut«, erwiderte sie
»Oh, là, là, das hört man gern. Das Zwischenzeugnis war ja nicht gerade erfreulich.«
»Weiß ich, aber das lag auch am Lehrer.«
»Habt ihr jetzt einen andern?«, erkundigte er sich.
»Eine Lehrerin, Becker heißt sie. Eine dufte Frau. Ja, wenn Paps so eine daherbringen würde, hätte ich bestimmt nichts dagegen, aber diese aufgetakelte Ziege kann ich nicht ausstehen.«
»Also eine ganz persönliche Aversion, keine generelle«, bemerkte er nachdenklich.
»Ich habe mich immer so prima mit Paps verstanden, und jetzt geht nichts mehr«, sagte Sabine bekümmert. Dann blickte sie auf. »Warum hast du eigentlich nie geheiratet, Rölfchen?«
»Ich habe bis jetzt noch nicht die Richtige gefunden«, erwiderte er. »Als Arzt braucht man ja auch eine Frau, die Verständnis hat.«
»Die braucht ein Anwalt auch. Ich glaube, ich werde nie heiraten und lieber Lehrerin werden, damit unverstandene Kinder wenigstens einen Menschen haben, der sie versteht.«
Rolf horchte auf. »Ist deine Lehrerin so eine?«, fragte er beiläufig.
»Ich werde mich natürlich hüten, dieses Monsterweib zu erwähnen«, sagte Sabine, und Rolf staunte nun doch, mit welchen Ausdrücken sie Irene belegte, »aber Frau Becker weiß, dass ich keine Mutter mehr habe, und sie hat mir deshalb auch geholfen, dass ich nachhole, was ich versäumt habe.«
»Du bist doch ein intelligentes Mädchen, Binni«, sagte Rolf, »warum hattest du plötzlich so nachgelassen?«
»Das hab’ ich doch schon gesagt. Dieser dämliche Lehrer hat dauernd an mir rumgenörgelt, und dann kam auch noch dieses Weib ins Haus. Ich war schon immer ganz kribbelig, wenn ich nur ihre Stimme am Telefon hörte, aber als ich sie sah, kam mir die Galle rauf. Seitdem habe ich auch abgenommen. Was sagt der Arzt dazu?«, fragte sie anzüglich.
»Dass du ein paar Pfund mehr haben könntest, und ich hoffe, dass du wenigstens jetzt richtig isst.«
Das tat sie dann auch und fragte ihn, ob sie mit zur Klinik fahren und dort auf ihn warten dürfe.
»Es wird aber ziemlich lange dauern«, meinte er.
»Das macht nichts. Ich kenne mich da ja aus, seit ich dort vom Blinddarm befreit wurde. Meine Güte, wie Paps sich da aufgeregt hat. Da hat er an meinem Bett gesessen und war immer für mich da. Jetzt könnte ich halbtot sein, und er würde dennoch bei seiner Irene hocken.«
»Das darfst du nicht sagen, Binni. Steiger dich bloß nicht in solche Vorstellungen hinein. Helmut hat dich sehr lieb.«
»Dann soll er es mir beweisen und das Weib zum Teufel jagen«, sagte Sabine aggressiv.
Ich muss mit Helmut reden, bevor das zu Komplexen führt, dachte Rolf, aber als sie nun in der Behnisch-Klinik waren, galt seine Sorge Annabel Buchner.
Sabine setzte sich brav in den Warteraum, aber dort hielt sie es keine fünf Minuten aus, dann marschierte sie los, und sie traf auch sogleich die Nachtschwester Hilde.
»Jesses, Sabine, was machst du denn hier?«, rief sie erschrocken aus. »Fehlt dir was?«
»Nö, mein Onkel besucht einen Patienten. Ich warte auf ihn. Wie geht es denn so?«
»Viel Arbeit, wie immer. Du bist dünn geworden, schaust ja wie ein Bub aus. Und die kurzen Haare! Du hattest doch so schöne Locken.«
»Sie haben mich gestört«, sagte Sabine trotzig.
»Das Trotzalter geht auch vorbei«, sagte Schwester Hilde nachsichtig.
Da kam Dr. Jenny Behnisch. »Hallo, Sabine«, sagte sie lässig, »willst du nicht lieber heimfahren? Dein Onkel bleibt noch einige Zeit. Ich bestelle dir mal ein Taxi.«
»Worum handelt es sich denn eigentlich?«, fragte Sabine besorgt. »Ich kann doch warten. Mich vermisst doch niemand.«
»Du musst doch morgen in die Schule«, sagte Jenny.
»So klein bin ich auch nicht mehr, dass ich um neun Uhr schlafen muss«, erwiderte Sabine. »Ich sehe Rolf so selten.«
»Na, dann setz dich zu mir. Trinken wir einen Tee. Ich muss munter bleiben. Wir haben ein paar schwere Fälle.«
Rolf sprach noch mit Dr. Behnisch. »Es ist keine Hirnhautentzündung«, hatte der das Gespräch eingeleitet, »aber Vorsicht ist besser als Nachsicht, da ja nun schon einige Fälle bekanntgeworden sind. Und in diesem Fall war die Vorsicht wohl besonders gut. Diese Verdickung am Haaransatz hat sich als Tumor herausgestellt.«
Rolf wurde blass. »O Gott!«, murmelte er.
»Nur keine Panik. Frau Buchner ist schon davon befreit, es ward ihm keine Chance gegeben, sich auszubreiten. Wir müssen den histologischen Befund noch abwarten, aber ich bin überzeugt, dass er nicht bösartig war, nur so böse, auf einen Nerv zu drücken. Es war gut, dass Sie mich auf diese Verdickung aufmerksam gemacht haben, lieber Kollege Petersen. Wenn Ärzte immer so gut zusammenarbeiten würden, bliebe mancher Kummer erspart, und es würde nicht kostbare Zeit vergeudet.«
»Und ich muss gestehen, dass ich erst durch einen Bericht über einen Fall so aufmerksam wurde, der tragisch ausging.«
»Das Kind, das man aus der Klinik heimschickte, weil man keinen Tumor feststellte und Diagnose Grippe stellte«, sagte Dr. Behnisch. »Nun, man kann den Kollegen Nachlässigkeit vorwerfen, aber ob das Kind noch zu retten gewesen wäre, kann ich nach den vagen Berichten nicht beurteilen. Aber Ihnen kann ich sagen, dass Frau Buchner bestimmt geholfen wurde. Morgen werden wir den Befund haben.«
»Und was sagt das EEG?«, fragte Rolf.
»Die Gehirnströme sind normal, der physische Zustand der Patientin ist als recht gut zu beurteilen, psychisch war sie wohl ein wenig überfordert?«
»Diese Kopfschmerzen haben ihr Angst gemacht, da sie immer heftiger wurden. Sie hat viel durchgemacht. Sie hat fünf Jahre ihre gelähmte Mutter gepflegt, die ich behandelt habe. Dann waren sie auch finanziell ziemlich am Ende, weil Annabel ihrem Beruf nicht mehr nachgehen konnte, aber ihre Mutter auch nicht in ein Pflegeheim geben wollte. Vor drei Monaten starb Frau Buchner, aber da Annabel dann nicht gleich eine Stellung fand und auch recht am Ende war, half sie mir in der Praxis.«
»Es wird ihr bald bessergehen«, sagte Dr. Behnisch aufmunternd.
Als Rolf das Krankenzimmer betrat, wurde gerade der Tropf entfernt. Schwester Hilde tat das gewissenhaft.
»Ihre Nichte wartet immer noch, Herr Doktor«, sagte sie. »Sie sitzt jetzt bei der Frau Doktor.«
Und während Rolf nun Annabel beobachtete, versuchte Dr. Jenny Behnisch, mit Sabine klarzukommen. Auch sie hatte schon den Eindruck gewonnen, dass die Konflikte in dem Mädchen tiefer saßen, als sie zuerst angenommen hatte. Allerdings äußerte sich Sabine Jenny Behnisch gegenüber nicht so drastisch über Irene, wie sie es zu Rolf getan hatte. Sie sagte nur, dass ihr Vater eine Freundin hätte, die sie nicht möge.
Jenny kannte solche Probleme, und sie konnte nicht beurteilen, ob Sabines Abneigung auch tatsächlich begründet war. Töchter hingen nun mal an ihren Vätern, noch dazu, wenn sie einige Jahre mit ihnen allein gelebt hatten und auf sie fixiert waren. Und Jenny wusste auch, wie liebevoll Helmut Petersen mit seiner Tochter war.
»Vielleicht ist sie netter, als du meinst, Sabine«, sagte sie behutsam. »Man hegt manchmal Vorurteile, die unbegründet sind.«
»Die sind aber nicht unbegründet. Sie müssten diese Schlange mal kennenlernen, Frau Dr. Behnisch. Paps ist doch sonst so gescheit, aber da hat er sich richtig einfangen lassen. Ja, raffiniert muss sie schon sein bei aller Blödheit.« So war sie herausgeplatzt, und Jenny wurde nun doch sehr nachdenklich. Sabine war kein romantisches Mädchen. Sie hatte einen klarer Blick. Sie war auch keine Halbstarke, wie man solche Mädchen, die eine Lippe riskierten, gern bezeichnete. Und nun sagte Sabine etwas, was sie erschrecken ließ.
»Ich kann ja nichts dafür, dass ich ohne Mutter aufgewachsen bin, aber schließlich hätte Paps daraus doch was lernen müssen, denn schließlich hatte sie den Unfall selbst verschuldet, bei dem sie starb.«
»Woher weißt du das?«, fragte Jenny erschrocken.
»Thomas hat es mir erzählt. Ich spiele mit ihm Tennis. Thomas Gross, Sie kennen ihn. Er war hier, als er einen Schienbeinbruch hatte.«
»Und woher bezieht er die Weisheit?«, fragte Jenny.
»Von seiner Großmutter. Die ist bei dem Unfall nämlich auch leicht verletzt worden. Thomas ist das egal. Er sagt sowieso, dass seine Großmutter eine Klatschbase ist und er kümmert sich nicht um Gerede.«
»Er erzählt es weiter, Sabine, ausgerechnet dir, findest du das fair?«
»Wenn es doch wahr ist«, sagte Sabine trotzig. »Ich habe es nachgelesen. Paps hat das bestimmt schwer geschlaucht, aber nun hat er sich wieder eine angelacht, die kein Verantwortungsbewusstsein hat.«
»Du kannst doch nicht sagen, dass deine Mutter keines hatte«, sagte Jenny vorwurfsvoll.
»Finden Sie es verantwortungsvoll, wenn eine Mutter ihr kleines Kind allein lässt, an der Riviera herumkurvt und auf der Rückfahrt übermüdet auf einen Lastwagen rast? Aber so was macht nachdenklich und reif, Frau Dr. Behnisch. Frau Becker versteht das auch.«
»Wer ist Frau Becker?«
»Meine Lehrerin. Dr. Annette Becker, aber sie legt keinen Wert auf den Titel.«
»Ich auch nicht, Sabine«, sagte Jenny.
»So war es nicht gemeint. Bei einer Lehrerin ist das doch was anderes. Mit der ist man jeden Tag zusammen.«
»Und du magst sie«, sagte Jenny.
»Ja, sehr. Jetzt macht mir die Schule sogar wieder Spaß, aber wenn Paps diese Frau heiratet, will ich trotzdem weg.«
»Nun mal langsam mit den jungen Pferden, Sabine. Dein Vater ist noch kein alter Herr, da ist doch mal ein Flirt erlaubt.«
»Hab’ ja nichts dagegen, wenn es eine nette Frau wäre. Niemand kann mich verstehen. Ich sehe doch das gierige Glitzern in ihren Augen, wenn sie sich bei uns umschaut. Und ich habe auch schon in ihre Boutique geschaut, wenn sie nicht da war. Der Laden geht doch nicht. Sie braucht einen Mann, der sie finanziert. Ich habe das längst durchschaut, aber Paps denkt, ich sei nur eifersüchtig.«
»Ich würde an deiner Stelle ganz ernsthaft mit deinem Vater reden, Sabine«, sagte Jenny.
»Darüber kann man mit ihm doch nicht ernsthaft reden.«
Jenny wurde weggerufen. Es tat ihr leid in diesem Augenblick. Sabine blieb auch nicht geduldig sitzen. Sie wanderte wieder herum, und dann kam Rolf. Er war blass.
»Jetzt fahren wir aber heim«, sagte er rau.
»Geht es deinem Patienten nicht gut?«, erkundigte sich Sabine.
»Den Umständen entsprechend nach schon«, erwiderte Rolf, »aber es ist eine Patientin, eine noch junge Frau, die bisher schon sehr viel mitgemacht hat.«
»Was?«, fragte Sabine.
»Ihr Vater ist früh gestorben. Sie hatte eine sehr gute Stellung, aber dann bekam ihre Mutter vor Jahren einen Schlaganfall und war gelähmt. Sie hat diese Mutter über Jahre versorgt, und da sie nicht mehr arbeiten konnte, wurde auch das Geld immer knapper. Solche Sorgen hast du nicht, Binni, und du solltest dankbar sein.«
»Warum sagst du das? Sollte ich froh sein, dass meine Mutter keinen Schlaganfall mehr bekommen konnte, weil sie sich umgebracht hat?«
Rolf starrte sie bestürzt an. »Wie kannst du so reden«, murmelte er.
»Stimmt es etwa nicht? Ihr braucht mich doch nicht ein Leben lang für dumm verkaufen. Was nützt es mir, dass sie die große Tat vollbrachte, mich in die Welt zu setzen.«
»Jetzt ist es aber genug, Binni. Für heute ist Schluss mit diesem Thema. Morgen rede ich mit meinem Bruder.«
»Wenn er dazu Zeit hat«, sagte sie aufsässig.
»Er wird sie sich nehmen müssen«, sagte Rolf grimmig.
*
Helmut war schon da, als sie kamen. Er runzelte die Stirn.
»Ihr wart aber lange aus«, sagte er.
»Wir waren noch in der Klinik. Ich hatte dort zu tun«, erwiderte Rolf.
»Wir konnten ja auch nicht ahnen, dass du mal früh zu Hause bist«, sagte Sabine giftig. »Aber ich geh’ schon zu Bett. Ich muss ja in die Schule. Und du wirst es nicht glauben, Paps, aber da bin ich jetzt am allerliebsten. Gute Nacht.« Sie ging zur Tür. »Gute Nacht, Rölfchen, danke für das gute Essen«, sagte sie noch.
»Ich werde aus ihr nicht mehr klug«, stöhnte Helmut.
»Vielleicht deshalb, weil du anderweitig zu sehr engagiert bist«, meinte der Jüngere anzüglich.
»Herrgott, es ist doch nicht so, dass ich mich gleich Hals über Kopf in eine Ehe stürzen will. Davon kann noch gar nicht die Rede sein. Mir ist Sabine immer noch wichtiger.«
»Tatsächlich, großer Bruder? Aber sie ist von einer Abneigung ohnegleichen gegen diese Frau geradezu besessen.«
»Vielleicht deshalb, weil Irene mal gesagt hat, dass sie nicht immer in Jeans herumlaufen soll. Und was war das Ergebnis? Gleich hat Sabine sich einen Stiftenkopf schneiden lassen. Da war ich auch entsetzt.«
»Ich finde, dass er ihr gar nicht schlecht steht.«
Helmut starrte Rolf an. »Jetzt sind die Haare ja auch schon wieder gewachsen, aber es kommt ja nicht auf die Haare an. Sie giftet mich auch an.«
»Aus Angst, dich zu verlieren, Helmut. Sieh es doch mal so.«
»Irene ist wirklich zu allen Zugeständnissen bereit. Sie hat gemeint, dass ein längerer Urlaub doch Gelegenheit geben würde, sich mit Sabine anzufreunden. Als ich ihr heute sagte, dass Sabine strikt dagegen ist, war sie sehr enttäuscht.«
»Dann fährst du allein mit deiner Irene. Ich bringe Sabine schon irgendwo unter.«
»Das kommt nicht infrage«, sagte Helmut. »Ich habe immer in den Sommerferien drei Wochen mit Sabine verbracht, und dabei bleibt es.«
»Dann sag es ihr.«
»Du erfasst das nicht, Rolf. Sie würde triumphieren. Aber ich kann mich doch nicht ein Leben lang nach den Launen meiner Tochter richten. Eines Tages, und schon bald, ist sie erwachsen. Dann trifft sie einen Mann, der ihr gefällt und geht mit ihm auf und davon. Und ich schaue dumm aus der Wäsche.«
»Muss es denn ausgerechnet Irene sein?«, fragte Rolf nachdenklich.
»Ich bin doch nicht so töricht, mich Hals über Kopf an die Kette legen zu lassen, aber darüber kann ich doch nicht mit Sabine sprechen.«
»Warum nicht?«
»Sie ist noch ein Kind.«
»Du bist töricht«, sagte Rolf. »Du kannst ihr doch nicht mehr weismachen, dass du mit Irene nur mal Essen gehst oder ins Theater, und dass sie nur mit in den Urlaub fährt, um freundschaftliche Beziehungen zu Sabine aufzunehmen. Die Mädchen von heute, auch wenn sie erst fünfzehn sind, sind weiter als die Mütter von gestern, als diese ihr Ja sagten, bis dass der Tod sie scheide, aber so lange hat es auch bei denen nicht immer gehalten. Red doch mal mit ihrer Lehrerin. Zu der hat Binni anscheinend doch volles Vertrauen.«
»Darüber redet sie mit mir aber nicht«, sagte Helmut gereizt. »Das wird wohl so eine ewige Jungfrau sein, die ihr Wohlwollen an mutterlose Kinder verschwendet.«
»Und wenn es so wäre, fände ich auch das anerkennenswert«, sagte Rolf.
»Jedenfalls besser, als wenn eine extravagante Frau ein kritisches Mädchen allein mit ihrem Kichern erschreckt, von allem andern abgesehen. Vielleicht brauchst du eine Brille und auch noch ein Hörgerät, um deine Tochter zu verstehen, Helmut.«
Helmut starrte ihn an, drehte sich um und verließ wortlos den Raum.
Rolf ging langsam hinaus. Da stand Sabine schon an der Treppe.
»Dein Bett ist schon gemacht, Rölfchen«, flüsterte sie. »Hast du ihm Zunder gegeben?«
»Eine kalte Dusche, Kleine, aber die hat anscheinend nicht gewirkt.«
»Dann muss man ihn eben seinem Schicksal überlassen«, sagte Sabine. »Wenn sie ihn richtig ausgenommen hat, wird er es schon merken.«
Sie ahnte nicht, dass ihr Vater diese Worte hörte und ein Frösteln durch seinen Körper lief, denn gerade an diesem Tag hatte er Irene dreißigtausend Euro gegeben. Als Darlehen, wie sie betont hatte und gegen alle Sicherheiten. Aber dann hörte er auch noch, wie sein Bruder sagte: »Er ist doch Anwalt, Binni, er lässt sich nicht aufs Kreuz legen.«
Als er am nächsten Morgen am Frühstückstisch erschien, war Sabine schon in der Schule. Er war erst gegen Morgen eingeschlafen und fühlte sich wie zerschlagen.
»Ist mein Bruder geblieben, Finchen?«, fragte er.
»Ja, aber er hat Sabine zur Schule gebracht und ist dann gleich in die Behnisch-Klinik gefahren.«
»Wann kommt er zurück?«, fragte Helmut.
»Hat er nicht gesagt. Nur, dass Sie auf ihn keine Rücksicht nehmen müssen, wenn Sie was anderes vorhaben.«
Er hatte Irene um elf Uhr abholen wollen, aber da er nun schon auf den Beinen war, fasste er den Entschluss, gleich zu ihr zu fahren, um einmal ernsthaft mit ihr über seine Probleme zu reden; die ihm jetzt doch deutlicher geworden waren, obgleich er Sabines Aggressionen nicht akzeptierte.
Zehn Minuten nach zehn Uhr läutete er bereits an Irenes Wohnungstür. Erst nach dem dritten Läuten vernahm er Schritte und unwilliges Gemurmel. Dann ging die Tür einen Spalt auf, und er blickte in ein Gesicht, das ihm völlig fremd erschien.
»Du«, sagte Irene erschrocken, »wieso so früh? Ich bin gerade im Bad.«
»Dann bade weiter. Ich warte«, sagte er gereizt. »Ich muss mit dir sprechen. Ich kann nicht den ganzen Tag weg. Mein Bruder ist gekommen.«
Er blickte in ein nacktes Gesicht. Sie wandte sich schnell ab. »Ich bin gerade erst aufgestanden. Ich hatte eine schlechte Nacht.«
»Ich auch«, sagte er. »Lass dich nicht aufhalten.«
»Ich habe noch nicht aufgeräumt«, murmelte sie.«
»Macht nichts.«
Er betrat das Wohnzimmer, das verraucht war. Gläser standen auf dem Tisch. Eine angebrochene Whiskyflasche, zwei leere Weinflaschen standen am Boden.
»Ich habe gestern Abend noch überraschenden Besuch bekommen«, sagte sie von der Tür her. »Ich erzähle dir nachher davon.«
Als sie im Bad verschwunden war, riss er die Fenster auf. Bisher hatte es immer anders ausgeschaut hier, wenn er gekommen war, aber da hatte Irene auch gewusst, wann er kommen würde, die zwei vollen Aschenbecher. Auch ausgedrückte Zigarren lagen darin. Er ging in die Küche, um sie auszuschütten, aber da sah er noch ein halbes Dutzend leerer Flaschen herumstehen.
Plötzlich hatte er das beklemmende Gefühl, dass seine fünfzehnjährige Tochter klüger wäre als er. Das bekam seinem Selbstgefühl nicht gut.
Er ging zum Bad und öffnete die Tür nur einen Spalt.
»Scheint ja eine bewegte Nacht gewesen zu sein« sagte er sarkastisch. »Schlaf dich aus. Ich gehe wieder.«
»Sei doch nicht beleidigt, Helmut. Ich bin ja bald fertig. Meine Güte, wegen ein paar alten Bekannten brauchst du doch nicht gleich eingeschnappt zu sein.«
»Ich bin nicht eingeschnappt. Du bist frei und ungebunden und kannst machen, was du willst.«
Und schon ging er. Da sie noch in der Badewanne saß, konnte sie ihm nicht folgen. Sie war wütend, aber doch überzeugt, dass sich das schnell wieder in Ordnung bringen ließe. Auf keinen Fall wollte sie es mit ihm verderben.
*
Sabine war nach der Schule zum Reisebüro gegangen. Sie blätterte in den Prospekten und überlegte dabei, wie viel Geld sie wohl im Sparschwein hätte, weil ihr alles schrecklich teuer vorkam. Da vernahm sie eine vertraute Stimme: »Hallo, Sabine, was machst du denn hier?«
Ihre Lehrerin Annette Becker stand neben ihr. Sabine wurde verlegen.
»Ich hole Prospekte für meinen Vater«, erwiderte sie hastig.
»Sagtest du nicht, dass ihr nach Griechenland fahren wollt?«
»Das steht jetzt doch noch nicht fest«, erwiderte Sabine. »Ich würde ja auch am liebsten in die Berge fahren. Dürfte ich Sie mal besuchen, wenn es bei uns nicht klappt?«
Annette war überrascht, aber sie wollte diese Bitte nicht überbewerten.
»Mit dem Radl wäre es ein bissel zu weit«, sagte sie.
»Vielleicht macht Onkel Rolf mal einen Ausflug mit mir.« Diesmal vergaß sie nicht »Onkel« zu sagen, denn Annette sollte ja nichts Falsches denken. »Darf ich Ihnen wenigstens mal schreiben?«
Annette wurde sehr nachdenklich, und ein tiefes Mitgefühl mit diesem Mädchen erwachte in ihr, das sie aus mehreren Gründen sehr gern hatte, ohne dies Sabine jedoch zu deutlich zu zeigen. Sie wusste, dass eine persönliche Beziehung zwischen Lehrern und Schülern leicht missverstanden werden konnte, aber andererseits hatte ein guter Lehrer auch die Pflicht, auf die psychische Verfassung eines Kindes einzugehen.
»Was machst du dir denn für Sorgen?«, fragte sie. »Um die Noten doch nicht etwa? Darüber kann sich dein Vater doch freuen.«
»Er hat mir die ganze Freude an den Ferien verdorben«, platzte Sabine heraus.
»Aber warum denn?«, fragte Annette etwas erschrocken.
»Das kann man nicht mit ein paar Worten sagen.«
Annette überlegte schnell. »Wenn du Lust und Zeit hast, kannst du ja mit zu mir kommen«, schlug sie vor.
Sabines Augen leuchteten auf. »Darf ich?«, fragte sie hastig.
»Da können wir uns besser unterhalten. Komm.«
Annette hatte ihren Wagen nicht weit entfernt geparkt. Aber die Fahrt zu ihrer Wohnung dauerte doch fast eine Viertelstunde.
»Bekommst du auch keinen Ärger, wenn du später kommst?«, erkundigte sich Annette.
»Ist doch niemand da«, erwiderte das Mädchen.
»Bist du sehr viel allein?«
»Meistens. Natürlich ist Finchen da, unsere Haushälterin, aber sie hat ja nur Interesse fürs Putzen und Kochen, und mit ihr kann man sich nicht unterhalten. Und mein Vater ist in letzter Zeit abends auch sehr selten zu Hause«, stieß sie trotzig hervor. »Daran ist dieses Weib schuld, dieses gräßliche Weib.«
Das ist also das Problem, dachte Annette. Eifersucht! Aber sie sollte bald merken, dass es nicht nur Eifersucht war, sondern eine wilde Abneigung, die man auch als Hass bezeichnen konnte.
Sie hatte vor einem kleinen rosenumrankten Haus gehalten, das in einem blühenden Garten stand.
»Oh, ist das hübsch«, rief Sabine aus. »Wunderschön!«
»Es gehörte meinen Großeltern. Ich war schon als Kind gern hier. Und deshalb bin ich dann auch in München seßhaft geworden.«
»Zum Glück für mich«, sagte Sabine andächtig.
»Wieso das?«
»Sonst wäre ich bestimmt immer eine schlechte Schülerin geblieben.«
»Jetzt hör aber damit auf. Du warst eine sehr gute Schülerin, bis auf das letzte Zeugnis. Und ich habe mich gefragt, wieso es zu diesem Leistungsabfall in so kurzer Zeit kommen konnte.«
»Ich habe es ja schon angedeutet«, erwiderte Sabine leise. »Das Verhältnis zu meinem Vater hat sich verschlechtert. Mir war alles egal.«
»Wegen einer Frau«, sagte Annette nachdenklich.
»So eine Kampfhenne«, echauffierte sich Sabine. Ihr Repertoire an Ausdrücken für Irene war schier unerschöpflich.
»Lassen wir jetzt mal die Aggressionen, Sabine«, sagte Annette ruhig. »Traust du deinem Vater keine Menschenkenntnis zu?«
»In diesem Fall wirklich nicht, Frau Becker. Und das wurmt mich. Er ist so gescheit, so erfolgreich, er hat so viel Durchblick, und von so einer lässt er sich umgarnen. Sie ist so falsch, wie die Nacht finster ist.«
»Und du bist überzeugt, dass du mit dieser Charakteristik recht hast.«
»Ja, vollkommen überzeugt. Und wenn Paps auch so misstrauisch wäre wie ich, dann hätte er schon längst herausgebracht, dass sie ihm was vorgaukelt. Die hat doch noch mehr Männer an der Angel.«
»Meinst du nicht, dass du dir manches einredest, weil du sie nicht leiden kannst, Sabine?«, fragte Annette behutsam.
»Sie würden mir bestimmt recht geben, wenn Sie sie kennen würden. Sie haben mehr Durchblick als so ein chloroformierter Mann. Gehen Sie doch mal in ihre Boutique. Irenes Ladyshop heißt sie. Sprechen Sie doch mal englisch mit ihr, Sie können es doch perfekt, dann lachen Sie sich eckig, was sie quasselt. Ich dachte doch, dass Paps bald dahinterkommen würde, aber weiß der Himmel, was sie an sich hat, dass er festklebt. Und nun soll sie auch noch mit nach Griechenland fahren, damit wir uns besser kennenlernen. Aber ich habe Paps schon die Meinung gesagt, klipp und klar.«
Annette hatte Sabine wegen ihrer umwerfenden Offenheit von Anfang an gemocht. Aber sie hielt sich sowieso von den Cliquen zurück, die zu mancherlei Skepsis und Sorge Anlass gaben.
»Was hat dein Vater erwidert?«, fragte Annette.
»Er war geschockt«, gab Sabine offen zu.
»Möchtest du ein Glas Milch zur Beruhigung?«, fragte Annette freundlich. »Versteh bitte, dass ich keine Stellung beziehen kann, ohne die anderen Beteiligten zu kennen.«
»Ich bin schon froh, dass ich mit Ihnen sprechen konnte.«
Annette brachte Milch und einen Hefezopf.
»Ich werde dir jetzt noch zeigen, wo ich die Ferien verbringe, und wenn du wirklich mal einen Ausflug dorthin machen kannst, freue ich mich, wenn du mich besuchst.«
Wieder strahlte Sabine sie an. »Ich weiß nicht, warum ich Sie so mag. Eigentlich hatte ich nie was übrig für Lehrer«, erklärte sie, »aber Sie sind einfach dufte. Und eigentlich sind Sie viel zu hübsch für eine Lehrerin, die sich mit Halbstarken herumplagen muss.«
»Oh, ich komme gut zurecht, und ich finde, dass die meisten doch recht handsam sind. Ich habe nicht vergessen, dass ich auch mal jung war, Sabine, und so manchen Streich haben auch wir unseren Lehrern gespielt.«
»Sie sind aber doch noch jung«, protestierte Sabine.
»Keine Komplimente, Sabine«, konterte Annette. »Ich bin siebenunddreißig Jahre.«
»Und sehen zehn Jahre jünger aus, das darf man doch sagen.«
Annette hatte Sabine nicht ganz nach Hause gebracht, aber so weit, dass sie nur noch zwei Minuten gehen musste.
Aber Helmut hielt schon Ausschau nach ihr. Er war blass und nervös.
»Wo bleibst du denn so lange?«, fragte er gereizt. »Wir warten mit dem Essen.«
»Müsste doch nicht sein«, sagte sie trotzig. »Ich konnte ja nicht wissen, dass du zu Hause bist. Warum regst du dich denn so auf?«
»Na, nach deinen dummen Reden in der letzten Zeit, muss man sich ja Sorgen machen, dass du mir eins auswischen willst.«
Er nahm auch kein Blatt vor den Mund. In Sabines Augen blitzte es auf. Er hat Angst, dass ich durchbrennen könnte, ging es ihr blitzschnell durch den Sinn, das muss ich mir merken.
»Ist Rolf auch nicht da?«, fragte sie.
»Du sollst nicht ablenken«, forderte Helmut.
»Soll ich noch mal das Gleiche sagen wie neulich? Ich ändere meine Meinung nicht so schnell.«
»Aber wir können doch vernünftig miteinander reden, Sabine. Ich akzeptiere begründete Argumente.«
»Dann nimm doch deine Irene mal richtig unter die Lupe, vielleicht geht dir dann doch ein Licht auf«, sagte sie.
So schnell war er nun doch nicht bereit zuzugeben, dass er sich jetzt auch kritische Gedanken machte.
»Gut, das werde ich tun, und wir zwei werden auch allein nach Griechenland fahren. Ist das ein Friedensangebot?«
Sie warf ihm einen schrägen Blick zu. »Und dann kreuzt sie doch da unten auf«, sagte sie bockig. »Dem Frieden trau’ ich nicht.«
»Du solltest Staatsanwältin werden, Sabine«, sagte er trocken. »Du würdest selbst dem Unschuldigsten noch was anhängen.«
»Das stimmt nicht, Paps«, erwiderte sie. »Aber für dumm verkaufen lasse ich mich nicht. Und selbst wenn du zur Vernunft kommst, an der wirst du noch was zu knabbern haben.«
Helmut starrte sie an. »Für eine Fünfzehnjährige bist du verflixt überheblich«, stellte er fest.
»Ich werde bald sechzehn, aber ich nehme zur Kenntnis, dass du jetzt wenigstens kein unbedarftes Kleinkind in mir siehst. Hattest du nicht mit dem Essen gewartet?«
Er war sprachlos. Aber da kam Rolf. »Wie geht es deiner Patientin?«, fragte Sabine.
»Zufriedenstellend.«
»Dann wirst du ja auch Appetit haben«, lächelte sie.
*
In der Behnisch-Klinik hatte auch Annabel Buchner schon eine leichte Mahlzeit zu sich nehmen können, und nach dem langen Besuch von Rolf schmeckte es ihr auch.
Als Dr. Jenny Behnisch kam und sich erkundigte, wie ihr das Essen bekommen sei, sagte sie, dass sie nicht gedacht hätte, so schnell wieder etwas essen zu können.
»Es war ja keine Magenoperation«, meinte Jenny lächelnd.
»Ist es wirklich so, wie Dr. Petersen gesagt hat?«, fragte Annabel stockend. »Ich meine, ist es nichts Bösartiges?«
»Dann wären Sie jetzt nicht so gut beisammen, und wir wären auch nicht so vergnügt«, erwiderte Jenny. »Ein guter Arzt kann viel verhindern, wenn er entschlossen handelt. Noch besser wäre es allerdings, wenn die Patienten so tolerant wären, dem Arzt behilflich zu sein, die Ursache eines Leidens zu finden.«
»Ich wollte doch nicht so herumjammern, wie manche Patienten, die zu Dr. Petersen in die Praxis kamen«, erklärte Annabel. »Sie ahnen vielleicht gar nicht, welches Theater manche um das kleinste Wehwehchen machen.«
»Doch, das weiß ich, aber man sagt ja auch, dass die Leute am ältesten werden, die dauernd beim Arzt sitzen. Das hat auch was für sich. Auch eine unbedeutende Ursache kann manchmal schlimme Folgen haben. Würden Sie mir jetzt sagen, ob Sie mal eine Verletzung am Hinterkopf hatten, Frau Buchner?«
»Ist das wichtig?«
»Für uns ja. Es bringt uns immer einen Schritt weiter. Auch ein gutartiger Tumor entsteht nicht aus dem Stegreif, es sei denn, er sei angeboren als ein Muttermal. Aber gutartige Tumore können bösartig werden. Bei Ihnen ist es glücklicherweise nicht der Fall. Ich zeige Ihnen später den histologischen Befund. Für uns Ärzte ist es von Interesse, viele Kleinigkeiten zusammenzutragen, um herauszufinden, was wodurch entstanden ist.«
»Ja, ich hatte mal eine Verletzung. Es ist etwa zwei Jahre her. Wie Sie vielleicht von Dr. Petersen bereits wissen, war meine Mutter durch einen Schlaganfall gelähmt. Ich musste sie umbetten, und da war sie schon ziemlich schwer. Ich bin ausgerutscht und mit dem Hinterkopf aufgeschlagen. Ich war nur kurz wie betäubt, aber ich konnte meine hilflose Mutter doch nicht allein lassen.«
»Und warum haben Sie das Dr. Petersen nicht gesagt? Er hat Ihre Mutter doch betreut.«
»Er hätte vielleicht gesagt, dass ich nicht die Kraft hätte, Mutter zu pflegen. Er hat das oft angedeutet.«
»Und wohl recht gehabt«, sagte Jenny ruhig. »Und jetzt wird geschlafen.«
»Sie sind alle sehr lieb«, sagte Annabel.
Jenny ging zu ihrem Mann. Nun hatten sie ein bisschen Ruhe für die Mittagsmahlzeit. Aber Jenny dachte über Annabel nach.
»Das zu denken«, murmelte sie.
»Was zu denken?«, fragte Dieter.
»Da macht sich so ein zartes Geschöpf kaputt, um die Mutter zu pflegen, die doch nicht mehr gesund werden kann. Und es hätte sein können, dass sie vorher daran zugrunde gegangen wäre. Dann hätte Frau Buchner ja auch in ein Pflegeheim gebracht werden müssen.«
»Menschliche Bindungen sind nun mal stärker, Jenny«, meinte Dieter, »auch wenn sie über die eigene Kraft hinausgehen. Petersen macht sich die schwersten Vorwürfe, dass er nicht vorher ein Machtwort gesprochen hat.«
»Das hätte doch auch nichts genutzt«, sagte Jenny. Und dann schilderte sie ihm, wie es zu der Verletzung gekommen war, durch die sich dann der Tumor gebildet hatte.
»Ein bisschen höher«, brummte er, »dann wäre es eine verflixt heikle Geschichte geworden.«
*
Rolf hatte ein langes, ernstes Gespräch mit seinem Bruder geführt, das ihn doch ein bisschen beruhigt hatte. Helmut hatte ihm erklärt, dass er gewiss nicht die Absicht gehabt hätte, sich Hals über Kopf in eine zweite Ehe zu stürzen. Und nachdem Sabine sich so aggressiv verhielt, wären ihm große Bedenken gekommen. Aber auch seinem Bruder gegenüber hätte er nicht zugegeben, warum ihm gerade jetzt Bedenken gekommen waren.
Schnell lenkte er dann auch Rolf mit der Frage ab, ob sein Interesse an der Patientin in der Behnisch-Klinik mehr privater als beruflicher Natur sei.
»Annabel Buchner ist ein Mensch, um den es sich lohnt«, erwiderte Rolf zurückhaltend. »Ich habe ihre schwerkranke Mutter behandelt bis zu deren Tode, und so kennen wir uns schon seit Jahren. Allerdings gebe ich gern zu, dass sie die Frau ist, mit der ich gern für immer leben würde.«
»Dann kann Sabine ja gleich doppelt eifersüchtig sein«, bemerkte Helmut ironisch.
»Ich glaube, du verstehst noch immer nicht ganz, dass es Sabine nicht darum geht, dass du keine Frau anschauen sollst, sondern nur darum, dass sie zu dir und auch ins Haus passt.«
Helmut wandte sich ab. »Es mag ja sein, dass Irene nicht der Typ Frau ist, der einer Fünfzehnjährigen gefällt, aber Sabine hat sich auch nicht die geringste Mühe gegeben, sie näher kennenzulernen.«
»Gegen Antipathie kann man nichts machen, Helmut. Bei Männern spielen andere Dinge mit. Natürlich spielt es bei Sabine auch eine Rolle, dass sie den innigen Kontakt zu dir gefährdet sah, und du wirst es nicht leugnen wollen, dass dies auch der Fall war.«
»Von mir aus nicht«, widersprach Helmut heftig.
»Gewollt hast du’s nicht, davon bin ich überzeugt, aber Irene ist doch nicht der Mensch, der für deine Tochter Verständnis aufbringt. Sie ist scharf auf den Mann, auf einen gutbetuchten Mann, der dazu auch noch ganz ansprechend aussieht. Aber der Mann hat auch einen Beruf, der ihn beansprucht, und Sabine hat recht klar erfasst, dass Irene hier im Hause das Regiment führen würde. Und das würde ein schönes Fiasko geben. Sabine ist kein kleines Dummchen und kein Duckmäuser, und schließlich hast du sie zu einem selbstbewussten, aufrichtigen Wesen erzogen. Sei froh, dass sie nicht bestechlich ist. Ihr wird viel erspart bleiben, und leicht wird sie sich eine Entscheidung nie machen. Sie denkt nach, und du solltest auch mal nachdenken.«
»Ich habe dir schon gesagt, dass von Heirat nicht die Rede war, und dass ich die Ferien auch mit Sabine allein verbringen werde.«
»Dann ist es ja soweit okay«, erklärte Rolf gelassen. »Ich wollte mit Binni ein bisschen an den See fahren. Kommst du mit?«
Helmut hatte bereits genickt, aber da läutete es. Sabine erschien. »Dein Gspusi ist da«, sagte sie grimmig. »Komm, Rölfchen, wir räumen das Feld.«
»Ich wollte doch mitkommen«, sagte Helmut rau.
»Und sie hängt sich dran, das tät dir so passen!«, sagte Sabine.
Mit einem zuckersüßen Lächeln streckte Irene Rolf die Hand entgegen.
»Wie nett, Sie auch mal wiederzusehen«, sagte sie mit girrender Stimme und einem koketten Augenaufschlag. Sabine gab hörbar einen Laut des Unwillens von sich.
»Wir wollten gerade wegfahren«, sagte Rolf hastig.
»Wollen wir nicht gemeinsam einen kleinen Ausflug machen?«, tönte Irene.
»Nee, danke«, sagte Sabine unverblümt. Sie erntete dafür einen giftigen Blick.
»Du hättest anrufen können, Irene«, sagte Helmut unwillig.
»Aber nun bin ich persönlich da«, erklärte sie mit einem frivolen Lächeln. »Ich bin nicht gleich beleidigt.«
Rolf und Sabine waren schon draußen. Helmut war gereizt und verärgert. Er wusste nicht, was er sagen sollte, denn einfach vor die Tür setzen konnte er sie auch nicht.
»Wir können ja auch einen kleinen Ausflug machen«, sagte er zögernd, um sich nicht auch noch Finchens Unwillen zuzuziehen. »Wir müssen uns sowieso über einiges klar werden.«
Ihre Augen verengten sich. »Du kannst von mir nicht erwarten, dass ich es mit alten Freunden, mit denen ich zudem noch geschäftlich zu tun habe, verderbe.«
»Ich mache dir keine Vorschriften«, erwiderte er. »Du kannst verkehren, mit wem du willst. Und mir musst du zugestehen, dass meine Tochter für mich an erster Stelle steht.«
»Dieses kleine Biest hat also wieder mal gehetzt«, entfuhr es ihr.
»Sabine sagt ihre Meinung. Sie mag dich nicht, das zeigt sie dir doch auch offen. Und du magst sie auch nicht. Also gibt es keine Gemeinsamkeiten.«
Sie änderte den Ton. »Wir hatten doch so auf den gemeinsamen Urlaub gesetzt, Helmut«, sagte sie sanft. »Mein Gott, mir geht halt auch der Gaul durch, wenn ich von diesem Gör so angeredet werde.«
»Wie immer ihr euch auch gegenseitig bezeichnet«, sagte Helmut heiser, »Sabine ist meine Tochter.«
»Und ich, was bin ich?«
Ja, wie sollte er es bezeichnen? Ihm fehlten die Worte dafür.
»Wir kennen uns immerhin schon fast ein Jahr«, stieß sie hervor.
»Allerdings, aber unsere engeren Beziehungen bestehen erst seit einigen Wochen, und im Grunde lieben wir doch beide unsere Freiheit.«
»Hört, hört!«, höhnte sie. »Aber mir Vorschriften machen wollen, wenn ich mal Besuch bekomme.«
»Keineswegs, ich sage es nochmals. Mich hat die Atmosphäre in deiner Wohnung ernüchtert, das gebe ich zu. Vielleicht bin ich da ein bisschen zu pedantisch, aber ich bin halt anderes gewohnt.«
»Und ich habe nicht erwartet, dass du so früh hereingeplatzt kommst. Das ist ja auch nicht gerade gentlemanlike«, konterte sie.
»Zugegeben, aber was sollen wir uns jetzt gegenseitig Sachen an den Kopf werfen, die augenblicklich für mich nebensächlich sind. Für mich ist es wichtig, das Vertrauen und die Zuneigung meiner Tochter nicht aufs Spiel zu setzen, und deshalb ist es wohl besser, wenn wir uns trennen, Irene.«
Sie griff ihm so abrupt ins Steuer, dass er fast die Gewalt über den Wagen verloren hätte. Es war zum Glück kein Gegenverkehr und auch der folgende Wagen war noch weit entfernt. Er trat auf die Bremse. »Nimm dich zusammen!«, fauchte er. »Wir sind erwachsene Menschen, die offen miteinander reden können.«
»Denkst du, ich lasse mich so einfach abschieben?«, zischte sie. »Deinetwegen habe ich mein Geschäft vernachlässigt, viele gute Verbindungen aufgegeben.«
Er dachte an Sabines Worte, und er erinnerte sich, dass er nicht nur ein Mann, sondern auch Anwalt war.
»Wieso denn das?«, fragte er sarkastisch. »Wir haben uns doch immer nur abends gesehen, und das auch nicht allzu häufig, nicht mal so häufig, wie Sabine denkt. Von deinem Geschäft verstehe ich nichts, und ich habe mich da auch nie eingemischt. Und um es ganz deutlich zu sagen, Irene, von Heirat habe ich auch nicht gesprochen. So schnell geht so was bei mir nicht. Ich habe auch kein Mönchsdasein geführt, seit meine Frau tot ist.«
»Aber wir wollten doch den Urlaub zusammen verbringen«, sagte sie anklagend. »Um eben festzustellen, wie gut wir miteinander auskommen.«
Warum habe ich mir das nur eingebrockt, dachte er jetzt. Und wenn Sabine nicht so aufsässig gewesen wäre, hätte mich Irene vielleicht doch an die Kette gelegt. Er wusste ja, wie betörend sie sein konnte, wenn sie es darauf anlegte.
»Oder auch wie schlecht«, sagte er nun. »Aber wenn man sich um nichts zu kümmern braucht, wenn man in Ferienstimmung ist, nun, im Alltagsleben sieht das alles doch anders aus. In meinem Familienleben soll Ruhe herrschen. Ich bin nicht mehr jung genug, um mich ändern zu können. Es ist doch besser, wenn wir uns freundschaftlich einigen.«
»Ich fühle mich wirklich kompromittiert«, sagte sie heftig.
»Red doch nicht solchen Unsinn. Du hast doch ganz munter gelebt, als wir uns kennenlernten.«
»Und wie haben wir uns kennengelernt? Du hast mich anwaltschaftlich vertreten und ein gutes Honorar dafür bekommen.«
»Und ich habe dir zu einer Erbschaft verholfen, die doch wohl in Frage gestellt war.«
»Die mir rechtmäßig zustand. Was konnte ich dafür, dass mein Großvater meine Mutter enterbt hatte. Mir stand das Erbe genauso zu, wie den Kindern ihrer Geschwister. Diese geldgierige Bande! Aber das steht jetzt wirklich nicht mehr zur Debatte.«
»Für das mir oder besser gesagt der Kanzlei gezahlte Honorar hast du ja schon manchen Ausgleich bekommen«, sagte Helmut nun.
»Jetzt fang du nur noch das Aufrechnen an. Ich habe meine Gefühle investiert, ich wollte deiner Tochter eine Freundin sein. Ich bot ihr an, sich bei mir die hübschesten Kleider auszusuchen, und was war die Reaktion? Sie lief noch schlampiger herum als vorher.«
»Sie läuft nicht schlampig herum«, erregte sich Helmut. »Sie mag eben das Aufgetakelte nicht. Sie braucht ja auch noch keine Schminke und all den Firlefanz.«
Er erschrak ein bisschen. Nun redete er schon fast so wie Sabine. Und damit hatte er Irene nun erst recht in Wut gebracht.
»Da zeigt sich der Spießbürger«, ereiferte sie sich. »Jetzt langt es aber. Bring mich nach Hause.«
Dass er dies sofort und ohne Widerspruch tun würde, damit hatte sie nicht gerechnet.
Eine Weile überlegte sie, dann lenkte sie ein. »Ich denke, wir haben beide heute einen schlechten Tag. Ich hätte doch nicht kommen sollen, Helmut. Wenn Sabine nicht wieder so patzig gewesen wäre, hätte ich mich nicht so gehen lassen. Wir haben uns doch immer so gut verstanden, warum soll das alles so plötzlich aus sein?« Sie schluchzte leise in sich hinein.
»Ich habe doch schon gesagt, dass wir uns in aller Freundschaft einigen können, Irene«, sagte Helmut stockend. »Wir sollten jetzt Abstand gewinnen.«
»Komm doch mit rauf zu einem Versöhnungsschluck«, bat sie, als sie bei ihrer Wohnung angelangt waren.
»Das bringt nichts, Irene.«
»Ich hatte mich so auf das Wochenende gefreut«, sagte sie vorwurfsvoll.
Manchmal kommt es anders, als man denkt, dachte er, als er heimwärts fuhr.
Für Sabine und Rolf war der Nachmittag bedeutend freundlicher und friedlicher verlaufen, nachdem sie sich nochmals eingehend über Irene geäußert hatte.
»Die hat doch überhaupt keine Hemmungen«, hatte sie gesagt. »Wie sie dich angeguckt hat! Die ist doch mannstoll, und vor so was muss man Paps doch bewahren.«
»Woher nimmst du eigentlich solche Erfahrungen, Binni?«, fragte er nachdenklich.
»Ich selbst habe noch keine gemacht, da brauchst du nicht bange sein«, grinste Sabine. »Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt. Paps hat es mir ja gepredigt, aber das anderen zu predigen ist wohl einfacher. Und ich habe auch viel gelesen. Und außerdem gibt es Fernsehen, Rölfchen, da gibt es solche Typen übergenug, solche intriganten Schlangen, die sich bloß ins warme Nest setzen wollen und denen es ganz egal ist, was sie dabei kaputtmachen. Das kalte Grausen kann man ja kriegen.«
»Mit fünfzehn sollte man sich eigentlich positiveren Gedanken hingeben«, sagte Rolf.
»Was denn für welchen? Wenn man Zeitung liest, kann es einem doch übel werden. Da schießen solche Kerle um sich, wegen nichts und wieder nichts oder stechen mit dem Messer auf völlig Fremde ein, wenn sie betrunken sind. Manche laufen gar Amok, weil ihnen die Freundin oder Frau davongelaufen ist. Und dann wird nur von Atomwaffen geredet und viel Geld verpulvert, anstatt Arbeitsplätze zu schaffen für die vielen Arbeitslosen. Ist doch absurd, wenn dann auch noch gesagt wird, dass das geschehen muss, wenn man den Frieden erhalten will. Und schau dich doch mal um, Rölfchen, wie die Bäume sterben. Stell dir mal vor, wir gehen mal so ein, so kümmerlich, ohne dass noch ein Arzt was machen kann.«
»Jetzt ist aber Schluss, Binni«, sagte Rolf energisch. »Schau zum Himmel empor, wie blau der heute ist und wie die Sonne lacht.«
»Und so viel Elend ist trotzdem auf der Erde«, sagte Sabine nachdenklich, »und Gott schweigt.«
»Vielleicht, weil die Menschen nicht mehr den Glauben haben«, sagte Rolf gedankenvoll.
»Aber gerade die Armen glauben doch am meisten.«
»Du redest wie Annabel«, sagte er leise. »Mit ihr wirst du dich bestimmt gut verstehen.«
Sie griff nach seiner Hand. »Erzählst du mir von ihr? Kann ich sie vielleicht mal besuchen, wenn du wieder in der Praxis sein musst?«
Das war die andere Sabine, die er so sehr ins Herz geschlossen hatte, die so weich und mitfühlend sein konnte. Er spürte es, als er von Annabel sprach.
»Wirst du sie heiraten?«, fragte sie leise.
»Wenn sie mich will?«
»Wie könnte man dich nicht lieb haben«, flüsterte Sabine. »Und es ist schön, dass sie noch jung ist, dann könnt ihr auch noch Kinder haben. Gell, Rölfchen, wenn ihr ein Baby habt, darf ich Patin werden. Ich werde es bestimmt sehr ernst nehmen, nicht so wie andere. Ich werde genauso eine gute Patin, wie du ein guter Pate bist.«
»Du bist ein richtiger Schatz, Binni«, sagte er weich, »und ein sehr kluges Mädchen.«
»Ich kann mich ja manchmal selber nicht leiden, wenn ich so wütend werde, aber ich kann aus meiner Haut nicht heraus, und dann denke ich auch, dass ich Paps die Meinung sagen muss, damit er später mal nicht sagen kann, warum ich mich denn nicht gewehrt hätte. So weiß er wenigstens, woran er mit mir ist.«
»Das weiß er ganz bestimmt, Binni, und glaube mir, er hat dich sehr, sehr lieb.«
»Deswegen ist ja alles so verdammt schwer, Rölfchen. Ich habe ihn doch auch so lieb, und ich will nicht, dass er sich selber unglücklich macht.«
»Nun mach dir mal nicht zu viel Gedanken, Kleines. Wenn ein Mann schon mal über die vierzig ist, lässt er sich wohl umgarnen, aber Helmut verliert dabei nicht den Verstand.«
»Er ist in der Midlifecrise«, sagte Sabine ernsthaft.
Rolf lachte auf. »Du liebe Güte, was dir alles in deinem hübschen Köpfchen herumspukt.«
Nun kam ein schelmisches Blitzen in ihre Augen. »Findest du mich hübsch?«
»Recht ansehnlich, aber du mauserst dich bestimmt noch mehr, und es wird nicht lange dauern, dann werden bei euch die Rollen vertauscht sein, und Helmut wird sehr auf dich aufpassen müssen, damit du nicht an den Falschen gerätst.«
»Aber ich werde auf ihn hören.«
»Dein Wort in Gottes Ohr, aber beschwör es nicht, Binni. Manchmal will man einfach nicht glauben, was andere sagen, wenn man bis über beide Ohren verliebt ist, aber ich habe nicht den Eindruck, dass das bei Helmut zutrifft.«
»Man muss sich doch Gedanken machen. Schau, in unserer Klasse sind allein drei Fälle, wo die Väter fremdgehen, und auch ein paar Mütter nehmen es nicht so genau. Es ist doch schäbig, wenn die Kinder drunter leiden müssen. Wenn man schon mal so lange verheiratet ist, kann man doch nicht plötzlich alles schlecht finden, was bisher gut war. Und meistens ist es auch noch so, dass die Querelen erst anfangen, wenn es den Leuten einfach zu gut geht.«
»Wie recht du hast, Binni. Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis tanzen.« Er nahm sie in den Arm. »Aber wir gehen jetzt Kaffee trinken.«
»Ich möchte lieber ein großes Eis mit Früchten«, sagte sie.
»Eine glänzende Idee, Binni. Ich habe schon lange kein Eis mehr gegessen.«
Und dann war das Thema auch endgültig gewechselt, und Sabine schwärmte Rolf von Annette vor. Aber auch das stimmte ihn nachdenklich, machte ihm bewusst, dass sie mütterliche Wärme suchte. Ein Mädchen in ihrem Alter brauchte diese wohl besonders. Binni war kein Kind mehr, sie stand an der Schwelle zur Frau und er als Arzt wusste, wie gefährlich das Stadium werden konnte, wenn ein Mädchen keine Bezugsperson hatte, mit der es sich aussprechen konnte über all die Probleme, die das Erwachsenwerden mit sich brachte. Gut war es nur zu wissen, dass Sabine nicht labil war. Und hellwach war sie. Er konnte es wieder einmal beobachten.
»Da, schau dir nachher mal das Pärchen an, Rölfchen«, raunte sie ihm zu. »Das Mädchen ist bestimmt nicht älter als ich und der Mann so ein richtiger schmieriger Dandy. Mich würde es grausen. Aber solche Typen wie der würden zu Irene passen.«
Ja, Rolf konnte sich wieder seine Gedanken machen, als er diesen Mann später sah, als sie das Café verließen. Als schmierigen Dandy hätte er ihn wohl nicht auf Anhieb bezeichnet, aber er war tatsächlich so ein Typ, vor dem er Sabine warnen würde. So ein Lebemann, der auf blutjunge Mädchen fixiert war.
»Sei froh, dass sich Helmut nicht eine Zwanzigjährige angelacht hat«, scherzte er. »Viel älter als dieser Dandy ist er auch nicht.«
Sabine sah ihn entsetzt an. »Da ist mir aber gar nicht spaßig zumute, Rölfchen«, sagte sie. »Vielleicht kommt das auch noch.«
»Jetzt mach aber ’nen Punkt. Bei dir muss man sich sogar jeden Scherz überlegen.«
Er brachte sie nach Hause, hielt sich aber nicht auf, sondern fuhr dann gleich zur Klinik. Wenig später kam Helmut. Sabine bemühte sich, keine Notiz davon zu nehmen, da sie meinte, dass er Irene wieder mitbringen würde.
Sie hatte sich in ihr Zimmer verzogen und stellte das Radio an. Plötzlich stand Helmut in der Tür.
»In der Sportsendung kommt was vom Springreiten. Möchtest du das nicht sehen, Binni? Aber wir könnten auch eine Partie Schach spielen.«
»Soll das heißen, dass du daheim bleibst?«, fragte sie.
»Das soll es heißen. Ich wollte auch mit dir über den Urlaub sprechen. Wie wäre es, wenn wir lieber in die Toscana fahren würden, statt nach Griechenland? Eigentlich liegt es mir ja nicht, mich in der Sonne braten zu lassen.«
»Ist auch nicht so gesund«, sagte Sabine. »Wir könnten ja mit dem Wagen fahren und uns was anschauen. Ist doch viel interessanter.«
»So gern sitze ich nun auch wieder nicht am Steuer. Aber wir werden uns schon einigen.«
»Ohne Irene?«
»Ohne Irene«, erwiderte er.
»Okay«, sagte sie.
*
Rolf war glücklich, dass Annabel nun schon so munter war. Ihre Beziehung war bisher rein freundschaftlicher Natur, wobei gesagt werden musste, dass Rolf sich erst in dem Augenblick, als er Angst um Annabel bekam, klar darüber geworden war, wie viel ihm diese Frau bedeutete. Die Angst, sie verlieren zu können, hatte ihm einen schweren Schock versetzt. Jetzt wusste er, dass er sie liebte, und sein Blick sagte es.
»Annabel«, sagte er zärtlich, »jetzt bin ich froh, dass wir das so gut überstanden haben. Jetzt denken wir an die Zukunft.«
»Wir?«, fragte sie scheu.
»Ja, wir, du und ich.«
»Herr Dr. Petersen, seit wann sind wir per du?«, fragte sie mit einem kleinen Lächeln.
»Jesses, dazu gehört ja eigentlich Champagner«, meinte er, »aber den darf der Doktor heute noch nicht erlauben. Deshalb heißt es eben doch lieber ab heute Annabel und Rolf, du und ich, und ich hoffe, dass es kein Contra gibt.«
Sie sah ihn mit feuchten Augen an. »Was so ein Tumor alles auslösen kann«, flüsterte sie.
»Dieser hat aber nur einen Knoten gelöst. Du hast doch hoffentlich wenigstens gemerkt, wie sehr ich dich mag.«
»Dass du mitfühlend bist, das habe ich gemerkt. Und ich dachte, dass ich dir leidgetan habe.«
»Du hast ja auch genug mitgemacht, aber du hast dir ja auch nicht einreden lassen, dass dir alles über den Kopf wächst.«
»Ich habe es überstanden, Rolf«, sagte sie leise. »Ich konnte Mutter doch nicht allein lassen. Sie war immer für mich da, hat sich auch nie etwas anmerken lassen, wenn es ihr nicht gut ging. Ich habe mir auch Vorwürfe gemacht, machen müssen, als sie dann den Schlaganfall bekam.«
»So etwas kann man nie voraussehen«, sagte er.
»Meinst du nicht, dass man das spürt?«
»Wer beobachtet sich schon so genau? Du hast ja nicht mal was von dieser Verletzung gesagt, obgleich ich da schon täglich zweimal bei euch ein und aus gegangen bin.«
»Hätte sich dadurch etwas geändert?«
»Ich denke schon. Aber nun hat sich ja vieles verändert, und ich werde höllisch auf dich aufpassen.«
Sanft legte er den Arm um sie und streichelte ihr Gesicht mit seinen trockenen Lippen, die aber ganz weich wurden, als sie ihren Mund berührten.
»Nun habe ich also doch noch die Frau gefunden, mit der ich mir ein gemeinsames Leben vorstellen kann«, sagte er.
»Du hast dich wahrscheinlich nicht früh genug umgeschaut«, lächelte Annabel.
»Umgeschaut habe ich mich schon, Annabel, und ein paar kalte Duschen habe ich auch bekommen, aber das kann nur gut sein. Da lernt man die Spreu vom Weizen zu trennen. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass Binni mit dir zufrieden und einig sein wird. Mit ihrem Vater, meinem lieben Bruder, steht sie derzeit nämlich auf Kriegsfuß.«
Wer Binni war, wusste Annabel freilich schon. Von seiner Nichte, die auch sein Patenkind war, hatte Rolf ihr schon manchmal erzählt, und da hatte sie immer gedacht, dass ihm wohl doch eine Familie, zumindest ein Kind fehle.
»Wieso auf Kriegsfuß?«, fragte sie.
Nicht ahnend, dass zwischen Helmut und Sabine mal wieder vollste Harmonie herrschte, erzählte Rolf nun von den Problemen.
»Binni möchte dich gern besuchen«, erklärte er danach.
»Das würde mich sehr freuen«, sagte Annabel.
»Ich kann ja nun leider nicht jeden Tag bei dir sein«, meinte er bedauernd.
»Wirst du in der Praxis zurechtkommen?«, fragte sie besorgt.
»Frau Ruck hat schon zugesagt, auszuhelfen, und auf die brauchst du nicht eifersüchtig zu sein.«
»Ich bin überhaupt nicht eifersüchtig«, erwiderte Annabel.
»Ich könnte auch nicht böse sein, wenn dir eine andere viel besser gefallen würde als ich. Ich habe mir nie Hoffnungen gemacht, dass ich dir mehr bedeuten könnte, als eben eine gute Freundin zu sein, und daran hätte sich nie etwas geändert, wenigstens bei mir nicht.«
»Du liebst mich nicht«, sagte er.
»Gerade weil ich dich liebe, Rolf«, erwiderte sie. »Du hast es ja nicht bemerkt und ich hätte mich dir nie an den Hals geworfen. Aber wenn man einen Menschen liebt, braucht man nicht überzeugt zu sein, wiedergeliebt zu werden.«
»Du wirst aber wiedergeliebt, und wie«, sagte er innig. »Und mir wird nie eine andere Frau mehr bedeuten als du, da kannst du unbesorgt sein. Aber nun wird schnellstens geheiratet, schließlich bin ich schon achtunddreißig und du bist zehn Jahre jünger.«
»Was besagt das schon?«, lächelte sie.
»Du hättest ganz andere Chancen.«
»Fishing for compliments?«, fragte sie neckend.
»Sag nur nicht, dass du noch nie einen Heiratsantrag bekommen hast.«
»Noch nie, das kann ich beschwören. Die meisten Männer haben doch Angst vor den Schwiegermüttern, vor allem dann, wenn sich ein Mädchen viel um seine Mutter kümmert. Du ahnst gar nicht, wie abschreckend das wirkt.«
»Aber nur auf Männer, die es doch nicht ernst meinen«, sagte er.
»Siehst du, du hast es erfasst«, erwiderte sie mit leisem Lachen. »Und so blieb ich vor Abenteuern bewahrt.«
»Wie froh bin ich darüber«, sagte Rolf und küsste sie lange und innig.
*
Sabine hatte ihren Vater beim Schach geschlagen, obgleich er ihr mit einem raffinierten Zug die Dame genommen hatte. Dann war er ziemlich fassungslos, als sie ihn schachmatt setzte.
»Siehst du, manchmal ist es gut, wenn man die Dame verliert«, sagte sie hintergründig, »dann kommt man auf den Dreh, wie es ohne sie auch gehen kann.«
»Du bist hinterlistig, Sabine«, sagte er.
»Muss man doch manchmal sein.«
»Woher nimmst du eigentlich all deine Weisheiten?«, fragte er.
»Du hast halt eine kluge Tochter. Rölfchen hat es mir bestätigt.«
»Mit dem hättest du wohl keine Schwierigkeiten, wenn er dein Vater wäre?«
»Weiß man es? Er ist ja nicht mein Vater. Es ist ja auch was anderes, wenn man nur in guten Stunden beisammen ist.«
»Gut gedacht, Sabine«, sagte Helmut. »Vielleicht betrachtest du meine Bekanntschaft mit Irene auch mal so. Man will sich einfach mal ablenken, nicht an den Beruf und alles Drum und Dran denken.«
»Ob die Tochter sitzenbleibt oder nicht«, warf Sabine anzüglich ein. »Aber es gibt ja allerhand, was die Männer an Frauen reizt.«
Sie brachte ihn ganz schön in die Klemme. »Du bist ganz schön frech«, lenkte er ab.
»Wieso frech, das sind nackte Tatsachen. Du bist doch Anwalt, Paps, und solltest wissen, welch bewegtes Leben schon manche Teenager hinter sich haben. Warum sollte ausgerechnet ich noch an den Klapperstorch glauben?«
Er fuhr sich mit den Fingern durch das dichte Haar, eine Bewegung, die er immer machte, wenn er nach Worten suchte.
»Wie weit gehen deine persönlichen Erfahrungen?«, fragte er dann heiser.
Sie legte den Kopf zurück und lächelte hintergründig. »Ich bin sehr wählerisch, lieber Paps«, sagte sie betont, »und außerdem sehr geruchsempfindlich. Schulbuben haben meist so einen muffigen Geruch an sich.«
Helmut lachte leise, dann legte er den Arm um ihre Schultern. »Ich weiß ja, dass ich mich auf dich verlassen kann«, sagte er.
*
Die letzten Schultage vor den Sommerferien brachten wechselhaftes Wetter. Getan wurde jetzt sowieso nichts mehr. Drei fehlten schon in der Klasse. Diejenigen, die bereits wussten, dass sie das Klassenziel nicht erreicht hatten.
Für Sabine war es nicht verwunderlich, dass es ausgerechnet die drei waren, bei deren Eltern der Haussegen schief hing.
Mit Annette Becker machten sie eine Diskussionsrunde, und dabei erörterte sie auch sehr taktvoll die familiären Probleme der Jugendlichen. Es ging lebhaft zu und Sabine staunte ebenso wie Annette, mit welcher Gleichgültigkeit manche ihr Verhältnis zum Elternhaus betrachteten.
Die paar Jahre, die sie noch zu Hause wären, so hieß es da auch, würden sie auch noch überstehen. Und wie sie sich die Zukunft vorstellten, auch ihre persönliche Zukunft, war fast erschreckend. Studieren wollten die meisten schon, und die Väter sollten dafür blechen, sagten gerade die, die baldmöglichst ihr Eigenleben führen wollten.
»So eine saublöde Einstellung«, platzte Sabine nun doch heraus, und da ging es erst richtig los. Aber Annette konnte wieder einmal feststellen, dass selbst die großmäuligsten Jungen nicht gegen Sabines Argumente ankamen.