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Jens Förster

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Beschreibung

Wenn einem Konflikte und Probleme über den Kopf wachsen und sich kein Ausweg bietet, dann ist dringend Hilfe angesagt, um neue Perspektiven zu eröffnen. Der kleine Krisenkiller ist der ideale Begleiter für Menschen, die in einer beruflichen, persönlichen oder gesundheitlichen Krise stecken. Der renommierte Motivationspsychologe Jens Förster bietet umfassende Orientierungshilfe für eine Neuausrichtung und liefert wertvolle Anregungen, wie man in schwierigen Lebenssituationen die eigene Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit zurückerlangt.

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Jens Förster

Der kleine Krisenkiller

12 Wege, schwierige Lebenssituationen zu meistern

Knaur e-books

Über dieses Buch

Wenn einem Konflikte und Probleme über den Kopf wachsen und sich kein Ausweg bietet, dann ist dringend Hilfe angesagt, um neue Perspektiven zu eröffnen. Der kleine Krisenkiller

Inhaltsübersicht

WidmungMottoEinleitung1 Sport – den Körper stärken2 Natur – Energie und Wohlbefinden atmen3 Freunde, Gleichgesinnte – sich (mit)teilen4 Coaching – Ressourcen (wieder)entdecken5 Achtsamkeit – im Hier und Jetzt sein6 Religion und Spiritualität – Licht saugen7 Spenden, Ehrenamt, helfen – Gutes tun8 Wellness für Körper und Seele – sich etwas gönnen9 Hobbys und Lernen – Horizonte erweitern10 Musik und Kunst – sich mit Schönem umgeben11 Der Umgang mit der Krise – konfrontieren oder meiden12 Krisen einen Sinn gebenNachwortDanksagungLiteratur
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Für Manfred und all die anderen Krisenkiller meines schönen, wilden Lebens

 

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»Wenn eine Tür zugeht, geht eine andere auf.«

Meine Mutter

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Einleitung

Die Krise trennt das Vergangene vom Zukünftigen

Eine Freundin erzählte mir weinend, dass sie den Auszug des einzigen Sohnes nicht verkrafte. Ein Nachbar hielt mich auf dem Bürgersteig an und fragte mich, was ich ihm raten würde – seine Frau sei an multipler Sklerose erkrankt. Ein Manager zeigte mir seitenweise Ausdrucke eines Shitstorms, der gegen ihn lief. Ein Freund saß auf Kartons – seine Freundin hatte ihn verlassen. Eine Klientin war mit Kind und Studium sichtlich überfordert. Eine Studentin hatte ihren Vater bei einem Unfall verloren. Ich selbst stand vor dem Ende meiner Universitätskarriere, als mich obendrein eine Krebsdiagnose kalt erwischte.

Was kann man tun, wenn es einen hart trifft? Wenn das Schicksal zuschlägt? Wenn einem der Arsch auf Grundeis geht? Was würde ich Ihnen raten, mit meiner langjährigen Erfahrung als Psychologe in der Wissenschaft und in der Beratung? Was könnte Ihnen helfen?

In diesem Buch komme ich schnell zur Sache. Ich gehe davon aus, dass Sie in einer Krise sind und nicht viel Energie zum Lesen haben (alle anderen, die etwas über die Krise erfahren wollen, dürfen mitlesen, klar). Daher halte ich mich damit zurück zu berichten, welcher große Geist was zuerst gedacht hat und wessen Theorie dadurch widerlegt wurde. Zwar gründen die meisten meiner Gedanken auf wissenschaftlichen Befunden – das kann ich nach fünfundzwanzig Jahren Arbeit in der Wissenschaft auch gar nicht verhindern –, allerdings entstand die Idee zu einem Krisenratgeber ganz simpel durch einen Journalisten, der mir nach einem längeren Interview sagte: »Irgendwann müssen Sie mal erzählen, wie Sie diesen ganzen Mist so gut überstanden haben.« Ich werde also auch ein bisschen von mir berichten und dem, was ich aus meinen Krisen bisher gelernt habe.[1] Zudem beinhaltete mein Therapietraining am Institut für systemische Ausbildung und Entwicklung in Weinheim verschiedene Seminare zum Thema Krisen, die ich außerordentlich spannend fand. Eine vierte Quelle sind die vielen Beratungsgespräche, die ich als Coach und Therapeut mit Klienten führen durfte – von ihnen habe ich gelernt, dass sich viele Forschungsergebnisse mit ihren und meinen Erfahrungen decken. Ich erzähle Ihnen hier also einfach und direkt, was Sie einmal versuchen können, in der Hoffnung, dass Sie etwas Hilfreiches finden. Natürlich wird nach dem Lesen dieses Buches nicht der Weihnachtsmann aus Ihrem Kamin steigen und alles wieder gutmachen. Aber ich kann Ihnen die eine oder andere Tür öffnen, die Ihnen den Zutritt zu neuen Räumen bietet.

Stellen Sie sich vor, Ihr Leben sei ein Haus. Es ist ein schönes Haus mit vielen Räumen. Nehmen wir an, Sie kommen in Ihren Flur, hängen den Mantel an die Garderobe, gehen durch das Wohnzimmer, legen ihr Geld und Ihr Handy auf den Tisch und betreten dann das Arbeitszimmer. Sie stellen die Tasche auf den Schreibtisch, und plötzlich sehen Sie, dass ein Bienenschwarm an Ihrem Kronleuchter hängt. Sie sind in Panik, haben Angst um Ihr Leben und wissen nicht, was Sie tun sollen. Sie kriegen die Krise.

Es gibt einige Türen, die zu anderen Räumen führen; eine führt zur Küche, in der Sie einen Wasserschlauch deponiert haben, eine andere zum Flur, wo ein Feuerlöscher hängt, eine dritte geht in die Speisekammer, in der Sie Honig verstaut haben, und die vierte ist die Tür zum Wohnzimmer.

Sie sind richtig in Panik. Die Türen sind da, aber Sie sind total überfordert. Wie angewurzelt bleiben Sie stehen und denken an nichts anderes als die Gefahr. Obwohl die Türen zu Räumen leiten, in denen Lösungen liegen könnten, sind Sie nicht in der Lage, eine zu öffnen und etwas zu probieren.

Der Bienenschwarm soll nur ein Beispiel für alle möglichen Situationen sein, die uns stressen können. In Krisen sind wir häufig überfordert, wissen nicht ein und nicht aus. Wir bekommen einen Tunnelblick, der uns die Sicht auf mögliche Lösungen verstellt. Der eingeengte Blick auf den Bienenschwarm hindert uns daran, die Vielfalt an Möglichkeiten zu erkennen, das Problem anzugehen. Vielleicht schaffen wir es noch, auf eine Tür zu schauen. Aber mehr ist oft nicht drin. Nehmen wir an, Sie sehen immerhin die Tür, hinter der der Wasserschlauch zu finden ist. Sie denken an nichts anderes als an den Schlauch. Wie Sie ihn anschließen, in welchem Winkel Sie ihn halten müssen, damit die Bienen durch ein bestimmtes Fenster gescheucht werden, wie Sie versuchen, den Kronleuchter zu schonen, indem sie knapp darunter spritzen …

Menschen in Krisen halten häufig an einer Lösung fest, auch wenn sie nicht die beste ist – und sie sich dessen sogar bewusst sind. Kann ja sein, dass Sie schon einmal mit einem Wasserschlauch Bienen aus Ihrem Haus vertrieben haben und sich an die wahnsinnige Schweinerei danach erinnern – trotzdem: Sie denken nur noch an den Schlauch.

In einer Krise fallen einem naheliegende, andere Optionen gar nicht ein. Klar, wir wissen, dass Bienen Honig mögen, und so könnte es ja eine Idee sein, das Honigglas nach draußen zu stellen, um die Tiere hinauszulocken. Wir kennen diese Lösung, aber sie fällt uns einfach nicht ein.

Menschen mit Tunnelblick sind zudem alles andere als flexibel. Sie kämen gar nicht auf die Idee, im Wohnzimmer – zu dem Ihnen spontan gar keine Lösungsmöglichkeit einfällt – zu suchen. Dabei liegt dort das Handy, mit dem man einen Imker anrufen könnte – vielleicht sogar die beste Lösung, in dieser Lage.

In Krisen haben wir also oft eine Lösung, die uns nicht loslässt – wenn wir überhaupt eine haben. Dabei wäre es gerade in dieser Situation nötig, sich an alle Möglichkeiten zu erinnern, um sich die beste heraussuchen zu können oder sogar neue Lösungen zu entwickeln. Da Sie das gerade nicht können, möchte ich Sie in diesem Buch an eine Vielzahl von Türen erinnern, die vielen Menschen schon geholfen haben, um Krisensituationen zu ertragen oder vielleicht sogar eine oder mehrere Lösungen zu finden. Einige dieser Türen waren vermutlich in Ihrem Leben bereits einmal Hilfen gewesen. Sie sind jetzt mit Ihrem Tunnelblick aber schlichtweg blind dafür, und meine Idee ist es, Ihnen die Türen leise einen Spaltbreit zu öffnen, damit Sie leichter durchgehen können.

Der Raum, der Ihr Leben sein soll, hat in meiner Vorstellung mindestens zwölf Türen. Und es würde mich wundern, wenn Sie noch nie von diesen Türen gehört hätten. Es ist eine falsche Vorstellung, dass wir Psychologen unseren Klienten irgendeinen ihnen bis dahin vollkommen unbekannten, geheimen Schlüssel mitgeben. Um Zauberkünste geht es niemals in der Psychologie. Aber wir haben wirksame Methoden entwickelt, unsere Klienten zu stärken und ihre Problemlösefähigkeit zu wecken. Wir können kaum etwas hinzufügen, was nicht schon da gewesen wäre, vielmehr erinnern wir unsere Klienten an vorhandene Strategien, begleiten sie bei ihrem individuellen Lösungsprozess und aktivieren ihre kreativen Potenziale. Wir kräftigen den Menschen durch ihn selbst, suchen in ihm nach Ressourcen, Talenten, Stärken, die es ihm ermöglichen, einen ganz persönlichen und damit besonders wirksamen Lösungsweg zu entwickeln. Mir hat diese Methode in den schlimmsten Situationen meines Lebens geholfen, hat mich Mobbing, Verleumdungen, Burn-out, den Tod eines geliebten Menschen, den Verlust des Arbeitsplatzes, Krankheit und Verrat von Freunden überstehen lassen, und ich habe viele Klienten begleitet, denen es jetzt besser geht.

Im Prinzip wissen wir alle, wie man Probleme löst, sonst wären wir niemals so alt geworden, wie wir heute sind. Wie viel Scheiße ist uns schon im Leben passiert! Die Vier in Englisch und wie wir uns dafür geschämt haben. Diese Beate, die wir so heiß fanden und die uns nicht wollte, weil wir mit sechzehn Pickel hatten. Wie wir gemobbt wurden. Wie viel Stress uns ein Nachbar oder eine Bekannte gemacht hat, oder gar ein Freund. Und als wir das erste Kind bekamen und nicht wussten, wo uns der Kopf stand. Vielleicht haben wir schon einen geliebten Menschen zu Grabe getragen oder eine schlimmere Krankheit überstanden. Was haben wir nicht schon alles überlebt. Was haben wir nicht schon alles geschafft.

Und wenn wir ehrlich sind – Sie werden es jetzt nicht hören wollen, aber ich sage es trotzdem schon einmal vorweg –, was haben wir aus früheren Krisen nicht schon alles gelernt. Kaum ein Mensch verändert sich entscheidend, wenn es ihm gut geht. Warum auch? Wenn es läuft, läuft es. Never change a running system. Und selbst stressige Zeiten verlangen häufig keine Veränderung von uns. Wenn wir von unserem Chef mit Arbeit zugeschüttet werden und kurz davor sind auszurasten, animiert uns das nicht notwendigerweise, uns selbst zu hinterfragen. Stattdessen hoffen wir, dass das nur eine vorübergehende Phase ist, warten, bis sie vorbeigeht oder wir uns für abgestumpft genug halten, und machen dann wie gewohnt weiter. Die Krise aber, und das unterscheidet sie vom Stress, zwingt uns zur Veränderung. Sie bedeutet einen Umbruch. Sie stößt uns, ob wir wollen oder nicht, in eine neue Situation. In eine ungewohnte Situation. Unser Alltag, Routinen und Gewohnheiten werden infrage gestellt. Vielleicht müssen wir an einen anderen Ort ziehen, uns verkleinern, plötzlich allein leben oder, im Gegenteil, vergrößern und mit einem neuen Menschen, einem Kind oder mit den krank gewordenen Eltern zusammenziehen. Egal, ob wir uns durch die Krise eingeschränkt fühlen oder überfordert, weil wir den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen: Im akuten Moment der Krise kommt es uns häufig vor, als seien wir in einer Schockstarre. In dieser Unbeweglichkeit können wir aber nicht bleiben. Wir müssen uns verändern, und davor haben wir Angst. Das Neue macht uns Angst, und diese Angst gilt es zu überwinden. Das ist unsere Aufgabe: das Neue anzunehmen, das Neue zu wagen, das Neue irgendwann sogar als Chance zu betrachten.

Nehmen wir eine gesundheitliche Krise, wie Hautkrebs oder eine Lebensmittelallergie. Tritt diese plötzlich auf, sind wir zunächst einmal erschrocken. Wir sind zudem gezwungen, uns zu verändern. Vermutlich leben wir dann gesünder. Aber so einfach geht das natürlich nicht – für Sonnenanbeter ist es nicht leicht, auf den Strandurlaub zu verzichten, und jemanden, der gern Baguette isst, kann die Aussicht auf einen lebenslangen Verzicht auf Weizenmehlprodukte deprimieren. Oftmals haben solche Einschnitte ja auch noch soziale Folgen: Vielleicht kommt die Freundin, die gern weiter am Strand liegen möchte, nicht mit in den so hautschonend wie möglich geplanten Wanderurlaub, und vielleicht werden die gemeinsamen Essen mit der Abi-Clique weniger, wenn die anderen immer in Restaurants gehen wollen, in denen man selbst kaum etwas essen kann, und uns baguettemümmelnd von tollen, hippen Bäckern erzählen. Aber wir lernen dazu. Wir bemerken durch die Veränderungen neue positive Aspekte: Wir entdecken andere spannende Urlaubsorte, entwickeln neue Interessen und gehen sorgsamer mit Lebensmitteln um. Wir wissen plötzlich besser, was wir wirklich wollen, und wir realisieren, wer unsere wirklichen Freunde sind. Vermutlich verändert sich nach solchen Ereignissen auch unser Bewusstsein für die Welt. Die Krise zwingt uns dazu, das Menschliche zu verstehen, den Sinn des Lebens zu hinterfragen, uns und unser Umfeld näher kennenzulernen.

Manche Krisen sind allerdings so heftig, dass es uns schwerfällt, darin auch nur irgendeinen Sinn zu sehen, oder eine Lernerfahrung. Stirbt ein geliebter Mensch, werden wir unheilbar krank, erleben einen starken Vertrauensbruch oder Verrat, dann ist unser Selbst manchmal derart erschüttert, dass wir länger brauchen, um wieder Mut zu fassen. Man spricht dann nicht mehr von Krise, sondern von Trauma oder traumatischer Erfahrung. Traumata gehören immer in die Hände eines Therapeuten, selbst wenn man immer mal wieder beobachten kann, dass Traumatisierte, meist in Ermangelung therapeutisch geschulter Experten, irgendwann von allein wieder ins Leben zurückfinden. Menschen scheinen selbst Ungeheuerliches überstehen zu können, und die menschliche Selbstregulation ist tatsächlich phänomenal. Allerdings kann ein Therapeut den Weg zurück ins Leben kompetent begleiten, indem er den Raum für Gestaltungsmöglichkeiten erweitert. Zudem weiß er, wie viel Zeit normalerweise nötig ist, um ein Trauma zu bearbeiten, und wird dieses Wissen zur Verfügung stellen – es ist nämlich nicht so, dass man jeden Menschen unter allen Umständen sofort wieder auf die Beine stellen kann. Mit traumatisierten Kindern zum Beispiel, so zeigen die Erfahrungen aus der Traumatherapie, kann und sollte man zunächst gar nicht therapeutisch arbeiten. Man kann sie nur stützen und stärken und ihnen Mut machen. Bei traumatisierten Flüchtlingen oder missbrauchten Kindern dauert allein dieser Prozess Monate, manchmal Jahre. Erst wenn sie genügend seelische Kraft gesammelt haben, kann man therapeutisch mit diesen Menschen arbeiten, in dem Sinne, dass man gemeinsam neue Handlungswege entwickelt und bei der Verwirklichung ihrer eigenen Interessen hilft. Die Krise ist also etwas zwischen dem milderen Stress und dem heftigen Trauma. Wobei auch in der Krise manchmal ein Therapeut sinnvoll ist. Ein guter Coach wird Sie nicht hetzen und mit Ihnen selten in ein paar Stunden hundert Lösungen entwickeln, die Sie alle probieren sollen, sondern er wird Sie das Tempo bestimmen lassen und bei Bedarf zunächst Wege mit Ihnen finden, wie man Unerträgliches aushalten und Sie stützen kann. Erst wenn Sie gestärkt sind, wird er mit Ihnen den Zeitpunkt bestimmen, zu dem welche Veränderung und wie angestrebt werden kann.[2] Nun hat aber nicht jeder gleich einen Therapeuten bei der Hand, oder er muss vielleicht eine Wartezeit überbrücken, bis er eine Therapie beginnen kann – die Krise fragt jedoch nicht danach, wann es einem am besten passt. Und manche wollen sich nicht einem Therapeuten anvertrauen. Für alle diese Menschen ist dieses Buch gedacht, und in diesem Sinne sollten Sie auch das Lesen angehen: Wenn Ihnen erst einmal zum Heulen zumute ist, dann nehmen Sie sich die Zeit. Hetzen Sie sich nicht. Kommen Sie erst einmal zu Kräften. Verstehen Sie die einzelnen Kapitel bitte tatsächlich als Türen, durch die Sie gehen können, aber in keinem Fall gehen müssen. Sie entscheiden, was Sie tun wollen, Sie entscheiden, ob, wann, wo und wie. Ich stoße Sie nicht durch diese Türen, ich werde Sie Ihnen nur anzeigen und ein kleines bisschen öffnen, eigentlich nur anlehnen. Vielleicht sehen Sie ja nach dem Lesen des Buches gar eine dreizehnte oder vierzehnte Tür – auch das wäre wunderbar. Es ist ja Ihr Haus, und ich schreibe Ihnen hier nichts vor, sondern begleite Sie beim Gang hindurch. Diese Arbeitsweise hat sich bei mir im Kontakt mit Klienten als so nützlich erwiesen, dass meine Lieblingsberufsbezeichnung nicht »Therapeut« oder »Coach« ist, sondern Begleiter. Ich habe meine Klienten allesamt als freiheitsliebende Wesen kennen- und schätzen gelernt, denen man nichts vorschreibt, sondern mit denen man die Welt mit Licht und Schatten erkundet, beobachtet, erfährt.

Das Buch ist nicht nur für Menschen geschrieben, die akut in einer Krise stecken, sondern auch für solche, die sich für das, was immer da im Leben noch kommen mag, stärken wollen. Einer meiner Hauptgedanken ist die Selbstregulation – ich bin überzeugt davon, dass Psychologie die Selbstheilungskräfte des Menschen stärken kann, egal, in welcher Situation er sich befindet. Hinter all den Türen, die ich für sie anlehnen werde, finden Sie Schränke, Kommoden, Regale, in denen Nahrung für die Seele lagert, Soulfood im wahrsten Sinne des Wortes.

Was können Sie also tun in Krisenzeiten? Was meine ich denn konkret mit den »Türen«? Was steckt dahinter? Kommen Sie doch mal mit! Beginnen wir den Gang durch Ihr Haus.

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1 Sport – den Körper stärken

Herr Xanten[3], Studienrat an einem Gymnasium, hat seit einiger Zeit das Gefühl, am falschen Platz zu sein. Im Lehrerkollegium stoßen seine Verbesserungsvorschläge auf null Resonanz, der Rektor hat ihn mehrere Male von einer Beförderung ausgeschlossen, und unlängst strengten Eltern eines Schülers ein Disziplinarverfahren gegen ihn an, weil er ihr Kind geschlagen haben soll. Dieses Verfahren zieht sich nun über einige Wochen, und etliche Schüler nutzen die Klage, um ihn zu denunzieren. Er sei Alkoholiker, habe andere Kinder ebenfalls geschlagen. Im Internet erscheinen Hass-Posts. Herr Xanten hat große Panik, kann nicht schlafen, hat stark zugenommen, hängt stundenlang im Internet herum, um die Posts zu lesen, die auf diversen Blogs erscheinen. Die Situation wird immer schlimmer. Er fühlt sich schwach, hilflos und hat sich krankschreiben lassen. Er hat einen Anwalt hinzugezogen, aber dieser rät ihm zu warten. Es läge nichts gegen ihn vor, alles würde gut werden. Er brauche nur Geduld.

Herr Xanten war ein Häufchen Elend, als er das erste Mal zu mir kam. In den ersten Stunden hat er vor allem geweint. Jetzt ist er lebendiger, stärker, aber vor allem wütend. Er hat einen hochroten Kopf, seine Hände sind zu Fäusten geballt. Ich selbst komme gerade von einer Wanderung aus der Eifel, einem Traumpfad durch Vulkanlandschaften, die mich sehr gut aufgebaut hat. Ich erzähle das kurz, weil Herr Xanten mich nach dem Wochenende fragt, und ich denke, vielleicht ist es ja gut, ihn auf diese Tür hinzuweisen. Aber er wehrt gleich ab: »Wandern? Das ist doch was für alte Leute!«

Ich belehre ihn nicht, dass Wandern gerade ein Trend ist, den auch junge Leute für sich entdecken – wenn er das so überzeugt von sich gibt, dann ist das seine subjektive Meinung, und ich bin nicht dazu da, ihm etwas aufzuschwatzen.

Ich frage ihn vielmehr, wie er früher Krisen bewältigt habe. Er weiß zunächst gar nicht, was ich damit meine. »Krisen! So was wie das hier, das habe ich noch nicht erlebt. Nie im Leben! Sonst wäre ich doch nicht hier!« Er schaut mich verärgert an, als ob er sagen wollte: »Verdammt noch mal, mach das weg! Wozu bist du denn Coach?« Bevor er das sagen kann, erinnere ich ihn daran, dass ich keine gute Fee aus dem Hut zaubern könne, aber dass wir gemeinsam etwas suchen könnten, was ihm hilft, die Krise durchzustehen. Ich sage ihm, dass Therapie Veränderung bedeute, sonst wäre er ja nicht hier. Und etwas verändern könnten wir nur, wenn Klient und Coach zusammenarbeiten. Ob er das wolle und ob er sich stark genug dafür fühle, frage ich ihn. Er nickt und erinnert sich nach längerem Nachdenken plötzlich doch an eine Krise, die er mit zehn Jahren hatte, damals, als er auf das Gymnasium wechselte. In der Grundschule habe er nur Einsen gehabt, auf dem Gymnasium aber habe er sich allein gefühlt und dumm. »Wie in einem schwarzen Tunnel.« Er habe kaum noch Erinnerungen daran. Er habe eine Fünf nach der anderen geschrieben, habe die seinen Eltern nicht zeigen mögen, habe viel geweint. Habe »aus Frust gefressen«. Seine Mitschüler hätten ihn »gemobbt«, und seine Lehrer hätten ihn »fertiggemacht«: »Damals, wissen Sie, da war das noch die schwarze Pädagogik, da hat man Leute mit Fünfen nach vorn kommen lassen, und sie mussten den Mist, den sie geschrieben hatten, vor allen vorlesen. Da standste dann mit deinem jämmerlichen Aufsatz zum Thema ›Wie ich einmal ein Löwe war‹ vor der Klasse, und alle lachten dich aus.«

Wunderbar. Für einen Coach ist so etwas eine Steilvorlage.

»Klingt wie ein Shitstorm, nur ohne Internet.«

Da werden ihm die Augen feucht.

»Ja, das war schon so ähnlich.«

Natürlich ist es nicht meine Aufgabe, Klienten zum Heulen zu bringen, aber wenn jemand nahe an seinem Gefühl ist, dann ist das ein Zugang. Zumal Herr Xanten damals, so sagt er jedenfalls, ein ähnliches Gefühl hatte wie auch jetzt, wenn er den Dreck im Internet lesen muss und sich alles gegen ihn verschworen zu haben scheint. Meine Aufgabe ist es, ihn daran zu erinnern, dass er damals aus der Krise herausgekommen ist, und herauszufinden, wie ihm das gelungen ist.

»Und irgendwann haben Sie ein Studium angefangen und sind Lehrer geworden. Wow. Obwohl Sie mit lauter Fünfen gestartet waren. Irre. Wie sind Sie denn da hingekommen, in den elf Jahren zwischen zehn und einundzwanzig?«

Er lächelt. »Mit zwanzig. Ich habe sogar eine Klasse in der Mittelstufe übersprungen und mit zwanzig mein Studium begonnen.«

»Ist ja irre. Wie haben Sie das gemacht?«

Er schaut nach draußen, ein bisschen stolz, aber auch ein wenig überfragt. »Keine Ahnung. Irgendwann schrieb ich wieder Einsen.«

Kann ja nicht sein, denke ich, und frage weiter: »Irgendwann ist der Weihnachtsmann im Klassenraum erschienen und hat Ihnen einen Sack Einsen geschenkt? Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Sie müssen sich doch vorgekommen sein wie ein Loser, mit den ganzen Fünfen. Wie sind Sie denn aus diesem tiefen Tal herausgekommen? Sie wären schließlich nicht der erste Pubertierende gewesen, der sich wegen Mobbing umbringt.«

Herr Xanten ist leicht überfordert, und fast bin ich geneigt, hier abzubrechen, aber dann kommt es: »Das ist nie eine Option für mich gewesen. Ich bin so einer, der selbst dann noch leben will, wenn ihm die Mafia Augen, Ohren und Zunge abschneidet. Aber damals hat mich der Fabian gerettet. Mein Sportlehrer.«

»Was ist passiert?«

»Er hat mein Talent beim Schwimmen erkannt. Wir hatten den Luxus eines Schwimmbeckens bei uns am Gymnasium. Wir hatten Schwimmen ab der Mittelstufe. Doch kaum einer hatte darauf Lust, und kaum einer konnte gut schwimmen. Ich aber war wie ein Fisch im Wasser. Ich hatte früh von meinem Vater das Schwimmen erlernt und konnte schon fast alles. Das Training fiel mir leicht, und durch das Schwimmen bekam ich in Sport statt der Drei immer eine Eins. Damit konnte ich meinen Vater wenigstens ein bisschen beruhigen.«

»Also waren Sie nicht mutterseelenallein. Ich nehme an, der Fabian hat Sie auch gefördert und Sie haben viel trainiert? Oder mussten Sie tatsächlich nichts tun?«

»Nein, nein, der hat mich zum Oktopus geschickt, zum Schwimmverein. Da musste ich eine halbe Stunde hinfahren, und zwei Stunden haben wir trainiert, täglich. Das war schon recht aufwendig. Aber das habe ich gemacht. Gern gemacht.«

»Täglich? Sie haben täglich trainiert?«

»Ja, ja, ich war ja richtig gut. Ich habe einen Wettbewerb nach dem anderen gewonnen.«

»Und was hat das mit Ihnen gemacht?«

»Na, was schon! Als ich die ersten Medaillen gewonnen hatte, haben die mich in der Klasse natürlich anders angeschaut. Und der Fabian hat mir auch Dampf gemacht mit dem Lernen. Ich durfte manchmal nicht trainieren, wenn ich eine schlechte Note brachte. Aber das passierte kaum mehr, nachdem mein Selbstbewusstsein gewachsen war. Ich fühlte mich einfach stärker. Die Blockade war weg.«

Mir gefällt es, wenn die Leute genervt sagen: »Ja, was wohl?«, »Wie soll ich das schon geschafft haben?« oder »Das ist mir aber jetzt nicht neu«, denn tatsächlich passiert in der Beratung wenig wirklich Neues. Darum geht es ja auch gar nicht, denn das Neue ist den Menschen ja eh nicht geheuer. In der wissenschaftlichen Psychologie redet man von »Neophobie«. Menschen mögen das, was ihnen vertraut ist, und sie zögern im Allgemeinen, etwas Neues auszuprobieren. Eigene Forschung mit Marleen Gillebaart und Janina Marguc zeigt, dass dies vor allem dann der Fall ist, wenn Menschen stark verunsichert sind oder wenn ihnen ihre schlechte Stimmung einen Tunnelblick verschafft. Menschen in Krisen sind deshalb Neuem gegenüber nicht aufgeschlossen – trotzdem kann ihnen geholfen werden, indem man sie an das erinnert, was ihnen schon einmal geholfen hat. Wie oben erwähnt, muss man sich in Krisenzeiten verändern und hat Angst davor. Dann sollte man das wenigstens mithilfe der Mittel angehen, die einem bereits vertraut sind – Herrn Xanten anzuregen, es mit Achtsamkeitstrainings zu versuchen, wäre zum Beispiel zu befremdlich für ihn gewesen, hatte er mir doch einmal gesagt, dass er »so esoterische Dinge« nicht versuchen wollte. Bei Herrn Xanten schien Sport das Mittel der Wahl zu sein: Mit Sport hatte er schon einmal eine Krise überstanden, und Sport gefiel ihm. Da wäre ich im Übrigen nicht selbst darauf gekommen, denn ich hätte alles in Herrn Xanten erkennen können, nur keinen großen Sportler. Weit entfernt von einem »swimmer’s body«, saß er vor mir wie ein – mal trauriger, mal wutschnaubender – schwerer Sack voll Leid und Schmerzen. Allerdings hatte ich bemerkt, wie sich, als er vom Schwimmen erzählte, sein Oberkörper aufrichtete – ein gutes Zeichen, denn eine solch gerade Körperhaltung öffnet den Geist für positive Informationen.[4]

»Sie waren also richtig gut, damals! Wie viele Medaillen haben Sie bekommen? Und wie weit sind Sie gekommen?«

Jetzt erzählt Herr Xanten wie ein Wasserfall. Wie er erst nur im Freistil die Bundesjugendspiele gewonnen hatte, dann an seinem Schmetterlingsstil gefeilt hatte und schließlich in fast allen Stilen gewann. Wie er nach Berlin und Hamburg und einmal sogar nach Paris zu den Wettbewerben gefahren war, mit seinem Vater, der »stolz war wie Oskar«.

Ich lasse ihn reden, so lange, bis er selbst darauf kommt: »Irgendwie sollte ich das Schwimmen mal wieder versuchen.«

Nun fühle ich mich auch wunderbar. Ich habe ihm geholfen, sich selbst an etwas zu erinnern, was möglicherweise seine Situation verändern kann. Ich habe ihm nichts eingeredet, ihn nicht eingeengt, ihm seine Autonomie gelassen. Ich habe ihm lediglich eine Tür dazu geöffnet, seine derzeitige Situation zu verbessern. Jetzt kann ich ihm dabei helfen, seine Pläne gut umzusetzen, denn ich weiß aus der Motivationsforschung, wie schwierig es manchmal sein kann, seine Wünsche und Träume zu verwirklichen. Dazu müssen tunlichst genaue Pläne geschmiedet werden. Das Wann, Wo und Wie müssen so konkret wie möglich bedacht werden, und eventuelle Hindernisse und deren Überwindung sollten mit eingeplant werden.[5] Schließlich wissen wir, dass Herr Xanten Studienrat ist, kein leichter Job. Außerdem hat er gerade angefangen, sich in eine komplizierte Internetsoftware einzuarbeiten. Wann soll er da noch Sport treiben?

»Seit wann schwimmen Sie denn nicht mehr?«

»Seit fünfzehn Jahren nicht mehr regelmäßig.«

»Was hält Sie davon ab?«

»Ich kann halt nicht mehr mit den anderen mithalten.«

»Sie werden älter? Was für ein gewöhnliches Schicksal!«

Er lacht. »Stört Sie das denn nicht, wenn Sie nicht mehr so mitkommen wie früher?«, will er wissen.

»Klar, aber mich deshalb vollkommen gehen zu lassen ist doch keine Alternative. Jedenfalls nicht für mich.«

Ich merke, wie die Motivation in ihm erwacht, wie er mit seinen Augen Ideen in die Luft schneidet.

»Ich hatte mal Marathon angefangen, da bin ich nicht so ehrgeizig. Bin zwar unter drei Stunden gelaufen, doch das war eher ein Nebeneffekt. Wollte immer mal einen anständigen Trainer haben, der mit mir die Technik verbessert. Aber hatte nie die Zeit dazu.«

»Könnte jetzt die Zeit gekommen sein, sich diese Zeit zu nehmen? Was brauchen Sie noch? Laufhose, Laufschuhe?«

»Habe ich alles noch. Die Schuhe könnten besser sein.«

»Sie sind Lehrer und haben genug Geld: Kaufen Sie sich die besten Schuhe. Die guten Läden machen Lauftests mit Ihnen. Besteht die Gefahr, sich zu überfordern?«

»Ja, bei mir immer.« Er lacht.

»Sie sollten es langsam angehen lassen, meinen Sie?«

»Ja. Nicht gleich einen Marathon zu laufen, sondern langsam aufzubauen, das wäre schlau.«

»Mit fünfundvierzig, so aus dem Kaltstart, reißen sich einige die Achillessehne und hören dann wieder auf. Vielleicht wäre ein bisschen Krafttraining zur Unterstützung gut?«

»Ja, das wollte ich immer mal, heimlich, in so eine Muckibude. Ist ja ein bisschen was für Assis, aber ein bisschen Kraft, das kann doch nicht schaden.«

»Absolut nicht. Alkohol trinken ist übrigens auch ›assi‹. Und wenn Sie sich um eines nicht mehr zu scheren brauchen, dann ist das Ihr Ruf.«

Er lacht laut auf. »Da haben Sie recht. Und die haben in dem Studio, an das ich denke, auch Laufcoaches.«

Nun können wir zusammen noch konkreter planen: Wir legen fest, wann er loslegen wird (heute ruft er an und macht einen Termin für morgen früh), wo (Herr Xanten will, dass das Studio nicht zu »assi« ist, es sollte tatsächlich Laufcoaches haben und wenn möglich ein Schwimmbecken) und wie (er bucht das Ganze erst einmal für einen kürzeren Zeitraum).

Sport zur Krisenbewältigung ist – sofern man Sport mag –nachgewiesenermaßen eine gute Idee. Die Vorteile sind zunächst einmal rein körperlicher Natur. Durch Ausdauersport werden Stresshormone verbrannt, Glückshormone ausgeschüttet, die Sauerstoffzufuhr wird (natürlich vor allem beim Outdoorsport) erhöht und der Stoffwechsel in Gang gebracht. Wenn man sich nicht danach ständig ein Brauhausessen und drei Biere gönnt, hat Sport auch einen positiven Einfluss auf das Gewicht und die Zuckerwerte. Aber nicht nur körperlich, sondern auch psychologisch gesehen kommt es zu Veränderungen. Nicht umsonst wird bei Depressionen und bei vielen anderen »Störungen« Sport eingesetzt. Das liegt unter anderem an den nachgewiesen positiven Einflüssen auf physiologischer Ebene: Neben den angesprochenen günstigen Hormonausschüttungen werden Muskeln nach der Anspannung entspannt und Erschöpfungszustände erreicht, die zu besseren und intensiveren Ruhezuständen führen – wer Sport treibt, schläft besser.

Trotz dieser vielen positiven Effekte sollte man nicht allen Menschen Sport »verschreiben«. Ich erinnere mich an meine erste Begegnung mit einem Therapeuten während meines Studiums. Ich fühlte mich niedergeschlagen, hatte dauernd Probleme mit dem Magen und dem Darm und dachte, ich sollte mal auf der anderen Seite des Tisches gesessen haben, bevor ich selbst Leute therapieren würde. Ich habe diesen Therapeuten allerdings nur einmal aufgesucht und dann zwanzig Jahre lang keinen »Psycho« mehr gesehen. Er war, für mich jedenfalls, ein Negativbeispiel eines Psychiaters, der seinen Klienten von oben herab Verhaltensweisen verordnete: »Laufen Sie einfach jeden Tag eine Stunde, und dann sehen wir in zwei Monaten weiter!«

Ich fühlte mich total missverstanden (er hatte mich nicht einmal gefragt, ob das in meinen Alltag passte oder ob das überhaupt für mich infrage käme, und damals hasste ich nichts mehr als Sport!), hatte den Eindruck, dass meine Probleme bagatellisiert würden (»Haste Probleme? Dann mach mal Sport!«), und fand die abgehobene Art, die sich in einem nahe am Befehlston orientierten Ratschlag manifestierte, grässlich. Ich hatte überhaupt keine Lust dazu, das mit dem Sport überhaupt auch nur auszuprobieren.

Wenn ich allerdings spüre, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass Klienten mit sportlichen Betätigungen beginnen, sie wieder aufnehmen oder die Frequenz erhöhen könnten, dann ist das eine wunderbare Stütze in Krisenzeiten.

Ein mittelbarer psychologischer Einfluss kann zum Beispiel auf den Selbstwert gefunden werden und damit auf die Stimmung. Menschen, die sich durch die Kräftigung des Körpers attraktiver finden, fühlen sich insgesamt besser und sind stolz auf sich. Da man beim Sport schnell Steigerungen sieht, erfährt man »am eigenen Leibe«, wozu man (noch) in der Lage ist. Zudem wird die körperliche Kräftigung durch Mechanismen des Embodiment auf die geistige Kraft übertragen. Embodiment bedeutet, dass körperliche Zustände auf seelische übertragen werden können. Man fühlt sich buchstäblich stärker gewappnet gegen Kritik und Schicksalsschläge, wenn man körperlich stark wird – selbst wenn die körperliche Stärke an sich für die Bewältigung des Problems nutzlos ist (so wie im Fall von Herrn Xanten, dem sein athletisches Potenzial beim Umgang mit Schülern und Kollegen nicht direkt helfen wird). Nicht umsonst verwenden wir ja dasselbe Wort »stark«, das mit dem Körperlichen zu tun hat, für Zustände unserer Seele, gleich einer Metapher. Man kann also auch bei psychischen, sozialen oder Selbstwertproblemen, zu deren Bewältigung einem »die Stärke« fehlt oder bei denen einem schnell einmal »die Luft ausgeht« (auch eine körperliche Metapher), es einmal mit Ausdauer- oder Kraftsport probieren. Körperliche Stärke wirkt sich auf die seelische Stärke aus.